Das Amerikabild Bertolt Brechts am Beispiel des Stückes „Im Dickicht der Städte“


Hausarbeit, 2005

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einflüsse auf die Entstehung des Dickicht der Städte und Brechts Amerikabild

3. Der Mythos der amerikanischen Großstadt und ihre Bezeichnung als Dschungel
3.1 Das Leben im Großstadtdschungel als Kampf

4. Die Bewohner des Großstadtdschungels
4.1 Shlink
4.2 George Garga

5. Der Kampf zwischen Savannenbewohner und Dschungelmensch
5.1 Die Kampfform und die menschlichen Einsätze

6. Der Zerfall gesellschaftlicher Strukturen und die völlige Vereinzelung der Großstadtbewohner

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die nachfolgende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Amerikabild Bertolt Brechts anhand seines frühen Stückes Im Dickicht der Städte. Hierbei sollen zunächst die wichtigsten Einflüsse auf die Entstehung des Stückes und Brechts Amerikabild kurz skizziert werden. Welche Inspirationsquellen hatte der Autor? Was sind die Motive, die er aus anderen Werken übernahm? Unter anderem sollen diese Fragen beantwortet werden.

Die Idee, die Großstadt als Dschungel darzustellen, einige der Gründe, warum die Wahl gerade auf eine amerikanische Großstadt als Schauplatz fiel und das Motiv des ewigen Existenzkampfes in diesem Dschungel der Riesenstadt, sollen weiter in die Thematik führen.

Den Kern der Arbeit bildet schließlich, eingeleitet durch eine kurze Übersicht über die wichtigsten ‘Bewohner’ des Dickichts, der zentrale Kampf zwischen dem Savannenbewohner Garga und seinem Kontrahenten Shlink, als Symbol für den Existenzkampf und die Anpassung an das Leben im Großstadtdschungel. In diesem Zusammenhang wird auch kurz auf die Sportbegeisterung des jungen Brecht, insbesondere für den Boxsport, eingegangen.

Der Zerfall traditioneller, gesellschaftlicher Formen des Zusammenlebens und die Vereinsamung des Menschen in der Stadt schließen den Kern ab. Im Fazit werden dann nochmals Brechts Amerikabild, das von ihm beschriebene Milieu und die Figuren, mit Hilfe der nun gewonnenen Erkenntnisse, reflektiert und mit der (nicht nur amerikanischen) Realität in Beziehung gesetzt.

Zitate aus dem Stück selbst stammen in der Regel aus der letzten überarbeiteten Fassung des Dickichts der Städte, von 1927.

2. Einflüsse auf die Entstehung des Dickicht der Städte und Brechts Amerikabild

Das Amerikabild des jungen Bertolt Brecht beruhte nicht auf selbst erfahrenen Eindrücken, sondern auf Erzählungen und Phantasie. Wie James K. Lyon konstatiert, gehörte Brecht “zu der um die Jahrhundertwende geborenen Generation, für die alles Amerikanische faszinierend […] war.“ [1] Amerika war in den Medien schon damals präsent. In Büchereien erschienen zahlreiche Werke über das Leben in Amerika, seine Kultur. Für Brecht und viele seiner Zeitgenossen, so Stellt Lyon weiter fest, bot dieses exotische Land, in dessen Nennung tausend Obertöne, wie “Gangster und Flapper, Boxkämpfe und die neuesten Tänze, Prohibition und Charlie-Chaplin-Filme, Autorennen und Gewerkschaftskämpfe, Jazz und Wildwestfilme“ [2] mitschwangen, eine aufregende Alternative zu einem seiner schöpferischen Energien beraubten Europa. [3]

So ist es denn nicht verwunderlich, daß die Entstehung des Dickicht der Städte neben Werken von Kipling, Rimbaud, Stevenson und auch Wedekind, sowie Schiller, maßgeblich von zwei Romanen beeinflusst wurde, die ein mythisches Amerika und eine mythische Großstadt Chicago zu ihrem Handlungsort machen:

Upton Sinclairs Roman The Jungle (Der Sumpf) und der Chicago-Roman Das Rad, von Johannes V. Jensen.

