Einwanderung nach Frankreich

Die Integration nordafrikanischer Einwanderergenerationen in die französische Gesellschaft


Hausarbeit, 2008

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historischer Hintergrund

3. Das problematische Erbe des Kolonialismus am Beispiel Algeriens
3.1 Die französischen Staatsbürger Algeriens
3.2 Doppeltes Bodenrecht für junge Algerier

4. Die heraufbeschworene Identitätskrise der zweiten Generation
4.1 Problematische Eingliederung in die Gesellschaft
Wohnsituation
Arbeitslosigkeit
Schulausbildung
4.2 Ausgrenzung durch französische Integrationspolitik?
Der republikanische Gedanke
Der (Irr-)Glaube an eine gelungene Integration

5. Lösungsansätze

6. Fazit

7. Literatur

1. Einleitung

Spätestens seit dem erneuten Ausbruch der Unruhen in den französischen Vorstädten im Oktober 2005, die vor allem durch ein zuvor in seinem Ausmaß deutlich unterschätztes Hasspotential der Jugendlichen aus den Banlieues [1] gekennzeichnet waren, rückt man in der öffentlichen Debatte um die Integration der zweiten und dritten Einwanderergeneration wieder vermehrt die Möglichkeit des Scheiterns des französischen Integrationsmodells ins Zentrum der Diskussion. Damals kamen am 27. Oktober 2005 in Clichy-sous-Bois, einem Pariser Vorort, zwei Jungen auf der Flucht vor der Polizei ums Leben. In den darauf folgenden Wochen kam es zu schweren Ausschreitungen zwischen der Polizei und randalierenden Jugendlichen aus den Vorstädten. Zwei Jahre später flammten die Unruhen erneut auf, als am 25. November 2007 zwei Jugendliche auf einem Motorrad von einer Polizeistreife erfasst wurden und ums Leben kamen (vgl. Kröncke 2007).

Im Zusammenhang mit den damaligen und heutigen Unruhen geht es fast ausschließlich um die Bevölkerungsgruppe der so genannten Beurs, der jungen Araber aus Nordafrika und dort überwiegend aus den Ländern Algerien und Marokko. Diese Gruppe, die sich aus den Nachkommen der zum größten Teil in den 60er und 70er Jahren zugewanderten nordafrikanischen Gastarbeiterfamilien zusammensetzt, steht seit den 80er Jahren ununterbrochen im Mittelpunkt einer Diskussion um eine geglückte oder misslungene vollständige Integration von Ausländern in die französische Gesellschaft.

In der hier vorliegenden Arbeit sollen verschiedene Beiträge zu dieser Diskussion auf die folgenden Hypothesen hin untersucht werden:

- Hypothese 1: Das mit den europäischen Werten und Normen nicht oder nur schwer kompatible kulturelle Wertesystem der Einwanderer arabischer Herkunft verursacht die in Frankreich auftretenden Spannungsverhältnisse.
- Hypothese 2: Die seit der Kolonialzeit in ihren Grundfesten aufrecht erhaltene französische Integrationspolitik bewirkt zunehmend eine Desintegration der in Frankreich lebenden Bevölkerung mit Migrationshintergrund.

Im Folgenden wird zunächst kurz auf die geschichtlichen Hintergründe der Einwanderung nach Frankreich eingegangen. Darauf aufbauend soll anschließend ein weiterführender Einblick in die besondere Problematik der Kolonialherrschaft Frankreichs in Nordafrika gewährt werden. Als Beispielland wird Algerien gewählt, da es in dieser Arbeit hauptsächlich um die Integration der nordafrikanischen Einwanderer gehen soll und die Algerier hier vor den Marokkanern die Mehrheit bilden.

