Frühe romanische Grammatiken

Las Razos de trobar und Lo Donatz Proensals


Seminararbeit, 2008

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Las Razos de trobar
2.1 Autor, Datierung und Entstehung
2.2 Inhaltsangabe
2.3 Textanalyse

3 Lo Donatz Proensals
3.1 Autor, Datierung und Entstehung
3.2 Inhaltsangabe
3.3 Textanalyse

4 Zusammenfassung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Dante Alighieri beginnt sein um 1305 entstandenes sprachwissenschaftliches Traktat De vulgari eloquentia mit den Worten Cum neminem ante nos de vulgaris eloquentie doctrina quicquam inveniamus tractasse […][1] und betont so die Neuartigkeit dessen, was folgen wird. Diesen Anspruch auf Originalität relativiert er jedoch wenig später: […] non solum acquam nostri ingenii ad tantum poculum aurientes, sed, accipiendo vel compilando ab aliis, potiora miscentes […][2]. Dante war in der Tat nicht der erste, der sich vornahm, eine romanische Volkssprache näher zu beschreiben: Es existierten bereits Grammatiken des Okzitanischen oder Provenzalischen.[3]

Das im Süden des heutigen Frankreich beheimatete Okzitanische ist die romanische Sprache, die am frühesten zu kultureller Blüte gelangte und als erste eine Literatursprache herausbildete. Dante bemerkt im 10. Kapitel des ersten Buches von De vulgari eloquentia: Pro se vero argumentatur alia, scilicet oc , quod vulgares eloquentes in ea primitus poetati sunt tanquam in perfectiori dulciorique loquela [...][4]. Hierbei spielt er auf die stilistisch ausgefeilte Liebesdichtung der Troubadours an, die bis auf den heutigen Tag berühmt ist. Der erste bekannte Troubadour ist Guilhèm IX, Herzog von Aquitanien, der von 1071 bis 1127 lebte; er leitete eine rund zwei Jahrhunderte andauernde Schaffensperiode ein. Diese Art von Dichtung gelangte weit über die Grenzen des okzitanischen Sprachgebiets hinaus zu großem Ruhm, galt bald überall in Westeuropa als Vorbild und wurde vielfach nachgeahmt – zunächst in der Originalsprache, später in anderen Sprachen. Der Niedergang der Troubadourlyrik wurde durch das Verschwinden der okzitanischen Höfe nach der politischen Eingliederung von Südfrankreich in das Herrschaftsgebiet der französischen Krone (1229 im Frieden von Meaux) verursacht; als Verwaltungssprache konnte sich das Okzitanische noch länger behaupten, wurde dann aber immer mehr vom Französischen verdrängt. Die Bedeutung, die es im Mittelalter hatte, sollte es nie wieder erlangen.[5]

Aufgrund der großen Popularität der okzitanischen Dichtung und der damit verbundenen weiten Verbreitung der Sprache zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert wurde es notwenig, gewisse Standards für diese Sprache festzulegen, die für alle Autoren verbindlich waren; außerdem musste sie Menschen anderer Muttersprache, die okzitanische Dichtung lesen oder selbst verfassen wollten, erst zugänglich gemacht werden. Vor diesem Hintergrund entstanden die ersten okzitanischen Grammatiken. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten nur Grammatiken des Lateinischen existiert; diese allen Westeuropäern vertraute Sprache galt als die einzige, die es wert war, untersucht und beschrieben zu werden, als Maß aller Dinge. Die allgemein akzeptierte Lehre besagte, Grammatik sei etwas einheitliches, für alle Sprachen gültiges und Unterschiede zwischen den Sprachen (z. B. das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Artikels) seien zufällig. Eine wertungsfreie vergleichende Betrachtung von Sprachen existierte noch nicht, was auch dadurch bedingt war, dass Fremdsprachenkenntnisse nicht sehr verbreitet waren. Auch Griechisch beherrschte fast niemand; griechisches Gedankengut war nur mithilfe von lateinischen Übersetzungen zugänglich.[6]

Die frühen okzitanischen Grammatiken – darunter die Razos de trobar und der Donatz proensals, die als erste entstanden und Thema dieser Arbeit sein sollen – sind in einem mehr oder weniger starken Maße von der lateinischen Grammatiktradition beeinflusst, gehen aber auch vielfach neue Wege, da eine aus dem Vulgärlatein hervorgegangene romanische Volkssprache nicht in jeder Hinsicht mit dem Schriftlateinischen verglichen und nach demselben Muster beschrieben werden kann.

