Interkulturelle Bildung in der Schule. Ein Weg zur Integration?


Examensarbeit, 2008

87 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Gesellschaftliche, politische und institutionelle Rahmenbedingungen sowie konzeptionelle Grundlagen
2.1. Ausgangssituation
2.2. Politische Integrationsziele – Der Nationale Integrationsplan
2.3. Legitimation und Notwendigkeit Interkultureller Bildung
2.4. Verwendete Begriffe und Grundlagen
2.4.1. Kultur
2.4.2. Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität
2.4.3. Migration – Migrationshintergrund – Migrantenmilieus
2.4.4. Integration in Abgrenzung
2.4.5. Diversitätskonzept

3. Interkulturelle Bildung in der Schule – Theorie und Praxis
3.1. Entwicklung
3.2. Interkulturelle Bildung heute und ihre Dimensionen
3.3. Interkulturelle Bildung in der Schule
3.3.1. Merkmale und Aspekte Interkulturellen Lehrens bzw. Lernens
3.3.2. Ziele, Grundsätze und Prinzipien
3.3.3. Gleichwertigkeit - Ethnische Vorurteile und Rassismus
3.4. Didaktische Ansätze, Lernprozesse und Methoden
3.5. Bedeutung von Interkultureller Bildung in der Schule
3.5.1. Schule als multi- bzw. transkultureller (Lern-)Ort
3.5.2. Schule als Sozialisationsinstanz
3.6. Befähigung der Lehrkräfte
3.7. Sprache als wesentlicher Bestandteil für Integration?

4. Schlussbetrachtung

5. Anhang

6. Literaturverzeichnis und Internetquellen

1. Einleitung

Schulen müssen lebensweltliche, soziale und kulturelle Orientierungen der Individuen ermöglichen, d.h. ihnen Kompetenzen vermitteln, die sie zur Teilhabe an der Zivilgesellschaft, zur Ausübung einer Beschäftigung und zur Mitwirkung an der Kultur befähigen. Die Schule hat Aufgaben der Reproduktion, der Integration und der Innovation. [...] Die Schule muss der Integration der Gesellschaft dienen, d.h. zu den sozialen und moralischen Voraussetzungen für das gemeinsame Leben beitragen.[1]

Themen wie Migration, Integration und Multikulturalität haben derzeit Konjunktur; in den Medien sind sie ständig präsent. Die schon lange schwelende Integrationsfrage, die Straßenkrawalle in den französischen Vororten 2005, der Mord an dem Niederländer Theo van Gogh, die kontroverse Diskussion zur deutschen Leitkultur, das Zuwanderungsgesetz, die Ereignisse an der Rütlischule in Berlin und vieles mehr haben dem stets aktuellen Thema der Parallelgesellschaften oder sozialräumlichen Gettoisierung neue Brisanz gegeben. Die Integrationsdebatte in Form des zweiten Integrationsgipfels am 12. Juni 2007 bezüglich des nationalen Integrationsplans macht deutlich, dass das Thema Integration und Migration aktuelle und ausschlaggebende Impulse in der Politik der Bundesrepublik gibt. Kulturelle Vielfalt ist ein Charakteristikum unserer Gesellschaft, denn etwa 15 Millionen Menschen besitzen einen Migrationshintergrund. Die Tatsache der Heterogenität beinhaltet Konfliktpotenzial kultureller Natur, woraus sich die Frage ableiten lässt, wie diesen sozialen Konflikten vorgebeugt bzw. wie sie überwunden werden können, um ein Miteinander in einem zur gemeinsamen Heimat gewordenen Deutschland erreichen zu können. In vorliegender Arbeit wird Interkulturelle Bildung als Vermittlungsinstanz interkultureller Kompetenz – also der Fähigkeit, sich in kulturellen Überschneidungssituationen angemessen verhalten zu können - vorgestellt, insbesondere im Hinblick auf ihre Intergrationsförderlichkeit. Dies gewinnt vor allem vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass sich die gesellschaftlichen Beziehungen eben nicht in kulturell homogenen Umwelten, sondern unter kulturell sehr heterogenen Bedingungen vollziehen. Gerade in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterschiedlicher ethnischer Herkunft ist dieser Aspekt relevant. Durch die weiter steigende Zahl von Einwandererkindern an den Schulen gewinnt die Frage nach geeigneten Integrationsmaßnahmen und der Herstellung von Chancengleichheit immer größere Bedeutung und hat sich zu einer der Hauptfragen unserer Gesellschaft entwickelt. Integration vollzieht sich nicht automatisch, kann nicht von oben ‚auferlegt’, sondern muss durch einen umfassenden systematischen Ansatz vorangetrieben werden. Die Herangehensweise muss also gesamtgesellschaftlich geschehen, wobei Bildung generell, und besonders Interkulturelle Bildung, eine Schlüsselrolle übernehmen kann. Eine erfolgreiche Integration ist von verschiedenen Faktoren abhängig. In diesem Zusammenhang muss sich die Institution Schule ihrer verschiedenen Einfluss- und Unterstützungsmöglichkeiten bewusst sein und durch adäquate Mittel intervenieren. Insofern wird Interkulturelle Bildung als ein denkbar geeignetes Mittel untersucht.

Die Aufgabe der personalen und sozialen Erziehung gewinnt hier besonders an Bedeutung, weil Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher ethnischer bzw. nationaler Herkunft mit verschiedenen religiösen und kulturellen Werten und Traditionen zusammen leben und lernen. Hieraus erwächst die Aufgabe der sozialen Integration ausländischer Schülerinnen und Schüler.[2]

Die unterschiedlichen kulturellen und sozialen Erfahrungen sind unter Beachtung der eigenen kulturellen Identität für das gemeinsame Leben und Lernen zu nutzen. In diesem Kontext soll die Schülerschaft (und deren Eltern) mit Migrationshintergrund nicht unter dem Blickwinkel des Problems und der Defizitbewältigung betrachtet werden, vielmehr soll in ihnen eine Ressource gesehen werden, deren Potenziale gestärkt und genutzt werden können. Die Arbeit beleuchtet die grundlegende Fragestellung, ob und inwiefern Interkulturelle Bildung moderne Integration fördern kann bzw. inwieweit für die Integration interkulturelle Kompetenz notwendig und dienlich ist.

Um sich dem Thema zu nähern, wird im ersten Teil „Gesellschaftliche, politische und institutionelle Rahmenbedingungen sowie konzeptionelle Grundlagen“ zunächst die derzeitige Ausgangssituation in der Bundesrepublik geschildert, um dann auf politische Integrationsziele gemäß der Auffassung, die der Nationale Integrationsplann vertritt, einzugehen. Hieraus ergibt sich die „Legitimation und Notwendigkeit Interkultureller Bildung“ - insbesondere in der Schule. Nun folgt ein Exkurs, in welchem die verwendeten zentralen Begriffe definiert bzw. von ihrem alltagssprachlichen Gebrauch abgegrenzt und grundlegende Auffassungen erläutert werden. Im anschließenden Hauptteil „Interkulturelle Bildung in der Schule – Theorie und Praxis“ wird die geschichtliche Entwicklung der Interkulturellen Bildung umrissen, wobei die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hierfür als Ausgangspunkt dient, um dann auf „Interkulturelle Bildung heute und ihre Dimensionen“ näher einzugehen. Hier wird Interkulturelle Bildung in einem umfassenderen Sinne definiert. Der nächste Abschnitt beschreibt Merkmale und Aspekte sowie Ziele, Grundsätze und Prinzipien dieses Konzeptes, wobei außerdem auf den Begriff der Gleichwertigkeit im Zusammenhang mit ethnischen Vorurteilen und Rassismus eingegangen wird. Hieraus ergibt sich die Frage nach geeigneten Umsetzungsmöglichkeiten, auf die sich das Kapitel „Didaktische Ansätze, Lernprozesse und Methoden“ konzentriert. Im Folgenden wird die Bedeutung von Interkultureller Bildung in der Schule anhand „Schule als multi-bzw. transkulturellem (Lern-)Ort“ und „Schule als Sozialisationsinstanz“ erläutert., um zu belegen, welchen enormen Einfluss die Schule auf die Entwicklung der Schüler und – daraus abgeleitet – der Gesellschaft hat. Die Befähigung der Lehrkräfte stellt, wie sodann aus den voran gegangenen Kapiteln ersichtlich, einen zentralen Ansatzpunkt innerhalb der Interkulturellen Bildung dar, da diese ohne qualifiziertes Lehrpersonal nicht denkbar ist. Schließlich wird auf die Bedeutung von Sprache in Zusammenhang mit Integration, auch als Bestandteil der Interkulturellen Bildung eingegangen, wenn auch nur oberflächlich in Anbetracht der Komplexität dieser Thematik. In abschließender Betrachtung wird die zentrale Frage „Interkulturelle Bildung in der Schule – ein Weg zur Integration?“ anhand des gegebenen Überblicks und auf Grundlage der behandelten Kapitel zusammenfassend beantwortet.

Weibliche und männliche Formen bei Personen werden im Folgenden der Einfachheit halber zu der männlichen Form zusammengefasst, so z. B. ‚Lehrerinnen und Lehrer’ zu dem einen Begriff ‚Lehrer’.

2. Gesellschaftliche, politische und institutionelle Rahmenbedingungen sowie konzeptionelle Grundlagen

2.1. Ausgangssituation

Weltweit stehen Nationen heute vor der Aufgabe, Migranten in ihre politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen einzubinden. Die existierenden Unterschiede hinsichtlich Sprache, Kultur und Religion werden hierbei häufig immer noch als trennende Barriere empfunden, wobei interkulturelle Erfahrungen gerade Kindern und Jugendlichen ‚grenzenlose’ Bildungschancen bieten. Der Erfolg von wirtschaftlichen Systemen steht immer im Zusammenhang mit der Stabilität des politischen Systems und dem sozialen Frieden. Moderne Gesellschaften sind aufgrund weltweiter Migrationsbewegungen multikulturell charakterisiert, wodurch interkulturelle Begegnungen ein Alltagsphänomen darstellen. Insofern ist die Bereitschaft, aus der gemeinsamen Verschiedenheit zu lernen, nicht nur eine moralische und persönliche Verpflichtung, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit.[3] „Für 1999 wird die Zahl der in Deutschland lebenden ‚Ausländer‘ mit deutlich über sieben Millionen angegeben.“[4] Seitdem sind weitere Jahre vergangen, in denen keine Abschwächung der Zuwanderungswelle stattgefunden hat. Laut Bundesministerium des Innern wird

vor dem Hintergrund von Globalisierung, wachsender Mobilität und demographischer Entwicklung das Phänomen anhaltender Wanderungsbewegungen auch für Deutschland künftig von großer Bedeutung sein.[5]

Damit sind erhebliche Veränderungen in der Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung verbunden. Die Verteilung der Einwanderer zentrierte sich meist auf Großstädte, allerdings ist Zuwanderung heute kein spezifisches Phänomen städtischer Ballungsgebiete mehr, sondern inzwischen Alltag auch in kleinen Städten und Gemeinden sowie in ländlichen Regionen. Obwohl die Einwanderer aus vielen unterschiedlichen Kulturkreisen stammen, werden sie oftmals nicht in ‚deutschen’ Wohngebieten integriert, sondern in so genannten ‚Ghettos’ - und dort wieder innerhalb ihrer eigenen Bevölkerungsgruppe - untergebracht. Deutschland ist nicht erst kürzlich zu einem Einwanderungsland geworden, denn bereits „Mitte des vergangenen Jahrhunderts wird Deutschland zum wichtigsten Ziel von Migranten und Migrantinnen in Europa.“[6] Bereits seit Anfang der 50er Jahre wanderten verstärkt Menschen verschiedener Kulturen nach Deutschland ein. Einen Zuzug von ‚Gastarbeitern’ aufgrund des hohen Arbeitskräftebedarfs gab es vor allem in den Jahren 1961 bis 1970, zwischen 1981 und 1990 besonders von Asylbewerbern und Aussiedlern.[7] Der multikulturelle Einfluss auf unsere Gesellschaft nahm dementsprechend zu. Menschen unterschiedlicher Kulturen und mit differenten Wertvorstellungen, Sprachen, religiösen Bekenntnissen, Staatsangehörigkeiten, Sozialisationen, Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen trafen aufeinander und lebten bzw. leben zusammen in einem Land. Die Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2006 belegen den demografischen Wandel eindeutig: Heute leben in der Bundesrepublik insgesamt 15,3 Millionen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, davon fast sieben Millionen ausländische Staatsangehörige und etwa fünf Millionen Aussiedler. In Nordrhein-Westfalen besitzt etwa 23 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund.[8] Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Schülerschaft. In den Klassenzimmern ist die Realität schon längst mehrsprachig und multikulturell, d.h., dass z. B. Schüler aus zehn und mehr verschiedenen Nationalitäten in einer Klasse durchaus keine Seltenheit mehr darstellen. Anhand dieser Zahlen lässt sich schlussfolgern, dass die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund eine Größe darstellt, um die sich die öffentlichen Institutionen in ihrer Gesamtheit kümmern müssen. In seiner Rede "Die Integration von Migranten ― auch eine Aufgabe der politischen Bildung" als Eröffnungsvortrag zum Symposium "Politische Bildung für Migranten" im Forum der Konrad-Adenauer-Stiftung vom 21.03.2007 thematisiert Thomas Krüger – Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung – die heutige Problematik der Integration von Migranten mit oftmals politik- bzw. bildungsferner Schichtzugehörigkeit. Obwohl Integrationsprobleme schon seit knapp 100 Jahren in der sozialwissenschaftlichen Literatur traditioneller Einwanderungsländer diskutiert werden, konnten laut Krüger „daraus offenbar bislang keine grundlegenden Erkenntnisse gewonnen werden. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob die Länder schon vor oder erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit Migrationsfragen konfrontiert wurden.“[9] Die Verbesserung der sozialen und beruflichen Situation von Migranten gerade im Hinblick auf Bildung bzw. Ausbildung gilt als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hinderlich und problematisch hinsichtlich der sozialen bzw. beruflichen Integration ist hierbei jedoch, dass die deutschen Sprachkenntnisse selbst bei den Kindern von Migranten der zweiten und dritten Generation oft nur unvollständig sind. Darüber hinaus sind diese häufig noch geprägt durch das Wertesystem ihres Herkunftslandes, so dass sie hier in Deutschland quasi kulturell ‚in zwei Welten leben’. Als weiteres Phänomen gilt, dass gerade die Jugendlichen, die in dritter oder vierter Generation in Deutschland leben und ihr ‚Herkunftsland’ teilweise gar nicht persönlich kennen, die jeweilige Herkunftssprache, kulturelle Werte, Tradition sowie Sitten und Bräuche für sich selbst als identitätsstiftend und überaus wichtig empfinden. Dies erklärt die einzelnen Ausprägungen sozialer Probleme.

2.2. Politische Integrationsziele – Der Nationale Integrationsplan

Die Integration von Migranten in Deutschland muss also in einem umfassenden Sinne angegangen werden. Dazu gehören sozialpolitische Transferleistungen, Zugänge zu Bildung und beruflicher Absicherung sowie die ‚Öffnung des Weges in die Mitte unserer Gesellschaft’. Es gilt einerseits, die Migranten und ihre Familien bei der Wahrung ihrer Identität zu unterstützen und andererseits auch die Wahrung der demokratischen und zivilgesellschaftlichen Verfassung zu gewährleisten. Die Gesellschaft, das Wirtschaftsleben und das politische System können ohne schwerwiegende dysfunktionale Nebenwirkungen nicht bestehen, wenn Migranten an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Etwaige Auswirkungen sind als Wohlfahrtsverlust, soziale Spannungen, Verwahrlosung von Stadtteilen und höhere Kriminalität bekannt, welche letztlich die Gesellschaft als Ganzes treffen, und zwar unabhängig von Bildungsabschluss, Berufsposition und ethnischer Herkunft. Insofern hat durch eine differenziertere Beurteilung der Integrationsprobleme als „interkulturelle Probleme“ ein politischer Kurswechsel stattgefunden. Die oben genannten Ausprägungen von Desintegration tangieren die Gesamtheit der Bevölkerung, wodurch sie für alle zum Thema werden.

Mit dieser Umbewertung wurde Integrationspolitik mehrheitsfähig und gesellschaftstauglich. Wirklich erfolgreich kann sie jedoch nur dann sein, wenn sie zum integralen Bestandteil einer Gesellschaftspolitik wird, die auf die Verwirklichung der versprochenen Chancengleichheit aller [...] zielt.[10]

Als grundlegendes Motiv von Integration lässt sich nicht aber die Verhinderung von sozialen oder politischen Problemen benennen. Denn

Migration hat für Gesellschaften, wenn Integration möglich ist und ermöglicht wird, viele Vorteile, ist vielmehr wohlverstandenes Eigeninteresse. Dass die alternden Gesellschaften Westeuropas ihre Überlebensfähigkeit, die Versorgung der Alten und den Erhalt ihrer Sozialsysteme nur durch den Zuzug jüngerer Migranten und Migrantinnen gewährleisten können, ist dabei nur das offensichtlichste und am meisten akzeptierte Beispiel.[11]

Laut Bundeszentrale für politische Bildung gelten die soziale Einbindung und die Integration in das Erwerbsleben als Voraussetzung für eine gesellschaftliche Integration von Migranten. Hauptansatzpunkt hierfür ist der Bildungsbereich insofern, als dass die Schulabbrecherquote gesenkt und eine Steigerung bei allgemein- und berufsbildenden Schulabschlüssen erreicht wird.

An dieser Stelle soll nicht auf die Ursachen oder Gründe für den demografischen Wandel eingegangen werden, sondern vielmehr auf die Gestaltung des daraus resultierenden transkulturellen Zusammenlebens von Menschen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen, z. B. im Hinblick auf Bildung, Sprachkenntnisse oder berufliche Qualifikation. Es müssen klare Anforderungen definiert werden, die jemand erfüllen muss, um dauerhaft in Deutschland leben zu können. Das Ziel von Integration geht über den bloßen Organisationsaspekt des Zusammenlebens von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen hinaus. Das Bundesministerium des Innern beschreibt hinsichtlich Migration und Integration im April 2008 Mindestanforderungen zur Gewährleistung des Zusammenhalts der Gesellschaft wie folgt:

Dazu gehören die gemeinsame Sprache und die Akzeptanz der Grundwerte der Aufnahmegesellschaft. Den Zuwanderern mit einer Bleibeperspektive ist zugleich eine umfassende, möglichst gleichberechtigte und ihrer individuellen Voraussetzung und Bereitschaft entsprechende Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben zu ermöglichen. Sie sollen damit eine reale Perspektive der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft erhalten.

Es gilt der Grundsatz des ‚Förderns’ und ‚Forderns’, was Rechte und Pflichten sowohl für die Migranten als auch für die Aufnahmegesellschaft mit sich bringt. Demnach haben Migranten

die Pflicht, durch eigene Anstrengungen und unterstützt durch staatliche Angebote die deutsche Sprache zu erlernen sowie die Grundwerte unserer Gesellschaft kennen und respektieren zu lernen. Die deutsche Gesellschaft ist gefordert, Zuwanderern einen durch Chancengleichheit und Gleichbehandlung gekennzeichneten Zugang zu allen wichtigen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu gewährleisten, indem bestehende Barrieren erkannt und abgebaut werden.[12]

Unter der Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit und Integrationsfähigkeit der Bundesrepublik ermöglicht und gestaltet das Aufenthaltsgesetz die Zuwanderung. Unter diesem Gesichtspunkt besitzt Integration nicht nur einen sozialen Aspekt, sondern ist auch Mittel zur Migrationssteuerung. Als Beispiel lässt sich die Tatsache benennen, dass sich Deutschland im internationalen Wettbewerb „um die besten Köpfe zur Förderung der heimischen Wirtschaft“[13] engagiert. Auch zur Integration dieser hoch qualifizierten Migranten ist ein Migrationskonzept notwendig, das eine Begrenzung bzw. Steuerung der Zuwanderung entsprechend der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Interessen erlaubt. Die Regierung sieht ein ‚staatliches Grundangebot zur Integration’ vor, welches allen Neuzuwanderern, Ausländern mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland, Spätaussiedlern sowie Unionsbürgern zusteht und ihre eigenen Eingliederungsbemühungen in unsere Gesellschaft unterstützt. Zu den Fördermaßnahmen des Bundes gehört in erster Linie der Integrationskurs, zu dessen Teilnahme Ausländer gemäß den im Aufenthaltsgesetz genannten Voraussetzungen verpflichtet sind. Erfolgreiche Integration wird als zweiseitiger Prozess beschrieben, wobei auf Migrantenseite Identifikation und Partizipation und auf Seite der Aufnahmegesellschaft die Bereitschaft zum toleranten Umgang und offenen Miteinander im Vordergrund stehen soll. Es lassen sich folgende Punkte als grundlegende Orientierung der deutschen Integrationspolitik zusammen fassen:

- Erfüllung der humanitären Verpflichtungen, die sich aus dem Grundgesetz und aus einer Vielzahl international bindender Verträge und Pakte ergeben
- Garantie des Schutzes und der Sicherheit Deutschlands und der Menschen, die in Deutschland leben
- aktive Einbringung der deutschen Grundpositionen auf der Ebene der Europäischen Union, im Europarat und in den UN-Gremien
- Integration der auf Dauer rechtmäßig bei uns lebenden Zuwanderer als politische Schlüsselaufgabe, sowohl für den Staat auf allen Ebenen in Bund, Ländern und Kommunen als auch als zivilgesellschaftlicher Auftrag
- Integration vor allem auch als eigene Anstrengung der Zuwanderer nach dem Prinzip des ‚Förderns und Forderns’
- Berücksichtigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedürfnisse Deutschlands durch eine differenzierte, bedarfsorientierte Steuerung und Begrenzung zukünftiger Zuwanderung[14]

Der Nationale Integrationsplan stellt die Integrationspolitik in Deutschland auf eine neue Grundlage: Alle staatlichen Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - sowie Vertreter der Bürgergesellschaft und Migranten verständigten sich auf eine nachhaltige Integrationspolitik. Am 12. Juli 2007 stellte die Bundeskanzlerin beim zweiten Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt den Nationalen Integrationsplan vor. Er ist das Ergebnis von einem Jahr Arbeit. In verschiedenen Arbeitsgruppen hatten die Beteiligten darüber beraten, wo Handlungsbedarf besteht. Der Nationale Integrationsplan enthält klare Ziele sowie über 400 konkrete Maßnahmen und Selbstverpflichtungen der staatlichen und nichtstaatlichen Akteure.[15]

Er beinhaltet Ansätze einer aktivierenden und nachhaltigen Integrationspolitik, die die Potenziale der Migranten erkennt und stärkt. Ein Hauptaugenmerk liegt auf einem modernen Zuwanderungsrecht und vor allem dem Aspekt des institutionalisierten Dialogs. Es soll nicht weiter ‚über’, sondern ‚mit’ denjenigen gesprochen und diskutiert werden, um die es im Wesentlichen geht. Dies soll durch Partizipation, Engagement, Mitgestaltung und Mitbestimmung auf Migrantenseite realisiert werden. Deutlich wird aber auch die Haltung gegenüber Integrationsverweigerung bzw. der Missachtung der Grundrechte und der Verfassung ausgesprochen im Hinblick auf z. B. Parallelgesellschaften und Selbstjustiz im Namen falscher Ehrbegriffe, die laut Bundesregierung nicht geduldet werden können.

Der Nationale Integrationsplan unterteilt das Ziel Integration hinsichtlich verschiedener Herangehensweisen, die jeweils auf Bundes-, Länder- oder Kommunalebene zur Anwendung kommen. Beispielsweise sieht der Nationale Integrationsplan unter dem Kapitel „Maßnahmen des Bundes“ verschiedene Ansatzpunkte vor, die sich unmittelbar bzw. mit primärer Zweckbestimmung mit Integrationsförderung beschäftigen und wofür die Regierung innerhalb des genannten Finanzplanungszeitraums 750 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird. Aufgrund der umfangreichen Ansätze wird sich im Folgenden auf diejenigen Punkte beschränkt, die mit der vorliegenden Thematik in Verbindung zu bringen sind:

Bildung bzw. Ausbildung, Sprache, Kultur und Interkultur

Auf Bundesebene bedeutet dies zum einen „Integration durch Bildung“, „Integration durch Sprache“ und „Integration in Ausbildung und Erwerbsleben“.[16] Hier wird der Fokus auf den sicheren Umgang mit der deutschen Sprache als die wichtigste Voraussetzung für Integration gelegt, worauf sich die meisten Fördermaßnahmen beziehen. So z. B. unterstütz die Bundesregierung gemeinsam mit zehn Bundesländern die Entwicklung einer Gesamtkonzeption sprachlicher Bildung durch das Programm ‚FÖRMIG’, worauf im Rahmen vorliegender Arbeit unter dem Kapitel „Sprache als wesentlicher Bestandteil für Integration?“ genauer eingegangen werden wird.

Auf Länderebene gilt in erster Linie das Prinzip „Einheit im Ziel – Vielfalt der Wege“.[17] Neben der engen Zusammenarbeit mit dem Bund und der Zivilgesellschaft ist eine Verstetigung des Dialogs zwischen den Ländern unabdingbar. Die Länder wirken darauf hin, dass die Programme der EU, des Bundes und ihre eigenen zur integrierten Stadtentwicklung stärker für Maßnahmen der Integration genutzt werden. Hier findet ebenfalls eine besondere Betonung auf den Bildungsbereich statt, da die Bildung (in Verbindung mit Sprache) als wichtigste Ressource für eine gelingende Integration gesehen wird. Beispielsweise soll die sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe in die Konzepte der Kindertagesstätten eingebunden und die Arbeit mit Eltern aus Zuwandererfamilien verstärkt werden. Die Durchlässigkeit der bestehenden Schulsysteme soll erhöht werden, um die Übergangsquote von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an den allgemeinen Durchschnitt anzugleichen sowie innerhalb der kommenden fünf Jahre die Schulabbrecherquote der Schüler mit Migrationshintergrund senken. Darüber hinaus sollen den Schulen mit hohem Anteil an Migranten spezifische Mittel zur Unterstützung zur Verfügung gestellt werden, wie Erhöhung des Lehrpersonals und spezifische Betreuung durch Sozialarbeiter. Eine besondere Betonung liegt auf der Qualifizierung des Lehrpersonals im Rahmen der Lehrerausbildung sowie Fortbildung, so z. B. wird der Erwerb von Interkultureller Kompetenz in den Ausbildungsstandards für Lehrer festgeschrieben. Auf die Funktion des Lehrers und die Wichtigkeit und Form der Qualifizierung wird später in einem gesonderten Kapitel „Befähigung der Lehrkräfte“ eingegangen. Im Rahmen ihrer Zuständigkeit tragen die Länder zum Erfolg der Integrationskurse bei, indem sie einerseits auf eine gelungenere Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen hin wirken und andererseits auch Kindergärten, Schulen und Wohnungsunternehmen in das Netzwerk einbinden, um z. B. auch ‚Altzugewanderten’ einen besseren Zugang zu den Kursen zu ermöglichen.

Dem Beitrag der Kommunen kommt eine besondere Rolle zu, da hier die ‚Integration vor Ort’ stattfindet. Das unmittelbare Wohnumfeld hat unstrittig eine zentrale Funktion innerhalb des Integrationsprozesses, so dass die Integrationsleistung der Kommunen in Form von fachübergreifenden Gesamtkonzepten ausdrücklich vom Bund gewürdigt wird. In einigen Kommunen liegt die Zahl derer mit Migrationshintergrund bei beinahe 30 Prozent, wobei von einem weiteren Anstieg in den nächsten Jahren ausgegangen werden kann. Somit muss Integration als kommunale Querschnittsaufgabe gelten, die auch als ressortübergreifende Aufgabe in der Kommunalverwaltung zu verankern ist. Dabei geht es in erster Linie um die Unterstützung lokaler Netzwerke, die interkulturelle Öffnung der Verwaltung und Partizipation bzw. bürgerschaftliches Engagement von, für und mit Migranten. Die berufliche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund soll unterstützt werden, z. B. auch durch die Kommune in ihrer Rolle als Arbeitgeber. Hinsichtlich Sprache und Bildung hat die Kommune die Funktion, Migranten zur Wahrnehmung der bereits bestehenden Angebote des Bundes und der Länder zu animieren, sie zu informieren und entsprechend zu unterstützen. Diese Angebote sollen mit den ergänzenden Maßnahmen der Kommune vernetzt werden. Auf kommunaler Ebene spielt die Kulturpolitik in Zusammenhang mit (kultureller) Integration eine große Rolle, im Sinne von ‚Kunst verbindet Menschen unterschiedlicher Herkunft“. Insofern sind zahlreiche kommunale, interkulturelle Handlungskonzepte entstanden, wie z. B. das Pilotprojekt "Kommunales Handlungskonzept Interkultur – Land NRW sucht Best-Practice-Beispiele in der kommunalen interkulturellen Kulturarbeit"[18] im Jahr 2005. Ziel des Projektes war es, Konzepte für den Umgang mit Migration und Integration in der kommunalen Kulturpolitik zu entwickeln.

2.3. Legitimation und Notwendigkeit Interkultureller Bildung

Ausgangspunkt der Interkulturellen Bildung ist die Kulturkontaktthese, die besagt, dass das gemeinsame Leben von Menschen unterschiedlicher Kultur einen Lernprozess bei allen Beteiligten auslöst. Durch das Erkennen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten können eigene, bis dahin nicht hinterfragte Positionen, überdacht und gegebenenfalls neue Lösungsstrategien erkannt werden. Dabei geht Interkulturelle Bildung und Erziehung davon aus, dass alle Kulturen gleichberechtigt nebeneinander bestehen und der Lernprozess auf allen Seiten stattfinden kann. Diesem Ansatz liegt ein dynamischer Kulturbegriff zugrunde. Die hohe Einwanderungsrate verschiedener Kulturen in Deutschland hat gerade auf die Arbeit in der Schule große Auswirkungen. Durch die ungleiche Verteilung der Einwanderer variiert die Zahl der Schüler mit Migrationshintergrund an unterschiedlichen Schulen sehr stark. Dadurch entstehen Probleme, die jedoch nicht auf Schüler mit Migrationshintergrund zurückzuführen sind, sondern auf die mangelnde Flexibilität der Institution Schule. In Schulen wird generell der Versuch unternommen, eine homogene Gruppe herzustellen, um auf einem einheitlichen Niveau unterrichten zu können. Dies ist jedoch weder in einer rein muttersprachlich deutschen Klasse noch in einer Klasse mit Migrantenschülern möglich, da die Leistung verschiedener Schüler immer differiert. Die Homogenität bezieht sich faktisch nur noch auf das Alter. Eine Vielzahl der Schüler ist im Laufe ihrer Biografie sozial, körperlich, oder psychisch beschädigt worden und zwar unabhängig von ihrer Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit, was zu verschiedenen Defiziten führen kann. Dabei stellt der Faktor ‚Migrationshintergrund’ nur ein erschwerendes Element unter vielen anderen dar, das die Integration in gesellschaftliche Prozesse erschweren kann. Auch innerhalb der ‚ursprünglichen’ deutschen Bevölkerung finden Differenzierungsprozesse statt, da ökonomische, ökologische, politische und soziale Entwicklungen tief in die Bevölkerungsstruktur und deren Selbstempfinden eingreifen. Großen Veränderungen und Erschütterungen in den wirtschaftlichen Grundlagen des Landes, weg von der Industriegesellschaft, hin zur postindustriellen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft führen zu sozialen Spannungen. Für viele Schüler ist das Erlebnis anstelle von Arbeit – die heutzutage nicht mehr wie selbstverständlich für jeden zur Verfügung steht - als Lebensziel ins Zentrum des Interesses gerückt. Es gibt Strömungen, die sich an althergebrachten Werten orientieren, Gruppen, die in ihren Einstellungen weit über das hinauszielen, was immer noch von weiten Teilen der Gesellschaft als Norm angesehen wird, und dazwischen unzählige weitere Gruppen oder Individuen. Durch zahlreiche Einflüsse - wie z. B. eine beinahe schon übergroße Medienvielfalt - sind inzwischen kulturelle Formen und Subkulturen entstanden, die so weit ausdifferenziert sind, dass auch zwischen ihnen eine Vermittlung notwendig wird, um ein Miteinander zu ermöglichen. Die Vielfalt lässt dem Einzelnen eine so große Wahl, das hinsichtlich der eigenen Identitätsbestimmung Verunsicherungen eintreten können. Auch diesen Umständen muss Schule Rechnung tragen. Es werden also hohe Erwartungen an die Schule und ihre Lehrkräfte gestellt. Es bleibt festzuhalten, dass ethnische, sprachliche und kulturelle Vielfalt kein marginales Phänomen mehr in deutschen Klassen ist; es gehört vielmehr zum alltäglichen Bild. Diese Veränderung der Schülerpopulation nimmt Einfluss auf die Heterogenität der Lernvoraussetzungen. Insofern müssen geeignete Umgehensweisen und Konzepte entwickelt und zur Anwendung gebracht werden. Dementsprechend existiert aus heutiger Sicht nicht nur ein Rechtfertigungsanspruch für Interkulturelle Bildung – insbesondere in der Schule - sondern auch eine Notwendigkeit. In den vergangenen Jahren wurde im Bildungsbereich eine Fülle von Anregungen und Programmen entwickelt, wie auf die größer gewordene kulturelle Vielfalt in der Bundesrepublik Deutschland angemessen reagiert und die heranwachsende Generation auf die Anforderungen einer erhöhten beruflichen Mobilität, der europäischen Integration und des Lebens in ‚Einer Welt’ vorbereitet werden kann.[19]

Um zu begründen, warum Interkulturelle Bildung und Erziehung heute erforderlich bzw. unerlässlich ist, lassen sich verschiedene teils eng zusammenhängende politische und gesellschaftliche Entstehungen benennen:

Unsere Zeit ist von einer zunehmenden Internationalisierung geprägt, d. h. soziale, politische, ökonomische und ökologische Entwicklungen vollziehen sich in hohem Maße in weltweiten Bezügen. Die Vereinigung Europas mit allen unterschiedliche Sprachen und Traditionen hat hierfür einen entscheidenden Grundstein gelegt. Die Intensivierung internationaler Beziehungen prägt die Herangehensweise an Probleme insofern, als dass die Lösungen für Schlüsselprobleme oftmals nur noch im Bewusstsein Einer Welt tragfähig erscheinen, so z. B. die Einigkeit darüber, dass die weitere Zerstörung unseres Planeten nur noch durch gemeinsame Anstrengung aller Menschen aufzuhalten ist.[20]

