Hypnotische Prozesse im Gottesdienst der Pfingstgemeinden

Versuch einer Annäherung an gewisse pfingstlerische Phänomene über die Ergebnisse der Hypnose- und Suggestionsforschung


Magisterarbeit, 2007

103 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

Teil I: Geschichte, Theorie und Phänomene der Hypnose

2. Geschichte hypnoseähnlicher Anwendungen und des wissenschaftlichen Hyp- notismus ab dem 19ten Jahrhundert
2.1. Einführung
2.2. Suggestive und hypnoseähnliche Praktiken älterer Kulturen
2.2.1. Der Tempelschlaf
2.2.2. Der Voodoo-Kult
2.3. Voraussetzungen der suggestiven Heilung
2.4. Der Beginn einer naturwissenschaftlichen Betrachtung von Krankheit und Heilung
2.4.1. Die Magnettherapie
2.5. Franz Anton Mesmer
2.5.1. Das kulturelle Umfeld Mesmers
2.5.2. Therapieformen die Mesmer beeinflussten
2.5.3. Mesmers Leben
2.5.3.1. Mesmers erste Lebensphase (1734-1774) und seine Zeit in Wien (1774-1778)
2.5.3.2. Mesmers Zeit in Paris (1778-1792)
2.5.3.3. Mesmers letzte Lebensphase (1792-1815)
2.5.4. Hypnotische Elemente in Mesmers Therapie
2.6. Der Hypnotismus des 19.Jahrhunderts
2.7. Hypnose im 20. Jahrhundert
2.8. Die Hypnoseforschung der letzten fünfzig Jahre

3. Suggestion und Suggestibilität
3.1. Einführung
3.2. Definitionen der Suggestion
3.3. Suggestionsgesetzte
3.4. Suggestive Beeinflussung durch soziale Faktoren
3.5. Suggestionsformen
3.6. Der Suggestionsvorgang
3.7. Suggestibilität
3.8. Suggestion und Hypnose

4. Theorien und Definitionen der Hypnose
4.1. Einführung
4.2. Theorien der Hypnose
4.2.1. Biologische Hypnosetheorien
4.2.2. Physiologische Theorien
4.2.2.1. Schlaftheorien und Hypnose als cerebrale Inhibition
4.2.3. Psychologische und sozialpsychologische Theorien
4.2.3.1. Die Dissoziationstheorie Janets und die Neodissoziationstheorien von Hilgard
4.2.3.2. Hypnose als Ergebnis einer durch Erwartung und Motivation zustande kommenden Rollenübernahme oder als außergewöhnlicher Bewusstseinszustand
4.2.3.3. Die Theorie der kognitiven Selbstorganisation
4.2.3.4. Hypersuggestibilitätstheorien
4.2.4. Psychoanalytische Hypnosetheorien
4.2.5. Schlussbetrachtung der verschiedenen Theorien
4.3. Einige Definitionen der Hypnose

5. Phänomene der Hypnose
5.1. Kennzeichen des hypnotischen Zustands
5.1.1. Objektive Kennzeichen
5.1.2. Subjektive Kennzeichen
5.2. Klassische Hypnosephänomene
5.2.1. Physiologische Phänomene
5.2.2. Psychologische Phänomene

Teil II: Geschichte, Vorstellungen und Praxis der Pfingstbewegungen

6. Die Charismatischen Pfingstbewegungen
6.1. Kulturhistorischer Überblick
6.1.1. Einführung
6.1.2. Geschichte der Pfingstbewegungen
6.1.2.1. Die Anfänge der klassischen Pfingstbewegungen in den USA
6.1.2.2. Praktiken und Anschauungen
6.1.2.3. Die Anfänge der Pfingstbewegungen in Deutschland
6.1.2.4. Die zweite Phase des Aufbruchs, die so genannte dritte Welle und die neupfingstlerischen und charismatischen Gemeinden und Werke
6.1.3. Kultur- und Sozialhistorische Umstände, die die Entstehung und das Wachstum der Bewegungen förderten
6.2. Die Geistestaufe
6.2.1. Das Erlebnis und die Deutung der Geistestaufe
6.2.2. Voraussetzungen für die Geistestaufe
6.2.3. Psychologische Ansätze zum Verständnis religiöser Erlebnisse
6.3. Wesen und Gestalt der spektakulären Charismen
6.4. Beschreibung des Segnungsgottesdienstes des Christlichen Zentrums Frankfurt am Main
6.4.1. Einführung
6.4.2. Zum Ablauf des Gottesdienstes
6.4.2.1. Die Lieder, Predigt und Erlebnisberichte
6.4.2.2. Die Segnung

Teil III: Anwendung der Suggestions- und Hypnoseforschung auf einen exemplarischen pfingstleri- schen Gottesdienst des Christlichen Zentrums Frankfurt

7. Suggestive und hypnotische Elemente im Segnungsgottesdienst
7.1. Einführung
7.2. Das Trance induzierende und das suggestive Moment im Segnungsgottesdienst
7.3. Suggestionstheorien und -gesetzte in Bezug auf die Informationen über die Geistestaufe bzw. Segnung
7.4. Hypnosetheorien und der Segnungsgottesdienst
7.5. Klassische Hypnosephänomene im Segnungsgottesdienst

8. Schlussbetrachtung

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit stellt den Versuch dar, sich gewissen Erscheinungen in manchen charismatischen Pfingstgemeinden anhand der Hypnoseforschung zu nähern. Besucht man solche Pfingstgemeinden, können einige Phänomene beobachtet werden, die von Seiten der Gemeinden als Auswirkungen göttlicher Einflussnahme gedeutet werden. Dabei denke ich speziell an die Phänomene der Geistestaufe, die bei den Pfingstgemeinden als fundamentale und einmalige christliche Erfahrung neben dem Erlebnis der Wiedergeburt oder Bekehrung steht und an die Phänomene während der wiederholbaren so genannten Segnung, die als neuerlicher Kontaktgewinn mit dem Heiligen Geist zelebriert wird.

Sowohl bei der Geistestaufe als auch bei den Segnungen kommt es zu verschiedenen physischen und psychischen Erscheinungen und ungewöhnlichen Verhaltensweisen, die der Hypnoseforschung wohl bekannt sind. Deshalb befasst sich ein Großteil der Arbeit mit der Darstellung und Erläuterung der Hypnose. Dabei konnte ich es leider nicht vermeiden bestimmte Begriffe der Hypnoseforschung, die erst in späteren Kapiteln erklärt werden, schon am Anfang zu verwenden.

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Der erste und längste Teil befasst sich mit Geschichte, Theorien und Phänomenen der Hypnose. Das erste Kapitel liefert einen Überblick über hypnoseähnliche Phänomene und Anwendungstechniken während religiösen Ritualen und therapeutischen Verfahren älterer Kulturen, um dann auf die Geschichte der wissenschaftlichen Hypnoseforschung seit Franz Anton Mesmer einzugehen. Besondere Aufmerksamkeit soll bei diesem Überblick auf diejenigen Techniken und Phänomene gerichtet werden, die für die heutige Hypnosepraxis charakteristisch sind.

Die Kapitel drei, vier und fünf widmen sich nacheinander der Suggestion, einem Begriff, der für das Verständnis hypnotischer und hypnoseähnlicher Ereignisse von herausragender Bedeutung ist, den Hypnosetheorien und –definitionen und den Phänomenen der Hypnose, die als typisch oder klassisch bezeichnet werden.

Im zweiten Teil werden kurz Entstehung und Entwicklung der verschiedenen Pfingstbewegungen, sowie deren Vorstellungen über Wesen und Auswirkungen der Geistestaufe dargestellt. Am Ende des zweiten Teils werde ich den Ablauf eines exemplarischen pfingstlerischen Gottesdienstes schildern; den Segnungsgottesdienst des Christlichen Zentrums Frankfurt.

Im dritten und letzten Teil wird versucht die dargestellten Ergebnisse der Suggestions- und Hypnoseforschung auf die Ereignisse während des beschriebenen Segnungsgottesdienstes anzuwenden. Es sollen also suggestive und hypnotische Elemente im Segnungsgottesdienst herausgearbeitet werden. Dabei wird sich zeigen, dass es eine Kontinuität ähnlicher Tranceerscheinungen, hypnotischer Phänomene und Techniken gibt, die sowohl in älteren Ritualen und therapeutischen Verfahren, heutigen Hypnosesitzungen und während des dargestellten Gottesdienstes der Pfingstgemeinde beobachtet werden können.

In den letzten Kapiteln soll weniger der Frage nachgegangen werden, ob man den Segnungsgottesdienst als Hypnose bezeichnen kann. Es soll vielmehr versucht werden diejenigen Faktoren herauszuarbeiten, die sowohl das Entstehen der suggestiven und hypnotischen Phänomene als auch die Ereignisse während des pfingstlerischen Segnungsgottesdienstes begünstigen oder gar bedingen.

Teil I: Geschichte, Theorien und Phänomene der Hypnose

2. Geschichte hypnoseähnlicher Anwendungen und des wissenschaftlichen Hypnotismus ab dem 19ten Jahrhundert

2.1. Einführung

Sieht man im Bücherverzeichnis der Staatsbibliothek Berlin unter dem Stichwort Hyp­nose nach, erscheinen um die 280 Titel. Die meisten Bücher stellen die medizinischen und psychologischen Anwendungsmöglichkeiten der Hypnose vor oder bieten Anleitun­gen zur Selbsthilfe durch Selbsthypnose. Hypnose wird aber auch im Zusammenhang mit politischer, krimineller und kommerzieller Beeinflussung, massenpsychologischen Erscheinungen und im ethnologisch-rituellen Rahmen behandelt (Boerner, 1991, S. 11).

Liest man in diesen Büchern fällt schnell auf, dass recht unterschiedliche Phänomene die Bezeichnung Hypnose erhalten. Der Begriff Hypnose bezieht sich meistens auf einen speziellen Zustand oder auf eine zielgerichtete Anwendungstechnik; angefangen bei der körperlichen Starre, die bei gewissen Tieren durch einfache Manipulationen hervorgerufen werden kann (Totstellreflex), den halbwachen Momenten vor dem Ein­schlafen, Wachträumen oder Zuständen der Selbstvergessenheit, wie sie etwa beim Fahren auf der Autobahn auftreten können, bis zur suggerierten Schmerzfreiheit, Halluzination, Altersregression, bei der teilweise längst vergessene oder verdrängte Erlebnisse wieder ins Bewusstsein gerufen werden und den Zuständen während ge­wisser Rituale. Auch Techniken wie Meditation, autogenes Training, ethnotherapeuti­sche Krankenheilungen usw. werden bisweilen als Hypnose bezeichnet (Revenstorf, 1990, S. 79; Hell, 1993, S. 9).

