Pornographie oder Ästhetik?

Sex und Arthouse im Lichte der feinen Unterschiede von Pierre Bourdieu


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Pornographie
2.1. Geschichte der erotischen Kunst und die Entstehung der Pornographie
2.2. Das Verhältnis von Pornographie und Kunst
2.3. Der pornographische Film

3. Eine Frage des Geschmacks I
3.1. Der reine und der naive Blick
3.2. Was gibt es zu sehen wenn man einen reinen Blick auf „Shortbus“ riskiert?

4. Der Bruch mit der Gesellschaft
4.1. kalkulierter Skandal
4.2. Distanz und Sublimierung

5. Eine Frage des Geschmacks II
5.1. Ekel und Schauer
5.2. Die „neue“ und die „alte“ Kunst

6. Fazit

7. Literatur

8. Anhang: Ein Auszug aus einer Diskussion im Internet über den Film „Baise Moi“

1. Einleitung

„Jedes kulturelle Produkt, von der Küche über den Western bis zur seriellen Musik, kann zum Gegenstand verschiedener Arten von Verständnis werden, die vom einfachsten und alltäglichen Erlebnis bis zum gebildeten Genuß reichen.“[1]

Spätestens seit den 1970er Jahren, in denen eine Reihe so genannter Schwedenfilme die Kinokassen Europas zum klingeln brachten, ist die filmische Darstellung von Sex nicht nur leinwandfähig geworden, sondern aus dem Film gar nicht mehr wegzudenken. Längst gehören Skandale um Nacktheit und Lust der Vergangenheit an. Ein Film ist nicht gleich ein Porno, nur weil die Protagonisten des Öfteren mehr oder weniger verhüllt Geschlechtsverkehr haben, wie zum Beispiel in „Basic Instinct“ (R: Paul Verhoeven, USA 1991) oder „9 ½ Weeks“ (R: Adrian Lyne, USA 1986). Und doch: der Bann, mit dem Sex als Darstellungstabu belegt wurde, ist noch nicht gebrochen. Nicht ganz.

Im Jahr 2000 ging ein Aufschrei durch die französische Presse als „Baise Moi“ (R: Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi, Frankreich 2000) in die Kinos kam. Dieser Aufschrei fand bald darauf sein Echo in den internationalen Feuilletons. Die beiden Hauptdarstellerinnnen Raffaëla Anderson und Karen Bach wurden monatelang verfolgt und bedroht. In Frankreich wurde der Film gar für kurze Zeit auf den Index gesetzt. Was war geschehen? „Baise Moi“ brach zwar mit den gängigen Kinokonventionen in ähnlicher Weise wie das die Filme „Romance“ (R: Catherine Breillats, Frankreich 1998) oder „Intimacy“ (R: Patrice Chéreau, Frankreich 2000) vorgemacht hatten, aber „Baise Moi“ ging einen Schritt weiter, er paarte Sex mit Gewalt; und das eigentlich Ungewöhnliche: die Gewalt geht hier von Frauen aus.

2006 schließlich, nicht halb so sehr von Presse und Öffentlichkeit beachtet wie „Baise Moi“, lief der Film „Shortbus“ (R: John Cameron Mitchell, USA 2006) in den deutschen Kinos an und wurde eher pikiert und voller Ekel von den Kritikern verrissen. Nur wenige hatten ein gutes Wort für „Shortbus“ übrig. Warum? „Shortbus“ wird von dem neuen Autobahn-Label von Senator vertrieben, einem Arthouse-Verleih, der sich bis dato, von den Kritikern wohlwollend beobachtet, durch eher provokante Filme hervorgetan hatte.[2] Nun wird zwar in „Shortbus“ tatsächlich wieder ein Tabu gebrochen - hier sind Sexszenen zu sehen, welche durchaus mit Details nicht sparen und eher in einen Hardcore- als in einen Arthouse-Film zu gehören scheinen - aber tatsächlich handelt es sich um eine nette amerikanische Beziehungsgeschichte, mit den typischen Höhen und Tiefen. Nur spielen Laken eben eine eher kleine Rolle und es wird auch nicht ausgeblendet, wenn die Protagonisten das Schlafzimmer betreten.

Welche Kriterien führen dazu, dass ein Film einen Skandal auslöst, Hass schürt oder Ekel erregt? Auf Grund welcher Kriterien wird ein Film von Kritikern in den höchsten Tönen gelobt und welche Filme erhalten eine gute Resonanz vom Publikum? Alles eine Frage des Geschmacks? Um diesen und verwandten Fragen auf den Grund zu gehen, werde ich mich auf Texte von Pierre Bourdieu stützen; dabei insbesondere auf „die feinen Unterschiede“. Ziel ist es zu zeigen, warum Detailaufnahmen von sexuellen Handlungen in einem Arthouse-Film für wenig Glückliche manchmal gar keine Pornographie sind und warum solche Darstellungen für viele Unzufriedene es eben doch sind.

