Konfliktanalyse am Fallbeispiel Ruanda


Facharbeit (Schule), 2008

10 Seiten, Note: 1,0(14P)


Leseprobe


Eric Schütte 15.03.2008

Klasse 13

Fach: Politische Bildung

Konfliktanalyse am Fallbeispiel Ruanda

Here in Rwanda we are still in war.

Not in the literally sense of “war”,

but we are still in alert

and we have to be prepared.

(Ruandischer Intellektueller, September 2003)

Fast nun schon 14 Jahre nach dem Genozid in Ruanda befindet sich die Bevölkerung des zentralafrikanischen Landes immer noch in einem traumatisierten, schockhaften Zustand. Im Jahr 1994 kam es zwischen extremistischen Hutus einerseits und RPF Rebellen anderseits zu völkermordähnlichen Ausschreitungen, von welchen vor allem die Tutsi-Bevölkerung, aber auch der Hutu-Anteil betroffen waren. Innerhalb von 100 Tagen wurden mehr Menschen auf brutalster Weise getötet und hingerichtet, als vergleichsweise im Holocaust. Schätzungen reichen von mindestens 500.000 bis zu 1.000.000 Toten. Parallel dazu brachte der Bürgerkrieg eine Flüchtlingswelle hervor, die ca. 3 Millionen Menschen zählte (fast die Hälfte der ruandischen Bevölkerung), welche zum Teil noch bis heute andauert. Geht man heute durch das Land, so findet man immer noch geisterhafte Orte vor, Orte, in denen Ruinen und Leichenberge an die schrecklichen Auswirkungen des Völkermords von vor vierzehn Jahren auf brutalste Weise erinnern. Noch hat die neue Regierung in Ruanda nicht genügend finanzielle Mittel, um Gedenkstätten oder Friedhöfe zu errichten, auf denen die Opfer des Massakers ihren ersehnten Frieden finden könnten.

Das Thema „aktuelle Konflikte und Spannungen im Kontext von 1994“ sind in der ruandischen Bevölkerung Tabu-Themen, gegenüber denen nur wenige sich differenziert äußern. Meistens werden verallgemeinerte Antworten gegeben, wie „hier gibt es keine sozialen/gesellschaftlichen Konflikte“ oder „mangelnde Reintegration von Rückkehrern und Flüchtlingen war nur bis Ende der 1990er Jahre ein Problem, all das ist heute abgeschlossen“. Doch noch immer ist den Menschen ein tiefsitzender Schock anzumerken, welcher zu ängstlich ist, um sich zu zeigen doch zu stark, als das er verblassen könnte.(1)

Das gegenwärtige Programm der ruandischen Regierung, in ihrem Land eine Phase der politischen, ökonomischen und sozialen Konsolidierung einzuläuten und somit „Einheit und Versöhnung“ herzustellen, zeigt jedoch wenig Resonanz und Ergebnisse. Repressivität und Unsicherheit kennzeichnen die Verhaltensweisen der Einwohner. Diese Unsicherheit ist vor allem im Kontext des durch die Regierung angesetzten Programms der nationalen Einheit und Versöhnung zu sehen, welches Vereinbarungen hinsichtlich des zu verwendenden Sprachgebrauchs vorgibt. Durch die offizielle Abschaffung der Begriffe „Hutu“ und „Tutsi“ werden von den Menschen neue Konstrukte geschaffen, welche vielmehr der Verschleierung und Unterdrückung der dabei hervorgerufenen Emotionen dienen, als dass sie einer Versöhnung entgegenkommen könnten. So existieren weiterhin soziale Differenzen und verhasste Gefühle zwischen den Bevölkerungsgruppen, welche den endgültigen Frieden und demokratische Gleichberechtigung unmöglich machen.

Betrachtet man allein die Statistiken des Bürgerkriegs von 1994 und die heutigen Folgen, so stellt sich ganz von selbst die Frage, wie es zu einer solchen Eskalation kommen konnte. Wo liegen die historischen Wurzeln in diesem Konflikt, wie hat er sich entwickelt und wie konnte es zu einer solchen Ausuferung kommen? Hatte die internationale Gemeinschaft, welche doch den Frieden auf der Welt bewahren soll, geschlafen?

Diese Fragen möchte ich in der folgenden Konfliktanalyse beantworten.

Als erstes sind die historischen Wurzeln und die Entwicklung des Konfliktes zu betrachten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich unter den staatlichen Zentralisierungstendenzen des Königreichs eine erste Differenzierung zwischen den Bevölkerungsgruppen heraus. Die Tutsi, welche vorwiegend Viehwirtschaft betrieben, erlangten zunehmend Macht und wurden immer mehr mit in die Politik und Verwaltung miteinbezogen. Die Hutu, die hauptsächlich dem Ackerbau nachgingen, etablierten sich als beherrschte Bevölkerungsschicht unter den Tutsi. Eine dritte Bevölkerungsgruppe, nämlich die Twa, die als Jäger und Sammler galten, spielten in der Entwicklung dieser Differenzierung eher eine unbedeutende Rolle und werden in meiner Konfliktanalyse außen vorgelassen.

Als dann 1899 die Deutschen die Kolonialherrschaft über Ruanda erlangten, wurde die soziale und politische Unterscheidung der Bevölkerungsgruppen manifestiert. Die Deutschen begründeten die abgestuften Sozialbeziehungen in Ruanda mit der europäisch-rassistischen Hamitentheorie und banden die bereits etablierten Tutsi als lokale Machtträger in das System ihrer indirekten Herrschaft mit ein.

Nach dem Ersten Weltkrieg, als Ruanda den Deutschen durch den Versailler Vertrag abgesprochen und durch die Belgier übernommen wurde, wurde das System der ungleichen Machtverteilung auf Basis von rassistischen Unterschieden zwischen Tutsi und Hutu fortgesetzt. Als 1933/34 die Ausstellung von Ausweispapieren infolge einer Volkszählung erfolgte, wurde die ethnische Zugehörigkeit eines jeden festgelegt und somit die rassistische Biologisierung der Einwohner fixiert. Auch die Bildungsförderung durch katholische Missionarsschulen richtete sich nach dieser festgelegten Differenzierung. Während noch vor dem Zweiten Weltkrieg die Tutsi im Bildungswesen bevorzugt wurden, galt danach die besondere Förderung der Hutu aufgrund neuen ideologischer Grundsätze der katholischen Mission. Gefördert durch die nun auch den Hutu zugängliche Bildung, bildete sich ein Hutu-Klerus, der der Tusi-Herrschaft als Opposition entgegenstand.

In den 1950ern, als eine Dekolonisation Ruandas absehbar wurde, kam es zu ersten Parteigründungen entlang der ethnischen Grenzen. Dabei setzten die Tutsi-Parteien auf die Weiterführung ihrer Monarchie, während die Hutu durch Diffamierung der Tutsi-Hegemonie in ihren eigenen Reihen extremistische Politiker hervorbrachten. Als dann 1959 der Tutsi Monarch Rudahigwa starb, eskalierte die Situation zwischen den Bevölkerungsgruppen: Hunderte Menschen starben infolge von brutalen Auseinandersetzungen. Als diese durch die Belgier niedergeschlagen wurden, kam es zu einer neuen, paritätischen Besetzung der Ämter in Verwaltung und Politik.

1960/61 schwang die Politik aufgrund der Wahlsiege der Hutu vollkommen um. In der Hutu-Revolution von 1962 unter G. Kayibanda wurden hunderttausenden Tutsi ins benachbarte Ausland vertrieben. Als Kayibanda als die Macht übernahm, kristallisierte sich Ruanda als Einparteienstaat der Hutu heraus, welcher sich unabhängig von den Belgiern machte und die Einführung republikanischer Verhältnisse verfolgte. Bis 1967 kam es immer wieder zu Guerilla-Angriffen der Tutsi Rebellion aus dem Ausland, was zur Destabilisierung Ruandas beitrug. Die Antworten der Hutu darauf waren Vertreibung, Morde und Enteignungen, welche die Situation Ruandas für die nächsten Jahrzehnte prägen sollten.

1972 rollte eine neue Gewaltwelle gegen die Tutsi an, welche ca. 150.000 Tote hervorbrachte. Als dann im folgenden Jahr der Präsident versuchte, die Gewalttaten zu unterbinden, stürzten extremistische Hutu diesen und Habyarimana ergriff die Macht. Dieser läutete eine neue Ära der nationalen Politik ein und förderte vorerst die Unterbindung von Konflikten und die Bildung einer Einheitspartei zwischen Tutsi und Hutu, die MRND. Dennoch wurden Tutsi-Bürger weiterhin diskriminiert und aus öffentlichen Ämtern ausgeschlossen.

Bis Mitte der 80er Jahre erlebte Ruanda einen wirtschaftlichen Aufschwung, welcher dann durch eine abrupte Staatskrise abgelöst wurde. Grund dafür waren eine wirtschaftliche Depression aufgrund des gesunkenen Kaffeepreises (welcher zu den Hauptexportmittel Ruandas zählt), ein starkes Bevölkerungswachstum, Knappheit der Landesressourcen, Arbeitslosigkeit in der Industrie und eine erstärkende Inflation. Die Staatskrise untergrub die Autorität Habyarimanas. Sie führte zur Bildung oppositioneller Gruppen, die den Kurs des Präsidenten kritisierten. Diese Gruppen, die insbesondere in den südlichen Landesteilen Rückhalt hatten, forderten eine Demokratisierung und das Ende der Monopolisierung der Macht durch Vertraute Habyarimanas. Das Ausland unterstützte diese Forderungen und forderte, das mittlerweile 30 Jahre alte Flüchtlingsproblem zu lösen. Schätzungen besagen, dass Anfang der 1990er Jahre zirka 600.000 Tutsi als Flüchtlinge im Ausland lebten.

Einen weiteren Faktor für die Loyalitätskrise der Staatsmacht stellten Gerüchte über eine bevorstehende, erneute Invasion von Tutsi-Rebellen dar, die sich in Uganda zur Ruandisch-Patriotischen Front (RPF) formiert hatten. Die Vermutungen bestätigten sich am 1. Oktober 1990, als die RPF von Uganda aus den Angriff auf Ruanda startete. Mit diesem Feldzug begann ein Bürgerkrieg, der erst mit dem militärischen Sieg der RPF im Juli 1994 enden sollte. Habyarimana bat Belgien, Frankreich und Zaire um militärische Unterstützung. Die jeweiligen Regierungen gingen dem Hilferuf nach und versetzten die Regierungsarmee Ruandas in die Lage, den ersten Angriff der RPF zurückzuschlagen. Nach dem ersten Sieg der Koalitionstruppen blieben jedoch nur die französischen Militärs zurück.

Nach ersten geheimen Versuchen der politischen Elite um den Präsidenten, die Demokratisierung Ruandas zu blockieren, kam es letztendlich im April 1992 zu einer Machtteilung mit den entstehenden neuen Parteien per Koalitionsregierung und der MRND. Zu den neuen Parteien gehörte zudem eine, die bereit war, die bestehende Herrschaft der Hutu mit radikalen Mitteln zu verteidigen. Die Coalition pour la Défense de la République (CDR), gegründet von Personen aus dem Umkreis des Präsidenten, plädierte für eine Vertreibung der Tutsi und baute ab 1992 die Miliz Impuzamugambi auf. Die Präsidentenpartei MRND organisierte im selben Jahr die Interahamwe.

Von Oktober 1990 bis April 1994 wurden Tutsi und Hutu-Oppositionelle immer wieder Opfer von Gewalt und Massakern, die als Rache für militärische Erfolge der RPF deklariert wurden. Diese Menschenrechtsverletzungen, bei denen etwa 2000 Tutsi und etliche Hutu getötet wurden, gelten als Vorläufer des Völkermords.

1992 gelang der RPF die Ausweitung ihrer Einflusszone. Sie beherrschte jetzt die nördliche Präfektur Byumba, die als „Brotkorb“ Ruandas galt. Dieser Erfolg zwang die ruandische Regierung dazu, ab Mitte 1992 in den Friedensprozess von Arusha einzutreten, der den Frieden für Ruanda versprach. Im Kern ging es bei den Verhandlungen in Arusha um die Frage der Rückkehr der ruandischen Flüchtlinge und die Rückführung ihres früheren Eigentums, um die Frage der Machtteilung zwischen der MRND, den anderen ruandischen Parteien und der RPF, um die Demobilisierung der Armeen und ihre Synthese zu einem gemeinsamen Militärapparat. Doch immer wieder wurden die Verhandlungen durch wieder aufgenommene Kampfhandlungen unterbrochen oder durch Parteimitglieder der MRND und CDR unterlaufen.

Ein weiteres Kernelement des Arusha-Abkommens bestand in der Aufstellung von UN-Friedentruppen in Ruanda, um die Verhandlungsergebnisse abzusichern. Der kanadische General Roméo Dallaire befehligte ab Oktober 1993 die UNAMIR, die von Beginn an mit erheblichen Problemen kämpfte. Presseorgane der Hutu-Extremisten unterstellten dem belgischen Kontingent der UNAMIR, auf Seiten der Rebellen zu stehen. Der Großteil der Blauhelmtruppe, die Ende März 1994 eine Stärke von zirka 2500 Mann erreichte, waren Soldaten aus Ghana und Bangladesch. Die militärischen Fähigkeiten und Ressourcen insbesondere der Bengalen erwiesen sich in den kommenden Monaten oft als unzureichend. Die Finanzierung der Truppe war über lange Monate ungesichert. Eine weitere Schwierigkeit lag im Mandat. Die UNAMIR hatte einen Auftrag nach Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen. Allein die Förderung des Friedens, eine so genannte Friedensmission, war möglich, nicht die Erzwingung des Friedens gegen eine oder mehrere Kriegsparteien – ein solches Vorgehen hätte ein Mandat nach Kapitel VII der Charta erfordert.

In den folgenden Jahren bis 1994 entwickelte sich eine neue ideologische Führung der Hutu-Regierung, welche vor allem durch den Aufbau eines wirksamen Propagandaapparates gegen die Tutsi gekennzeichnet war. Die Publikation der so genannten „Zehn Gebote der Hutu“ war eine der prägnantesten rassistischen Äußerungen dieses Propagandaapparates. Diese beinhalteten die „vollkommene Ausrottung der Tutsi“ und einen damit verbundenen Aufruf zur Tötung aller Tutsi-Frauen und –Kinder. Noch viel prägnanter war, dass die politische Elite um Habyarimanas den Hass-Senders Radio-Télévision Libre des Mille Collines (RTML) 1993 ins Leben rief, da über 40% der ruandischen Bevölkerung Analphabeten waren. Dieser propagierte tagtäglich gegen die Tutsi, welche als Kakerlaken, Schlangen, Gewürm, Stechmücken, Affen galten und zu töten seien.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Konfliktanalyse am Fallbeispiel Ruanda
Note
1,0(14P)
Autor
Jahr
2008
Seiten
10
Katalognummer
V118267
ISBN (eBook)
9783640210596
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konfliktanalyse, Fallbeispiel, Ruanda
Arbeit zitieren
Eric Schütte (Autor:in), 2008, Konfliktanalyse am Fallbeispiel Ruanda, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118267

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