Das Gemeinsame dieser Phänomene scheint auf den ersten Blick nur ein außerge­wöhnlicher Bewusstseinszustand, ein Trancezustand zu sein. Dieser entsteht entweder spontan, durch gewisse psychologische und physiologische Techniken, oder er ist die Folge spezieller Suggestionen.

Oft ist versucht worden einen gemeinsamen Nenner solcher Zustände und Techniken zu finden und in einer Hypnosetheorie darzustellen. Die meisten Theorien sind aber entweder so allgemein, dass sie wenig Konkretes aussagen, oder aber nur Teile der Hypnose erfassen. Letztlich bleibt es fragwürdig, ob man so unterschiedliche Erschei­nungen als Hypnose bezeichnen sollte. Durch die Einbeziehung all dieser Phänomene in den Untersuchungsgegenstand wird allerdings deutlich, wie allgegenwärtig hypnoti­sche Erscheinungen in unserem Leben sind und wie viele Faktoren berücksichtigt werden müssen, wenn man zu einem umfassenden Verständnis der Hypnose gelangen will.

Einige Forschungen und Theorien haben sich den physiologischen Aspekten des hyp­notischen Zustands und der Hypnoseinduktion ohne Suggestion, d. h. unter Ausschluss einer direkten psychischen Stimulierung, gewidmet. Bei den meisten Formen einer zielgerichteten kulturellen Nutzung der Hypnose, z.B. im medizinischen, psychologischen oder auch im religiös-rituellen Bereich, spielt allerdings die wie auch immer geartete Suggestion, sowohl bei der Induktion, als auch zur Führung der Aufmerksamkeit im Trancezustand und für die so genannten hypnotischen Phänomene eine bedeutende Rolle. Dementsprechend wird die Suggestion, sei es eine verbale oder nonverbale, eine direkte oder indirekte, eine Fremd- oder Selbstsuggestion, in der Forschung und Theorienbildung meistens mit einbezogen.

Ich werde hier versuchen mit dem Begriff Hypnose nicht auf einen speziellen psychischen Zustand zu verweisen. Vielmehr möchte ich den Begriff zunächst für eine zielgerichtete Anwendungstechnik reservieren; eine Technik, die mindestens aus drei Elementen besteht, die sich wechselseitig ergänzen und überschneiden können. Eine solche prozessuale Anwendung besteht, einer klassischen Hypnoseauffassung zufolge (Peter, 1990, S. 24): 1. aus einer induktiven Technik, die in den hypnotischen- oder Trancezustand einführt, 2. einem suggestiven Moment, der den Bewusstseinsinhalt während dieses Prozesses in eine bestimmte Richtung lenkt und 3. den so genannten hypnotischen Phänomenen, die spontan entstehen können, meistens aber angestrebt werden und eine Folge spezieller Suggestionen sind. Die hypnotischen Phänomene können das körperliche und geistige Befinden betreffen, zu Einstellungsänderungen, Handlungen oder anderen Reaktionen führen (mehr dazu im 5. Kapitel).

Wie wir sehen werden spielen diese drei Elemente schon bei einigen frühen Trance- und Heilungsritualen eine gewisse Rolle. Deshalb erscheint es gerechtfer­tigt, bei ihnen von einem Prozess zu sprechen, bei dem verschiedene hypnotische Faktoren zum Tragen kommen. Ob diese Faktoren schon die Hypnose als Ganzes ausmachen, hängt davon ab von welcher Theorie und Definition der Hypnose ausgegangen wird.

Einige dieser frühen Praktiken werden hier erwähnt, da sich „eine kontinuierliche Kette nachweisen läßt zwischen Exorzismus und Magnetismus, Magnetismus und Hypnotismus, Hypnotismus und den großen modernen dynamischen Systemen“ (Ellen­berger, 1973, S. 9) der heutigen Psychotherapie. Die meisten historischen Betrachtun­gen der Hypnose gehen davon aus,

daß…im Verlaufe der Geschichte die hypnotischen Phänomene gleichgeblie­ben seien, während sich ihre Bezeichnungen verändert hätten und daß der wissenschaftliche Hypnotismus zu einem bestimmten Datum der Neuzeit be­ginne, wobei seine Wirkungsweise selber noch nicht vollständig begriffen sei. (Schott, 1988, S. 1)

Durch die unterschiedlichen Bezeichnungen wird die historische Betrachtung der Hyp­nose erschwert. Verstehen wir jedoch die Hypnose zunächst, in dem oben angedeute­ten klassischen Sinne, als einen Prozess, bestehend aus induzierenden Techniken, einem suggestiven Moment und den hypnotischen Phänomenen, dann kann man wohl sagen, dass die Geschichte der Hypnose sehr weit in die Menschheitsgeschichte zu­rück reicht. Den hypnotischen Zustand betreffend, ist es sogar fraglich, ob er ein erst im Laufe der Menschheitsgeschichte erworbenes Phänomen ist, oder ob er als biologische Grundlage die Phylogenese bis hin zum Menschen begleitet hat. Da es bei fast allen Tieren möglich ist einen Zustand nachzuweisen, der Analogien zum hypnotischen Zu­stand des Menschen aufweist und oft auch willentlich hervorgerufen werden kann, scheint diese Annahme gerechtfertigt (Schott, 1988).[1]

Ich werde mich bei der Darstellung der Geschichte der Hypnose vornehmlich auf Bei­spiele beschränken, in denen hypnoseähnliche Praktiken zu religiösen oder therapeuti­schen Zwecken angewendet wurden und werden. Die meisten Begriffe, mit denen die moderne Hypnoseforschung umgeht, sind zwar erst in den letzten zwei Jahrhunderten entstanden; dennoch findet man Hinweise für hypnoseähnliche Anwendungen in den Praktiken schriftloser Kulturen sowie in alten Schriftstücken, wie dem Mahabharata, dem Talmud und der Bibel (Alman, B.M.; Pratt, G.J.; Wood, D.P., 1988). Nach Hoareau (1996, S. 13) ist es fraglich,

ob Heilkundige tatsächlich bewußt therapeutisch eingesetzte hypnotische Techniken beherrschten, oder ob Hypnose nur eine Nebenwirkung der ange­wandten magischen Verfahren war. Wie dem auch sei, Suggestion war unbe­streitbar der wirksamste Heilfaktor primitiver Medizin.[2]

2.2. Suggestive und hypnoseähnliche Praktiken älterer Kulturen

Suggestive[3] Heilmethoden so genannter primitiver Kulturen oder Naturvölker sind, laut Jovanovic (1988), in der Regel supraindividuell und bestehen meist aus Gruppensug­gestionen. Neben dem Kranken wird oft die Familie, manchmal sogar das ganze Dorf in das Heilungsritual einbezogen. Durch Gesänge, brummende Laute, Tänze und rhyth­mische Monotonie werden die Beteiligten in einen Trancezustand geführt, der die Wirk­samkeit suggestiver Elemente erhöht.[4] Die Medizinmänner oder Schamanen verstärken ihr suggestives Autoritätspotential, das sie allein schon wegen ihrer intensiveren mysti­schen Erfahrungen, ihres ungewöhnlichen Verhaltens, besonderer Sprechweisen usw. besitzen, durch das Benutzen von Amuletten, Tätowierungen, Abzeichen und be­sonderer Kleidung. Ihre besonderen Fähigkeiten werden gewissermaßen zur Schau getragen. Laut Jovanovic begreift die Gemeinschaft den Medizinmann allerdings nicht so sehr als Einzelperson, sondern vielmehr als Vermittler und Verkörperung der kollek­tiven Heilkraft der ganzen Gruppe.

Gewisse Vorstellungen über die Ursache der Krankheit bedingen die Heilmethode und den Glauben an die Heilmöglichkeit. Ist z.B. eine fremde Kraft in den Kranken einge­drungen, besteht die Therapie unter Umständen aus der Austreibung dieser Kraft durch Aderlass, Massage oder durch das Heraussaugen eines Objektes, das dann geopfert, vernichtet oder weggebracht wird (Jovanovic, 1988, S. 9ff).

Bei solchen Heilungsritualen stellen die Tänze, die monotonen Gesänge und Rhyth­men, usw. die Techniken dar, die in den hypnotischen Zustand einführen; die Indukti­onstechnik. Das suggestive Element besteht aus der jeweiligen Weltsicht, der Vorstel­lung von der Ursache und Behandlungsmöglichkeit der Krankheit und zum großen Teil eben aus dem festen Glauben an die besonders kompetente Autorität des Medizin­manns oder Schamanen. Das Ritual und der Heiler lenken die Aufmerksamkeit auf die Gesamtheit der, für den jeweiligen Fall, relevanten Vorstellungen und wecken, nicht zuletzt durch die Hervorhebung der speziellen Fähigkeiten des Medizinmannes, suggestiv eine positive Erwartungshaltung bei den Beteiligten, die sich oft erfüllt und dadurch wiederum den Glauben an das entsprechende Wirkprinzip festigt. Die hypnoti­schen Phänomene und Reaktionen sind vielfältig. Sie können unter anderem aus der Genesung bestehen.

Viele dieser heilenden Mechanismen kommen auch in unserer Kultur häufig zum tra­gen. Die heilende oder lindernde Wirkung von Placebomedikamenten lässt sich bei­spielsweise auch durch das Zusammenspiel von Weltsicht, Autoritätsgebaren, Glauben und einer Erwartungshaltung, die durch das Vertrauen in die spezifische Autorität des Arztes gefördert wird, erklären. Wir haben im Laufe unseres Lebens erfahren und vermittelt bekommen, dass die chemische Zusammensetzung eines Medikaments bei bestimmten Beschwerden Erleichterung verschaffen kann, und ein Arzt unsere Problematik in der Regel gut genug einschätzen kann um das passende Mittel auszusuchen. Die eigene Erfahrung und die Beobachtung von Heilungen bei Bekannten lässt uns relativ vorbehaltlos an das wirksame Potential richtig verordneter Medikamente glauben. Verabreicht uns der Arzt ein Mittel, wird, aufbauend auf unserer naturwissenschaftlichen Vorstellung von Krankheit und Heilung, autosuggestiv eine positive Erwartungshaltung geweckt. Dieser Sachverhalt kommt unter Umständen einer heilsamen, aber hinter der Fassade eines Medikaments verborgenen Suggestion gleich.

