Desensibilisierung, Habitualisierung und der Verlust von Welt

Selbstreflexivität in Benny's Video


Seminararbeit, 2008

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
- Eine kurze Strukturanalyse
- Vorgehensweise

2. „Die Videoapparatur als Erzählerin“ (Kilb 68) – Beschreibung und Analyse der Videos
2.1 Die Videos von Evis Partys und das „Pilotenspiel“ – ein Roter Faden
2.1.1 Beschreibung
2.1.2 Analyse – das Spiel als soziale Struktur
2.2 Das Video von der Schlachtung des Schweins
2.2.1 Beschreibung
2.2.2 Analyse – Das Video von der Schlachtung
des Schweins als Exposition
2.2.3 Analyse – Wie Benny dem Mädchen das Video zeigt
2.3 Das Video von der Tötung des Mädchen
2.3.1 Beschreibung
2.3.2 Analyse – Habitualisierung, Desensibilisierung
und fehlende Welterfahrung
2.4 Video vom Verwischen der Spuren
2.4.1 Beschreibung
2.4.2 Analyse – eine Ohrfeige für den Zuschauer
2.5 Video von der Ägyptenreise
2.5.1 Beschreibung
2.5.2 Analyse – alles bleibt beim Alten – von der Medialisierung der Wirklichkeit und der Wirklichkeit der Medien
2.6 Das Video vom Gespräch der Eltern – die Auslieferung
2.6.1 Beschreibung
2.6.2 Analyse

3. Ein Film der fragmentierten Wahrnehmung

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Ästhetisierung von Gewalt gehöre zum Kino der Neunziger wie sinnloses Küssen, Singen und Tanzen zum Kino der Goldenen Zeit (vgl. Gächter, in: Ossenagg 119). Gegenprinzip zur Gewaltästhetik ist „Coolness“, karikiert beispielsweise in „Beavis and Butthead“, die regelmäßig auf MTV ihre Kommentare abgegeben haben. Sie sind sinnbildlich für den abgestumpften Zuschauer: „Monster ohne Empfindungen und ohne Motivationen [...].“ (Ossenagg 119). Ihr Lachen scheint gegen alles zu immunisieren und

„Erschreckend ist, wie ähnlich sie uns manchmal sind [...].“ (Ossenagg 119). Auch Benny, Protagonist in Michael Hanekes Film „Benny's Video“, zeigt keinerlei Emotionen und scheint komplett betäubt und berauscht von der Flut der furchtbaren Bilder, die tagtäglich auf ihn einprasselt. Durch die Alltäglichkeit verlieren die furchtbaren Bilder jedoch an Wirkung und führen zur Abstumpfung

- Gewalt in den Medien ist somit Normalität. Wie Ossenagg sagt: „Die Wahrnehmung selbst ist zum Schlachtfeld geworden.“ (Ossenagg 119). Haneke kritisiert in seinem Film „Benny's Video“ die Unmündigkeit des Zuschauers, und appelliert an eine bewusstere Wahrnehmung über den reinen Konsum hinaus.

Der Film „Benny's Video“ (1994) von Michael Haneke ist, neben „Der Siebte Kontinent“ und „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“, der zweite Teil einer Trilogie namens „Emotionale Vergletscherung“. Der Name ist Programm, das Hauptthema die emotionale Abstumpfung und Dessensibilisierung durch Reizüberflutung ausgelöst durch die Medien, die allgegenwärtig unsere Wahrnehmung beeinflussen. Hanekes These lautet also, dass die Wahrnehmungsflut zur Wahrnehmungsabstumpfung führt (vgl. Ossenagg 120). Darauf versucht Haneke seine Zuschauer aufmerksam zu machen. Wie Ossenagg formuliert sei es Hanekes Ziel „[...]den Bildern die Kraft ihres Verstörungspotentials wiederzugeben, sie wahrnehmbar zu machen.“ (Ossenagg 121).

Der Film „Benny's Video“ ist dementsprechend ein Film über Wahrnehmung in einer medial vermittelten Welt und diesbezüglich selbstreflexiv. Ziel des Films ist es

„[...] - das Sehen selbst ins Zentrum [zu] rücken. Selbstreflexiv sind insofern nicht nur Filme, die qua sujet als Selbstbespiegelung erscheinen, sondern die sich der Bilderproduktion überhaupt widmen und die fragen: Was ist ein Bild, wie strukturiert sich Wahrnehmung?“ (Reinecke 9)

Eine kurze Strukturanalyse

„Benny's Video“ ist generell in drei Teile zu gliedern. Innerhalb der ersten 20 Minuten des Filmes erfährt der Zuschauer wie Benny seinen Alltag meistert und seine Welt funktioniert. Benny ist etwa dreizehn Jahre alt, geht zur Schule und betrachtet die Welt hauptsächlich über Bildschirme. Mit seinen Eltern verbringt er wenig Zeit, bekommt ersatzweise jedoch entsprechende finanzielle Zuwendungen und technische Apparate um sich die Zeit zu vertreiben.

Die Hauptgeschichte beginnt vor der Videothek. Hier spricht Benny das Mädchen an, das sich tagtäglich die Filme in der Auslage anschaut und nimmt sie mit nach Hause. Alles in der Wohnung scheint sehr steril – spiegelnde Flächen sind in blaues Licht getaucht. Die Kommunikation zwischen den beiden ist etwas schleppend, funktioniert dank Bennys Medienequipment dann aber doch. „Super“ ist der Monitor den man wahlweise auf Außen- oder Innenansicht schalten kann. Benny zeigt dem Mädchen das Video von der Schlachtung eines Schweins und tötet sie im Anschluss.

Der letzte Teil des Films behandelt die Vertuschung der Tat durch die Eltern und die Auslieferung jener durch Benny an die Polizei.

Erzählt wird die Geschichte im Wesentlichen von Bennys Videokamera, deren Perspektive insgesamt fünfmal derjenigen der Kinokamera entspricht. Dies sind

„[...] die tragenden Momente, die Eckpfeiler des Films.“ (Kilb 68).

Vorgehensweise Anhand der von Benny gefilmten Videos sollen Bennys Wahrnehmungs- und seine daraus folgenden Handlungsstrategien beleuchtet werden. Er steht exemplarisch für eine Generation, die schon von Kleinauf dem Einfluss von Massenmedien ausgesetzt war, und demonstriert wohin ein unreflektierter Umgang mit Medien führen kann.

Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber wie viele Videos Benny eigentlich dreht. Ich werde im folgenden davon ausgehen, dass er sieben Videos aufzeichnet. In meiner Analyse dieser Videos werde ich jedoch nicht ganz chronologisch vorgehen. Das Erste ist das von Evis Party, in deren Rahmen das „Pilotenspiel“ vorgestellt wird. Am Ende des Films gibt es eine zweite Pilotenspiel-Party, die ebenfalls von Benny gefilmt wurde. Diese beiden Videos werden gemeinsam analysiert. Das zweite Video ist das von der Schlachtung des Schweins, das bereits in der Exposition gezeigt wird. Das dritte Video zeigt die Tötung des Mädchens. Darauf folgt das sechste Video, in dem Benny die Spuren seiner Tat aufräumt. Im fünften Video wird das Gespräch der Eltern, wie weiter mit der Leiche zu verfahren sei, aufgezeichnet. Dass es dieses Video gibt, stellt sich erst am Ende des Films heraus. Das sechste Video ist eher fragmentarisch und wird abwechselnd von Benny und seiner Mutter während der Reise nach Ägypten gefilmt.

Die Selbstreflexivität des Films liegt in der Art des Umgangs mit den Medien. Dadurch richtet sich Benny's Video sowohl an die Macher des Kinos als auch an den Zuschauer selbst. Hanekes Film ist „[...] Ein Kino, das die eigene Ästhetik aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien will, [...]“ (Seeßlen 48)

2. „Die Videoapparatur als Erzählerin“ (vgl. Kilb 68) - Beschreibung und Analyse der Videos

2.1 Die Videos von Evis Partys und das „Pilotenspiel“ – ein Roter Faden

2.1.1 Beschreibung

Nach der Exposition blickt die Kamera in Richtung einer Fahrstuhltür. Man sieht viele Menschen, die sich unterhalten, im Vordergrund stehen Evi und ihr Vater. Dann ein Schnitt. Wir sehen ein Video einer Party. Die Party hat offensichtlich kurz vorher noch stattgefunden, im Gegenschnitt zum Video nämlich, ist der Vater noch dabei die Partygäste zum Aufzug zu begleiten und seine Tochter zu ermahnen, beim nächsten Mal doch bitte vorher Bescheid zu sagen, wenn sie Leute mitbringt. Benny betrachtet das Video auf seinem Monitor und spult an bestimmte Stellen, bis die Stimme seiner Mutter ihn ermahnt: „Hör jetzt auf. Es ist spät genug.“. Ein letzter Knopfdruck auf Rewind, dann wechselt er auf den Fernsehkanal. In dem Video sieht man Evi, Bennys Schwester, wie sie das „Pilotenspiel“ erklärt. Das „Pilotenspiel“, im Übrigen, gibt es tatsächlich und wurde auch schon in einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ thematisiert (vgl. Metelmann 87). Haneke habe es der „Spielchen Praxis der 'Society'“ (Metelmann 87) entnommen. Es gehe darum, „[…] die Mitspieler so vehement wie möglich auszubeuten, mit deren Zustimmung natürlich – denn sie hoffen darauf, es beim nächsten Flieger, von dem sie dann mit der Kasse abspringen, wieder reinzuholen.“ (Haneke; In: Metelmann 87).

