Austrokorporatismus im Wandel

Gründe des Niedergangs der österreichischen Sozialpartnerschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Austrokorporatismus - Das österreichische Phänomen Sozialpartnerschaft
2.1. Der Begriff Sozialpartnerschaft
2.2. Strukturen der Sozialpartnerschaft

3. Veränderungen des Umfelds der Sozialpartnerschaft
3.1. Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen
3.2. Sozialpartnerschaft und die Europäische Union
3.3. Veränderungen innerhalb der Dachverbände

4. Sozialpartnerschaft unter der schwarz-blau/orangen Regierung
4.1. Der Regierungswechsel im Jahr 2000
4.2. Die offizielle Haltung der ÖVP-FPÖ-Regierung zur Sozialpartnerschaft
4.3. Die Reformpolitik der Koalitionsregierung
4.4. Die Folgen der Reformpolitik und die Neuorientierung der Dachverbände

5. Schlussbetrachtung und Ausblick

6. Bibliographie und Quellen
6.1. Literatur
6.2. Internetquellen

1. Einleitung

Wien, der 4. Februar 2000: Der Koalitionsvertrag wird zwischen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) unterzeichnet. Eine gesamtpolitische Wende in Österreich? Mitnichten. Zumindest keine nachhaltige, betrachtet man die politische Landschaft aus heutiger Sicht. Denn nur zwei Regierungsperioden später bildete sich wieder eine in Österreich so geschichtsträchtige Große Koalition. Und selbst jetzt, wo diese Konstellation nach einer nur zwei Jahre andauernden Regierungsperiode gescheitert ist, scheint nach den vorgezogenen Nationalratswahlen 2008 eine neuerliche Koalition der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und der Volkspartei als sehr wahrscheinlich[1] – und das, obwohl beide Regierungsparteien bei den Wahlen schwere Verluste hinnehmen mussten.

Der Begriff „Wende“ trifft aber durchaus zu, wenn man das Phänomen betrachtet, welchem die ÖVP-FPÖ-Regierung im Jahr 2000 namentlich den Kampf ansagte: dem „Austrokorporatismus“[2], die österreichisch-spezifische Form der Interessenspolitik, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Einkommens-, Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik erheblich mitbestimmte. Die „Wende“ kann also als Bruch mit der politischen Kultur der Konkordanzdemokratie angesehen werden. Die Sozialpartnerschaft, die jahrzehntelang ein stabiles Element im österreichischen System darstellte, hatte zwar zur Jahrtausendwende ihre Hochblütephase bereits lange hinter sich, die Mitte-Rechts-Regierung nutzte aber die Gunst der Stunde um den Niedergang der Sozialpartnerschaft endgültig einzuläuten. Aber ist der Austrokorporatismus tatsächlich am Ende? Oder steht lediglich eine Neupositionierung der Interessenvertretung bevor?

Die vorliegende Seminararbeit versucht die Frage zu beantworten, wo die Gründe für den sozialpartnerschaftlichen Niedergang zu suchen sind. Dabei stehen zentral vor allem zwei Aspekte im Vordergrund: Einerseits befasst sich die Arbeit mit den Veränderungen des sozialpartnerschaftlichen Gefüges sowie mit den Veränderungen des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umfeldes, das sich ja besonders in den letzten zwei Jahrzehnten massiv wandelte – nicht zuletzt auch aufgrund Österreichs Beitritt zur Europäischen Union. Anderseits wird das Ausmaß der Zäsuren der schwarz-blau-orangen Regierung in den traditionellen Spielregeln der Interessenspolitik und weiters das daraus folgende verminderte sozialpartnerschaftliche Gestaltungspotential untersucht.