Der Aspekt der Herausbildung der Weltgesellschaft mit ihrer kulturellen Vielfalt spielt eine entscheidende Rolle. Die weltweite Vernetzung aller Lebensbereiche und globale Wissensverbreitung über Massenmedien spiegelt sich in der veränderten Wahrnehmung der Menschen. Beispielsweise werden Ereignisse aus entfernten Regionen von den Medien täglich und unmittelbar präsentiert und fühlen sich somit viel ‚näher’ an, als sie faktisch sind. Moderne Kommunikationsmittel und ausgeprägte Verkehrsnetze ermöglichen rasante weltweite Kontakte und Verbindungen. Aufgrund persönlicher und beruflicher Mobilität werden staatliche und kulturelle Grenzen überschritten. Die Globalisierung hat auch den „Erlebnis- und Erfahrungshorizont von Kindern und Jugendliche ‚globalisiert’ und zur Ausprägung einer internationalen Jugendkultur beigetragen, in der individuelle Unterschiede in weltumspannenden Orientierungen und Konsumgewohnheiten eingeebnet erscheinen.“[21] Neben diesen Interessenähnlichkeiten gibt es allerdings auch Unterschiede in den Alltagserfahrungen Jugendlicher, die von ihrer unmittelbaren Lebenswelt (Sprache, Sozialisation, soziale Einbindung) geprägt sind. Ebenso wie bei Erwachsenen finden sich bei den Jugendlichen Voreingenommenheiten aufgrund eines etwaigen Mangels an differenzierten Kenntnissen und Akzeptanz anderer Lebensweisen und kulturellen Identitäten. Hiervon bleibt auch die Schule nicht unberührt.

Ferner stellen weltweite Migrationsbewegungen (insbesondere auf der südlichen Halbkugel) ebenfalls einen Faktor dar, die das Thema Zuwanderung weiterhin aktuell bleiben lassen. Die wirtschaftlichen, demografischen und sozialen Unterschiede zwischen Nord und Süd, West und Ost, die Hoffnung auf sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg, ein internationales Arbeitsplatzangebot, aber auch politische und religiöse Unterdrückung, Kriege und ökologische Katastrophen haben vielfältige Wanderungsbewegungen ausgelöst, von denen alle Kontinente betroffen sind. Dadurch sind Gesellschaften entstanden, die weder in sprachlicher noch nationaler noch ethnischer Hinsicht homogen sind.[22]

Innergesellschaftlich spielen also vor allem migrationsbedingte Gründe eine Rolle, die im Rahmen des demografischen Wandels zur Veränderung der deutschen Gesellschaftsstruktur führen. Allein aus demografischer Perspektive nehmen Schüler mit Migrationshintergrund somit eine Rolle ein, die die Schule berücksichtigen muss.

Darüber hinaus existieren bildungspolitische Gründe in Bezug auf den Umgang mit der Geschichte und Rolle der Schule im werdenden Nationalstaat einerseits und der Bildungsbeteiligung von Schülern mit Migrationshintergrund andererseits. Die Vorstellung, was Schülerinnen und Schüler in der Schule lernen sollen, ist beeinflusst von der Zeit der Nationalstaatsbildung nach 1871. Schule sollte dazu beitragen, ein einheitliches deutsches Nationalbewusstsein zu vermitteln. Hochdeutsch wurde zur Pflichtsprache, Dialekte und andere Sprachen wurden verboten und deutsche Literatur – nicht Weltliteratur – stand im Vordergrund, z. B. im Geschichtsunterricht. Es wurden Traditionslinien einer nationalen deutschen Geschichte entwickelt.[23] Weiterhin wird über die ‚Entdeckung’ Amerikas unterrichtet. Türken kommen als ‚Bedrohung’ des Abendlandes vor. Das Christentum hat sich ‚ ausgebreitet’, der Islam hingegen hat ‚ erobert’“. Das heutige Bildungssystem ist offenbar immer noch davon beeinflusst, da die Perspektiven der Betrachtung weitgehend konstant geblieben sind. Natürlich hat seit 1871 eine deutlich progressive Entwicklung stattgefunden, die sich auch im Curriculum niederschlägt, trotzdem sind nicht alle Aspekte vollständig aufgearbeitet worden.

Die Schule muss ihr Curriculum angesichts einer heterogenen Schülerschaft und einer globalisierten Welt erweitern bzw. entsprechend anpassen. Migrationshintergrund und Bildungsgang sind eng miteinander verknüpft. Fakt ist, dass sich die Gruppe der Schüler mit Migrationshintergrund in den Bildungsgängen, die zum Hauptschul- oder Realschulabschluss führen konzentrieren, während sie an den Gymnasien unterrepräsentiert ist. Die Zahlen vergrößern sich, wenn man die Schüler nach ihrer Muttersprache bzw. die Eltern nach ihrer Familiensprache befragt. Kinder und Jugendliche aus Familien, in denen beide Elternteile nicht in Deutschland geboren sind, besuchen zu fast 50 Prozent die Hauptschule und zu knapp 15 Prozent das Gymnasium. Ist zumindest ein Elternteil in Deutschland geboren, sinkt der Anteil der Hauptschüler auf etwas über 30 Prozent und der Anteil der Gymnasiasten wiederum steigt auf über 30 Prozent.[24] Dies hat beispielsweise zur Folge, dass Mehrsprachigkeit und Deutsch als Zweitsprache keine Seltenheit mehr an deutschen Schulen darstellt. Interkulturelle Bildung und Erziehung hat natürlich auch die Bildungsbeteiligung von Schülern mit Migrationshintergrund im Blick. Viele Migranten besitzen laut PISA einen bildungsfernen Hintergrund bzw. einen schwachen sozioökonomischen Status, so dass es gilt die ‚Korridore zu öffnen für eine Mittelschichtsbildung von Migranten’. Insofern hat dieses Konzept einen starken sozialen Aspekt und ließe sich im Kern mit der klassischen Sozialen Arbeit vergleichen. Anders ausgedrückt:

Migrationssozialarbeit ist ein entscheidender Aspekt der Unterstützung von Menschen in schwierigen Lebenslagen als Hilfe. Interkulturelle Bildung und Erziehung weitet dies um die Idee, transkulturelle Prozesse, kulturellen Austausch und Akzeptanz zu fördern.[25]

2.4. Verwendete Begriffe und Grundlagen

Die in der vorliegenden Arbeit zentralen Begriffe werden an dieser Stelle erläutert, um das Verständnis der zugrunde liegenden Thematik zu erleichtern und eine schlüssige Verortung bezüglich der Themenstellung zu ermöglichen. Ebenso werden bisher bereits verwendete Begriffe im Folgenden ausführlicher definiert und hinsichtlich des alltagssprachlichen Gebrauchs abgegrenzt.

