Politikberatung durch Kommissionen und Räte


Hausarbeit, 2004

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Entwicklung der Politikberatung in Deutschland

3. Formen der Beratung und Typologisierung

4. Motive für die Einsetzung eines Expertengremiums

5. Pro und Contra

6. Die Regierung Schröder

7. Resümee

8. Literatur

1. Einleitung

In einer Welt, in der das verfügbare Wissen so rasant zunimmt wie in der heutigen, sind die staatlichen Organe der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung mehr denn je auf fachkundige Beratung angewiesen um ihren Auftrag erfüllen zu können. Aber zu glauben, eine fachkundige Beratung des Staates sei ein Phänomen der Informationsrevolution wäre eine grobe Fehleinschätzung. Die Beratung der politischen Elite ist schon in den antiken Stadtstaaten allgegenwärtig. Für Platon war die euboulia, die Wohlberatenheit, einer der zentralen Begriffe seiner Ethik. Und Aristoteles hat der euboulia in seiner Nikomachischen Ethik ein bedeutsames Kapitel gewidmet. Der phronimos, der kluge, einsichtige und in den Fragen des praktischen Tuns weise Mensch ist wesentlich durch seine euboulia gekennzeichnet. Johannes Althusius, ein bedeutender deutscher Staatsdenker, ergänzte die alte aristotelische Definition des Menschen sogar dadurch, dass er den Menschen an sich als ratbedürftiges Wesen bezeichnete.[1]

Für das abendländische Mittelalter, in der die monarchische Staatsform die vorherrschende war, war die Beratung des Monarchen von nicht minderer Bedeutung als in der Antike. Man wird sich nicht lange mit einem herausragenden mittelalterlichen Herrscher beschäftigen können, ohne auf die Menschen zu stoßen, die ihn und seine Entscheidungen durch Ratschläge maßgeblich beeinflussten. Der Monarch kann als einzelner nicht alles Wissen und ist auf Rat angewiesen. Die Fürstenspiegel des Mittelalters, aber auch der frühen Neuzeit und der Antike, nennen deshalb die Bereitschaft des Herrschers, guten Rat anzunehmen als eine der zentralen Tugenden.

Die heutige politische Elite ist ebenfalls, aus Mangel an ausreichenden eigenen Spezialkenntnissen, in zunehmendem Maße auf die Beratung durch Sachverständige angewiesen. Diese Beratung kann in vielen verschiedenen Formen stattfinden. Als telefonische Auskunft, Anhörung oder schriftliches Gutachten. Es werden vom Rat über den Arbeitskreis bis zum Ausschuss Gremien eingerichtet um externen Sachverstand nutzbar zu machen.

Ein hoher Bedarf an fachkundiger Beratung besteht zunächst für die Staatsleitung, d. h. in erster Linie für die Regierung und ihren Verwaltungsapparat, die Ministerialbürokratie. Die Regierung setzt die politischen Maßstäbe im Staat. Sie ist, obwohl dies nicht ihre klassische Aufgabe, der Motor der Gesetzgebung. Von ihr werden die mit Abstand meisten Gesetzentwürfe im Parlament eingebracht (in der 14. Wahlperiode gingen von den 864 im Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfen 443 auf eine Initiative der Bundesregierung zurück).[2] Ausgearbeitet und formuliert werden diese Entwürfe von den entsprechenden Fachreferenten der Ministerialbürokratie, weil die Regierung oder das Parlament selbst in der Regel nicht über die Ressourcen für eine fachgerechte Regelung verfügt. Dabei kommt der Ministerialbürokratie ein erheblicher Entscheidungsspielraum und damit ein bedeutender Teil der Staatslenkung zu.[3] Es ist nicht verwunderlich, dass in diesem Bereich der Schwerpunkt der Beratung des Staates durch Sachverständige liegt.

Daneben bestehen noch weitere Fälle im administrativen und judikativen Bereich bei denen der Staat auf Beratung angewiesen ist. Dies gilt beispielsweise, wenn sich Gesetze auf unbestimmte Begriffe beschränken (schädliche Umwelteinwirkungen, erhebliche Nachteile usw.).[4]

Die erste Adresse für eine fachkundige Beratung der Staatsspitze sind die jeweiligen Fachreferenten der Ministerien oder die „eigenen“ wissenschaftlichen Dienste. Die interne Beratung geht der externen vor, wobei eine scharfe Abgrenzung kaum möglich ist. Muss allerdings, aus Gründen, die noch genauer erörtert werden sollen, auf externe Beratung zurückgegriffen werden, stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation dieser Experten und ihre Rückbindung an den Wählerwillen. Sie haben einen erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung ohne jemals gewählt worden zu sein oder bei einer Wahl Rechenschaft ablegen zu müssen. Natürlich werden die Fachreferenten der Ministerien auch nicht gewählt, aber die beruflichen Karrieren der höheren Ministerialverwaltungsbeamten, in der Regel ab dem Rang eines Ministerialdirektors bis zum Minister, sind mit denen der demokratisch legitimierten Führung verbunden. Sie werden bei einem Regierungswechsel ihren Posten nur selten halten können und somit bemüht sein den Wählerwillen bei wichtigen Entscheidungen zu berücksichtigen.

Dies bedeutet, dass der Wähler bei ihnen noch einen gewissen Einfluss auf ihr Verhalten ausüben kann.

