Sozialisationsinstanz Internet - Probleme und Prävention am Beispiel der offenen Jugendarbeit


Diplomarbeit, 2006

114 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhalt

ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

I. SOZIALISATION

2. DEFINITION SOZIALISATION
2.1 SOZIALISATION UND ERZIEHUNG
2.1.1 Erziehung
2.1.2 Entwicklung
2.1.3 Aneignung vers. Anpassung
2.1.4 Sozialisation
2.2 SOZIALISATIONSTHEORIE NACH FREUD
2.3 SOZIALISATIONSPHASEN
2.3.1 Primäre Sozialisation
2.3.2 Sekundäre Sozialisation
2.3.3 Tertiäre Sozialisation

3. SOZIALISATIONSINSTANZEN
3.1 SOZIALISATIONSINSTANZ FAMILIE
3.1.1 Definition des Begriffes Familie
3.1.2 Geschichte der Familie
3.1.3 Beziehungen innerhalb der Familie in der Geschichte
3.1.4 Kinder in der Familiengeschichte
3.1.5 Sozialisationstheorien in der Familie
3.1.5.1 Rationale Theorien
3.1.5.2 Familienstresstheorie
3.1.5.3 Psychoanalytische Sichtweisen
3.1.5.4 Familiale Sozialisation in sozioökologischer Sicht
3.1.6 Probleme bei der Sozialisation in der Familie
3.2 SOZIALISATIONSINSTANZ PEER-GROUPS
3.2.1 Strukturfunktionale Ansätze
3.2.2 Sozialisation über Vorgaben – Das Konzept der Entwicklungsaufgaben
3.2.3 Das Konzept der Identität
3.3 SOZIALISATIONSINSTANZ SCHULE
3.3.1 Die Schule
3.3.2 Die Schule als Sozialisationsinstanz
3.3.3 Sozialisation durch Unterricht
3.3.3.1 Qualifikationsfunktion
3.3.3.2 Selektions- und Allokationsfunktion
3.3.3.3 Legitimations- und Integrationsfunktion
3.4 SOZIALISATIONSINSTANZ MASSENMEDIEN

II. INTERNET UND KOMMUNIKATION

4. INTERNET
4.1 DEFINITION INTERNET
4.2 DIE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES INTERNETS
4.3 WORLD WIDE WEB

5. KOMMUNIKATION
5.1 COMPUTERVERMITTELTE KOMMUNIKATION (CMC)
5.1.1 Sachinhalt
5.1.2. Selbstoffenbarung
5.1.3 Die Beziehungsebene
5.1.4 Appellseite
5.1.5 Fazit
5.2 CHAT
5.3 EMAIL
5.4 FORUM
5.5 EMOTICONS UND AKRONYME
5.6 CHATIQUETTE, NETIQUETTE
5.7 ZWISCHENFAZIT

III. INTERNET ALS SOZIALISATIONSINSTANZ

6. IDENTITÄT
6.1 IDENTITÄT IM INTERNET NACH NICOLA DÖRING
6.2 SELEKTIVE AKTIVIERUNG VON IDENTITÄTEN
6.2.1 Mangelnde Aktivierung
6.2.2 Gezielte Aktivierung
6.2.3 Stärkere Akzentuierung
6.3 MODIFIZIERUNG VON IDENTITÄTEN
6.4 DIE VIRTUELLE IDENTITÄT

7. SOZIALISATIONSINSTANZ INTERNET

8. PROBLEME DURCH DAS INTERNET
8.1 INTERNETSUCHT
8.1.1 Definition von Sucht
8.1.2 Kriterien für die Internetsucht
8.1.2.1 Fokussierung
8.1.2.2 Kontrollverlust
8.1.2.3 Negative Konsequenzen
8.1.2.4 Entzugssymptome
8.1.2.5 Unfähigkeit zur Verhaltensänderung
8.2 DIAGNOSE UND STADIEN DER INTERNETSUCHT
8.3 STATISTIK ZUR INTERNETSUCHT
8.4 THERAPIEMÖGLICHKEITEN
8.5 SOZIALE ISOLATION

9. KINDERPORNOGRAPHIE

10. PRÄVENTION
10.1.1 Filtern von Wörtern
10.1.2 Filtern von Seiten
10.1.3 Etikettierung von Seiten

11. MEDIENPÄDAGOGIK
11.1 RICHTUNGEN DER MEDIENPÄDAGOGIK
11.2 ZIELE UND AUFGABEN DER MEDIENPÄDAGOGIK

12. MEDIENKOMPETENZ
12.1 ERKLÄRUNG DES BEGRIFFES KOMPETENZ
12.2. DIE VIER DIMENSIONEN DER MEDIENKOMPETENZ NACH BAACKE
12.2.1 Medienkritik
12.2.2 Medienkunde
12.2.3 Mediennutzung
12.2.4 Mediengestaltung
12.3 RESÜMEE
12.4 WEITERE THEORIEN

13. JUGENDARBEIT
13.1 GESCHICHTE DER OFFENEN JUGENDARBEIT
13.2 OFFENE JUGENDARBEIT NACH KJHG
13.3 DAS PRINZIP OFFENHEIT

14. PROJEKT DER MODERNEN MEDIEN

15. DAS INTERNET ALS CHANCE FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
15.1 ONLINEBERATUNG
15.1.1 Vorteile der Onlinebratung
15.1.2 Nachteile der Onlineberatung
15.2 MEDIENKOMPETENZ IN DER SOZIALEN ARBEIT

16. FAZIT

Literaturverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Es, Ich und Über-Ich nach S. Freud

Abbildung 2: Phasen der Sozialisation

Abbildung 3: Karikatur Internetsucht

Abbildung 4: Statistik Internetsucht von der HU-Berlin

Tabelle 1: Geschichte des Internets

1. Einleitung

Das Internet ist das wohl meist benutzte Medium weltweit. Kaum ein anderes Medium hat in so kurzer Zeit so viele Anhänger gefunden wie das World Wide Web. Ich denke der Einfluss des World Wide Web auf die Menschen wird immer größer. Kaum jemand kommt heute noch ohne einen Computer aus. Nachrichten werden meistens nur als Email verschickt, und viele Informationen stehen nur noch im Internet.

Inwiefern aber wirkt sich eigentlich die Benutzung des Internets auf die Menschen aus? Beeinflusst das Internet uns so stark, dass man von einer neuen Sozialisation sprechen kann? Wenn dies der Fall ist, stellt sich doch die Frage, ob es sich hier um eine Sozialisationsinstanz handelt, die in ähnlichem Ausmaß wie die Peer-Group auf den Menschen einwirkt. Ist also ein Einfluss durch das Internet möglich, der über eine

‚normale‘ Sozialisation hinausgeht? Wenn dies der Fall ist, muss man sich fragen, wie man Kinder und Jugendliche vor den möglichen Gefahren, die aus dem World Wide Web drohen, schützt. Gibt es Arbeitsfelder in der sozialen Arbeit, die sich speziell mit der Problemstellung befassen? Gibt es vielleicht sogar spezielle Projekte, die sich mit dem World Wide Web bewusst auseinander setzen und dieses Wissen gezielt an Kinder und Jugendliche weitergeben? Das sind Fragen, die sich stellen, mit zu der Themenwahl beigetragen haben und in der vorliegenden Arbeit bearbeitet werden sollen.