Bestimmte Zustände, die in asiatischen Kulturen etwa durch Yoga erreicht werden und z.B. zu einer Schmerzfreiheit führen können, ähneln, sowohl das Resultat als auch die Technik betreffend, autosuggestiv herbeigeführten Zuständen hypnotischer Schmerzfreiheit.

Im Mahabharata-Epos der Hindus finden sich schon Hinweise für den Gebrauch einer Art Hypnose. Es erzählt z.B. von Vipulas Lehrer, der eine Pilgerreise machen will, aber befürchtet, dass Gott Indra seine Abwesenheit ausnutzen könnte um seine Frau zu verführen. So wendet er sich an Vipula mit der Bitte seine Frau standhaft zu machen. Der Epos berichtet von Vipulas Technik: „Indem er die Strahlen seiner Augen mit den Strahlen ihrer Augen vereinigte, drang er in ihren Körper ein wie der Wind die Lüfte durchdringt“ (zitiert bei Kossak, 1993, S. 17). Später soll Indra die Frau von Vipulas Lehrer wie versteinert und unfähig zu sprechen vorgefunden haben, was seinen Verführungsversuch scheitern ließ.[5]

2.2.1. Der Tempelschlaf

Der ägyptische Schlaftempel-Kult von Isis und Osiris diente den späteren griechischen Schlaftempeln als Vorbild. Der Asklepios-Kult ist der bekannteste Vertreter der griechischen Therapiekulte. Ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. nahm er eine bedeutende Position innerhalb der Heilkunst ein.

Die Kranken pilgerten zum Schlaftempel, wuschen sich und verbrachten zunächst einige Nächte in Gruppen vor dem Tempel. Nach dieser Phase, die der psychischen Reinigung dienen sollte, wurden sie in den Vorraum gelassen, wo sie sich die Reden und Predigten der Priester anhörten. Die Aufmerksamkeit wurde in dieser Zeit auf den, für die Heilung bedeutsamen Kontext gelenkt. Gleichzeitig wurde durch weitere Faktoren bei den Kranken suggestiv eine positive Erwartungshaltung geweckt; die Erwartung einer ganz konkreten Heilungsweise. Die hohe Anzahl uniformierter Priester, die besondere Einrichtung der Tempel und die Schriften, die z.B. an den Säulen des Epidauros-Tempels angebracht waren und von erfolgreichen Kuren berichteten, während derer es zu Träumen kam, in denen den Kranken ein Gott erschien und die Krankheit entweder direkt weg nahm, oder ein bestimmtes Heilverfahren anordnete, förderte die Bereitschaft einer Rollenübernahme.[6] Schließlich erlaubte man ihnen in den sakralen Bereich des Tempels zu kommen, wo sie vor und während der Schlaftherapie weitere verbale und nonverbale Suggestionen erhielten. In den Inkubationsräumen waren verborgene Schalltrichter installiert, mit deren Hilfe die Priester Suggestionen geben konnten, die von den Patienten als Götterstimmen aufgefasst wurden (Pausanias, 1954).[7]

Es wurde allerdings vermieden Personen mit unheilbaren Krankheiten zu behandeln. Es sollten möglichst wenige Misserfolge bekannt werden. Sie hätten den Glauben an das Heilpotential und damit die suggestive Kraft des therapeutischen Verfahrens geschwächt (Jovanovic, 1988).[8]

2.2.2. Der Voodoo-Kult

Im haitianischen und kongolesischen Voodoo-Kult wird die Trance ebenfalls durch Gesänge, Bewegungen und eine erhöhte Konzentration, welche durch eine selektive, auf bestimmte Götter gerichtete Aufmerksamkeit zustande kommt, eingeleitet. Diese Übungen bereiten den Gläubigen auf die Besessenheit durch bestimmte Götter vor. Die Rituale werden, laut Jovanovic, von einer Stimmung der Ehrfurcht, Spannung, Erwartung und Hingabe der Gläubigen und des Priesters getragen. Die Besessenheit durch Voodoo-Götter oder Geister äußert sich physisch und psychisch in Gleichgewichtsstörungen, zwanghaften Tanzbewegungen, Spasmen, Schüttel- und Zitterkrämpfen, Desorientierung und Schwindel. Schließlich verschwinden oft alle unangenehmen Gefühle und die Besessenheit kann manchmal Tage andauern. Manche sperren sich, wie beschrieben wird, gegen sie oder erreichen nur eine leichte Form der Besessenheit. Spätestens wenn es in solchen Fällen dazu kommt, dass der Priester unterstützend eingreift, erkennt man eine Ähnlichkeit zu modernen Hypnosepraktiken. Ist jemand z.B. besonders erregt ohne in Trance fallen zu können, legt der Priester beruhigend die Hände auf dessen Schultern, spricht passende Wörter in monotoner Weise, schaut ihm fest in die Augen usw. (Jovanovic, 1988). Hier finden wir die Fixationstechnik und verbale Suggestionsdarbietung wieder. Auch in der modernen Hypnoseanwendung werden Suggestionen bevorzugt mit monotoner, gedämpfter Stimme geäußert.

Der psychogene Tod hat die Suggestionsforschung immer wieder fasziniert. Stocksmeier (1984, S. 8) beschreibt den so genannten Voodoo-Tod als Beispiel für ein Resultat äußerst effektiver, wenn auch negativer Suggestionen. Er berichtet über eine Kongo-Expedition Livingstons. Bei dieser Expedition seien zwei gesund wirkende Träger nur wenige Tage nach ihrer Ankündigung bald sterben zu müssen, tatsächlich verstorben. Livingston erfuhr, dass der Medizinmann dieses Stammes sie mit Hilfe intensiver Suggestionen, eines Voodoo-Zaubers, dahingehend beeinflusst hatte. Als der dritte auch meinte aus demselben Grund sterben zu müssen, hätte ihm Livingston aufbrausend einen Schlag verpasst. Um sich zu rechtfertigen, behauptete er mit diesem Schlag den Zauber gebrochen zu haben. Tatsächlich soll dadurch die Kraft der Suggestionen des Medizinmanns gebrochen worden sein, was angeblich zur Genesung des dritten Trägers führte.[9]

2.3. Voraussetzungen der suggestiven Heilung

Hans Christian Kossak (1993, S. 19) arbeitet einige Grundvariablen der suggestiven Heilung heraus, die erfüllt sein müssen, wenn eine therapeutische Wirkung erzielt werden soll. Einige davon will ich hier wiedergeben.

- Übereinstimmender Glaube und Begriffsbildung über Symptome und deren Ursachen (Etikettierung)
- Der Glaube des Patienten an die Fähigkeiten des Heilers, der auf einer weltanschaulich übereinstimmenden Grundhaltung basiert
- Erwartungshaltung des Patienten - wird vom Heiler aufgebaut und durch die relevante Sozialgruppe unterstützt
- Sozialer Konsens über Krankheitstheorie
- Sozialer Konsens über Wirksamkeit der Heilmethode
- Ausbildung des Heilers
- Prestige des Heilers.

2.4. Der Beginn einer naturwissenschaftlichen Betrachtung von Krankheit und Therapie

2.4.1. Die Magnettherapie

In den bisherigen Darstellungen war die suggestive Therapie meistens in magische, mythische, spiritistische und religiöse Vorstellungen eingebettet. Zunächst wurde auch der Magnet[10] noch in ein religiöses Gewand gehüllt. Thale von Milet (625-545 v. Chr.) schrieb dem Magneten eine Seele zu, besaß er doch, im Gegensatz zu anderen Elementen, unbestreitbar eine Art Eigenleben, eine deutliche für jedermann sichtbare selbständige Aktivität. Der Arzt und Ingenieur Pierre de Maricourt, der als Begründer der Wissenschaft Magnetismus gilt, schrieb 1269 ein Buch[11], indem er die besonderen Eigenschaften des Magneten nicht mehr auf eine Seele zurückführt, sondern ihm eine natürliche, kosmische Kraft zuschreibt.

Der in der Schweiz geborene Theophrastus Philippus Aureolus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus (1494-1541), behandelte alle möglichen Beschwerden durch das Auflegen von Magneten. Ihm zufolge strahlen auch aus dem menschlichen Körper magnetische Kräfte, die durch Handauflegen therapeutisch genutzt werden könnten. (Thuillier, 1990; Kossak, 1993, S. 20). Paracelsus sprach, den Theorien des späteren Franz Anton Mesmer ähnlich, von einer Kraft, die den Sternen entströmt und auf die Menschen einwirke. Er stellte sich diese Kraft als allgegenwärtiges universelles Fluidum vor.

Folgende Zitate von Paracelsus verdeutlichen, dass er sich der Bedeutung von Suggestion, Autosuggestion und Glaube im Zusammenhang mit Heilungsprozessen so bewusst war , dass die Frage gerechtfertigt erscheint, ob er selber von der Heilkraft der Magneten überzeugt war, oder ob er lediglich eine Theorie formulierten wollte, die geeignet war den Menschen ein scheinbar logisches und nachvollziehbares Konzept zu bieten, durch welches sich die Menschen die Vorgänge der Heilung erklären konnten.

Der Gegenstand Eures Glaubens mag wahr oder falsch seinIhr werdet das Gleiche Resultat erzielen (Revenstorf, 1990, S. 1). Die Suggestion verleiht dem Menschen eine Macht über seinesgleichen, die der des Magneten über das Eisen vergleichbar ist. …so kann niemand über den Glauben geheilt werden, es sei denn, er ist krank durch den Glauben. (Thuillier, 1990, S. 113)

Auch wenn die Theorien des so genannten wissenschaftlichen Magnetismus heute äußerst spekulativ erscheinen, muss man doch betonen, dass sie sich deutlich von magischen oder religiösen Vorstellungen über Krankheitsursachen und deren Behandlungen distanzierten und sich bemühten eine naturwissenschaftliche Erklärung zu finden. Allerdings erscheint es aus der Sicht der heutigen Hypnoseforschung so, dass sich lediglich die weltanschaulichen Grundhaltungen änderten, nicht aber das tatsächliche Wirkprinzip der Krankenheilung. Die Suggestion scheint das wirksame Agens geblieben zu sein.

