Personenbezogenes Erinnerungsbewusstsein

Überprüfung der Figur/Grund Hypothese bei der Verarbeitung von Personeneigenschaften


Diplomarbeit, 2007

114 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Gegenstand und Zielsetzung
1.2 Überblick

2 Das Remember/Know Paradigma
2.1 Erinnerungsbewusstsein
2.2 Remember/Know Paradigma in der experimentellen Forschung
2.3 Empirische Befunde zum Erinnerungsbewusstsein
2.3.1 Effekte auf „Erinnern“, nicht auf „Wissen“
2.3.2 Effekte auf „Wissen“, nicht auf „Erinnern“
2.3.3 Gegenteilige Effekte
2.3.4 Paralleleffekte
2.3.5 Schemageleitete und soziale Informationsverarbeitung
2.4 Theorien zum Erinnerungsbewusstsein
2.4.1 Der Systemansatz
2.4.2 Der Prozessansatz
2.4.3 Der Distinctiveness/Fluency Ansatz
2.4.4 Die Signalentdeckungstheorie
2.4.5 Das Independence Remember/Know Modell
2.4.6 Zusammenfassung

3 Figur/Grund Trennung
3.1 Gestaltfaktoren
3.1.1 Klassische Gestaltfaktoren
3.1.1.1 Symmetrie
3.1.1.2 Orientierung
3.1.1.3 Bedeutung
3.1.1.4 Flächengröße
3.1.2 Neue Gestaltfaktoren
3.1.2.1 Watercolor effect
3.1.2.2 Lower region
3.1.2.3 Top-bottom polarity
3.2 Zusammenfassung

4 Eigene Untersuchung 49
4.1 Herleitung und Fragestellung
4.1.1 Wehr (2005); Experiment 1
4.1.2 Wehr (2005); Experiment 2
4.1.3 Wehr (2005); Experiment 3
4.1.4 Wehr (2005); Experiment 4
4.1.5 Eigenes Experiment
4.2 Hypothesen
4.2.1 Lernphase
4.2.2 Testphase
4.3 Methode
4.3.1 Probanden und Versuchsplan
4.3.2 Material
4.3.3 Durchführung
4.4 Ergebnisse
4.4.1 Befunde aus der Lernphase
4.4.2 Befunde aus der Testphase
4.4.2.1 Allgemeine Gedächtnisleistung
4.4.2.2 Reproduktionsleistung
4.4.2.3 Metakognitive Urteile
4.4.2.4 Quellengedächtnis
4.4.2.5 Falsch erinnerte Wörter

Diskussion

Literatur

Anhang

1 Einleitung

1.1 Gegenstand und Zielsetzung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Figur/Grund Hypothese bei der Erinnerung von Personeneigenschaften anhand des Gestaltfaktors der Flächengröße zu prüfen. Dazu werden insbesondere drei Elemente aus verschiedenen psychologischen Forschungsrichtungen miteinander in Beziehung gesetzt: Gestaltfaktoren aus der Wahrnehmungspsychologie, das Remember/Know Paradigma aus der Kognitiven Psychologie und der Bereich der sozialen Informationsverabeitung aus der Sozialpsychologie.

In vielen Standardwerken der Wahrnehmungs- psychologie ist Edgar Rubins (1886-1951) bekanntes Gesicht-Vase Muster zu finden. Es zeigt in seinem Zentrum eine Vase, die von zwei einander zugewandten Gesichtsprofilen umgeben wird. Dabei treten je nach Aufmerksamkeitsfokussierung die Vase oder die Gesichter als Figur in den Vordergrund. Diese Darstellung wird oft verwendet, um die phänomenologischen Charakteristika und zugrunde- liegenden Faktoren der Figur/Grund Trennung zu beschreiben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1.1: Reversibles Figur/ Grund Muster. Die Vase oder die Gesichter werden zur Figur gruppiert (Rubin, 1915).

Die Forschung interessiert sich im Rahmen der Kognitiven Psychologie seit geraumer Zeit für die Erfassung von Bewusstseinszuständen, die Erinnerungen begleiten. Der Gedächtnispsychologe Endel Tulving führte im Jahre 1985 das Remember/Know Paradigma ein, nach dem zwei subjektiv verschiedene Erlebnisqualitäten im Moment des Erinnerns unterschieden werden: Erinnerungen können entweder von lebhaften, klaren und intensiven Gefühlen des Wiedererlebens begleitet werden (remember; „Erinnern“) oder mit weniger lebhaften Gefühlen im Zusammenhang stehen. Dieses Gefühl gleicht eher einer bloßen Vertrautheitsempfindung, die man beim Abruf von abstraktem Wissen wahrnimmt (know; „Wissen“).

Wehr (2005) beschäftigte sich mit dem Erinnerungsbewusstsein bei sozialer Informationsverarbeitung und ging dabei der Frage nach, wie die Erinnerung an eine Person erlebt wird. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:

Wenn Sie gebeten würden, Ihren besten Freund zu beschreiben, würden Ihnen wahrscheinlich spontan einige Eigenschaften einfallen, die ihn aus ihrer Sicht am zutreffensten charakterisieren. Bei der Suche nach passenden Eigenschaften könnten Sie einige Ereignisse zur Hilfe nehmen, die Sie gemeinsam erlebt haben. Sie könnten Ihren Freund z.B. „sportlich“ nennen, da sie häufig gemeinsam trainieren. Vielleicht erinnern Sie sich auch an seine momentan konfliktreiche familiäre Lage und bezeichnen ihn als „belastbar“, da er Ihnen erzählt hat, wie gut er mit der Situation zurecht kommt. Während der Beschreibung dieser Eigenschaften haben Sie vielleicht das Gefühl, diese Erinnerungen klar und lebhaft zu erinnern („remember“). Darüber hinaus fallen Ihnen noch „tolerant“ und „verträumt“ als zutreffende Beschreibung ein. Diese Eigenschaften kommen Ihnen weniger spontan in den Sinn und erscheinen Ihnen eher diffus und kontextlos („know“).

In den Experimenten zum Erinnerungsbewusstsein bei schemageleiteter Verarbeitung von personalen Eigenschaften konnte Wehr (2005) zeigen, dass das Einnerungsbewusstsein nach Gesetzmäßigkeiten funktioniert, die den Organisationsprinzipien der Figur/Grund Trennung ähneln. Im Laufe der Zeit sind sogenannte Gestaltfaktoren formuliert worden, die für den strukturellen Wahrnehmungsprozesse der Figur/Grund Trennung von Bedeutung sind. Anhand des Gestaltfaktors der Flächengröße soll in dieser Arbeit die Figur/Grund Hypothese bei der Erinnerung von Personeneigenschaften näher erforscht werden.

1.2 Überblick

Kapitel 2 beginnt mit einer allgemeinen Einführung in das Remember/Know Paradigma (2.1). Dann wird ein Überblick über die Geschichte der Forschung zu „Erinnern“ und „Wissen“ gegeben (2.2) und im Anschluss wichtige Befunde dazu referiert (2.3). Zum Ende des Kapitels werden einige Theorien zum Erinnerungsbewusstsein vorgestellt (2.4).

In Kapitel 3 wird zunächst eine Einführung in die Figur/Grund Thematik gegeben (3.1) und anschließend einige klassische Gestaltfaktoren (3.2) und neue Gestaltfaktoren (3.3) beschrieben.

