Das "Haut-Ich" und die soziale Bedeutung der Haut


Seminararbeit, 2008

14 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

2. Physiologische Funktion der Haut
2.1 Aufbau der Haut

3. Psychologische Funktion der Haut

4. Das Haut-Ich

5. Berührung
5.1 Soziale Funktion der Haut

6. Schlusswort

7. Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In unserer Gesellschaft haben sich zahlreiche Redewendungen über die Haut festgesetzt. So spricht der Volksmund in etwa von einem „dünnhäutigen“ Menschen, der im Vergleich zu anderen sensibler erscheint, oder aber im Gegensatz dazu von einem Menschen mit „einem dicken Fell“. In beiden Fällen wird auf das größte menschliche Organ, die Haut, verwiesen. Aus diesem Sprachgebrauch geht hervor, dass sie als Synonym bzw. Metapher der Individualität steht. Besonders in Bezug auf das eigene Wohlempfinden werden Redewendungen gebraucht, die sich auf unsere äußere Hülle beziehen, wie etwa, „sich nicht wohl in seiner Haut fühlen“, es geht ihm „unter die Haut“, oder „nicht aus seiner Haut können“. So ist die Haut als äußere Hülle im Vergleich zu unseren inneren Organen sichtbar offen und bezieht sich über den Hautbegriff auf unsere innersten Zustände.

Mythen, wie der des enthäuteten Marsyas, verleihen der Haut die Eigenschaft einer Schutzhülle. In der Kunstgeschichte wird das Enthäuten denn auch als Machtvollzug gedeutet. Der Enthäutete kann ohne seine schützende Hülle nicht weiterleben. Gleichzeitig steht das Enthäuten für einen Neubeginn, da durch das Abziehen der alten Haut etwas Neues gedeihen kann und es somit einen metamorphorischen Charakter annimmt. Die Haut steht in dieser Hinsicht sowohl für den Verlust des Selbst als auch für dessen Gewinn (Vgl. Benthien, Claudia, S. 107).

Auch in den Legenden des „Achill“ und des „Siegfried“ wird der Haut eine schützende Funktion zugewiesen. Ihre „Panzerhaut“ macht sie beinahe unverletzlich respektive göttlich und verleiht ihnen übermenschliche Kräfte.

Diese Beispiele aus der Literatur- und Kunstgeschichte zeigen, wie weitreichend das Thema der Haut behandelt wird. In der folgenden Arbeit setze ich die genannten Mythen bzw. Literaturgeschichte um die Haut voraus, um mein Hauptaugenmerk auf die von Didier Anzieu vollzogene Beschreibung des „Haut-Ichs“ zu legen. Daraus leitet sich die These dieser Arbeit ab, „welche soziale Bedeutung die Haut in unserer Gesellschaft einnimmt“. Um der Aufarbeitung dieser These gerecht zu werden, gebe ich zuerst einen physiologischen Überblick über den Aufbau der Haut. Hieraus soll ersichtlich werden, welche Bedeutung die Haut für den Körper, aber eben auch für die Psyche einnimmt. So bezeichnet Uwe Gieler „die Haut als Spiegel der Pyche 1 Aus den psychischen Funktionen der Haut heraus erklärt sich die These Anzieus eines Haut-Ichs. Im Anschluss daran werde ich die Wichtigkeit von Berührungen für den Menschen und die soziale Funktion der Haut erörtern, ehe abschließend ein zusammenfassender Kommentar zu diesem Thema erfolgt.

2 Physiologische Funktion der Haut

Die Haut umhüllt uns vollkommen, ist das früheste und sensitivste unserer Organe, unser erstes Medium des Austauschs und unser wirksamster Schutz 2