2.5. Franz Anton Mesmer (1734-1815)

Ich will etwas ausführlicher auf Mesmers Praktiken eingehen, da die meisten Autoren, die sich mit der Geschichte der Hypnose beschäftigen, in seinem Lebenswerk den Beginn des wissenschaftlichen Hypnotismus sehen.[12] Obwohl seine Theorien seitens der damaligen Wissenschaftler abgelehnt wurden, seine Organisation nur kurz bestand und schon Mesmers Schüler seine Methoden abwandelten, lieferte er doch den entscheidenden Anstoß zur wissenschaftlichen Entwicklung der hypnotischen und suggestiven Heilmethoden.

Außerdem werden an seiner Praxis einige Prinzipien der Suggestionsforschung deutlich, und der Mesmerismus eignet sich gut für einen Vergleich mit den Ritualen der Pfingstgemeinden. Auch wenn sich die eine Methode als wissenschaftlich versteht und die andere religiös, so lokalisieren doch beide die Ursache für die hypnotischen Phänomene außerhalb des Menschen. Mesmer erkennt sie nicht als psychologische Phänomene, und die Pfingstgemeinden führen sie auf die Wirkung des Heiligen Geistes zurück.

2.5.1. Das kulturelle Umfeld Mesmers

Mesmer wirkte in der Zeit der Aufklärung, in der vielen abergläubische Vorstellungen des Mittelalters[13] dicht neben modernen Ideen standen. Die Menschen verfolgten die neuen wissenschaftlichen Entdeckungen mit derselben Neugier mit der sie sich für alles, was den damaligen Wissenschaften nicht zugänglich war, zu interessieren schienen. Alchemistische Zirkel, freimaurerische Logen, Rosenkreuzer, Hellseher usw. hatten Hochkonjunktur.[14] Da Mesmer sich zwar anstrengte seine Methode wissenschaftlich zu untermauern, es ihm aber nie ganz gelang das Stigma des Wunderheilers abzulegen, vereinigte er diese beiden gegensätzlichen Interessensgebiete in einer Person. Möglicherweise machte gerade das einen Großteil seiner Anziehung und Popularität aus.

2.5.2. Therapieformen, die Mesmer beeinflussten

Das therapeutische Verfahren Mesmers lässt sich besser verstehen, wenn man die Therapieformen, die ihn nachhaltig beeinflussten, betrachtet. Das war, laut Kossak (1993, S. 21), einerseits der schon erwähnte Magnetismus, die Theorie von Paracelsus über das kosmische Fluidum und andererseits eine Krankenbehandlung, die noch stark von religiösem Gedankengut durchtränkt war; der Exorzismus.[15]

Dem Exorzismus begegnete Mesmer 1775, als er gebeten wurde ein Gutachten über die Praktiken des Exorzisten Johann Josef (alias Andreas) Gassner (1727-1779) zu erstellen. Die Phänomene, die durch Mesmers Vorgehensweise hervorgerufenen wurden, ähnelten stark denen, die Gassners Exorzismus bewirkte. Mesmer konnte sein Wirken jedoch ohne das Hinzuziehen der Religion, scheinbar wissenschaftlich erklären. Sein Gutachten kam zu dem Schluss, dass Gassner ein vortrefflicher Heiler und ein redlicher Mann sei, nur heile er ohne es zu Wissen durch tierischen Magnetismus und nicht durch Exorzismus.

Gassner hatte sich selbst durch Exorzismus von einer schweren Krankheit geheilt und gelangte, laut Kossak (1993, S. 20), zu der Auffassung, er könne unterschiedliche Besessenheitssymptome kurieren. Kossak beschreibt seine Technik in etwa so: Nachdem er dem Patienten erklärte der Glaube an Jesu sei eine notwendige Vorraussetzung, beschwor er den Dämon und brachte ihn dazu die Krankheitssymptome hervorzubringen. Wenn das geschah, war ein Beweis für die Besessenheit erbracht, und Gassner konnte anfangen seine Austreibung vorzunehmen. Er befahl dem Dämon z.B. Krämpfe in den verschiedenen Gliedern oder „nacheinander die äußeren Erscheinungsbilder von Trauer, Albernheit, Gewissenszweifeln, Wut usw.“ (Ellenberger, 1973, S, 90) beim Patienten hervorzurufen. Nach einer Weile bekam er auf diese Weise Macht über die Dämonen und konnte sie dazu veranlassen den Patienten zu verlassen.

Gassner praktizierte vor vielen Zuschauern. Bei seinen Austreibungen kam es zu, der Hypnoseforschung wohl bekannten, Phänomenen wie Katalepsie, Konvulsionen, Schmerzunempfindlichkeit und Amnesie. Da er in verbale Kommunikation mit dem Patienten, bzw. den Dämonen trat und ihnen direkte Aufgaben erteilte, finden wir in seiner exorzistischen Therapie nicht nur typische hypnotische Phänomene, sondern auch die verbale Suggestion wieder.

2.5.3. Mesmers Leben

2.5.3.1. Mesmers erste Lebensphase und seine Zeit in Wien (1734-1778)

Mesmer wurde am Bodensee geboren und religiös erzogen. Er schloss erst ein Studium der Theologie und Philosophie ab, um dann bis 1766 Medizin in Wien zu studieren. Seine Dissertation trägt den Namen: „Dissertatio de planetarum influxu“, und befasst sich mit Einflüssen, die die Sterne auf irdisches Leben haben sollen.[16]

In Wien hatte Mesmer Kontakt zu dem Jesuiten Pater Maximilian Hell. Hell fertigte in seiner Schmiede Magneten in unterschiedlichster Form an und wollte deren therapeutische Nutzbarkeit nachweisen, um sie dann verkaufen zu können. Er traf sich mit Mesmer, den er durch Anspielungen auf die animalische Gravitation - so nannte Mesmer das universelle Fluidum in seiner Dissertation - dazu bewegen konnte die Magneten an seinen Patienten auszuprobieren. Bald entdeckte Mesmer, dass er dieselben Linderungen erzielen konnte, wenn er die Magneten, die er in Tücher gewickelt und auf den Körper der Kranken gelegt hatte, heimlich durch andere Gegenstände ersetzte, z.B. durch seine Hände. Das lies ihn vermuten, dass neben der mechanischen Anwendung der Magneten eine weitere Kraft wirksam sein müsse, die er im Gegensatz zum mineralischen Magnetismus den animalischen bzw. tierischen Magnetismus nannte. Diesen verstand Mesmer als eine Form magnetischer Lebensenergie, die in Form subtiler stofflicher Materie den Sternen entströme, allgegenwärtig sei und alle Lebewesen belebe; das animalmagnetische Fluid (Hoareau, 1996). Krankheit sah er als Folge einer schlechten Verteilung dieses Fluidums im körperlichen Organismus, die er, dank seiner Fähigkeit diese Energie anzusammeln und durch Erguss mitzuteilen, aufheben und harmonisieren könne. Mesmer konnte sich jedoch nicht recht erklären, warum ausgerechnet er diese Macht über das Fluidum besaß. Er fragte sich, Thuillier zufolge, ob das Fluidum wirklich physikalischer Natur oder eher eine spirituelle, göttliche Kraft darstellte. Diese Fragen machte er jedoch vorsichtshalber mit sich selber aus. Er bemühte sich religiöse Aspekte in seiner Theorie auszuklammern und suchte immer die theoretische Nähe zur Medizin und anderen Wissenschaften. Jean Thuillier bemerkt dazu:

hinter dem Begriff des „animalischen Magnetismus“ und den oft so vagen, widersprüchlichen Theorien verbarg er daher eine Offenbarung, die ihn sogleich begeistert hatte und die er sein Leben lang zu erklären suchte; unermüdlich sollte er für eine Wahrheit kämpfen, die er selbst nie ganz zu erfassen vermochte (1990, S. 110). Schließlich war es klüger, sich auf allgemein anerkannte physikalische Gesetze zu stützen, um die Kraft zu beschreiben, die er in sich wirken fühlte und die zu erklären ihm so schwer fiel, denn sonst lief er Gefahr, als Hochstapler, ja sogar als Hexer bezeichnet zu werden (ebd. S. 116) . Noch waren nicht alle Scheiterhaufen erloschen, und noch immer wurden Schandpfähle errichtet. (ebd. S. 110)

Nachdem Mesmer herausgefunden hatte, dass er das Fluidum in sich speichern und auf Andere, aber auch auf Gegenstände übertragen konnte, schränkte er die Nutzung der Magneten bald zugunsten der mittel- und unmittelbaren Übertragung seines, in ihm vorhandenen, animalischen Magnetismus ein. Magneten benutze er zunächst nur noch um sein eigenes Fluidum, wie er glaubte, zu verstärken und in eine bestimmte Richtung zu lenken, später dann fast gar nicht mehr. Er übertrug das animalische Fluidum zunehmend durch direkte Berührungen und Bestreichungen aus geringer Entfernung (die so genannten Passés) auf andere oder ließ seine Patienten von ihm magnetisierte Gegenstände berühren. Durch diese Prozeduren gelangten seine Patienten in unterschiedliche hypnoseähnliche Zustände.[17] Nach Mesmers Meinung leiteten die häufig ausgelösten Krisen die Heilung ein. Die Krisen zeichneten sich durch Konvulsionen, Katalepsien, hysterisch anmutendes Verhalten usw. aus. Bei intensiverer Betreuung ließ er die Patienten vom Zeitpunkt des ersten Auftretens der Beschwerden berichten, was einem analytischem Gespräch, manchmal auch einer Art hypnotischer Altersregression gleichkam. Unter seiner Anleitung durchlebten die Patienten die Situation in der sie erkrankten mit all ihren Ängsten aufs Neue.

Mesmer bemühte sich um Anerkennung seines Verfahrens durch die medizinische Wissenschaft. Gerade die hochgestellten Mediziner Wiens bezeichneten ihn aber als Betrüger und Prahler. Patienten ließen sich von der Ablehnung seitens der Mediziner allerdings nicht zurückhalten. Sie kamen immer zahlreicher und berichteten immer wieder von wundersamen Heilungen. Um die steigenden Patientenmassen behandeln zu können, entwickelte er zusammen mit einem ehemaligen Jesuiten den so genannten Gesundheitszuber, der später in Frankreich baquet[18] genannt wurde.