2. Historischer Hintergrund

Bedingt durch die fortschreitende Industrialisierung wurden in Frankreich bereits im 18. und 19. Jahrhundert Einwanderer aufgenommen. Dies geschah im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten früher, da Frankreich gleichzeitig einen Rückgang der Geburtenrate zu verzeichnen hatte. Es zählte somit von Beginn an zu den Einwanderungsländern, wohingegen andere europäische Nationen mit höheren Geburtenraten, wie bspw. Deutschland, eher den Status des Auswanderungslandes erhielten. (vgl. Engler 2007, 1) Nach den Kriegen von 1870/71 und 1914-1918 litt der französische Arbeitsmarkt erneut unter einem Arbeitskräftemangel, da allein im ersten Weltkrieg ca. 1,4 Millionen Franzosen fielen oder arbeitsunfähig wurden. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden deshalb Anwerbeabkommen mit den europäischen Nachbarn Italien (1904, 1906, 1919), Belgien und Polen (1906) und der Tschechoslowakei (1920) beschlossen. (vgl. ebd., 1) Nach dem zweiten Weltkrieg und besonders in den Jahren des Wirtschaftsaufschwungs zwischen 1950 und 1960 warb Frankreich erneut überwiegend Männer aus Italien, Portugal, Spanien, Belgien, Deutschland, Polen und Russland an. Hinzu kamen nun erstmals, ausgelöst durch Befreiungskriege und die Dekolonisation, auch Arbeitskräfte aus den ehemaligen französischen Kolonien (vgl. ebd, 2 u. Tucci 2004, 299).

In diesem Zusammenhang verursachte der Algerienkrieg 1954-1962 eine stark vermehrte Wanderung französischer Siedler und pro-französischer Algerier nach Frankreich (vgl. ebd., 2). Die Besonderheit hierbei war, dass die Algerier durch die Kolonialgeschichte nicht aus dem Ausland, sondern aus einem französischen Departement nach Frankreich kamen. Algerien war seit 1830 französische Kolonie und gehörte rechtlich zu Frankreich (vgl. Zimmermann 2004, 67). Es kam dadurch zu einer Vermischung zweierlei Zuwanderungsformen. Die erste Form stellt die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte dar. Diese, im Land dringend benötigten, Arbeiter wurden auf Zeit geduldet, von der Bevölkerung aber misstrauisch betrachtet. Die zweite Form bestand aus der Zuwanderung französischer Staatsbürger aus den ehemaligen Kolonien. Diese Gruppe wurde jedoch von der ansässigen Bevölkerung bis heute nicht als Ihresgleichen akzeptiert, wodurch es immer wieder zu Spannungen kommt (siehe Kapitel 3 in diesem Beitrag).

Durch die Weltwirtschaftskrise zu Anfang der 70er Jahre wurden die Anwerbeprogramme, wie überall in Europa, eingestellt. Die Einwanderung nach Frankreich hörte indes nicht auf. Seit dieser Zeit nimmt die Familienzusammenführung den größten Anteil an den jährlichen Einwanderungszahlen ein. In den frühen 90er Jahren vertrat der konservative Innenminister Charles Pasqua eine so genannte Null-Einwan-derungspolitik. Das bedeutete beispielsweise, dass die Wartezeit für Familienzusammenführungen von einem auf zwei Jahre verlängert wurde und es ausländischen Absolventen französischer Universitäten verboten wurde, eine Arbeit in Frankreich aufzunehmen. Von 1997 an wurden unter der Regierung von Premierminister Lionel Jospin viele dieser strikten Regelungen zurückgenommen bzw. abgeschwächt. Zudem wurde ein spezieller Einwanderungsstatus für hoch qualifizierte Arbeitnehmer geschaffen. (vgl. Engler 2007, 2) Seit dem 30. Juni 2006 an gilt in Frankreich das neue Einwanderungsgesetz, das u.a. härtere Auflagen für Familienzusammenführungen festsetzt. Der Antragsteller muss nun bereits 18 Monate im Land sein (statt bislang 12) und über ein geregeltes Einkommen auf dem Niveau des gesetzlichen Mindestlohns verfügen. Es wurde außerdem die Einführung eines Aufnahme- und Integrationsvertrages beschlossen, wonach Ausländer die dauerhaft im Land bleiben wollen, an zivilgesellschaftlichen Schulungen und Sprachkursen teilnehmen müssen. Die automatische Legalisierung für sich illegal im Land aufhaltende Einwanderer, die bisher nach 10 Jahren möglich war, wurde abgeschafft. (vgl. ebd., 5) Besonders qualifizierten ausländischen Arbeitskräften soll bei Bedarf die Einreise und der Aufenthalt erleichtert werden. Der damalige Innenminister und heutige Staatspräsident Nicolas Sarkozy sagte hierzu, er wolle "die Besten" und nicht diejenigen die keiner haben wolle, ins Land holen (vgl. ebd., 5).

