Hilflosigkeit, Kontrolle und eine Gruppenrallye

Zur Theorie und Praxis der Theorie der eigenen Wirksamkeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

43 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Konzept der eigenen Wirksamkeit
2.1. Erlernte Hilflosigkeit (Seligmann)
2.1.2. Der Begriff der erlernten Hilflosigkeit
2.1.3. Folgen der erlernten Hilflosigkeit im Experiment
2.1.4. Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit
2.1.5. Erlernte Hilflosigkeit als Modell für Depression
2.1.6. Wichtige Lebensphasen und Hilflosigkeit
2.1.7. Eine Weiterentwicklung der Theorie: Der Attributionsstil nach Abramson, Seligmann & Teasdale
2.2. Kontrolle
2.2.1. Begriffe: Kontrolle, Kausalität und Wirksamkeit
2.2.2. Das Vier-Stufen-Modell der Kontrollstrategien – Reaktanz, indirekte und sekundäre Kontrolle
2.2.3. Zur Bedeutung von Kontrolle im menschlichen Leben

3. Selbstwerterziehung in der Schule
3.1. Biografisches Entstehen der Kontrollmeinung und Selbstwertentwicklung
3.2. Experimentelle Befunde
3.3. Anregungen zur schulischen Förderung, Therapie und Prävention

4. Selbstreflexion: Ich bin eine gute Autofahrerin!

5. Praxisteil – Gruppenrallye: Die Zeichensprache der Chemiker
5.1. Vorgehensweise und Inhalte
5.1.1. Die Inhalte der Gruppenrallye
5.1.2. Legitimation des Themas
5.1.3. Ziele und Kompetenzen
5.2. Soziokultureller Hintergrund und Voraussetzungen der SuS
5.2.1. Die Realschule X, P.
5.2.2. Rahmenbedingungen des Chemieunterrichtes
5.2.3. Beschreibung der Lerngruppen
5.3. Vorgehensweise, methodische Überlegungen und Materialien
5.4. Reflexion

6. Persönliches Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“, sagt der Volksmund. Aber was sind denn die Dinge, die Kinder und Jugendliche als Basis für ihr Leben aus Schule und Familie mitnehmen sollen, die sich später im Leben nur schwer nachholen lassen?

Diese Arbeit will ausgehend von der Veranstaltung „Ich schaffe es! – Einführung in eine Psychologie der eigenen Wirksamkeit“ der Frage nachgehen, inwieweit die Erziehung im Sinne der Erfahrung eigener Wirksamkeit eine solche Basisausstattung für das Leben sein könnte. Dazu will ich mich zunächst der theoretischen Basis dieser Frage widmen, indem ich ausführlich die Theorie der erlernten Hilflosigkeit von Seligmann mithilfe wichtiger experimenteller Befunde, deren Interpretationen und der Weiterentwicklung dieser Erkenntnisse darstelle. Ein enger Zusammenhang besteht zum nächsten Kapitel, in dem es überwiegend um die Begriffe Kontrolle und Wirksamkeit, dem Umgang mit diesen Erfahrungen und ihrer Bedeutung für das menschliche Leben geht. Der Bezug zur schulischen Selbstständigkeits- und Selbstwerterziehung wird im folgenden Kapitel hergestellt über Flammers Theorie zur Entwicklung der persönlichen Kontrollmeinung, den experimentellen Befunden von Dweck u. a. und verschiedenen Theorien zu Fördermöglichkeiten im schulischen Kontext.

Diesem Theorieteil folgt ein praktisches Kapitel, in dem ich eigene biografische Erfahrungen mit Kontrolle und Hilflosigkeit bedenke.

Das vorletzte Kapitel reflektiert eine Unterrichtssequenz, die ich, motiviert durch die Faszination, die für mich von der Idee der Gruppenrallye zur Schaffung eines Origin-Lernklimas ausging, mit zwei neunten Realschulklassen durchgeführt habe.

Abschließend werde ich ein persönliches Fazit aus meinen Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis ziehen.

Selbstverständlich können die genannten Konzepte hier nur in begrenztem Umfang dargestellt werden. Das hier Dargestellte versteht sich als Auswahl aus den komplexeren Theorien für die für diese Arbeit bedeutsamen Zusammenhänge.

2. Das Konzept der eigenen Wirksamkeit

Um dieses Konzept Flammers Grund zu legen, möchte ich nun vor dessen Theorien die Theorie der erlernten Hilflosigkeit vom Seligmann darstellen.