Die Veranstaltungen in seinem Haus wandelten sich nach und nach zu therapeutischen Festen. Die Wände, Möbel, Bäume und Wasserbecken im Garten, sowie Speisen und Getränke usw. wurden bei solchen Anlässen von Mesmer magnetisiert, und es bot sich dem Besucher ein ziemlich bizarres Spektakel, das aber immer wieder zu Heilungen führte. Da man sich das Fluidum, der Elektrizität ähnlich, leitfähig vorstellte, wurden überall Seile und Stangen befestigt. Die Patienten saßen z.B. am Beckenrand, die Füße im magnetisierten Wasser und durch Seile mit den magnetisierten Bäumen verbunden. Man wollte so viel wie möglich von dem heilsamen Fluidum aufnehmen, wurde es doch als wohltuend, beruhigend und von manchen sogar als lustvoll beschrieben. Inmitten der Kranken spielte Mesmer sphärisch anmutende Melodien auf der Glasharmonika.

Mesmer behandelte 1777 die achtzehn jährige Maria Theresia Paradis, die mit vier Jahren erblindete, als blinde Musikerin relativ berühmt war, von der Kaiserin finanziell unterstützt wurde und der schon viele Ärzte vergeblich versucht hatten zu helfen. Nach fast fünf Monaten konnte sie angeblich wieder mehr oder weniger deutlich sehen. Diese Patientin war für Mesmer sehr wichtig. Ein Erfolg hätte eine Anerkennung seiner Methode durch den kaiserlichen Hof bedeutet, was die kritische und ablehnende Haltung seiner Gegner aufgewogen und vermutlich zum Verstummen gebracht hätte. Mesmer war der Meinung, dass sie länger behandelt werden müsse, um die Sehkraft noch zu steigern und zu festigen. Es wurden aber Gerüchte über Mesmer und das Mädchen in Umlauf gebracht, die einen Skandal zur Folge hatten. Außerdem wurde behauptet, dass die Patientin nur vorgab zu sehen. Die Eltern bestanden auf die Rückkehr ihrer Tochter. Kurz nach ihrer Heimkehr erblindete sie tatsächlich wieder. Mesmer bemerkte, dass eine Heilung weder in ihrem noch in dem Interesse der Eltern lag. Sie hätte dadurch ihre Berühmtheit als blinde Pianistin, und die Eltern die finanzielle Zuwendung seitens der Kaiserin verlieren können. Der durch die Gerüchte entstandene Skandal und die scheinbar erfolglose, lange Behandlung schädigten Mesmers Ruf derart, dass er sich genötigt sah Wien zu verlassen. Mesmer entschloss sich nach Paris zu ziehen.

2.5.3.2. Mesmers Zeit in Paris (1778-1793)

Mesmer bereitete seine Reise nach Paris derart vor, dass er schon vor seiner Ankunft in Paris für Gesprächsstoff sorgte und eine Menschenmenge ihn vor seinem Hotel ungeduldig erwartete.

Er richtete wieder eine Art Klinik mit vielen Gesundheitszubern ein. Neben magnetisierten Bäumen in öffentlichen Anlagen, reservierte er auch in seiner Praxis Räume für die unentgeltlichen Behandlungen der Armen. Da aber auch das Großbürgertum samt Adel von Mesmer angezogen wurde und er sie teuer für die magnetische Behandlung bezahlen ließ, verfügte er bald über ein Vermögen. Seine Patientenliste liest sich wie das who is who der vorrevolutionären Pariser Zeit. Die Leute kamen vom frühen Morgen bis in die Nacht.[19] Wachpersonal sollte für Ordnung sorgen und die gelegentlichen Rangeleien um den nächsten Platz schlichten. Täglich kamen Orchester, die abwechselnd im Warteraum, im baquet-Raum und in den Krisenzimmern spielten. Die Räume, in denen die Gesundheitszuber standen, waren reichlich mit Spiegel ausgekleidet, da das magnetische Fluidum durch sie angeblich zurückgeworfen wurde. Muskulöse Helfer lösten diejenigen, die von einer Krise übermannt wurden, aus den magnetischen Ketten und brachten sie in die Krisenzimmer. Andere Räume waren für angemeldete Beobachter reserviert, und in wieder anderen lagen die stationären Patienten.

Man konnte zwischen individuellem Magnetismus und dem kollektiven baquet wählen. Beim individuellen Magnetismus saß der Patient Mesmer gegenüber, den allumfassenden Gesetzen der Polarität entsprechend, nach Süden gewandt. Üblicherweise fixierte ihn Mesmer mit starrem Blick, legte den Daumen in die Magengrube, schloss die Knie des Patienten mit den seinen ein und bestrich ihn, je nach Krankheit auf verschiedene Weise. Der Patient konnte aber auch ohne Körperkontakt mit weit ausholenden Gebärden horizontal und vertikal bestrichen werden.[20] Während der kollektiven Séancen saßen die Leute auf den Stühlen, die man in zwei bis drei Reihen um das baquet herum platzierte. Sie richteten die Metallstangen an das kranke Körperteil, reichten ihren Nachbarn, mit dem sie durch ein Seil verbunden waren, die Hand und bewahrten, wie es geboten war, Stille. So verharrte man eine ganze Weile in einem abgedunkelten Raum und wartete, Thuillier zufolge, ängstlich, in angespannter Atmosphäre, auf die Wirkung des rätselhaften animalischen Magnetismus. Es dauerte in der Regel nicht lange bis manche anfingen zu seufzen oder zu zittern, bis manche „ von Furcht ergriffen wurden und die Selbstbeherrschung verloren und ihre Nachbarn entsetzten, die nunmehr auf die gesamte Kette eine ungeheure kollektive Angst übertrugen “ (Thuillier, 1990, S. 267). Zum richtigen Zeitpunkt wurde sorgfältig ausgesuchte Musik gespielt, die entweder eine maßlose Panik verhindern, oder die Atmosphäre beleben sollte. Wenn die Spannung einen gewissen Grad erreicht hatte, wurde ein Vorhang beiseite geworfen und Mesmer kam auf majestätische, feierliche Weise in einem lila Seidengewand herein. Er trat an den einen oder anderen heran, sprach ihm ins Ohr und berührte ihn, festen Blickes, mit einem dünnen vergoldeten Stab. So machte er die Runde bis jemand anfing zu schreien, steif wurde und schließlich zitternd umfiel. Während manche diesem Beispiel folgten, fingen andere an zu lachen oder zu weinen. Wieder andere bekundeten euphorisch und dankbar ihre Heilungen. Wurde jemand von einer Krise geschüttelt, brachte man ihn in die Krisenzimmer, wo er ausruhen konnte und von den Krisenlakaien beruhigt wurde.

Ganz Paris wusste von diesen Ereignissen, und immer mehr Leute wollten an ihnen teilhaben. Die einen kamen um an den Gesprächen über den mesmerischen Magnetismus, die in den Markthallen des einfachen Volkes mit derselben Leidenschaft wie am königlichen Hof geführt wurden, teilnehmen und aus erster Hand berichten zu können, andere weil sie sich Heilung erhofften oder einfach zum amüsanten Zeitvertreib. Außerdem konnte man als geheilter Patient mit etwas Glück in einem der zahlreichen Veröffentlichungen erwähnt werden. Wenn nicht das, so bekam man vielleicht die Berühmtheiten der Pariser Gesellschaft zu sehen.

Auch wenn das Volk Mesmer „ wie einen Zauberer oder Gott, der mit übernatürlichen Kräften heilt“ (Thuillier, 1990, S. 270) betrachtete, und der Magnetismus ihm selbst Rätsel aufgab, so sah er sich doch immer als einen Wissenschaftler, der eine medizinische Entdeckung gemacht hatte. Dementsprechend galt ihm ein anerkennendes Wort seitens eines Kollegen von Rang, mehr als die Lobeshymnen seiner Patienten. Seit seiner Ankunft bemühte sich Mesmer immer wieder um eine Untersuchung seiner Methode durch die medizinische Fakultät oder eine königliche Kommission.

Mesmer wurde jedoch mit derselben Leidenschaft kritisiert mit der ihn andere priesen. Jeder Veröffentlichung folgten Schmähschriften und der überwiegende Teil der Mediziner blieb angesichts der spekulativen Theorie und des seltsamen Erscheinungsbildes während der Behandlung skeptisch und ablehnend.[21]

Von Mesmer und seinen Freunden wurden Lehrbücher verfasst, und man gründete die Harmonie-Gesellschaft, die sich der Ausbildung weiterer Magnetiseure widmete. Finanziell war das ein großer Erfolg. Die Ausgebildeten Schüler praktizierten in anderen Städten und vermengten

diese neue Medizin, je nach Ausrichtung der ansässigen Initiatoren, mit Politik, Alchemie und Magie, mit Freimaurerei wie prärevolutionärer Philosophie, der sie Nahrung lieferte, die sie sogar inspirierte[22] . In Paris wurde das Dogma strikt befolgt. (Thuillier, 1990, S. 314)

Der Gesellschaft, die nach dem Vorbild einer freimaurerischen Loge aufgebaut war, gehörten berühmte Persönlichkeiten an. Der Initiationsspruch lautete: „ Gehet hinweg, berührt und heilt. “ (zitiert nach Thuillier, 1990, S. 315) Mitglieder der Harmonie-Gesellschaft pendelten zwischen Frankreich und den USA. La Fayette brachte Washington, den Präsidenten der USA, bei einem seiner Pariser Aufenthalte mit in eine ihrer Versammlungen. So konnte der Mesmerismus schon früh in die USA schwappen.

Als 1784 der König endlich eine Kommission[23] zur Untersuchung des Mesmerismus einberief, interessierte man sich, zum Bedauern Mesmers, weniger für den medizinischen Aspekt seiner Methode, als vielmehr für das animal-magnetische Fluidum. Demzufolge lehnte man auch Mesmers Experimentiervorschlag ab.[24] Gewisse Experimente, die die Magnetisierbarkeit von Gegenständen und das Vorhandensein des physikalischen Fluidums nachweisen sollten, kamen zu dem Ergebnis, dass es keinen Magnetismus gäbe und die Effekte, sowie die Heilwirkungen der Einbildung zuzuschreiben seien.

Vom offiziellen Bericht der Kommission wurden 20000 Exemplare verkauft.[25] Die Untersuchungen der Kommission wurden auch im Ausland mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Mesmer wurde daraufhin in zunehmendem Maße angefeindet. Er hatte Glück, dass er keine polizeilichen Scherereien bekam.

