Kulturdimensionen nach Geert Hofstede und deren Bedeutung für Lehren und Lernen


Bachelorarbeit, 2008

46 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Gang der Arbeit

2 Kultur
2.1 Begriffliche Herleitung und Erläuterungen
2.2 Kulturtheorien

3 Das Kulturmodell nach Geert Hofstede
3.1 Machtdistanz
3.2 Unsicherheitsvermeidung
3.3 Individualismus versus Kollektivismus
3.4 Femininität versus Maskulinität
3.5 Lang- oder kurzfristige Ausrichtung

4 Bedeutung von Interkulturalität für Lehren und Lernen
4.1 Interkulturelle Kompetenz
4.2 Bedeutung von Hofstedes Modell für Lehren und Lernen

5 Kritik und Würdigung der Arbeit von Hofstede

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Drei Ebenen der Einzigartigkeit in der mentalen Programmierung des Menschen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Hauptunterschiede zwischen Gesellschaften mit schwacher und starker Unsicherheitsvermeidung

Tabelle 2: Hauptunterschiede zwischen kollektivistischen und individualistischen Gesellschaften

Tabelle 3: Maskulinität versus Femininität

Tabelle 4: Maskulinität und Femininität in Bezug auf Lehren und Lernen

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

Lehrkräfte an Berufsbildenden Schulen unterrichten heute meist Klassen, in denen eine Vielfalt von unterschiedlichen Nationalitäten, Kulturen und Religionen vertreten ist. Der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, d.h. ausländischer Herkunft, beträgt an Berufsbildenden Schulen vielerorts schon über 40% (vgl. Over & Mienert 2006, S.47). Neben dem allseits bekannten Problem der Sprachbarriere führen vor allem auch unterschiedliche kulturelle Ansichten und Prägungen zu Missverständnissen, Meinungsverschiedenheiten oder gar handfesten Konflikten. Ein jeder Mensch trägt in seinem Innern diverse kulturelle Muster des Denkens, Fühlens und potentiellen Handelns, die er ein Leben lang erlernt hat. Ein Großteil davon wurde in der frühen Kindheit erworben (vgl. Hofstede 2006, S.2). Treffen an einem Ort wie der Berufsschule zahlreiche kulturbedingt unterschiedliche Prägungen aufeinander, sowohl unter den Schülern[1] als auch in der Schüler-Lehrer-Beziehung, bringt dies oftmals Probleme mit sich. Daher werden Wege und Lösungen gebraucht, diese Unstimmigkeiten und Disharmonien zu bewältigen. Sowohl die Lehrkräfte als auch die heranwachsenden Schüler, die kurz vor dem Eintritt ins Arbeitsleben stehen, müssen sich, um im Arbeits- und im Schulalltag langfristig bestehen zu können, mit den zahlreichen verschiedenen Kulturen auseinandersetzen. Auch die Globalisierung, das Internet und die damit zunehmende internationale Verflechtung von Wirtschaft, Politik, Umwelt und Kommunikation sind hierfür ausschlaggebend. Für die Unternehmen, in denen die Schüler ihre Ausbildung absolvieren bzw. absolvieren werden, spielt hierbei nicht nur die Konkurrenzsituation eine Rolle; auch weitere Faktoren wie Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund, Fusionen, Import und Export, der Wirtschaftsboom im Ausland (vor allem in Fernost), Verlagerung der Produktionsstätten, etc. zwingen alle Beteiligten, sich mit kulturellen Unterschieden zu befassen. Reibungslose Handlungs- und Kommunikationsabläufe, sowohl inner- als auch außerhalb des Betriebes, sind zu gewährleisten, um langfristig am Markt bestehen zu können. Daher ist es sowohl für Berufsschüler als auch für Lehrende im Bereich der Wirtschaftspädagogik wichtig, kulturellbedingt andere Handlungs- und Sichtweisen zu erkennen und darüber hinaus in der Lage zu sein, diese auch tolerieren und akzeptieren zu können. Diese Fähigkeit wird auch als Interkulturelle Kompetenz bezeichnet. Die Interkulturelle Kompetenz umfasst Wissen, Einstellungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die zu einer angemessenen und erfolgreichen Kommunikation und Interaktion zwischen Mitgliedern verschiedener Kulturen führen. Erst die Bewusstheit der kulturellen Bedingtheit des eigenen Erlebens und Verhaltens, d.h. der eigenen kulturellen, herkunftsbedingten Prägung, ermöglicht die Wahrnehmung der Unterschiedlichkeiten (vgl. Over & Mienert 2006, S.48). Zur Untersuchung dieser weltweiten kulturellen Unterschiede gibt es zahlreiche Studien, Modelle und Forschungen. Eine der bekanntesten Forschungen im Bereich der Kulturwissenschaften ist die des niederländischen Kulturwissenschaftlers Geert Hofstede. Er führte die bislang umfangreichste und am häufigsten zitierte Untersuchung zum interkulturellen Management in einem multinationalen Konzern, dem Computerhardware- und Softwarehersteller IBM, durch. Dazu befragte er rund 116.000 Mitarbeiter in 40 Ländern in einer Längsschnittuntersuchung (zwei Befragungen in vier Jahren) zu ihren arbeitsbezogenen Wertvorstellungen (vgl. Podsiadlowski 2004, S.10ff.). Das Ergebnis fasste er in fünf Kulturdimensionen zusammen und lieferte viele Erkenntnisse über zahlreiche Bereiche des menschlichen Zusammenlebens. Diese Bachelorarbeit soll die Bedeutung des Kulturmodells von Hofstede für berufliches Lehren und Lernen untersuchen. Es stellt sich die Frage: Kann man das Konzept der Kulturdimensionen von Hofstede verwenden, um daraus Erkenntnisse für dem Bereich Lehren und Lernen zu ziehen? Diese Frage soll im Laufe der Arbeit beantwortet werden.

