Konflikte in der Partnerschaft und ihre Bewältigung


Zwischenprüfungsarbeit, 2004

87 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung
1. Allgemein
2. Partnerschaft im Wandel der Zeit
3. Was ist Liebe?
4. Phasen der Partnerschaft und ihre typischen Krisen

B. Paarkonflikte und ihre Bewältigung
1. Was ist ein „Konflikt“?
2. Paarkonflikte
3. Theoretische Ansätze zu Paarkonflikten und ihrer Bewältigung
3.1. Paarkonflikte aus tiefenpsychologischer Sicht
3.1.1. Paarkonflikte aus psychoanalytischer Sicht
3.1.2. Bindungstheorie und Paarkonflikt
3.2. Paarkonflikte aus systemtheoretischer Sicht
3.2.1. Grundannahmen der Systemtheorie
3.2.2. Systemtheorie der Paarbeziehung: drei frühe Theorien
3.2.3. Aktuelle systemische Ansätze
3.2.4. Zusammenfassung
3.3. Paarkonflikte aus verhaltenstheoretischer Sicht
3.3.1. Lerntheoretische Annahmen
3.3.2. Austauschtheoretische Annahmen
3.3.3. Stresstheoretische Annahmen
3.3.4. Kommunikationsdefizite und Paarkonflikt
3.3.5. Konfliktbewältigung durch Verhaltenstherapie
3.3.6. Zusammenfassung
3.4. Kritische Betrachtung und Vergleich des psychoanalytischen, system- und verhaltenstheoretischen Ansatzes

C. Ausgewählte Konfliktthemen in der Partnerschaft
1. Eifersucht
2. Untreue
3. Sexuelle Störungen
4. Liebesmythen und falsche Erwartungen

D. Beziehungskrisen verhindern und Liebe erhalten:
Ratschläge für die Gestaltung einer glücklichen Partnerschaft

1. Funktionierende Grenzen innerhalb und außerhalb des Paares
2. Flexible Balance statt Homöostase
3. Der Beziehung einen wichtigen Stellenwert geben
4. Zeit und Energie in die Partnerschaft investieren
5. Zwiegespräche
6. Schönes in der Partnerschaft stimulieren und Abwechslung schaffen
7. Partnerschaftsrituale pflegen

E. Schlusswort

F. Literaturverzeichnis

G. Anhang

A. Einleitung

1. Allgemein

Wir wünschen uns nichts sehnlicher, als eine vertraute Person an unserer Seite zu haben, bei der wir uns sicher und geborgen fühlen, eine Person, die uns versteht, respektiert und unterstützt, die Freude und Leid mit uns teilt.

Die meisten von uns können sich ein Leben ohne eine feste befriedigende Partnerschaft nicht vorstellen. Wir machen sogar unser Lebensglück von einer gelungenen Partnerschaft abhängig. Fragt man Personen nach ihren wichtigsten Werten und Zielen im Leben, steht die Partnerschaft oft an erster Stelle, vor Gesundheit und beruflichem Erfolg (Bodenmann, 2002, S. 11). Diese Aussage mag einigen von Ihnen vielleicht übertrieben erscheinen – in einer Zeit, wo materielle Werte eine so hohe Bedeutung erlangt haben und viele eine berufliche Karriere und Erfüllung im Job anstreben. Andererseits ist es gerade das „Glück in der Liebe“, das uns motiviert, für unsere persönlichen Ziele zu kämpfen, uns wachsen lässt und inspiriert, uns die Energie und Kraft gibt, „Berge versetzen zu können“. Es ist der verständnisvolle Partner, der nicht (mehr) von uns verlangt, unsere Wünsche für ihn aufzugeben, der nicht über unser Leben bestimmen, sondern an unserem Leben teilhaben möchte.

Partnerschaften sind mehr als alle anderen Beziehungen dazu geeignet, menschliche Grundbedürfnisse wie Liebe, Anerkennung, Zärtlichkeit, Geborgenheit und Sexualität zu befriedigen. Leider verlaufen Paarbeziehungen nicht immer nach unseren idealen Vorstellungen und können somit zu einer ernsthaften Leidensquelle werden. Probleme und Konflikte in der Partnerschaft werden von den Beteiligten als sehr schmerzvolle Erfahrungen erlebt und hinterlassen oft tiefe Wunden.

Diese Arbeit befasst sich mit Konflikten in der Paarbeziehung, ihren Ursachen und Bewältigungsmöglichkeiten. Dabei möchte ich weniger auf therapeutische Methoden und Vorgehensweisen eingehen, sondern mögliche Selbsthilfemaßnahmen in den Mittelpunkt stellen. Im nächsten Abschnitt werde ich nach einer Begriffsbestimmung des „Konflikts“ versuchen, mehrere theoretische Ansätze zu Paarkonflikten darzustellen und miteinander in Beziehung zu bringen. Schließlich sollen Möglichkeiten zur Prävention von Konflikten aufgezeigt werden, um die Liebe der Partner zu erhalten und das Scheitern der Beziehung zu verhindern. Die Ratschläge sollen helfen, eine längerfristig glückliche Partnerschaft zu gestalten. Doch zunächst möchte ich auf einige Aspekte eingehen, die zum Verständnis der hier bearbeiteten Thematik beitragen: die Partnerschaft im Wandel der Zeit, die Liebe und den Verlauf der Paarbeziehung.

In dieser Arbeit werden die Begriffe Ehe und Partnerschaft oft synonym gebraucht, zum einen, um der Tatsache gerecht zu werden, dass viele Partner eine dauerhafte Beziehung führen ohne zu heiraten, zum anderen, weil in Ehe und fester Partnerschaft z.T. gleiche Entwicklungen stattfinden. Statt von Partner und Partnerin zu sprechen, wird aus Lesbarkeitsgründen das verallgemeinernde Maskulinum verwendet, auch wenn beide Geschlechter gemeint sind.

Ich halte es für wichtig, zu erwähnen, dass hier heterosexuelle Paare im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

2. Partnerschaft im Wandel der Zeit

Partnerschaften begleiten die ganze Menschheitsgeschichte. Wie eine Partnerschaft gelebt wird ist stets vom Zeitgeist und vom gesellschaftlichen Wandel abhängig.

Der folgende Exkurs in die Geschichte soll zeigen, wie das Zusammenleben der Partner in einer Paarbeziehung in verschiedenen Zeitepochen ausgesehen hat. Dabei konzentriere ich mich hauptsächlich auf die Partnerwahl, die Motive für das Eingehen einer Partnerschaft, die Erwartungen an den Partner und die Möglichkeiten zur Auflösung der Partnerschaft.

