Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus


Hausarbeit (Hauptseminar), 1999

27 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historischer Bezug

3. Was war jüdischer Widerstand?

4. Formen des jüdischen Widerstands
a) Juden im organisierten Widerstand
b) Verweigerung
c) Abwehr

5. Schlussbetrachtung

Literaturangaben

1. Einleitung

Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wurden den Juden ab 1933 nach und nach alle Möglichkeiten zum Überleben genommen. Der Weg einer ganzen Bevölkerungsgruppe führte in Isolation und Vernichtung. Die meisten Menschen gehen auch heute noch davon aus, dass die Juden sich fast widerstandslos diesem Schicksal ergaben. Lediglich der Aufstand im Warschauer Ghetto oder das Leben der Anne Frank im Versteck sind vielen ein Begriff.

Tatsächlich gab es viele Formen des jüdischen Widerstandes. Deshalb ergeben sich verschiedene Fragen. Was war jüdischer Widerstand überhaupt? Hatten die Juden überhaupt eine Chance, sich gegen die Nationalsozialisten durchzusetzen? Wenn ja, mit welchen Mitteln und mit welchem Erfolg?

Diese Arbeit soll einen Überblick über den Widerstand von Juden in den Jahren 1933 bis 1945 geben. Nach einer kurzen Beschreibung des historischen Hintergrundes sollen die Unterschiede zur allgemeinen Widerstandsbewegung thematisiert werden. Im gleichen Kapitel wird der jüdische Widerstand in Bezug auf seine Ziele definiert. Außerdem wird die Problematik des jüdischen Widerstandes in Deutschland angesprochen. Im nächsten Kapitel sollen die verschiedenen Formen des jüdischen Widerstandes ausführlich beschrieben und besprochen werden, um ein umfassendes Bild zu geben.

2. Historischer Bezug

Als 1933 die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland begann, war das für die jüdische Bevölkerung der Beginn eines Leidenswegs, der schließlich in völliger Entrechtung und Vernichtung gipfelte. „Diskriminierung und Verfolgung von Juden hatte es in der Antike wie im Mittelalter gegeben“[1], doch der national-sozialistische Antisemitismus ging weiter. Anfängliche Hasspropaganda und Ausgrenzung wurden zum organisierten Massenmord. Im folgenden soll es darum gehen, den Entrechtungsprozess der Juden anhand einiger Gesetze und Ereignisse kurz zu skizzieren, um den Hintergrund und vor allem die schwierigen und außerordentlichen Bedingungen des jüdischen Widerstandes aufzuzeigen.

1933 lebten 503000 Juden in Deutschland, ihr Bevölkerungsanteil lag nur bei 0,76 Prozent. In den Großstädten waren die Juden stärker vertreten, so lebten allein in Berlin 31 Prozent aller deutschen Juden. Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung arbeitete in sozial angesehenen Berufen, die Juden waren stark am deutschen Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturleben beteiligt.

Bereits am 1. April 1933, also nur drei Monate nach der „Machtergreifung“, riefen die NSDAP und das Propagandaministerium zu einem „Boykott jüdischer Geschäfte“ auf. SA- und SS-Truppen hinderten Passanten daran, jüdische Geschäfte zu betreten und dort einzukaufen. Am 7. April wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen. Alle „nichtarischen“ Beamten wurden entlassen. Kurze Zeit später wurde der Anteil der jüdischen Schüler und Studenten quotiert, angeblich um einer Überfüllung der Schulen und Universitäten vorzubeugen.

Einen nächsten einscheidenden Schritt in der rechtlichen Ausgrenzung der Juden bildeten die „Nürnberger Gesetze“, die im September 1935 auf dem Reichsparteitag der NSDAP erlassen wurden. Nach dem „Reichsbürgergesetz“ galten die Juden jetzt nur noch als Staatsangehörige, nicht mehr als Reichsbürger. Das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ untersagte Ehen sowie außereheliche Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden und bezeichnete dies als „Rassenschande“. Diese Gesetze wurden noch bis 1938 ergänzt. Ein weiteres Ziel war das Verdrängen der Juden aus dem Wirtschaftsleben, so z.B. durch Zulassungsverbot für jüdische Ärzte, Steuer- und Devisenberater oder Viehhändler.