Obwohl nicht Hauptthema der Arbeit, soll im ersten Kapitel einleitend der Begriff und die Strukturen der Sozialpartnerschaft kurz skizziert werden, bevor im Anschluss daran die tiefgreifenden Veränderungen seit den 1990er Jahren beleuchtet werden. Diese Herausarbeitungen sollen im dritten Kapitel zeigen, dass die ÖVP-FPÖ/BZÖ-Regierung den massiven Rückgang sozialpartnerschaftlicher Interessenspolitik nicht allein bewirkt hat, sondern es sich vielmehr um einen schon gut zwei Jahrzehnte andauernden Prozess handelt, der durch Veränderungen des sozioökonomischen Umfeldes und der Strukturen der beteiligten Dachverbände sowie das Verhältnis dieser zueinander und zu den politischen Parteien in Gang gesetzt wurde. Dass die schwarz-blau-orange Regierung diesen Prozess zweifelsohne bewusst radikalisierte und intensivierte, ist Thema des vierten Kapitels. Eine Schlussbetrachtung mit einem kurzen spekulativen Ausblick versucht zu beantworten, ob „Sozialpakte“ oder „Bündnisse für die Arbeit“[3] eine Zukunft haben und wird die Arbeit abschließen.

Für die Ausarbeitung des Hauptteils diente vorrangig die einschlägige und umfangreiche Literatur von Emmerich Tálos und Ferdinand Karlhofer, die zweifellos als die politikwissenschaftlichen Experten auf dem Gebiet der österreichischen Sozialpartnerschaft gelten. Auch das Herausgeberwerk „Gewerkschaften, Kammern, Sozialpartnerschaft und Parteien nach der Wende“ von Heinz Füreder sowie das 2006 erschienene Buch „Der wankende Riese“ von Reinhard Engel lieferten einen umfassenden Einblick in die aktuellen Probleme der Dachverbände. Ergänzend dazu stellten unter anderen auch die Dissertation von Verena Ornezeder, die Vordiplomarbeit von Kai Posmik als auch die Studienarbeit von Hannes S. Auer eine große Hilfe bei der Beantwortung der Fragestellungen dar. Schließlich griff ich aufgrund der relativen Aktualität des Themas auch auf einschlägige Quellen des Internets, insbesondere für Zeitungsrecherchen, zurück.

2. Austrokorporatismus - Das österreichische Phänomen Sozialpartnerschaft

2.1. Der Begriff Sozialpartnerschaft

Beschäftigt man sich mit dem Begriff „Sozialpartnerschaft“ zunächst dem Sinne nach, so kann er als Zusammenschluss von Mitgliedern untereinander verbundener gesellschaftlicher Gruppen, zum Zwecke einer gemeinsamen Zielerreichung interpretiert werden. Um eine solche Korporation zu bewerkstelligen bedarf es Institutionen. Diese institutionelle Rolle wird von Verbänden wahrgenommen, die auf der einen Seite die Arbeitnehmer (ergo den Produktionsfaktor „Arbeit“) und auf der anderen Seite Arbeitgeber (ergo den Produktionsfaktor „Kapital“) vertreten. Diese bipartistischen Verbände stehen nicht vordergründig in direkter Konkurrenz um Einfluss auf den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, vielmehr arbeiten sie an diesem Prozess gemeinsam mit der Regierung des Staates direkt oder indirekt mit.[4] Die Akteure vertreten zwar durchaus partikulare Interessen, sie sind jedoch bereit, die vitalen Interessen der jeweils anderen Akteure zu schonen.[5]

Im Gegensatz zu Verbänden im pluralistischen Sinne, sogenannten „pressure groups“, die nur an die speziellen Interessen ihrer freiwilligen Mitglieder gebunden sind und sich an lobbyistischen Strategien orientieren, positionierte sich in Österreich Ende der 1950er Jahre ein starkes korporatistisches System der Interessenpolitik und –vermittlung, welches sich in ähnlicher Form auch in Länder wie Schweden, Norwegen oder den Niederlanden entwickelte. Die österreichische Sozialpartnerschaft galt jedoch als eine besondere Realitätsform des Neokorporatismus[6], die ihre Stabilität und Kontinuität sowie den sozialen Frieden auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten bewahren konnte.[7]