Antike: Im Alten Ägypten wurden Ehen nach ökonomischen und politischen Überlegungen geschlossen. Oft heirateten Geschwister, um das von Eltern geerbte Landgut oder die Herrschaftspositionen nicht teilen zu müssen. In der Zeit des Matriarchats ging der Besitz des Mannes in die Hände der Frau über; viele Pharaonen heirateten deshalb ihre Schwestern oder Töchter, um den Thron, den Besitz und die Dynastie zu bewahren. So war auch Kleopatra VII zunächst die Frau ihres älteren Bruders, nach seinem Tod - die Frau ihres jüngeren Bruders. Diese Ehe gab den Männern das Recht, über Ägypten herrschen zu können (Reinhold, 1996).

Im Antiken Griechenland und Rom herrschte Patriarchat. Eine Frau, die den Bund der Ehe einging, wurde zum Besitz des Mannes erklärt; die Frau hatte sich an ihren Mann anzupassen, er bestimmte über sie. Die Ehe diente nach den römischen Gesetzen dem Erzeugen von Nachkommen und dem Erhalt des Familienbesitzes. Bei der Gattenwahl hatten tiefere Gefühle kaum eine Rolle gespielt. Vielfach hatten sich die füreinander Bestimmten nicht einmal gesehen. Die meisten Mädchen wurden zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr verheiratet. Die Männer heirateten gewöhnlich zwischen 20 und 30. „Sitzengebliebene“ Mädchen und untreue Ehegattinnen wurden meistens als Sklavinnen verkauft. Das Hauptmotiv seitens des Mannes für die Heirat war der Wunsch, Söhne zu zeugen, die nach seinem Tod die vorgeschriebenen kultischen Handlungen vornehmen konnten. Der Heirat ging ein mündlicher Vertrag voraus, der vor Zeugen zwischen Brautvater und Bräutigam geschlossen wurde und vermögensrechtliche Dinge regelte, wie auch die Mitgift für die Braut. Der Mann erwartete von der Frau, dass sie jungfräulich, fügsam und belehrbar ist und die Gebete und religiösen Regeln kennt (Schreiber, 1996).

Mittelalter: Erst bei den Germanen war die Ehe exogam[1]. Die patriarchalische Muntehe – ein reines Rechtsgeschäft zwischen zwei Familien - war eine weit verbreitete Eheform im Mittelalter. Die Frau war als Geschäftspartnerin ausgeschlossen, sie stellte lediglich das Vertragsobjekt dar. Sie wurde gegen Zahlung eines vereinbarten Preises an den Bräutigam übergeben. Der Adel nutzte die Ehe, um nähere verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen Adelsgeschlechtern zu knüpfen; dynastische Überlegungen wie die Erweiterung des eigenen Herrschaftsbereichs und die Festigung politischer Allianzen standen dabei im Mittelpunkt. Die Qualität der Braut zeigte sich in ihrer Fähigkeit, männliche Nachkommen zu gebären. Die Unfruchtbarkeit der Ehefrau führte somit oft zur Scheidung. Im Frühmittelalter waren die Mädchen mit dem 13. Lebensjahr heiratsfähig. Die Jungen waren mit 12 - 15 Jahren heiratsfähig. Bereits im Alter von sieben Jahren durften die Kinder nach dem Kirchenrecht verlobt werden (Vogt-Lüerssen, 2001).

Sowohl die adligen als auch die bürgerlichen und bäuerlichen Kinder hatten sich bei der Wahl ihres Ehepartners dem Willen der Eltern zu fügen. Viele Paare lernten sich erst am Tag ihrer Verlobung oder ihrer Hochzeit kennen. Der erste Beischlaf erfolgte unter Zeugen und machte die Ehe rechtskräftig.

An die Muntübertragung am Hochzeitstag waren zahlreiche Rechte gekoppelt, die der Bräutigam erhielt – das Recht, über das gemeinsame Vermögen zu entscheiden, sich scheiden zu lassen, die Ehefrau zu verkaufen oder zu verstoßen. Die Ehefrau besaß nicht einmal die Verfügungsgewalt über ihre eigenen Kinder. Die absolute Treue der Frau war selbstverständlich, Ehebruch wurde nach Ermessen des Ehemannes zum Teil mit dem Tod bestraft. Der Ehemann hingegen besaß das Recht, sexuelle Kontakte zu mehreren Frauen gleichzeitig einzugehen.

Die Ehefrauen waren bis ins 12. Jh. hinein nicht die Erbinnen ihrer Gatten. Um im Falle eines frühzeitigen Todes des Ehemannes finanziell abgesichert zu sein, diente die Brautgabe der Witwenversorgung. Als Witwe gelangte die Frau wieder in die Muntgewalt des Vaters, des Bruders oder des Sohnes und wurde erneut verheiratet (Vogt-Lüerssen, 2001). Zusätzlich zum Scheidungsrecht des Ehemannes konnte eine Ehe im Einverständnis aller Beteiligten relativ leicht aufgelöst werden. Ehen wieder auflösen zu können, lag deutlich im Interesse der adligen Heiratspolitik - eventuell bot sich nach der ersten Heirat eine attraktivere Alternative an.

Bei den städtischen und bäuerlichen Unterschichten war die Ehe primär eine wirtschaftliche Not- und Zwangsgemeinschaft. Die wohlhabenderen Bürger wollten Grund und Boden zusammenhalten, den Besitz und dessen Erhaltung durch männliche Nachkommen sichern. Bei der armen Bevölkerung diente die Ehe und Familie dazu, das Überleben der Beteiligten zu sichern; hier spielten die Qualität der Arbeitskraft und der Gesundheitszustand des Partners eine bedeutende Rolle. Seit ungefähr dem 6. Jh. konnten auch die Unfreien (leibeigene Bauern) Ehen eingehen. Die Voraussetzung war die Zustimmung ihrer Grundherren. Waren die Gatten aus unterschiedlichen Grundherrschaften, gehörte die Frau trotz ihrer Verheiratung weiterhin ihrem Grundherren. Aus diesem Grund wurden die Kinder, die aus der Ehe leibeigener Bauern stammen, zwischen den beiden Grundherren aufgeteilt. Tragisch war die Tatsache, dass der Grundbesitzer das Recht hatte, die Braut zu entjungfern, es sei denn, die Jungfräulichkeit der Braut wurde durch den Bräutigam freigekauft (Vogt-Lüerssen, 2001). Wenn man aber bedenkt, wie arm die Landbevölkerung war, ist es gut vorstellbar, dass die Frau sich dem Recht ihres Grundherren fügen musste.