Aufbau der Arbeit:

Der erste Teil meiner Arbeit wird sich mit dem Thema Sozialisation befassen. Dafür muss erst einmal Sozialisation und auch Erziehung definiert und voneinander abgegrenzt werden. Da S. Freud einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Sozialisationstheorie geleistet hat, ist es mir wichtig, seine Theorie zur Sozialisation darzustellen. Danach werde ich dann die drei Phasen der Sozialisation und deren Funktionsweisen erklären. Im Anschluss daran werde ich mich den drei größten Instanzen der Sozialisation widmen: der Familie, der Peer-Group und der Schule. Was die Familie betrifft, habe ich mich zunächst mit dem Begriff Familie und dem geschichtlichen Kontext befasst. Danach gehe ich auf die wichtigen Beziehungen in einer Familie und die Kinder in der Familie ein. Abschließend widme ich mich der Sozialisationsinstanz Familie genauer. Die Behandlung der Peer-Group stellt einen wichtigen Bestandteil der Arbeit dar. Ich werde dort die theoretischen Ansätze zu Peer- Groups darstellen und die Wichtigkeit der Peer-Group hinsichtlich der Entwicklung einer Identität darstellen. Was die Schule betrifft, werde ich auf die Schule als Sozialisationsinstanz eingehen und anschließend die Sozialisation, die durch den Unterricht stattfindet, beschreiben. Dieser Teil der Arbeit schließt dann mit der Sozialisation durch die Massenmedien ab und bietet somit den Einstieg in den zweiten Teil der Arbeit. Dort befasse ich mich mit dem Internet und der Kommunikation im Internet. Um eine Grundlage zu schaffen, erkläre ich zunächst die Geschichte des Internets und im Anschluss daran dessen Funktionen. Speziell was die Kommunikation betrifft, war es für mich wichtig herauszuarbeiten, ob wir die Kommunikation durch Massenmedien auch als eine Kommunikationsform betrachten können. Deswegen verwende ich das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun und betrachte es anhand der computervermittelten Kommunikation. Im Anschluss daran erkläre ich die Kommunikationsarten des Internets. Hierbei war es mir sehr wichtig zu zeigen, welche Arten der Kommunikation das Internet bietet. Ebenso möchte ich aufzeigen, dass die Kommunikation durch das Internet, je nach dem, wie man es einsetzt, auch seine Vorteile bietet und prinzipiell nicht mehr wegzudenken ist. Nach diesem Abschnitt werde ich mich mit den Möglichkeiten Emotionen im Internet darzustellen auseinander setzen. Jeder würde sagen, dass das Internet ein emotionsloser Raum ist. Deshalb habe ich mir die beiden Möglichkeiten des Internets, Emotionen auszudrücken (Emoticons und Akronyme), ausgewählt und handele diese kurz ab. Ein weiterer Kritikpunkt am Internet besteht immer wieder darin, im Internet könne doch jeder machen, was er wolle. Deswegen habe ich mich mit der Chatiquette befasst. Ich wollte überprüfen, ob es im Internet eine Wertehaltung gibt und wie sie möglicherweise sanktioniert wird. Der dritte Teil meiner Diplomarbeit führt dann die ersten beiden Teile zusammen. Da meine Arbeit die These überprüft, ob und inwiefern das Internet als Sozialisationsinstanz betrachtet werden kann, war es außerdem wichtig, die Identitäten von Internetnutzern und die möglichen Veränderungen zu betrachten. Dies ist ein wesentlicher Punkt, weil sich hier schon zeigen wird, ob und inwiefern das Internet einen Einfluss auf die Menschen ausübt. Das Kapitel zur Sozialisationsinstanz enthält meine Meinung diesbezüglich, die ich durch die Abhandlung gewonnen habe. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese Meinung keine empirischen oder soziologischen Grundlagen hat. Zwar ist das Internet als schon häufig als Sozialisationsfaktor, meines Wissens aber noch nicht als Sozialisationsinstanz betrachtet und analysiert worden.

Ich wollte mich aber nicht mit dieser Thematik befassen, sondern auch einige Probleme aufzeigen, die durch das Internet entstehen oder entstehen können. Zunächst beschäftige ich mich mit der Internetsucht. Lange Zeit haben sich Wissenschaftler und Psychologen darüber gestritten, ob Internetsucht wirklich existiert. Deswegen setze ich mich kurz mir den Merkmalen der Internetsucht auseinander und beschreibe anschließend die Stadien der Internetsucht. Ferner führe ich kurz die Therapiemöglichkeiten der Internetsucht sowie eine Studie der Humboldt Universität Berlin an. Danach widme ich mich nur kurz dem Thema Kinderpornographie. In diesem Zusammenhang möchte ich nicht auf die Gefahr eingehen, dass Kinder und Jugendliche zu Konsumenten von Kinderpornographie werden, sondern vielmehr auf die Gefahr, dass die durch das Internet verbreitet wird. Danach beschäftige ich mich mit dem Thema Prävention. Die Fragestellung lautet dabei: Wie schützt man Kinder und Jugendliche vor eben diesen und anderen potenziellen Gefahren? Um eine wirksame Prävention vor pornographischem oder radikalistischem Material zu erreichen, bedarf es gewisser Filtersoftware. Welche Möglichkeiten die Softwarehersteller diesbezüglich anbieten, soll in der Diplomarbeit ebenfalls behandelt werden. Meiner Meinung nach besteht die wichtigste Präventionsmöglichkeit darin, Kindern und Jugendlichen eine ‚gesunde‘ und funktionierende‘ Medienkompetenz mit auf den Weg zu geben. Medienkompetenz wird oftmals durch die Medienpädagogik vermittelt. Deswegen gehe ich zunächst auf die Medienpädagogik und ihre verschiedenen Richtungen ein. Im Anschluss daran erkläre ich Ziele und Aufgaben einer funktionierenden Medienpädagogik. Im darauf folgenden Teil gehe ich genauer auf die Medienkompetenz und ihre vier Dimensionen nach Dieter Baacke ein. Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass, für die Vermittlung von Medienkompetenz nicht mehr nur die Schulen verantwortlich sind. Vielmehr sollte sie eine Aufgabe der sozialen Arbeit und somit der Jugend- bzw. offenen Jugendarbeit sein. Daher befasse ich mich kurz mit der Jugendarbeit und gebe einen kurzen Abriss über ihre Geschichte. Da ich nicht nur Theorien beschreiben und erklären möchte, habe ich mich dafür entschieden, ein konkretes Projekt zu beschreiben. Dieses Projekt beschäftigt sich speziell mit dem Thema Internet und der Vermittlung von Medienkompetenz für Kinder und Jugendliche. Es handelt sich um ein Projekt aus der offenen Jugendarbeit. Mich hat interessiert, welche Projekte es gibt und welche Methoden in der offenen Jugendarbeit angewendet werden. Besonders interessant ist aber die Frage, ob und inwieweit die Kinder und Jugendlichen solche Projekte annehmen. Deswegen gehe ich in meiner Diplomarbeit noch kurz auf die

Onlineberatung und deren Vor- und Nachteile ein. Im Anschluss daran wird kurz die Anforderung an die soziale Arbeit bezüglich der Medienkompetenz des Sozialarbeiters/Sozialpädagogen diskutiert, bevor ich dann zum endgültigen Fazit der Diplomarbeit komme. Leider konnte ich nicht alle Themen mit der gleichen Intensität behandeln. Trotzdem hoffe ich, dass es mir gelungen ist, die Kernaspekte der jeweiligen Themen bzw. Problemfelder herauszuarbeiten.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass um den Lesefluss zu erleichtern, bei bestimmten Personen- oder Berufsgruppen durchgehend das maskuline grammatikalische Genus verwendet wurde (also: ‚Sozialpädagoge‘, ,Sozialarbeiter‘,

,Heranwachsender‘ oder ,Jugendlicher‘); die weiblichen Vertreter des jeweiligen Personenkreises sind dabei aber selbstverständlich immer mit eingeschlossen.