2.1. Erlernte Hilflosigkeit (Seligmann)

„Offensichtlich gehört es zu einem befriedigenden Menschenleben, Wirkungen zu haben und auch wahrzunehmen, dass man Wirkungen hat.“[1] Diesem Begriff der Wirksamkeit steht der Begriff der erlernten Hilflosigkeit gegenüber, auf den nun zunächst ausführlich eingegangen werden soll. Er geht im Wesentlichen auf die Experimente und Interpretationen von Martin E. P. Seligmann zurück.

2.1.2. Der Begriff der erlernten Hilflosigkeit

Der Begriff der willentlichen oder operanten Reaktion ist grundlegend für Seligmanns Theorie der erlernten Hilflosigkeit. Diese Handlung wirkt auf ihre Umgebung („operant“), zeichnet sich durch Plastizität aus und ist durch Belohnung und Bestrafung modifizierbar.[2] Nur solche Reaktionen bezeichnet Seligmann als willentliche Handlung.

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Sie hängen unterschiedlich wahrscheinlich mit Konsequenzen und den damit verbundenen Lernerfahrungen zusammen. Seligmann erläutert diese Beziehungen mithilfe eines Schemas, dem sogenannten Reaktions-Kontingenzen-Raum, in das Wahrscheinlichkeiten des gemeinsamen Auftretens, er nennt sie Kontingenzen, eingetragen werden können. Die beziehen sich auf vier Reaktions-Konsequenz-Verknüpfungen, die er „magische Momente“[3] nennt. Die y-Achse bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, dass eine Konsequenz K eintritt, wenn R nicht ausgeführt wird (p(K/R), die x-Achse die Wahrscheinlichkeit, dass K erfolgt, wenn R ausgeführt wird. An der x-Achse lassen sich alle Fälle intermittierender oder kontinuierlicher Verstärkung eintragen, die aus der Erfahrung resultieren, dass in unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit auf die Reaktion eine Konsequenz folgt.

Eine Extinktion, also Löschung, würde hier die Tatsache bewirken, dass auf eine Reaktion keine Konsequenz folgt.

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Anhand der y-Achse lassen sich alle Lernerfahrungen erfassen, die daraus resultieren, dass eine Konsequenz ohne vorherige Reaktion erfolgt, also von ihr unabhängig ist. Seligmann bezeichnet dies als differenzielle Verstärkung anderer Verhaltensweisen („diffential reinforcement of other reactions“(DRO)[4] ).

Interessant ist nun für Seligmann die 45o-Achse in dem nebenstehenden Diagramm. „Für jeden Punkt auf dieser Linie ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Konsequenz folgt, gleich, unabhängig davon, ob eine Reaktion ausgeführt wurde oder nicht.“[5] Damit ist die Konsequenz unkontrollierbar, dies sind die (Lern-) Bedingungen, eine willentliche Reaktion vorausgesetzt, unter denen Hilflosigkeit auftritt.[6]

2.1.3. Folgen der erlernten Hilflosigkeit im Experiment

Mithilfe des sog. triadischen Versuchsplans[7] hat Seligmann Experimente durchgeführt und so Folgen von erlernter Hilflosigkeit bei einer ganzen Reihe von Tierarten und dem Menschen nachweisen können. Dabei handelt es sich um ein Versuchssetting mit einem Vortraining in drei Untergruppen. Die erste Gruppe ist in einer Situation, in der sie einem unangenehmen Reiz, beispielsweise einem Elektroschock, ausweichen oder ihn verhindern kann, die zweite Gruppe dagegen hat keinerlei Einflussmöglichkeiten.

Wichtig ist dabei, dass jedes Versuchstier „genau die gleichen physischen Konsequenzen erfährt, wie sein Gegenüber aus der ersten Gruppe.“[8] Man nennt diese Vorgehensweise Jochen oder yoking. Gruppe 3 erhält kein Vortraining. Nun wird in einem weiteren Schritt das Verhalten dieser drei Gruppen in unterschiedlichen Situationen verglichen.

Im sicherlich meistzitierten Versuch Seligmanns mit Hunden[9] zeigen die Tiere der Gruppe 2 keinerlei Motivation bei nachfolgenden Aufgaben, sondern sind völlig passiv, die Hunde der Gruppe 1 dagegen lernen neues Verhalten, das zur Kontrolle der Situation führt, deutlich schneller als Kontrollgruppe 3. Seligmann interpretiert dies so, dass das Trauma des Vortrainings eine erlernte Hilflosigkeit zur Folge hat, die die Motivation für weitere Lernsituationen, „ja generell die Initiative zu aktivem Handeln,“[10] beeinträchtigt.