Aufgrund der geringen Lebenserwartung war die durchschnittliche Ehedauer ebenfalls gering (ca. 15 Jahre). Wiederverheiratungen nach dem Tod des Partners waren häufig – schon aus wirtschaftlichen Gründen. Besonders für Frauen war die Ehe die einzige wirtschaftliche Absicherung.

Die zweite, eher seltene Eheform im Mittelalter war die Friedelehe. Der Begriff "Friedel" stammt von "friudiea", was soviel wie "Geliebte" bedeutet. Die Friedelehe wurde auf Wunsch beider Partner geschlossen und war somit eine „Liebesehe“. Sie garantierte größere Rechte für die Frau, beispielsweise das Scheidungsrecht. Bei der Friedelehe fielen die Trauung und die Übergabe eines Brautpreises aus, der Beischlaf unter Zeugen musste vollzogen werden. Da die Geistlichen die Friedelehe für ein Konkubinat hielten, wurde diese Eheform seit dem 9. Jh. für unrechtmäßig erklärt. Besonders in der germanischen Zeit und im Frühmittelalter waren die Friedelehen oft Entführungsehen, d.h. die Frau wurde mit ihrer Zustimmung entführt, wenn der Brautvater die Eheschließung nicht zuließ.

Seit dem 8. Jh. gewann die Geistlichkeit immer mehr Einfluss im Bereich der Ehe und der Eheschließung. Das christliche Ehemodell war geprägt von Monogamie und Unauflösbarkeit. Der primäre Zweck der Ehe lag in der Erzeugung von Nachkommen, das persönliche Verhältnis der Ehegatten erlangte in der mittelalterlichen Theologie zunächst kaum Aufmerksamkeit. Die kirchliche Idealehe war die Konsensehe, sie beruhte auf der Zustimmung beider Brautleute. Die "Konsensehe" setzte sich erst im 12. Jh. allmählich durch (Höpflinger, 1996). Junge Frauen wurden damit selbständiger und trauten sich, einen unliebsamen Heiratspartner zurückzuweisen. Auch bei dieser Eheform bestand keine freie Partnerwahl, denn die Zustimmung der Eltern war Voraussetzung für die Heirat. Trotzdem hatten Heranwachsende die Freiheit, bei der Wahl des Ehepartners mitzuentscheiden. Ablehnen konnten die Eltern den Kandidaten ihrer Kinder nur aus gravierenden Gründen: „der Wunschkandidat kam aus einem anderen Stand, sein Lebenswandel und sein Leumund waren schlecht, in seiner Familie traten Erbkrankheiten auf oder die schlechte finanzielle Lage des künftigen Schwiegersohnes ließ eine Familiengründung nicht zu“ (Vogt-Lüerssen, 2001).

Mit der Unauflösbarkeit der Ehe wurde die Scheidungspraxis erheblich erschwert.

Im 17. Jh. kam es in der christlichen Theologie zur stärkeren Betonung der ehelichen Gemeinschaft und Liebe, gegenseitige Hilfe und Beistand wurden als Ehezwecke hervorgehoben. Mit der religiös begründeten Betonung der Gattenliebe setzte der Wandel zur Liebesehe ein (Höpflinger, 1996).

Aufklärung und Bürgertum: Das frühe Bürgertum des 17./18. Jh. versuchte erstmals, Liebe, Sexualität und Ehe zu vereinigen. Die Rede war von der „vernünftigen Liebe“ als ehestiftendes Motiv. Diese Beziehung basierte nicht auf erotischer Leidenschaft, ökonomischen oder sozialen Interessen, sondern auf moralisch-menschlichen Tugenden. Die Persönlichkeit trat bei der Partnerwahl in den Vordergrund. Der Kern der Beziehung war die Verwandtschaft der Seelen, d.h. Übereinstimmungen von Neigungen und Fähigkeiten. In der vernünftigen Liebe wurden soziale und materielle Interessen mit Emotionen versöhnt, die mehr betont, aber nicht als alternative Grundlage verstanden wurden (Habermas, 1997, S. 172, 226). Die wirtschaftliche Armut war ein bedeutsames Hindernis in der Entwicklung der Liebesehe. Mit der Romantik wurde die romantische Liebe allmählich zum einzig gültigen Motiv für die Eheschließung. Die Liebe wurde zum Fundament und Sinn einer Ehe. Dieses Ehemodell hatte weitrechende Konsequenzen: die freie Partnerwahl, die stärkere Stellung der Frauen gegenüber den Männern, denn der Mann musste sich auch nach der Heirat um die Zuneigung seiner Frau bemühen und die Möglichkeit der Scheidung, wenn die Liebe zwischen den Partnern erlosch (Höpflinger, 1996).

Moderne: Die Weltkriege und die Wirtschaftskrisen im 20. Jh. führten dazu, dass viele Frauen und Männer erst spät heiraten konnten oder ledig blieben. Erst in der Hochkonjunktur nach dem zweiten Weltkrieg waren einer frühen Heirat keine wirtschaftlichen Hindernisse mehr im Weg. Der Anteil der Ledigen reduzierte sich auf ein Minimum. Gleichzeitig blieb die Ehe die einzig akzeptierte Form des Zusammenlebens, voreheliche Sexualität und nichteheliches Zusammenleben waren unerwünscht. Seit den 60er Jahren kam es zum Wandel der Wertevorstellungen: Voreheliche sexuelle Erfahrungen und nichteheliche Lebensformen wurden bei den jungen Leuten beliebt. Mit der Einführung der Anti-Baby-Pille genossen die Frauen mehr sexuelle Freiheit als je zuvor. Sie mussten keine Angst mehr vor ungewollten Schwangerschaften haben und konnten ihre Sexualität auch vor der Ehe ausleben. Ebenso setzten sich partnerschaftliche Ehevorstellungen immer stärker durch. Diese Entwicklung wurde mit dem Inkrafttreten des Eherechts rechtlich verankert. Aufgrund der Erwerbstätigkeit der Frauen waren diese weniger ökonomisch abhängig von den Männern, so dass die Motivation, einen Mann aus finanziellen Gründen zu heiraten sank. In den 70er Jahren hat die Zahl der Scheidungen rasant zugenommen, was die Idee der Ehe grundsätzlich erschütterte. Es wurde das Ende der Ehe prophezeit. Doch ab den 80er Jahren erfuhren Heirat und Ehe einen neuen Aufschwung, weil partnerschaftliche Ehevorstellungen sich durchsetzten, gewann die Ehe wieder an Attraktivität (Höpflinger, 1996). Eine partnerschaftliche Beziehung gründet auf Gleichwertigkeit. Das bedeutet, dass Entscheidungen, die die Partnerschaft betreffen gemeinsam vereinbart und persönliche Wünsche und Ziele aufeinander abgestimmt werden.