I. Sozialisation

Der folgende Abschnitt des Diploms beschäftigt sich mit der Sozialisation von Menschen. Es wird auf die Sozialisationstheorien, die Sozialisationsphasen und auch die Sozialisationsinstanzen näher eingegangen. Im Anschluss daran wird die Sozialisation durch Massenmedien beschrieben.

2. Definition Sozialisation

„Unter Sozialisation verstehen wir die Vorgänge, die dazu führen, daß die Menschen sich mehr oder weniger dem Wert- und Normsystem der Gesellschaft, in der sie leben, anpassen bzw. ihm angepaßt werden.“1

Der Begriff Sozialisation befasst sich also mit der Frage, wie und warum aus einem Neugeborenen ein autonomes, gesellschaftliches Subjekt wird. Oder anders formuliert: Wie wird man ein Mitglied der Gesellschaft?

Émile Durkheim war der erste, der den Begriff Sozialisation verwendete. Nach seiner klassischen Bestimmung bringt der Mensch von Geburt an zunächst eine Physis mit. In Bezug auf alle späteren Eigenschaften sind nur unbestimmte Anlagen vorhanden. Der Säugling, dessen Persönlichkeit sich erst in der sozialen Umwelt entwickeln muss, muss auf das gesellschaftliche Leben erst vorbreitet und vergesellschaftet, also sozialisiert werden.2 Dies ist ein zentraler Aspekt des Konzepts der Sozialisation: Die Persönlichkeitsentwicklung eines Individuums ist immer sozial bedingt und geschieht in Abhängigkeit von der Umwelt. Die Umwelt ist stets gesellschaftlich-historisch3 vermittelt. Durkheim verstand unter Sozialisation, dass erwachsene Personen Einfluss auf die Entwicklung von jüngeren Menschen nehmen, sie somit handlungsfähig für das Leben in der Gesellschaft machen.

Sozialisation beschreibt also den Prozess, in dem ein Individuum, das als ‚Barbar‘ geboren wird, in die jeweilige Gesellschaft mit den vorhandenen kulturellen und gesellschaftlichen Werten hineingeführt wird. Der Mensch ist also nicht von Geburt an Mitglied der Gesellschaft, sondern muss erst zu einem solchen gemacht werden.

2.1 Sozialisation und Erziehung

Menschen sind nach ihrer Geburt nur mit Instinkten und bestimmten Verhaltenmustern ausgestattet, die genetisch festgelegt sind. Aber auch die Fähigkeit zu lernen, sich inneren und äußeren Einflüssen anzupassen und diese zu internalisieren, ist dem Menschen mit in die Wiege gelegt.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sowohl die Begriffe Sozialisation, Erziehung und Entwicklung als auch die Begriffe Aneignung und Anpassung klar zu definieren und voneinander abzugrenzen.

Erziehung, Entwicklung, Aneignung und Anpassung stellen Untersysteme der Sozialisation dar, die immer enger auszulegen sind als Sozialisation selbst. Sozialisation umfasst somit die Gesamtheit der Lebensumstände und nicht nur die absichtlichen Maßnahmen.

2.1.1 Erziehung

Mit Erziehung ist die wechselseitige Situation zwischen Kindern und Erwachsenen gemeint. Es wird auch immer von einem Kompetenzgefälle zwischen dem Erziehenden und dem zu Erziehenden ausgegangen. Die größere Erfahrung liegt immer beim Erwachsenen: Er weiß mehr und ist somit in einer stärkeren Position dem Kind gegenüber. Dennoch oder gerade aus diesem Grund muss der Erziehende sich nach dem Handeln und dem Verhalten des zu Erziehenden ausrichten. Es besteht also eine wechselseitige Beeinflussung. Erziehung ist somit, wie schon bei Émile Durkheim zu erfahren ist, als eine „methodische Sozialisation“ aufzufassen, die auf bestimmte Themen und Gegenstände, Handlungen und Methoden und vor allem auf ein Ziel, das die Erwachsenen bezüglich des Kindes verfolgen, ausgerichtet ist. Bei Erziehung sprechen wir also von einer bewussten und geplanten Einflussnahme auf das zu sozialisierende Individuum.4

2.1.2 Entwicklung

Unter der Entwicklung eines Individuums ist eine Reihe von Veränderungen zu verstehen, in die gleichermaßen sowohl körperliche als auch geistige Reifung, aber auch das Lernen eingeschlossen sind. In der körperlichen Reifung ist der Mensch von sozialisierenden Methoden unabhängig. Körperliches Wachstum, also Größen- und Massenzunahmen des Körpers oder der einzelnen Körperteile sind Entwicklungsbereiche, in denen Erfahrungs-, Übungs- und Lernmöglichkeiten deaktiviert oder zumindest deutlich reduziert sind. Werden Komponenten der Entwicklung des Individuums, die doch erfahrungsabhängig sind, mit aufgenommen, spricht man vom Lernen. Lernen ist unter dem Begriff der Entwicklung zu verstehen als

Aneignung fundamentaler Eigenschaften des Menschen wie Motorik, Sprache und logisches Denken.5

2.1.3 Aneignung vers. Anpassung

Wird von Sozialisation als Aneignungsprozess gesprochen, darf dies nicht mit einem Anpassungsprozess verwechselt werden. Kinder sind aktive und veränderungsfähige Subjekte. Sie sind kein Schwamm, der alles aufsaugt und festhält, was an Einflüssen aus der Umwelt auf sie einwirkt. Sie sind in der Lage zu filtern und sich mit ihrer materiellen und sozialen Umwelt aktiv auseinander zu setzen. Der aktive Charakter des zu Sozialisierenden bedeutet, dass man nicht nur sozialisiert wird, sondern auch aktiv zur Sozialisation der Sozialisationsinstanzen beiträgt; Sozialisation ist also immer ein wechselseitiges Geschehen.

2.1.4 Sozialisation

In der gegenwärtigen Sozialisationsdebatte herrscht der Konsens, dass Sozialisation als ein Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit zu sehen ist.6 Die Persönlichkeit an sich ist als ein spezielles Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Kompetenzen zu gewissen Handlungen zu verstehen.7 Dieses spezielle Gefüge kennzeichnet einen Menschen und macht ihn einzigartig: zu einer Persönlichkeit. Die Persönlichkeit besteht sowohl aus von außen beobachtbare Verhaltensweisen, Werte, Wissen und Sprache als auch innere Prozesse und Zustände, Gefühle und Motivationen.8 Die einzigartigen Persönlichkeiten entwickeln sich im Rahmen der Sozialisation in Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Und eben diese Abhängigkeit beruht auf der Wechselseitigkeit zwischen der Sozialisationsinstanz und dem einzelnen „barbarischen“ Individuum.

Es gibt drei Perspektiven9, unter denen Sozialisation betrachtet werden kann:

- Sozialisation ist subjektbezogen, d. h. Heranwachsende sind aktiv mitgestaltende Menschen, die ihre Sozialisation mitbestimmen und nicht, wie oben bereits gesagt wurde, alles, was an Umwelteinflüssen vorhanden ist, wie ein Schwamm aufsaugen.
- Sozialisation ist institutionsbezogen, d. h. bei dieser Betrachtungsweise steht die Zwecksetzung und Funktion von gesellschaftlichen Institutionen wie zum Beispiel Betrieben, Schulen, Universitäten, Medien und Kirchen im Vordergrund. Es wird untersucht, auf welche Weise und mit welchen Effekten Sozialisation Wertehaltungen und Kulturtechniken dem zu Sozialisierenden nahe bringen.
- Sozialisation ist kulturbezogen. Unter Kultur wird hier das Bedeutungssystem einer Gesellschaft oder Gruppe verstanden. Die Frage ist nur, wie sich die heranwachsenden Individuen diese Kultur aneignen, sich in dem Vorhandenen selbst sehen und die Kultur auf sich reflektieren. Weiter ist zu hinterfragen, wie Kinder und Jugendliche die vorhandene Kultur prägen und verändern.