2 Las Razos de trobar

2.1 Autor, Datierung und Entstehung

Der Autor der Razos de trobar nennt seinen Namen gleich im ersten Satz seines Werks: ieu Raimonz Vidals[7][8]. In späteren Werken anderer Autoren, die sich auf seinen Text beziehen, wird er „Raimon Vidal de Besuldu / Bezaudu“ genannt. Dieser Ort heißt heute Besalú und liegt im Norden von Katalonien und auch der Autor lässt sich, da sein vollständiger Name bekannt ist, leicht identifizieren: Er ist mit dem Verfasser dreier Verserzählungen in okzitanischer Sprache identisch (weitere Texte werden ihm zugeschrieben). Diese Erzählungen lassen sich nur ungefähr datieren. Man orientiert sich dabei an Erwähnungen von historischen Personen; die zahlreichen Zitate aus Troubadourtexten, die in Vidals Werken enthalten sind, sind für die Datierung nicht hilfreich, da der Zeitpunkt ihrer eigenen Entstehung nur selten bekannt ist. Ähnlich verhält es sich mit Vidals grammatischem Werk, den Razos. Man schätzt, dass es zwischen 1190 und 1213 entstand, möglicherweise noch vor den drei Verserzählungen (hierfür spräche, dass der Troubadour Raimon de Miraval in zweien der Erzählungen oftmals zitiert wird, in den Razos aber kein einziges Mal; also waren seine Texte Vidal zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch nicht bekannt).

An welchem Ort und in was für einer Umgebung die Razos de trobar verfasst wurden, ist unbekannt, da das Werk keinen derartigen Hinweis (wie etwa eine Widmung) enthält. Wie aus seiner Einleitung eindeutig hervorgeht, ist es an Menschen gerichtet, die sich mit okzitanischer Dichtung befassen möchten, die zu der damaligen Zeit in Katalonien nur an Höfen gepflegt wurde; das Zielpublikum gehört folglich der aristokratischen Schicht an. Dafür, dass der Text für katalanische Muttersprachler gedacht ist, sprechen (außer der katalanischen Herkunft des Autors) die grammatischen Informationen, die er enthält. So wird das okzitanische Zwei-Kasus-System sehr ausführlich erläutert, da es in der katalanischen Sprache der damaligen Zeit nicht existierte; für französische Leser wäre eine so umfassende Erklärung überflüssig gewesen. Angesprochen sind aber auch okzitanische Muttersprachler, da auch sie die Sprache nicht immer korrekt verwenden: an vielen Stellen werden Troubadours für ihre Fehler getadelt.

Raimnon Vidals Werk ist die erste okzitanische Grammatik. Es wurde zum Vorbild für spätere Grammatiken, u. a. die Doctrina d´Acort von Terramagnino da Pisa und die Regles de Trobar von Jofre de Foixà und begründete somit den katalanischen Zweig der okzitanischen Grammatiktradition.

2.2 Inhaltsangabe

Der Text beginnt mit einer ausführlichen Einleitung, in der der Autor in das Thema einführt und erklärt, welche Ziele er mit seinem Werk verfolgt. Gleich im ersten Satz begründet er, aus welcher Motivation heraus er seinen Text verfasst: Per so qar ieu raimonz uidals ai uist et conegut qe pauc domes sabon ni an saubuda la dreicha maniera de trobar, uoill eu far aqest libre […][9]. Thema seines Werkes werden also die Dichtkunst und die Dichtersprache sein – wie im Übrigen auch schon aus dem Titel deutlich wird –, da nur wenige Menschen diese Kunst richtig beherrschen. Der Autor wird sich in aller Ausführlichkeit zu diesem Thema äußern, um Missverständnisse zu vermeiden, ist sich aber darüber bewusst, dass auch er nicht allwissend ist. Er verteidigt sich schon im Voraus gegen spätere Kritiker und verbietet, irgendetwas an seinem Text zu ändern: Per qieu uos dig qe en neguna ren, pos basta ni benista, non deuon ren ostar ni mais metre[10]. Mit Dichtung kommt jeder Mensch in Berührung, sei es als Hörer oder als Verfasser: Totas genz cristianas iusieuas e sarazinas […] clergue, borgues, uilans, paucs e granz meton totz iorns lor entendiment en trobar et en chantar o qen uolon trobar o qen uolon entendre […][11] ; Dichtung ist ein Mittel, um Ereignisse zu verarbeiten und im Gedächtnis zu bewahren: Tuit li mal el ben del mont son mes en remembransa per trobadors[12]. Oft haben Menschen nicht genug Urteilsvermögen, um die Qualität der Dichtung zu bewerten, die vorgetragen wird und dies ist sowohl für die Dichter selbst als auch für die Hörer von Nachteil, da auf diese Weise niemand etwas lernt: Et enaisi son enganat li trobador et li auzidor nan lo blasme, car una de las maiors ualors del mont es qui sap lauzar so qe fa a lauzar et blasmar so qe fai a blasmar[13]. Dieses Urteilsvermögen ist nicht angeboren, kann aber erlernt werden und das vorliegende Buch wird dabei helfen: Ni non crezas que neguns hom naia istat maistres ni perfag, car tant es cars et fins le sabers […] So conoissera totz homs prims et entendenz qe ben esgard aqest libre[14] ; nach seiner Lektüre wird jeder kluge Mensch in der Lage sein, tadellose Dichtung zu verfassen : toz homs qi lentendra ni aia bon cor de trobar poira far ses chantars ses tota uergoigna[15].