Ein besonderer Aspekt, der bei diesem Thema noch hinzukommt, ist die doppelte Scham, oder der doppelte Ekel gegenüber der Darstellung von Sex in einem „normalen“ Film. Ausgelöst durch die explizite Darstellung von intimsten Handlungen, die zu sehen für einige an sich schon eine Zumutung bedeutet, insofern sie ungewollt Nacktheit und sexuellen Exhibitionismus sehen und in die Lage des Voyeurs versetzt werden und verstärkt durch das Unverständnis gegenüber dem Film als ästhetischem Werk, welche eine neue Welle des Schams, des Ekels und letztlich der Ablehnung beim ungebildeten Publikum provoziert.

Obwohl: An die Darstellung von Lust, Geilheit und kopulierende Körper „sollte der Betrachter allmählich gewöhnt sein nach dem Bildersturm, der den menschlichen Sexus aus der Pornographie befreit hat, durch Filmemacher wie Despentes, Breillat und von Trier.“[3]

2. Pornographie

2.1. Geschichte der erotischen Kunst und die Entstehung der Pornographie

„Mit Pornographie wird allgemein die direkte und dann als obszön geltende Darstellung geschlechtlicher Vorgänge bezeichnet, bei der der genitale Bereich einseitig betont ist und die psychischen und kulturellen Seiten von Sexualität als Teil der zudem patriarchal bestimmten Geschlechterverhältnisse ausgeblendet sind.“[4]

Sexuelle Darstellungen gibt es bereits seit der Frühgeschichte in nahezu allen Kulturen. Zunächst dienen Darstellungen und Symbole der Geschlechtsorgane in erster Linie der rituellen Fruchtbarkeitsverehrung. In der Antike kommen Darstellungen von Tempelprostitution und von erotischen Ritualen hinzu, wobei die Lust am Sexualakt dem Mann vorbehalten bleibt. Durch die christliche Verteufelung von Sex als Sünde kommt es vor allem im Mittelalter zu einer stärker sublimierten Form erotischer Darstellungen. Erst in der Renaissance erfahren die mythischen Darstellungsweisen eine Aktualisierung. Dennoch sind die erotischen Darstellungen weiterhin von einer deutlich moralisierenden Konnotation, vor allem vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Einer neuerlichen Auflockerung im künstlerischen Spiel des Rokoko mit der Erotik setzt die bürgerlich-aufklärerische Malerei schiere Prüderie entgegen, welche ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert erfährt. Jetzt werden vor allem zwei Frauentypen hervorgehoben. Das ist zum einen die züchtige Mutter und Ehefrau und zum anderen die heruntergekommene Hure.[5] In jener Zeit entsteht auch das moderne Verständnis von Pornographie.

Die Erotik hat, wie die Pornographie, vor allem das Ziel den Betrachter sexuell zu erregen, doch erreicht die Erotik das weniger durch die Darstellung primärer Geschlechtsorgane als durch das Spiel mit dem Sichtbaren. Sie lockt durch Sinnlichkeit und versucht zu verführen. Eine klare Unterscheidung zwischen Erotik und Pornographie lässt sich aber genauso wenig treffen, wie die zwischen Erotik, Pornographie und Kunst. Dennoch soll mit der Hilfe von Susan Sontags literarischen Analysen zum Thema der Versuch einer eindeutigeren Definition unternommen werden.

2.2. Das Verhältnis von Pornographie und Kunst

„Pornographie hat einen >>Inhalt<< und zielt darauf ab, daß wir (mit Abscheu oder Lust) auf diesen Inhalt reagieren. Sie ist ein Ersatz für das Leben. Kunst dagegen erregt nicht, und wenn sie es tut, so ist die Erregung, wie es dem Wesen des ästhetischen Erlebens entspricht, gedämpft.“[6]

Susan Sontag untersucht „Pornographie als Konvention innerhalb der Kunst.“[7] Ihrer Meinung nach hat Pornographie eine derart stark polarisierende Kraft, dass es scheint als müsse man sich entscheiden, ob man dafür ist oder dagegen, ein Grund, weshalb eine eingehende Analyse von Pornographie innerhalb der Kunst noch nicht stattgefunden haben mag.[8] Als Ursprung von Pornographie und ihrer Verbreitung wurde und wird häufig die, durch die christliche Religion stark unterdrückte, Triebnatur des Menschen genannt. Aus feministischer Sicht dient sie der Degradierung der Frau zum Objekt und kommt, da sie Frauen entsprechend der männlichen Wünsche als nymphomanisch darstellt, einem Gewaltakt gleich.[9] In diesem Sinne erscheint Pornographie als ein patriarchales Phänomen eines „infantilen Geschlechtslebens“ und als „Krankheit einer ganzen Kultur.“[10] Solange aber Pornographie ausschließlich für moralische Debatten von Interesse ist, kann sie nicht als Element der Kunst diskutiert werden. Pornographie lässt sich nicht aufgrund ihres Inhaltes disqualifizieren, genauso wenig wie jeder andere Inhalt grundsätzlich aus der Kunst verbannt werden kann. Was Pornographie letztlich zur Kunst werden lässt, ist auch nicht die Distanz des Produzenten gegenüber den beschriebenen Exzessen. Es ist die Form der Beschreibung. Die Authentizität des Dargestellten kann den Zuschauer gleichermaßen verwirren und faszinieren und darin ist die Pornographie in ihrem Zweck viel weniger eindeutig, als man es zunächst vermuten mag.[11]