Am 12. Juni 1937 erließ der Chef der Sicherheitspolizei, Heydrich, den geheimen Beschluss, dass jüdische „Rassenschänder“ nach dem Ableisten einer Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe in ein Konzentrationslager einzuweisen seien.

Im Jahr 1938 trieben mehrere Verordnungen die Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben weiter voran. So musste jüdisches Vermögen ab sofort angemeldet, jüdische Gewerbebetriebe gekennzeichnet und registriert werden. Ab Oktober wurden alle Reisepässe von Juden mit „J“ gekennzeichnet. Am 28. Oktober wurden 17000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit von Deutschland über die Grenze nach Polen getrieben. Davon betroffen waren auch die Eltern von Herschel Grynspan, der daraufhin, um gegen das Unrecht zu protestieren, ein Mitglied der deutschen Botschaft in Paris erschoss. Dieses Ereignis nahmen die Nationalsozialisten zum Anlas, um ein staatlich organisiertes Massenpogrom gegen die Juden durchzuführen. Bei dem angeblich „spontanen“ Ablauf war der Polizei das Einschreiten untersagt. Bilanz der „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 waren 91 Tote, viele Verletzte und Misshandelte, zerstörte Synagogen und jüdische Friedhöfe, geplünderte Geschäfte und verwüstete Wohnungen. Außerdem wurden 30000 Juden in Konzentrationslager gebracht. Nach Beschluss der Göring-Konferenz vom 12. November sollten die Juden für die entstandenen Schäden eine „Sühneleistung“ von 1,2 Millionen Reichsmark bezahlen, zusätzlich mussten sie den völligen Ausschluss aus der Wirtschaft, dem kulturellen Leben und das Verbot des Schulbesuches für ihre Kinder hinnehmen.

Am 30. Januar 1939 kündigte Hitler im Reichstag für den Fall eines Krieges „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ an. Im September, also kurz nach Beginn des Krieges, organisierten SS und Wehrmacht bereits mehrere Pogrome in Polen. Die ersten Deportationen von Juden aus Österreich, Böhmen und Mähren nach Polen fanden im Oktober statt. Im Februar 1940 folgten Deportationen aus dem Reichsgebiet. Das erste jüdische Ghetto wurde am 30. April 1940 in Lodz errichtet, im Herbst folgten weitere Ghettos, z.B. in Krakau, Lublin oder Warschau.

Am 31. Juli 1941 beauftragte Göring Heydrich mit der „Evakuierung“ der europäischen Juden, es war der Beginn der „Endlösung“. Ab Oktober war es den Juden verboten, aus dem Deutschen Reich auszuwandern; es gab also keine legale Möglichkeit zum Verlassen des Landes mehr. Im Dezember wurden im Vernichtungslager Kulmhof/ Chelmno erstmals Juden durch den Einsatz von Gaswagen getötet. Am 20. Januar 1942 wurden auf der „Wannsee-Konferenz“ in Berlin unter Leitung Heydrichs Maßnahmen zur sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen. In den folgenden Monaten wurden die Vernichtungslager Belzec, Sobibor oder Treblinka errichtet, in die Juden aus ganz Europa deportiert wurden. Im Sommer fanden in Auschwitz/ Birkenau erste „Massenvergasungen“ statt.

Ab März 1943 wurden die Ghettos aufgelöst, die Überlebenden in die Vernichtungslager deportiert. Im diesem Zusammenhang stand auch der Aufstand im Warschauer Ghetto vom 19. April. Nachdem bereits 300000 Ghettobewohner nach Treblinka verschleppt worden waren, leisteten die restlichen 60000 Juden bei der endgültigen Räumung bewaffneten Widerstand, der erst am 16. Mai niedergeschlagen wurde.

Bis zum Ende des Krieges starben täglich tausende Juden aus ganz Europa in den Vernichtungslagern. Die völlig entrechteten Menschen hatten kaum eine Chance, den systematischen Massentötungen der Nationalsozialisten zu entkommen.[2]

3. Was war jüdischer Widerstand?

Der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft kann nicht als eine einheitliche Bewegung bezeichnet werden. Dies liegt sowohl an den verschiedenen sozialen Trägergruppen des Widerstandes als auch an ihren unterschiedlichen Motiven, sich dem bestehenden politischen System zu widersetzen. So bestehen wesentliche Unterschiede zwischen dem Widerstand aus der Arbeiterbewegung, der mit sozialdemokratischen und kommunistischen Gruppen nicht homogen war, und dem militärischen Widerstand, der sich z.B. im Umsturzversuch des 20. Juli 1944 zeigte. Zu differenzieren ist außerdem zwischen dem Widerstand aus Adel und Bürgertum, dem Widerstand der Kirchen und Studenten, um nur einige zu nennen.

Es ist deshalb sehr schwer, eine einheitliche Definition für den Begriff „Widerstand“ zu finden. Um den Unterschied zum jüdischen Widerstand deutlich zu machen, soll dies aber trotzdem versucht werden.

„In der Regel bezeichnet das Wort Widerstand Reaktionen eines Menschen oder von Gruppen auf Machtmißbrauch, Verfassungsbruch und Menschenrechtsverletzungen. Deshalb erscheint Widerstand immer dann als geboten oder gerechtfertigt, wenn Grundsätze des modernen Naturrechts oder Grundprinzipien einer demokratischen, freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung gegen Übergriffe verteidigt werden sollen.“[3]

Diese These macht deutlich, dass Widerstand, in welcher Form auch immer, dem „Erkämpfen von Menschenwürde und Freiheit unter einem totalitären System“[4] dient.

Beim Widerstand der Juden kam ein weiteres Element dazu. Ihr Widerstand hatte außerdem die bloße physische Existenz zum Ziel. Das Überleben war die Grundvoraussetzung für einen Kampf um Freiheit und Menschenwürde. Dies gilt besonders für die Endphase des Nationalsozialismus, als immer deutlicher wurde, dass es den Nationalsozialisten nicht mehr nur um Diskriminierung, sondern um das Vernichten einer ganzen Bevölkerungsgruppe ging.

„Was nun die Frage nach dem Widerstand angeht, so vertrete ich die Auffassung, dass alle Aktionen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft das Leben von Juden retteten oder zu retten versuchten, Widerstandsaktionen waren. Das gleiche gilt für alle Arten von Hilfsaktionen zu der Zeit, als die ‚Endlösung‘ noch nicht absehbar war. Wo immer Juden sich selbst und ihre Leidensgenossen vor dem mörderischen Zugriff der Nationalsozialisten zu bewahren versuchten, da war dies jüdischer Widerstand.“[5]

Deshalb nahm der jüdische Widerstand, genau wie andere Widerstandsbewegungen, vielfältige Formen auf verschiedenen Ebenen an. Er konnte spontan oder geplant sein, von einzelnen Juden oder von Gruppen ausgeübt werden. Entscheidend war, dass er dem Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten zuwiderlief.[6] Der jüdische Widerstand reichte vom organisierten Widerstand, auch in Verbindung mit dem sozialistischen und kommunistischen Widerstand, bis hin zu den verschiedenen Formen nonkonformen Verhaltens, wie Verweigerung und Abwehr. Dies soll im folgenden Kapitel ausführlich besprochen werden.