Die von Natur aus schönsten Sprachen (der Autor spricht von parladura naturals et drecha), die sich am besten für das Verfassen von Dichtung eignen, sind die parladura francesca und die lenga limosina. Unter der letzteren Bezeichnung wird die Sprache der südfranzösischen Gebiete verstanden: [la parladura] de lemosi e de proenza e daluergna e de caersun. […] totas estats terras […] et totas lor uezinas et totas cellas qe son entre ellas. Die französische Sprache ist am besten für Romane und Pastoralen geeignet und die limosinische, bzw. okzitanische für Verse, Kanzonen und seruentes.[16] Hierbei gilt es zu beachten, dass alle Wörter, die im Okzitanischen anders lauten als in anderen Sprachen, echte okzitanische Wörter sind, auch wenn sie in anderen Sprachen sehr ähnlich lauten können (als Beispiel werden porta, pan und uin genannt)[17]. Um Dichtung richtig beurteilen oder selbst dichten zu können, ist es nötig, etwas von gramatica[18] zu verstehen, da das Okzitanische über grammatische Kategorien wie Kasus, Modus etc. verfügt.

[...]


[1] Alighieri, Dante: De vulgari eloquentia Introduzione, traduzione e note di Vittorio Coletti, Milano, 42000, S. 2.

[2] ibidem.

[3] „Provenzalisch“, eigentlich nur der Name einer okzitanischen Mundart, ist die ältere Bezeichnung, die sich vor allem auf die in dieser Sprache verfasste Dichtung bezieht. Die Bezeichnung „Okzitanisch“, die eine Einheitlichkeit der Sprache impliziert, wird heute von Sprachwissenschaftlern bevorzugt verwendet und wird auch in dieser Arbeit im Folgenden gebraucht werden.

[4] De vulgari eloquentia, S. 26.

[5] Zur Geschichte des Okzitanischen vgl. Chichon, Peter: Einführung in die okzitanische Sprache, Bonn, 22002.

[6] vgl. Laugesen, A.T. : Las razos de trobar in: Études romanes dédiées à Andreas Blinkenberg, Kopenhagen, 1963, S. 84-96.

[7] Hierzu vgl. Marshall, J.H. (ed.): The Razos de Trobar of Raimon Vidal and associated texts, London, 1972, S. lxvi-lxxi.

[8] Marshall 1972, S. 2.

[9] Stengel, Edmund (ed.): Die beiden ältesten provenzalischen Grammatiken Lo Donatz proensals und Las Rasos de trobar nebst einem provenzalisch-italienischen Glossar von neuem getreu nach den HSS herausgegeben, Marburg, 1878, S. 67.

[10] Stengel 1878, S. 68.

[11] ibidem.

[12] ibidem.

[13] Stengel 1878, S. 69.

[14] ibidem.

[15] ibidem.

[16] Stengel 1878, S. 70. Die vorangehenden Zitate aus dem Text stammen von derselben Seite.

[17] Stengel 1878, S. 70f.

[18] In diesem Falle ist es nicht eindeutig, ob „Grammatik“ im heutigen Sinne gemeint ist oder vom Schriftlateinischen als Modell für alle Sprachen die Rede ist.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Frühe romanische Grammatiken
Untertitel
Las Razos de trobar und Lo Donatz Proensals
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
HS „Von Engeln und Türangeln: Dantes Ansichten über die Sprache im Allgemeinen und das Italienische im Besonderen“
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V119467
ISBN (eBook)
9783640229079
ISBN (Buch)
9783640230686
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frühe, Grammatiken, Engeln, Türangeln, Dantes, Ansichten, Sprache, Allgemeinen, Italienische, Besonderen“
Arbeit zitieren
Berit Brüning (Autor:in), 2008, Frühe romanische Grammatiken, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119467

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Frühe romanische Grammatiken



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden