Komplexität in der Syntax


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

26 Seiten, Note: noch sehr gut (1.3)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was bedeutet „Komplexität in der Syntax” ?
2.1 Zum Verhältnis von Syntax und Semantik
2.2 „Syntaktische” versus „semantische” Komplexität
2.3 Komplexität als Charakteristikum der „Moderne”

3. Ein Beispiel für formale Komplexität: Heinrich von Kleists Erzählung „Die Verlobung in St. Domingo“
3.1 Einordnung der Textstelle
3.2 Analyse der Syntax
3.3 Inhaltliche Deutung

4. Ein Beispiel für inhaltliche Komplexität: Artikel 51, Absatz des Grundgesetzes
4.1 Struktur des Problems
4.2 Konsequenz der inhaltlichen Komplexität

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wenn es in der vorliegenden Arbeit um „Komplexität in der Syntax“ gehen soll, so muß zunächst einmal geklärt werden, wie der Begriff der „Komplexität“ verwendet werden soll.

Denn unter einer „komplexen Syntax“ wird zumeist ein verschachtelter Satzbau verstanden, also ein aus mehreren, einander neben- oder untergeordneten Teilsätzen zusammengesetzter Satz. Dies hat zur Folge, daß Untersuchungen durchgeführt werden, die die Anzahl der Wörter innerhalb eines Satzes ermitteln sollen, um den Grad der „Komplexität“ eines Satzes – bzw. mehrerer Sätze eines ganzen Textes – zu ermitteln.

Die folgende Untersuchung ist unter der Prämisse verfaßt worden, daß ein solches Begriffsverständnis problematisch, wenn nicht gar unangemessen ist.

Denn es stellt sich die Frage, wie sinnvoll es eigentlich ist, von einem „komplexen Satz“ zu sprechen, wenn man sich damit nur auf die Form des betreffenden Satzes bezieht. Ergiebiger scheint der Begriff „Komplexität“ dann zu sein, wenn man sich mit einem Satz – oder allgemeiner: einer sprachlichen Äußerung – unter dem Aspekt auseinandersetzt, worin eigentlich die „Komplexität“ besteht und was aus dieser resultiert. So soll im folgenden unter einer komplexen sprachlichen Äußerung eine schwer verständliche Ausdrucksweise verstanden werden, die nicht nur von der Form, sondern auch vom Inhalt her Probleme bereitet.

Dieser Sichtweise liegt die Überzeugung zugrunde, daß Sprache der Kommunikation zu dienen hat. Es stellt sich dann die Frage, woran es liegt, daß die Kommunikation zuweilen mißlingt und sich das (gewünschte) Verständnis der sprachlichen Äußerung nicht einstellt.[1] Damit wiederum befindet man sich im Bereich der Sprachreflexion, in der es u.a. darum geht, daß „der Sprachgebrauch der Kommunikationsbeteiligten zur Diskussion gestellt werden muß“.[2] Letzteres soll anhand zweier Bespiele geschehen, um zu verdeutlichen, in welcher Hinsicht ein Satz „komplex“ (im Sinne von „schwer verständlich“) sein kann.

Insofern wird unter der „Komplexität eines Satz“ verstanden, daß sein Verständnis Probleme bereitet. Zugleich wird aber hinsichtlich der Ursache für diese Probleme zwischen „formaler und inhaltlicher Komplexität“ unterschieden. „Formale Komplexität“ bedeutet dann, daß der grammatikalische Bau eines Satzes „komplex“ in dem Sinne ist, daß dieser – im Gegensatz zu einem „einfachen“ Satz – zusammengesetzt ist aus mehreren Teilsätzen.

Beide Verwendungsmöglichkeiten dürfen aber nicht miteinander identifiziert werden, da ein „komplexer Satz“ (im Sinne von „schwer verständlich“) keineswegs immer eine „formale Komplexität“ (im Sinne eines verschachtelten Satzbaus) aufweisen muß.[3]

Neben diesen Aspekten soll in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, daß sich die deutsche Sprache insbesondere seit etwa 1800 hinsichtlich des Verhältnisses von formaler Struktur und inhaltlicher Bedeutung stark gewandelt hat und daß dieser Prozeß noch im Gange ist. Als Grund dafür kann eine veränderte Sprachauffassung gelten, und auch dies soll im folgenden behandelt werden.

Aus diesen einleitenden Bemerkungen ergibt sich der Aufbau dieser Arbeit.

Im zweiten Kapitel wird es darum gehen auszuführen, was es eigentlich bedeutet, wenn man von „Komplexität in der Syntax“ spricht. Dazu wird in einem ersten Schritt das Verhältnis zweier „klassischer“ linguistischer Bereiche (nämlich Syntax und Semantik) zueinander reflektiert, bevor in einem zweiten Schritt der Komplexitätsbegriff etwas genauer untersucht werden wird. Drittens wird zu zeigen sein, daß „Komplexität“ nicht nur unter sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten behandelt werden kann, sondern auch aus einer etwas allgemeineren Perspektive heraus.