Die Hunde der zweiten Gruppe kehren im Weiteren zu ihrem passiven Verhalten zurück, selbst nachdem sie ein Mal erfolgreich dem Elektroschock ausgewichen sind, während Hunde der dritten Gruppe dieses Verhalten sofort beibehalten. Seligmann interpretiert das so, dass ein solcher Hund Schwierigkeiten hat, „zu lernen, dass seine Reaktion einen Einfluss hat, selbst wenn sie tatsächlich erfolgreich ist.“[11] Hilflosigkeit beeinträchtigt also die Lernfähigkeit.

Aus der Tatsache, dass diese Reaktionsmuster bei einmaliger Erfahrung von Hilflosigkeit nach kurzer Zeit wieder verschwinden, schließt Seligmann, dass auch die auftretenden emotionalen Störungen nur temporär sind („Katastrophen-Syndrom“[12] ).

“Wiederholtes Erleben von Unkontrolliertheit führt [dagegen] zu chronischer Beeinträchtigung der Reaktionsbereitschaft“[13] und ruft, beispielsweise in einem Experiment mit Ratten, deutlich häufiger als bei den anderen beiden Gruppen Magengeschwüre hervor, die als Indiz für Angst gelten.[14]

Es lassen sich also neben der geringen Motivation zu aktivem Handeln und der Fähigkeit, Erfolge wahrzunehmen auch gesteigerte Emotionen als Störungen infolge von Hilflosigkeit ausmachen. „Diese Auswirkungen treten bei einer Vielfalt von Tierarten auf und sind auch beim Homo sapiens auffällig.“[15]

2.1.4. Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit

Seligmann weist darauf hin, dass nach seiner Überzeugung, besonders dann, wenn die Reaktion und die Konsequenz voneinander unabhängig sind, ein Lernprozess stattfindet. Dessen Ergebnis ist erlernte Hilflosigkeit. Dadurch wird die Initiative zu Reaktionen, die Konsequenzen kontrollieren, geringer. Die Erfolgswahrnehmung und damit das Lernen wird erschwert und stärkere Ängste werden ausgelöst, die auch zu Depressionen führen können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Information über die Kontingenz gewinnt der Organismus durch Erfahrung aus seiner Umwelt, sie muss verarbeitet werden und in eine kognitive Repräsentation der Kontingenz transformiert werden, durch „Lernen, Wahrnehmen oder Überzeugtsein, dass Reaktion und Konsequenz unabhängig sind.“[17]

Die dabei entstehende Erwartung sieht Seligmann als Ursache der drei Störungen, die die Hilflosigkeit begleiten. Motivationale Störungen entstehen deswegen, weil keine Anreize für willentliches Handeln da sind. Kognitive Störungen werden dadurch verursacht, dass die erlernte Reaktions-Konsequenz-Unabhängigkeit das aktive Erlernen des Gegenteils behindert. Die beobachteten emotionalen Störungen erklärt Seligmann damit, dass auf eine Hilflosigkeitserfahrung zunächst Furcht folgt, bis die Erfahrung kontrolliert werden kann oder die aktuelle Furcht vor einem konkreten Ereignis durch eine Depression ersetzt wird, die nur langsam wieder verschwindet.

Seligmann geht deswegen davon aus, dass eine Behandlung der Hilflosigkeit sehr schwierig ist. Eine direktive Therapie, die Hunde zwang, erfolgreiche Handlungen immer wieder auszuführen, führte nur zu sehr schleppenden Veränderungen.[18] Große Erwartungen setzt er allerdings in die Prävention von Hilflosigkeit durch Immunisierung, die er von vorausgehenden Erfahrungen der Wirksamkeit erwartet. Andere Erklärungsmuster für das beobachtete Verhalten, wie das Erlernen inkompatibler motorischer Reaktionen, Adaption, also die Gewöhnung an die traumatische Situation, Erschöpfung oder Sensibilisierung lehnt Seligmann ab. Physiologische Erklärungsmuster, wie den Mangel von Noradrenalin im Gehirn, sieht er dagegen als völlig kompatibel mit seiner Theorie an. „Sowohl kognitive wie physiologische Prozesse beeinflussen Hilflosigkeit.“[19] [20]

2.1.5. Erlernte Hilflosigkeit als Modell für Depression

Seligmann sieht seine Theorie als interessantes Erklärungsmodell vor allem für sog. reaktive Depressionen an.

Sie machen etwa 75 % der Fälle aus, folgen einem äußeren Ereignis, sind schlecht medikamentös oder durch Elektroschocktherapie behandelbar, haben keine genetische Disposition und zeichnen sich durch einen milderen Verlauf aus als endogene.[21]

Er erkennt in ihr die Symptome mangelnde Motivation, negative Denkstrukturen und eine emotionale Störung, die mit der Zeit wieder abnimmt analog zur Hilflosigkeit. Mangelnde Aggressionen, Libido- und Appetitverlust sind typische Verhaltensweisen beider Komplexe, ebenso tritt bei beiden ein Noradrenalinmangel im Gehirn auf. Bei beiden, Depression und Hilflosigkeit, sieht er die Ursache in der Überzeugung hilflos zu sein.[22] Einen Verstärkermangel, ausgelöst durch die Tatsache, dass viele positive Dinge in der Wohlstandsgesellschaft vorhanden sind, sieht er als Ursache der sog. Erfolgsdepression. Es ist keine Kontingenz zwischen Reaktion und Konsequenz da, diese wird nicht mehr als Belohnung erfahren.

Behandlungsmöglichkeiten für eine reaktive Depression sieht er deswegen in allen Maßnahmen, die „das Empfinden des Patienten für seine Möglichkeiten wieder herstellen.“[23] Zur Prävention macht er keine konkreten Vorschläge, regt aber das Erlernen eines „breiten Repertoires von Bewältigungsreaktionen“[24] an.

2.1.6. Wichtige Lebensphasen und Hilflosigkeit

Seligmann misst der Theorie der Hilflosigkeit auch für wichtige Lebensphasen eine große Bedeutung bei. Einige Beispiele sollen hier genannt werden.

So sieht er in der Erfahrung von Kontingenz zwischen seinem Verhalten und der Umwelt eine wichtige Voraussetzung für die kindliche Entwicklung.

„Jede Verhaltensweise des Kindes kann entweder zu Veränderungen in seiner Umgebung führen, oder diese Veränderungen treten völlig unabhängig von der kindlichen Reaktion ein.“[25] Die daraus sich entwickelnde Kontingenzanalyse determiniert das Empfinden des Kindes für Hilflosigkeit und Bewältigung.

Im Bereich der Schule führt die Erfahrung von Hilflosigkeit seiner Meinung nach zum verzögerten Erwerb kognitiver Strategien. Allerdings sind Schülerinnen und Schüler (SuS) offensichtlich zur Diskriminierung von Hilflosigkeitsbedingungen in der Lage, „das Kind fühlt sich im Klassenzimmer, bei einem bestimmten Lehrer oder in Bezug auf ein bestimmtes Fach hilflos.“[26]

Auch im Umgang mit alten Menschen hält Seligmann es für wichtig, ihnen möglichst viel Kontrolle über ihre jeweilige Lebenssituation zu lassen, um die Entstehung der genannten Störungen zu verhindern. In extremen Fällen, davon ist Seligmann überzeugt, kann das Erlernen der Tatsache, dass alle „Handlungen vergebens sind und dass keine Hoffnung besteht,“[27] in allen Lebensaltern zum Tod führen. Dafür nennt er im letzten Kapitel seines Buches viele Beispiele.

2.1.7. Eine Weiterentwicklung der Theorie: Der Attributionsstil nach Abramson, Seligmann & Teasdale

Kritik an Seligmann wird Anfang der 80er-Jahre vor allem in Bezug darauf geübt, ob Tierexperimente denn konkrete Rückschlüsse auf menschliches Verhalten zulassen.[28] Eine Weiterentwicklung der Theorie hin auf eine stärkere Berücksichtigung kognitiver Faktoren wird daher auch schon von Seligmann selbst angestrebt.

Abramson, Seligmann und Teasdale gehen nun davon aus, dass das Ausmaß der Störungen durch erlernte Hilflosigkeit vom individuell gewählten Attributionsmuster abhängt.

Da sich die einfache Gleichsetzung, „internal attribuierend gleich hilflos“ und „external attribuierend gleich nicht-hilflos“, bei der Bewertung von Misserfolgen in Anlehnung an die Theorie Rotters vom „locus of controll“[29] nicht experimentell nachweisen lässt, werden die Attributionsdimensionen erweitert.

Zunächst wird ebenfalls zwischen persönlicher, also internaler, und universeller, also externaler, Hilflosigkeit unterschieden. „Von persönlicher Hilflosigkeit spricht man, wenn ein Individuum glaubt, dass die Konsequenzen des eigenen Verhaltens nur von der eigenen Person nicht – dagegen von anderen wohl - kontrolliert werden können.“[30] Als universell wird die Hilflosigkeit dann angesehen, wenn auch andere für das Individuum bedeutsame Personen nicht kontrollierbare Bedingungen erfahren. Persönliche Hilflosigkeit führt zum Verlust des Selbstwertgefühls, ruft oft ein „starkes Gefühl von Scham und Selbstzweifel hervor“[31].

Globale Hilflosigkeit tritt dann auf, wenn Hilflosigkeit in einem Bereich „auf andere Verhaltensbereiche generalisiert“[32] wird. Bei einem spezifischen Attributionsstil bleiben die Reize jedoch auf eine Situation beschränkt.

Attribuiert ein Individuum stabil, so geht es davon aus, dass der momentanen Situation „stabile Ursachen, die als langlebig und wiederkehrend erlebt werden [zugrunde liegen] und chronische Hilflosigkeit bewirken“[33] im Gegensatz zur variablen Attribution, die von kurzlebigen und vorübergehenden ausgeht.

Daneben sind noch andere Weiterentwicklungen der Theorie bekannt, wie das Wortmann-Brehm-Modell, das die Reaktanz[34] in den Lernprozess der Hilflosigkeit integriert. Dieses wird im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kontrollmeinung in Kapitel 3.1. dargestellt werden. Alle hier vorzustellen, würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen.[35]

2.2. Kontrolle

Hilflosigkeit, hervorgerufen beispielsweise durch Unkontrollierbarkeit oder Unvorhersagbarkeit, ist nun glücklicherweise in der Regel nicht der Normalfall menschlichen Lebens. Obwohl unseren Möglichkeiten natürlich Grenzen gesetzt sind,[36] üben Menschen ihr ganzes Leben lang Wirkungen auf ihre Umgebungen aus und kontrollieren viele Bereiche ihres Lebens. Sie erleben sich dabei in der Regel als wirksam. Zur Darstellung von Grundlagen zu diesem Bereich stütze ich mich auf die Ausführungen von Flammer, die ich als klar strukturiert und sehr hilfreich empfand.[37]

2.2.1. Begriffe: Kontrolle, Kausalität und Wirksamkeit

Menschliche Handlungen, also Verhalten, das „geplant und bewusst ausgeführt wird,“[38] werden um ihrer selbst willen oder um externer Ziele willen ausgeführt. Worin solche Ziele bestehen können, kann subjektiv sehr unterschiedlich sein. Komplexe Vorgehensweisen, die verschiedene Wege zur Erreichung eines Ziels beinhalten, nennen Miller, Galanter und Pribram, Pläne.[39]

Um die Erreichung eines Ziel oder die Stabilität eines bestimmten Zielzustandes zu erreichen, ist es notwendig, das Ziel zu kennen und zu akzeptieren, einen Weg zum Ziel zu kennen. Entscheidend ist es auch, diesen Weg selbst gehen zu können, dies zu wissen und es dann auch zu tun. Definiert man dies als Kontrollieren, so kann man auch ein Konzept des Kontrolle-Habens definieren. „Kontrolle über ein bestimmtes Ziel hat, wer dieses Ziel kennt, einen Weg dazu weiß, diesen gehen kann und auch darum weiß.“[40]

[...]


[1] Flammer (1990), S. 22.

[2] Vgl. Seligmann (1983), S. 9.

[3] Seligmann (1983), S.14.

[4] Seligmann (1983), S. 13.

[5] Seligmann (1983), S. 15.

[6] Bildquelle: Seligmann (1983), S.14.

[7] vgl. Seligmann (1983), S. 23f.

[8] Seligmann (1983), S. 23.

[9] Vgl. Flammer (1990), S. 57 und Seligmann (1983), S. 23f.

[10] Seligmann (1983), S. 33.

[11] Seligmann (1983), S. 34.

[12] Seligmann (1983), S. 37. Damit ist nicht die Reaktanz gemeint, also ein„unmittelbar nach einer Unkontrollierbarkeitsbedingung eintretender Zustand, der mit einer Einschränkung von Entscheidungsmöglichkeiten einhergeht und eine Art „Widerstand“ bzw. Ärger, Wut und vermehrte Anstrengung zur Folge hat (Petermann (1983), S. 215),“ sondern die daran anschließenden Emotionen, die laut Seligmann von gerichteter Furcht in ungerichtete Angst oder Depression übergehen.

[13] Seiligmann (1983), S. 38.

[14] Vgl. Seligmann (1983), S. 39.

[15] Seligmann (1983), S.41.

[16] Vgl. Seligmann (1983), S. 44.

[17] Seligmann (1983), S. 44.

[18] Vgl. Seligmann (1983), S. 52f.

[19] Seligmann (1983), S. 70.

[20] Weitere alternative Ansätze zur Erklärung der Hilflosigkeitsfolgen finden sich im Flammer (1990), S. 62-66. Der Autor bezeichnet sie jedoch selbst als nicht befriedigend, deswegen soll auf ihre Darstellung hier verzichtet werden.

[21] Auch wenn Hilflosigkeit nicht mehr als hinreichende Ursache für die Entstehung von reaktiven Depressionen angesehen wird, möchte ich diesen Denkansatz hier darstellen, weil es sich bei dem in Kapitel 2.2.3. angesprochenen aktuellen Modell meiner Meinung nach um eine Weiterentwicklung des Seligmannsschen Ansatzes handelt. Hilflosigkeit wird ja weiterhin als möglicher Faktor für das Entstehen einer Depression gesehen (vgl. Flammer (1990), S. 101).

[22] Dies sieht er sogar bei der endogenen Depression als einen Aspekt an.

[23] Seligmann (1983), S. 99.

[24] Seligmann (1983), S. 101.

[25] Seligmann (1983), S.132.

[26] Seligmann (1983), S. 149.

[27] Seligmann (1984), S. 158.

[28] Vgl.Petermann (1983), S. 210.

[29] Vgl. dazu Seligmann (1984), S. 211 und Flammer (1990), S. 84f. Rotter geht davon aus, dass external attributierende Individuen die Kontrollmöglichkeiten außerhalb ihrer Person sehen, während internal attributierende dies bei sich sehen, also ihre Erfahrungen auf eigene Anstrengungen zurückführen.

[30] Petermann (1983), S. 211.

[31] Gage u. a. (1996), S. 352.

[32] Petermann (1983), S. 212.

[33] Petermann (1983), S.212.

[34] Vgl.dazu Kapitel 2.1.3., Fussnote 12.

[35] Vgl. dazu Petermann (1983), S. 209-247.

[36] Vgl. Flammer (1990), S. 14f.

[37] Mit diesem Grundkonzept von Flammer ist auch das Konzept von Rotter des „Locus of controll“ vereinbar, bei dem er von internaler und externaler Kontrolle spricht (vgl. Flammer (1990), S. 84f und Petermann (1983), S. 211). Allerdings sieht Flammer dies nicht als so leistungsfähig an (vgl. Flammer (1990), S. 85 und 93). An Oesterreich schätzt er vor allem den Schwerpunkt auf der Erfassung der Komplexität menschlicher Handlungen (vgl. Flammer (1990), S.89. Außerdem sieht er starke Parallelen zu Bandura (1977), Weisz & Stipek (1982), Gurin & Brim (1984), Ford Thompson (1984) und Skinner, Chapman & Baltes (Berliner Gruppe/ 1988), deren Terminologien er als weitgehend parallel zu seiner betrachtet (vgl. Flammer (1990), S.92.

[38] Flammer (1990), S. 77.

[39] Vgl. Flammer (1990), S. 78.

[40] Flammer (1990), S.78.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Hilflosigkeit, Kontrolle und eine Gruppenrallye
Untertitel
Zur Theorie und Praxis der Theorie der eigenen Wirksamkeit
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten  (PH Weingarten)
Veranstaltung
Ich schaffe es! - Einführung in eine Psychologie der eigenen Wirksamkeit
Note
1
Autor
Jahr
2008
Seiten
43
Katalognummer
V118421
ISBN (eBook)
9783640219667
ISBN (Buch)
9783640219889
Dateigröße
1840 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hilflosigkeit, Kontrolle, Gruppenrallye, Einführung, Psychologie, Wirksamkeit
Arbeit zitieren
Diplom-Religionspädagogin (FH) Andrea Braun-Henle (Autor:in), 2008, Hilflosigkeit, Kontrolle und eine Gruppenrallye, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118421

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