In Kapitel 4 werden verschiedene Studien von Wehr (2005) zum Erinnerungsbewusstsein bei Personeneigenschaften zusammenfassend dargestellt (4.1) und die Hypothesen zur eigenen Untersuchung beschrieben (4.3). Im weiteren Verlauf des Kapitels folgt die Darstellung der Methode (4.4) und der Ergebnisse (4.5).

Die Ergebnisse werden abschließend in der Diskussion (5) interpretiert und diskutiert.

2 Das Remember/Know Paradigma

2.1 Erinnerungsbewusstsein

Seit langer Zeit beschäftigten sich Menschen mit dem, was heute in der wissenschaftlichen Psychologie Bewusstsein genannt wird. Schriftsteller, Philosophen, Mediziner und Vertreter anderer Disziplinen setzten sich mit diesem Thema intensiv, wenn auch häufig nur spekulativ auseinander. Vieles bestand aus „epistemological, metaphysical, and existential “ (Dodwell, 1975) Gedankenspielen, die den Bezug zu empirischen Fakten und Erkenntnissen vermissen ließen. Ein solcher empirischer Fokus, mit Hilfe dessen die Strukturen bewusster Erfahrungen genauer untersucht werden sollten, wurde von Tulving (1985) durch Verwendung eines neuen Paradigmas ermöglicht: Das Remember/Know Paradigma. Konkret geht es hierbei um die Erforschung des sogenannten Erinnerungsbewusstseins (recollective experience oder retrieval experience). Erinnerungsbewusstsein beschreibt das Gewahrsein eines Erinnerungsabrufs (Wehr, 2005) oder anders: die bewusste subjektive Erlebnisqualität im Moment des Erinnerns.

Wehr (2005) stützt sich auf Beschreibungen der Hauptvertreter des Remember/Know Paradigmas (Gardiner, 1988; Rajaram, 1993, 1999; Tulving, 1985) und definiert beide distinkte Bewusstseinszustände dieses Paradigmas wie folgt:

„Erinnern“ (remember) korrespondiert mit einem subjektiven Gefühl des Wiedererlebens von bestimmten Ereignissen aus der Vergangenheit und kennzeichnet eine lebhafte, klare und intensive Erinnerung. Die Umstände des Ereignisses, wie zum Beispiel die räumlich- zeitliche Identifizierung sowie Gedanken, Geräusche oder Gerüche, die das Ereignis begleitet haben, können detailliert nacherlebt und erinnert werden.

„Wissen“ (know) meint den Zustand des Erinnerns ohne lebhaftes Wiedererleben, also das Gewahrsein bestimmter Ereignisse aus der Vergangenheit mehr als Fakten, denn als persönlich erlebte Erfahrungen. Die Umstände des Ereignisses werden nicht erinnert. Die Qualität der Erinnerung entspricht dem Vertrautheitsgefühl, das man beim Abruf von abstraktem Wissen empfindet.

In der englischsprachigen Literatur sind oft alternative Begriffsbezeichnungen für remember oder know anzutreffen, in der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe jedoch stringent in der exakten Übersetzung „Erinnern“ und „Wissen“ verwendet. Um Verwechslungen mit dem im allgemein deutschen Sprachgebrauch üblichen Erinnern1 zu vermeiden, werden bei Verwendung der Begriffe „Erinnern“ und „Wissen“ im Sinne der Definition Wehrs (Wehr, 2005) diese stets in Anführungszeichen gesetzt.

In experimentellen Untersuchungen werden meist Rekognitionstests zur Erforschung des Remember/Know Paradigmas eingesetzt (Gardiner & Richardson-Klavehn, 2000). Die Standardprozedur dieser Testform besteht aus zwei Phasen: In der ersten Phase, der Lernphase, wird den Versuchspersonen eine Liste von Items präsentiert, die gelernt werden soll. In der zweiten Phase, der Testphase, wird ihnen eine längere Liste von Items vorgelegt, die aus Originalitems (target items) und Distraktoritems (distractor items), also Items, die in der Liste der Testphase nicht vorhanden waren, besteht. Lernphase und Testphase werden häufig durch eine Distraktorphase, durch die eine kognitive Auseinandersetzung mit dem Material der Testphase verhindert werden soll, getrennt. Die Versuchspersonen werden nun gebeten eine „Ja“-Antwort für diejenigen Items abzugeben, von denen sie glauben, dass sie in der Liste der Testphase vorhanden waren („ALT“-Entscheidung). Eine „Nein“-Antwort sollen sie für solche Items abgeben, von denen sie glauben, dass sie in der Liste der Testphase nicht vorhanden waren („NEU“-Entscheidung). Diese Entscheidung kann korrekt (Treffer) oder inkorrekt (falscher Alarm) sein. Trifft die Versuchsperson nun eine „ALT“- Entscheidung, soll sie in einem zweiten Schritt den Abruf der Gedächtnisinformation begleitenden Bewusstseinszustand („erinnern“ oder „wissen“) angeben. Weitere Variationen und alternative Testmöglichkeiten zur Erforschung des Paradigmas lassen sich in der Literatur finden (z.B. Java, 1994; Lindsay & Kelly, 1996; Mäntylä, 1994; Rajaram & Hamilton, 2003; Tulving, 1985). Um Zuordnungsfehler der Bewussteinszustände zu vermeiden, werden die Instruktionen zur Unterscheidung zwischen „Erinnern“ und „Wissen“ schriftlich gegeben und mit den Versuchspersonen besprochen. Im Anschluss werden sie aufgefordert, die Unterscheidung in eigenen Worten wiederzugeben, um letzte Unklarheiten festzustellen und zu beseitigen. Ziel dieser Vorgehensweise ist es, die Fehlervarianz zu reduzieren.

Die Beschreibung der Standardprozedur lässt auf den ersten Blick eine Nähe zur klassischen Methode der Introspektion vermuten: Die Versuchspersonen werden gebeten, das, was in ihrem Bewusstsein aufgrund von kontrollierter Simulation vorgeht, bewusst zu betrachten und verbal wieder zu geben. Von diesen Beschreibungen werden Verbatimprotokolle angefertigt und anschließend analysiert und kategorisiert, mit dem Ziel, Anzahl und Arten der Elemente im Bewusstsein zu bestimmen. Der Verwendung des Remember/Know Paradigmas unterscheidet sich jedoch von der klassischen Methode der Introspektion: Die Versuchspersonen werden gebeten zwischen zwei mentalen Zuständen zu unterscheiden ohne dabei detailgenau auf die Inhalte einzugehen und diese zu verbalisieren. Damit ist es möglich, qualitative Erfahrung zu quantifizieren.

Werden zwei oder mehrere zugrundeliegende Bewusstseinsprozesse angenommen, die einen Effekt erklären sollen, sind grundsätzlich drei Beziehungen (Abbildung 2.1) möglich, die in folgenden Modellen ausgedrückt werden können (Jacoby, Yonelinas & Jennings, 1997): Erstens ein Unabhängigkeits-Modell (independence), innerhalb dessen angenommen wird, dass verschiedene Prozesse getrennt voneinander wirksam werden können. Bewusstsein und Unterbewusstsein können zusammen oder einzeln einen Einfluss ausüben. Zweitens ein Exklusivitäts-Modell (exclusivity), in dem sich die Prozessabläufe gegenseitig ausschließen, die Wirkung also auf jeweils genau einen Prozess zurückgeführt werden kann. Ein Effekt zeigt sich ohne gemeinsame Anteile aufgrund des Bewussteins oder des Unterbewusstseins. Drittens ein Redundanz-Modell (redundancy), in dem das Ergebnis nur durch einen Prozess beeinflusst werden kann, wenn auch der andere Prozess wirksam ist. Ein Prozess A kann dabei weniger, gleich und mehr Einfluss als ein Prozess B haben. Bewusstsein wird hier als Teilmenge des Unterbewussten interpretiert.