Wegen der revolutionären Unruhen wurde die Harmonie-Gesellschaft, wie andere Gesellschaften auch, 1789 verboten. Mesmer verlor einen großen Teil seines beträchtlichen Vermögens. Man fand nunmehr weniger Zeit für die magnetischen Séancen. Es kamen immer weniger Leute, und Mesmer nutzte die Zeit für verschiedene Reisen, die, so Thuillier, vorwiegend alchemistischen Zwecken dienten.

Es waren aber nicht nur die beginnenden Unruhen, die Mesmer veranlassten abzureisen, sondern auch andere öffentliche und persönliche Niederlagen. Man warft ihm vor seine Theorie von den alten Magnettherapeuten wie Paracelsus abgeschaut zu haben. Als die wieder erblindete Musikerin Maria-Theresia Paradis in Paris spielte und eine Demonstration seiner Methode vor dem Prinzen Heinrich von Preußen misslang, trauten nur noch wenige seiner Behandlungsmethode.

Thuillier ist der Meinung Mesmer habe Paris 1793 endgültig verlassen.

2.5.3.3. Mesmers letzte Lebensphase (1792-1815)

Zunächst reiste Mesmer wieder nach Wien. Da man in ihm einen Jakobiner und eine politische Gefahr befürchtete,[26] wurde er nach einem kurzen Aufenthalt im Gefängnis aus Österreich ausgewiesen. Er ging anschließend in die Schweiz.

Später kam Mesmer doch noch zu allgemeiner Anerkennung. Von der französischen Regierung bekam er eine als Entschädigung gedachte Rente, und 1812 wurde er nach Berlin eingeladen. Sein Verfahren sollte erneut untersucht werden, und man bat ihn eine magnetische Klinik in Berlin zu leiten, was er allerdings, wie ähnliche Angebote aus der Schweiz auch, ablehnte. Sowohl in Frauenfeld als auch in Meersburg, wo Mesmer die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, praktizierte er nur noch in kleinem Rahmen.

Am fünften März 1815 starb er an den Folgen eines Schlaganfalls. Kurz darauf richtete man Lehrstühle für Mesmerismus an den Universitäten Berlin und Bonn ein. Dies verdeutlicht, dass die medizinische Fachwelt in Deutschland mit einer gewissen Begeisterung anfing, sich dem mesmerischen Magnetismus zu widmen. Nach Ellenberger und Jovanovic sorgte das Interesse, das dem Mesmerismus auch von Seiten einiger Naturphilosophen und Romantikern entgegengebracht wurde, in den gebildeten Kreisen Deutschlands für eine offenere Haltung als in Frankreich.[27]

2.5.4. Hypnotische Elemente in Mesmers Therapie

Auch wenn Mesmer die durch das Magnetisieren ausgelösten Krisen, die das Anschlagen der Behandlung kundtaten, dem damaligen wissenschaftlichen Zeitgeist entsprechend als eine Wirkung physikalischer Kräfte verstand, so gestaltete er seine Sitzungen doch so, dass sie in hohem Maße auf die Psyche seiner Patienten einwirkten. Der abgedunkelte Raum, sein priesterlich anmutendes Gewand, der vergoldete „Zauberstab“, die sphärische Musik usw. vermittelte seinen Patienten den Eindruck des Geheimnisvollen und Übersinnlichen, wodurch vermutlich einen Zustand erhöhter Suggestibilität hervorgerufen wurden.

Die ungewöhnlich schnell erlangte enorme Berühmtheit Mesmers, die Tatsache, dass hochgestellte Personen zu seinen begeisterten und zum Teil geheilten Patienten gehörten, die Informationen, die man aus den Zeitungsartikeln, den Büchern und öffentlichen Gesprächen gewonnen hatte, die Reaktionen, die man bei den anderen Patienten beobachten konnte, die ins Ohr geflüsterten Worte Mesmers; all das kann man als komplexe suggestive Situation betrachten, die eine konkrete Erwartungshaltung förderte und zur Bereitschaft einer Rollenübernahme motivierte.[28]

Als hypnotische Phänomene könnte man die verschiedenen Reaktionen bezeichnen, die durch das Zeremoniell zustande kamen: angefangen bei der kataleptischen Starre und den Zitteranfällen, die manche Patienten befielen, den Schrei-, Wein- und Lachkrämpfen, bis hin zu den Heilungen.

2.6. Der Hypnotismus des 19ten Jahrhunderts

Die folgenden Hypnoseforscher erwähnten Mesmer meist nur, um sich von ihm zu distanzieren, dennoch muss man es Mesmer zugute heißen, dass er die folgenden Forschungen in Gang gesetzt hat.[29]

Wie schon erwähnt, hatte bereits ein Schüler Mesmers, der Marquis de Puységur (1751-1825), auf die Bedeutung des verbalen Rapports zwischen Magnetiseur und Patient hingewiesen. Nicht mehr das magnetische Fluidum, sondern durch den Rapport geweckter Glaube und Wille wurde nun als ursächliches Agens der Heilung bestimmt (Schott, 1988, S. 5). Mit dem Rapport rückte die Suggestion in den Mittelpunkt der Hypnoseforschung (Ellenberger, 1973, S. 118).

Bei seinen Versuchen erfuhren nicht alle Patienten eine heilsame Krise. Vielmehr fielen die meisten in eine Art Schlaf, während dem sie einer konzentrierten Kommunikation fähig blieben. Im künstlichen Somnambulismus neigten sie zu einer sympathetischen

Beziehung zum Magnetiseur und öffneten sich seinen Suggestionen auf bemerkenswerte Weise.

Puységur bemerkte zudem, dass einige seiner somnambulen Patienten eine ungewöhnlich gesteigerte Schärfe der Wahrnehmung entwickelten. Dinge, die normalerweise unter der Wahrnehmungsschwelle blieben, wurden nun registriert. Er sprach von einem sechsten Sinn, der bemerkenswerte Blüten getragen haben soll: z.B. die Fähigkeit sich selbst zu diagnostizieren, mit verbundenen Augen zu lesen, Gedanken zu durchschauen, oder gar in der Ferne vor sich gehendes und zukünftiges Geschehen zu benennen[30].

Abbé Faria (1755-1819) entwickelte eine Suggestionstherapie, durch welche die Aufmerksamkeit vom Hypnotiseur auf spezielle Fähigkeiten des Patienten gelenkt wurde. Er bestimmte die Konzentrationsfähigkeit des Patienten als Kernpunkt der hypnotischen Phänomene. Die Suggestion diente bei Abbé Faria dazu die Konzentration zu fördern und ihr ein Anschauungsobjekt zu liefern. Seine Hypnotisiermethode bestand darin, dass er seine Patienten in bequeme Stühle setzte, sie seine Handfläche fixieren ließ und ihnen dann befahl: „Schlafen Sie!“.

John Elliotson (1791-1868) und James Esdaile (1808-1859) erzielten große Erfolge durch kleinere und größere Operationen, wobei sie sich des Mesmerismus zum Erlangen der Schmerzfreiheit bedienten. Die Vorteile, die der Mesmerismus der chirurgischen Medizin brachte, waren zunächst enorm. Die durch ihn erlangte Schmerzfreiheit muss man als große Entdeckung für die chirurgische Medizin verstehen und sicherlich hätte der Mesmerismus sein negatives Image bald reduzieren können, hätte nicht die Entdeckung von Äther und Chloroform 1846 die Anwendung psychologischer Schmerzkontrolle relativ überflüssig gemacht.

Den Begriff Hypnose[31] verdanken wir dem englischen Augenarzt James Braid (1795-1860). Er wandte eine bis dahin fast vergessene Induktionsmethode an, die Fixationsmethode,[32] und stellte fest, „daß es keines Magnetismus bedürfe, um die Probanden oder auch Tiere in den Schlaf zu versetzten“ (Revenstorf, 1990, S. 19). Braid setzte stattdessen hirnphysiologische Veränderungen voraus, die für die Phänomene der Hypnose von Bedeutung seien. Die Fixierung eines Gegenstandes und die Konzentration auf eine einzige Idee, Monoideismus, führen zu einer Überstrapazierung der betroffenen Nerven, deren Reaktion ein schlafähnlicher Zustand sei. Dies sei der Schlüssel zum Verständnis des hypnotischen Zustands, den er nervous sleep nannte. Braid schrieb dazu:

Wir haben in diesem Zustand die Möglichkeit, die nervösen Energien zu dirigieren und zu konzentrieren und sie in bemerkenswertem Grade willentlich lokal oder allgemein zu erhöhen oder herabzusetzen. Wir können in diesem Zustand die Stärke und Frequenz der Herzaktion und auch die Zirkulation lokal oder allgemein in einem überraschenden Umfang beschleunigen oder verlangsamen. Während dieser merkwürdigen Verfassung haben wir die Fähigkeit, die Kraft und den Tonus der Muskulatur in bemerkenswerter Art und anschaulichem Grad zu verändern. Wir besitzen dann eine erstaunliche Fähigkeit zu schnellen und wichtigen Änderungen der kapillaren Zirkulation, Sekretion und Exkretion, die sich zum Teil auch chemisch nachweisen läßt. Diese Fähigkeit kann für die Heilung einer Vielfalt von Krankheiten verwandt werden, welcher einer gewöhnlichen Behandlung unzugänglich oder ganz unheilbar sind. Diese Hilfsmittel können zur Verfügung stehen, um Schmerzen bei chirurgischen Operationen zu vermindern oder gänzlich zu verhüten.“ (zitiert nach Schott, 1988, S. 8)

Die hypnotischen Phänomene seien keiner äußeren Kraft zuzuschreiben, die durch eine Wechselwirkung von Magnetiseur und Patient vermittelt wird, sondern nur der Wechselwirkung zwischen Geist und Körper. Dadurch setzte er die auf den Körper wirkende Psyche und die individuelle Eigenaktivität in den Mittelpunkt. Außerdem schaffte er die Grundlagen eines experimentalwissenschaftlichen Ansatzpunktes, der den Mesmerismus von seinen Mystifikationen befreite und aus ihm ein wissenschaftlich akzeptables Konzept machte (Schott, 1988). Braid war der Meinung, dass Menschen, indem sie

ihre gespannteste Aufmerksamkeit ausschließlich auf einen Theil ihres Körpers richten, eine Veränderungen der Funktionen desselben hervorrufen können, die sie leicht einer äußeren Einwirkung zuschreiben, während sie doch lediglich aus einer inneren und geistigen Ursache entsteht.. (Schott, 1988, S. 8f)

Gewöhnlich bilden, so Braid, die Hypnotisierten den Zustand aus, der ihnen beschrieben wurde und den sie bei anderen gesehen haben. Die von Puységur beschriebene geschärfte Wahrnehmung ermögliche es den Hypnotisanden Erwartungen seitens des Hypnotiseurs zu erahnen und umzusetzen. Das Erscheinungsbild des manifestierten hypnotischen Zustands würde demnach entscheidend vom Vorwissen über ihn und durch unbewusste gegenseitige Suggestionen zwischen dem Hypnotiseur und dem Hypnotisanden geprägt.