3. Das problematische Erbe des Kolonialismus am Beispiel Algeriens

Betrachtet man die frühen Immigrationsbewegungen aus den europäischen Nachbarstaaten nach Frankreich und untersucht diese aus heutiger Sicht im Hinblick auf ihre jeweilige Integrationsfähigkeit in die französische Gesellschaft, so kann man von einer äußerst gelungenen Eingliederung dieser Einwanderungswellen sprechen (vgl. Müller 2006, 43). Demgegenüber wird die Integration der nordafrikanischen Einwanderer in einem zunehmend düsteren Licht gesehen. Vom damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy anlässlich der Unruhen in den Vorstädten im Oktober 2005 als Abschaum und Gesindel bezeichnet [2], werden die Jugendlichen maghrebinischer Herkunft seither, mehr noch als zuvor, als Unruhestifter und respektlos angesehen. Allseits ist von einer Krise des französischen Integrationsmodells die Rede (vgl. Müller 2006, Crevel/Wagner 2004).

Aber was unterscheidet die Integration der nordafrikanischen Einwanderergenerationen eigentlich von der, europäischer Immigranten? Die grundlegenden Unterschiede sollen am Beispiel Algeriens dargelegt werden.

3.1 Die französischen Staatsbürger Algeriens

Bis zu den 70er Jahren funktionierte das Integrationsmodell Frankreichs angesichts der Zuwanderung europäischer Arbeiter und deren Familien ohne größere Probleme. Die zunehmende Immigration aus Afrika und dem Maghreb brachte jedoch aufgrund des unterschiedlichen kulturellen Wertesystems der Herkunftsgruppen im Vergleich zu den europäischen Werten und Normen immer mehr Probleme mit sich. (vgl. Crevel/Wagner 2004, 120.) Im Zusammenhang mit der Integrationsproblematik der nordafrikanischen Zuwanderer kommt jedoch noch ein anderer Aspekt hinzu, der seinen Ursprung im Kolonialismus hat. Zum ersten Mal in der Immigrationsgeschichte Frankreichs waren die einwandernden Algerier nämlich von Gesetzeswegen her französische Staatsbürger. Algerien war seit 1830 französisches Territorialgebiet und damit rechtlicher Bestandteil des „Mutterlandes“. Es handelte sich fortan also nicht um die Integration ausländischer Immigranten, sondern genau genommen um die Aufnahme von Franzosen aus den eigenen Überseegebieten. Trotz der französischen Staatsangehörigkeit waren die Algerier während der Kolonisation jedoch einem so genannten statut musulman unterstellt worden, welches den muslimischen Algeriern in Teilen den Erhalt des muslimischen Privat- und Erbrechts sicherte, sie aber im gleichen Zuge von den bürgerlichen Rechten der französischen Vollbürger (besonders dem Wahlrecht) ausschloss. 1870 wurde dieses Rechtsstatut für die jüdische Bevölkerung Algeriens in ein Vollbürgerrecht umgewandelt, das ihnen obendrein erlaubte, ihre religiösen Sonderrechte beizubehalten (Décret Crémieux [3] ). Dies führte zu einer hasserfüllten Eifersucht, die die bis dahin guten Beziehungen zwischen algerischen Juden und Muslimen trübte und bis heute das Zusammenleben der beiden Gemeinschaften in Frankreich beeinflusst. (vgl. Ruf 2002, 595f.)

Die durch die Kolonialzeit bedingte Unterdrückung der Algerier in der Entfaltung ihrer nationalen Identität führte in den 50er Jahren zu einer vermehrten Auflehnung gegen die Kolonialmacht und gipfelte in dem Aufstand vom 1. November 1954, der in einen blutigen achtjährigen Unabhängigkeitskrieg überging (vgl. ebd., 596). Die Art und Weise in der dieser Krieg geführt wurde und die Lebensbedingungen, die in der französischen Kolonie Algerien vor Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges herrschten, tragen einen entscheidenden Teil zu der brisanten Beziehung zwischen Algeriern und Franzosen bei.