Da es sich innerhalb des Remember/Know Paradigmas um zwei distinkt erlebte Bewusstseinszustände der Erinnerung handelt, erscheint das Exklusivitäts-Modell am ehesten mit dem Verständnis dieses Ansatz vereinbar. Personen erfahren eine Erinnerung entweder lebhaft, klar und detailreich („remember“)) oder weniger lebhaft, diffus und detailliert im Sinne eines bloßen Vertrautheitsempfindens („know“).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.1: Darstellung von drei möglichen Relationen zwischen Unterbewusstsein (U) und Bewusstsein (B).

2.2 Remember/Know Paradigma in der experimentellen Forschung

Mit „Of all the mysteries of nature, none is greater than human consciousness” (Tulving, 1985, p. 1) begann Tulving im Jahre 1985 seinen Artikel „Memory and Conciousness” und führte ein neues Paradigma des Erinnerungsbewusstseins ein. Zunächst ging er von verschiedenen hierarchisch angeordneten Gedächtnissystemen aus: Prozedurales, semantisches und episodisches Gedächtnissystem. Das prozedurale Gedächtnis beinhaltet die Erinnerung daran, wie man Dinge tut und wird verwendet, um Fertigkeiten zu erwerben, abzuspeichern und bei Bedarf anzuwenden (Tulving, 1983). Dieses Gedächtnis wird durch anoetisches (nicht erkennendes) Bewusstsein ausgedrückt, was die Fähigkeit beschreibt, externe und interne Reizveränderungen wahrzunehmen. Das semantische Gedächtnis enthält das symbolisch repräsentierte Wissen einer Person über die Welt und steht im Zusammenhang mit noetischem (wissenden) Bewusstsein. Noetisches Bewusstsein stellt die Fähigkeit dar, Bewusstsein über Objekte, Situationen und deren Bezug zueinander zu bekommen, auch wenn diese nicht unmittelbar wahrnehmbar sind. Das episodische Gedächtnis vermittelt die Erinnerung an persönlich erlebte Ereignisse und wird dem autonoetischen (selbst- wissenden) Bewusstsein zugeordnet. Autonoetisches Bewusstsein drückt die Erfahrung aus, Bewusstsein über persönliche Lebensgeschichte (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) zu erlangen (siehe Tabelle 2.1). Nach Tulving (1985) sollte der Abruf aus dem episodischen Gedächtnis mit dem Bewusstseinszustand „erinnern“ und der Abruf aus dem semantischen oder prozeduralen Gedächtnis mit dem Bewusstseinszustand „wissen“ einhergehen.

Tabelle 2.1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Erste Wege, autonoetisches Bewusstsein messbar zu machen schlug, Tulving (1985) selbst vor: Nachdem Versuchpersonen ein zuvor gelerntes Item aus ihrem Gedächtnis abgerufen oder wiedererkannt hatten, sollten sie entscheiden, ob sie das Item „erinnert“ oder „gewusst“ hatten. Die Rate der „erinnert“-Urteile sollte autonoetisches Bewusstsein dokumentieren.

In einem ersten Experiment benutze er drei unterschiedliche Testformate, um die Verfügbarkeit von semantischen Hinweisreizen und episodischen Spureninformationen zu manipulieren: Ein Free-Recall Test, in dem die Versuchspersonen gebeten wurden, so viel wie möglich zu erinnern; ein Category-Recall Test, in dem die Oberbegriffe der Kategorien der zu erinnernden Wörter vorgegeben wurden (z.B. musical instrument – VIOLA), und ein Letter- Recall Test, in dem zusätzlich zu den Oberbegriffen der Kategorien der Anfangbuchstabe des zu erinnernden Wortes vorgeben wurde. Im Free-Recall Test sollte ein erfolgreicher Abruf von episodischen Spureninformationen abhängen, die sich in einer hohen Rate der „erinnert“-Urteile ausdrücken sollte. In den anderen Testformaten sollte die Verfügbarkeit von semantischen Hinweisreizen zunehmen und sich somit die Zahl der „erinnert“-Urteile verringern2. Die Ergebnisse bestätigten diese Annahmen: Die Rate der „erinnert“-Urteile stieg mit abnehmender Verfügbarkeit von semantischen Hinweisreizen. In einem zweiten Experiment erweiterte er die Versuchsanordnung um ein siebentägiges Retentionsintervall. Die Zahl der „erinnert“-Urteile verringerte sich innerhalb dieses Zeitraums. Der Gedächtnisabruf naher Ereignisse sollte somit, so die Interpretation Tulvings, eher von autonoetischem Bewusstsein begleitet werden, als zeitlich länger zurückliegende. Über eine möglicherweise veränderte Rate der „gewusst“-Urteile wurden keine Angaben gemacht.

Gardiner (1988) interessierte sich einige Jahre später für die funktionellen Zusammenhänge zwischen episodischen Gedächtnisphänomenen und Erinnerungs- bewusstsein. Er legte seinen experimentellen Fokus im Unterschied zu Tulving, der die Abrufbedingung variierte, auf die Enkodiersituation. In einem ersten Experiment präsentierte er seinen Versuchspersonen Wortlisten, die entweder auf phonetischer Stufe oder semantischer Stufe verarbeitet werden sollten (siehe 2.3.1). Es zeigte sich, dass der Effekt der Verarbeitungstiefe (level of processing) sowohl in einer veränderten allgemeinen Wiedererkennungsrate als auch in einer unterschiedlichen Rate der „erinnert“-Urteile zu finden war. Die Wörter der höheren Verarbeitungstiefe wurden eher „erinnert“ als die Wörter der niedrigen Verarbeitungstiefe. „Gewusst“-Urteile wurden durch die Variation nicht beeinflusst. In einem weiteren Experiment sollte eine Wortliste bearbeitet werden, indem entweder Wörter generiert oder einfach gelesen wurden (siehe 2.3.1). Die Wörter in der Generierungsbedingung wurden eher wiedererkannt und häufiger mit einem „erinnert“- Urteil versehen, als die Wörter der Bedingung, in der die Wörter gelesen wurden.

„Gewusst“-Urteile wurden von dieser Manipulation der Enkodierbedingung wiederum nicht beeinflusst. Gardiner ordnete seine Befunde zwei zugrundeliegenden Prozessen zu, wonach „erinnern“ Ausdruck einer konzeptgesteuerten Verarbeitung sei und die elaborierte Komponente widerspiegele und „wissen“ Ausdruck datengetriebener Verarbeitung sei und die stimulusintegrative Komponente darstelle. „Wissen“ könne vom systemtheoretischen Blickwinkel aus betrachtet ebenso eine Form des prozeduralen Gedächtnissystems beschreiben oder aber Primingprozesse im semantischen Gedächtnissystem widerspiegeln.

Im Jahre 1993 führte Rajaram weitere Experimente zum Remember/Know Paradigma durch und untersuchte Effekte der Verarbeitungstiefe, der Bildüberlegenheit und des perzeptuellen Primings. Die Befunde zeigten sowohl entgegengesetzte Wirkrichtungen der verschiedenen Variablen auf „erinnert“- und „gewusst“-Urteile als auch unterschiedliche Effekte (siehe 2.3). Rajaram interpretierte ihre Ergebnisse im Sinne dualer Prozesstheorien (z.B. Jacoby, 1983a, 1983b; Jacoby & Dallas, 1981; Mandler, 1980), die integrative Prozesse mit Gedächtnisleistungen impliziter Tests und elaborierte Prozesse mit Gedächtnisleistungen expliziter Tests in Zusammenhang bringen. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass innerhalb des Remember/Know Paradigmas „erinnert“-Urteile eher Effekte konzeptuellen Stimulusmaterials, das in expliziten Gedächtnistests eingesetzt wird, und „gewusst“-Urteile eher Effekte perzeptuellen Stimulusmaterials, das in impliziten Gedächtnistests verwendet wird, reflektierten. Rajaram (1993) folgerte, dass „erinnert“-Urteile selektiv durch konzeptuelle Prozesse und „gewusst“-Urteile durch perzeptuelle Prozesse beeinflusst werden.

Wenig später konnte Rajaram (1996) Effekte perzeptueller Variablen auf „erinnert“-Urteile nachweisen, was sie zu einer Revision ihrer zuvor postulierten Annahmen veranlasste. In einem ersten Experiment wurden den Versuchspersonen Bilder und Wörter präsentiert und darauf in einem Rekognitionstest in Wortform erneut vorgelegt. Es wurden mehr „erinnert“- Urteile abgegeben, wenn das Stimulusformat in Lern- und Testphase übereinstimmte (Bild – Bild), als wenn sich das Format unterschied (Wort – Bild). In Experiment 2 wurde die perzeptuelle Ähnlichkeit zwischen Test- und Lernphase durch gleiche oder veränderte Bildgröße von Strichzeichnungen manipuliert. Die Rate der „erinnert“-Urteile fiel höher aus, wenn die Größe der Strichzeichnungen übereinstimmte, als wenn die Größe der Strichzeichnungen variiert worden war. In Experiment 3 wurde die perzeptuelle Ähnlichkeit verändert, indem die links-rechts Orientierung der Objekte entweder gleich gehalten oder verändert wurde. Bei gleicher Orientierung der Objekte in Lern- und Testphase wurden mehr „erinnert“-Urteile abgegeben, als wenn die Orientierung gewechselt wurde. Diese Ergebnisse veranlassten Rajaram (1996) den Distinctiveness/Fluency Ansatz (siehe 2.4.3) zu formulieren. Danach wird „Erinnern“ selektiv durch distinkte Merkmale des Stimmulusmaterials beeinflusst und „Wissen“ selektiv durch Flüssigkeit der Verarbeitung, und zwar unabhängig davon, ob die Verarbeitungsprozesse durch konzeptuelle oder perzeptuelle Variablen initiiert wurden.

Noch im gleichen Jahr publizierte Donaldson (1996) ein weiteres Modell, das auf signalentdeckungstheoretischen Überlegungen aufbaute und die gefunden Dissoziationen in den abgegebenen „erinnert“- und „gewusst“-Urteilen erklären sollte. Er nahm an, dass Versuchpersonen auf dem Kontinuum einer Gedächtnisspur zwei Kriterien setzten: Ein „Ja/Nein“ Kriterium und ein „erinnert“/„gewusst“ Kriterium, dass die „Ja“-Entscheidung noch einmal unterteilt. Weitere Erklärungsmodelle folgten: z.B. Independence Remember/Know Modell (Jacoby et al., 1997), Zwei-Prozessvariante der Signalentdeckungs- theorie (Yonelinas, 2001) und das Summen/Differenz Modell (sum–difference theory of remembering and knowing; STREAK) (Rotello, Macmillan & Reeder, 2004).

2.3 Empirische Befunde zum Erinnerungsbewusstsein

Im Folgenden werden empirische Befunde zum Remember/Know Paradigma vorgestellt. Die Zusammenstellung der Befunde erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es werden Befunde referiert, die zum theoretischen Verständnis des Remember/Know unentbehrlich erscheinen und als empirisch gut abgesichert gelten. Die Befunde werden in vier Kategorien zusammengefasst, die die Wirkungsrichtung der Effekte auf „erinnert“- und „gewusst“- Urteile beschreiben: Effekte auf „Erinnern“ nicht auf „Wissen“ (2.3.1), Effekte auf „Wissen“ nicht auf „Erinnern“ (2.3.2), Gegenteilige Effekte (2.3.3) Paralleleffekte (2.3.4). Anschließend werden Befunde schemageleiteter und sozialer Informationsverarbeitung vorgestellt. Überblicksartig sind einige Untersuchungen in Tabelle 2.2 dargestellt.

Tabelle 2.2

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2.3.1 Effekte auf „Erinnern“, nicht auf „Wissen“

Verarbeitungstiefe (level of processing) - Gardiner (1988: Exp. 1) variierte die Verarbeitungs- tiefe, indem die Versuchspersonen zu den zu lernenden Wortlisten in der Bedingung „hohe Verarbeitungstiefe“ semantische Assoziationen und in der Bedingung „niedrige Verarbeitungsbedingung“ Reime zu den einzelnen Wörtern finden sollten. In der anschließenden Testphase sollten sie die zuvor bearbeiteten Wörter identifizieren und jedes Wort mit dem metakognitiven Urteil „erinnert“ oder „gewusst“ versehen. Die Wörter der Bedingung „hohe Verarbeitungstiefe“ wurden häufiger richtig wiedererkannt und zudem häufiger mit einem „erinnert“-Urteil versehen. Auf „gewusst“-Urteile hatte die Variation der Bedingungen keinen Einfluss, d.h. in beiden Bedingungen wurden gleich viele Wörter „gewusst“.

Generierungseffekt (generation effect) - Gardiner (1988: Exp. 2) legte seinen Versuchspersonen in der Lernphase eine Liste mit antonymen Wortpaarungen vor, zu denen in der Bedingung „Generierung“ jeweils ein Gegenwort entwickelt wurde und in der Bedingung „Lesen“ die Wortpaarungen gelesen wurden. In der Bedingung „Generierung“ wurden, wie erwartet, mehr Wörter richtig wiedererkannt als in der Bedingung „Lesen“. Zudem wurden für die Wörter der ersten Bedingung mehr „erinnert“-Urteile abgegeben als in der zweiten Bedingung. Auf die „gewusst“-Urteile schien der Generierungseffekt keinen Einfluss auszuüben, was in einer für beide Bedingungen gleichen Erinnerungsrate abgelesen werden konnte.

Eine von Rajaram (1993: Exp. 1) durchgeführte Replikation des Experiments 1 von Gardiner (1988) zeigte ebenso einen Rückgang der „erinnert“-Urteile unter der Bedingung „niedrige Verarbeitungstiefe“. Bezüglich der „gewusst“-Urteile konnte jedoch im Gegensatz zu Gardiner ein leichter Zuwachs unter der Bedingung „niedrige Verarbeitungstiefe“ verzeichnet werden.