Susan Sontag stimmt Boudieus Theorie über den Geschmack zu, wenn sie beschreibt, dass Pornographie immer dann als Kunst gelten wird, wenn sie sich nicht oberflächlich auf reine Lustbefriedigung des Zuschauers bezieht, sondern ihre Komplexität mit Hilfe stilistisch-formaler Elemente steigert. Die Grenze zwischen kommerzieller Pornographie und Kunst liegt also darin, inwieweit ein Werk, trotz aller sexueller Stimuli, noch ästhetische Distanz zulässt. Dieses Verhältnis bestimmt dann auch den ästhetischen Wert und damit die künstlerische Darstellbarkeit von Sex.

2.3. Der pornographische Film

„Just as we expect to see monsters in horror films, guns, suits, and hats in gangster films, an horses and cowboys in westerns, so in a porno do we expect to see naked bodies engaging in sexual numbers.“[12]

Pornographische Filme, sind Filme, deren Hauptaugenmerk auf dem sexuellen Akt liegt. In erster Linie dienen sie der Erregung des Zuschauers und die Geschichte welcher erzählt wird dient lediglich dazu, die einzelnen Nummern miteinander zu verbinden. Der Standardplot besteht meist aus allen gesetzlich erlaubten sexuellen Handlungen, also Oralverkehr, Vaginalverkehr in verschiedenen Stellungen, Analverkehr, lesbischem Sex und jeweils einer abschließenden Ejakulation. Die Nummern wiederholen sich in der Regel mehrmals pro Film, mit jeweils anderen Schauspielern.[13] In einem Pornofilm sind die Geschlechtsorgane während dem Sex deutlich, meist in Nahaufnahme, zu sehen. Die Detailaufnahmen, sowie die tatsächliche Ejakulation (auch money-shot genannt, weil die Darsteller extra bezahlt werden) dienen unter anderem der Suggestion von Authentizität. Dieser Eindruck wird in vielen Pornos zum Beispiel durch das Anbehalten von Socken, das pseudo-dokumentarische Ansprechen von Frauen auf der Straße, mit der Aufforderung doch bei einem Sexfilm mitzuwirken, sowie einer wackligen Handkamera noch unterstrichen wird.

Man unterscheidet Hardcore-Filme, von Softpornos und Erotikfilmen, von Sexfilmen, von S/M-Filmen und von harter Pornographie. Softpornos, Erotikfilme und Sexfilme fallen nicht unter Pornographie und dürfen unter bestimmten Auflagen auch im Fernsehen gezeigt werden. Pornographische Filme sind dann erlaubt, wenn sie keinen Sex mit Tieren oder Kindern, keinen echten sadomasochistischen Sex und keine echten Vergewaltigungen zeigen.

[...]


[1] Bourdieu 2003, S. 167

[2] „Hard Candy“, 2005 und „Brick“ 2006

[3] Dunja Bialas, http://www.artechock.de/film/text/kritik/i/intima.htm, 5.12.2007, 17.00 Uhr

[4] Olbrich (Hg.) 2004, Band 5, S. 697

[5] Zur Geschichte der erotischen Kunst vgl.: Olbrich (Hg.) 2004, Band 2, S. 362ff

[6] Sontag [1962] 2003, S. 36

[7] Sontag [1962] 2003, S. 48

[8] Vgl.: Olbrich (Hg.) 2004, Band 5, S. 697

[9] Vgl.: diverse Schriften von: Catherine MacKinnon, Andrea Dworkin, Alice Schwarzer u.v.m.

[10] Sontag [1962] 2003, S. 50

[11] Vgl.: Sontag [1962] 2003, S. 60f

[12] William 1991, S. 128

[13] Eine Liste der Nummern, welche zu einem echten Porno gehören sind zu finden in: William 1991, S. 127f

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Pornographie oder Ästhetik?
Untertitel
Sex und Arthouse im Lichte der feinen Unterschiede von Pierre Bourdieu
Hochschule
Technische Universität Dresden  (für Soziologie)
Veranstaltung
Eine „störende und verstörende Wissenschaft“ – Pierre Bourdieus Verständnis der Soziologie
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
27
Katalognummer
V120043
ISBN (eBook)
9783640240340
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pornographie, Seminar
Arbeit zitieren
Edda Laux (Autor:in), 2007, Pornographie oder Ästhetik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120043

Kommentare

  • Gast am 30.12.2012

    sinnlose Intellektualisierung von Lust. Wozu das Gelaber über Sex?

Blick ins Buch
Titel: Pornographie oder Ästhetik?



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