Sinclairs Sumpf, die Geschichte eines litauischen Arbeiters und seiner Familie, der in den Schlachthöfen Chicagos zu Tode gehungert wird, brachte Brecht auf die (epochale) Idee die Großstadt als Dschungel darzustellen und beeinflusste mit ihrer kritischen Darstellung der Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft die Entstehung der Figuren. [4]

Das Rad von Jensen schildert den geistigen Kampf zweier ungleicher Männer, des skrupellosen Sektengründers Cancer und des jungen Schriftstellers Lee, der in einem tödlichen Kampf und der Ermordung Cancers durch Lee kumuliert, welcher sich fortan von der Literatur abwendet und sich dem realen Leben widmet. [5] Hier lassen sich zahlreiche Parallelen zum Kampf der beiden Protagonisten in Brechts Dickicht aufweisen, wie Müller feststellt:

“Brecht übernahm von Jensen wesentliche Elemente der Fabel und der Handlungsführung, allerdings nicht im Sinne einer dramatischen Bearbeitung des Romans, sondern als intertextuellen Horizont.“ [6]

Eine weitere Anregung bekam Brecht möglicherweise aus dem Theater. 1919 besuchte er, laut einem Hinweis von Hans Otto Münsterer, zweimal die Aufführung eines Kriminalstückes mit dem Titel Mister Wu oder die Rache des Chinesen, das in Augsburg gespielt wurde. Hier kann man die Idee für die Konzeption der Figur des Shlink verorten. Allerdings ist dieser Nachweis, so Müller, bisher nicht nachprüfbar. [7]

Schließlich muß noch Brechts damalige Begeisterung für den Boxsport, auch das eine der typisch ‘amerikanischen’ Vergnügungen, erwähnt werden, welche die Schilderung des Kampfes zwischen Garga und Shlink maßgeblich beeinflusste.

Die Tatsache, daß der Handlungsort des Dickichts, Chicago, rein geographisch betrachtet, mit dem wirklichen Chicago recht wenig gemein hat [8], ist insofern zu vernachlässigen, da Amerika für Brecht “eine moderne Lebens- und Erfahrungsweise und nicht einen geographischen Ort“ [9] verkörperte. Unter anderem aus diesem Grund wird in der Sekundärliteratur zum Dickicht auch immer wieder von einem ‘mythischen’ Chicago gesprochen.

Anhand dieser wenigen Beispiele kann man erkennen, daß Brechts Amerika und das Chicago des Dickicht “im Grunde genommen [...] keinen anderen Schauplatz als den Geist eines Viellesers [hat] – wie Brecht zeitlebens einer war.“ [10]

3. Der Mythos der amerikanischen Großstadt und ihre Bezeichnung als Dschungel

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollzogen die amerikanischen Großstädte eine Entwicklung zu Riesenstädten [11], mit all ihren sozialen Spannungen und Auswirkungen auf das menschliche (Zusammen-) Leben. Die vermeintlich grenzenlose Freiheit brachte starke Gegensätze mit sich, die gute Voraussetzungen für Brechts Schaffen lieferten:

“[...], mit dem Lineal gezogene Straßen, Nummern statt Namen, großer Reichtum, große Armut, schwarz und weiß, Kapitalismus und Ausbeutung, Gangstertum und Sonntagsschule – dies alles schien Brecht wie geschaffen, seine geometrischen Züge anzulegen.“ [12]

In der amerikanischen Riesenstadt mit ihren Straßenschluchten und ihrem Lärm ‘schnupperte’ Brecht eine Mythologie auf, die ihn auf die Idee brachte, die Stadt, den repräsentativen Lebensraum der Moderne, als Dschungel zu beschreiben, mit all ihrer Feindseligkeit, ihren Sprachverwirrungen und ihrer ‘steinernen’ Konsistenz. [13] So wird die Stadt, ähnlich dem tropischen Dschungel, selbst zum lebenden Organismus, wie Marie in der vierten Szene des Stückes treffend beschreibt:

“Marie: Jetzt erwacht Chicago mit dem Geschrei der Milchhändler und dem lauten Rollen der Fleischkarren und den Zeitungen und der frischen Morgenluft.“ [14]

