Östliche Weisheitslehren

Ein Sammelband von Vorträgen über Buddhismus


Fachbuch, 2008

111 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Das Tibetanische Totenbuch spricht von 49 Tagen

Die Bedeutung der Klöster für Tibet und seine Kultur
Die tibetische Kultur im Exil
Die tibetischen Flüchtlinge sind nicht mit leeren Händen gekommen
Zielsetzung und Wirken des Klösterlichen Tibet-Institutes in der Schweiz

Der klösterliche Alltag in Rikon
Die erste Generation der geflüchteten Tibeter im Schweizer Exil

Die Bedeutung der Arbeit für die Buddhisten - am Beispiel der Tibeter

Das Tibetanische Totenbuch

Das Totenbuch der Tibeter

Ist der Buddhismus eine atheistische Religion?

Tibetische Bildmeditation

Die Lehre Buddhas und das Bodhisattva-Ideal

Der Zeitbegriff in Ost und West
Die 'stehende Zeit'
Der 'leere' Raum

Buddhismus und das moderne Weltbild

Stellungnahme zur Schrift ‚ ’Und der Dalai Lama lächelte..’ von
Bruno-Waldvogel-Frei

Der Zeitbegriff in Ost und West - Das Unendliche - einige Annäherungen
Der 'leere' Raum

Die Buddhistische Erkenntnislehre
Der Kaiser Alexander und der Yogi

Der geheime tantrische Weg zur Erleuchtung

Samatha, der Meditationspfad zur geistigen Ruhe

Gedanken zum Thema 'Wiedergeburt'
Der zyklische Zeitbegriff
Zur Diskussion mit Schülern:

Mandala, der Weg zur Mitte

DIE WELTWOCHE vom 13. Februar

Beitrag von Lukas Lessing: „Der Schrein trügt“

Kinder sind Brücken zum Himmel

Einführung in Hermann Hesses Roman 'Siddhartha'
Der historische Siddhartha Gautama Buddha
Der Sohn des Brahmanen
Bei den Samanas
Gotama
Erwachen
Kamala
Bei den Kindermenschen
Samsara
Am Flusse
Der Fährmann
Der Sohn
OM
Govinda

Gott im Buddhismus

Der Buddhismus und die Praxis der Gewaltfreiheit

Gesundheit und Selbstverantwortung im Buddhismus
Der Buddhismus ist kein Glaubensbekenntnis sondern eine Erkenntnislehre
'Die Vier Edlen Wahrheiten': die Diagnose

Eröffnungsansprache ‚WSF World Spirit Forum’ Arosa
Der ‚blaue Planet’

Katalog Basel, Einführung zur Tibet-Ausstellung
Exodus
Die Schweiz und die Flüchtlinge aus dem Schneeland
Projektionen, Illusionen und Überraschungen auf beiden Seiten
Der Bau des Klosters Rikon
Die Tibeter in der zweiten und dritten Generation, in der Schweiz und in Indien
Tibetischer Buddhismus im Exil

Buddhismus
Die zwei religiösen Strömungen der Menschheit
Der Zeitbegriff in Ost und West
Reinkarnation und Karma
Prinz Siddharta Gautama aus dem Geschlecht der Sakya
Die 'Vier Ausfahrten'
Der Grosse Aufbruch
Die Sieben Lehrjahre
Die Erleuchtung
'Die Vier Edlen Wahrheiten'
Der 'Achtgliedrige Pfad'

Buddhismus, eine atheistische Religion?
Der Wandel von der 'Kleinen Lehre' (Hinayana)
zur 'Grossen Lehre' (Mahayana)
Vajrayana, das 'Diamantene Fahrzeug'

NIRVANA

Ansprache Hochzeit Melanie und Damian

DS-Prävention in einem Heim für resozialisierte ehemalige Bettelkinder
('Street Kids') in Kathmandu, Nepal
Ausgangslage
Auftrag
Vorauszusehende Schwierigkeiten
Konzept
Dokumentation:
Durchführung:
1. Abend, Sexualaufklärung
2. Abend: AIDS-Prävention und Verhütungsmassnahmen

Lebenslauf und Abschiedsworte für Hans Peter
Wer bin ich?

Interview mit Stephan Mögle-Stadel

Ansprache Hochzeit Miriam und Matthias

Abdankung Florian Braun, 3. Januar 2001, Krematorium Rüti

Das Tibetanische Totenbuch spricht von 49 Tagen...

Unter den geheimen Lehren Tibets finden wir Überlieferungen, die sich mit dem Zustand zwischen dem physischen Tod des Menschen und seinem neuen Erdenleben befassen. Die Reise ins Jenseits beginnt mit dem letzten Atemzug. Der neben dem Sterbenden sitzende Lama beobachtet, wie das Element Erde im Wasser versinkt, das Element Wasser im Feuer aufgeht, das Element Feuer sich in Luft auflöst und das Element Luft in den leeren Raum eingeht. Damit hat der Mensch sein Leben ausgehaucht und seine körperliche Hülle verlasse. Der 49 Tage dauernde gefahrvolle Weg durch 'die grosse Nacht' hat begonnen. Im Gegensatz zu den Initiationen der Lebenden, die ja letztlich alle auf den Tod ausgerichtet sind, bereitet diese auf die neue Geburt vor. Die Reise geht über die Wahrnehmung des Grossen Urlichtes, gleitet dann langsam ab in Illusion und Trübung, um dann in einem neuen Mutterschoss unterzugehen. Auf der ganzen Reise durch das Zwischenreich werden wir von der Stimme des neben uns sitzenden Lamas begleitet. Letztlich, so denke ich, ist das Totenbuch ein Buch für die Lebenden, die sich mit Hilfe dieses Buches auf den Tod, auf das Jenseits, vorbereiten können.

Die 49 Tage sind wohl mystische Tage

Die sieben mal sieben Tage sind gewiss mystische Tage. Die Stunden im Traum entsprechen ja auch nicht den Stunden am Tag.

Was hat das tibetische, ununterbrochen wiederholte Gebet OM MANI PADME HUM für eine tiefere Bedeutung?

OM und HUM hat die Bedeutung unseres AMEN und kann nicht wörtlich übersetzt werden. MANI dagegen bedeutet Juwel, und PADME Lotos. Das Juwel ist der Blütenstempel, der Lotos die Blüte. Das Erstere steht für das männliche Prinzip in der Schöpfung, das Zweite für das Weibliche. Beide zusammen verkörpert die ganze Wahrheit und verschwinden im Nichts. Das männliche Prinzip verkörpert den Heilsweg, das weibliche Prinzip das Heilsziel, nämlich das 'Erkennen der höchsten und letzten Wahrheit' - wir würden es Gott nennen. Weg und Ziel zusammen sind die ganze Wahrheit - und verschwinden im Nichts. Der Heilsweg ist im Buddhismus barmherzige liebende Zuwendung zu allen fühlenden Wesen, das Ziel ist die höchste Wahrheit. Der Weg ist Liebe, das Ziel ist Gott. Sind unsere Religionen wirklich in ihrer Essenz soweit voneinander entfernt?

Die Bedeutung der Klöster für Tibet und seine Kultur

Vor der Zerstörung Tausender religiöser Kultstätten durch die chinesische Kulturrevolution mag es bevölkerungsbezogen auf tibetischem Boden so viele Klöster gegeben haben wie bei uns heute Schulhäuser: vom kleinsten 'Gömpa' zwischen zwei Dörfern bis zu den mächtigen Staatsklöstern (vergleichbar unseren Universitäten) in der Nähe der tibetischen Hauptstadt Lhasa. Sie waren in ihrer über tausendjährigen Geschichte absoluter Mittelpunkt der tibetischen Kultur; nicht nur Stätten religiösen Denkens und kultischen Handelns, sondern in untrennbarer Einheit zugleich auch Schulen und Hüter und Bewahrer aller Künste: Malerei, Musik, Kalligraphie, Medizin, Astrologie. Es gab kaum ein Wissensgebiet, das nicht in die Verantwortung der Klöster gefallen wäre.

Eine weitere soziale Funktion haben diese Lehranstalten in Bezug auf die Aufstiegsmöglichkeiten begabter junger Männer, gleich welchen Standes und welcher Herkunft. In der streng geordneten Klosterhierarchie steht grundsätzlich jedem die Möglichkeit offen, zu Amt und Würde zu gelangen. Ja, als Abt eines der grossen Staatsklöster konnte er in Regierungsangelegenheiten des Landes mitreden. Im 13. Jahrhundert, unter den über ganz Zentralasien herrschenden Mongolen, wurde der Abt des Klosters Sakya nicht nur als oberster Priester der tibetisch-buddhistischen Welt, sondern auch als Fürst und königlicher Herr über ganz Tibet eingesetzt. Ebenso ist der seit 1959 im indischen Exil lebenden 14. Dalai Lama geistliches und weltliches Oberhaupt der Tibeter.

Die tibetische Kultur im Exil

Im 11. und 12. Jahrhundert überfielen muslimische Eindringlinge den Norden Indiens und zerstörten die buddhistischen Klöster und Universitäten fast vollständig. Viele der Mönche wurden getötet oder verjagt, andere flüchteten in die Berge des Nordens. Tibet wurde der Zufluchtsort des indischen Buddhismus. Nach der Besetzung Tibets durch die Chinesen im Jahre 1950 und den durch die Rotgardisten verübten Gräueln wiederholte sich die Tragödie auf ähnliche Weise. So wurde, nach fast tausend Jahren, Indien wiederum der Zufluchtsort des Buddhismus, diesmal in seiner tibetischen Ausprägung.

In Indien nun lebt die monastische Kultur Tibets weiter. Im Verlaufe der vergangenen 40 Jahren wurden in allen Teilen des Landes Klosterschulen aller Lehrtraditionen aufgebaut, es dürften heute gegen zweihundert sein. Auch die drei grossen Staatsklöster wurden im indischen Exil wieder errichtet. 'Ganden' und 'Drepung' bei Mundgot (Nord Karnataka) und die berühmte Kloster-Universität 'Sera' in Bylakuppe, östlich von Mysore.

Die Exilresidenz des Dalai Lama befindet sich am Südfuss des Himalaja-Massives in McLeod Ganj oberhalb des Ortes Dharamsala im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh. Von dort aus betreut Seine Heiligkeit seine Landsleute in Indien und der übrigen Welt. Etwa hunderttausend Tibeter leben heute in Indien und im Königreich Nepal, über zweitausend haben in der Schweiz eine neue Heimat gefunden und einige weitere tausend sind in andere Länder Europas, in die Vereinigten Staaten und nach Kanada ausgewandert. Mit den landflüchtigen Tibetern ist in der Folge auch der Buddhismus machtvoll in die westlichen Länder vorgedrungen.

Die tibetischen Flüchtlinge sind nicht mit leeren Händen gekommen

Die tibetischen Flüchtlinge haben auf ihrem unfreiwilligen Exodus die Werte einer in mittelalterlicher Form erhaltenen Hochkultur und Hochreligion als Gastgeschenk mitgebracht. Vor allem die ausserordentlich bilderreiche tibetische Ausprägung des Buddhismus ist in unseren westlichen Ländern bei Fachleuten und Laien auf grosses Interesse gestossen. Unter den hunderttausend Flüchtlingen befanden sich auch eine ganze Reihe hochgelehrter Lamas, die heute vor allem in westlichen Ländern ihre heiligen und verschlüsselten Heiligen Bücher erläutern und ihre Lehren unserem westlichen Verständnis mehr und mehr zugänglich machen

Diese Tatsache ist nicht nur für die suchenden Menschen im Westen, sondern auch für die emigrierten Tibeter selbst von unschätzbarer Bedeutung. Die alten Traditionen geben ihnen Halt in der abendländischen Diaspora und vermitteln ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Das Interesse, das die Menschen im Westen ihrer Kultur entgegenbringen, stärkt ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstverständnis. Zudem ist ihr religiöses und weltliches Oberhaupt, der Dalai Lama, eine Integrationsfigur sondergleichen. Ohne ihn würde dieses Bergvolk sehr stark wieder in ethnische, unter sich rivalisierende Minderheiten von Khampas, Amdowas, ehemalige Bewohner der Provinzen Ü und Tsang und andere mehr zerfallen, eine Gefahr, die schon immer bestanden hatte.

Zielsetzung und Wirken des Klösterlichen Tibet-Institutes in der Schweiz

Nachdem zu Beginn der Sechzigerjahre über 150 Tibeterkinder auf private Initiative hin Aufnahme in Schweizer Familien gefunden hatten, begann ab 1961 auf Einladung des Schweizervolkes und unter der Schirmherrschaft des Roten Kreuzes tibetische Flüchtlinge in unser Land einzureisen. Bis Ende der Achtzigerjahre lebten mehr Tibeter in der Schweiz als in irgendeinem anderen Land der westlichen Hemisphäre.

Schon bald war man sich jedoch bewusst, dass es nicht genüge, für das leibliche Wohl der in Exil und Diaspora lebenden Tibeter zu sorgen. Für dieses Bergvolk ist ein Leben ohne Religion kaum vorstellbar. Unsere vordringliche Aufgabe war, für sie einen kulturellen tibetisch-buddhistischen Mittelpunkt zu schaffen. So entstand 1968 durch private Initiative und unter der Schirmherrschaft des Dalai Lama in Rikon bei Zürich ein Gön-pa, ein tibetisches Kloster und ein wissenschaftliches Institut. Die Mönchsgemeinschaft einerseits, bestehend aus einem Abt und anfänglich fünf Mönchen, hat die Aufgabe übernommen, ihre Landsleute geistig und geistlich zu betreuen und zu belehren. Das angegliederte Tibet - Institut steht seither mit seiner über zehntausend Titel umfassenden Fachbibliothek im Dienste der interessierten Öffentlichkeit. Es unterstützt nach der Stiftungsurkunde "Wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Religionsgeschichte, der Literatur, der Musik und der Kunstgeschichte sowie der

Sprachforschung, der Medizin und Pharmazeutik". Ganz allgemein soll das Tibet-Institut der Begegnung zwischen tibetischer und westlicher Kultur dienen.

Der klösterliche Alltag in Rikon

Der Alltag der Mönchsgemeinschaft in Rikon beginnt morgens zwischen 7 und 8 Uhr mit einem gemeinsamen Frühgebet im Kultraum des Klosters. Nach dem Frühstück ziehen sich die Lamas zum Studium der Schriften und zu persönlichen Gebeten und Meditationen in ihre Mönchszellen zurück, Der Vormittag ist ferner für wissenschaftliche Arbeit, für Übersetzungen und Expertisen reserviert.

Nach der einfachen Mittagsverpflegung stehen die Mönche für die Seelsorge und die Ausbildung ihrer Landsleute und auch westlicher Schüler und Schülerinnen zu Verfügung.

Im Gegensatz zur traditionellen tibetischen Praxis verweilen die Mönche nicht ausschliesslich im Kloster, sondern betreiben auch aktive Seelsorge, indem sie die Familien in deren Heimen aufsuchen und die Kinder und Jugendlichen an deren Wohnort unterrichten.

Kulturelle Glanzlichter sind jeweils die grossen und kleinen Feierlichkeiten zum Anlass der tibetisch-buddhistischen Festtage. Ein Grossteil der tibetischen Landsmannschaft nimmt jeweils traditionell gekleidet an diesen festlichen Pujas teil.

Des Öfteren beherbergt das Kloster auch durchreisende hohe tibetische Geistliche aus dem indischen Exil, die meist die Gelegenheit dazu benützen, Belehrungen zu erteilen. Wenn alle paar Jahre seine Heiligkeit, der Dalai Lama im obersten Stockwerk des Klosters residiert, Audienzen erteilt und zu seinen Landleuten spricht, empfindet das jeder Tibeter zutiefst als Gnade.

Die erste Generation der geflüchteten Tibeter im Schweizer Exil

Für die älteren Flüchtlinge aus dem Hochland Tibet war die Ankunft in der westlichen Welt ein Sprung vom Mittelalter in die Neuzeit. Schon die Distanz von Nepal oder Indien nach Europa, im Flugzeug zurückgelegt, konnten sie nicht wirklich begreifen: waren sie doch gewohnt, in Pferde-Reisetagen zu denken. Aber zwölf Flugstunden? Wie weit war ihr Heimatland entfernt? Obwohl sie in wohl vorbereiteten Heimstätten- und Siedlungen empfangen wurden,

Die Bedeutung der Arbeit für die Buddhisten -
am Beispiel der Tibeter

1959 musste der junge Dalai Lama anlässlich eines Aufstandes seines Volkes gegen die chinesischen Besetzer sein Land fluchtartig verlassen. Mit ihm flohen gegen hunderttausend Tibeter ins indische und nepalesische Exil. Einige tausend dieser Flüchtlinge wurden durch die indische Regierung in Südindien angesiedelt. Sie erhielten als Starthilfe Macheten, um den Dschungel, in welchem früher die Maharajas ihre Tiger jagten, zu roden, ferner landwirtschaftliche Geräte und Saatgut. Um keine Missgunst aufkommen zulassen, erhielten die wenigen dort bereits ansässigen Bauern dieselbe Unterstützung durch die Regierungsstellen.

Nach 6 Monaten hatten die an harte Arbeit gewohnten ‚Bergler’ eine schöne Maisernte stehen - während die indischen Bauern ihre Geschenke für ein paar Rupien weitgehend verscherbelt hatten. So kam es, dass die einheimische Bevölkerung bei den Tibetern um Arbeit nachsuchte, welche während der Erntearbeiten um jede zusätzliche Arbeitskraft froh waren. Kaum mehr als ein halbes Jahr war verflossen, und die einheimischen, durch die Natur verwöhnten 'Südländer' wurden zu Tagelöhnern der aus dem gebirgigen Norden stammenden Asylanten! Könnte das von der Entwicklungshilfe so oft beklagte weltwirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle drastischer demonstriert werden?

Viele der Flüchtlinge siedelten sich im Königreich Nepal an und begannen dort, ihre traditionellen Teppiche zu knüpfen. Im Gegensatz zu den Hindus, die primär auf die Kastenzugehörigkeit achten, waren die Tibeter willens und in der Lage, sich ohne Rücksicht auf die Herkunft genossenschaftlich zu organisieren, was ihnen vor allem beim Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zugute kam. Heute, nach wenig mehr als dreissig Jahren, ist der Teppichexport der größte Devisenbringer Nepals, viermal größer als der Tourismus!

In den Sechzigerjahren brachte das Schweizerische Rote Kreuz etwa tausend Tibeter in die Schweiz. Auch sie bewiesen sich insgesamt als zuverlässige, pflichtbewusste Arbeiter und Arbeiterinnen, welche sich sehr bald ein gutes Ansehen bei den Personalchefs erwarben.

Sind Menschen aus den Bergen deshalb ganz allgemein tüchtiger, weil die Natur nach dem Grundsatz 'survival of the fittest' während jahrtausenden die Untüchtigen eliminierte? Oder kennt der Buddhismus einen Arbeitsethos wie etwa das durch die Reformation gewandelte Christentum?

So wie das Judentum, das Christentum und der Islam im Alten Testament wurzeln - spätestens bei Abraham sind wir alle zusammen - so wurzelt der Buddhismus wie der Hinduismus in den alten Vedischen Schriften. Und Prinz Siddharta, der nachmalige Buddha, war vor 2'500 Jahren tatsächlich so etwas wie ein Reformator. Er stellte den Menschen vollkommen in seine Selbstverantwortung. Nicht die Götter, nicht ein verborgenes Schicksal konnte mehr verantwortlich gemacht werden für Erfolg oder Misserfolg. Und nicht glauben soll der Mensch, sondern erkennen.

"Glaubt es nicht, weil es in einem Heiligen Buch steht", ermahnt uns der Buddha, "auch nicht weil es dein verehrter Meister sagt oder weil es die gängige Meinung ist. Nehmt es nur an, wenn ihr es selbst als gut und wahr und richtig erkennen könnt."

Diese Denkweise kommt uns Menschen im Westen sehr entgegen. Denn in der Tat sind ja drei Mal drei nicht deshalb neun, weil es im Rechnungsbuch steht oder der Lehrer uns dies beigebracht hat. Es ist vielmehr umgekehrt: weil drei Mal drei neun ist, steht es im Buch und sagt's der Lehrer. Aber wir kommen zu dieser Erkenntnis nur, wenn wir uns mit dem Einmaleins befassen. Dann aber ist es unsere Erkenntnis und damit keine Glaubensfrage mehr.

Buddha, der spätere 'Erwachte', hat seine Jugend am Hofe seines Vaters in grossem Luxus verbracht. Nachdem ihm 'Alter, Krankheit und Tod' bewusst wurden, ging er in die 'Hauslosigkeit' und verbrachte Jahre in vollkommener Askese. Nach seinem grossen 'Erwachen' lehrte er den 'Mittleren Pfad': Keine Exzesse in keiner Richtung - und vor allem kein Anhaften an irdischen materiellen Dingen. Dies wiederum nicht, weil er es als Autorität verkündet hätte, sondern aus Einsicht eines jeden Einzelnen. Materieller Besitz geht eines Tages verloren - spätestens im Moment unseres Todes - und verursacht somit Leid. Geistige Errungenschaften dagegen nimmt man mit, über den Tod hinaus, ins nächste Leben. (Der Gedanke der Reinkarnation ist im Hinduismus und im Buddhismus eine absolute Selbstverständlichkeit).

Der von Buddha verkündete 'Edle Achtgliedrige Pfad' gilt für alle buddhistischen Richtungen und Schulen und ist in sich wiederum auch für uns durchaus einleuchtend: Er beginnt mit der 'Rechten Einsicht' und führt über die 'Rechten Achtsamkeit' zur ‚Rechten Versenkung'. Es ist hier nicht der Ort, um auf alle Punkte des Achtgliedrigen Pfades einzugehen. Von besonderem Interesse ist für uns jedoch der zweitletzte Schritt auf dem Pfad der Erkenntnis: Die 'Rechten Achtsamkeit'.

Achtsamkeit soll unsere Grundhaltung sein. Achtsam sollen wir sein nicht nur unseren Mitmenschen gegenüber sondern auch gegenüber allen 'Fühlenden Wesen' in der Natur. Achtsam sollen wir sprechen, achtsam sollen wir arbeiten. Wer achtsam arbeitet, wird gut arbeiten, wer gut arbeitet wird damit Geld verdienen. Wohlhabend zu sein ist nicht gegen die Regel, aber das Ziel darf nicht materieller Besitz sein. Materieller Besitz soll die Folge von Achtsamkeit, von guter Arbeit sein.

Weshalb sind wir Schweizer die 'Bankiers der Welt'? Wohl nicht deshalb, weil wir das Geld anderer Leute besitzen wollen. Das wollen andere auch! Vielmehr glaube ich, dass unsere Achtsamkeit und unsere Verantwortungsbewusstsein, mit der wir das Geld anderer verwalten, uns weltweit Vertrauen verschafft hat.

Auf unser Thema hin ausgerichtet: Arbeitsam ist der Mensch aus den Bergen, das gilt für die Tibeter sowohl als auch für uns. Wenn noch eine ausgeprägte Achtsamkeit und ein Verantwortungsbewusstsein für alles, was wir tun, dazu kommt, kann der Erfolg nicht ausbleiben.

Buddha stellt uns in unsere Eigenverantwortlichkeit und fordert Wachheit von uns: nur wer wach ist kann achtsam sein. Nur wer achtsam ist und für alles die volle Verantwortung übernimmt, ist ein wertvolles Mitglied unserer Menschheit. So heisst es in einer Inschrift in Turkmenistan aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert:

BUDDHA IST LICHT - UND SEIN NAME MENSCH

Das Tibetanische Totenbuch

„Von allen Fussspuren sind die des Elephanten am grössten, Von allen Gedankenübungen sind die über den Tod am erhabensten“ Gautama Buddha

Unter den geheimen Lehren Tibets finden wir Überlieferungen, die sich mit dem Zustand zwischen dem physischen Tod des Menschen und seinem neuen Erdenleben befassen. Diese aus dem 8. Jahrhundert stammenden Schriften , welche erst in den vergangenen Jahren von den Sterbeforschern in ihrer ganzen Tragweite erkannt worden sind, gehören wohl zu den wertvollsten Texten überhaupt, die östliche Traditionen uns westlichen Menschen geschenkt haben.

Das Totenbuch der Tibeter gehört wahrscheinlich zu den im 14. Jahrhundert wiederentdeckten verborgenen Schriften (Terma); es wird dem grossen Weisen Padmasambhava zugeschrieben. Die erste deutsche Übersetzung ist 1935 erschienen. C.G. Jung schreibt in seinem Vorwort dazu: "Die Philosophie des Bardo Thödöl ist die Quintessenz buddhistischer psychologischer Kritik und als solche - man kann wohl sagen - von unerhörter Überlegenheit."

Bardo heisst zwischen zwei oder Zwischenzustand, und Thödöl ist Befreiung durch Hören. Der Bardo Thödöl ist also ein eigentliches Mysterienbuch, das uns Schritt für Schritt Anweisungen gibt wie wir uns im Zwischenreich Tod und Wiedergeburt zu Verhalten haben, um zur endgültigen Befreiung zu gelangen.

Die Reise ins Jenseits beginnt mit dem letzten Atemzug. Der neben dem Sterbenden sitzende Geistliche (Lama) beobachtet, wie das Element Erde im Wasser versinkt, das Element Wasser im Feuer aufgeht, das Element Feuer sich in Luft auflöst und das Element Luft in den leeren Raum eingeht. Damit hat der Mensch sein Leben ausgehaucht und seine körperliche Hülle verlassen. Der 49 Tage dauernde gefahrvolle Weg durch den Zwischenzustand (Bardo) hat seinen Anfang genommen. Das von seinem physischen Körper abgelöste menschliche Wesen kommt nach einer kürzeren oder längeren Phase der Ohnmacht wieder zu Bewusstsein. Es 'erwacht' im Bardo und fühlt sich all seiner Sinne mächtig - vergleichbar unseren Träumen, in denen wir sehen, hören, fühlen und schmecken können, ohne uns bewusst zu sein, dass wir träumen. Genauso geht das Totenbuch davon aus, dass der Gestorbene seinen neuen Zustand vorerst nicht wahrnehmen kann.

Nun beginnt die Belehrung des Toten durch den neben der Leiche sitzenden geistlichen Helfer, eine Initiation ins bardo -Leben. Im Gegensatz zu den Initiationen (Einweisungen) der Lebenden, die ja letztlich alle auf den Tod ausgerichtet sind, bereitet diese auf die neue Geburt vor. Während im 'Diesseits' die Einweihung von aussen nach innen oder von unten nach oben führen, beginnt im 'Jenseits' die Reise mit der Wahrnehmung des Grossen Urlichtes, gleitet dann langsam ab in Illusion und Trübung, um dann in einem neuen Mutterschoss unterzugehen. Der luzide Höhepunkt des menschlichen Wesens ist

somit - von beiden Seiten her gesehen - der Tod. Der Augenblick des Todes ist - so ungewöhnlich das klingen mag - der Höhepunkt des Lebens.

"O Edelgeborener", hört der Gestorbene jetzt den Lama sprechen, "höre zu! Jetzt erfährst du die Strahlung des Klaren Lichtes reiner Wirklichkeit. Erkenne sie! O Edelgeborener, dein jetziger Geist, seiner wirklichen Natur nach leer, nicht zu irgend etwas wie Merkmalen oder Farbe geformt, natürlicherweise leer, ist die wahre Wirklichkeit " Würde es dem Toten gelingen, "in der Leere der Lichtfülle objektlos zu verharren und damit auf die Nabe des Rades der Wiedergeburt zu treten", wie Jung formuliert, wäre die endgültige Befreiung erreicht.

Wer jedoch nicht schon zu Lebezeiten gelernt hat, sich in seinen meditativen Übungen mit diesem Klaren Licht zu verschmelzen, die Scheinbegrenzung des Ich aufzugeben und in der "Überfülle von Licht, die weder Geburt noch Tod kennt ", aufzugehen, wird entsetzt die Augen schliessen. Das Klare Licht löst eine panische Angst vor der vollständigen Vernichtung und Auslöschung aus. Kein Glaubensbekenntnis wird jetzt weiterhelfen, keine Philosophie; wir sollten vorher erkennen, dass da kein Selbst, kein Ich ist, dass dieses Zentrum, das wir Ich nennen, leer ist... So klammert sich denn der Wanderer im Jenseits an sein illusionäres Ich, und das Klare Licht nimmt die Gestalt von ebenso illusionären Himmlischen Wesen an. Immer wieder weist unser geistiger Helfer darauf hin, dass wir eigene, subjektive Bilder projizieren, ähnlich den Traumbildern im Schlaf.

Nach sieben Tagen vergeblicher Bemühungen, die wahre Natur dieser himmlischen Hierarchien zu erkennen, verdüstern sich die Bilder. Die Gottheiten beginnen, in ihrer furchterregenden Form zu erscheinen; der Tote hätte zu Lebzeiten Gelegenheit gehabt, sich auf diese Begegnungen vorzubereiten. Eine entsprechende Meditationsübung wird im Totenbuch wie folgt beschrieben: "Wer auch immer deine Schutzgottheit sei, meditiere lange Zeit über ihrer Form - als augenscheinlich, jedoch in Wirklichkeit nicht vorhanden, wie eine durch Zauber heraufbeschworene Gestalt... Dann lass die Vorstellung der Schutzgottheit weg schmelzen, bei den Extremitäten angefangen, bis von ihr nichts mehr zu sehen ist, und versetzte dich selbst in den Zustand der Klarheit und Leere - welche du dir als etwas Konkretes gar nicht vorstellen kannst - und verharre eine Zeitlang in jenem Zustand. Meditiere dann wieder über das Klare Licht. Tue dies abwechslungsweise. Nachher gestatte deinem eigenen Intellekt, allmählich wegzuschmelzen, bei den Extremitäten angefangen." Der Text zeigt, dass die Bilder, die im Bardo erscheinen, Traumbilder sind. Analog zum Traum können wir diese Erscheinungen erst relativieren, wenn wir erwacht sind; dann erst können wir erkennen, dass es Traumbilder waren.

Nach weiteren sieben Tagen setzt sich die Reise im Jenseits fort und endet im Totenreich. Von Yama, dem Todesgott, wird uns ein Spiegel vorgehalten, der uns unsere Taten vor Augen führt, und wir werden aufs grausamste gepeinigt. Von Ferne hören wir immer noch die Stimme unseres geistigen Führers, der uns ermahnt: "O edler Wanderer im Jenseits" - und es folgt unser Name - "erkenne doch: du hast keinen Kopf, den man dir abhacken, keine Haut, die man dir lebendigen Leibes abziehen kann. Erkenne es, und du bist auch jetzt noch befreit!" Aber

nun ist es zu spät. Wir haben die Kraft nicht mehr. Wir sind nur noch von einem Wunsch beseelt, aufzuwachen. Die Reise im Bardo geht zu Ende. Mit allen unseren Kräften wünschen wir uns einen neuen physischen Körper. Wilde sexuelle Phantasien durchdringen uns und wir beobachten kohabitierende Paare. Der "Wanderer im Jenseits" wird von seinem geistigen Führer immer und immer wieder und ermahnt, sich nicht voreilig zu entscheiden, sich einen Mutterschoss zu wählen, der zu einer guten Wiedergeburt führt. Endlich schwingen wir uns in die Vibration des sich liebenden Paares ein und finden so unsere neuen Eltern.

So beginnt ein neuer Zyklus, ein neues Erdenleben, eine neue Hoffnung. Ob uns die Vollendung diesmal gelingen wird?

Das Totenbuch der Tibeter

Unter den geheimen Lehren Tibets finden wir Überlieferungen, die sich mit dem Zustand zwischen dem physischen Tod des Menschen und seinem neuen Erdenleben befassen. Diese aus dem 8. Jahrhundert stammenden Schriften, deren Bedeutung erst in den vergangenen Jahren von den Sterbeforschern in ihrer ganzen Tragweite erkannt worden ist, zählen wohl zu den wertvollsten Texten, die östliche Traditionen uns westlichen Menschen geschenkt haben.

Der Psychologe C.G.Jung schreibt 1936 in seinem Vorwort zur ersten deutschen Übersetzung des Totenbuches: "Die Philosophie des Bardo Thödöl (tib.für Zustand zwischen Tod und Wiedergeburt) ist die Quintessenz buddhistischer psychologischer Kritik und als solche - man kann wohl sagen - von unerhörter Überlegenheit".

Die gefahrvolle Reise ins Jenseits beginnt mit dem letzten Atemzug und endet nach 49 Tagen mit dem brennenden Wunsch des Dahingeschiedenen, wieder einen menschlichen Körper zu besitzen. Dazwischen begleitet ihn die Stimme des neben der Leiche sitzenden geistlichen Helfers, der 'dem Wanderer im Jenseits', wie er ihn anspricht, Anweisungen gibt, wie er sich den traumartigen, immer furchterregender werdenden Erscheinungen gegenüber zu verhalten habe. Schliesslich sucht er die Schwingungen kohabitierender Paare und verliebt sich in seine zukünftige Mutter oder, als weibliches Wesen, in den zukünftigen Vater. Das Bewusstsein geht im Mutterschoss unter, und es beginnt ein neuer Erdentag.

Das wäre die Kurzform des Textes, wie versprochen.

Ist der Buddhismus eine atheistische Religion?

Anlässlich seiner Asienreise besuchte der Papst auch die Insel Sri Lanka. Obwohl der Heilige Vater in seiner Begrüssungsansprache ausdrücklich darauf hinwies, dass er 'grossen Respekt' vor den anderen Weltreligionen hätte, blieben die buddhistischen Mönche demonstrativ allen Veranstaltungen fern. Sie erinnerten sich an eine seiner früheren Aussagen, in welcher er den Buddhismus als 'atheistisch' bezeichnete.

Die Mönche haben diese als Kritik an ihrer Religion empfunden und sie war ja wohl auch so gedacht. Aber die Empörung war im Grunde unberechtigt. Dem Buddhismus ist tatsächlich ein monotheistisches Gottesbild fremd, er kennt keinen allmächtigen Gottvater, der über alles herrscht und dem alles untertan ist. Was wir Gott nennen war für Buddha jenseits jeder Begriffsbildung , jenseits jedes qualifizierbaren und quantifizierbaren Denkens, also ganz eigentlich ein NICHT-ETWAS (nirvana), ein geheimnisvolles Nichts allerdings, das als Möglichkeit ALLES (samsara) in sich birgt.

Im Gegensatz zu den westlichen Hochreligionen gibt es im Buddhismus nicht nur keinen Gottesbegriff, sondern es gibt auch keinen Glauben. Der Mensch soll Wahrheiten erkennen und nicht glauben. "Glaubt es nicht, weil es in einem heiligen Buche steht", ermahnt uns Buddha in einem berühmten Meisterwort, "nehmt es nur an, wenn ihr es selbst als gut, wahr und richtig erkennen könnt." In einem anderen Sutra sagt er: "Wenn das, was ich euch lehre, unvereinbar scheint mit dem, was ihr schon wisst, so bleibt vorerst bei dem, was ihr schon wisst".

Der Buddhist kennt die Frage: "Glaubst du an Gott?" sowenig wie der Wissenschaftler die Frage nach dem 'Glauben' an beispielsweise mathematische Formeln akzeptieren würde. Entweder man befasst sich mit den Gesetzen der Mathematik und erkennt Schritt um Schritt deren Richtigkeit, oder man tut es nicht. Dann bleibt die Mathematik ein 'Buch mit sieben Siegeln'. Ganz sicher jedoch ist sie keine Glaubensfrage. Der Buddhismus ist seinem Wesen nach auch kein Glaubensbekenntnis sondern vielmehr eine Erkenntnislehre.

Dies kommt unserem westlichen Denken vorerst einmal sehr entgegen. Hat nicht die Kirche im Mittelalter geglaubt, die Erde stünde im Mittelpunkt der Schöpfung? Dann hat die Wissenschaft - trotz aller kirchlichen Proteste! - erkannt, dass dem nicht so ist

Gläubige Juden, Christen und Muslime tun sich allerdings schwer mit dem Gedanken, dass Erkenntnis höher stehen soll als Glauben. Gleichzeitig übt dieser 'Heilsweg ohne Gott' auf die wissenschaftlich ausgerichteten Menschen im Westen eine grosse Faszination aus. Nicht nur weil er dogmenfrei und damit unglaublich tolerant ist, sondern weil sich die buddhistische 'Letzte Wahrheit' mit nichts widerspricht. Wenn beispielsweise die Astrophysiker heute davon ausgehen, dass unser Universum vor x-milliarden Jahren aus einem Urknall hervorgegangen sei, so führt uns die Frage, was denn eine Sekunde vor dem Urknall existiert habe, ebenfalls zu diesem geheimnisvollen Nicht-Etwas. Ein Nichts, das dann schliesslich zu ALLEM, zu unserem Universum, wird.

Tibetische Bildmeditation

Die tibetischen Mönche kennen eine Meditationsübung, die vielleicht veranschaulichen kann, was unter 'der rechten Versenkung' - wie es Gautamo Buddha nennt - verstanden werden soll.

Die erste Phase dieser Übung besteht darin, sich eine religiöse Bilddarstellung ganz sorgfältig und in allen Details zu merken, das Bild gewissermassen auswendig zu lernen.

In einer zweiten Phase wird das so memorierte Bild visualisiert, d.h. man lässt das Bild vor dem 'inneren Auge' entstehen und versucht, es so lange und so intensiv wie möglich zu halten. Dabei soll man sich auch nicht einen Bruchteil einer Sekunde ablenken lassen. Unser ganzes Sein muss in dieses Bild fokussiert werden; wir werden langsam identisch mit ihm: Subjekt und Objekt verschmelzen...

In der dritten Phase wird die Imagination langsam und behutsam von Aussen her, von der Kontur her aufgelöst. Sie wird zum Verschwinden gebracht. Solange bis nichts mehr da ist - nichts - ausser unserer Präsenz, unserer Gegenwart, unserem Sein im Hier und Jetzt...

Das fällt uns äusserst schwer. Wir sind von unserer westlichen Erziehung her überhaupt nicht gewohnt, nur zu 'sein' ohne gleichzeitig 'jemand' zu sein. Wo bliebe da unser über alles gepriesene Ego? Aber um eben dieses nur im 'Sein' erlebbare NICHTS geht es, wenn wir die Essenz der buddhistischen Lehre verstehen wollen: dieses Nichts, diese Leerheit ist das Tor zum unvorstellbaren zeit- und raumlosen, ewigen und unendlichen Nirvana.

'Meditation ist er Weg, der zur Erleuchtung führt'

Allerdings wird ein Suchender, der auf dem 'Pfad der Erleuchtung' wandelt, früher oder später eine grosse Enttäuschung erleben. Er wird - nehmen wir das Wort bei seinem Nennwert - der ganz grossen Ent-täuschung begegnen . Die letzten Täuschungen, Sinnestäuschungen, verschwinden, und was bleibt ist NICHTS –) jenseits von Zeit und Raum, ohne Anfang und Ende - unsterblich - . Ein NICHTS jedoch, das als Möglichkeit ALLES enthält.

[...]

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
Östliche Weisheitslehren
Untertitel
Ein Sammelband von Vorträgen über Buddhismus
Veranstaltung
Seminare
Autor
Jahr
2008
Seiten
111
Katalognummer
V119991
ISBN (eBook)
9783640234288
ISBN (Buch)
9783640234547
Dateigröße
1128 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Weisheitslehren, Seminare
Arbeit zitieren
Peter Grieder (Autor:in), 2008, Östliche Weisheitslehren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119991

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