Heute hat die Ehe nach wie vor nicht an Bedeutung verloren (Bodenmann, 2002, S. 12). Rund 90-95% der Bevölkerung heiraten im Verlauf ihres Lebens; auch wenn die Ehe geschieden wird, verheiraten sich die Geschiedenen wieder. Gewandelt haben sich die Motive für die Eheschließung und die Erwartungen an den Partner und die Partnerschaft. Heute sind Liebe, Geborgenheit und Erfüllung das Fundament der Paarbeziehung. Im deutschen Eherecht heißt es u.a., dass die Ehegatten einander Treue, Achtung, Rücksichtnahme, Mitwirkung in gemeinschaftlichen Angelegenheiten, Beistand und Unterhalt schulden. Emotionalität und Intimität sind Träger der modernen Partnerschaft. Die Entwicklung zur Liebesehe bringt höhere Erwartungen an die Partnerschaft mit sich. War die Ehe früher eine wirtschaftliche Zweckgemeinschaft, erwartet man heute Liebe, erfüllende Sexualität, Treue und Geborgenheit in einer Paarbeziehung. Die Partnerschaft muss eine Menge unserer Bedürfnisse befriedigen. Auf der Grundlage dieser Informationen wird einem bewusst, wie schwierig es ist, eine Partnerschaft zu führen, in der all unsere Erwartungen erfüllt werden. Es wird verständlich, dass in der heutigen Paarbeziehung Probleme auftreten, da wir oft nicht in der Lage sind, alle Bedürfnisse unseres Partners zu befriedigen.

Das nächste Kapitel ist der Liebe gewidmet, denn sie allein ist zur Basis der modernen Partnerschaft geworden.

3. Was ist Liebe?

„...Wer liebt, der gibt niemals jemand auf, in allem vertraut er und hofft für ihn; alles erträgt er für ihn; alles erträgt er mit großer Geduld...“ (Bibel: Die gute Nachricht, 1. Korinther 13)

Die Bibel schildert die Liebe als verständnisvoll, geduldig, taktvoll, altruistisch. Liebe bedeutet, dem anderen zu vertrauen, ihn zu akzeptieren, wie er ist, ihm Fehler zu verzeihen und keine Forderungen zu stellen. Die Liebe ist bedingungslos. Die Liebe ist das höchste, was es gibt; nichts hat einen Sinn ohne die Liebe.

Wir wissen alle, was mit dem Begriff „Liebe“ gemeint ist, trotzdem ist es nicht leicht, dieses Gefühl zu definieren. Was verstehen die Experten unter Liebe?

Nach Sternbergs Dreieckstheorie umfasst Liebe drei Aspekte: Leidenschaft, Intimität/Vertrautheit und Entscheidung/Bindung (Sternberg, 1986, zitiert nach Bierhoff, 1991). Leidenschaft umfasst Euphorie („Schmetterlinge im Bauch“), physische Attraktion, sexuelle Begierde und sexuelle Befriedigung. Vertrautheit umfasst Selbstöffnung, enge Kommunikation, Ehrlichkeit, Geduld, Verstehen und Verzeihen. Bindung bedeutet, die Interessen des Partners vor seine eigenen zu stellen, den Partner zu brauchen und zu schützen, bereit zu sein, Opfer zu bringen. Sternberg geht davon aus, dass alle Formen der Liebe durch diese drei Dimensionen beschrieben werden können. Eine erfüllte Liebe beinhaltet alle drei Komponenten.

Lee (1976, zitiert nach Bierhoff, 1991, S.100f) spricht von den Farben der Liebe. Genauso wie man Farben mischen kann, gibt es auch unterschiedliche Facetten der Liebe. Er unterscheidet in seiner Theorie drei primäre Liebesstile und drei, die sich aus jeweils einem Paar der primären Liebesstile ergeben. Zu den primären Stilen zählt Lee die romantische Liebe (Eros), die spielerische Liebe (Ludus) und die freundschaftliche Liebe (Storge). Die romantische Liebe bedeutet sofortige Anziehung, die durch die Erscheinung des Partners hervorgerufen wird. Man spricht auch von der Liebe auf den ersten Blick: „To see her is to love her“. Romantische Liebe ist eine unmittelbare Erfahrung, die körperliche Erregung und sexuelles Interesse am Partner verursacht. Auch emotionale Verbundenheit hat eine große Bedeutung. Romantische Liebe wird in Aussagen wie „Unser Sexualleben ist sehr intensiv und befriedigend“ oder „Ich habe starke Sehnsucht nach meinem Partner, wenn ich ihn eine Weile nicht sehe“ zum Ausdruck gebracht. Die spielerische Liebe meint die Liebe als Spiel mit verschiedenen Partnern ohne dass Emotionen zu ernst genommen werden. Verführung, sexuelle Abenteuer, Abwechslung und Unabhängigkeit spielen die zentrale Rolle. Versprechungen gelten nur für das Hier und Jetzt und ohne Aussichten auf die Zukunft. Eine typische Aussage ist „Ich habe manchmal mehrere Liebesaffären gleichzeitig“. Die freundschaftliche Liebe verweist auf eine enge Freundschaft zwischen den Partnern, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt hat. Sie ist gekennzeichnet durch gemeinsame Interessen und Aktivitäten, Vertrauen und Sicherheit, die sexuelle Anziehung ist weniger wichtig und beginnt relativ spät. Die Aussage „Die beste Liebe erwächst aus einer tiefen Freundschaft“ ist ein Indikator für die freundschaftliche Liebe.

Die folgenden drei Liebesstile charakterisiert Lee als sekundär: die besitzergreifende Liebe als Verbindung zwischen Eros und Ludus, die pragmatische Liebe als Verbindung zwischen Ludus und Storge und die altruistische Liebe als Verbindung zwischen Storge und Eros. Die besitzergreifende Liebe (Mania) ist gekennzeichnet durch die starke Fixierung auf den Partner, starke Eifersucht und Kontrolle des Partners. Im Extremfall wird der Partner als Besitz angesehen. Die Aussage „Ohne meinen Partner wäre mein Leben nicht mehr lebenswert“ beinhaltet einen Hinweis auf die Vorherrschaft dieses Liebesstils. Die pragmatische Liebe (Pragma) ist charakterisiert durch die vernünftige Auswahl des Partners, wobei ökonomische und emotionale Sicherheit eine Rolle spielen. Die Partnerschaft wird eingegangen, weil sie Vorteile und Nutzen bringt. Die Aussage „Für mich ist es wichtig, dass mein Partner Ansehen genießt“ ist typisch für diesen Liebesstil. Die altruistische Liebe (Agape) umfasst die Fürsorge für den Partner, Pflege, Aufopferung und Hingabe. Das Wohl des Partners steht im Mittelpunkt. Diese Gefühle basieren oft auf Gegenseitigkeit. Die Aussage „Ich würde lieber selbst leiden, als meinen Partner leiden zu lassen“ verdeutlicht das oben beschriebene.