2.2. Strukturen der Sozialpartnerschaft

Ist in der Folge von Sozialpartnerschaft die Rede, dann ist damit das österreichische Muster der Interessensvermittlung gemeint, dessen wesentliche Kennzeichen die privilegierte Einbindung der Dachverbände in den politischen Entscheidungsfindungsprozess (Konzertierung) sowie der Abstimmung der Interessen zwischen den Akteuren (Akkordierung) sind.[8]

Die Form der Sozialpartnerschaft kann verallgemeinert als ein breites und vielschichtiges Netzwerk von institutionalisierten, formellen oder informellen Interaktionen zwischen den großen Dachverbänden (d.h. bipartistisch) sowie zwischen diesen und der der Regierung (d.h. tripartistisch) beschrieben werden.“[9]

Die dabei angewandete strategische Vorgehensweise ist der Kompromiss untereinander sowie mit der Bundesregierung. Als zentrale Strukturkennzeichen der traditionellen Sozialpartnerschaft gelten „das Prinzip der Einstimmigkeit, die Nichtöffentlichkeit und die weitgehende Informalität der Beziehungen“.[10]

Auf die Historie der Sozialpartnerschaft kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Es sollen in diesem Abschnitt lediglich die Form und die Strukturen, die sich über einen mehrere Jahrzehnte andauernden Prozess heraus geformt haben, knapp dargestellt werden, um die tiefgreifenden Veränderungen ab den 1990er Jahren besser beleuchten zu können.

Sozialpartnerschaft kommt in erster Linie auf der Bundesebene zum Tragen, nur in Ansätzen auch auf Länder- oder Gemeindeebene. Das Gefüge des österreichischen Verbändesystems ist durch einen hohen Konzentrations- und Zentralisationsgrad gekennzeichnet. Die hohe Konzentration wird vor allem durch das Kammersystem erreicht - drei der vier Dachverbände sind sich selbst verwaltende Kammern[11], mit einem gesetzlich verankerten Vertretungsmonopol und Zwangsmitgliedschaft. Die de facto Privilegierung der Kammern und des ÖGB ist eine Strukturbedingung der Sozialpartnerschaft und war für ihre Entstehung und Entwicklung eine unbedingte Voraussetzung.

Das Verbändesystem ist durch eine enge Verflechtung mit den jahrzehntelang dominierenden Parteien SPÖ und ÖVP gekennzeichnet, das Konkordanz-Duopol findet auch in den Dachverbänden seine Entsprechung. Die vier großen Dachverbänden, der SPÖ-nahe Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und die Arbeiterkammern (AK) sowie die mit der ÖVP eng verknüpfte Wirtschaftskammer Österreichs (WKÖ) und die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern (PRÄKO)[12] stehen jedoch in keiner Wettbewerbssituation, es können somit auch unpopuläre Ziele durchgesetzt werden.

Weiters drückt sich die enge Bindung mit den beiden Parteien in einer hohen Quote von Verbändevertretern im Nationalrat aus.[13] In der Hochblüte der korporatistischen Interessenvermittlung, in den 1960er und 1970er Jahren, wurden zwischen den Verbänden verhandelte Entscheidungen vom Parlament meist nur „durchgewunken“.[14] Aufgrund der hohen Quote der Verbandsvertretern im Nationalrat war es in dieser Zeit nicht ungewöhnlich, wenn dieselben Personen einen Sachverhalt, den sie selber mitverhandelt hatten, dann im Parlament auch per Abstimmung formell legitimierten.

Interaktionen der Sozialpartnerschaft differenzieren sich durch ihre Formalisierung, ihre langfristige Einrichtungsstruktur und insbesondere durch den hohen Stellenwert als privilegierte Mitgestalter im politischen Willenbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess aufgrund des hohen Anteils der Regierungsvorlagen im Gesetzgebungsprozess. Die traditionelle Rolle der Verbände geht demnach weit über die Beratungsfunktion und die Beteiligung an Kommissionen hinaus. Denn selbst auf parlamentarischer Ebene gibt es durch die Ausschussmitgliedschaften von Verbändevertretern Mitwirkungsmöglichkeiten. Es ist allerdings festzuhalten, dass dieses Muster nur im Bereich der Sozialpolitik dominiert, in anderen Politikfeldern sind die Netzwerke weitläufiger und es wird in der Regel ein weitaus größerer Kreis von Akteuren miteinbezogen.[15]