Die Haut ist das größte menschliche Organ. Ihre Oberfläche beträgt ca. 1,5 – 2 m², welches einem Anteil am Körpergewicht von 15-20 % entspricht. Somit schützt sie den Körper bzw. die inneren Organe vor äußeren Reizen und wird demnach auch als „Hüllorgan“ bezeichnet. Bereits nach Ende des zweiten Schwangerschaftsmonats bildet sich die Haut des Embryos im Mutterleib aus dem Ektoderm3 heraus . Dies ist auch der Ort der Entstehung für die Haare, die Augen, die Sinnesorgane des Geruchs, des Geschmacks, des Sehens, des Hörens und der Empfindung, also all das, was eine Verbindung mit den außerorganischen Vorgängen eingeht. Der Tastsinn ist der Sinn, der am unmittelbarsten mit der Haut verbunden ist. Die erste Sinneswahrnehmung des Menschen basiert demzufolge auf der Taktilität, welche sich noch vor den auditiven und den visuellen Sinneswahrnehmungen herausbildet. Auf der Hautoberfläche befindet sich eine beträchtliche Anzahl von sensorischen Wahrnehmungsorganen, die Empfänger von verschiedenen Reizen sind. Die Hautoberfläche ist somit für die Empfindsamkeit von Hitze, Kälte, Berührung und Schmerz zuständig. Die von Ashley Montagu herausgearbeiteten vier physiologischen Funktionen der Haut:

1. das Innere des Organismus vor mechanischen Verletzungen und Strahlenschäden und vor dem Eindringen fremder Substanzen und Organismen zu schützen; 2. als Sinnesorgan; 3. als Temperaturregulator; 4. als Träger des Stoffwechsels, Fettdepot und Stoffwechselorgan bei Wasser- Salzmetabolismus der Perspiration4 zu dienen (Vgl. Montagu, Ashley, S. 8), unterstreichen zudem die schützenden und weiterreichenden Funktionen der Haut. Des weiteren vermittelt sie dem Mensch ein Gefühl einer äußeren Begrenzung zu seiner Umgebung. Denn durch die Haut bekommt er Kontakt zu seiner Umwelt und erfährt sich selbst.

2.1 Der Aufbau der Haut

Der Aufbau der Haut soll hier lediglich einen kurzen Überblick verschaffen helfen5. Die Haut besteht zunächst aus drei Schichten, der Oberhaut (Epidermis), der Lederhaut (Corium) und der Unterhaut (Subcutis), welches durch die beigefügte Abbildung verdeutlicht werden soll:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Oberhaut ist von einer Emulsion aus Wasser (hydro) und Fett (lipos), dem sogenannten Hydrolipidfilm, überzogen. Dieser „Film“ schützt unseren Körper einerseits vor dem Eindringen von Pilzen und Bakterien und stellt somit eine äußere Barriere dar. Andererseits sorgt er dafür, dass unsere Haut geschmeidig bleibt. Im optimalen Fall ist ein Gleichgewichtsverhältnis zwischen Wasser- und Fettanteilen von je 50% gegeben. Die Haut schützt uns somit vor Einflüssen aus der Umwelt, „sie gibt dem Körper durch den Zusammenhalt des Skelettes und der Muskeln seine Form 6 Sie ist mit äußerster Sensibilität ausgestattet, so findet man pro Quadratzentimeter 7 bis 200 Tastkörperchen, die für unsere Wahrnehmung elementar sind (Vgl. Gieler, Uwe, S. 14). Zudem stellt die Haut ein Verbundsystem zu den anderen Sinnesorganen her. Insbesondere zu den auf der Haut liegenden Nervenzellen, die eingehende Informationen von der Haut über das Nervensystem zum Gehirn weiterleiten. Wachstum und Entwicklung der Haut dauern ein Leben lang an, zumal sich die Haut selbst regenerieren7 kann. Bereits bei einem Hautverlust von 20 % fällt der Schutzmechanismus der Haut ein und der Organismus kommt zum Erliegen. Zusammenfassend kann die Haut auch als ein Kommunikationsorgan bezeichnet werden. Sie gewährt dem Menschen Schutz und Abgrenzung gegenüber seiner Umwelt und stellt gleichzeitig sein Verbindungsorgan zu ihr dar, indem Informationen von den auf der Haut liegenden Nervenzellen direkt an das Gehirn weitergeleitet werden. Das Bewusstsein des Menschen wird also im wesentlichen über die Haut erfahren und vermittelt somit zwischen ihm und seinem Selbst (Vgl. Anzieu, Didier, http://deposit.ddb.de S 1).