“Die Atmosphäre der Riesenstadt Chicago steht stellvertretend für die der modernen Großstadt an und für sich.“ [15], stellt Seliger fest. Brecht verlagerte den Handlungsort an einen exotischen, fernen Schauplatz, zum Zwecke der Verfremdung [16]. Auf den Gedanken, daß im Dickicht die Großstadtwirklichkeit an sich beschrieben werden soll, kann die Tatsache hindeuten, daß Brecht oft über Berlin als das ‘kalte Chicago’ sprach. Aber, “es wäre zu einfach und zu eng, eine Gleichung ‘Chicago = Berlin’ aufzustellen.“ [17] An dieser Feststellung Seligers lässt sich erkennen, daß die ‘amerikanische’ Großstadtwirklichkeit auch für die Wirkung des Stückes wichtig ist, wie Brecht selbst schreibt:

“Ich hätte ebensogut Berlin wählen können, aber das Publikum hätte dann nicht gesagt: ‘Der Mensch handelt eigenartig, auffällig, bemerkenswert’, sondern nur: ‘Ein Berliner, der so handelt, ist eine Ausnahmeerscheinung’. [...] In deutschem Milieu wären diese Typen romantisch: Sie hätten sich bloß in einem Gegensatz zu ihrer Umgebung befunden, statt im Gegensatz zu einem romantischen Publikum.“

3.1 Das Leben im Großstadtdschungel als Kampf

In Brechts Vorstellung der amerikanischen Großstadt, wie sie im Dickicht zum tragen kommt, ist das Leben ein Kampf ums Überleben. Der Großstadtdschungel hat sein eigenes Gesetz, das des Stärkeren. Brandt spricht von einem ins Sinnlose übersetzten darwinschen Kampf ums Dasein. [18] Idealisten gehen unter und verlieren, während Pragmatiker siegreich aus dem Kampf hervorgehen. [19] Letzten Endes, so Seliger, sei im Dschungel der Großstadt jeder auf sich alleine gestellt, die Verhältnisse wirken einem Gemeinschaftsgefühl direkt entgegen. [20]

Immer wieder wird die Unbarmherzigkeit der Großstadt, ihre Bedrohlichkeit und Kälte durch die Figuren beschrieben:

“Manky: […]Sie haben plötzlich, ohne daß es Ihnen einer sagt, kein Mittagessen. Sie gehen mit Ihren Kindern auf der Straße, und das vierte Gebot wird genau beobachtet, und plötzlich haben Sie nur mehr die Hand Ihres Sohnes oder Ihrer Tochter in der Hand, und Ihr Sohn und Ihre Tochter selber sind schon bis über ihre Köpfe in einem plötzlichen Kies versunken.“ [21]

Fressen oder gefressen werden ist das Motto der Existenz in der amerikanischen Großstadt:

“Der Pavian: Es ist Sumpf.

Garga: Die Störche leben vom Sumpf.“ [22]

Der existenzielle Überlebenskampf kumuliert im ‘geistigen Boxkampf’ der beiden Kontrahenten Garga und Shlink, auf den im Verlauf der Arbeit noch gesondert eingegangen wird.

Zunächst jedoch soll ein besonderes Augenmerk auf die Bewohner des ‘Dschungels’ gelegt werden.

4. Die Bewohner des Großstadtdschungels

Die Personen im Dickicht lassen sich zu Beginn des Stückes grob in zwei Lager teilen:

Auf der einen Seite stehen George Garga und seine Familie, seine Eltern John und Mae, sowie seine Schwester Marie. Die vom Land zugezogene Familie Garga ist ein Opfer der Großstadt, wie Gisela E. Bahr schreibt. [23] Sie leben isoliert und in äußerster Armut, George ernährt sie mit wenig Geld. Bahr beschreibt ihre Situation weiter:

“Den technischen Einrichtungen der Stadt stehen sie ebenso hilflos gegenüber wie den Machenschaften der Städter, und ihre naive Verwunderung macht die bedrohliche Fremdheit ihrer Umgebung und ihre Isolierung nur noch deutlicher.[…]

Von Armut und Hoffnungslosigkeit abgestumpft, vegetieren die Gargas dahin, bis die unheimliche Großstadt eines Tages in die Familie einbricht.“ [24]

Dieser Einbruch in die Familie wird vollzogen durch einige der Personen aus dem zweiten Lager. Zu diesen Personen zählen:

Der malaiische Holzhändler Shlink, ein Gangster, dessen “Hand […] dem ganzen Viertel am Hals“ [25] liegt, sowie die ‘Hunde’ Skinny, der Pavian, der Wurm und Manky. Dieser Personenkreis lebt schon länger im Dickicht der Großstadt, hat den Prozeß der Vereinzelung und Verrohung, der George Garga und seiner Familie bevorsteht, also schon vollzogen. Des Weiteren ist Georges Freundin Jane diesem Kreis, der bereits ‘etablierten’ Stadtbewohner zuzuordnen.