Zusammenfassend ist zu sagen: Das Denken und Handeln erlernen Menschen in einem sozialen Lernprozess, der bei der Geburt beginnt und erst mit dem Tod endet. Somit findet er ein Leben lang statt.

„Sozialisation ist kein zeitlich und räumlich begrenzter, sondern ein lebenslanger Vorgang.“10

Es geht für das Individuum um das Erlernen von Rollen sowie von Werten und Normen der Gesellschaft. Diese Entwicklung ist entscheidend für jeden Menschen, denn nur so kann er zum einzigartigen Individuum werden. Der Mensch wird in die Gesellschaft eingeführt und somit sozialisiert.

Ohne Sozialisation ist ein Mensch nicht lebensfähig und ohne sie kann er Unterwerfung ebenso wenig wie Eigenständigkeit lernen. Die Sozialisation festigt also die Entwicklung des Menschen zu einer autonomen Persönlichkeit, doch bleibt kritisch zu fragen, wie autonom sie tatsächlich ist.

2.2 Sozialisationstheorie nach Freud

Abbildung 1: Es, Ich und Über-Ich nach S. Freud

Freud ist wohl als derjenige anzusehen, der die Grundlage für die Sozialisationsforschung geliefert hat. Er begründete die Psychoanalyse und arbeitete mit ihrer Hilfe elementare Begriffe und Konzepte heraus, wie z. B. das Unbewusste, die Verdrängung, die Neurose, die Sexualentwicklung und die Bedeutung der frühen Kindheit für die Sozialisation.11

Aus seiner Sicht findet die Entwicklung der Persönlichkeit immer in Beziehung zu einem anderen emotional wichtigen Menschen statt. Freud teilte die persönliche Entwicklung zwischen der Geburt und dem 21. Lebensjahr in fünf Phasen ein. In diesen fünf Phasen wird nach Sigmund Freud der psychische Apparat des Menschen entwickelt. Er besteht aus drei psychischen Instanzen, und das Zusammenspiel dieser Instanzen bewirkt, dass wir ‚funktionieren‘, und nur wenn jeder einzelne von uns ‚funktioniert‘ kann auch das Zusammenleben in der gesamten Gesellschaft ‚funktionieren‘.12

Freud versuchte zu erforschen, warum wir Menschen überhaupt handeln. Wir handeln, weil uns die in uns von Geburt an angelegten Triebe dazu motivieren. Diese Triebe werden als die psychische Instanz, „Es“, beschrieben. Im „Es“ sind alle sexuellen und aggressiven Triebe versammelt, und es verlangt, von den Lustansprüchen getrieben, sofortige Befriedigung. Kleinkinder erkunden im ersten Lebensjahr, das als orale Phase bezeichnet wird, ihre Umwelt, in erster Linie mit dem Mund und den Lippen. Die Nervenenden dieser Organe sind in diesem Alter extrem empfindlich und verhelfen dem Kind dadurch zu einem Lustempfinden. Alles, was ein Kind zu greifen bekommt, wird in den Mund gesteckt und auf diese Weise erkundet. Freud bezeichnet dieses unbewusste und vor allem irrationale Verhalten als Lustprinzip. Es besitzt keinerlei Moral.

Ein solches Prinzip ist natürlich nicht ‚gesellschaftsfähig‘. Um ein Zusammenleben in der Gesellschaft mit anderen Menschen zu ermöglichen, muss eine Beziehung zu diesen Menschen organisiert werden, was nicht den Trieben überlassen werden darf. Die Organisationsfunktion übernimmt die psychische Instanz des ‚Ich‘. Das ‚Ich‘, dass auch Realitätsprinzip genannt wird, ermöglicht es dem einzelnen Individuum, Triebansprüche zu verschieben, Abwehrmechanismen zu mobilisieren oder Anpassungen zu regeln. Freud teilt das ‚Ich‘ in der kindlichen Entwicklung in zwei Phasen ein: in die anale Phase, zwischen zweitem und drittem Lebensjahr und die infantil-genitale Phase vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr. In der ersten Phase lernen die Kinder, ihre Ausscheidungen auf Kommando und eine zudem noch reinliche Art zu verrichten. Das Kind macht erste Erfahrungen mit Grenzen, die von der Gesellschaft gesetzt und gefordert werden. In der zweiten ‚Ich-Phase‘ lernt das Kind Ekel-, Scham- und Moralgefühle kennen, welche durch von der sozialen Umwelt sanktionierte Wünsche hervorgerufen werden. Das Realitätsprinzip nimmt also eine Vermittlerrolle zwischen den Triebansprüchen einerseits und den Ansprüchen der

Außenwelt andererseits ein.13

Die Motive und die in dieser Vermittlung enthaltenen Wertmaßstäbe erreichen uns nun durch die dritte und letzte von Freud beschriebene Instanz, durch das ‚Über-Ich‘. Dieses

‚Über-Ich‘ bringt uns gesellschaftliche Normen und Werte, Gebote und Verbote nahe. Es ist also die Gewissensinstanz einer Person oder, anders ausgedrückt, es umfasst die moralische Funktion einer Persönlichkeit, es fungiert also als Moralitätsprinzip. Kinder entwickeln dieses ‚Über-Ich‘ in der Latenzphase zwischen dem fünften und dreizehnten Lebensjahr und in der genitalen Phase zwischen dem vierzehnten und einundzwanzigsten Lebensjahr. Nachdem die Sozialisation in den ersten sechs

Lebensjahren erfolgreich verlaufen ist, ruht in der Schulzeit nun die Sexualität.14 Diese

Triebe werden in der Latenzphase aufgrund der inneren Widerstände verdräng und in Freundschaftsbeziehungen umgelenkt. Diese Phase wird auch gerne als das Bandenalter bezeichnet. Ungefähr ab dem vierzehnten Lebensjahr reifen die erogenen Zonen weiter heran, und es geht nun um das Beschauen, Betasten, Küssen, Eindringen und Sich- Hingeben. Die Sexualfunktionen reifen heran, und der Sexualtrieb steht nun im Dienst der eigentlichen Fortpflanzungsfunktion. Der Jugendliche beginnt die Aufnahme sexueller Beziehungen.

Jede Phase der kindlichen Entwicklung und somit der kindlichen Sozialisation ist von Geburt an stets mitbestimmten Probleme verbunden, die von dem einzelnen kindlichen und jugendlichen Individuum bewältigt werden müssen. Durch die Bewältigung dieser Phasen vollzieht sich nach Freud die Subjektentwicklung. Werden die Probleme oder Entwicklungskrisen in den einzelnen Phasen durchgestanden, so führt dies letztendlich zu einer Stärkung des Ich.

2.3 Sozialisationsphasen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Phasen der Sozialisation

Im folgenden Abschnitt sollen die einzelnen Phasen der Sozialisation und ihre Funktionen beschrieben werden.

2.3.1 Primäre Sozialisation

Unter primärer Sozialisation versteht man das erste Erlernen von Werten und Normen. Die erlernten Normen, Werte und Verhaltensmuster werden vom Individuum als dauerhaft beständig angesehen und in der Familie oder in Beziehungen zu Gleichaltrigen vermittelt.