Gardiner , Java & Richardson-Klavehn (1996) unterzogen sechs Untersuchungen zur Verarbeitungstiefe (Gardiner, 1988; Gregg & Gardiner, 1994; Perfect, Williams & Anderton- Brown, 1995; Rajaram, 1993) einer erneuten Analyse. Auf den ersten Blick schienen die Daten einen umgekehrten Effekt der Verarbeitungstiefe für „gewusst“-Urteile zu belegen: „gewusst“-Urteile waren in den meisten von Gardiner et al. (1996) referierten Studien in der Bedingung „niedrige Verarbeitungstiefe“ häufiger zu finden als in der Bedingung „hohe Verarbeitungstiefe“, wenn auch nicht immer signifikant. Wurden jedoch von der Treffer- Rate der „gewusst“-Urteile die falschen Alarme abgezogen, waren in diesen Studien keine Unterschiede in den verschiedenen Stufen der Verarbeitungstiefe zu finden. In weiteren Studien belegten die Autoren, dass die „gewusst“-Kategorie von der Variation der Verarbeitungstiefe unberührt bleibt, wenn zusätzlich eine Kategorie „raten“ (guessing) eingeführt wird. Mit Hinzunahme der „geraten“-Kategorie sollte verhindert werden, dass bei unsicheren Urteilen fälschlicherweise „erinnert“- oder „gewusst“-Urteile (meist „gewusst“-Urteile) vergeben wurden. Zusammenfassend zeigte sich in allen Studien ein deutlicher Effekt der Verarbeitungstiefe auf „erinnert“-Urteile, die in der hohen Verarbeitungsstufe häufiger wiedergegeben wurden, und keinerlei Beeinflussung der „gewusst“-Urteile in den verschieden Bedingungen.

Wortfrequenz (word frequency) – Gardiner und Java (1990) verglichen die Erinnerungsleistung von Wörtern, die im Sprachgebrauch eher selten zu finden waren, (niedrige Wortfrequenz) mit Wörtern, die häufig benutzt wurden (hohe Wortfrequenz). Die niedrigfrequenten Wörter wurden zahlreicher wiedererkannt als die hochfrequenten Wörter und gleichzeitig eher „erinnert“. Die Rate der „gewusst“-Urteile unterschied sich zwischen den Bedingungen nicht.

Aufmerksamkeit (attention) – Gardiner und Parkin (1990) führten eine Untersuchung durch, in der sich die Versuchpersonen in der Bedingung „ungeteilte Aufmerksamkeit“ eine Wortliste aneignen sollten und in einer zweiten Bedingung „geteilte Aufmerksamkeit“ zusätzlich die Höhe (hoch, mittel, tief) eines Tones angeben sollten, der zeitgleich mit dem zu lernenden Material präsentiert wurde. Das Ergebnis dieser Untersuchung zeigte einen Effekt der Aufmerksamkeitvariation auf die „erinnert“-Urteile, die in der Bedingung „ungeteilte Aufmerksamkeit“ vermehrt zu finden waren. „Gewusst“-Urteile blieben in beiden Bedingungen unbeeinflusst.

Serielle Position (serial position effect) – Jones und Roediger (1995) führten Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen serieller Position eines zu erinnernden Wortes innerhalb einer Wortliste und dem Bewusstseinsstatus „erinnert“ und „gewusst“ durch. Der Effekt der seriellen Position spiegelte sich nur in den „erinnert“-Urteilen wider und konnte für die „gewusst“-Urteile generell nicht nachgewiesen werden, d.h. die Wörter zu Beginn und zum Ende der Liste wurden eher „erinnert“, als diejenigen Wörter, die sich in der mittleren Position befanden (Primacy- und Recency-Effekt).

Homografen und Orthografen (homographs and orthographs) – Rajaram (1998) untersuchte die Effekte von konzeptueller Salienz und perzeptueller Distinktheit auf das Erinnerungsbewusstsein. In einem ersten Experiment präsentierte sie in der Lernphase Homografen (bank) entweder in einer dominanten Wortkombination (money -BANK) oder in einer nicht-dominanten Wortkombination (river -BANK). Es wurde erwartet, dass die dominante Wortkombination eher konzeptuell salient wird, d.h. eher aus dem Kontext der anderen Wörter hervortritt, als die nicht-dominante Wortkombination. Dabei sollten im Rahmen des Distinctiveness/Fluency Ansatzes die „erinnert“-Urteile in der Bedingung „dominante Wortkombination“ zunehmen. Die Ergebnisse (Abbildung 2.2a) zeigen eine höhere Wiedererkennungsleistung (W.erk) für die Wörter aus der Bedingung „dominante Wortkombination“. Gleichzeitig wurden diese eher „erinnert“. Für die „gewusst“-Urteile konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden.

Um eine Manipulation der perzeptuellen Verarbeitung vorzunehmen, legte Rajaram in einem zweiten Experiment Versuchpersonen orthografisch vertraute (sailboat) und orthografisch distinkte (subpoena) Wörter vor. Die Ergebnisse der Testphase (Abbildung 2.2b) zeigten einen Anstieg der Rate der „erinnert“-Urteile in der Bedingung „orthografisch distinkte Wörter“ gegenüber der Bedingung „orthografisch vertraute Wörter“. Auch hier konnten keine signifikanten Unterschiede in den „gewusst“-Urteilen gefunden werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.2: Diagramm (a) zeigt die Verteilung der Wiedererkennensleistung (W.erk) und der „erinnert“ und „gewusst“-Urteile bei Homografen, Diagramm (b) die der Orthografen.

2.3.2 Effekte auf „Wissen“, nicht auf „Erinnern“

Perzeptuelles Wiederholungspriming (masked repetition priming) – In einem Experiment von Rajaram (1993: Exp. 3) wurde der Zusammenhang zwischen perzeptueller Verarbeitungsgeschwindigkeit (perceptuell fluency3) und „erinnert“- bzw. „gewusst“- Urteilen betrachtet.

Tabelle 2.3

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten3

In einem Rekognitionstest wurde hierzu dem Zielwort ein subliminales Prime vorangestellt, das dem Zielwort auf perzeptueller Ebene entweder identisch war oder nicht. Die Wörter wurden häufiger wiedererkannt, wenn das Zielwort mit dem Prime übereinstimmte (table – TABLE), als wenn das Zielwort mit dem Prime keine Ähnlichkeit aufwies (scale – PLATE). Ebenso wurden neu präsentierte Wörter (Distraktoren), die zuvor nicht gelernt wurden, fälschlicherweise häufiger als bekannt identifiziert, wenn ihnen das gleiche Wort vorangestellt wurde (falsche Positive). Unter der Annahme, dass „erinnert“- Urteile eher von konzeptuellen Prozessen und „gewusst“-Urteile eher von perzeptuellen Prozessen abhängen, sollte bei veränderter perzeptueller Verarbeitungsgeschwindigkeit selektiv die Zahl der „gewusst“-Urteile variieren. Die „erinnert“-Urteile sollten sich durch diese Art der Manipulation nicht beeinflussen lassen. Die Ergebnisse (siehe Tabelle 2.3) bestätigten diese Überlegungen: „erinnert“-Urteile unterschieden sich innerhalb der Bedingungen nicht signifikant bedeutsam, und „gewusst“-Urteile profitierten sowohl bei korrekter „Alt“-Entscheidungen als auch bei falschen Alarmen von der perzeptuellen Gleichheit des vorgeschalteten Primes.

Konzeptuelles Wiederholungspriming (masked repetition priming) – In einem Rekognitionstest wurden zuvor gelernte und neue Wörter präsentiert, denen ein Prime vorgeschaltet wurde, der entweder einen semantischen Bezug zu dem folgenden Wort hatte (sugar – SWEET) oder nicht (fruit – INK). Die Darbietung des Primes lag mit 150 ms nicht mehr in den Bereich der subliminalen Wahrnehmung. Rajaram und Geraci (2000) testeten mit diesem Design im Rahmen des Distinctiveness/Fluency Ansatzes (siehe 2.4.3) die Hypothese, dass „gewusst“- Urteile selektiv durch Verarbeitungsflüssigkeit beeinflusst werden können, die durch konzeptuelle Manipulation hervorgerufen wurde.