Zwischen den Theorien von Lee und Sternberg sind einige Gemeinsamkeiten feststellbar. Leidenschaft ist charakteristisch für die romantische und besitzergreifende Liebe. Kameradschaftliche Liebe kann mit Intimität und Bindung in Bezug gesetzt werden. Es ist viel schwieriger, Äquivalenzen für spielerische, altruistische und pragmatische Liebe in Sternbergs Theorie zu finden. Sternberg (1988, zitiert nach Bierhoff, 1991, S. 105) sieht die pragmatische Liebe nicht als eine Liebesform. Weiterhin nimmt er an, dass altruistische und spielerische Liebe mit allen drei Komponenten in Beziehung stehen. Spielerische Liebe kann am besten durch geringe Bindung zum Partner beschrieben werden. Altruistische Liebe kann unter der Komponente Intimität zusammengefasst werden, da sie eine neue Qualität - die Fürsorge - beinhaltet, kann sie auch die Bindung repräsentieren (Bierhoff, 1991, S. 105).

Wie lieben nun die Menschen? Welchen Liebesstil leben sie in ihrer Beziehung aus? Die Forschungsergebnisse zeigen eindeutig, dass die romantische Liebe in den Beziehungen überwiegt, gefolgt von altruistischer, freundschaftlicher und besitzergreifender Liebe. Das Pragmatische und das Spielerische spielen eine untergeordnete Rolle. Außerdem hängt die romantische Liebe eng mit der Zufriedenheit in der Paarbeziehung zusammen, wobei die spielerische Liebe negativ mit der Partnerschaftszufriedenheit korreliert. Pragmatische Liebe hängt positiv mit der Stabilität der Partnerschaft zusammen, altruistische Liebe mit der Anzahl der Kinder in der Partnerschaft (Bierhoff, 1991, S. 113). Die Liebesstile in Partnerschaften sind durch Gegenseitigkeit bestimmt, wenn ein Partner romantisch liebt, tendiert auch seine Partnerin dazu, romantische Gefühle zu erleben. Die höchste Korrelation zwischen den Liebesstilen der Partner wurde für die romantische Liebe belegt. Eine Ausnahme bildet die besitzergreifende Liebe, die ja im Prinzip nicht auf Reziprozität ausgerichtet ist. Wenn beide Partner stark eifersüchtig und besitzergreifend sind, ist die Beziehung der beiden durch erhebliche Konflikte gefährdet.

Schließlich möchte ich auf das Konzept der Liebe von Mees (1997) eingehen. Mees belegt, dass es konsensuelle Merkmale des Konzepts Liebe gibt, d.h. dass es einen kulturellen Konsens darüber gibt, welche Merkmale zur Liebe gehören. Er findet 30 Attribute, welche die Liebe natürlich nicht vollständig beschreiben, aber hinreichend viele Bestimmungsstücke der Liebe bilden. Zu diesen Merkmalen gehören u.a. ereignisfundierte Emotionen (Emotionen als Reaktion auf bestimmte Ereignisse), typische Handlungen (Beziehungen zwischen dem Konzept der Liebe zum Partner und bestimmten Handlungen) und die Zuneigungsemotion. Ich möchte an dieser Stelle einige Merkmale, die von Mees genannt werden auflisten. Die vollständige Liste finden Sie im Anhang (Übersicht 1). So werden z.B. die Merkmale starke Zuneigung, Achtung/Wertschätzung, Freude über das Zusammensein, Zärtlichkeit, volles Vertrauen, sehr gutes Verstehen, Unterstützung und sexuelle Treue als besonders wichtig für die Liebe angesehen. Mees belegt weiterhin, dass diese Indikatoren nicht nur auf die Existenz der Liebe verweisen, sondern sie variieren mit der Intensität des Gefühlserlebens. Somit stehen bei der großen Liebe andere Merkmale an erster Stelle als bei einer Liebesaffäre (Mees, 1997, S. 18).

Wie wir sehen können, unterscheiden sich Laien und Experten kaum in ihren Vorstellungen und Definitionen der Liebe. Die Liebe zu pflegen und zu erhalten gehört zu den zentralsten Aufgaben einer glücklichen Partnerschaft (Bodenmann, 2002, S. 22), denn ohne Liebe existiert meist kein Grund für die Aufrechterhaltung der Beziehung. Konkrete Tipps dazu werden im Abschnitt D beschrieben.

4. Phasen der Partnerschaft und ihre typischen Krisen

Die Partnerschaft ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Eine dauerhafte Partnerschaft durchläuft verschiedene Phasen. Willi (1996) bezieht sich bei der Beschreibung dieser Entwicklung auf die Ehe, er unterscheidet vier Phasen. Schneewind et al. (1999) sprechen von fünf Phasen der Paarentwicklung. In jeder Phase muss das Paar bestimmte Entwicklungsaufgaben bewältigen und Krisen meistern. Besonders der Übergang von einem Lebensabschnitt in den nächsten kann Angstreaktionen bei den Betroffenen auslösen. Ich zitiere hier die Phasen nach Willi; die Beschreibung geht von Paaren aus, die eine Familiengründung als Ziel haben, also auch Kinder haben wollen.

Die Phase der stabilen Paarbildung: Auf der Suche nach ihrer Identität müssen Jugendliche sich für eine Lebensmöglichkeit – auch eine Beziehungsform und einen Partner entscheiden. Schon die Entscheidung für einen bestimmten Partner kann schwierig sein. Die Paare planen ein gemeinsames Leben miteinander - die Gründung einer Familie. Gleichzeitig müssen sich die jungen Leute von ihrer Herkunftsfamilie lösen, sie wollen es in der eigenen Ehe besser machen als die Eltern. Diese Phase ist von zahlreichen Ängsten begleitet: von der Angst, sich dem Partner auszuliefern, Angst vor Verantwortung, Verpflichtung und Bindung, Angst vor Versagen in der eigenen Beziehung.