Mit der Geburt eines Individuums beginnt dessen Sozialisation. Vorerst findet Sozialisation nur in der Herkunftsfamilie statt. Die erste Beziehung eines Kindes ist die zu der eigenen Mutter, somit stellt gerade zu Beginn die Mutter die Umwelt dar. Es handelt sich also um ein überschaubares, soziales Gefüge, in dem das Individuum seine ersten Werte, Normen und Rollen internalisiert.

In der primären Sozialisation, die sich von der Geburt bis zum Alter von etwa drei Jahren erstreckt, werden dem Kind die Thesen und Theorien der kindlichen Bezugspersonen (auch als die signifikant Anderen bezeichnet), wie z. B. der Mutter, als einzig wahre, als einzig wirkliche Welt in seinem Geist festgeschrieben. Anfangs sind diese Personen unanzweifelbar, verhalten sich unausweichlich richtig und auch im weiteren Leben bleiben sie beherrschend. Das Weltbild eines Menschen wird nie wieder so in Ordnung sein wie in dieser Phase der Sozialisation. Die Welt der signifikant Anderen wird für das Kind zur Welt schlechthin, da es keine Möglichkeit hat, sich seine Bezugspersonen auch nur ansatzweise auszusuchen. Der Sozialisationskandidat ist seinen Bezugspersonen bzw. den signifikant Anderen beinahe völlig ausgeliefert. Darum ist das, was an Welt in der primären Sozialisation internalisiert wird, so viel fester im Bewusstsein verschanzt, als Welten, die auf dem Wege sekundärer oder gar tertiärer Sozialisation internalisiert werden. Die Welt der Kindheit ist zweifelsfrei wirklich, sie ist das sichere Paradies, in das sich viele später zurückwünschen werden.

Die Definition der Wahrheit wird aber im Laufe der ersten primären Sozialisation von den nun zunehmenden Bezugspersonen variiert. Das bedeutet, dass die gesellschaftliche Welt für das Individuum doppelt gefiltert wird, sowohl durch das Sieb der Subgesellschaft der sozialen Schicht, in der das Kind aufwächst, als auch durch die individuelle Sicht der einzelnen Bezugspersonen. Um dies möglich zu machen, wird an diese Anderen eine starke Gefühlsbindung geschaffen.

Durch die in der primären Sozialisation eingegangen Bindungen und Identifikationen wird das Individuum in die Lage versetzt, sich als sich selbst und mit sich selbst zu identifizieren, eine eigene subjektiv kohärente und plausible Identität zu gewinnen. Der Mensch wird also zu dem, was seine Bezugspersonen in der primären Sozialisation in ihn hineingelegt haben. Die Person, das ‚Selbst‘, entsteht aus dem, was von außen, und dem, was von innen in die Person hineingelegt wurde. Das Kind lernt zu sein, was man es also heißt. So erlangt es seinen Platz in der Welt, von dieser Basis aus lernt es, sich die Welt anzueignen, seine erste Rolle einzunehmen.

Es geht hierbei um eine Rolle, die dem Individuum ein Leben lang zugeschrieben sein wird. Gemeint ist damit die Rolle als Sohn oder Tochter. Diese Rolle wird, egal in welchem Alter sich ein Individuum befindet, immer bleiben. Ein Individuum wird immer Sohn oder Tochter der Eltern sein; dies ist die einzige Rolle, die nicht abgelegt werden kann. Spätere Rollen, die ein Individuum erlernt, werden meist nur für geringe Zeit Bestand haben. Oftmals wird die Rolle neu definiert, oder jemand anders nimmt diese Rolle ein. Ausnahmen sind hier die Rolle als Mutter oder Vater, Großmutter oder Großvater etc.

Nicht zu vergessen ist jedoch, dass die primäre Sozialisation mit Konsequenzen arbeitet, die festgesetzt sind. Die Sozialisationsprogramme sind somit zum Beispiel nach Geschlecht, Alter oder sozialer Herkunft recht unterschiedlich. Auch bestimmen die meisten dieser Programme wohl, was Mädchen oder was Jungen lernen müssen.

Diese Thesen der Sozialisation durch die Familie werden Bestand haben fraglich ist nur, ob der auf diese Weise Sozialisierte mit ihnen oder gegen sie lebt, ob er das Erbe seiner Eltern, ihre Welt weiterführt oder ob er sich alternative Welten erschließt, sich selbst vielleicht welche bildet.

Die Einflussnahme der Gesellschaft ist also zu Beginn der Sozialisation eher gering. Erst mit zunehmendem Alter eines Individuums nimmt auch der Einfluss der jeweiligen Gesellschaft zu, und es kommt zu einem Interaktionsprozess zwischen Gesellschaft und Individuum, der für die fortwährende Sozialisation von großer Bedeutung ist.

Die primäre Sozialisation findet ihr Ende also an dem Punkt, an dem das zu sozialisierende Individuum die Bezugsperson (den generalisierten Anderen) völlig internalisiert hat. Der Sozialisierte wird nun ein ‚nützliches Mitglied der Gesellschaft‘. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die sekundäre Sozialisation.

2.3.2 Sekundäre Sozialisation

Die sekundäre Sozialisation bedeutet in erster Linie die Übernahme neuer Rollen und den Eintritt in neue Subsysteme. Sie bereitet das Individuum auf seine Rolle in der Gesellschaft vor und findet hauptsächlich in der Familie, dem Kindergarten oder der Schule oder der Altersgruppe (den ‚Peers‘) statt. Auf die Sozialisation in Familie, in der Schule und in den Peer-Groups soll im Anschluss an die Sozialisationsphasen noch näher eingegangen werden, deshalb gehe ich an dieser Stelle auf die Phase der sekundären Sozialisation nicht ausführlicher ein. Es sei hier nur so viel gesagt, dass die sekundäre Sozialisation etwa ab dem dritten Lebensjahr stattfindet, was dem Kindergarteneintrittsalter entspricht, und dauert etwa bis zum Ende der Schulzeit und dem damit verbundenen Eintritt in das Berufsleben und das Erwachsenenalter.

2.3.3 Tertiäre Sozialisation

Die tertiäre Sozialisation findet im Erwachsenenalter statt. Sie bezeichnet die Anpassungen, die das Individuum in Interaktion mit seiner sozialen Umwelt ständig vornimmt und vornehmen muss. Von tertiärer Sozialisation wird vor allem im beruflichen Bereich (berufliche Sozialisation) gesprochen. Die berufliche Sozialisation macht den Großteil der tertiären Sozialisation aus. Aber wir Menschen leben nicht nur in der Berufswelt, sondern auch in unserer ganz eigenen Umwelt. Diese zwingt uns auch immer wieder zu neuen Anpassungen, evtl. sogar täglich. Sei es nun, dass wir eine Partnerschaft eingehen, eine Familie gründen oder in einen Verein eintreten. Immer wieder müssen wir uns neuen Gegebenheiten anpassen und uns weiterentwickeln. Es gibt aber auch Entwicklungen in unserer Umwelt, auf die wir keinen oder nur wenig Einfluss haben und denen wir uns trotzdem anpassen müssen. Ich meine damit politische Veränderungen, gesetzliche Änderungen oder auch sich verändernder Freundeskreis. Wir müssen uns in vielen Bereich unseres Lebens immer wieder neu anpassen und sozialisieren. Die Sozialisation stellt also einen lebenslangen Prozess des Lernens und der Anpassung dar.

3. Sozialisationsinstanzen

Sozialisationsagenturen oder- Instanzen werden all solche Instanzen genannt, die einen Menschen bei seiner Entwicklung zu einer individuellen und selbstständigen Persönlichkeit unterstützen, antreiben oder steuern.