3 Psychologische Funktion der Haut

Die Haut liefert dem psychischen Apparat durch ihre Schutzfunktion diejenigen Vorstellungen, die zur Entstehung des Ichs und seiner Funktion führen 8

Wie vorab beschrieben dient die Haut dem menschlichen Körper als Sinnesorgan, über welchen wir Einflüsse aus der Umwelt wahrnehmen und verarbeiten. Die Gleichzeitigkeit des Empfindens von sowohl berühren und berührt werden zeigt, welche Bedeutung die Haut für den Menschen einnimmt. Sie ist der einzige selbstreflexive Sinn des Menschen und lässt ihn darüber mit seiner Umwelt kommunizieren. Die Perzeption der Haut vollzieht sich sowohl exterozeptiv wie auch propriozeptiv. Die Exterozeptoren nehmen Eindrücke auf, die von außen auf den Körper eindringen, während die Propriozeptoren hauptsächlich als Empfänger für innerhalb des Körpers entstehende Reize dienen. So kann man den Worten von Ashley Montagu folgen, „dass die Haut mehr als alle anderen Organe auf das Bewusstsein des Menschen einwirkt 9“. Zudem nehmen wir über die Haut Zeitunterschiede zwar schlechter als mit dem Ohr und Räumlichkeiten schlechter als mit dem Auge wahr, jedoch ist die Haut im Stande, Zeit und Raum gleichzeitig zu erfassen bzw. zu verbinden (Vgl. Anzieu, Didier, S. 27). Diese Eigenschaft der Haut ist elementar für die Entwicklung eines Selbst, vielmehr einer „Ich-Werdung“ und zeigt wie sehr sie unseren „Psychischen Apparat“ mit Einflüssen von außen nach innen versorgt und vor allen Dingen schützt. So sagt der Zustand der Haut sehr viel über unser gesundheitliches Empfinden aus. Die Haut kann somit „als Spiegel der Psyche 10 bezeichnet werden. Zumal Emotionen über die Haut vermittelt werden, was verdeutlicht, wie innere Zustände durch die Haut ausgedrückt werden. Wenn unsere Psyche die von außen aufgenommen Reize nicht mehr vollständig verarbeiten kann, zeigt sich dies oftmals an Symptomen auf der Hautoberfläche. So kann man zwischen 30-60% aller Hauterkrankung einer psychischen Ursache zuschreiben. Der Juckreiz auf der Haut wird häufig durch erhöhten Stress aus der Umwelt, der psychisch nicht kompensiert worden ist, erfahren. Das Wohlempfinden eines Menschen drückt sich also über den Zustand der Haut aus, denn eine„Unreine Haut hat immer etwas mit der psychischen Befindlichkeit zu tun 11“. Dieser psychosomatische12 Charakter der Haut zeigt die enge Verbindung zwischen dem Selbst und dem Organ der Haut. Einen engen Zusammenhang stellen auch alltägliche Sprachgebräuche wie „spüren, empfinden, fühlen, sich berühren lassen“, hinsichtlich unseres Gemütszustandes und der Haut als Kommunikationsorgan dar.

[...]


1 Gieler, Uwe, S. 30

2 Ashley Montagu, S. 8

3 Ist das äußere Keimblatt des Embryos 4 Hautatmung

5 da eine tiefere Auseinandersetzung mit diesem Themengebiet den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde

6 Gieler, Uwe, S. 22

7 Die Regenerationszeit beträgt in der Regel 21 Tage.

8 Anzieu, Didier: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv idn=980602947&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=980602947.pdf, S. 1

9 Montagu, Ashley, S. 9-10

10 Gieler, Uwe, S. 30

11 Gieler, Uwe, S. 43

12 Wechselwirkungen zwischen Seele (Psyche) und Körper (Soma)

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Das "Haut-Ich" und die soziale Bedeutung der Haut
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Kultur- und Kunstwissenschaften)
Veranstaltung
Wahrnehmung – Imagination - Körper
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
14
Katalognummer
V118605
ISBN (eBook)
9783640219803
ISBN (Buch)
9783640220007
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Haut-Ich, Didier Anzieu, Sigmund Freud, Ich, Psychologie, Physiologie, Gieler, Montagu, Haut, Wahrnehmung, Imagination, soziale Funktion
Arbeit zitieren
Julian Thiele (Autor:in), 2008, Das "Haut-Ich" und die soziale Bedeutung der Haut, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118605

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