Die Aufbau- und Produktionsphase: Die Phase umfasst die ersten Jahre des Zusammenlebens. Das Paar muss sich seine Stellung in der Gesellschaft und den Lebensunterhalt sichern, es muss lernen zusammenzuleben und den eigenen Lebensstil finden. Ein Anpassungsprozess findet statt. Es müssen gemeinsame Lösungen inbezug auf Gestaltung des Tagesablaufs, Verteilung von Aufgaben und Verantwortung und Übereinkunft in Normen und Werten gefunden werden. Diese Anforderungen wirken stimulierend auf die Persönlichkeits-entwicklung der Partner. „Die Persönlichkeit wird in der Auseinandersetzung mit dem Partner umstrukturiert“ (Willi, 1996, S. 36). Die Partner lernen die Kunst der fairen Konfliktlösung, um nicht die Selbstaufgabe vom Partner zu fordern. Das Paar muss eine klare Grenze zwischen sich und dem Elternhaus ziehen. Die Entscheidung, Kinder zu haben ist für die Frau besonders schwierig. Trotz der institutionellen Hilfestellung seitens des Staates ist das Auferziehen der Kinder auch heute noch mit einem beruflichen Nachteil für die Frau verbunden. Das Paarsystem muss an die Pflege und Betreuung der Kinder angepasst werden, es muss zwischen der Partner- und Elternrolle differenziert werden. Die Zweisamkeit wird begrenzt und erschwert, Eifersucht auf die Kinder kann besonders seitens des Mannes auftreten.

Die Krise der mittleren Jahre: In der vorherigen Phase arbeitete das Paar auf konkrete Ziele hin, die jetzt realisiert wurden. Der soziale Status der Familie und der finanzielle Rahmen sind weitgehend bestimmt. Es gibt kein besonderes Ziel mehr, was erreicht werden muss und das Paar zusammenhält. Es wird ein Zustand von Ruhe und Freizeit erreicht, welcher jedoch als Leere empfunden wird. Die Partner machen eine zweite Identitätskrise durch, sie wollen sich teilweise nicht mit der Ehe identifizieren. Man ist nicht mehr bereit, seine Interessen den Interessen der Familie unterzuordnen. Die Partner verspüren den Nachholbedarf verpasster Chancen im Leben. Der Mann fühlt sich nicht bestätigt und sucht die Schuld an seinem Versagen in der Ehe, denn diese habe seine persönliche und berufliche Entwicklung gehemmt. Erfolgreiche Männer stellen sich die Frage, ob so viel Einsatz im Beruf andere Lebensmöglichkeiten verpassen ließ. In dieser Phase gehen manche Männer eine außereheliche Beziehung ein, da diese ihm das Gefühl vermittelt, noch einmal von vorne beginnen zu können. Die Männer möchten alternative Lebensmöglichkeiten mit einer anderen Partnerin ausprobieren. Die Frau muss in dieser Situation darauf bestehen, eine klare eheliche Struktur wiederherzustellen, es wäre falsch zu versuchen, sich mit der Lage abzufinden. Die Frau sieht in dieser Phase keine wichtige Aufgabe mehr. Bei Aufnahme der Berufstätigkeit wird ihr deutlich, dass sie dort nie den gleichen Status erreichen wird wie ihr Mann. Sie fühlt sich körperlich unattraktiv, insbesondere mit dem Einsetzen der physischen Veränderungen in den Wechseljahren. Die Frau muss feststellen, dass sie die besten Jahre ihres Lebens für Ehe und Familie geopfert hat, die jetzt auseinanderfällt (die Kinder verlassen das Haus, der Mann missachtet sie). Die eheliche Beziehung wird dadurch gestört, dass die Frau nicht gleichberechtigt, sondern mit leeren Händen neben ihrem Mann steht. Gleichgeschlechtliche Freundschaften nehmen an Bedeutung zu. Das Paar missbraucht oft die Kinder, um die Ehe aufrechtzuerhalten. Wenn man die Fehler erkennt, die man begangen hat und lernt, den Partner zu verstehen, kann eine Versöhnung eintreten. Diese Phase kann für die Reifung der Partner eine entscheidende Rolle spielen.

Die Altersehe: Das Paar muss sich an veränderte zeitliche Rahmenbedingungen nach der Pensionierung anpassen. Es verspürt wieder ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl, denn es blickt auf ein langes gemeinsam verbrachtes Leben zurück. Man muss sich mit der Gebrechlichkeit bzw. dem Tod des Partners auseinandersetzen und sich in die Abhängigkeit anderer Personen begeben.

Die Beschreibung der Phasen macht deutlich, dass Paare eine Reihe von Anforderungen, Krisen und Umstrukturierungsprozessen bewältigen müssen. Berücksichtigt wurden hier nur normative Entwicklungsaufgaben, hinzu kommen zahlreiche idiosynkratische Ereignisse, die ebenfalls bewältigt werden müssen. Der Weg, den das Paar gehen muss, ist nicht leicht und erfordert Kompetenzen, die jedoch erlernt werden können. Besonders der verhaltenstheoretische Ansatz im nächsten Abschnitt befasst sich mit solchen Kompetenzen, die zur Konfliktbewältigung und Führung einer zufriedenstellenden Partnerschaft benötigt werden.

B. Paarkonflikte und ihre Bewältigung

1. Was ist ein „Konflikt“?

Konflikt (lat.: conflictus) = Zusammenprall, Zusammenstoß

Im Alltag benutzen wir zahlreiche Begriffe als Synonyme für „Konflikt“, wie z.B. Anfechtung, Kampf, Krieg, Streit oder Krise. Man nennt diese Begriffe auch konfliktbezeichnend, d.h. dahinter verbergen sich verschiedene Arten von Konfliktaktivitäten.

Die Soziologie versteht unter dem Begriff „Konflikt“ Auseinandersetzungen, Spannungen, Streitereien, Gegensätzlichkeiten zwischen Personen, zwischen einzelnen Personen und Gruppen, zwischen Gruppen, Organisationen, Gesellschaften und Staaten (Schneider, 1994, zitiert nach Kersting & Grau, 2003, S. 430).

Hofstätter (1977) definiert eine Konfliktsituation als ein „gleichzeitiges Bestehen oder Anlaufen von mindestens zwei Verhaltenstendenzen“ (Zuschlag & Thielke, 1992, S. 32). Ulich (1971) bezeichnet Konflikte als Kampf der Motive: das Gegeneinanderstehen von mehreren Trieben, Strebungen, Wünschen usw. Nach Berkel (1985) handelt es sich um ein Konflikt, „wenn zwei Elemente gleichzeitig gegensätzlich oder unvereinbar sind“ (Zuschlag & Thielke, 1992, S. 32). Von einem Konflikt spricht man auch, wenn sich Interessen von Individuen überschneiden.