1.2 Gang der Arbeit

Diese Bachelorarbeit soll das Modell von Geert Hofstede begreiflich machen und seine Bedeutung für Lehren und Lernen im Unterricht an Berufsbildenden Schulen aufzeigen. Im zweiten Kapitel soll der Kulturbegriff und die Kulturtheorie näher erläutert werden. Dabei sollen noch kurz weitere Kulturtheorien neben der von Hofstede vorgestellt werden. Kapitel drei behandelt daraufhin das Kulturmodell nach Hofstede. Dabei soll auf jede Dimension einzeln eingegangen werden und jeweils ein Zusammenhang zwischen den verschiedenen kulturellen Erscheinungen und dem Lehren und Lernen an Berufsbildenden Schulen hergestellt werden. Im Anschluss daran wird im vierten Kapitel noch einmal ausführlich auf interkulturelle Kompetenz und interkulturelle Kommunikation eingegangen und die Bedeutung des gesamten Kulturmodells von Hofstede für Lehren und Lernen beschrieben. Nachdem im fünften Kapitel das Modell kurz kritisch betrachtet werden soll, wird abschließend im sechsten und abschließenden Kapitel ein Fazit gezogen.

2. Die Kultur

2.1 Begriffliche Herleitung und Erläuterungen

Die Kulturwissenschaften befassen sich mit Kultur als den Inbegriff aller menschlichen Arbeit und Lebensformen, einschließlich naturwissenschaftlicher Entwicklungen, und beschreiben, analysieren, deuten und erklären dadurch die kulturelle Form der Welt (vgl. Frühwald et al. 1991, S.10). Das Wort Kultur enthält die lateinischen Wurzeln der Wörter colere, cultus, cultor, cultura, colonia, etc. Übersetzt sind damit Einrichtungen, Handlungen, Prozesse und symbolischen Formen gemeint, welche mithilfe von planmäßigen Techniken die bestehende Natur in einen sozialen Lebensraum transformiert, diesen erhält und fortlaufend verbessert (vgl. Böhme 2001, S.1f.). Die dazu erforderlichen Fertigkeiten (Kulturtechniken, Wissen) werden hochgehalten, gepflegt und neu entwickelt. Das dabei Hochgeschätzte wird in eigens ausdifferenzierten Riten begangen und befestigt. Diese Rituale finden sich u. a. bei der Religionsausübung, bei Feierlichkeiten aber auch in der Pädagogik. Lehren, Lernen und Wissen wird von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich aufgefasst und vor allem die Zielsetzungen werden anders interpretiert. Soziale Ordnungen und kommunikative Symbolwelten werden also neben anderen Disziplinen auch im Bereich der Pädagogik geschaffen. Allen gesellschaftlichen Gebilden im Ganzen wie den Einzelnen wird eine andauernde Stabilität verschaffen (vgl. Böhme 2001, S.3). In den meisten westlichen Sprachen bedeutet Kultur gemeinhin Zivilisation oder Verfeinerung des Geistes und insbesondere die Resultate dieser Verfeinerung durch Bildung, Kunst und Literatur (vgl. Hofstede 2006, S.3). Der Begriff der Kultur gehört zu den erfolgreichsten, aber auch gleichzeitig schwierigsten Begriffen der gegenwärtigen Weltbeschreibung. Kultur ist die Kontingenzformel der modernen Gesellschaft. Im Begriff der Kultur reflektiert die Gesellschaft ihre Verhältnisse. Sie pflegt ihre Unterscheidungen, vergleicht ihre Zustände und bewertet ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie macht sich verständlich und unverständlich im Umgang mit sich selbst und gewinnt so einen Blick für Identität und Kontrolle, Tradition und Innovation, Konsens und Dissens (vgl. o.V. 2008). Hofstede vergleicht die kulturelle Prägung des Menschen mit der Art und Weise, wie Computer programmiert sind. So bezeichnet er die Denk-, Fühl- und Handlungsmuster, die sich im Kopf eines jeden Menschen gefestigt haben, als „mentale Programmierung“ (vgl. Hofstede 2006, S.3). Kultur ist erlernt und angeeignet, aber nicht angeboren. Sie leitet sich aus unserem sozialen Umfeld ab, nicht aus unseren Genen. Man sollte die Kultur unterscheiden von der menschlichen Natur einerseits und von der Persönlichkeit andererseits (vgl. Hofstede 2006 S.4 f.). Wie dies zu verstehen ist, kann man auch an folgender Abbildung 1 sehen.

Abbildung 1: Drei Ebenen der Einzigartigkeit in der mentalen Programmierung des Menschen (Hofstede 2006, S. 4)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der Sozialanthropologie umfasst der Begriff Kultur all diese vorhandenen Muster menschlichen Verhaltens. Dabei sind allerdings nicht nur hoch anspruchsvolle, geistreiche Tätigkeiten gemeint, sondern auch ganz gewöhnliche Dinge des alltäglichen Lebens wie das Grüßen, die Essgewohnheiten, das Zeigen oder Nichtzeigen von Gefühlen, das Wahren einer gewissen physischen Distanz zu anderen, der Geschlechtsverkehr oder die Körperpflege. Diese kulturellen Prägungen bzw. mentalen Programmierungen sind immer kollektive Phänomene, da sie von Menschen geteilt werden, die im selben sozialen Umfeld leben oder lebten, d.h. dort, wo die Kultur erlernt wurde. Sie unterscheidet Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie (vgl. Hofstede 2006, S.4 ff.). Eine Gruppe wird in diesem Fall eine Reihe von Menschen bezeichnet, die in Kontakt miteinander stehen. Eine Kategorie demgegenüber besteht aus Menschen, die, ohne zwingend Kontakt miteinander zu haben, eine Gemeinsamkeit aufweisen, wie z.B. den gleichen Wohnort oder das gleiche Geburtsjahr (vgl. Hofstede 2006, S.47). Neben Einflüssen wie Erziehung, schulischer Bildung oder sozialer Umgebung sind es kollektive kulturelle Einflüsse, welche die individuelle Persönlichkeit eines jeden Menschen prägen. Mit Hilfe dieser kulturellen Charakterzüge lassen sich die verschiedenen Völker auf der Erde beschreiben und miteinander vergleichen. Bei diesen Vergleichen treten häufig Voruteile auf. Nach dem Motto „Kennst du einen- kennst du alle?“ werden im abwertenden wie aber auch im aufwertenden Sinne Menschen verschiedener Kulturgruppen miteinander verglichen. So werden Russen gerne als trinkfest bezeichnet, während die Polen oftmals als ein Volk mit vielen Dieben bezeichnet werden. Auch wird häufig behauptet, dass sich Briten nur allzu gerne in eine Warteschlange stellen. Der Deutsche wird international gerne als humorlos und überpünktlich dargestellt. Vorurteile gegenüber den Juden und Pseudotheorien über die Rassenlehre waren unter anderem für den Holocaust der Nazis im zweiten Weltkrieg verantwortlich. Rassen- und ethnische Konflikte werden häufig mit nicht haltbaren Argumenten kultureller Über- bzw. Unterlegenheit gerechtfertigt (vgl. Hofstede 2006, S.5): Mehrfach wird auch im Vergleich unterschiedlicher Kulturen das Schlagwort des Kulturschocks benutzt. Dieser Begriff bezeichnet die Probleme, die auftreten, wenn Menschen mit fremden kulturellen Prägungen miteinander konfrontiert werden. Der Kulturschock äußert sich in Gefühlen der Desorientiertheit und Unsicherheit und kann mit psychischen Krankheitssymptomen einhergehen (vgl. Hofstede, S.521). Im Zeitalter der Globalisierung und des weltweiten Kommunizierens und Reisens ist es im Gegensatz zu vergangenen Jahren zuvor allerdings nicht mehr nur so, dass Kulturen sich begegnen oder gar aufeinanderprallen, sondern sich vor allem gegenseitig durchdringen. Alle Akteure sind dabei in einen Kulturprozess eingebunden, welcher die ganze Erde umspannt (vgl. Gerndt 2002, S.10). Diese weltweiten unterschiedlichen kulturellen Identitäten sind nicht einfach gegeben. Sie sind ein kollektives Konstrukt auf der Basis von Erfahrung, Gedächtnis, Tradition (die ihrerseits ebenfalls konstruiert und erfunden sein kann) und einer ungeheuren Vielfalt von kulturellen, politischen und sozialen Praktiken und Formen. Auch die zeitliche Dimension von Kultur spielt bei der Entstehung verschiedener kultureller Eigenschaften eine bedeutende Rolle. Auch wenn viele Gesellschaften noch heute jahrhunderte alte kulturelle Merkmale und Attribute aufweisen, reproduziert sich das kulturelle Bild einer jeden Gesellschaft immer wieder neu und lässt dadurch im Laufe der Jahre zeitliche Kulturunterschiede erkennbar werden. Dies wird als Kulturwandel bezeichnet. Ein Beispiel für kulturellen Wandel ist z.B. die Gleichberechtigung der Geschlechter. Waren Frauen vor 100 Jahren noch nahezu unmündig, sind sie mittlerweile zumindest vor dem deutschen Grundgesetz (Artikel 3) gleichberechtigt. Vor allem in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert wurden Frauen in einem langwierigen Prozess immer weiter den Männern gleichgestellt. Ein anderes Beispiel, und ebenfalls ein Grund für kulturellen Wandel, ist vor allem die technologische Entwicklung. Zahlreiche Erfindungen wie z.B. das Internet haben die Lebensgewohnheiten der Menschen und damit auch deren kulturelles Verständnis immer wieder geändert. Praktiken und Werte sind dadurch einem andauernden Wandel ausgesetzt. Demgegenüber ändern sich zahlreiche soziale Gegebenheiten kaum. Es gelten ähnliche ungeschriebene Spielregeln für Erfolg, Misserfolg, Zugehörigkeit und andere wesentliche Aspekte unseres Lebens. Wir müssen uns einfügen und für die Gruppe oder Kategorie, zu der wir gehören, akzeptable Verhaltensweisen an den Tag legen, um im Alltag akzeptiert und anerkannt zu werden.

Kulturwissenschaftliche Beiträge zeichnen sich oftmals vor allem durch Heterogenität und Zusammenhangslosigkeit aus. Dies ist allerdings kaum verwunderlich, da sie zum Großteil von Vertretern unterschiedlichster Disziplinen stammen (vgl. Said 2001, S.41). Die Kulturwissenschaft beansprucht keine Leitfunktion, sondern gehört als Einzelmoment in den Prozess der Transformation der Geisteswissenschaften hinein. In den letzten Jahren sind in Deutschland, seit 1990 auch unter Anknüpfung an entsprechende Einrichtungen der ehemaligen DDR, teilweise sehr erfolgreiche Versuche unternommen worden, die Kulturwissenschaft als Forschungsparadigma, als Einzelwissenschaft oder als Studiengang zu etablieren. Die Kulturwissenschaft versteht sich aber als ein ungleichmäßiges Feld vielfacher Ansätze mit deutlichen lokalen und wissenschaftstheoretischen Unterschieden (vgl. Böhme 2001, S.2). Als interdisziplinäre Wissenschaft befasst sie sich dabei mit einer Vielfalt kultureller Äußerungen: Sprache, Literatur, Musik, Bildende Kunst, soziale Gesellungsformen, Werkzeug und Gerät, Gebräuche und Umgangsformen, Theologie, Psychologie, Politkbewusstsein, Soziologie, usw. Durch diese Universalität hat sie auch einen großen Einfluss auf Lehren, Lernen und Wissen (vgl. Böhme 2001 S.4). Darüber hinaus bedient sich die Kulturwissenschaft unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachrichtungen wie Philosophie, Ethnologie, Geschichte und Kunstwissenschaft und versucht mit Hilfe dieser Werkzeuge ein angemessenes Kulturbild von Regionen, Staaten und Völkern zu zeichnen, um verschiedene Völker und Länder mit all ihren unterschiedlichen Mentalitäten, Gebräuchen und Sitten zu beschreiben, einzuordnen und zu unterscheiden (vgl. Böhme 2001 S.8 ff.).

2.2 Kulturtheorien

Um die verschiedenen Kulturen miteinander zu vergleichen, haben zahlreiche Kulturwissenschaftler Theorien und Definitionen von Kultur und ihrer Kommunikation mit anderen Kulturen erstellt. Die Anthropologinnen Ruth Benedict (1887 - 1948) und Margaret Mead (1901 - 1978) entwickelten bereits vergleichsweise früh die These, dass sich alle Gesellschaften und Kulturen unseres Planeten mit den gleichen sozialen Grundproblemen auseinandersetzen, aber ihre jeweiligen Antworten auf diese Fragen sehr unterschiedlich sind (vgl. Thissen 2004, S.7). Der Brite Richard Lewis fertigte zum interkulturellen Vergleich eine Einteilung von Kulturen an, die er in drei große Gruppen aufteilte: Linear-aktive Kulturen, multi-aktive Kulturen und reaktive Kulturen (vgl. Lewis 1999, S.13). Ein weiteres Konzept stammt vom Niederländer Fons Trompenaars. Ähnlich wie Hofstede formulierte er ein Modell mit sieben Kulturdimensionen, welche die Beziehungen menschlichen Lebens regeln. Damit wollte er aufzeigen, inwiefern kulturelle Unterschiede Organisationen und internationale Beziehungen prägen. (vgl. Trompenaars 1993, S.25 ff.).

3. Das Kulturmodell nach Geert Hofstede

Im Folgenden wird explizit auf das Modell von Geert Hofstede mit seinen fünf Kulturdimensionen eingegangen. Hofstede verstand sich nicht nur als Kulturwissenschaftler, sondern eher als Kulturforscher. Er hat in seinem Werk mit Hilfe der von ihm entwickelten fünf verschiedenen Kulturdimensionen ein Modell geschaffen, um eine Sprache zu finden, in der Kultur ohne Missverständnisse wissenschaftlich bearbeitet werden kann.

Die kulturellen Unterschiede beschreibt er mit

- Machtdistanz
- Unsicherheitsvermeidung
- Individualismus gegenüber Kollektivismus
- Maskulinität gegenüber Feminität
- Lang- oder kurzfristige Ausrichtung.

Mit Hilfe dieses Rasters ist es möglich geworden, Kulturen miteinander zu vergleichen und kulturspezifische Besonderheiten herauszukristallisieren (vgl. Thissen 2004, S.8). Hofstedes Untersuchungen sind heute noch in der interkulturellen Forschung sehr relevant, da zum ersten Mal der Anspruch eingelöst wurde, Unterschiede in verschiedenen Ländern auf empirisch ermittelte statt intuitiv erfühlte Dimensionen zurückzuführen und darüber hinaus auch noch Daten von rund 60 Ländern geliefert wurden (vgl. o.V. 2003, S.1). Zu jeder einzelnen Dimension hat Hofstede dabei auch jeweils die Bedeutung für viele Bereiche der Gesellschaft, wie u. a. Beruf, Familie, Schule, Staat und Religion herausgestellt und damit eine Grundlage geschaffen, wie sein Kulturmodell auch für berufliches Lehren und Lernen bedeutsam sein kann. Auf dieser Grundlage soll in diesem Kapitel aufgebaut werden, indem die fünf Dimensionen Hofstedes erläutert und die Zusammenhänge der einzelnen Dimensionen für Lehren und Lernen aufgezeigt werden.

3.1 Machtdistanz

Ungleichheit im Zusammenleben wird sichtbar durch das Bestehen von verschiedenen sozialen Schichten, Klassen und Milieus, in denen die Menschen mit ähnlichen sozioökonomischen Lagen und Herkünften zusammengefasst werden. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurde von Karl Marx das Klassenkonzept zu einer soziologischen Grundkategorie (vgl. Geißler 2006, S.93ff.). Daher arbeiten Soziologen und Sozialstrukturforscher mit dem Begriff der Machtdistanz, um die Beziehung zwischen Beherrschten und Herrschenden zu charakterisieren. Hofstede hat den Begriff für eine seiner fünf Kulturdimensionen übernommen, um einen internationalen Vergleich anzustreben (vgl. Hofstede 2006, S.62). Machtdistanz kann definiert werden als das Ausmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist (vgl. Hofstede 2006, S.59). Der Beschreibung von Machtdistanz liegt also das Wertesystem der weniger mächtigen Mitglieder einer Gesellschaft zugrunde. Die Art und Weise, wie Macht verteilt ist, wird normalerweise aus dem Verhalten der mächtigen Mitglieder heraus erklärt, also aus der Sicht derer, die führen, bestimmen und entscheiden und nicht aus Sicht derer, die geführt werden und die Entscheidungen anderer akzeptieren und tragen müssen (vgl. Hofstede 2006, S.59ff.). Hierarchieebenen, die in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben allgegenwärtig sind, haben also einen großen Einfluss auf die menschlichen Umgangsformen. Das ganze Verhalten im Sinne von Auftreten, Benehmen, Lebensstil und Sprache des Menschen, in der Soziologie auch als Habitus bezeichnet, ist ein Spiegel von Machtbalancen (vgl. Nettelmann 2001).

Vor allem bei der Betrachtung von Machtdistanz spielt die Erziehung eine übergeordnete Rolle. Alle Menschen empfangen ihre kulturellen Eigenschaften umgehend nach ihrer Geburt von ihrer Respektsperson, in dessen Gegenwart sie aufwachsen. Nach den Beispielen, welche die Respektperson gibt, formt sich der Mensch selber (vgl. Hofstede 1991, S.32). Kulturelle Unterschiede bei Machtdistanzen sind daher vor allem ein Resultat davon, wie in den weltweit unterschiedlichen Kulturen die Kinder erzogen werden. In einer Erziehung mit geringer Machtdistanz werden Kinder, wenn sie agieren und interagieren können, mehr oder weniger gleichwertig den Eltern gegenüber behandelt. Das Ziel elterlicher Erziehung ist es, Kindern so früh wie möglich die eigene Kontrolle über ihre Angelegenheiten zu geben. Kinder werden ermutigt, alles auszuprobieren und es wird ihnen auch erlaubt, ihren Eltern zu widersprechen. Ein Kind lernt in einer Erziehung mit geringer Machtdistanz sehr früh, „Nein“ zu sagen (vgl. Hofstede 1991, S.31). Beziehungen mit anderen hängen nicht von deren Status ab. Förmlicher Respekt und Ehrerbietung findet nur in den seltensten Fällen statt. Menschen, die aus Familien stammen, in denen solche Verhältnisse herrschen, bezeichnen Familien mit anderer Herangehensweise häufig als distanziert, undurchdringlich, gefühlskalt und reserviert. Wenn Kinder mit geringer Machtdistanz aufwachsen, wird aus dem Kinder-Eltern-Verhältnis ein Verhältnis von Gleichgesinnten. Es herrscht ein Ideal an persönlicher Souveränität in der Familie. Das Bedürfnis nach Unabhängigkeit versteht sich dann als Hauptbestandteil der mentalen Software von Erwachsenen (vgl. Hofstede 2006, S.32ff.). In Ländern, in denen Weisungsgebundene, also Arbeitnehmer oder Schüler, als selbstbewusst gelten und die Vorgesetzten bzw. die Lehrkräfte weder autokratisch noch patriarchalisch auftreten, wird ein konsultativer, beratender Führungsstil zur Entscheidungsfindung bevorzugt (vgl. Hofstede 2006, S.58). In der Betriebswirtschaftslehre wird der Führungsstil als das Verhaltensmuster eines Vorgesetzten gegenüber weisungsgebundenen Mitarbeitern bezeichnet (Wöhe 2008, S. 163). Ist dieser Stil eher partizipativ oder demokratisch, spricht man von geringer Machtdistanz. Sowohl Schulen als auch Unternehmen sind Orte, an denen arbeitsteilige Prozesse stattfinden. Diese finden in der Regel in einem hierarchischen Aufbau statt. Vorgesetzte haben die Weisungs- und Kontrollbefugnis gegenüber den zu ihrer Arbeitsteilung gehörenden Stelleninhabern (vgl. Wöhe 2008, S.164ff.) In diesem Zusammenhang ist die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Weisungsgebundenen zu beobachten. Z. B. ist bei einem demokratischen Führungsstil die Einflussmöglichkeit von Gruppenmitgliedern aus tieferen Hierarchiestufen auf die zu treffenden Führungsentscheidungen sehr groß. Im Betrieb können das Entscheidungen auf Produktions- oder Preisebene sein. Im Schulalltag können Entscheidungen über die Unterrichtsgestaltung, Zeitabläufe oder außerschulische Aktivitäten entweder mit der kompletten Klasse zusammen getroffen oder vom Lehrer alleine beschlossen werden. Je mehr die einzelnen Mitglieder einer Organisation oder Institution an der Entscheidungsfindung beteiligt sind, desto geringer ist die Machtdistanz. Ist die Kultur von höherer Machtdistanz gekennzeichnet, werden von Entscheidungsträgern autoritäre und patriarchalische Führungsstile bevorzugt. Verordnungen und Beschlüsse werden in diesen Fällen von den Entscheidungsträgern in der Regel alleine getroffen und angeordnet. Entscheidungsempfänger, also Schüler, Auszubildende oder Arbeitnehmer, widersprechen nur ungern ihren Vorgesetzten. In einer Kulturlandschaft mit großer Machtdistanz werden von Weisungsgebundenen allerdings auch klare Anweisungen und Befehle erwartet. Große Beteiligung an Entscheidungsfindungsprozessen wird gar nicht erst gewünscht (vgl. Hofstede 2006, S. 58ff.). In einer Erziehung mit großer Machtdistanz wird von den Kindern stets Gehorsamkeit, Respekt und Ehrerbietung gegenüber ihren Eltern erwartet. Schon historisch gesehen ist Ehrerbietung ein wesentlicher Ausdruck einer erhöhten Machtdistanz und Unterordnung (vgl. Nettelmann 2001).

[...]


[1] Im weiteren Verlauf wird aus Gründen der Übersichtlichkeit auf das generische Femininum verzichtet und nur das Maskulinum verwendet.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Kulturdimensionen nach Geert Hofstede und deren Bedeutung für Lehren und Lernen
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
46
Katalognummer
V118232
ISBN (eBook)
9783640217472
ISBN (Buch)
9783640217533
Dateigröße
595 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kulturdimensionen nach Geert Hofstede. Dabei wird auf alle fünf Dimensionen eingangenen und jeweils die Bedeutung für Lehren/Lernen aufgezeigt. Schwerpunkt liegt auf den Berufsschulunterricht / Wirtschaftspädagogik.
Schlagworte
Kulturdimensionen, Geert, Hofstede, Bedeutung, Lehren, Lernen, Berufsschule, Berufliches Lernen, Interkulturell, Interkulturelle Pädagogik, BWP
Arbeit zitieren
Markus Westerhoff (Autor:in), 2008, Kulturdimensionen nach Geert Hofstede und deren Bedeutung für Lehren und Lernen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118232

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