3.2 Doppeltes Bodenrecht für junge Algerier

Nach Ende des Unabhängigkeitskrieges 1962 immigrierten viele Algerier aus ökonomischen Gründen nach Frankreich. Viele von ihnen hatten sich nach der Unabhängigkeit Algeriens für die algerische Staatsbürgerschaft ausgesprochen, für die sie während des Krieges gekämpft hatten. Als die Kinder, also die zweite Generation, dieser Einwanderer ab 1978 mit 16 Jahren die französische Staatsbürgerschaft beantragen wollten, mussten sie feststellen, dass sie auf dem Papier bereits Franzosen waren. (vgl. Hagedorn 2001, 44)

Art.19-3, Code de la nationalité:

"Est français l’enfant, légitime ou naturel, né en France lorsque l’un de ses parents au moins y est lui-même né." [4]

Nach dem französischen Gesetz, laut des ius soli [5], waren in der Regel beide Elternteile zwischen 1947 und 1962 in Algerien auf französischem Boden geboren und verschafften ihrem Kind somit automatisch die französische Staatsbürgerschaft. Das hier vollzogene doppelte Bodenrecht bezieht sich eigentlich erst auf die dritte und nicht auf die zweite Generation von Einwanderern. Da aber hier die Gegebenheiten der Kolonialzeit berücksichtigt wurden, traf diese Regelung bereits auf die zweite Generation zu und räumte dieser auf den ersten Blick noch nicht einmal ein Optionsrecht ein, da die dritte Generation nur in Ausnahmefällen auf die französische Staatsbürgerschaft verzichten durfte, beispielsweise wenn wenigstens ein Elternteil nicht französischer Staatsbürger war. Aufgrund der Wirren der Kolonialzeit waren aber für gewöhnlich beide Elternteile auf französischem Boden geboren. Somit hatten viele Algerier und ihre Nachkommen zu Recht das Gefühl, sich einer erneuten „kolonialen“ Unterdrückung unterwerfen zu müssen und protestierten heftig. Da es sich aber, wie bereits erwähnt, erst um die zweite Generation handelte, trat für diese Gruppe der Artikel 44 des Code de la nationalité in Kraft, der die automatische Einbürgerung der zweiten Generation regelte und die Ablehnung der französischen Staatsbürgerschaft bis zu 12 Monate vor dem Erreichen des 18. Lebensjahres erlaubte (vgl. Hagedorn 2001, 44ff.). Zusammenfassend kann man sagen, dass alle folgenden Generationen algerischer Einwanderer, so wie auch die der anderen Nationalitäten, "automatisch in die französische Staatsbürgerschaft hinein[wachsen]" (Manfrass 1991, 16). Warum die großzügige Verleihung der französischen Staatsbürgerschaft, besonders für die Nordafrikaner, mitunter nicht problemlos von statten ging, wird im folgenden Kapitel erläutert.

[...]


[1] les banlieues = die Vorstädte

[2] Spiegel 11/05: „Sarkozy spricht schon wieder von Abschaum“, 11. November 2005. (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,384307,00.html, eingesehen am 03.12.2007)

[3] Décret Crémieux: Le 24 octobre 1870, un décret donne la citoyenneté française aux 37.000 juifs d'Algérie.

Dans la foulée, les colons originaires d'Europe (Italie, Espagne, Malte,...) sont aussi francisés en bloc. Quant aux musulmans d'Algérie, ils sont ravalés au statut d'indigène. C'est le début d'une fracture douloureuse et irréductible entre les deux communautés. (http://www.herodote.net/histoire/evenement.php?jour=18701024, eingesehen am 03.12.2007)

[4] Übersetzung Art.19-3: "Ein in Frankreich geborenes eheliches oder uneheliches Kind ist Franzose, wenn mindestens ein Elternteil in Frankreich geboren ist." (http://archiv.jura.uni-saarland.de//bijus/nationalite/index.html, eingesehen am 03.12.2007)

[5] Das ius soli (wörtlich: Recht des Bodens) verknüpft den Erwerb der Staatsangehörigkeit mit dem Geburtsort und wird auch als Geburtsprinzip oder Geburtsortsprinzip bezeichnet. (http://www.einbuergerung.de/index2_152.htm#iussangu, eingesehen am 03.12.2007)

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Einwanderung nach Frankreich
Untertitel
Die Integration nordafrikanischer Einwanderergenerationen in die französische Gesellschaft
Hochschule
Universität Bremen
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
27
Katalognummer
V120190
ISBN (eBook)
9783640235575
ISBN (Buch)
9783640289578
Dateigröße
571 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einwanderung, Frankreich, Immigration, Einwanderungsproblematik, Beurs, Generation, Kolonialismus, Banlieue, Integration, Einwanderungsmodell, Gastarbeiter
Arbeit zitieren
Carl Elmar Heine (Autor:in), 2008, Einwanderung nach Frankreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120190

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