Man unterscheidet in erster Linie zwischen intrapersonellen und interpersonellen Konflikten. Intrapersonelle Konflikte sind innere Konflikte – Konflikte zwischen verschiedenen Bestrebungen innerhalb derselben Person. Interpersonelle Konflikte sind zwischenmenschliche Konflikte – Konflikte zwischen verschiedenen Strebungen zweier oder mehrerer Personen. Das Augenmerk dieser Arbeit richtet sich auf interindividuelle Konflikte, speziell auf Konflikte zwischen zwei Personen, die in einer Partnerschaft leben.

Der interindividuelle Konflikt, der auch als sozial bezeichnet wird, ist ein fester Bestandteil des Zusammenlebens der Menschen. Überall, wo mindestens zwei Personen und damit unterschiedliche Meinungen, Vorstellungen und Interessen aufeinandertreffen, können Konflikte entstehen. Einige Autoren beschreiben den interindividuellen Konflikt als situationsbezogen, es geht in einer bestimmten Situation darum, dass die Parteien Ressourcen untereinander aufteilen müssen und jede soviel wie möglich bekommen will. Aber auch die Wahrnehmung der Bedürfnis- und Interessendivergenzen zwischen Personen kann einen Konflikt hervorrufen. In seiner Definition vereinigt Deutsch (1973) beide Aspekte: „Interpersonale Konflikte lassen sich als soziale Situationen definieren, in denen individuelle Handlungsabsichten aufeinanderstoßen, die nicht vereinbar sind“ (Kersting & Grau, 2003, S. 433). Müller (1980) stützt sich auf diese Definition und entwickelt eine umfassendere Theorie des interpersonalen Konfliktgeschehens: Die gegensätzlichen Handlungsabsichten, die ja Ursache des sozialen Konflikts sind, entstehen seiner Auffassung nach durch a) unvereinbare Ziele, b) „spezifische Anforderungen der sozialen Situation trotz gleicher Ziele“, z.B. wenn knappe Ressourcen aufgeteilt werden müssen und c) „charakteristische Wechselbeziehungen zwischen Personen- und Situationsmerkmalen“ (Kersting & Grau, 2003, S. 433).

Coombs (1987) beschreibt den interpersonellen Konflikt als einen komplexen Prozess. Wenn es bei intraindividuellem Konflikt darum geht, bei der Entscheidung die beste Lösung für ein Individuum zu finden, was oft mit Schwierigkeiten verbunden ist, muss bei einem interindividuellen Konflikt ein Konsens zwischen zwei Individuen, die Gegensätzliches anstreben, erzeugt werden. Laut Coombs folgen die Parteien einem hedonistischen Prinzip: der momentane Zustand soll möglichst verbessert und auf keinen Fall verschlechtert werden. In einer Dyade soll eine Übereinstimmung getroffen werden, die den Zustand beider Partner verbessert. Dieser Konsens liegt „zwischen den Gipfeln der Präferenzfunktionen beider Partner“ (Kersting & Grau, 2003, S. 433f). Je uneindeutiger die Präferenzen einer Person sind (mehrgipflige Präferenzfunktion), desto schwieriger wird der Entscheidungsprozess zwischen zwei Personen. Der intraindividuelle Konflikt übt also Einfluss auf den interindividuellen Konflikt aus – wenn auch unbewusst. Wenn beide Partner nur jeweils eine Möglichkeit bevorzugen, ist ein stärkerer Konflikt zu erwarten, je größer die Entfernung zwischen den Präferenzgipfeln ist, d.h. je unterschiedlicher die Möglichkeiten sind.

2. Paarkonflikte

Der Paarkonflikt ist ein besonderer sozialer Konflikt innerhalb der Gruppe der interpersonellen Konflikte.

Schwarz (1984) z.B. zählt zu den Paarkonflikten den Identitätskonflikt, den Distanzkonflikt, den Entwicklungskonflikt, den Clankonflikt, den Transaktionskonflikt und den Rollenkonflikt. Der Identitätskonflikt dreht sich um die Frage, inwieweit man seine Identität in einer Paarbeziehung aufgeben muss (s.u.: narzisstische Kollusion). Beim Distanzkonflikt stehen unterschiedliche Distanzbedürfnisse der Partner im Verlauf der Beziehung im Mittelpunkt. Auf diesen Konflikt werde ich mehrmals zu sprechen kommen. Der Entwicklungskonflikt handelt von unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten, -richtungen und -intensitäten der Partner, z.B. „Wir haben uns auseinandergelebt und haben uns nichts mehr zu sagen“. Auch dieser Konflikt wird später genauer erläutert. Als Ursache für den Clankonflikt gilt die Herkunft der Partner aus verschiedenen Gruppen/Familien mit unterschiedlichen Verhaltensnormen. Der Transaktionskonflikt kommt durch asymmetrische Kommunikation zwischen den Partnern zustande. Ein Rollenkonflikt kann entstehen, wenn eine Person in unterschiedliche Gruppen integriert ist und diese unterschiedliche und miteinander unvereinbare Werte und Ziele haben (Zuschlag & Thielke, 1992, S. 58-66). So muss eine verheiratete Frau mit Kind zum einen die Mutterrolle, zum anderen die Rolle der Ehefrau in der Familie übernehmen. Sie ist zwischen diesen Rollen hin- und hergerissen und entscheidet sich, die meiste Aufmerksamkeit dem Kind zu schenken. Das kann insofern zum Konflikt führen, dass sich der Ehemann z.B. vernachlässigt fühlt. Meiner Meinung nach kann man den Wahrnehmungskonflikt (zwei Personen nehmen einen Sachverhalt unterschiedlich wahr) genauso zu den Paarkonflikten zählen.

Paarkonflikte können auf verschiedenen Ebenen entstehen: auf der Ebene situativer Bedürfnisse (unterschiedliche Bedürfnisse in einer konkreten Situation), der Ebene habitueller Bedürfnisse (unterschiedliche Gewohnheiten), der Ebene der Mentalität, der Ebene der Beziehungsmuster (Kollusion) und der Ebene der Überzeugungen und Wertvorstellungen (Moebius, 1987, S. 26).