2.4.1. Kultur

Zunächst muss sich dem Begriff der Kultur als Schlüsselbegriff genähert werden, wobei sich die Bedeutungswichtigkeit sich selbst im Wortlaut widerspiegelt und sowohl im Hinblick auf Multi kultur alität als auch auf Inter kultur elle Bildung ausschlaggebend ist. Hierbei geht es um Kultur im Rahmen des Interkulturalitätsdiskurses um aufzuzeigen, dass kulturelle Verschiedenheit eine Quelle für Missverständnisse und Probleme in einer multikulturellen Gesellschaft darstellen kann und Gefahren bestehen bei der Wahrnehmung, Interpretation und Beurteilung von Menschen anderer kultureller Herkunft (z. B. in Form von Vorurteilen, Rassismus, usw.). Es gibt eine Fülle von Versuchen, Kultur zu definieren. Für die vorliegende Arbeit ist es wichtig, Kultur nicht als etwas Statisches und ‚In-sich-Homogenes’ aufzufassen. Wie problematisch diese Begriffsbestimmung auch zu sein scheint, es gibt eine Übereinstimmung darüber, dass der Kulturbegriff gerade hinsichtlich Interkultureller Bildung breit gefasst werden muss. Nicht nur die eigentliche ‚Hochkultur’, wie Literatur, Kunst, Musik, sondern auch und besonders die Alltagskultur, d.h. der Umgang der Menschen miteinander im täglichen Leben, muss Berücksichtigung finden. Hierzu zwei anschauliche Definitionen:

[...]


[1] http://www.mpib-berlin.mpg.de/en/mitarbeiter/edelstein/pdf/fuenfte_empfehlung.pdf (01.07.2008)

[2] Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW (Hg.): Geschichte/Politik Lernbereich Gesellschaftslehre. Sekundarstufe I Hauptschule. Richtlinien und Lehrpläne. Schriftenreihe Schule in NRW Nr. 3202/1. Düsseldorf. 2002

[3] BMW Group (Hg.): LIFE – Ideen und Materialien für interkulturelles Lernen. 5. Auflage. München. 2007, S. 1

[4] Diehm ; Isabell / Radtke, Frank-Olaf: Erziehung und Migration - eine Einführung. Stuttgart. 1999. S. 9

[5] http://www.zuwanderung.de/3_polit-ziele.html (20.05.2008)

[6] Mecheril, Paul: Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim. 2005. S. 7

[7] Wenning, Norbert: Migration und Ethnizität in pädagogischen Theorien. Münster. 1993. S. 17

[8] Angabe des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen, 2006

[9] http://www.bpb.de/presse/A6V3TG,0,Die_Integration_von_Migranten_8213%3B_auch_eine_Aufgabe_der_politischen_Bildung.html (20.05.2008)

[10] Belwe, Katharina: Integration. (Editorial) Bpb: Aus Politik und Zeitgeschichte. 22-23/2007. S. 2

[11] http://www.bpb.de/presse/A6V3TG,0,Die_Integration_von_Migranten_8213%3B_auch_eine_Aufgabe_der_politischen_Bildung.html (20.05.2008)

[12] Bundesministerium des Innern: Migration und Integration. Aufenthaltsrecht, Migrations- und Integrationspolitik in Deutschland. April 2008 www.bmi.bund.de (20.05.2008)

[13] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.): Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege – Neue Chancen. Berlin. 2007, S. 7

[14] vgl. http://www.zuwanderung.de/nn_1068532/DE/Zuwanderung__ist__Zukunft/Politische __Ziele/Politische__Ziele__node.html?__nnn=true 8 (02.07.2008)

[15] http://www.zuwanderung.de/3_polit-ziele.html (10.05.2008)

[16] http://www.bmj.bund.de/files/-/2322/2007-07-12-nationaler-integrationsplan_KURZFASSUNG.pdf, S. 3-4 (16.06.2008)

[17] http://www.bmj.bund.de/files/-/2322/2007-07-12-nationaler-integrationsplan_KURZFASSUNG.pdf, (16.06.2008)

[18] http://www.bund.nrw.de/index.php?mapid=465 (04.07.2008)

[19] vgl. http://www.kmk.org/doc/publ/zuwander.pdf (02.07.2008)

[20] vgl. http://www.kompetenz-interkulturell.de/userfiles/Grundsatzartikel/Interkulturelles%20Lernen.pdf (17.06.2008)

[21] Hartung, Regine: Einführung in das Aufgabengebiet Interkulturelle Erziehung, 3. aktualisierte Auflage. Hamburg. 2004

[22] Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 25.10.1996: Empfehlung „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“. S.7

[23] http://www.hamburger-bildungsserver.de/interkulturell/hamburg/einfuehrung.pdf (20.05.2008)

[24] vgl. Baumert, Jürgen. u. a. (Hg.): PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen. 2002

[25] Vahsen, Friedhelm : Migration und Soziale Arbeit. Konzepte und Perspektiven im Wandel. Neuwied. 2002. S. 64

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Interkulturelle Bildung in der Schule. Ein Weg zur Integration?
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
87
Katalognummer
V118711
ISBN (eBook)
9783640219551
ISBN (Buch)
9783640219636
Dateigröße
762 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interkulturelle, Bildung, Schule, Integration
Arbeit zitieren
Jennifer Lückerath (Autor:in), 2008, Interkulturelle Bildung in der Schule. Ein Weg zur Integration?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118711

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