Im dritten und vierten Kapitel wird jeweils ein Beispiel formaler bzw. inhaltlicher Komplexität behandelt. Dabei nimmt das erste Beispiel deshalb besonders großen Raum ein, weil es, wenn man von einem komplexen Satzbau spricht, notwendig ist zu zeigen, woraus diese Komplexität resultiert, das heißt es ist angebracht, den Bau dieses Satzes detailliert zu untersuchen.

Die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit werden dann im fünften Kapitel zusammengefaßt, bevor im Literaturverzeichnis abschließend die verwendete Literatur aufgeführt wird.

2. Was bedeutet „Komplexität in der Syntax”?

2.1 Zum Verhältnis von Syntax und Semantik

In der traditionellen Sprachwissenschaft werden Syntax und Semantik als zwei völlig voneinander zu trennende Bereiche angesehen. Dabei gilt die Syntax als die Lehre vom Bau der sprachlichen Einheiten, vor allem als die Lehre vom Satzbau. In einem weiteren Sinn wird die Syntax aber auch als die Lehre vom Aufbau des Wortes (als der Morphologie und der Wortbildungslehre) angesehen, wie beispielsweise an dem Fachterminus „Morphosyntax“ zu erkennen ist.[4]

Besonders eng wird die Bedeutung des Begriffs „Syntax“ in der Duden-Grammatik ausgelegt; hier wird die Syntax als „Satzlehre“ bezeichnet, deren „Gegenstand [...] der Bau von Wortgruppen und Sätzen“[5] sei. Wird zudem die Aussage getroffen, Sätze haben „einen bestimmten grammatischen Bau“,[6] so wird der Begriff „Syntax“ mit dem Begriff „Grammatik“ gleichgesetzt.

Dem gegenüber gilt die Semantik traditionell als die Lehre von der Bedeutung sprachlicher Zeichen, wobei hier lange Zeit die Wortsemantik, also die Analyse der Bedeutung von Wörtern, klar im Zentrum gestanden hat.

Es entsteht also der Eindruck, Syntax (als die Lehre vom korrekten Satzbau) und Semantik (als die Lehre von der Bedeutung sprachlicher Zeichen, insbesondere von Wörtern) seien zwei voneinander strikt zu trennende Bereiche innerhalb der Sprachwissenschaft, die keinerlei Gemeinsamkeiten haben.

Neuere sprachwissenschaftliche Ansätze heben jedoch hervor, daß Syntax und Semantik auf enge Weise miteinander verbunden seien. Diese Auffassung vertritt beispielsweise Peter von Polenz, der deutlich macht, daß der Bereich der „Semantosyntax“ (bereits durch diesen Begriff wird deutlich, daß Syntax und Semantik durchaus zusammengehören), den er „Satzsemantik“ nennt, eine „Erweiterung der Syntax/Satzlehre in die Semantik/ Bedeutungslehre hinein“[7] darstelle, daß sich die Semantik also auf ein Gebiet der Grammatik ausdehne. Anders formuliert: Die Syntax kann als Teilbereich der Semantik angesehen werden.

Die Satzsemantik wird, folgt man Peter von Polenz, insbesondere durch einen Paradigmenwechsel charakterisiert, der in der modernen Sprachwissenschaft stattgefunden hat. Denn es hat insofern eine Umkehrung innerhalb der linguistischen Betrachtungsweise sprachlicher Phänomene stattgefunden, als die traditionelle Richtung vom Ausdruck zum Inhalt nunmehr abgelöst worden ist durch eine Betrachtungsweise, die vom Inhalt ausgehend die Ausdrucksseite analysiert.[8] So geht es in der Satzsemantik beispielsweise weniger um die Frage, welche Bedeutung ein Genitiv haben kann, sondern vielmehr um das Problem, wie man ein possessives Verhältnis ausdrücken kann (– nämlich zum Beispiel durch einen Genitiv).[9] Von Polenz legt dabei Wert auf die Feststellung, daß diese Perspektive der Satzsemantik die traditionelle Satzlehre nicht ersetze, sondern ergänze.[10]

Genau dies soll im folgenden berücksichtigt werden.

2.2 „Syntaktische” versus „semantische” Komplexität

Im vorigen Kapitel ist ausgeführt worden, daß die Syntax traditionell als die Lehre vom Satzbau, die Semantik in erster Linie als die Lehre von der Bedeutung von Wörtern gegolten hat und z.T. immer noch gilt. Dieser Gegensatz kann auch so formuliert werden, daß die Syntax die formale, die Semantik hingegen die inhaltliche Seite sprachlicher Zeichen betreffe.

Dieser Antagonismus soll im folgenden aufgegriffen und fruchtbar gemacht werden für die Analyse von „Komplexität in der Syntax“. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß der Begriff „Syntax“ nicht mehr mit „Grammatik“ gleichgesetzt wird, sondern daß die bereits skizzierte Bedeutungserweiterung des Syntax–Begriffs sowie der Perspektivenwechsel in der Betrachtungsweise „syntaktischer“ Phänomene ernst genommen werden.

Dies hat nämlich zur Konsequenz, daß „Komplexität in der Syntax“ zwei Arten von Komplexität umfaßt, nämlich formale (im engeren Sinne „syntaktische“) und inhaltliche (im engeren Sinne „semantische“) Komplexität. Es soll auf diese Weise hervorgehoben werden, daß ein Satz (und letztlich auch ein ganzer Text) nicht nur dann komplex (d.h. schwer verständlich) ist, wenn er formal eine komplexe Struktur aufweist (z.B. durch zahlreiche Verschachtelungen), sondern auch dann, wenn er inhaltlich schwer verständlich

ist – sei es durch eine komprimierte, eine elliptische oder auch eine implikative Ausdrucksweise.[11] Bevor Beispiele für formal oder inhaltlich komplexe Sätze behandelt werden, soll der soeben entwickelte Unterschied anhand einer kurzen sprachhistorischen Betrachtung noch etwas eingehender charakterisiert werden.

2.3 Komplexität als Charakteristikum der „Moderne“

Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen formaler und inhaltlicher Komplexität wird besonders dann deutlich, wenn man die Entwicklung der deutschen Sprache seit der Entstehung des Neuhochdeutschen im 16. Jahrhundert, vor allem aber seit etwa 1800 betrachtet. Es wird in der Forschung hervorgehoben, daß es in der deutschen Sprache zur Zeit der Aufklärung, also in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, einen Wandel gegeben habe: sei bis dahin der Satzbau des Deutschen seit dem Humanismus immer komplexer geworden, was sich im berühmten deutschen Schachtelsatz geäußert habe, so sei seit der Aufklärung eine deutliche Entwicklung zu parataktischem Satzbau zu erkennen. Zudem nehme die Satzlänge – gemessen an der Anzahl der Wörter – tendenziell stark ab.[12] Diese beiden Sachverhalte deuten darauf hin, daß die deutsche Sprache „einfacher“ geworden sei, daß ihre Komplexität abnehme.

An dieser Stelle kommt nun der Unterscheidung zwischen formaler und inhaltlicher Komplexität entscheidende Bedeutung zu. Denn der formal abnehmenden entspricht eine inhaltlich zunehmende Komplexität der deutschen Sprache: Von Polenz hebt hervor, daß es ein Charakteristikum älterer Texte sei, daß sie auf explizite Sprache zurückgreifen. Dies bedeutet, daß in älteren Texten komplexe Sachverhalte durch komplexe Syntax ausgedrückt worden ist: die Form entspricht dem Inhalt. Dies ist in der modernen Sprache nicht mehr der Fall; es gibt eine klare Tendenz hin zu komprimierter Sprache: inhaltliche Komplexität wird nicht mehr durch eine entsprechende formale Komplexität ausgedrückt, sondern mit Hilfe eines komprimierten, elliptischen oder implikativen Stils.[13]

Die Gründe dafür sind mit sprachwissenschaftlichen Mitteln nur unzureichend zu ermitteln. Vielmehr scheint es ein Charakteristikum der „Moderne“ (verstanden als eine geistesgeschichtliche Makroepoche, die mit der Aufklärung einsetzt und bis heute andauert) zu sein, daß die Welt, mit der sich das moderne Individuum konfrontiert sieht, so

komplex geworden ist, daß es problematisch ist, eine Sprache zu finden, die der eigenen Sicht auf die Wirklichkeit entspricht. Dieses Bewußtsein hat sich vor allem um 1900 ausgebreitet, als die sogenannte „Sprachkrise“ oder „Sprachskepsis“ eingesetzt hat – eine Entwicklung, die nach Ansicht vieler bis heute nicht abgeschlossen ist.[14]

[...]


[1] Zur Verständlichkeit sprachlicher Äußerungen vgl. Heringer 1984.

[2] Wimmer 2002, 48.

[3] Vgl. dazu von Polenz 1988, bes. 24-29.

[4] Vgl. z.B. Linke / Nussbaum / Portmann 1996, 47 f.; 62.

[5] Duden-Grammatik 61998, 609.

[6] Ebd.

[7] Von Polenz 1988, 49.

[8] Vgl. von Polenz 1988, 50.

[9] Vgl. von Polenz 1988, 51.

[10] Vgl. ebd.

[11] Zu diesen drei Begriffen vgl. von Polenz 1988, 24-29.

[12] Vgl. von Polenz 1988, 40-42.

[13] Vgl. von Polenz 1988, 24-29.

[14] Vgl. z.B. von Polenz 1978, 156; von Polenz 1983, 13, aber auch Eibl 1980,746.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Komplexität in der Syntax
Hochschule
Universität Trier  (Neuere Deutsche Sprachwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar Syntax
Note
noch sehr gut (1.3)
Autor
Jahr
2002
Seiten
26
Katalognummer
V11846
ISBN (eBook)
9783638178952
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Komplexität, Syntax, Seminar, Syntax
Arbeit zitieren
M.A. Mario Paulus (Autor:in), 2002, Komplexität in der Syntax, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11846

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