Bevor der Kampf der beiden Protagonisten beschrieben wird, sollen die Kontrahenten zunächst etwas näher betrachtet werden.

[...]


[1] James K. Lyon: Bertolt Brecht in Amerika. Franfurt a. M.: Suhrkamp, 1984, S. 17.

[2] Ebd., S.17 (siehe Anmerkung 1).

[3] Vgl. ebd., S. 18 (siehe Anmerkung 1).

[4] Vgl. Klaus-Detlef Müller: Im Dickicht der Städte. In: Jan Knopf (Hrsg.): Brecht Handbuch in 5 Bänden, Band 1 – Stücke. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2001, S. 115.

[5] Vgl. Müller: Im Dickicht der Städte, S. 115 (siehe Anmerkung 4).

[6] Ebd., S. 115 (siehe Anmerkung 4).

[7] Vgl. ebd., S.116f (siehe Anmerkung 4).

[8] Anmerkung: In Brechts Stück muss Chicago wohl an der Küste liegen, da im Hafen Schiffe in Richtung Tahiti ihre Anker lichten. Das wirkliche Chicago liegt lediglich an einem der großen Seen.

[9] Lyon: Brecht in Amerika, S. 19 (siehe Anmerkung 1).

[10] Marjorie L. Hoover: „Ihr geht gemeinsam den Weg nach unten“. Aufstieg und Fall Amerikas im Werk Bertolt Brechts? In: Sigrid Bauschinger / Horst Denkler / Wilfried Malsch (Hrsg.): Amerika in der deutschen Literatur. Stuttgart: Reclam, 1975, S. 296.

[11] Vgl. Thomas O. Brandt: Das Amerikabild Brechts. In: Alexander Ritter (Hrsg.): Deutschlands literarisches Amerikabild. Hildesheim: Georg Olms, 1977, S. 452.

[12] Ebd., S. 455 (siehe Anmerkung 11).

[13] Vgl. Müller: Im Dickicht der Städte, S. 114 (siehe Anmerkung 4).

[14] Bertolt Brecht: Im Dickicht der Städte. In: Die Stücke von Bertolt Brecht in einem Band. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1978, Szene 4, S. 73.

[15] Helfried W. Seliger: Das Amerikabild Bertolt Brechts. Bonn: Bouvier, 1974, S. 39.

[16] Vgl. ebd., S. 42 (siehe Anmerkung 15).

[17] Seliger: Das Amerikabild Bertolt Brechts, S. 39 (siehe Anmerkung 15).

[18] Brandt: Das Amerikabild Brechts, S.453 (siehe Anmerkung 11).

[19] Vgl. ebd., S. 31 (siehe Anmerkung 11).

[20] Vgl. ebd., S. 32f (siehe Anmerkung 11).

[21] Brecht: Im Dickicht, Szene 3, S. 70 (siehe Anmerkung 14).

[22] Ebd., Szene 2, S. 67 (siehe Anmerkung 14).

[23] Vgl. Gisela E. Bahr: Und niemals wird eine Verständigung sein: „Im Dickicht der Städte“. In: Walter Hinderer (Hrsg.): Brechts Dramen: Neue Interpretationen. Stuttgart: Reclam, 1984, S. 70.

[24] Ebd., S.70f (siehe Anmerkung 23).

[25] Brecht: Im Dickicht, Szene 5, S. 74 (siehe Anmerkung 14).

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das Amerikabild Bertolt Brechts am Beispiel des Stückes „Im Dickicht der Städte“
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Einführungsseminar Neuere deutsche Literaturwissenschaft II, Bertolt Brecht
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V120214
ISBN (eBook)
9783640241033
ISBN (Buch)
9783640247950
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Amerikabild, Bertolt, Brechts, Beispiel, Stückes, Dickicht, Städte“, Einführungsseminar, Neuere, Literaturwissenschaft, Bertolt, Brecht
Arbeit zitieren
Christian Honeck (Autor:in), 2005, Das Amerikabild Bertolt Brechts am Beispiel des Stückes „Im Dickicht der Städte“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120214

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