Unfreiwillig suggeriert der Hypnotiseur dem Patienten mehr als er glaubt, und der Patient gibt dem Hypnotiseur mehr von dem zurück, was dieser insgeheim erwartet. Auf diese Weise kann sich ein Prozeß gegenseitiger Suggestion entwickeln; die Geschichte der … Psychiatrie ist reich an phantastischen Legenden und Romanen, die sich aus der unbewußten Zusammenarbeit des Hypnotiseur und Hypnotisierten entwickelt haben. (Ellenberger, 1973, S. 176) Dies ist auch der Grund, warum der hypnotische Zustand je nach dem Hypnotiseur verschieden ist, nach der Schule, der er angehört, und je nach den aufeinanderfolgenden Perioden in der Geschichte …. (ebd., S. 168)

1882 stellte der berühmte Neurologe Jean Martin Charcot (1825-1893) unseren Untersuchungsgegenstand, im Zusammenhang mit somatischen Phänomenen unter dem Begriff Hypnotismus, der Académie des Sciences vor. Nachdem die Hypnose auch nach Mesmer noch zweimal unter dem Begriff Magnetismus abgelehnt wurde, erfuhr der Gegenstand nun auch in Frankreich Anerkennung. Ein neuerlicher, wissenschaftlicher Boom des Themas führte dazu, dass die folgenden Jahre heute als die goldenen Jahre der Hypnose bezeichnet werden. Viele heute noch gültige, grundlegende Ansichten darüber was Hypnose ist und wie sie funktioniert sind in diesen Jahren geprägt worden.

Charcot erarbeitete eine erste Klassifizierung der hypnotischen Phänomene. Er stellt eine Theorie von nacheinander ablaufenden physiologischen Prozessen während der Hypnose vor, die er in drei Stadien unterteilt: Lethargie, Katalepsie und Somnambulismus. Für ihn waren die hypnotischen Phänomene allerdings psycho-pathologischer Natur. Sie seien nur bei Hysterikern, während einer experimentellen Neurose zu beobachten. Vermutlich führte, unter anderem, diese Verknüpfung zu seinen brutal anmutenden Induktionstechniken. Er rief den hypnotischen Zustand vornehmlich durch Schreckreize hervor. Die hysterischen Frauen, die als Versuchsobjekte dienten, wurden geblendet, geschlagen und angeschrieen, woraufhin sie häufig in einen Zustand physischer und psychischer Lähmung verfielen, in dem sie keiner Suggestion mehr zugänglich waren. Wenn man diesen Zustand und die auslösende Technik überhaupt als Hypnose bezeichnen will, dann handelt es sich um eine Hypnoseform, die man heute in der Regel weder anwendet noch herbeiführen möchte. Charcots Theorien gehören nicht zu denen, die immer noch eine breite Akzeptanz genießen. Die drei Stadien treten in dieser Form so selten auf, dass man sie schwerlich als ein Charakteristikum der Hypnose bezeichnen kann. Auch die Zuordnung hypnotischer Phänomene zu psycho-pathologischen Erscheinungen ist schon kurz darauf bestritten worden (Ellenberger, 1973, S. 156).

Bald entwickelte sich ein Streit zwischen der Pariser Schule Charcots und der so genannten Schule von Nancy, die von Hyppolyte Bernheim (1840-1919) und Auguste Ambroise Liébeault (1823-1904)[33], im Sinne einer besonderen Betrachtungsweise, ins Leben gerufen wurde. Bernheim gelang es dem Hypnotismus nicht nur Anerkennung zu verschaffen, durch seine Entdeckungen wurde er, bis zur Entstehung von Freuds Psychoanalyse, zum wichtigsten Vertreter der Psychotherapie[34] (Schott, 1988). Liébeault und Bernheim waren, im Unterschied zu Charcot, der Auffassung, dass der hypnotische Zustand zwar ein besonderer, aber durchaus normaler psychologischer Zustand sei, der bei fast jeder Person hervorgerufen werden könne. Er sei auf eine grundsätzliche Eigenschaft des Menschen zurückzuführen, die Suggestibilität. Die Suggestibilität sei zum einen die Vorraussetzung für das Entstehen des hypnotischen Zustands, und zum anderen sei eine erhöhte Suggestibilität das Produkt eben dieses Zustands. Hypnose sei also durch Suggestion gesteigerte Suggestibilität. Mangelnde Suggestibilität würde man, ganz im Gegensatz zu Charcots These, nur bei psychisch Kranken vorfinden. Allerdings bemerkte Bernheim, dass Leute, die passiven Gehorsam gewöhnt waren, von ihm leichter zu hypnotisieren waren als z.B. Angehörige „der oberen und reicheren Schichten“ (Ellenberger, 1973, S. 140).

Durch Bernheim wurde die so genannte Suggestionsdoktrin bekannt, die einen wesentlichen Zusammenhang zwischen Hypnose und Suggestion, in dem oben beschriebenen Sinne, postuliert. Er entwickelte

[...]


[1] Bei aller Ähnlichkeit tierischer und menschlicher Erscheinungen, sollte man doch nicht den Blick für wesentliche Unterschiede verlieren. Der so genannte hypnotische Zustand beim Tier lässt sich nur sehr oberflächlich im Sinne eines allgemeinen Lebensvorgangs mit dem hypnotischen Zustand des Menschen vergleichen (Jovanovic, 1988, S. 68).

[2] Natürlich wurden neben den suggestiven Methoden früher Kulturen auch, wie H. Ellenberger (1973) sie nennt, rationale Heilmittel, wie Salben, Tinkturen, Diäten, Massagen usw. zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt.

[3] Mehr zur Suggestion im 3. Kapitel.

[4] Die meisten Forscher sind sich darüber einig, dass Suggestionen im hypnotischen Zustand unkritischer akzeptiert und besser realisiert werden.

[5] Den Hypnotisanden (der Hypnotisierte) dazu zu bringen die Augen des Hypnotiseurs zu fixieren, ist eine bekannte und verbreitete Induktionstechnik moderner Hypnoseverfahren. Die Reaktion der Frau erinnert an die kataleptische Starre, die zu den häufig vorkommenden Hypnosephänomenen gehört (mehr zu den Hypnosephänomenen in Kapitel 5).

[6] Mehr zur Erwartungshaltung und Rollenübernahme im 4. Kapitel zu den Hypnosetheorien.

[7] Ellenberger (1973, S. 65) sieht in der Verwendung so genannter Wässer des Vergessens und der Erinnerung einen Hinweis für die therapeutische Nutzung der Hypermnesie bzw. Amnesie.

[8] Die Inkubationstherapie in den Schlaftempeln war sehr populär und beeinflusste die Medizin für Jahrhunderte. Im römischen Reich wurde Asklepios zu Aeskulapius. Dieses Heilverfahren hielt sich, laut Jovanovic (1988, S. 79), bis in die Mitte des 6. Jahrhunderts.

[9] Auch wenn diese Geschichte nicht stimmt, so veranschaulicht sie doch sehr schön die Behauptung, nach der alle Beschwerden, die durch wie auch immer geartete Suggestionen hervorgerufen wurden, auch wieder durch Suggestionen aufgehoben werden können (siehe Kapitel 2.7., Charles Baudouin).

[10] Nach Jovanovic (1988, S. 59) wurde der Magnetstein nach seinem Fundort in der Landschaft um die Stadt Magnesia in Kleinasien (Thessalien) benannt.

[11] Achilles Gasser (Hrsg.): Brief über den Magneten (1558).

[12] Von Ellenberger (1973, S. 89) wird Mesmer als der Begründer der dynamischen Psychiatrie bezeichnet.

[13] Das Medzinalkollegium des preußischen Königreichs brachte z.B. noch 1731 ein Dekret mit der Anleitung zur Herstellung eines Pest-Amuletts für Ärzte und Apotheker heraus, das bis 1774 Gültigkeit hatte (Jovanovic, 1988, S. 62).

[14] Thuillier (1990, S. 244) beschreibt das Pariser Leben zur Zeit Mesmers. In diesen Jahren:

verfiel man auf Scharlatane. Die Pompadour ließ sich bei Madame Bontemps die Zukunft aus dem Kaffeesatz lesen. Der rätselhafte Graf von Saint-Germain erzählte, er habe zusammen mit Jesus an der Hochzeit von Kanaan teilgenommen, und man schenkte ihm Glauben, so wie man an die Liebestränke und geheimnisvollen Mittel des Sizilianers Balsamo glaubte, der sich Graf Cagliostro nannte. Man redete über die Wunder Christi, doch als bekannt wurde, daß unerklärliche Heilungen am Grab des Diakons Pâris auf dem Friedhof von Saint-Médar stattgefunden haben sollen, stürzte die Pariser Meute zum kleinen Beinhaus der Kirche, wo Frauen Fußtritte erduldeten, wo man ihnen die Zungen durchstach, während andere glühende Kohlen schluckten, sich kreuzigen ließen oder ganz einfach auf das Grabmal des Diakons sanken und dort von Krämpfen geschüttelt wurden.

[15] „Unter Exorzismus (Teufelsaustreibung) versteht man die Beschwörung von Dämonen und Geistern durch Wort und Geste, um sie aus dem Körper des Besessenen herauszuholen“ (Jovanovic, 1988, S. 62). Ellenberger (1973, S. 35ff) arbeitet Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Besessenheitsformen heraus. Nicht jede Besessenheit bedarf einer Behandlung. Wie wir gesehen haben ist z.B. die Besessenheit durch einen Voodoo-Gott oder –Geist erwünscht. Sie ist im Gegensatz zu der spontanen Besessenheit, die ohne das Zutun des Betroffenen auftritt, freiwilliger Natur. Bestimmte Symptome, wie eine veränderte Physiognomie und Gestik, Stimmlage und Ausdrucksweise gehören zu den relativ oft beobachtbaren Besessenheitsphänomenen. Nach Ellenberger besteht die heilsame Wirkung des Exorzismus darin, dass neurotische Störungen abreagiert werden können. Um das suggestive Potential des Exorzisten zu steigern spricht der Exorzist meist im Namen eines höheren Wesens. Dabei wendet er sich an die „eingedrungene“ Person, die die Krankheit oder Störung verkörpert. Für den Patienten bringt es unter Umständen Vorteile, wenn er gewisse Eigenschaften oder Persönlichkeitsanteile von sich weisen kann. Indem er sie dissoziiert, bzw. auf einen anderen überträgt, muss er keine Verantwortung für sie übernehmen und braucht sich ihrer auch nicht rechtfertigen.