3.1 Sozialisationsinstanz Familie

Der Begriff Familie ist sehr umfassend, der je nach der Region, in der man lebt, je nach der Epoche, von der man spricht oder je nach der sozialen Zusammensetzung, die man meint, unterschiedlich aufgefasst werden kann.

Nichtsdestoweniger ist es unumstritten, dass die mit dem Familienbegriff bezeichenbaren Lebensformen in der Sozialisation eine herausragende Stellung einnehmen, weil sie auf der einen Seite die persönliche Identität eines Individuums hervorbringen und auf der anderen Seite gleichzeitig gemeinschaftliche und soziale Identitäten begründen.

Die Bildung des Gewissens, Weltdeutungen, Kompetenzen sozialen Handelns, Leistungsmotivation und Sprachstil, grundlegende Gefühle, Wertorientierungen und kognitive Schemata – all das wird gemäß den bekannten Theorien und Forschungen zur Sozialisation unstrittig in der Familie als zentralem sozialen Ort für die Heranwachsenden vermittelt.

Die Bedeutung, die der Familie nun zukommt, ist also klar. Was aber genau eine Familie ist, soll nun kurz erörtert werden, da es keine allgemein anerkannte Definition gibt.

3.1.1 Definition des Begriffes Familie

Es gibt mehrere Definitionsansätze:

1. „[…] Parsons betont in der makrosoziologisch orientierten strukturfunktionalen Sichtweise zwei unabdingbare Funktionen: die Funktion der primären Sozialisation im Sinne der Einführung des Heranwachsenden in seine Rolle als Mitglied der Gesellschaft und die Funktion, die Erwachsenenpersönlichkeit zu stabilisieren[…]“15. Parsons sieht in der Familie Werte repräsentiert, die sich in den bestimmten Rollenanforderungen der Familie widerspiegeln. So nimmt die Mutter eine fast grenzenlose Bedeutung ein, und der Vater als Ernährer der Familie verknüpft für den Heranwachsenden die Familie mit der Gesellschaft.
2. Andere Soziologen sehen in der Familie eine Haushaltsgemeinschaft, in der die Eltern oder ein Elternteil mit ihren bzw. seinen Kindern zusammenleben/ zusammenlebt. Für sie gibt es die Drei-Generationen-Familie (Großeltern,
Eltern, Kinder), die Eltern-Familie und die Ein-Eltern-Familie (Vater- und/oder Mutter-Familie).16
3. Eine sehr breite Definition der Familie liefert das Statistische Bundesamt: „Als Familie im Sinne der amtlichen Statistik zählen – in Anlehnung an Empfehlungen der Vereinten Nationen – Ehepaare ohne und mit Kind(ern), sowie alleinerziehende, ledige, verheiratet getrenntlebende, geschiedene und verwitwete Väter und Mütter, die mit ihren ledigen Kindern im gleichen
Haushalt zusammenleben“17
4. Üblicherweise wird Familie auch als eine Lebensgemeinschaft von Eltern mit deren Kindern beschrieben, die für letztere die biologische, wirtschaftliche und geistig-seelische Lebensgrundlage darstellt.
5. Eine weitere Definition ist einer subjektiven Betrachtung der Familie geschuldet. Ihr Ansatz ist es, dass z. B. der Heranwachsende definiert, wer seiner Ansicht nach zur Familie gehört. Diese Definition ist in der Wissenschaft noch umstritten. „Familienmitglieder sind meist Verwandte, müssen es aber nicht sein. Aus der Sicht der Befragten sind jedoch nicht alle, die zur Familie gehören könnten, auch tatsächlich Mitglieder ihrer Familie. Andererseits werden Personen zur eigenen Familie gerechnet, die nach dem allgemeinen

Verständnis nicht dazu gehören.“18

3.1.2 Geschichte der Familie

Die Familie, wie wir sie heute kennen, hat sich erst im Laufe der letzten 200 Jahre entwickelt. Anfang des 19. Jahrhunderts war die Familie mit der Hausgemeinschaft identisch, in der man lebte. Jeder hatte seinen Bereich, alle waren da, um die anfallenden Arbeiten zu erledigen. Die patriarchalische Gewalt lag beim Hausvater. Sie war je nach ökonomischen Stärke des Hauses mehr oder weniger ausgeprägt. Blutsverwandtschaft spielte keine Rolle. Neue Ehen und Familien ergaben sich in engem Zusammenhang mit den Sozialstrukturen, d. h. es wurde nach Stand, Zunft und Besitz geheiratet. Taglöhnern und der besitzlosen Bevölkerung war Heirat oft unmöglich bzw. untersagt. Die Heirat diente lediglich dem Erhalt der ökonomischen Macht und Stärke des Haushalts. Familien in dieser Zeit waren durch ein hohes Maß an Verlässlichkeit und Stabilität gekennzeichnet. Durch eine starke soziale Kontrolle der Sippe war ein Ausscheren kaum möglich. In den meisten dieser Familien war das Familien- mit dem Wirtschaftsleben identisch (Bauern, Handwerker, Kaufleute).

Mit der örtlichen Trennung von Familienleben und Erwerbsarbeit wurde die bis dahin gültige Struktur der Familie verändert. Der Vater, das Familienoberhaupt, tritt mit seiner Erwerbstätigkeit außer Haus nun an die Stelle des Ernährers. Im Kontor, der Kanzlei oder auf der Lehrkanzel verdient er nun den Unterhalt für die Familie. Mit der Trennung von Arbeit und Erwerbstätigkeit auf zwei verschiedene Orte beginnt in der Familie die Bildung eines Intimbereichs, eines privat-familialen Binnenraumes. Die Frau wird von der Arbeitsgefährtin oder Wirtschaftsleiterin des großen Haushaltes zur

‚liebevollen Ehefrau‘. Dies stellt einerseits ein Fortschritt, andererseits eine klare Einschränkung ihres Lebenszusammenhanges dar.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchdringt diese Familienform nun alle Schichten und Klassen und nicht nur die gebildete Oberschicht: Es entsteht die neue Form der Familie.

3.1.3 Beziehungen innerhalb der Familie in der Geschichte

Während, wie oben schon angedeutet, die Frau von der reinen Arbeitsgefährtin oder Wirtschaftsleiterin zur Frau und Hausfrau wird und das Standesdenken und -heiraten immer mehr verschwindet, verändert sich in der Familie die emotionale Basis / der ‚emotionale Haushalt‘ grundlegend.

War in der Standesheirat nur die ökonomische Seite von Belang, so wurden mit der Entwicklung zur traditionellen Familie die Beweggründe andere. Das Verhältnis der Ehepartner zueinander änderte sich. Die Selbstverständlichkeit der Kopplung von nützlichen und vernünftigen Zwecken mit der Partnerwahl begann brüchig zu werden. Den Partnern wurde es immer wichtiger, gefühlsmäßig zueinander zu passen, d. h. sich zu ,lieben‘.

3.1.4 Kinder in der Familiengeschichte

In den großen Haushalten der vorbürgerlichen Zeit war die Stabilität und der Charakter nicht an einzelnen Personen festgemacht. Kinder wurden geboren und wuchsen einfach im Getriebe der alltäglichen Verrichtungen und Verpflichtungen mit auf und wurden sehr früh in die Aufgaben der Erwachsenen mit eingebunden. Sie standen nie im Mittelpunkt der Familie. Die Mütter hatten meist nicht die Zeit, sich um die Kinder zu kümmern.