Lewin (1940) war einer der ersten Autoren, die sich mit den Besonderheiten des Paarkonflikts auseinandersetzten. Nach Lewin ist das allgemeine Spannungsniveau einer der wichtigsten Faktoren für die Häufigkeit von Konflikten, von ihm hängt ab, ob ein bestimmtes Ereignis zu einem Konflikt führt oder nicht. Nach Lewin ereignen sich Ehe- bzw. Paarkonflikte auf drei Ebenen: der Ebene der Bedürfnissituation, der Ebene des Raumes freier Bewegung und der Ebene sich überschneidender Gruppen. In der Ehe sollen vielfältige und widerspruchsvolle Bedürfnisse befriedigt werden. Der Ehemann erwartet z.B., dass seine Frau gleichzeitig Geliebte, Kameradin, Mutter, Hausfrau, Miterhalterin der Familie und Vertreterin der Familie im gesellschaftlichen Leben sein soll. Die Ehefrau erwartet, dass ihr Mann sich um das Haus kümmert, zur gleichen Zeit auch Geliebter, Freund, Vater und Erhalter der Familie ist. Diese verschiedenen Aufgaben lassen sich schwer miteinander vereinbaren, denn sie erfordern häufig entgegengesetzte Typen von Handlungen und der Persönlichkeit. Somit können manchmal nicht alle Bedürfnisse des Partners befriedigt werden. Ein unbefriedigt gelassenes Bedürfnis kann zu einem hohen Spannungsniveau in der Partnerschaft führen. Lewin erwähnt an dieser Stelle u.a. das Bedürfnis nach Sicherheit. Die Zweierbeziehung ist eine Gruppe, in der sich der Mensch geborgen und bestätigt fühlen will. Unehrlichkeit und Untreue des Partners führen zu Misstrauen gegenüber dem Partner und Misstrauen erzeugt Unsicherheit, indem es die Festigkeit des gemeinsamen sozialen Bodens beeinflusst.

Lewin stellt fest, dass es in der Ehe schwierig ist, seine Privatsphäre zu bewahren, denn die Gruppe ist sehr klein und intim. Die Partnerschaft schließt ein, dass man die private Sphäre mit dem anderen teilt. Um eigene Bedürfnisse befriedigen zu können ist jedoch ein ausreichender Raum für freie Bewegung innerhalb einer Gruppe notwendig. Die Ehegruppe umfasst nur zwei Personen und bedeutet, dass man Haus, Tisch und Bett teilen muss: Jede Handlung des Partners greift auf die andere Person über. Das bringt eine Verkleinerung des Raumes der freien Bewegung mit sich. Das, was Lewin hier erläutert ist der Distanzkonflikt, den ich bereits oben erwähnt habe.

Besondere Anforderungen an das Paar stellt auch die Mitgliedschaft der Partner in anderen Gruppen. Mann und Frau gehören teilweise verschiedenen Gruppen an wie Herkunftsfamilien, Berufsgruppen, Freundeskreisen und Vereinen. Diese Gruppen können gegensätzliche Ziele verfolgen. Wenn das Paar das Gewicht auf die Mitgliedschaft in der Ehegruppe legt, wird die Möglichkeit eines Konflikts verringert (Lewin, 1940, S. 147). Es ist Ihnen bestimmt deutlich geworden, dass es sich an dieser Stelle um einen Rollenkonflikt handelt, der von Schwarz (s.o.) aufgegriffen wurde. Auch Willi (s.o.) hat die Abgrenzung des Paares zur Herkunftsfamilie als einen wichtigen Schritt dargestellt.

Schneider (1994) fügt noch andere Grundanforderungen, denen sich die Partnerschaft stellen muss hinzu: die spezifische Definition des Geschlechterverhältnisses bezüglich Macht und Autorität, die fortlaufende Bestätigung von bestimmten Grundmustern und Themen innerhalb der Partnerschaft und ein angemessener Umgang mit Kongruenzen bzw. Inkongruenzen der Fremd- und Selbstbilder der Mitglieder. Schneider betont, dass die Paarbeziehung zum einen sehr konfliktresistent, zum anderen sehr konfliktgefährdet ist. Einerseits kann wegen innerer Einheit und Zusammengehörigkeit des Paares die Toleranz gegenüber Konflikten groß sein, andererseits ist die Bedrohung einer solchen Dyade durch innere Widersprüche besonders enorm (Kersting & Grau, 2003, S. 435f).

3. Theoretische Ansätze zu Paarkonflikten und ihrer Bewältigung

3.1. Paarkonflikte aus tiefenpsychologischer Sicht

3.1.1. Paarkonflikte aus psychoanalytischer Sicht

Die psychoanalytische Theorie geht von der Annahme aus, dass Erfahrungen aus der frühen Kindheit Einfluss auf das aktuelle Verhalten und Erleben des Erwachsenen ausüben. Frühe unbewältigte Konflikte und traumatische Erlebnisse wurden aus dem Bewusstsein entfernt - ins Unbewusste verdrängt, bleiben dort jedoch aktiv und drängen zur Wirksamkeit. Die Partner nehmen ihre ungelösten Konflikte mit in die Partnerschaft und übertragen diese in die eigene Zweierbeziehung. Beide Partner benutzen die Paarbildung, um ihre persönlichen Schwierigkeiten zu bewältigen. So machen sie ihre intrapsychischen Konflikte zu einem interpsychischen, weil dieser meist erträglicher ist, als einer in der eigenen inneren Welt. „Pathologie, die von den Partnern mitgebracht wird, führt zu Störungen des miteinander Umgehens; im miteinander Umgehen entsteht neue Pathologie“ (König & Kreische, 1991, S. 7).

Die frühe Psychoanalyse beschäftigte sich mit dem Individuum als Untersuchungsgegenstand und versuchte, in sein Unbewusstes vorzudringen, um ungelöste Konflikte wieder zu Bewusstsein zu bringen. Konkrete Konflikte in der Partnerschaft der Person waren insofern relevant, dass sie ihre unbewussten Konflikte aktivierten. Das Verhalten des Partners, die Beziehung der Partner untereinander - die realen Beziehungen mit der Umgebung wurden kaum berücksichtigt. „Statt einer gestörten Beziehung wurden zwei neurotische Individuen gesehen“ (Hahlweg, Schindler & Revenstorf, 1982, S. 2). Unter dem Einfluss der Systemtheorie löste sich die Psychoanalyse von der individualistischen Sicht. Die Ursache für Paarkonflikte wurde nun weder bei dem einen noch dem anderen Partner gesucht, sondern in der Paarbeziehung als Ganzes, in der dyadischen Dynamik. In diesem Sinne wurde auch das Kollusionskonzept entwickelt, welches später vorgestellt wird.

Ich möchte nun auf einige Aspekte und Annahmen der Psychoanalyse inbezug auf Partnerschaft genauer eingehen. Es soll deutlich werden, wo im psychoanalytischen Sinne die Ursachen für Probleme in der Partnerschaft liegen können.

[...]


[1] Die Partner durften nicht blutsverwandt sein.

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Konflikte in der Partnerschaft und ihre Bewältigung
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
87
Katalognummer
V119880
ISBN (eBook)
9783640236541
Dateigröße
734 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konflikte, Partnerschaft, Bewältigung
Arbeit zitieren
Ina Wesner (Autor:in), 2004, Konflikte in der Partnerschaft und ihre Bewältigung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119880

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