Makroökonomisch und politikfeldübergreifend orientierte Interessenspolitik zeigte gemeinhin positive Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft. Auch wenn der Anteil der Sozialpartnerschaft am ökonomischen Erfolg nur schwer messbar ist, so weisen einschlägige Analysen die positive Wirkung korporatistischer Arrangements auf: langfristiges Wirtschaftswachstum, eine niedrige Arbeitslosenrate, relativ geringe Inflation bei hohem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sowie einen gewissen Schutz gegen soziale Konflikte im Inneren.[16]

Auch die Schattenseiten von korporatistischen Arrangements seien genannt. So steht eine weitgehende Intransparenz sozialpartnerschaftlicher Entscheidungsprozesse einem deutlichen demokratischen Defizit[17] gegenüber - nicht umsonst wurde die Sozialpartnerschaft von der Öffentlichkeit lange Zeit kritisch beäugt und „Schattenregierung“ getauft.[18] Zudem konnte sozialpartnerschaftliche Einkommenspolitik nur bedingt zur Beseitigung ökonomischer Ungleichheit beitragen, Initiativen zur Eindämmung der Ausgrenzung und des Verarmungsrisikos im Sozialstaat sind weitgehend unterblieben. Nichtsdestotrotz, im Allgemeinen konnte sich die Sozialpartnerschaft seit jeher über große Akzeptanz unter der Bevölkerung erfreuen – auch heute noch.

[...]


[1] Zum Zeitpunkt der Abgabe der vorliegenden Arbeit im November 2008 liefen bereits intensive Regierungsverhandlungen zwischen den beiden Großparteien SPÖ und ÖVP. Sie wurden von der Öffentlichkeit als vielversprechend wahrgenommen. Vgl. z.B. Die Presse, 14.10.2008

[2] Zum Begriff „Austrokorporatismus“ siehe Tálos 2006, 425ff

[3] Tálos 2006, 426

[4] Vgl. Pribyl 1991, 17

[5] Vgl. Reiterer 2003, 298

[6] Zum Begriff „Neokorporatismus“ siehe http://www.nilsbandelow.de/gesyth03.pdf

[7] Vgl. z.B. Tálos 2006, 425ff

[8] Vgl. Tálos/Fink 2003, 194

[9] Tálos 2006, 431

[10] ebd., 432

[11] Die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer (PRÄKO) ist aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Körperschaft öffentlichen Rechts, sondern lediglich ein Verein. Vgl. Art. 15 B-VG

[12] In reinen Arbeitnehmerfragen spielen die Landwirtschaftkammern nur eine geringe Rolle. Größere Bedeutung kommt in diesem Kontext der Vereinigung Österreichischer Industriellen (VÖI) zu.

[13] 1978 betrug der Anteil der haupt- oder nebenamtlichen Funktionäre wirtschaftlicher Verbände im Nationalrat 55,8 Prozent, im Jahr 2000 ging dieser auf 14,8 Prozent zurück. Vgl. Ornezeder 2005, 97

[14] Vgl. Posmik 2004, 12

[15] Vgl. Tálos 2006, 434

[16] Vgl. ebd., 434f

[17] Vgl. Füreder 2000, 121

[18] Vgl. Reiterer 2003, 309

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Austrokorporatismus im Wandel
Untertitel
Gründe des Niedergangs der österreichischen Sozialpartnerschaft
Hochschule
Universität Wien  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
25
Katalognummer
V119147
ISBN (eBook)
9783640228287
ISBN (Buch)
9783640230259
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Austrokorporatismus, Wandel, ÖGB, Gewerkschaft, WKÖ, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, AK, Arbeiterkammer, Schwarz-Blau, Schüssel, Wende, Sozialpartner, Sozialpartnerschaft, 2000, ÖVP, FPÖ, Korporatismus
Arbeit zitieren
Gerhard Paleczny (Autor:in), 2008, Austrokorporatismus im Wandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119147

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