Entscheidend war die Situation der Juden in Deutschland zu Beginn der Verfolgung. Die in Deutschland lebenden Juden waren keine homogene Gruppe. Viele lebten als Deutsche unter Deutschen, beteiligten sich am kulturellen und politischen Leben. Sie waren Mitglieder in nichtjüdischen Organisationen, Parteien und Verbänden und sahen Deutschland als ihr Heimatland an. Nach der Machtergreifung verloren sie jeglichen Rückhalt in der Gesellschaft und standen schnell völlig isoliert da. Als einzelne war es ihnen unter diesen Umständen kaum möglich, Widerstand zu leisten. Wer nicht schon vor 1933 in Opposition zum bestehenden politischen System gestanden hatte, konnte sich in so kurzer Zeit nicht gegen den Staat wenden. „Es lag außerhalb des Vorstellungsvermögens, den Staat als Werkzeug des Verbrechens und der Vernichtung zu betrachten.“[7] Daraus erklärt sich, warum es für die deutschen Juden so schwierig war, Widerstand zu leisten oder sich zu zumindest rechtzeitig dem mörderischen Regime zu entziehen. Als sie das tatsächliche Ausmaß der Gefahr erkannten, war es meist zu spät oder mit hohen Risiken verbunden, Deutschland zu verlassen oder sich auf andere Weise dem Zugriff der Nationalsozialisten zu entziehen. Es war außerdem kaum mehr möglich, sich zu einer großen Gruppe zusammenfinden, um geschlossen Widerstand zu leisten. So waren es meist die kleinen Aktionen, die den jüdischen Widerstand prägten.

[...]


[1] Norbert Frei, Die Juden im NS-Staat, in: Das Dritte Reich im Überblick. Chronik. Ereignisse. Zusammenhänge, Hg.: Martin Broszat und Norbert Freitag, in Verbindung mit Wolfgang Benz, Manfred Funke, Hermann Graml, etc., 6. durchgesehene und aktualisierte Auflage , München 1999, S.124.

[2] Die in diesem Kapitel genannten Informationen stammen aus folgenden zwei Büchern: 1. Das Dritte Reich im Überblick. Chronik. Ereignisse. Zusammenhänge, Hg.: Martin Broszat und Norbert Frei, in Verbindung mit Wolfgang Benz, Manfred Funke, Hermann Graml, etc., 6. durchgesehene und aktualisierte Auflage , München 1999, S.200-289. 2. Gerhard Schoenberger, Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933-1945, durchgesehene und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt am Main 1991, S. 295-304. (Dieses Buch wird bei allen weiteren Zitaten mit „Der gelbe Stern“ abgekürzt.)

[3] Lexikon des deutschen Widerstandes 1933-1945, Hg.: Peter Steinbach und Johannes Tuchel, 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe, München 1998, S. 240 f. (Dieses Buch wird bei allen weiteren Zitaten mit „Lexikon des deutschen Widerstandes“ abgekürzt.)

[4] Nach der These von Henri Michel in: Nathan Eck, Jüdischer und europäischer Widerstand, in: Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod! Das Buch vom Widerstand der Juden 1933-1945, Köln 1994, S. 35. (Dieses Buch wird bei allen weiteren Zitaten mit „Lustiger“ abgekürzt.)

[5] Ferdinand Kroh, David kämpft. Vom jüdischen Widerstand gegen Hitler, Reinbek bei Hamburg, 1988, S. 74.

[6] Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden. Band 3, Haupthg.: Israel Gutmann, Hg. der deutschen Ausgabe: Eberhard Jäckel, Peter Longerich und Julius H. Schoeps, Berlin 1993, S. 1584. (Dieses Buch wird bei allen weiteren Zitaten mit „Enzyklopädie des Holocaust“ abgekürzt.)

[7] Werner Jochmann, Zur Problematik des Widerstands deutscher Juden, in: Lustiger, S.46.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie)
Veranstaltung
Völkermord im 20. Jahrhundert (Blockseminar)
Note
2
Autor
Jahr
1999
Seiten
27
Katalognummer
V11915
ISBN (eBook)
9783638179560
ISBN (Buch)
9783656013303
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jüdischer, Widerstand, Nationalsozialismus, Völkermord, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Claudia Gilbers (Autor:in), 1999, Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11915

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Titel: Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus



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