Evi führt aus, es gibt einen Piloten, der hat zwei Copiloten, die wiederum jeweils zwei Crewmember haben und diese zwei Passagiere. Die Passagiere zahlen an den Piloten und der fliegt weg. Der Flieger teilt sich also und die Copiloten werden nun zu Piloten. Für neue Passagiere muss dementsprechend auch gesorgt werden. Gewinner ist immer der Pilot und Ziel ist es, vom Passagier über die verschiedenen Stufen zum Piloten aufzusteigen, um am Ende selber mit dem Geld wegfliegen zu können. Um die erklärende Evi herum stehen ausgelassene Leute, die mit Geldscheinen wedeln. Am Ende ist ein Pappkarton mit Geld zu sehen. Ein junger Mann greift hinein und freut sich. Er scheint Pilot zu sein. Mehr erfährt der Zuschauer nicht, da Benny der Bitte seiner Mutter folgt und auf den Fernsehkanal, in eine andere Realität, umschaltet.

2.1.2 Analyse – das Spiel als soziale Struktur

Benny scheint etwas gelernt zu haben. Am nächsten Tag nämlich, in der Schule, nach dem Sportunterricht, findet er seinen ersten Copiloten. Wiederum einen Tag später, beim Chorsingen, sind die Jugendlichen kaum noch zu bremsen. Er hat seine Klassenkameraden von dem Spiel überzeugt und Geld und Tabletten wandern von Hand zu Hand. „Das himmlische Band zu Jesus wird besungen, das materielle Band der Zirkulation von Macht, Geld und Anerkennung wird eine Etage tiefer gewoben.“ (Metelmann 89). Das Spiel erinnert an „Stille Post“, diesmal aber funktioniert die Kommunikation auf der Grundlage des „Universalmediums“ (Metelmann 88) Geld. Benny hat die (gesellschaftlichen) Spielregeln verstanden. Was er einige Abende zuvor mit Hilfe seiner Videokamera aufgenommen und danach eingehend betrachtet hat, setzt er um. Zuerst medialisiert er die Wirklichkeit um sie dann zu reproduzieren und zu konsumieren. Er macht seine Erfahrungen medial und wendet sie dann in der Wirklichkeit an, was bis zu dem Punkt der Tötung des Mädchens im Prinzip auch unproblematisch ist. Es funktioniert sogar überraschend gut.

Bennys Wirklichkeit findet also auf dem Monitor statt. Man kann sie wieder und wieder betrachten, zurücklaufen lassen und langsamer oder schneller abspielen. Er konstruiert sich seine eigene Wirklichkeit. Zwar hat er selbst das Video gemacht, teilgenommen an dieser Realität hat er jedoch nicht. Stattdessen nimmt er die Wirklichkeit medial wahr. Zuerst, indem er durch die Kamera schaut, dann mit Hilfe von Tape und Monitor. Er lebt in den Wirklichkeiten der Bilder, die aber letztendlich gar keine Wirklichkeit sind, sondern eben „nur ein Spiel“(Metelmann 87). Auch die Nachrichtensendung ist aus dieser Perspektive nur eine Aneinanderreihung von Bildern. In der Berichterstattung über den Jugoslawienkrieg, sagen sie laut Bennys Mutter „Nichts“. „Der totale Bilderkrieg ist längst schon Normalität.“ (Ossenagg 119). Die Funktion dieser Sequenz ist klar. Es geht darum wie diese Familie ihre Umwelt wahrnimmt, und welche Prioritäten gesetzt werden. Man muss funktionieren in dem System, wie es die Tochter so außerordentlich gut tut, indem sie die Spielregeln anwendet hat und ihr Geld in einem ausbeuterischen Spiel verdoppelt. Sie sitzen in einer sterilen Höhle, in blaues, kaltes Licht getaucht und nehmen die Wirklichkeit über mediale Abbilder dieser wahr. Moral scheint es keine zu geben und eine differenzierte Wahrnehmung der unterschiedlichen Bilder in unterschiedlichen Formaten findet auch nicht statt. Das Video wird über den gleichen Monitor wie die Nachrichtensendung betrachtet.

„[...] von nun an bilden die Bilder aus aller Welt und deren Einstellungen den Hintergrund für die individuelle Geschichte, die sich selbst über den gleichen Monitor erzählt. Eine eigene Geschichte, die sich in der Abbildung mit anderen Abbildungen kreuzt, ohne die gleiche Realität zu haben. Ohne überhaupt eine Realität zu haben.“ (Metelmann 87).

Am Ende des Films entsteht ein zweites Video mit dem Pilotenspiel als Inhalt. Wieder gibt Evi eine Party im Haus ihrer Eltern, diesmal mit deren Einvernehmen. Dadurch ist das Pilotenspiel eine Art Rahmung in „Benny's Video“. Es steht symbolisch für ein System basierend auf Macht, Geld und Anerkennung.

[...]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Desensibilisierung, Habitualisierung und der Verlust von Welt
Untertitel
Selbstreflexivität in Benny's Video
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Film im Film – Selbstreflexives Kino
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V118992
ISBN (eBook)
9783640225491
ISBN (Buch)
9783640227167
Dateigröße
587 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Desensibilisierung, Habitualisierung, Verlust, Welt, Film, Selbstreflexives, Kino, Haneke, Selbstreflexivität, Bennys Video, Pilotenspiel
Arbeit zitieren
Alexandra Appel (Autor:in), 2008, Desensibilisierung, Habitualisierung und der Verlust von Welt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118992

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