„Erst mit der Entwicklung zur bürgerlichen Familie konnte sich die ,Mutterliebe‘ entwickeln und die Gleichgültigkeit und das Desinteresse an den Kindern wich: Die Familie wurde kindzentriert.“19

In der heutigen Zeit und den heute auftretenden Familienformen haben Kinder und Jugendliche wiederum mit neuen Entwicklungen zu tun. Es ist wieder eine Abnahme der Kindzentriertheit zu beobachten, was für die Heranwachsenden sicher die folgenreichste Entwicklung ist. Zudem nimmt die normative Kraft von Ehe und Familie ab, alternative Lebensformen weichen in vielen Aspekten vom Leitbild der

‚Normalfamilie‘ ab, viele Ehen scheitern.

3.1.5 Sozialisationstheorien in der Familie

Leider gibt es noch keine umfassende Sozialisationstheorie, mit der die Vorgänge in der Familie beschrieben werden könnten. Im Folgenden möchte ich einige für mich interessante Modelle kurz beschreiben.

3.1.5.1 Rationale Theorien

Rationale Familientheorien basieren auf der Annahme, dass sich das Verhalten der Menschen als rationaler Prozess beschreiben lässt.20 Handlungen in der Familie sind hiernach als ein Ergebnis von Entscheidungsprozessen aufzufassen, die vor dem Hintergrund immer wieder gestellter Fragen ablaufen. So wird hinterfragt, ob es sich z.

B. lohnt Mitglied eines Familienhaushalts zu sein bzw. in einer anderen Familienform zu leben. Auch die Frage: Welche Möglichkeiten und welche Alternativen stehen einem Menschen für eine Beziehung zur Verfügung? ist sehr essentiell. Diese Fragen zeigen, dass immer das, was sie in eine Beziehung investieren, mit dem, was sie ihnen sozusagen bringt bzw. bringen soll, ins Verhältnis setzen. Nauck konnte in Studien belegen, dass Eltern mit ihren Kindern eine gewissen Nutzenerwartung verbinden, die in drei Klassenunterschieden werden können:

1. „Ökonomischer Nutzen: Die Kinder werden als Faktor im Haushalt mit eingeplant, sie können dort helfen, Tätigkeiten verrichten. Evtl. im elterlichen Betrieb mitarbeiten und diesen übernehmen. Aber auch an eine Unterstützung durch die jüngere Generation im Alter wird gedacht.
2. Psychischer Nutzen: Kinder sollen die familiären Beziehungen stärken und festigen. Für die Eltern ist es eine Freude, ihre Kinder aufwachsen zu sehen, was sich wiederum positiv auf die Stimmung der Beteiligten auswirkt.
3. Sozial-normativer Nutzen: Neben der Weiterführung des Familiennamens und dem ‚Zum-Ausdruck-bringen‘ der Kompetenz in der Elternrolle ist es für viele auch ein Statusgewinn, Kinder zu haben.“21

Das Wissen über diese Erwartungen und das Abschätzen, welchen Nutzen die Familie für die Sozialisation hat, kann zu weiteren Aussagen führen:

„Bei Eltern mit ökonomischen Nutzenvorstellungen ist ein höheres Ausmaß von Behütung und Kontrolle sowie eine stärkere Betonung von Gehorsam zu erwarten als beim Überwiegen von psychischen Nutzenvorstellungen. Umgekehrt werden Eltern, die vorwiegend expressive Beziehungen mit ihren Kindern anstreben, mehr Wert auf deren Selbständigkeit und Individualität legen. [...]“22

Anhand rationaler Familientheorien kann man also erklären, wie durch unterschiedliche Entscheidungsprozesse der Eltern auch Sozialisationsprozesse beeinflusst werden können. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass emotionale und psychosoziale Prozesse in dieser Theorie ganz außer Acht gelassen werden bzw. ihnen nur ein bedingter Einfluss eingeräumt wird. Dieses Manko versucht die Familienstresstheorie auszugleichen.

3.1.5.2 Familienstresstheorie

In jeder Familie gibt es Ereignisse, die Stress hervorrufen. Die Familienstresstheorie untersucht nun, welche Auswirkungen Krisen, belastende Lebensereignisse oder Stress auf die Sozialisation in der Familie haben. Es wird nach normalem Stress (z. B. Heirat, Schulanfang, Auszug der Kinder aus dem Haushalt) und außergewöhnlichem Stress (z.

B. Lottogewinn, Krankheit, Todesfall, Arbeitslosigkeit oder Trennung) unterschieden. Wenn der normale Stress schon als belastend erlebt wird, so kann man sagen, dass der außergewöhnliche Stress sogar als bedrohlich empfunden wird.

Wichtig ist nun zu wissen, welche Bewältigungsmöglichkeiten es in der Familie gibt, um das intakte Familienleben bzw. das Organisationsniveau zu erhalten oder wieder- herzustellen. Natürlich ist in erster Linie das persönliche Vermögen des Einzelnen gemeint: Sein Bildungsniveau, seine finanzielle Ausstattung, sein Selbstwertgefühl und seine Bereitschaft, sich auch fremde Hilfe zu beschaffen. Natürlich ist auch die Art und Weise, ob man sich selbst akzeptiert und wie man mit sich und der Außenwelt umgeht, von Bedeutung, und als dritter Faktor sind natürlich die Unterstützungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, die außerhalb der Familie liegen. Dazu zählen neben Freunden, Bekannten und Verwandten auch die öffentliche Hand, das Gesundheitswesen, soziale Wohlfahrtsorganisationen usw.

Hurrelmann stellte fest, das Menschen, die in ein festes und starkes soziales Bindungsgefüge eingebunden sind und dort wichtige Bezugspersonen haben, auch mit ungünstigen sozialen Lebensbedingungen besser umgehen können.23

Ob nun die Sozialisation in der Familie die Persönlichkeit der Kinder eher stärken oder belasten, hängt stark vom Einsatz der vorhandenen und oben aufgeführten Ressourcen ab. Ein starkes soziales Netzwerk als starke Basis in der Familie ist Grundlage für eine gelingende Sozialisation in der Familie.

3.1.5.3 Psychoanalytische Sichtweisen

Auf die psychoanalytischen Sichtweisen nach Sigmund Freud möchte ich an dieser Stelle nicht nochmals eingehen, da ich diese in Bezug auf die Sozialisation im Allgemeinen bereits unter Gliederungspunkt 2.2 ‚Sozialisationstheorie nach Freud‘ abschließend behandelt habe.

3.1.5.4 Familiale Sozialisation in sozioökologischer Sicht

Am weitesten Fuß gefasst von allen Theorien zur Sozialisation in der Familie hat wohl der sozialökologische Ansatz. Er ist recht anschaulich und bezieht sozialpolitische Erwägungen mit ein. Bronfenbrenner schuf ein Modell zur Unterscheidung konzen- trisch angelegter Sozialisationskontexte. Mit diesem Modell können die unterschiedlichen Einflüsse auf das Leben in der Familie beschrieben werden.

Es gibt eine Vielzahl von Einflussfaktoren, die auf die Sozialisation in der Familie einwirken. Diese Faktoren lassen sich zwei Analyseeinheiten zuordnen: der familienspezifischen Umwelt und dem innerfamiliären Sozialisationsgeschehen. Beide Bereiche sind wechselseitig aufeinander bezogen.

Die familienspezifische Umwelt lässt sich in die materielle Ausstattung des Nahraumes (z. B. Wohngebäude) und die soziale Zusammensetzung des Nahraumes (z. B. Alter, Geschlecht, Sozialstatus) gliedern. Beides zusammen genommen führt in den Bereich der Familie, in der Erfahrungen gemacht werden können.