[16] Der Titel verrät eine Parallele zu der schon erwähnten Theorie des Paracelsus über ein magnetisches Fluidum, das den Sternen entströmt. Mesmer berief sich allerdings nie auf Paracelsus. Das hätte seinem Ruf in der Zeit der Aufklärung schaden können (Thuillier, 1990).

[17] Teilweise gelangten seine Patienten in einen Zustand, der dem eines Schlafwandlers ähnelte und deshalb später von seinem Schüler, dem Marquis de Puységur, als künstlicher Somnambulismus bezeichnet wurde. Mesmer selbst schenkte, obwohl er diesen Zustand bei manchen Patienten bemerkte, dem Somnambulismus nur wenig Aufmerksamkeit. Er war, in Verkennung der außerordentlichen therapeutischen Nutzbarkeit der gesteigerten Suggestibilität im künstlichen Somnambulismus, auf so genannte heilsame Krisen aus.

[18] Das baquet ähnelte, anlehnend an physikalische Erkenntnisse der damaligen Wissenschaft, der 1745 erfundenen Leydener Flasche, der Grundform des Kondensators, die unter anderem der Verdichtung elektrischer Energie diente. Das baquet war eine Art Bottich, den man mit Eisenspänen, Sederit, zerstoßenem Glas, Sand und Flaschen voller magnetisiertem Wasser füllte. Diese Substanzen sollten das Fluidum speichern und verstärken. Geknickte Eisenstäbe dienten als Leiter. Sie wurden durch Löcher im Deckel an die magnetisierten Substanzen geführt und vom Patienten an erkrankte Körperteile gehalten. Thuillier zufolge, diente der Gesundheitszuber dazu seine Methode und Theorie zu konkretisieren und zu illustrieren. Durch den Aufbau verschiedener Objekte, die an Gegenstände erinnern sollten, die man bei wissenschaftlichen Untersuchungen verwendete, wollte Mesmer in jedem Fall den Schein der Wissenschaftlichkeit wahren.

[19] Es gab allerdings auch seltene Momente, in denen keine Magnetisierung stattfinden konnte. So wurde z.B. das Thermo-, Baro- und Hygrometer sorgfältig beobachtet, um heranziehende Gewitter frühzeitig zu erkennen. Gewitter standen in dem Ruf magnetische Therapien zu vereiteln; das kosmische Fluidum zu stören.

[20] Abarten der Mesmerischen Striche finden wir heute nicht nur bei manchen Hypnoseanwendungen, sondern auch bei den Pfingstlern, im Umbanda-Kult usw.

[21] Hätte Mesmer nicht sein Leben lang an der physikalischen Fluidum-Theorie festgehalten und sich mehr mit dem Einwand seines Schülers, des Marquis de Puységur, befasst, der bemerkte, dass nicht das Fluidum die Phänomene verursache, sondern der Rapport zwischen Patient und Magnetiseur, dann wäre er vielleicht auf mehr Anerkennung gestoßen.

[22] Angesichts der Aufmerksamkeit, die die Öffentlichkeit dem Mesmerismus entgegenbrachte, dienten geschickte Stellungsnahmen „Rednern sowie Parlamentariern, die leitende Posten in der Regierung zu erklimmen suchten, bei all ihren politischen Ambitionen als Steigbügel“ (Thuillier, 1990, S. 339). Nicolas Bergasse, ein eifriger Schüler Mesmers, hatte „nicht verhehlt, dass er mit der Errichtung eines dem Mesmerismus geweihten Altar nur einen der Freiheit meinte.“ Frankreich bedürfe einer Revolution. „Um damit Erfolg zu haben, muß man sich in Mysterien hüllen, man muß die Menschen unter dem Vorwand physikalischer Experimente vereinigen, in Wirklichkeit jedoch zum Zwecke des Umsturzes der Tyrannei“ (zitiert nach Thuillier, 1990, S. 366). Viele von Mesmers Anhängern sollten später auf dem Schafott enden. Mesmer selbst hielt sich in politischen Dingen zurück, er widmete sich vorwiegend der Ausbildung seiner Schüler und der Heilung seiner Patienten. Thuillier zufolge fällte Mesmer kein bekanntes Urteil über die Revolution.

[23] Die Kommission bestand unter anderem aus berühmten Wissenschaftlern, zu denen, da es um den Nachweis des magnetischen Fluidums ging, konsequenter Weise nur wenige Ärzte gehörten. Der Erfinder Benjamin Franklin, der Astronom Bailly, der Chemiker Lavoisier und der Arzt und Erfinder Giullotine waren einige der Kommissionsmitglieder. Giullotine setzte sich für die Gleichheit aller Menschen ein und machte sich für den Gebrauch der, von ihm erfundenen, Giullotine für alle Stände stark. Die Enthauptung als humane und schmerzfreie höchste Strafe sollte nicht mehr nur dem Adel vorbehalten sein, sondern Exekutionsmethode für alle Stände werden. Später wurde auch er Opfer seiner Erfindung, ebenso wie Bailly und Lavoisier.

[24] Er wollte vierzehn nach seiner Methode behandelte Patienten mit vierzehn herkömmlich behandelten vergleichen.

[25] Gleichzeitig wurde ein Geheimbericht erstellt, der gewisse Risiken des Magnetismus für die guten Sitten feststellte. Man machte sich Sorgen darüber, dass die magnetisierenden Männer die weiblichen Patienten, ihrer gewohnten Urteils- und Reaktionsfähigkeit beraubt, sehr leicht verführen oder misshandeln könnten. Die eigenartige Beziehung zwischen Magnetiseur und dem Magnetisierten verursachte von Anfang an Sorgen. Zu Beginn war es die Sorge um die Möglichkeit des sexuellen Missbrauchs. Später als man die posthypnotischen Suggestionen entdeckte, war es der scheinbare Verlust des unabhängigen Willens des Hypnotisanden, der Anlass zu wüsten Spekulationen gab. Man fürchtete etwa die Instrumentalisierung eines willenlosen Hypnotisanden durch skrupellos kriminelle Hypnotiseure.

[26] Sein Name taucht im Zusammenhang mit einem politischen Anschlag auf (Ellenberger, 1973, S. 110).

[27] Die Romantiker konnten, so Jovanovic und Ellenberger, die Vorstellung eines universalen physikalischen Fluidums gut mit ihrer Auffassung von einer alles durchdringenden Weltseele in Einklang bringen. Verschiedene Personen und ihre medialen Fähigkeiten wurden experimentell untersucht. Berichte über religiöse Offenbarungen, Zukunftsvisionen usw., die sich manchen magnetisierten Personen eröffneten, wurden von der Öffentlichkeit mit Begeisterung verfolgt (Ellenberger, 1973, S. 126).

[28] Mehr dazu in Kapitel drei und vier.

[29] Nach Jovanovic (1988, S. 85) hat er nicht nur die entstehende Hypnoseforschung inspiriert, sondern auch etliche andere kulturelle Bereiche nachhaltig geprägt. Z.B. den in Amerika aufkommenden Spiritismus, die spätere Tiefenpsychologie, die Psychoanalyse und viele künstlerische Bereiche, wie z.B. die deutsche romantische Literatur.

[30] Die Ansichten über den „sechsten Sinn“ und seine Fähigkeiten, die sich im hypnotischen Zustand erschlössen, begünstigten in Deutschland um 1815-1835 eine gewisse „parapsychologische“ Manie. Es wurden ausgiebige Experimente mit so genannten Medien durchgeführt. Berichte über religiöse Offenbarungen und Zukunftsvisionen, die sich bestimmten magnetisierten Personen eröffneten, wurden von der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt (Ellenberger, 1973, S. 126).

Um 1850 sollten, laut Ellenberger, in den USA ähnliche „übersinnliche“ Phänomene eine neue Bewegung aufkommen lassen; den Spiritismus. Auch diese Bewegung wurde in auffallendem Maße von mesmerischen Magnetiseuren geprägt. Der Spiritismus, der zu einer „psychischen Epidemie“ wurde, begünstigte später seinerseits das neuerliche Aufleben des Hypnotismus. Mit seiner Hilfe wollte man nun einige spiritistische Phänomene wissenschaftlich erklären. Außerdem bekam die aufkommende Psychologie durch den Spiritismus neue Techniken in die Hand, die als Zugangsmöglichkeit zum Unbewussten gewertet wurden. Das automatische Schreiben wurde z.B. als viel versprechende Technik in die psychologische Wissenschaft eingeführt, wo es noch einen gewissen Stellenwert hat.

[31] Das Wort Hypnose leitete Braid vom antiken griechischen Gott des Schlafes Hypnos ab.

[32] Laut Kossak erwähnte schon Paracelsus in seinem Buch „Opera“ (1589-1591) eine Gruppe von Mönchen, die ihre Patienten durchs anstarren einer Kristallkugel in eine Art Schlaf versetzten.

[33] Liébeault kann als geistiger Vater und Bernheim als Leiter der Schule betrachtet werden.

[34] Der Begriff Psychotherapie ist, laut Schott (1988), von Bernheim eingeführt worden.

Ende der Leseprobe aus 103 Seiten

Details

Titel
Hypnotische Prozesse im Gottesdienst der Pfingstgemeinden
Untertitel
Versuch einer Annäherung an gewisse pfingstlerische Phänomene über die Ergebnisse der Hypnose- und Suggestionsforschung
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
3,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
103
Katalognummer
V118275
ISBN (eBook)
9783640220441
ISBN (Buch)
9783640222780
Dateigröße
816 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hypnotische, Prozesse, Gottesdienst, Pfingstgemeinden, Hypnose, Geschichte, Suggestion, Theorie, Suggestions- und Hypnosetheorie
Arbeit zitieren
Simon Knopf (Autor:in), 2007, Hypnotische Prozesse im Gottesdienst der Pfingstgemeinden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118275

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