Wie ist die Beratung der Experten aus demokratietheoretischer Sicht zu bewerten? Ist das deutsche Beratungswesen mit seinen beachtlichen Möglichkeiten der Einflussnahme ein Konkurrent zum gewählten Parlament? Wie kann den unerwünschten Begleiterscheinungen der Politikberatung begegnet werden?

Zunächst soll die Entwicklung des bundesrepublikanischen Beratungswesens skizziert werden, um einen Vergleich zur Entwicklung seit dem Amtsantritt Gerhard Schröders zu ermöglichen.

Für die weitere wissenschaftliche Diskussion des, bisher noch kaum standardisierten, Themas soll ein Modell zur Typologisierung der deutschen Beratungsgremien von Sven Siefken vorgestellt werden.

Auch sollen die genaueren Motive für die Einholung von Expertenansichten erörtert werden, wobei sich zwei Motivgruppen schnell ausfindig machen lassen. Die rationalen und die politischen Motive, wobei eine eindeutige Zuordnung selten möglich ist.[5]

Eine allgemeine Betrachtung der kontroversen Argumente von Gegnern und Befürwortern der Politikberatung soll in eine Anwendung dieser Argumente auf die Regierung Schröder führen. Der öffentliche Vorwurf, Bundeskanzler Gerhard Schröder würde durch exzessive Ausweitung der deutschen Beratungskultur der Entmachtung des Parlaments Vorschub leisten oder er würde, wie es seine Anhänger gerne formulieren, durch die frühzeitige Einbeziehung der betroffenen Gruppen einen besonders konsensorientierten Politikstil pflegen, soll anhand empirischer Daten untersucht werden.

2. Entwicklung der Politikberatung in Deutschland

Die Politikberatung entwickelte sich in der deutschen Politik- und Verwaltungsgeschichte zunächst in erster Linie über die Bildung von Beratungsgremien bei Ministerien. So wurden ab 1871 im neu gegründeten Deutschen Reich sowie in Preußen, insbesondere im Bereich der Agrar-, Gesundheits- und Handelspolitik, Beratungsgremien eingerichtet, denen neben Wissenschaftlern auch Verbandsvertreter angehörten. Sie hatten die Funktionen der Interessenvermittlung und der Lieferung von fachkundigen Informationen an die Bürokratie. Die Interessenziele wurden mit dem Sachverstand und den Informationen der Verbandsvertreter gekoppelt. Diese Entwicklungslinie der Beratung hat sich durch die Weimarer Republik bis in die heutige Bundesrepublik fortgesetzt.[6]

Die Heranziehung von Räten, die sich aus Wissenschaftlern und Interessenvertretern zusammensetzten, war bis in die frühen 60er Jahre die vorherrschende Form der Politikberatung in Deutschland. Im Laufe der 60er Jahre vollzog sich ein Wandel im Hinblick auf die Form und den Umfang der Politikberatung, der in Zusammenhang stand mit den wachsenden sozioökonomischen und infrastrukturellen Entwicklungsproblemen der Bundesrepublik. Man setzte zur Bewältigung der Probleme zunehmend auf wissenschaftliche Beratung. Die wichtigsten Politikfelder für den zunehmenden Informationsbedarf der politischen Elite waren die Wirtschaftspolitik (Einrichtung des Sachverständigenrates für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1963) und die Bildungspolitik (Einrichtung des Wissenschaftsrates 1957, Einrichtung des Bildungsrates 1965). Im Rahmen der sozial-liberalen Koalition der späten 60er Jahre und der von ihr proklamierten „Politik der inneren Reform“ erfuhr die Politikberatung einen beachtlichen Entwicklungsschub, der in den 70er Jahren seinen Höhepunkt haben sollte. Zu dieser Zeit hielten wesentliche Teile der politischen und akademischen Elite tiefgreifende Reformen für machbar und den Beitrag der Wissenschaft für relevant und erstrebenswert.[7]

[...]


[1] Hennis, Wilhelm, Politik und praktische Philosophie, Stuttgart 1977, S. 163.

[2] Schick, Rupert und Schreiner, Hermann J., So arbeitet der Deutsche Bundestag, Rheinbreitbach17 2003, S. 76.

[3] Bleek, Wilhelm, Berufsbeamtentum, in: Sontheimer, Kurt und Röhring, Hans – Helmut (Hrsg.), Handbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, München 1977, S. 51.

[4] Brohm, Winfried, Sachverständige Beratung des Staates, in: Isensee, Josef und Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Heidelberg2 1998, S. 209.

[5] Wollmann, Hellmut, Politikberatung, in: Nohlen, Dieter und Schultze, Rainer – Olaf (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft, Bd. II, München 2002, S. 659.

[6] Friedrich, Hannes, Staatliche Verwaltung und Wissenschaft, Frankfurt am Main 1970,

S. 47 – 59.

[7] Wollmann, Hellmut, Politikberatung, in: Nohlen, Dieter und Schultze, Rainer – Olaf (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft, Bd. II, München 2002, S. 660f.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Politikberatung durch Kommissionen und Räte
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V119904
ISBN (eBook)
9783640240050
ISBN (Buch)
9783640244355
Dateigröße
435 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politikberatung, Kommissionen, Räte
Arbeit zitieren
Philipp Braitinger (Autor:in), 2004, Politikberatung durch Kommissionen und Räte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119904

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