Tabelle 2.4

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ihre Ergebnisse (siehe Tabelle 2.4) zeigten, dass signifikant mehr „gewusst“-Urteile vergeben wurden, wenn dem Zielwort ein Prime vorgeschaltet wurde, der einen semantischen Bezug zu dem folgenden Wort hatte, als wenn der semantische Bezug nicht vorhanden war. Diese Effekte wurden sowohl für Wörter, die zuvor gelernt worden waren, als auch für neue Wörter beobachtet. Ebenso konnten keine Unterschiede in den Reaktionszeiten der Alt/Neu – Entscheidungen gefunden werden. Gefühle der Vertrautheit sind somit nicht ausschließlich darauf zurückzuführen, dass ein Item zuvor gelernt wurde, sondern können auch durch andere Quellen hervorgerufen werden können (Lindsay & Kelly, 1996; Verfaellie & Cermak, 1999; Whittlesea, Jacoby & Girard, 1990). „Erinnert“-Urteile wurden durch die Variation der Verarbeitungsflüssigkeit nicht beeinflusst. Dies führte zur Annahme, dass „gewusst“-Urteile durch Verarbeitungsgeschwindigkeit erklärt werden können und nicht ausschließlich von perzeptuellen Prozessen bestimmt werden.

2.3.3 Gegenteilige Effekte

Bildüberlegenheitseffekt (picture-superiority effekt) – Rajaram (1993; Exp. 2) untersuchten in einem Rekognitionstest den Einfluss symbolischer Präsentationsformen (Bild vs. Wort) auf das Einnerungsbewusstsein. In der Lernphase wurden die zu lernenden Wörter entweder in Bildform oder in Wortform gezeigt, die es nach zehnminütiger Distraktorphase in der Testphase wiederzuerkennen und mit dem entsprechenden metakognitiven Urteil zu versehen galt. In der Testphase wurden die Wörter in allen Bedingungen in Wortform präsentiert, so dass die perzeptuellen Formatformen „Bild – Wort“ vs. „Wort – Wort“ entstanden. Die Wörter der Bedingung „Bild – Wort“ wurden entsprechend früheren Befunden zum Bildüberlegenheitseffekt häufiger wiedererkannt als die Wörter der Bedingung „Wort – Wort“. Bezüglich der metakognitiven Urteile zeigte sich, dass in der Bedingung „Bild – Wort“ mehr „erinnert“-Urteile vergeben wurden als in der Bedingung „Wort – Wort“. Für „gewusst“-Urteile zeigte sich ein gegenteiliger Effekt: Die Wörter der Bedingung „Wort – Wort“ wurden eher „gewusst“.

Nichtwort/Wort (nonword/word) – Gardiner und Java (1990: Exp. 2) verglichen Zustände des Erinnerungswusstseins in einem Rekognitionstest, in dem Nichtwörter und Wörter wiedererkannt werden sollten. In der Lernphase wurden in der Bedingung „Nichtwort“ den Versuchspersonen Wörter vorgelegt, die zwar ausgesprochen werden konnten, ihrem Klang oder Äußerem nach mit echten Wörtern jedoch keine Ähnlichkeit aufwiesen. Nach einem 24-stündigen Retentionsintervall wurden die Wörter erneut vorgelegt. Es wurden für Nichtwörter mehr „gewusst“-Urteile vergeben als für reale Wörter und umgekehrt für reale Wörter mehr „erinnert“-Urteil als für Nichtwörter. Aus Sicht der Autoren wurden die Nichtwörter eher mit „gewusst“-Urteilen versehen, da sie nur perzeptuelle Informationen bereitstellten, wohingegen bei realen Wörtern ein konzeptueller Zugang möglich war und sich somit die Wahrscheinlichkeit für „erinnert“-Urteile erhöhte.

Wiedererkennen von Gesichtern (recollections of faces) – In einer Untersuchung von Mäntylä (1997) sollten Versuchspersonen in der Lernphase Gesichter von Personen bezüglich ihrer Ähnlichkeit (relationale Merkmale) oder Unterschiedlichkeit (distinkte Merkmale) bewerten. In der Testphase sollten die Gesichter wiedererkannt werden und mit den Urteilen „erinnert“, „gewusst“ oder „geraten“ versehen werden. „Erinnert“-Urteile wurden eher abgegeben, wenn der Fokus der Versuchspersonen auf distinkten Merkmalen lag, als wenn sie relationale Merkmale betrachtet hatte. Für „gewusst“-Urteile konnte das gegenteilige Muster beobachtet werden.

Typografie und Farbe (typography and color) – Wehr und Wippich (2004) testeten die zentralen Annahmen des Dinstinctiveness/Fluency Ansatz (Rajaram, 1996) und stellten sie den Vorhersagen des Prozessansatzes (Rajaram, 1993) gegenüber. Zur Manipulation der perzeptuellen Salienz wurde das typografische Erscheinungsbild substantivischer Wörter verändert. Effekte der konzeptuellen Salienz wurden durch den Wechsel der Wortfarbe variiert. In der Lernphase wurden den Versuchspersonen die Substantive in normaler Schreibweise (KATZE), in typografisch veränderter Form (Katze) oder in Farbvariation (KATZE oder KATZE) präsentiert und zeitgleich an eine Imaginationsaufgabe, die die Salienz zusätzlich erhöhen sollte, geknüpft. Die Substantive sollten sich auf drei verschiedene Arten vergegenwärtigt werden: In ihrer typografischen Erscheinung, als Objektvorstellung in natürlicher Farbe und als Objektvorstellung in präsentierter Farbe. In der Testphase wurde ein Rekognitionstest durchgeführt und die metakognitiven Urteile („erinnert“, „gewusst“ und „geraten“) erfragt. Um die perzeptuelle und konzeptuelle Verarbeitungsflüssigkeit zu variieren, wurde einem Teil der Versuchspersonen vor der Präsentation des Zielwortes ein Prime vorgeschaltet, der entweder dem Zielwort in seiner Oberflächenstruktur ähnlich war oder nicht (KATZE – KATZE vs. KATZE – KATZE bzw. vs. Katze – KATZE). Den Vorhersagen des Distinctiveness/Fluency Ansatzes entsprechend sollten die salienteren Wörter unabhängig von den zugrundeliegenden Prozessen mit einem „erinnert“-Urteil versehen werden. Im Sinne des Prozessansatzes sollte eine Veränderung der Rate der „erinnert“-Urteile nur durch eine konzeptuell vermittelte Manipulation erfolgen. Typografisch ungewöhnliche und farbige Wörter sollten gegenüber normalen Wörtern hervorstechen und mit „erinnert“-Urteilen versehen werden. Die Ergebnisse (siehe Abbildung 2.3) bestätigten diese Überlegungen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.3: Mittlere Antwortwahrscheinlichkeiten für Treffer und metakognitive Urteile („erinnert“, „gewusst“ und „geraten“) als Funktion der (a) Typografie (perzeptuelle Salienz) und der (b) Farbe (konzeptuelle Salienz) (Abbildung aus Wehr & Wippich, 2004).

Die Variation der Typografie und Farbe des Wortmaterials hatte einen bedeutsamen Einfluss auf das Erinnerungsbewusstsein. Typografisch ungewöhnliche und farbige Wörter wurden eher „erinnert“, während typografisch normale und schwarze Wörter eher „gewusst“ wurden, und zwar unabhängig von der Prozessart (perzeptuell oder konzeptuell). Die Ergebnisse sprechen für eine Annahme des Distinctiveness/Fluency Ansatzes.

2.3.4 Paralleleffekte

Melodien (meldodies) – Gardiner, Kaminska und Dixon (1996) führten Experimente zur Wiedererkennungsleistung bei Melodiefolgen durch. In ihrem ersten Experiment präsentierten sie den Versuchspersonen unbekannte polnische Volkslieder, die durch eine Gesangsstimme inhaltsleer interpretiert wurden und variierten die Häufigkeit der Darbietung (1x, 2x, oder 4x). In der unmittelbar anschließenden Testphase wurden ihnen die Melodiefolgen erneut vorgespielt. Je häufiger die Meldodiefolgen präsentiert worden waren, desto höher die Erinnertrate. Ebenso stieg mit der Häufigkeit der Darbietung die Zahl der „erinnert“-Urteile und „gewusst“-Urteile parallel an. Dieser Paralleleffekt konnte in weiteren Experimenten zu Melodiefolgen und Erinnerungbewusstsein nicht gefunden werden (Gardiner, Kaminska et al., 1996; Java, Kaminska & Gardiner, 1995).

2.3.5 Schemageleitete und soziale Informationsverarbeitung

Im Folgenden werden Studien zu Effekten schemageleiteter Informationsverarbeitung und Effekten sozialer Informationsverarbeitung (Personenwahrnehmung) auf das Erinnerungsbewusstsein vorgestellt. Allgemein zeigte sich dabei, dass schema-kongruente (typische) Stimuli eher „gewusst“ und schema-inkongruente (atypische) Stimuli eher „erinnert“ werden.

Schemageleitete Informationsverarbeitung – Lampinen, Faries, Neuschatz und Toglia (2000) präsentierten ihren Versuchspersonen Audio-Geschichten über eine fiktive Person namens Jack, die sechs skriptbasierte Handlungen (z.B. das Waschen eines Wagens, Teilnahme an einer Vorlesung) ausübte. In diesen Geschichten führte Jack typische (z.B. das Auffüllen des Eimers mit Wasser) und atypische (z.B. das Besprühen des Nachbarkindes mit dem Wasserschlauch) Handlungen aus. In einem späteren Rekognitionstest sollten die Versuchspersonen alte und neue Handlungsbausteine benennen und mit einem „erinnert“- oder „gewusst“-Urteil versehen, wobei im Falle der „erinnert“-Urteile weitere Details erfragt wurden, die als perzeptuelle, kognitive oder emotionale Quelle deklariert werden konnten. Die Versuchspersonen wurden unmittelbar nach der Lernphase und nach einem Retentionsintervall von 24 Stunden getestet. Es wurden signifikant mehr „erinnert“-Urteile für atypische Handlungen als für typische Handlungen vergeben. Ein gegenteiliger Effekt zeigte sich bezüglich der „gewusst“-Urteile: Typische Handlungen war verglichen mit atypischen Handlungen eher mit dem Bewusstseinszustand „Wissen“ verknüpft.

Lampinen, Copeland und Neuschatz (2001) untersuchten Effekte eines Raum-Schemas auf das Erinnerungsbewusstsein für typische und atypische Objekte in realitätsnaher Umgebung. Ein Experimentalraum wurde zu diesem Zweck zu einem prototypischen Universitätsbüro eines Doktoranden umgestaltet: Es wurden neben neutralen Gegenständen (z.B. Pflanzen, Poster, Ablagefächer) zehn typische Items (z.B. Heftgerät) und zehn atypische Items (z.B. ein Spielzeugauto) gut erkennbar platziert. Bevor die Versuchpersonen für eine Minute in dem Zimmer Platz nahmen, wurden sie in einer ersten Bedingung (intentionale Lernbedingung) explizit darauf hingewiesen, dass im Anschluss ein Gedächtnistest erfolgt, während sie in einer zweiten Bedingung (inzidentelle Lernbedingung) lediglich gebeten wurden, sich in dem Zimmer aufzuhalten. In einem anschließenden Rekognitionstest fiel die allgemeine Gedächtnisleistung in der intentionalen Lernbedingung höher aus. Es zeigte sich eine in A΄ (siehe Kapitel 2.4.1) gemessene höhere Sensitivität für atypische Gegenstände und für diejenigen Gegenstände, die unter intentioneller Bedingung gelernt worden waren. Es wurden mehr „erinnert“-Urteile für atypische Gegenstände abgegeben und mehr „gewusst“- Urteile für typische Gegenstände. In der intentionalen Lernbedingung wurden mehr „erinnert“-Urteile vergeben als in der inzidentellen Lernbedingung, während zwischen den Bedingungen keine signifikanten Unterschiede in den „gewusst“-Urteilen gefunden wurden.

Neuschatz et al. (2002) führten weitere Experimente zu Schemata und Erinnerungsbewusstsein in realitätsnahen Settings durch. Versuchspersonen betrachteten ein Video, in dem ein Lehrender einige schema-kongruente Handlungen (z.B. an die Tafel schreiben) und einige schema-inkongruente Handlungen (z.B. eine Zigarette rauchen) ausführte. In einem anschließenden Rekognitionstest wurden erneut mehr „erinnert“-Urteile für schema-inkongruente (atypische) Handlungen und mehr „gewusst“-Urteile für schema- kongruente (typische) Handlungen vergeben.

Soziale Informationsverarbeitung - Brandt et al. (2003) interessierten sich für Bewusstseinszustände im Moment des Wiedererkennens von Personen. Untersuchungen zu quantitativen Aspekten personaler Erinnerung sind in der Literatur zahlenstark vertreten, nach Studien zu qualitativen Aspekten sucht man jedoch meist vergebens. Dies verwundert, da die Erinnerung an Personen und die damit einhergehenden Metakognitionen im Kontext sozialer Interaktionen von grundlegender Bedeutung sind und handlungsleitend wirksam werden.

In einem ersten Experiment wurden den Versuchpersonen in der Lernphase acht typische und acht distinkte männliche Gesichter präsentiert. Diese waren in einer Voruntersuchung von Hosie und Milne (1996) bezüglich ihrer Distinktheit (hier: ein Gesicht, das aus der Menge hervorsticht oder besonders gut im Gedächtnis bleibt (Valentine, 1991)) bewertet worden und relativ homogen in Bezug auf Alter, Haarlänge und Haarfarbe. In der Testphase sollten eine Alt/Neu Entscheidung getroffen und bei Alt-Entscheidungen ein metakognitives Urteil („erinnert“ oder „gewusst“) gefällt werden. Die Versuchpersonen zeigten wie erwartet eine bessere Gedächtnisleistung für distinkte Gesichter und belegten diese vermehrt mit „erinnert“-Urteilen, während typische Gesichter eher „gewusst“ wurden.

In einem zweiten Experiment erweiterten Brandt et al. (2003) die Versuchsanordnung um den Faktor Aufmerksamkeit (geteilte Aufmerksamkeit vs. ungeteilte Aufmerksamkeit). In der Bedingung „geteilte Aufmerksamkeit“ wurden die Versuchpersonen gebeten, neben dem Studium der Gesichter zusätzlich von Tausend in Dreierschritten abwärts zu zählen. Wiederum wurden mehr distinkte Gesichter als typische Gesichter erinnert. In der Bedingung „geteilte Aufmerksamkeit“ wurden weniger Gesichter wiedererkannt und es gab keinen signifikanten Effekt der Wechselwirkung Gesicht x Aufmerksamkeit. Unter ungeteilter Aufmerksamkeit konnten die Ergebnisse bezogen auf „erinnert“-Urteile repliziert werden: Distinkte Gesichter wurden eher „erinnert“. In den „gewusst“-Urteilen konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Bedingungen gefunden werden. Ihre Annahme, dass die Flüssigkeit der Verarbeitung von typischen Items „gewusst“-Antworten begünstigt, besitzt also nur eingeschränkte Gültigkeit innerhalb dieses Testrahmens (kritische Anmerkungen hierzu, siehe Wehr, 2005).

2.4 Theorien zum Erinnerungsbewusstsein

Im Folgenden werden einige theoretische Ansätze zum „Remember“/„Know“-Paradigma kurz vorgestellt, mit dem Ziel, einen weiteren Einblick in dieses Forschungsfeld zu geben. Eine ausführlichere Beschreibung und Diskussion findet sich bei Wehr (2005). Zu den Erklärungsansätzen gehören der Systemansatz (2.4.1), der Prozessansatz (2.4.2), der Distinctiveness/Fluency Ansatz (2.4.3), der signalentdeckungstheoretischen Ansatz (2.4.4) und das Independence „Remember“/„Know“ Modell (2.4.5).

2.4.1 Der Systemansatz

Nach Tulving (1995) können Gedächtnissysteme in fünf Hauptkategorien unterteilt werden:

(1) das prozeduale Gedächtnis, innerhalb dessen Bewegungsabläufe und Fertigkeiten gespeichert sind; (2) das perzeptuelle Repräsentationssystem (PRS), das eine spezielle Form von perzeptuellen Lernen darstellt (priming); (3) das semantische Gedächtnis, in dem das allgemeine Wissen einer Person über die Welt gespeichert ist; (4) das primäre Gedächtnis, das eingehende Informationen registriert und für eine kurze Zeitperiode leicht zugänglich festhält; (5) das episodische Gedächtnis, welches befähigt, die persönliche Vergangenheit mit konkreten Ereignissen zu erinnern. Tulving (1983) ordnete „erinnert“- und „gewusst“- Urteile zwei Arten von Bewusstsein zu (autonoetisch und noetisch), die wiederum als Ausdruck des episodischen und semantischen Gedächtnissystem gelten (siehe Tulving, 2002, für einen aktuellen Überblick und Kapitel 2.2). Mit Hilfe des im folgenden kurz skizierten SPI-Modells (Tulving, 1995) beschreibt er die Beziehung zwischen diesen Gedächtnissystemen wie folgt: Informationen werden seriell (S) enkodiert, wobei die erfolgreiche Enkodierung in einem System von der erfolgreichen Verarbeitung der Information eines anderen Systems abhängt. Die Speicherung in den verschiedenen Systemen erfolgt parallel (P), d.h. die Information ist in einem oder mehreren Gedächtnissystemen abgelegt. Der Abruf der Informationen aus den einzelnen Gedächtnissystemen erfolgt unabhängig (I) voneinander. Nach diesem Modell ist eine erfolgreiche Enkodierung der Information im PRS Voraussetzung für eine erfolgreiche Enkodierung im semantischen Gedächtnis, die wiederum eine Voraussetzung für eine Speicherung im episodischen Gedächtnis darstellt. Ein Abruf der Informationen kann unabhängig aus dem PRS, dem semantischen oder episodischen Gedächtnis erfolgen.

Eine Reihe von Untersuchungen konnten die Annahmen des SPI-Modells bestätigen. Conway et al. (1997) stellten in einer Untersuchung, in der die Inhalte einer universitären Lernveranstaltung und die damit verbundenen Bewusstseinszustände zu verschiedenen Zeitpunkten überprüft wurden, fest, dass Informationen, die zuvor mit „erinnert“-Urteilen versehen wurden im Laufe der Zeit in „gewusst“-Urteile übergehen (remember-to-know-shift). Dieser „shift“ wird als Wechsel der Wissensrepräsentation vom episodischen Gedächtnis zum semantischen Gedächtnis interpretiert.

Karayianni und Gardiner (2003) untersuchten Effekte der Stimmenkongruenz (gleiche oder verschiedene Stimmen) auf das Erinnerungsbewusstsein. In ihren Studien variierten sie zudem das Wortmaterial (Nichtwörter/Wörter) und die Aufmerksamkeitsfokussierung (geteilte oder ungeteilte Aufmerksamkeit). Effekte der Stimmenkongruenz beobachteten sie bei Wörtern allein in einer veränderten „erinnert“-Rate, bei Nichtwörtern in einer veränderten „erinnert“- und „gewusst“-Rate. Wurde eine elaborierte Verarbeitung der Nichtwörter durch Aufmerksamkeitsdistribution erschwert, wurden Veränderungen nur noch in den „gewusst“-Raten gefunden. Unter reduzierter Aufmerksamkeit wird eine Enkodierung im episodischen Gedächtnis sehr unwahrscheinlich, ein Effekt, der sich in den hohen „gewusst“-Raten widerspiegelt.

Experimentelle Untersuchungen mit amnestischen Patienten untermauern eine systemtheoretische Interpretation des Remember/Know Paradigmas: z.B. Studien mit Patienten mit anterograder Amnesie und selektivem Verlust autobiografischer Episoden (Hirano, Noguchi, Hosokawa & Takayama, 2002), Studien zu Effekten der Größenkongruenz (Verfaellie, Cook & Keane, 2003) und Quelleninformationen (Johnson, Hashtroudi & Lindsay, 1993; Shimamura & Squire, 1987) mit Personen mit amnestischer Problematik.

Der Systemansatz wird weiterhin durch neuropsychologische Erkenntnisse und Methoden unterstützt. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI, Functional Magnetic Resonance Imaging bzw. Kernspintomographie) können hirnstrukturelle Korrelate für Bewusstseinszustände wie „Erinnern“ und „Wissen“ sichtbar gemacht werden (z.B. Dünzel, Yonelinas, Mangun, Heinz & Tulving, 1997; Henson, Rugg, Shallice, Josephs & Dolan, 1999; Henson, Shallice & Dolan, 1999).

[...]


1 er|in|nern [mhd. (er)innern, ahd. innarōn = machen, dass jemand einer Sache innewird, zu ahd. innaro = inwendig]: 1. im Gedächtnis bewahrt haben und sich dessen wieder bewusst werden; 2. a) die Erinnerung an jemanden, etwas bei jemanden wachrufen; wieder ins Bewusstsein rufen; b) veranlassen, an etwas zu denken, jemanden, etwas nicht zu vergessen; c) durch seine Ähnlichkeit ins Bewusstsein bringen; 3. (veraltend) vorbringen, zu bedenken geben (Auberle, 2006).

2 Zu den Grundlagen dieser Überlegungen siehe auch Tulvings (1982) synergistic ecphory model of recall and recognition.

3 Jacoby und Dallas (1981) beschreiben perzeptuelle Verarbeitungsgeschwindigkeit (perceptuel fluency) als die mit dem Wiedererkennen eines Wortes verbundene fließende Verarbeitung, die als leicht empfunden wird. Werden sich Versuchspersonen dieser Leichtigkeit im Abruf bewusst, attribuieren sie dies korrekt auf eine Erfahrung mit dem Wort aus voherigen experimentellen Settings.

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Personenbezogenes Erinnerungsbewusstsein
Untertitel
Überprüfung der Figur/Grund Hypothese bei der Verarbeitung von Personeneigenschaften
Hochschule
Universität Trier
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
114
Katalognummer
V118571
ISBN (eBook)
9783640213559
Dateigröße
5123 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Personenbezogenes, Erinnerungsbewusstsein
Arbeit zitieren
Dipl.-Psych. Frank Lafleur (Autor:in), 2007, Personenbezogenes Erinnerungsbewusstsein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118571

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