Das innerfamiliäre Sozialisationsgeschehen ist erstens davon abhängig, wie sich die Erfahrungsbereiche der Kinder und der Eltern überlappen, und davon, wie sich die Erfahrungsgebiete auf Gefühle und Stimmungslagen auswirken. Überlappen sich die Erfahrungsbereiche, so profitieren die Kinder von den Eltern und umgekehrt. Drittens und letztens ist das Sozialisationsgeschehen von dem Erziehungsverhalten der Eltern abhängig, ihrer Beziehung zueinander und davon, wie sich daraus das Familienklima gestaltet.24

Es ist also ersichtlich, wie komplex das innerfamiliäre Geschehen der Sozialisation ist, da es immer auf Wechselseitigkeit beruht und alle Aspekte miteinander verknüpft sind.

3.1.6 Probleme bei der Sozialisation in der Familie

Die Familie, bestehend aus einem erwerbstätigen Vater, einer Mutter als Hausfrau und zwei oder mehr Kindern im schulfähigen Alter, stellte früher den Kern der Haushalte dar. Betrachtet man sich heutige Statistiken und Erhebungen, ergibt sich eine Pluralität an ‚Lebensformen‘.

Im Jahre 2000 sah die prozentuale Verteilung in Deutschland wie folgt aus:25

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Vielzahl der Lebensformen, für die sich Menschen entscheiden, richtet sich immer nach den unterschiedlichen Orientierungen im Rahmen von gesellschaftlichen Normen- und Wertvorstellungen.

Es ist somit ein deutlicher Wandel in der Eltern-Kind-Beziehung festzustellen. Die Entscheidung für ein Kind wird nicht mehr aus Gründen der Altersversorgung oder der Weitergabe des Familiennamens, sondern mit der Hoffnung auf eine Sinnerfüllung im Leben verknüpft.26 Das hat Auswirkungen auf die Anforderungen an den Heranwachsenden. Er soll schnell selbständig werden und er wird recht früh als Person mit Interessen und Bedürfnissen gewünscht. Dadurch ändert sich der Erziehungsstil, es wird antiautoritärer erzogen und mehr diskutiert. In dem Kind wird ein gleichwertiger Partner gesehen und erwartet. Kindern wird mehr zugelassen, sie kommen leichter mit ihren Wünschen durch, müssen somit oft nicht mehr lernen zu verzichten oder zu warten. Den Eltern fällt es dann sehr schwer, das Kind auch loszulassen und ‚wirklich‘ selbstständig werden zu lassen. Die Heranwachsenden müssen sich mit vielen Sozialisationsproblemen evtl. erst später auseinander setzen, es sei denn, sie finden in ihren Eltern ein Gegenüber, mit dem sie ,kämpfen‘/an dem sie sich ,abarbeiten‘ können.

Durch den Wandel der Berufswelt ist die Rolle der Frau neu definiert worden. Aus vielerlei Gründen (Selbstverwirklichung, finanzielle Gründe etc.) entscheiden sich Frauen neben der Erziehung noch einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Frauen müssen von nun an beide Lebensbereiche miteinander vereinen. Empirische Beweise für einen sich daraus ergebenden positiven oder negativen Einfluss auf die Sozialisation der Kinder gibt es bisher noch nicht.27 Von entscheidender Bedeutung ist, dass die

Kinder in der Zeit, in der die Mütter abwesend sind, angemessen betreut werden. Ist dies gewährleistet, kann auch außerfamiliär eine adäquate Erziehung stattfinden.

Auch im Falle der Sozialisation von Einzelkindern, Scheidungskindern, Kindern in Ein- Eltern-Familien und Kindern in armen Familien ist der Heranwachsende gewissen Gefahren ausgesetzt. So kann ein Einzelkind schnell als Sonderling gekennzeichnet oder ein Kind aus einer finanziell schwachen Familie nicht in die Gesellschaft oder Gemeinschaft der Peers aufgenommen werden, weil es einfach nicht die Klamotten trägt, die ‚in‘ sind. Auch Scheidungskinder, die nicht wissen, zu welchem Elternteil sie gehören und somit gefühlsmäßig ständig ein Wechselbad der Gefühle erleben, haben einen schwereren Weg der Sozialisation zu gehen, als wenn die Familienverhältnisse geregelt und geordnet sind.

Die Lebensbedingungen von Familien in den letzten Jahren sind nicht einfacher geworden. Das gesamte Umfeld der Familien ist schwierig, und die Familien an sich machen einen umfassenden Strukturwandel durch, der mit dem vor 200 Jahren vergleichbar ist. Die Familieneinheiten sind kleiner geworden, Ehescheidungen und nichtfamiliale Lebensformen nehmen zu, Geburten und Eheschließungen gehen zurück.

Dies alles lässt die Binnenstruktur einer Familie und vor allem die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern nicht unberührt. Es ist nun an der Sozialisationsforschung, alle Risikofaktoren, die die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden beeinträchtigen können, zu analysieren und zu erörtern. Ist dies getan, können neue Bedingungen für eine erfolgreiche familiäre Sozialisation geschaffen werden.

[...]


1 Gottschalch: Sozialisation. Weinheim 1985, S. 7.

2 vgl. Zimmermann: Grundwissen Sozialisation, Weinheim 2003. S. 13.

3 vgl. Zimmermann: a.a.O., S. 13

4 vgl. Zimmermann: a.a.O., S. 16.

5 vgl. Zimmermann: a.a.O., S. 16.

6 vgl. Zimmermann: a.a.O., S. 16.

7 vgl. Zimmermann: a.a.O., S. 17.

8 vgl. Zimmermann: a.a.O., S. 17.

9 vgl. Zimmermann (2003): a.a.O. S. 17.

10 Korte; Schäfers: Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie. Opladen 2000, S. 48.

11 vgl.: Zimmermann (2003): a.a.O., S. 22.

12 vgl.: Zimmermann (2003): a.a.O., S. 22.ff.

13 vgl.: Zimmermann (2003): a.a.O., S. 24 f.

14 vgl.: Zimmermann (2003): a.a.O., S. 24 f.

15 zit. n. Zimmermann 2003, S. 85: Parsons.

16 vgl. Zimmermann: Grundwissen Sozialisation. Weinheim 2003, S. 86.

17 vgl. Zimmermann: a.a.O., S. 86.

18 zit. n. Zimmermann 2003, S. 86f.: Bertram.

19 vgl. zit. n. Zimmermann 2003, S. 89: von Trotha.

20 vgl. Zimmermann a.a.O., S. 91.

21 zit. n. Zimmermann 2003, S.92: Hofer/Klein-Allermann/Noack.

22 zit. n. Zimmermann 2003, S.92: Hofer/Klein-Allermann/Noack.

23 vgl. Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie. Weinheim 1993, S. 240.

24 vgl. Zimmermann: Grundwissen Sozialisation. Opladen 2003, S. 98 f.

25 Engstler; Menning: Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Statistisches Bundesamt, siehe CD- Rom.

26 vgl. Zimmermann: Grundwissen Sozialisation. Opladen 2003, S. 103.

27 vgl. Zimmermann: Grundwissen Sozialisation. Opladen 2003, S. 105.

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Sozialisationsinstanz Internet - Probleme und Prävention am Beispiel der offenen Jugendarbeit
Hochschule
Fachhochschule Heidelberg
Note
2,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
114
Katalognummer
V118445
ISBN (eBook)
9783640212491
ISBN (Buch)
9783640212606
Dateigröße
1031 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialisationsinstanz, Internet, Probleme, Prävention, Beispiel, Jugendarbeit
Arbeit zitieren
Dipl. Sozialarbeiter / Dipl. Sozialpädagoge Michael Iburg (Autor:in), 2006, Sozialisationsinstanz Internet - Probleme und Prävention am Beispiel der offenen Jugendarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118445

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Sozialisationsinstanz Internet - Probleme und Prävention am Beispiel der offenen Jugendarbeit



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden