Schmuggel als ökonomisches Phänomen


Diplomarbeit, 2006

74 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungen

Abbildungen

A Einleitung

B Was ist Schmuggel?
B.1 Der Begriff
B.2 Kritischer Diskurs
B.2.1 Inhärente Probleme des Begriffs
B.2.2 Erweiterte Kritik
B.3 Schmuggel als informeller Handel

C Empirie: Informeller Handel & Veränderung
C.1 Einleitende Vorbemerkungen
C.2 Beispiele
C.2.1 Schmuggel in Mexiko (1981-1996)
C.2.2 Schmuggel in Südwest-Kamerun
C.2.2.1 Fallstudie: Benzinschmuggel (Mamfe)
C.2.2.2 Prostitution und Schmuggel
C.2.2.3 Erläuterungen
C.2.3 Alkoholschmuggel (Südafrika)
C.2.4 Schmuggel und Krieg (Balkan)
C.2.4.1 Hintergrund und Vorkriegsphase
C.2.4.2 Die Serbische Seite während des Krieges
C.2.4.3 Die bosnische Situation anhand der Belagerung Sarajevos
C.2.4.4 Nachkriegsphase
C.2.4.5 Anmerkungen und Bewertung
C.2.5 Drogenhandel in Rondônia (Brasilien)
C.2.6 Schmuggel und Jakobitertum
C.3 Beobachtbare Tendenzen
C.3.1 Grundmerkmale und Veränderung
C.3.2 Die Persistenz des informellen Handels
C.3.3 Weitere Auffälligkeiten
C.3.4 Entwicklungstendenzen

D Informeller Handel aus evolutorischer Sicht
D.1 Zur Theoriefähigkeit des informellen Handels
D.2 Was ist Evolutorik?
D.2.1 Charakter und Grundbegriffe der Evolutorik
D.2.2 Entstehung und Ausbreitung von Neuheit
D.2.3 Institutioneller Wandel (Skizze)
D.3 Evolutorische Elemente des informellen Handels
D.3.1 Vorbemerkung
D.3.2 Aspekte der Selektion
D.3.3 Gesellschaftliche und individuelle Institutionen
D.3.4 Evolutorische Aspekte der Persistenz

E Zusammenfassung

F Kritische Reflexion und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang I: Schwarzarbeit und Schmuggel

Anhang II: Njangi

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungen

Abbildung 1: Überblick zur formellen und informellen Wirtschaft

Abbildung 2: Informeller Handel und informelle Wirtschaft

Abbildung 3: Grundmerkmale des informellen Handels

Abbildung 4: Beispiele für die Zunahme von Geschäftsfeldern

Abbildung 5: Institutioneller Wandel nach Veblen (grobe Skizze)

Abbildung 6: Finanzierung mit dem Njangi-System

A Einleitung

Der Titel dieser Arbeit mag im ersten Moment vielleicht etwas verwundern, haftet doch dem Begriff Schmuggel intuitiv etwas Geheimnisvolles und Abenteuerliches an. Allerdings handelt es sich gleichzeitig um ein allgegenwärtiges und aktuelles Thema – sei es in Form des Menschenschmuggels an den Grenzen der EU und USA, im Zusammenhang mit womöglichem Waffenschmuggel im Libanon oder bezüglich des Tank-Tourismus an der sächsischen Grenze zu Polen. Außerdem spielt der Schmuggel unter (wirtschafts-) historischen Gesichtspunkten keine untergeordnete Rolle – etwa im Zusammenhang mit der Jakobiterbewegung in England oder mit der Kolonialisierung Amerikas und dem damit verbundenen Freibeutertum. Jenseits der Geschichtswissenschaften beschäftigen sich aber auch andere wissenschaftliche Disziplinen mit diesem Begriff oder sind – zwangsläufig – mit ihm konfrontiert, z.B. in der Kriegsursachenforschung oder in der (wirtschafts-) politischen Analyse von Sanktionswirkungen; selbst einige makro-ökonomische Wohlfahrtsanalysen widmen sich speziell diesem Phänomen. Die Aktualität und die wissenschaftliche Relevanz dieses Themas sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die tatsächliche wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Schmuggel in Grenzen hält. Hinzu kommt, dass die entsprechenden Artikel häufig nur spezielle Aspekte des Schmuggels beleuchten oder einfach nur zeit-punktuelle Zustände beschreiben. Insofern fehlt es leider auch an einer allgemeinen Betrachtung, die sich des Phänomens Schmuggel einmal in genereller Weise annimmt. Eine solche grundlegende Erörterung wäre schon deshalb notwendig, weil der Begriff Schmuggel zwar rege verwendet, aber kaum reflektiert wird.

Genau diesen kritischen Diskurs möchte die vorliegende Arbeit liefern. Dabei soll gezeigt werden, dass sich hinter der landläufigen Bezeichnung Schmuggel verschiedene Phänomene verbergen, welche hauptsächlich – aber nicht nur – der informellen Wirtschaft zuzurechnen sind. Insofern möchte diese Arbeit auch um ein anderes Verständnis des Begriffs Schmuggel werben – nämlich Schmuggel als Form des informellen Handels, über den sich somit auch ein Fenster zur informellen Wirtschaft öffnet. Darauf aufbauend werden im Kapitel C verschiedene reale Formen und Ausprägungen des informellen Handels vorgestellt. Weiterhin soll dabei der Frage nachgegangen werden, was sich am informellen Handel über die Zeit hinweg verändern kann und welche Entwicklungstendenzen beobachtbar sind. Um es nicht nur bei einer einfachen Beschreibung dieser Beobachtungen zu belassen, wird im Kapitel D aus Sicht der evolutorischen Ökonomik nach möglichen Erklärungsansätzen gesucht. Am Ende dieser Arbeit erfolgt noch einmal eine kurze inhaltliche Zusammenfassung und ein kritisches Fazit.

B Was ist Schmuggel?

B.1 Der Begriff

An der Literatur zum Phänomen Schmuggel fallen zunächst zwei Dinge auf. Erstens existieren verschiedene Schmuggel-Definitionen, die alle tendenziell in die gleiche Richtung gehen, jedoch unterschiedlich weit gefasst sind.1 Zweitens werden solche Definitionen von den Texten, die sich mit Schmuggel befassen, aber kaum referenziert. Mehr noch, Schmuggel ist zwar ein häufig verwendeter, aber nur selten direkt geklärter Begriff. Üblicherweise ergibt sich dessen Bedeutung erst aus dem inhaltlichen Kontext, wobei in modelltheoretischen Betrachtungen die jeweilige Modellierung eine Hilfestellung gewährt.2 Entsprechend bleibt häufig der Eindruck bestehen, es handle sich beim Schmuggel um einen derart allgemein bekannten Begriff, dass er eigentlich nicht weiter erläutert werden bräuchte. Gleichwohl scheint der Gebrauch dieses Begriffes über die verschiedenen Artikel hinweg zumindest ähnlich gelagert zu sein und der nachfolgenden allgemeinen Definition zu folgen.

„Der Ausdruck Schmuggel bezeichnet den illegalen Transport von Waren über eine Grenze, meist solche, die im Herkunftsland billiger und im Zielland durch Wirtschaftslage, fehlende natürliche Vorkommen, Zoll-, Steuer- oder andere gesetzliche Vorschriften deutlich teurer sind bzw. Handelsbeschränkungen unterliegen. [...] Es werden auch Waren geschmuggelt, deren Ausfuhr beziehungsweise Einfuhr verboten ist (zum Beispiel antike Gegenstände) oder solche, die überhaupt verboten sind (zum Beispiel illegale Drogen und Waffen)“.3

Ausgehend von dieser Definition, lassen sich folgende Kernelemente herausfiltern: [1] Der Transport von Waren, [2] der Grenzübertritt, [3] der illegale Charakter dieser Betätigung und [4] das beabsichtigte Umgehen von Handelsbarrieren (Steuern, Zölle und Verbote). Im Zusammenhang mit der obigen Definition enthält [4] implizit ein gewinnmaximierendes Element, d.h. es werden Handelsbarrieren umgangen, um die eigene Gewinnerzielung zu verbessern (Profitstreben).

Damit ist Schmuggel zunächst einmal ein breit angelegter Begriff, den es für nähere Betrachtungen zu differenzieren gilt. Eine naheliegende Möglichkeit zur Unterscheidung bietet die Art der Ware, wobei normalerweise auf Warenkategorien abgestellt wird (z. B. Zigaretten, Waffen, Betäubungsmittel, Geld, Plagiatgüter und Menschen). Aber auch das Ausmaß und die Qualität, mit dem der Schmuggel an einer allgemeinen Handelstätigkeit beteiligt ist, kann von Interesse sein. So versteht sich unter physischem Schmuggel (physical contraband trade) eine Transaktion, welche auf die vollständige Umgehung einer Handelsbarriere ausgerichtet ist, z.B. durch die Benutzung grüner Grenzen.4 Dagegen stellt der technische Schmuggel (technical contraband trade) ein nur teilweises Unterlaufen von Handelsbarrieren dar (z.B. mittels falscher Transportdaten), so dass eine Handelstätigkeit sowohl legale, als auch illegale Elemente in sich vereint – dies umfasst einerseits komplette Scheinlieferungen, andererseits aber auch falsche Wert- und Mengenangaben.5 Gerade dieser letzte Aspekt spielt bei der modelltheoretischen Analyse der geschmuggelten Gütermengen und dem damit verbundenen Risiko eine wesentliche Rolle.6 Eine andere interessante – aber nicht oft verwendete – Unterscheidung erfolgt nach dem Zusammenspiel von Schmuggelmenge, Organisation und Motivation.7 So ist unter kommerziellem Schmuggel zu verstehen, wenn große Gütermengen illegal ins Ausland verbracht werden, um dort einen höheren Gewinn zu erzielen. Wenn dagegen einzelne Personen bestimmte Güter im Ausland preisgünstiger erwerben und diese dann hauptsächlich für den

Eigenverbrauch schmuggeln, ist vom geringfügigen Schmuggel die Rede. Weitere Abgrenzungen können auf einen Zeitraum (Jahrhunderte, Epochen usw.), auf Regionen (Balkan, Europa, Afghanistan etc.), auf die Art des Transports (Schiff, Land usw.) oder auf mehrere der genannten Kriterien bezogen sein.

Die ökonomische Relevanz des Schmuggelbegriffs ist anhand seines hauptsächlich finanzwissenschaftlichen Charakters ableitbar. Denn einerseits werden damit Strafdelikte bezeichnet, durch die dem Staat Einnahmeverluste entstehen. Andererseits haben die einzelnen Wirtschaftssubjekte einen Anreiz zum Schmuggel, da die staatlichen Handelsbarrieren (Zölle, Steuern usw.) für sie eine Belastung darstellen, die sie – als rationale und gewinnmaximierende Entscheider – zu minimieren trachten. Dies führt zwangsläufig zu einem ökonomisch wichtigen Zielkonflikt zwischen Privatwirtschaft und Staat. Zusätzlich bewirkt Schmuggel auch Allokationseffekte, da Arbeitskräfte und Finanzkapital in ungewünschte Bereiche gelenkt werden, was in diesen Bereichen wiederum für Investitionen sorgt und womöglich zu gesamtwirtschaftlichen Wohlstandsverlusten führt.8 Zudem können sich innerhalb der ungewünschten Bereiche Strukturen und Institutionen bilden, die eine wirtschaftspolitische Steuerung erschweren. Insofern mag Schmuggel auch zu einer stärkeren Beanspruchung oder zu einer anderen Allokation staatlicher Ressourcen führen.

B.2 Kritischer Diskurs

B.2.1 Inhärente Probleme des Begriffs

Was ist Schmuggel? Oberflächlich betrachtet mag diese Frage relativ banal und naiv erscheinen. Doch ein zweiter Blick offenbart verschiedene Punkte, über die scheinbar oft hinweggegangen wird und die somit ein Nachhaken – oder zumindest einen deutlichen Hinweis – erfordern. Dieser Abschnitt soll nun zwei problematische Aspekte herausgreifen, welche schon im Begriff selbst angelegt sind.

Ein erstes Problem besteht im illegalen Charakter des Schmuggels, denn ob etwas illegal ist oder nicht, wird normalerweise willkürlich festgelegt. Was heute als legal gilt, kann morgen verboten sein (und umgekehrt). Ein dafür sowohl historisches wie aktuelles Beispiel ist der Drogenhandel; ein anderes anschauliches Beispiel findet sich im Tierhandel.9 Die Illegalität bezieht sich jedoch nicht nur auf Warenverbote, sondern ebenso auf formelle Pflichten, die ein Staat auferlegen kann – darunter fallen z.B. die Einführung von (neuen) Steuern, die Erteilung von Handelskonzessionen oder die Erfüllung bestimmter Auflagen. Angenommen, bestimmte formelle Bedingungen sind nicht erfüllt, dann mag zwar nicht das Gut an sich illegal sein, wohl aber der Handel damit. In der Konsequenz führt damit auch jeglicher Betrug zu einer Schmuggeltätigkeit. Dies gibt Anlass zu der Frage, ob jener Aspekt in der landläufigen Definition des Schmuggels genügend berücksichtigt wird. Deshalb bleibt festzuhalten, dass aufgrund des Merkmals der Illegalität allgemeine Aussagen über die Schmuggelaktivität und -intensität problematisch sind.

Nicht minder problematisch ist der Fokus, der auf dem Grenzübertritt liegt. Denn wenn eine Fracht beim Grenzübertritt ins Zielland ihren illegalen Status erhält, wird sie auch innerhalb dieses Ziellandes illegal bleiben. Somit macht der Schmuggel nicht etwa an einer Grenze halt, sondern die entsprechende Fracht wird innerhalb des Ziellandes weiter geschmuggelt. Aber just solch einen Inlandsschmuggel blendet das normale Begriffs- verständnis aus – er scheint keine Rolle zu spielen. Dabei ist dieser Aspekt insbesondere modelltheoretisch relevant, weil das Entdeckungsrisiko nach einem Grenzübertritt nicht einfach verschwindet.10 Außerdem wäre gerade der technische Schmuggel auch innerhalb einer Grenze bzw. ganz ohne einen Grenzübertritt denkbar, selbst wenn es sich dann z.B. nur um das Unterschlagen der Umsatzsteuer handelt. In diesem Zusammenhang ist auch zu fragen, wie es sich mit Waren verhält, die bereits illegal sind und deren Ausfuhr somit ebenfalls illegal ist.11 Aus diesen ganzen Gründen heraus ist es nicht sehr einleuchtend, inländische (Schmuggel-) Aktivitäten zu ignorieren bzw. vom Begriff des Schmuggels auszuschließen. Eine plausible Begründung dafür fehlt und zum beschriebenen Problem selbst scheint auch niemand Stellung nehmen zu wollen. Insofern bleibt festzuhalten, dass der Grenzübertritt zwar als Kriterium hilfreich sein kann, um Rechtsräume abzugrenzen und rechtliche Ansprüche oder Sanktionen zu begründen. Aber letztlich lassen sich jedoch weder der illegale Charakter, noch das Risiko oder etwa die Schmuggelaktivität selbst nur auf den geographischen Punkt einer Grenze reduzieren.

B.2.2 Erweiterte Kritik

Neben den eben genannten inhärenten Problemen sind nun einige Punkte zu diskutieren, welche aus sachlichen Gründen Anlass zur kritischen Reflexion geben. Zunächst sei das erste Merkmal der Schmuggeldefinition – der Transport – herausgegriffen. Denn Schmuggel besteht nicht nur allein aus der Transporttätigkeit, sondern erfordert ebenfalls Beschaffungs- und Absatzmaßnahmen – schließlich ergibt sich erst dadurch eine ökonomische Anreizwirkung. Und somit lässt sich dieses Phänomen oft nicht ohne den Verweis auf schwarze Märkte betrachten, auf denen eingekauft und (oder) verkauft wird. Manchmal beinhaltet die Beschaffung allerdings auch die Produktion oder Veredelung von Gütern; und insbesondere beim technischen Schmuggel kommt vielleicht noch das Fälschen von Dokumenten hinzu. Außerdem können als Nebeneffekt auch andere schwarze Märkte entstehen, z.B. wenn ein Schmuggelimporteur für die Bezahlung seines Zulieferers Devisen benötigt.12 Weiterhin ist zu fragen, was mit den Erträgen aus derartigen Tätigkeiten geschehen soll, denn diese sind schließlich Bestandteil einer vor allem ökonomisch- rationalen Entscheidung. Dementsprechend ergänzt sich der Schmuggel um Transaktionen im Finanzbereich, wozu Geldschmuggel, Geldwäsche und informal value transfer systems gehören.13 Aus naheliegenden Gründen ergibt sich zudem eine Verknüpfungen zur informellen Arbeit – oft auch mit dem negativ besetzten Begriff der Schwarzarbeit bezeichnet.14 In Deutschland zeigt sich jene Überschneidung sehr deutlich im staatlichen Organ der Bundeszollverwaltung: Neben Schmuggeldelikten verfolgt sie auch die illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit im Inland, wobei es sich bei den so Beschäftigten nicht zwangsläufig um eingeschleusste Ausländer handeln muss.15 Angesichts dieser benannten Punkte wird deutlich, dass sich der Schmuggel nicht nur auf den Transport beschränkt. Viel mehr besteht er aus vielen verschiedenen und miteinander verbundenen Phänomenen des informellen und formellen Wirtschaftens.16

Dieser Eindruck verschärft sich, wenn die Blicke auf die Struktur bzw. Organisation solch einer wirtschaftlichen Betätigung gerichtet werden. Denn zum einen kann der Schmuggel einzelwirtschaftlich organisiert sein, d.h. ein einzelner Ladenhändler versucht bspw. aus Freihandelszonen oder von schwarzen Märkten bestimmte Güter zu erwerben, um diese dann illegal in seinem legalen Laden anbieten zu können. Zum anderen wird der Schmuggel aber häufig durch illegale Organisationen betrieben, wie es bspw. beim organisierten Menschen- oder Drogenhandel der Fall ist; normalerweise werden dabei auch noch andere Geschäftsfelder bedient. Offensichtlich handelt es sich in diesem Fall um das, was das Bundeskriminalamt als organisierte Kriminalität oder organisiertes Verbrechen bezeichnet.

„Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.“17

Weiterhin kann der Schmuggel als ein sich selbststeuerndes Netzwerk organisiert sein, in dem sich einzelne Gruppen gezielt auf bestimmten Tätigkeitsfeldern spezialisiert haben, z.B. auf das Fälschen von Dokumenten oder den Transport.18 Die (ökonomischen) Vorteile solcher Organisationen und Netzwerke liegen im verbesserten Umgang mit Ressourcen und Risiko sowie der Nutzung von Spezialisierungs-, Lern- und Synergieeffekten, was in der Summe den (system-) eigenen Handlungsspielraum erweitert. Dabei basieren diese Organisationen häufig auf einem bestimmten kulturellen bzw. traditionellen Hintergrund und produzieren selbst auch wieder Normen.19 Vor allem unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten ist dies von Wichtigkeit, weil solche Organisationsformen möglicherweise auch ganz verschieden von politischen Entscheidungen betroffen sind und entsprechend unterschiedlich darauf reagieren (können).

Als nächsten Kritikpunkt ist auf den in der Definition enthaltenen Anreiz zum Schmuggel einzugehen. Ursächlich sei dafür die Preisdifferenz aus Welthandels- und Inlandspreis, welche maßgeblich durch innländische Handelsbarrieren (Zölle, Steuern usw.) bestimmt wird. Wer dann solche Handelsbarrieren umgeht, verhält sich gewinnmaximierend – und genau so wird es oft in den modelltheoretischen Analysen und bei wirtschaftspolitischen Empfehlungen unterstellt.20 Dass der Schmuggel – im Vergleich mit legalem Handel – mehr Gewinn verspricht und damit lukrativ erscheint, soll nicht in Abrede gestellt werden. Nur, reicht diese einzige Anreizwirkung aus? Ist dies allein die Triebkraft des Schmuggels? Wenn bspw. ein normales (Konsum-) Verhalten durch Handelsbarrieren beschränkt wird, dann kommt zumindest auch das Festhalten an Gewohnheiten als weiteres Motiv für den Schmuggel in Frage. Besonders drastisch liegt der Fall beim Konsum von Substanzen, die Sucht erzeugen; dann ist vermutlich auch das Suchtverhalten ein Motiv. Weiterhin muss Beachtung finden, dass ein legaler Handelsbetrieb in manchen Ländern nur schwer möglich ist – z.B. aufgrund von Korruption oder schwerfälligen Verwaltungen.21 Somit stellt der informelle Wirtschaftssektor oft die einzige Möglichkeit zur Beschäftigung dar, womit die entsprechenden Personen – per Definition – eigentlich automatisch zu Schmugglern werden. Diese wenigen Ausführungen lassen erahnen, dass neben der Existenz einer Preisdifferenz auch andere oder tiefgründigere Ursachen zu beachten sind.

In der eben geleistete Kritik ist allerdings noch ein weiteres Problem enthalten, auf das noch einmal gesondert hingewiesen werden muss – das unterstellte Menschenbild. Denn vor allem Ökonomen definieren den Menschen häufig als homo oeconomicus. Damit ist gemeint, dass ein Entscheider (Schmuggler) u.a. ein strenges Selbstinteresse zeigt, Informationen nach bedingten Wahrscheinlichkeiten verarbeitet (Bayes'sche Regel), definierbare und unveränderliche Präferenzen über mögliche Einkommenszustände besitzt und auf diese Weise seinen erwarteten Nutzen maximiert.22 Zeitliche und soziale Präferenzen werden somit ausgeblendet – Kultur, Tradition, Familie usw. spielen keine Rolle. Nun zeigt sich aber, dass gerade soziale Präferenzen das ökonomische Verhalten durchaus beeinflussen können, was inbesondere für alternative Formen des Geldverleihs oder -transfers nicht unwesentlich ist. Auch innerhalb der oben erwähnten Netzwerke spielen soziale Präferenzen in Form von Vertrauen, Reziprozität und Gerechtigkeit eine Rolle. Dementsprechend wäre es denkbar, dass bestimmte staatliche Handelsbarrieren bestimmten Traditionen oder kulturellen Normen zuwiderlaufen.23 Der Schmuggel mag dann ein Nebeneffekt mangelnder Wahrnehmung oder des Ignorierens sein. Wird ein Staatshandeln als hochgradig ungerecht empfunden, könnte Schmuggel auch eine Art Widerstand darstellen oder zumindest dazu beitragen (z.B. in Form von Waffenhandel).24Nun muss fairerweise klargestellt werden, dass vor allem in den modelltheoretischen Überlegungen nicht immer explizit auf den homo oeconomicus hingewiesen wird. Auch viele andere Artikel erwähnen ihn nicht ausdrücklich. Trotzdem entsteht der Eindruck, dass dieses Menschenbild stillschweigend zu Grunde liegt, denn es schimmern immer wieder vor allem das Eigennutzprinzip, die Orientierung an monetären Outputgrößen und eine gewisse Präferenzlosigkeit durch. Und genau das scheint eine etwas verkürzte Sicht zu sein und den Weg zu behindern, auf dem Veränderungen, Stabilität oder Erscheinungsformen des Schmuggels möglicherweise erklärbar sind.

Bezogen auf die Literatur und im Zusammenhang mit allen diesen Kritikpunkten fällt deshalb insgesamt auf, dass dem Schmuggelbegriff unterschiedliche Perspektiven zu Grunde liegen. So versteht eine Gruppe von Autoren den Schmuggel als ein isolierbares Phänomen, welches sich abstrakt modellieren lässt und staatliche oder privatwirtschaftliche Einnahme- verluste erzeugt. Die wesentliche Triebkraft dafür stecke im Wechselspiel zwischen den (staatlichen) Handelsbarrieren und der – pekuniären – Anreizwirkung, wobei der Schmuggler als homo oeconomicus agiert. Somit mag die vorgestellte Definition des Schmuggels nicht ganz falsch sein, wenngleich dann im Kern einzig der Umstand relevant ist, dass mit der Umgehung einer Handelsbarriere eine illegale Aktivität vorliegt.

Im Gegensatz dazu beschreiben andere Autoren den Schmuggel als Netzwerk verschiedener (informeller) Phänomene, die allesamt in ein u.a. kulturelles, traditionelles, politisches, rechtliches und geographisches Umfeld eingebettet sind. Daher werden in den entsprechenden Artikeln mitunter auch Probleme internationaler Finanztransaktionen oder die Probleme der Korruption thematisiert. Einige wenige unter diesen Schriften zeigen zudem qualitative Entwicklungen des Schmuggels auf. Und genau dann passt der herkömmliche Schmuggelbegriff nicht mehr richtig – viel mehr noch, er greift viel zu kurz. Trotzdem wird er dort aber weiter so verwendet, wie er in der herkömmlichen Definition beschrieben ist, was einen gewissen Widerspruch darstellt. Deshalb soll jetzt im Anschluss nach einem Begriff gesucht werden, welcher ein anderes Verständnis des Schmuggel- phänomens einfordert und gleichzeitig in die Lage versetzt, den herkömmlichen Schmuggelbegriff zu integrieren.

B.3 Schmuggel als informeller Handel

Den bisherigen Diskurs zum Anlass nehmend, sollen in diesem Abschnitt die Phänomene des Schmuggels als informeller Handel vorgestellt werden. Die Idee dazu kommt nicht von ungefähr. Denn einerseits beherbergt die deutsche Sprache mit dem Begriff Schleichhandel ein Synonym zum Schmuggel, dass trotz seines leicht antiquierten Charakters dem oben beschriebenen Sachverhalt erstaunlich nahe kommt. Andererseits bringen viele englisch- sprachige Artikel den Schmuggel ohnehin mit Handel in Verbindung.25 Die Herleitung des informellen Handels soll nun nachfolgend über die zu Grunde liegenden institutions- ökonomischen Begrifflichkeiten erfolgen.

Als erstes ist zu klären, was unter einer Institution zu verstehen ist. Kein leichtes Unterfangen, angesichts der Tatsache, dass so verschiedene Sachverhalte wie z.B. Märkte, Bräuche, Tabus, Werte, Zahlungsmittel, Organisationen, Polizei, Armee, Bildungssysteme, Unternehmen sowie Eigentums- bzw. Verfügungsrechte als Institution bezeichnet werden.26 Tatsächlich existiert weder eine präzise, noch eine allgemeingültige Definition.27 Trotzdem lässt sich aus den eben genannten Beispielen eine Gemeinsamkeit extrahieren: Es handelt sich dabei um von Menschen geschaffene Handlungsbeschränkungen (Regeln).28 Deren Sinn und Zweck liegt darin, Unsicherheiten und Transaktionskosten zu vermindern, indem Handlungsspielräume abgesteckt werden. Zwar sorgt dies unter rationalen Gesichts- punkten für eine gewisse Selbstbindungskraft der so geschaffenen Regeln, aber aufgrund von Informationsmängeln kann es zu opportunistischem Verhalten kommen. Um dennoch Bestand zu haben und weiterhin eine Lenkungswirkung auszuüben, muss deshalb zusätzlich gewährleistet sein, dass ein Regelverstoß gesellschaftlich sanktioniert wird und damit für einen Abweichler unangenehm ist. Zur Entstehung einer Institution bedarf es deshalb mindestens zweier Personen, welche miteinander interagieren und deren Interaktionen wiederkehrender Natur sind; damit eine Institution verschwindet, muss es zu wiederholten und allgemein akzeptierten Verstößen gegen sie kommen.29 Eine wichtige Rolle spielt dabei die Unterscheidung nach formellen und informellen Institutionen. Bei formellen Institutionen handelt es sich um bewusst geschaffene und kodifizierte Regeln, also um das von jedem einsehbare und einklagbare Recht.30 Dazu gehören Staatsverfassungen, Eigentumsrechte oder auch schriftlich abgefasste Verträge. Mit informellen Institutionen sind Regeln gemeint, die sich im menschlichen Miteinander über einen längeren Zeitraum herausbilden und nicht kodifiziert sind – daher können informelle Regeln nur durch das Erleben oder Vorleben erlernt werden. Dabei handelt es sich u.a. um Werte, Sitten, Tabus und Gebräuche. Der Zusammenhang zwischen den beiden Institutionsformen wird häufig darin gesehen, dass sich informelle Institutionen aufgrund der Unvollkommenheit formeller Regeln herausbilden können – deshalb besitzen informelle Institutionen einen ergänzenden Charakter.31 Mitunter mag es allerdings angebrachter sein, von alternativen oder parallelen Institutionen zu sprechen.32

Werden die bisherigen Erläuterungen nun allgemein auf die Wirtschaft übertragen, dann sind unter der formellen Wirtschaft jegliche wirtschaftlichen Betätigungen zu verstehen, die einem gesetztlichen Rahmen folgen – also in gewisser Weise als offiziell gelten.33 Entsprechend umfasst die informelle Wirtschaft alle Betätigungen, für die (noch) keine Gesetze existieren oder die sogar gegen geltendes Recht verstoßen und folglich auch nicht vor einem ordentlichen Gericht einklagbar sind.34 Manchmal verschwimmen beide Bereiche, so dass eine wirtschaftliche Betätigung aus sowohl formellen als auch informellen Elementen besteht.35 An dieser Stelle ist es noch notwendig, auf die Unterscheidung nach legalen und illegalen Tätigkeiten einzugehen. Während die formelle Wirtschaft immer auch legal ist, stellt eine informelle Betätigung nicht zwangsläufig auch eine illegale Tätigkeit dar. Existieren für bestimmte wirtschaftliche Bereiche keine gesetzlichen Regelungen, dann gehören diese Bereiche zwar zur informellen Wirtschaft, sind aber keineswegs illegal. Im Gegensatz dazu verstoßen illegale Tätigkeiten gegen geltendes Recht und sind deshalb immer der informellen Wirtschaft zuzurechnen. Auch hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es den politischen Entscheidungsträgern obliegt, darüber zu befinden, was legal oder illegal und demzufolge auch formell oder informell ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Überblick zur formellen und informellen Wirtschaft (Quelle : Eigene Darstell ung)

Aus den vorangegangenen Erklärungen lässt sich nun für den informellen Handel folgende Definition herleiten:

Unter informellem Handel ist jegliche informelle Tätigkeit zu verstehen, welche nicht auf den ausschließlichen und direkten Eigenverbrauch selbst produzierter und/oder erworbener Waren sowie Dienstleistungen abzielt.

Der Grundgedanke ist hierbei, dass nur jene Waren und Dienstleistungen gehandelt werden, die nicht in den eigenen Konsum der Händler und Produzenten sowie Endverbraucher eingehen – d.h. eine Subsistenzwirtschaft, die geringfügige Unterstützung von Familienmitgliedern und letztlich auch der direkte Konsumkauf sind davon ausgenommen. Diese Sichtweise lehnt sich an die Definition der Subsistenzwirtschaft nach DOS SANTOS (2001) an, wonach ein solches Wirtschaften dadurch charakterisiert sei, „dass Güter für den Eigenverbrauch und nicht mit dem Ziel des Verkaufs produziert werden, die Ware also nicht auf den Markt kommt“.36 Jener Aspekt schlägt sich z.B. auch in der Praxis des BUNDESZOLLAMTES nieder, das im Grenzverkehr ohnehin bestimmte Freigrenzen einräumt, in denen Personen diverse Waren (Tabak, Alkohol usw.) für den eigenen Verbrauch abgabefrei in das Inland verbringen dürfen.37 Zudem schließt das BUNDESMINISTERIUM DER FINANZEN bestimmte Betätigungen (Nachbarschaftshilfe, Gefälligkeiten usw.) von der Definition der Schwarzarbeit aus, „wenn die Tätigkeiten nicht nachhaltig auf Gewinn ausgerichtet sind, d.h. höchstens gegen ein geringes Entgelt erbracht werden“.38 Insofern kommt auch hier eine gewisse Vorstellung über den Eigenverbrauch zum Tragen. Insgesamt ergibt sich damit die informelle Wirtschaft aus den Wechselbeziehungen des informellen Eigenverbrauchs und des informellen Handels, die beide jeweils legal oder illegal sein können.39

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 : Informeller Handel und informelle Wirtschaft (Quelle: Eigene Darstellung)

Der eingangs definierte Schmuggel kann so als illegale Form des informellen Handels eingeordnet werden. Nicht wenige Artikel beschreiben nun aber den Schmuggel als eine Mixtur aus informellen sowie miteinander verbundenen Handlungen und Phänomen (Finanztransaktionen, Korruption usw.). Nach diesem Verständis umfasst dann z.B. der Geldschmuggel nicht nur den Transport von Devisen, sondern u.a. auch Verbindungen zum Devisen-Schwarzmarkt, zu Schmiergeldzahlungen und zur Geldwäscherei. Insofern scheint es angebrachteter, diese informellen Tätigkeiten direkt zu benennen und insgesamt als Phänomene des informellen Handels zu begreifen.40 Wird also nachfolgend der Begriff Schmuggel verwendet, ist im Hinterkopf zu behalten, dass sich dahinter oft eine ganze Fülle informeller Tätigkeiten verbergen.

C Empirie: Informeller Handel & Veränderung

C.1 Einleitende Vorbemerkungen

Wenn wirtschafts- und finanzpolitische Empfehlungen abgegeben werden, basieren diese normalerweise auf solchen Größen wie z.B. BIP, Steuereinnahmen, Investitions- und Gewinnquoten sowie Arbeits- und Erwerbslosenzahlen – alles Daten, die durch irgendeine Form der Registrierung von Transaktionen und Akteuren bei den entsprechenden Ämtern, Verbänden und Banken zu Stande kommen. Das bedeutet, dass eine Datenbasis zu Grunde liegt, die sich auf die formelle Wirtschaft bezieht und deshalb – trotz aller möglichen Probleme in der Erhebung – bestimmbar ist. Eine solche Bestimmbarkeit ist für die informelle Wirtschaft nicht gegeben, da sich dieser Bereich der Wirtschaft einer Beobachtung naturgemäß entzieht bzw. seine Existenz zu verschleiern versucht. Deshalb ist nach Ansätzen zu suchen, mit denen sich das informelle Wirtschaften dennoch erfassen lässt oder mit denen zumindest tendenzielle Entwicklungen sichtbar werden. Derartige Ansätze finden sich u.a. im Vergleich der Entstehungs- und Verwendungsseite des BIPs, in den Entwicklungen am Arbeitsmarkt, in der Nachfrage nach Bargeld, in der Nutzung von Elektrizität oder auch in den Angaben der Finanz- und Zollbehörden zu den ermittelten Ein- und Ausfuhrverstößen sowie Schwarzarbeitsdelikten.41 Andere Möglichkeiten bieten historische Aufzeichnungen über Verkaufszahlen, Steuereinnahmen und Lieferdaten sowie persönliche Handelsbücher.42 Allen diesen Methoden ist gemein, dass sie versuchen, den Schmuggel vor allem quantitativ zu erfassen oder zumindest eine Vorstellung über dessen Quantität zu vermitteln.

Für das Verständnis und die ökonomische Bedeutung der informellen Wirtschaft sind jedoch auch Informationen über die qualitativen Aspekte und Veränderungen des informellen Wirtschaftssektors nötig – z.B. Angaben über die Struktur, die Organisation, die Technik, die Motivation, das kulturelle und politische Umfeld oder die gehandelten Güter und Dienstleistungen. Zu derartigen Aspekten geben die oben erwähnten formellen (Wirtschafts-) Daten nur ungenügend Auskunft. Deshalb sind zusätzlich noch andere Informationen zu nutzen – wie z.B. Fall- und Länderstudien, Interviews, persönliche (historische) Aufzeichnungen oder Zeitungsartikel. Allerdings finden sich solche Informationen hauptsächlich in den Arbeiten anderer Disziplinen wie z.B. der Soziologie, der Politikwissenschaft oder der (Wirtschafts-) Geschichte, so dass ein vermehrt interdisziplinäres Vorgehen erforderlich ist. Beispielhaft für diesen Ansatz sollen nun im Anschluss einige Fälle vorgestellt werden, in denen verschiedene Veränderungen des Schmuggels über den Zeitverlauf beschrieben sind. Nach diesen Fallbeispielen erfolgt ein allgemeiner und zusammenfassender Überblick zu Veränderungen und Phänomen des Schmuggels bzw. des informellen Handels.

C.2 Beispiele

C.2.1 Schmuggel in Mexiko (1981-1996)

In ihrem Artikel „Smuggling in Emerging Markets: Global Implifications“ untersuchten die Autoren GILLESPIE und MCBRIDE den Schmuggel von nicht-illegalen Gütern in Mexiko.43 Um das Ausmaß und die Art des Schmuggels zu bestimmen, stützten sie sich hauptsächlich auf die Angaben aus insgesamt 1.032 relevanten Artikeln der mexikanischen Zeitschrift Excelsior.44 Den Untersuchungszeitraum (1981 bis 1996) untergliederten sie dazu in vier Perioden.45

[1] Protektionismus (vor Oktober 1982): Dieser Zeitabschnitt war noch stark durch die Idee einer protektionierten Industriepolitik mit den dazu erforderlichen staatlichen Eingriffen geprägt, d.h. Steuern auf Importe, Beschränkungen in der Vergabe von Lizenzen und staatlichen Preisfestlegungen.46 In diesem Zeitraum sind mit 204 Artikeln die meisten Berichte über die Beschlagnahmungen von (Schmuggel-) Gütern angesiedelt.47 Diese wurden in etwa gleichem Maße von bundesstaatlichen und zollbehördlichen Polizeidiensten aufgedeckt; erwähnt sind insgesamt drei Fälle von Korruption, bei denen Polizeikräfte in Schmuggelgeschäfte verwickelt waren.48 Vertrieben wurden die geschmuggelten Waren hauptsächlich über Straßenhändler – von etwaigen Gewalttätigkeiten wird nichts berichtet.49

[2] Ökonomische Krise (Oktober 1982 bis Juni 1985): Eingeleitet wurde diese Phase durch das Ende des Ölbooms, die Abwertung des Pesos, eine hohe Auslandsverschuldung und die Zahlungsunfähigkeit des mexikanischen Staates.50 Mit dem Regierungswechsel von 1982 erfolgte dann ein Abkehr von der bisherigen Wirtschaftspolitik, hin zu einer Politik, die auf privatwirtschaftlich angeregtes Wachstum, offenen Handel und Abbau des Staatsdefizites setzte. In den darauf folgenden Jahren stieg jedoch die Arbeitslosigkeit unter den Mexikanern, es sanken die Einkommen sowie der Lebensstandard; das Wachstum des BIPs war über diese Zeit hinweg negativ. Letztlich erforderte das Erdbeben von Mexiko City (1985) auch noch außerplanmäßige Zuwendungen seitens des mexikanischen Staates.51 Zusammenfallend mit der Abwertung des Pesos (1982) stellten GILLESPIE/MCBRIDE zunächst eine abnehmende Zahl an Berichten über Schmuggelaktivitäten fest; diese Zahl nahm jedoch in den darauf folgenden Jahren wieder zu.52 Weiterhin klärten zollbehördliche Polizeidienste mehr Schmuggeldelikte auf als die Bundespolizei.53 Begleitet wurde dies aber durch 17 Korruptionsfälle, in die hauptsächlich Zollbehörden verwickelt waren.54 Weiterhin sind in dieser Periode die ersten Artikel zu finden, welche über informelle Straßenhändler (informal street vendors) – in Verbindung mit Schmuggel – berichten.55 Für Mexiko City wurde eine beginnende Ausbreitung des informellen Marktes in die formellen Kaufbezirke beobachtet: Damit konkurrierten die informellen Straßenhändler nicht nur untereinander, sondern standen auch im Wettbewerb mit normalen (formellen) Händlern.56

[3] Frühe Liberalisierung (Juli 1985 bis Dezember 1988): Nach Ansicht der Autoren wurde diese Periode durch den GATT-Beitritt Mexikos (Juli 1985) eingeläutet.57 Dies war begleitet durch ein politisches Programm, welches auf eine stärkere Deregulierung der Importsteuern und Lizenzvergaben sowie auf die Privatisierung staatlichen Eigentums abzielte.58 In der Folge kam es zu (Import-) Steuersenkungen und der Abschaffung von Preisfestlegungen sowie anderer Handelsbarrieren. Gleichzeitig erfuhr der Pesos erneut eine Abwertung. In diesem Zeitraum begann die Zahl der Berichte über enttarnte Schmuggel- aktivitäten abzunehmen, allerdings nicht vollends zu versiegen.59 Als Grund für die Existenz des Schmuggels – trotz Liberalisierung – führten die Autoren an, dass die Importzölle nun zwar eine geringer Rolle spielten, dafür aber inländische Steuern (Einkommens- und Verbrauchssteuer) immernoch für einen Kostenvorteil der Schmuggler sorgten.60 So darf es auch nicht verwundern, dass die Zahl der Artikel, welche über informelle Straßenhändler berichteten, weiter anstieg.61 In diesen Artikeln wurde erstmals auch nach den Hinterleuten bzw. Zulieferern dieser Straßenhändler gefragt und auf die Entwicklung mafiöser Strukturen hingedeutet. Weiterhin berichteten die Autoren, dass die Straßenhändler zunehmend ihren Service verbesserten, indem sie u.a. ihre Waren per Katalog und teilweise als Hauslieferungen anboten. Neben der gesunkenen Zahl an erwähnten Beschlagnahmungen stellten die Autoren für diese Liberalsierungsphase fest, dass auch hier wieder die Zollbehörden in wesentlich stärkerem Maße an der Aufklärung der Schmuggeldelikte beteiligt waren als die Bundespolizei.62

[4] Späte Liberalisierung (Januar 1989 bis 1996): Die späte Liberalisierung Mexikos beginnt mit der Wahl von C ARLOS S ALINAS DE G ORTARI.63 Politisch geprägt ist diese Zeit durch weitere Steuer- und Finanzreformen sowie den NAFTA-Beitritt (1994), welcher die letzten noch verbliebenen Handelsbarrieren Mexikos faktisch abschaffte.64 In dieser Zeit nahm die Zahl der Berichte über Schmuggel weiter ab – ebenso wie die Zahl der Beschlagnahmungen durch Zollbehörden und Bundespolizei.65 Aber gleichzeitig wurde berichtet, wie informelle Händler im Jahr 1989 in die Geschäftsviertel von Mexiko City vordrangen.66 Die dort ansässigen formellen Händler sahen sich dadurch in ihrer Existenz bedroht und forderten u.a. die Umsiedlung der Informellen in kontrollierbare Bereiche sowie eine stärkere Bekämpfung der Korruption. Ein entsprechendes Gesetz wurde 1990 verabschiedet, ließ aber den informellen Handel unbeeindruckt. Trotz der fortgeführten wirtschaftlichen Reformen waren die informellen Händler abermals in der Lage, mit dem formellen Handel zu konkurrieren, indem sie u.a. nach günstigeren Waren suchten (z.B. gestohlene Waren, Produktpiraterie). Dabei zeichnete sich bei den Schmugglern insbesondere ein höherer Grad an Organisation und Internationalisierung ab: Die einstmals hauptsächlich aus den USA stammenden Schmuggelgüter wurden zunehmend durch Produkte aus Asien – d.h. von außerhalb der NAFTA – ersetzt; vorwiegend Japaner und Koreaner suchten sogar aktiv den Kontakt zu bekannten mexikanischen Schmugglern.67 Die Autoren GILLESPIE und MCBRIDE wiesen außerdem auf die zunehmende Gewalttätigkeit der Schmuggler hin und erwähnten Revierstreitigkeiten zwischen Schmuggelmafias. Zudem meinten die Autoren, dass der normale Schmuggel u.a. für das Waschen von Drogengeldern genutzt wurde; diese Gelder würden außerdem ein finanzielles Polster für den normalen Schmuggel darstellen.68

Zu diesen von GILLESPIE/MCBRIDE geschilderten Beobachtungen sind noch einige kritische Anmerkungen nötig. Erstens ist festzuhalten, dass die vorgenommene Unterscheidung der Zeitperioden durchaus Platz für kontroverse Diskussionen lässt – und zwar hinsichtlich des Beginns und des Endes der Perioden, aber auch bezogen auf die Bewertung der geschichtlichen Ereignisse. Weiterhin ist der Liberalisierungsprozess zu hinterfragen, zu dem die Autoren die Entwicklungen des Schmuggels in Beziehung setzten. Hauptsächlich orientierten sie sich dabei an politischen Entscheidungen, die insbesondere mehr wirtschaftliche Freiheiten gewähren sollten. Hat diese Politik aber auch für die Menschen in Mexiko mehr Freiheiten gebracht? Um dies zu beantworten, mag der Freedom-House-Index (FHI) hilfreich sein, da dieser nach den politischen und bürgerlichen Freiheitsrechten eines Landes fragt.69 Auf jener Basis zeigt sich für den Betrachtungsraum allerdings keine Veränderung – von 1981 bis 1996 deklariert der FHI Mexiko als teilweise frei.70 Im politischen Meinungsbild spiegelt sich daher eine Liberalisierung für diesen Zeitraum nicht wieder. Viel mehr liegt der Verdacht nahe, dass die als unverändert empfundene Lebenssituation mit der beobachteten Stabilität der Schmuggelaktivitäten im Zusammenhang steht.71 Als weiteren Kritikpunkt sind die Aussagen zum Umfang der Schmuggelaktivitäten herauszugreifen. Einmal basierend auf den eben gemachten Feststellungen zu den politischen und bürgerlichen Freiheitsrechten, welche auch eine freie Presse mit einschließen – insofern müssen die Zeitungsartikel des Excelsior mit einer gesunden Portion Skepsis gesehen werden. Andererseits sind die Aussagen der Autoren teilweise missverständlich: Während die Zahl der Zeitungsartikel über den Schmuggel tendenziell abnahm, behaupteten die Autoren gleichzeitig eine Zunahme informeller Straßenhändler.72 Woraus sich diese Zunahme speist, geben die Autoren nicht bekannt. Aus dem Kontext heraus können dafür aber verschiedene Erklärungen vermutet werden: a) die Korruption der Polizeikräfte, b) abnehmende Kontrollaktivitäten und c) eine höhere Effektivität des Schmuggels.

Trotz dieser Kritikpunkte lassen sich abschließend einige interessante Aspekte über die Veränderungen des Schmuggels festhalten: (1) Schmuggel organisiert und globalisiert sich,

(2) er passt sich dem jeweiligen Umfeld an, d.h. der Wegfall von Importzöllen führt eher zu einem Innlandsschmuggel, (3) das Maß an Gewalttätigkeit nimmt zu und (4) es werden zunehmend auch andere kriminelle Tätigkeiten ausgeübt – bis hin zu konkreten Funktionen innerhalb der organisierten Kriminalität.73

C.2.2 Schmuggel in Südwest-Kamerun

C.2.2.1 Fallstudie: Benzinschmuggel (Mamfe)

In dem Artikel „Women and the Arts of Smuggling“ (2001) thematisiert die Autorin MARGARET NIGER-THOMAS hauptsächlich den von Frauen betriebenen Schmuggel im Südwest- Kamerun (Mamfe und Limbe) der 90er Jahre des 20. Jahrunderts. Den Kern dieses Artikels bildet eine Fallstudie (1996-1998) über die Karriere einer Benzinschmugglerin namens Beatrice.74 Diese wuchs als eines von sieben Kindern in Mamfe auf und besaß einen Realschulabschluss (secondary school). Weil für den weiteren Bildungsweg das Geld fehlte, trug sie mit geringfügigen Straßenverkäufen (buyam sellam) zum Lebensunterhalt der

Familie bei.75 Nach ihrer Heirat reichten diese Aktivitäten jedoch nicht mehr aus, um für die eigenen und die neu dazu gewonnenen Familienteile zu sorgen. Dies verschärfte sich noch dadurch, dass ihr Mann – ein Bankier – die Unterstützung ihrer Familie ablehnte. Entsprechend suchte Beatrice nach einem Ausweg und begann 1989 mit dem Benzinhandel. Dazu nahm sie Kontakt zu benachbarten nigerianischen Händlerinnen auf und orderte über diese 40 Liter Benzin aus Nigeria. Das dafür notwendige Geld erhielt sie einerseits von ihrem Mann (20'000 CFA-F) und andererseits über ein Njangi -System (50'000 CFA-F).76 Mit dem Verkauf dieses Benzins erwirtschaftete sie einen Gewinn von 5'000 CAF-F. Drei derartige Verkäufe bescherten ihr genügend Finanzmittel, um sich mit ihren Händlerinnen direkt zusammenzuschließen und damit Schiffskosten sowie Schmiergelder zu sparen.77 Für diese Transaktionen verließen sie Kamerun für gewöhnlich am Tage und kehrten in der Nacht wieder heim – hauptsächlich, um Polizei- und Zollkontrollen zu umgehen. Bei ihrer Ankunft warteten bereits Träger (Batcha Boys) darauf, ihre Hilfe für den weiteren Transport und beim vorläufigen Verstecken anzubieten. Verkauft wurde das geschmuggelte Benzin an Einzelhändler, welche dieses dann an den Straßenrändern Kameruns weiterverkauften. Die von Beatrice belieferten Händler bildeten ein gut auf sie eingespieltes Netzwerk; etwaigen Kontrollen konnte sie sich mit Bestechungsversuchen erfolgreich widersetzen. Auf diese Weise hatte Beatrice nach zwei Jahren ein kleines Vermögen erwirtschaftet und fing damit an, befreundeten Frauen Kredite zu gewähren. Da diese Gläubigerinnen aber ihren Verbindlichkeiten nicht nachkamen, verlieh sie ihr Geld bald nur noch an Mitglieder aus Njangi -Gruppen, bei denen die jeweils restlichen Njangi -Mitglieder für eine Art (Kreditausfall-) Sicherheit sorgten. Mit ihren geringen Zinsforderungen war Beatrice auch in diesem Geschäft erfolgreich und baute sich dabei ein breites Beziehungsnetzwerk auf, welches auch Personen des formellen Sektors mit einschloss. Daher darf es nicht verwundern, wenn sie im Jahr 1993 von einem staatlichen Energieunternehmen (SONEL) beauftragt wurde, 16'000 Liter Bezin zu liefern.78 Ein Teil des dafür notwendigen Kapitals wollte sie sich über den Verkauf von in Nigeria nachgefragten Kakao-Chemikalien erwirtschaften. Die dafür ebenfalls notwendigen Geschäfte auf dem Devisen-Schwarzmarkt führten aber zu einem Verlust, so dass Beatrice nicht die gesamte Menge an Benzin zu liefern vermochte; allerdings trotzdem genug, um einen Gewinn zu realisieren. Insgesamt versetzten diese ganzen Geschäfte Beatrice in die Lage, ihre gesamte Familie zu unterstützen – vor allem finanziell, aber auch durch die Einführung dreier Schwestern in diese Geschäftstätigkeiten. Ferner erarbeitete sich Beatrice auch eine Unabhängigkeit von ihrem Mann, was jedoch hin und wieder für Ehestreitigkeiten sorgte.79

C.2.2.2 Prostitution und Schmuggel

Der eben skizzierte Werdegang von Beatrice ist nach NIGER-THOMAS etwas untypisch, denn etwa 80% der schmuggelnden Frauen aus Kamerun entstammten dem Rotlichtmilieu.80 Die meisten davon landeten dort, weil sie entweder nicht verheiratet waren oder weil es familiäre Streitigkeiten gab.81 In Mamfe wurden diese Frauen als Bush-Lamp Women bezeichnet, weil sich deren Etablissements durch Laternen zu erkennen gaben. Andere Frauen zogen nach Nigeria – in das grenznahe Kaduna oder nach Lagos. Als Ghana in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrunderts seine nigerianischen Ausländer vertrieb, reagierte Nigeria daraufhin mit der Ausweisung seiner ausländischen Kameruner. Auf diese Weise kehrte eine große Zahl an Prostituierten nach Kamerun zurück (Kaduna Come Down Women). Da viele unter ihnen den Kontakt zu den eigenen Verwandten aufrecht erhalten hatten, kannten sie sich mit Grenzübertritten und Grenzaktivitäten aus. Von daher lag es nahe, dass sich vor allem diese Frauen im lukrativer werdenden Schmuggelgeschäft betätigten.82 Dies wiederum spornte natürlich auch die einheimischen Bush-Lamp Women an, sich in diesem Geschäftsfeld zu engagieren, was in der Summe den hohen Grad ehemaliger Prostituierter im Schmuggelgeschäft verantwortet.

[...]


1 Eine ausführliche Erläuterung des Begriffs bieten DEFLEM/HENRY-TURNER (2001, S. 473 ff.); deutlich älter, aber nicht minder informativ sind KERN/ SCHMÖLDERS (1953, S. 141 ff.). Andere Definitionen bestehen meist nur aus einem kurzen Hinweis auf Steuer- und Zolldelikte oder auf illegalen Handel; siehe dazu u.a. BHAGWATI (1998, S. 376). Mitunter werden noch andere Elemente hinzugefügt, z.B. Waffenbesitz, Bandentätigkeit und Gewalt; siehe u.a. GABLERS WIRTSCHAFTSLEXIKON (2004, Stichwort: Schmuggel).

2 So zum Beispiel bei BHAGWATI/HANSEN (1971, S. 172 ff.) oder LOVELY/NELSON (1995, 26 ff.).

3 WIKIPEDIA (03.08.2006, Stichwort: Schmuggel).

4 „[G] rüne Grenzen, d.h. Grenzübertritt unter Vermeidung der Zollstraßen und -wege und der amtlichen Grenzübertrittsstellen“, KERN/SCHMÖLDERS (1953, S. 142).

5 Der technical contraband trade wird oft synonym mit dem Begriff underinvoicing gebraucht. Siehe dazu SARVANANTHAN (1999, Fußnote 1, S. 216) und DEFLEM/HENRY-TURNER (2001, S. 473).

6 Bei NORTON (1988, S. 110) wurde bspw. unterstellt, dass ein Schmuggler seine Schmuggelgüter durch den Transport legaler Güter tarnen kann. Je mehr er in diesem Modell – relativ zur Gesamtmenge – legal transportiert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Schmuggelgüter entdeckt werden.

7 Für die nachfolgende Unterscheidung siehe commercial smugglin g und petty smuggling bei DEFLEM/HENRY- TURNER (2001, S. 473).

8 Eine ehemals vertretene These lautete, dass der Schmuggel prinzipiell für den Wohlstand förderlich sei, weil mit ihm Handelsbarrieren umgangen würden – ein solcher Unterton lässt sich bspw. bei KERN/ SCHMÖLDERS (1953, S. 143) herauslesen. In diesem Zusammenhang waren BHAGWATI/HANSEN (1971, S. 141 ff.) vermutlich die ersten, welche in ihrer modelltheoretischen Analyse zeigten, dass Schmuggel eben nicht generell zur Wohlstandmehrung beiträgt, sondern – im Gegenteil – auch eine Wohlstandsminderung herbeiführen kann.

9 Vgl. ANDREAS (2004a, S. 647).

10 Interessenten seien wieder auf NORTON (1988, S. 110) verwiesen, der in seinem Modell auch nur die Distanz zur (Landes-) Grenze beachtete. Andere Autoren mögen zwar argumentieren, dass im Schmuggelrisiko und

-aufwand ganz allgemein auch Situationen jenseits der Landesgrenzen enthalten sind. Trotzdem liegt der Verdacht nahe, dass der Fokus auch wieder einzig auf der Situation während eines Grenzübertritts liegt; zur Verdeutlichung dieses Problems siehe u.a. die Modellierungen bei LOVELY/NELSON (1995, S. 28 ff.) oder KREBS/COSTELLOE/JENKS (2003, S. 138 ff.).

11 Dies wäre z.B. bei im Inland raffinierten chemischen Drogen der Fall.

12 Solch eine Situation liegt bei vielen aus Ost-Indien stammenden Händlern in Belize vor, die unterbewertete Gütermengen importieren. Weil dort die Ausgabe von Devisen (z.B. USD) durch die Zentralnotenbank auf den Rechnungsbetrag beschränkt ist, die tatsächliche Zahlung an den Zuflieferer aber höher liegt, wird zusätzliche Fremdwährung benötigt. Aufgrund dieser zusätzlichen Nachfrage bilden sich schwarze Märkte, welche die Versorgung mit Fremdwährung sicherstellen. Siehe dazu WIEGAND (1994, S. 142 f.).

13 Unter informal value transfer systems sind Systeme bzw. Netzwerke zu verstehen, mit denen – außerhalb des normalen (formellen) Bankensystems – Werte (z.B. Geld) übertragen werden können. Somit fallen also auch informelle Bankensysteme darunter. Siehe u.a. PASSAS (1999, S. 11).

14 Unter Schwarzarbeit ist nach dem §1 Abs. 2 SchwarzArbG eine Werks- oder Dienstleistung zu verstehen, bei der z.B. Verstöße gegen (Sozial-) Beitragspflichten oder Steuerhinterziehung vorliegen. Unter anderem gelten auch Gefälligkeiten oder Nachbarschaftshilfe als Schwarzarbeit, sofern dabei eine Ausrichtung auf nachhaltige Gewinnerzielung erkennbar ist. Für detailliertere Informationen siehe Anhang I.

15 Basierend auf BUNDESMINISTERIUM DER FINANZEN (2005, insbesondere S. 29 f.).

16 Zur Klarheit sei an dieser Stelle betont, dass die geschmuggelten Güter nicht ausschließlich über organisierte schwarze Märkte zum Endverbraucher gelangen. Nicht selten sind es ganz einfache Ladenbesitzer, die durch Schmuggel versuchen, ihre Güter besonders preisgünstig anzubieten – und zwar jeweils in ihren legalen Geschäften.

17 BUNDESKRIMINALAMT (2005, S. 14).

18 Ein Beispiel dafür bietet der organisierte Menschenschmuggel zwischen der Türkei und Griechenland. Die entsprechenden Flüchtlinge werden dort durch verschiedenen Schmuggler jeweils von Ort zu Ort transportiert. Etwaige Papiere sind über darauf spezialisierte kleine Gruppen zu erhalten. Entsprechend ergibt sich ein arbeitsteiliges Netzwerk vieler kleiner Gruppierungen. Siehe dazu IÇDUYGU (2004, S. 300 f. und 310 f.).

19 Hierfür sei wieder auf die ost-indischen Händler in Belize verwiesen. Einerseits profitieren sie von ihren ethnisch-familieren Bindungen. Andererseits basieren die Beziehungen zwischen den Importeuren und ihren Lieferanten auf Vertrauen und Gegenseitigkeit (reciprocity), was sich jedoch über einen längeren Zeitraum entwickeln muss. Vgl. dazu WIEGAND (1994, S. 141 f. sowie S. 146 f.).

20 Solch eine (implizite) Gewinnmaximierungsannahme findet sich u.a. in den Beiträgen von BHAGWATI/HANSEN (1971), LOVELY/NELSON (1995), KREBS/COSTELLOE/JENKS (2003), LARUE/LAPAN (2002) oder NORTON (1988).

21 In dem Zusammenhang ist oft davon die Rede, dass formelle Wirtschaftstätigkeiten in den informellen Sektor gedrängt werden; siehe u.a. DOS SANTOS (2001, S. 16) und DURTH/KÖRNER/MICHAELOWA (2002, S. 62).

22 Für eine ausführliche Kritik am homo oeconomicus siehe RABIN (2002, S. 660 ff.).

23 Als Beispiel sei hier auf das Gebiet Kamerun/Nigeria verwiesen, in dem die Lebensräume verschiedener Ethnien bei den zahlreichen Grenzziehungen in der Geschichte dieses Gebietes nicht beachtet wurden, die Ethnien selbst aber dessen ungeachtet mit ihrem Handel untereinander fortfuhren; vgl. NIGER-THOMAS (2001, S. 54 ff.).

24 Mit diesem Argument soll insbesondere auf die Erkenntnisse der Verhaltensökonomik hingewiesen werden, wonach Menschen z.B. auch ein altruistisches Verhalten an den Tag legen. In diesem Sinne wäre Schmuggel als eine Art (altruistische) Bestrafung interpretierbar, mit der auf ein ungerecht empfundenes (staatliches) Verhalten reagiert wird. Dieser Aspekt erfährt später – in D.3.3 Gesellschaftliche und individuelle Institutionen – noch einmal eine etwas ausführlichere Zuwendung.

25 Solche Synonyme zum Begriff smuggling sind u.a. contraband trade, cross border trade, transborder trade, clandestine economy, shadow economy, illicit business und illicit trade.

26 Vgl. GABLERS WIRTSCHAFTSLEXIKON (2004, Stichwort: Institution) sowie WELLESEN (1994, S. 5).

27 Vgl. GABLERS WIRTSCHAFTSLEXIKON (2004, Stichwort: Institution).

28 Vgl. dazu und nachfolgend DURTH/KÖRNER/MICHAELOWA (2002, S. 214).

29 Vgl. GABLERS WIRTSCHAFTSLEXIKON (2004, Stichwort: Institution).

30 Vgl. GABLERS WIRTSCHAFTSLEXIKON (2004, Stichwort: Institution).

31 Zu diesen und nachfolgende Ausführungen vgl. DURTH/KÖRNER/MICHAELOWA (2002, S. 215).

32 Damit ist gemeint, dass informelle Institutionen – gesamtwirtschaftlich betrachtet – nicht immer eine effiziente Ergänzung darstellen müssen, sondern auch alternativ oder parallel neben den vorhandenen formellen Regeln bestehen können. Dies gilt z.B. für Schwarzmärkte oder sich herausbildende Machtgruppen (Guerillas u.ä.).

33 Beispiele: Arbeitsverträge die den Bestimmungen des Arbeitsrechts folgen, Beachtung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beim Kauf einer Ware oder das Erfüllen von Umwelt-Auflagen.

34 Beispiele: das Gewähren freiwilliger Sozialzuwendungen eines Arbeitgebers, Haushaltstätigkeiten oder das private Verleihen von Geldbeträgen.

35 Dies wäre bspw. bei einem Arbeitsverhältnis der Fall, in dem neben einem schriftlich fixierten Arbeitsvertrag noch mündliche Zusagen – bezüglich Sonderurlaub o.ä. – existieren.

36 DOS SANTOS (2001, S. 9). Im Gegensatz zur Definition von DOS SANTOS (2001) sollen hier Betteltätigkeiten

ebenfalls der informellen Wirtschaft zugeordnet sein.

37 Siehe BUNDESZOLLAMT (2005, S. 7 ff.).

38 BUNDESMINISTERIUM DER FINANZEN (2006, Stichwort: Schwarzarbeit). Siehe dazu auch Anhang I.

39 Der Begriff Handel mag auf dem ersten Blick etwas verwirrend erscheinen, da er verschiedene informelle Tätigkeiten umfasst (u.a. auch die Produktion). Er wurde aber bewusst gewählt, um die oben definierten Tätigkeiten vom fest etablierten Begriff der informellen Wirtschaft besser abzugrenzen und damit etwaigen Missverständnissen vorzubeugen.

40 Die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität sind dabei jedoch nicht immer einfach zu ziehen.

41 Auf eine ausführliche Darstellung dieser Methoden soll aus Platzgründen verzichtet sein. Eine Übersicht dazu bieten SCHNEIDER/ENSTE (2000, S. 91 ff.).

42 Nennenswert ist hier die Arbeit von COLE (1958), der für seine Aussagen zum Teeschmuggel im England des 18. Jahrhunderts u.a. Daten der britischen East India Company nutzte. Die daran anknüpfende Diskussion von MUI/MUI (1975) und COLE (1975) beleuchteten weitere interessante Details. Ebenfalls zu erwähnen ist die Arbeit von JONES (2001), der den Schmuggel im Bristol des 16. Jahrhunderts mittels Hafendaten und Angaben aus persönlichen Handelsbüchern analysierte; vgl. JONES (2001, S. 19).

43 Illegale Güter wie Drogen wurden nicht betrachtet; vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 42).

44 Für das Vorgehen und die detaillierten Gründe dafür siehe GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 43 f.).

45 Die analysierten Ausgaben des Excelsiors umfassten laut GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 43) die Jahre 1981 bis 1991. Da GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 47) noch andere Quellen nutzten und späterhin auch den NAFTA-Beitritt Mexikos (1994) thematisierten, ist davon auszugehen, dass der Betrachtungszeitraum ingesamt die Jahre 1981 bis 1996 (Erscheinungsjahr des Artikels) umfasst.

46 Vgl. PACHECO-LÓPEZ (2004, S. 6 f.).

47 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 44).

48 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 45).

49 Leider erklären die Autoren nicht sehr viel über die Vertriebswege des Schmuggels in konkret dieser Zeitphase. In allgemeinen Äußerungen erwähnen sie jedoch den geringfügigen Schmuggel der Haushalte (household smuggling) sowie das geringe Gewaltniveau unter den Straßenhändlern in der Protektionsphase. An wiederum anderer Stelle heißt es, die Straßenhändler wären allgemein mit Schmuggel in Verbindung zu bringen. Insgesamt legt dies die Vermutung nahe, dass der Schmuggel in der Protektionsphase u.a. in Form des geringfügigen Haushaltsschmuggels anzutreffen war und die Waren ansonsten über Straßenhändler vertrieben wurden. Siehe dazu GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 44, 46 und 47).

50 Für diese und nachfolgend Ausführungen siehe PACHECO-LÓPEZ (2004, S. 7 ff.).

51 Im Gegensatz zu PACHECO-LÓPEZ (2004, S. 8) behauptet WIKIPEDIA (03.08.2006, Stichwort: Die Geschichte Mexikos), dass die Mexikaner wegen des schlechten staatlichen Managements und der Korruption den Wiederaufbau allein schultern mussten. Infolgedessen sei auch das Misstrauen gegenüber dem mexikanischen Staat gestiegen.

52 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 44).

53 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, Tabelle 3, S. 46).

54 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 45).

55 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 46). Allerdings ist hier nochmals darauf hinzuweisen, dass die erstmalige Erwähnung in den Zeitungsartikeln kein erstmaliges Auftreten informeller Straßenhändler bedeutet. Die Autoren erläutern nämlich wenig später, dass solche Straßenhändler auch in der Protektionsphase auftraten.

56 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 46 f.).

57 Bei PACHECO-LÓPEZ (2004) sind die beginnenden Verhandlungen zum GATT-Beitritt auf 1985 datiert; die volle Mitgliedschaft beginnt bei ihm ein Jahr später. Weiterhin sieht PACHECO-LÓPEZ (2004) die fiskalische Staatskrise noch im Jahr 1987 bestehen. Vgl. PACHECO-LÓPEZ (2004, S. 9 und 11).

58 Für diese und nachfolgende Ausführungen siehe PACHECO-LÓPEZ (2004, S. 10 f.).

59 Diese und nachfolgende Ausführungen basieren auf GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 44 und 47).

60 In diesem Zusammenhang mag auch die oben erwähnte erneute Abwertung des Pesos nicht unrelevant sein.

61 Für diese und nachfolgende Ausführungen siehe GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 46).

62 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 44 und Tabelle 3, S. 46).

63 Im Gegensatz zu GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 43) erwähnt PACHECO-LÓPEZ (2004, S. 11) die Wahl der Salinas-Regierung für das Jahr 1988.

64 Vgl. PACHECO-LÓPEZ (2004, S. 11 ff.).

65 Vgl. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, Tabelle 3, S. 46).

66 Für diese und nachfolgende Ausführungen siehe GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 47).

67 Für diese und nachfolgende Ausführungen siehe GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 48).

68 Mit normalem Schmuggel ist hier das Schmuggeln von nicht-illegalen Gütern gemeint.

69 Für allgemeine Informationen zum Aufbau und zur Methodik des Freedom-House-Index siehe FREEDOMHOUSE (2006b).

70 Im Detail wurde die Lage der politischen Freiheitsrechte und der Bürgerrechte in Mexiko vom FHI für 1981 bis 1996 als wechselhaft ausgewiesen. Dabei handelte es sich jedoch um kleine Auf- und Abstufungen, so dass der FHI für den Betrachtungszeitraum insgesamt Mexiko als teilweise frei (partly free) benannte. Für diese Angaben siehe den Index von FREEDOMHOUSE (2006a).

71 Zur These der Stabilität des Schmuggels siehe GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 47).

72 Vgl. dazu GILLESPIE/MCBRIDE (1996, Tabelle 2 auf S. 45 sowie S. 46).

73 Vgl. u.a. GILLESPIE/MCBRIDE (1996, S. 52).

74 Dieser gesamte Abschnitt basiert hauptsächlich auf NIGER-THOMAS (2001, S. 47 ff.).

75 Mit buyam sellam werden diejenigen Händlerinnen bezeichnet, welche in den Städten landwirtschaftliche Produkte – insbesondere Lebensmittel – verkaufen; vgl. NIGER-THOMAS (2001, S. 48 und 68).

76 Mit Njangi sind informelle Spar- und Kreditgemeinschaften gemeint. Eine auf diesem Artikel basierende Darstellung befindet sich im Anhang II.

77 Konkret musste jeder Handelspartner die gewünschte Benzinmenge festlegen, die dann aber als Besitz einer Person ausgewiesen wurde – etwaige Kosten verteilten sich dann gleichmäßig auf die Partner; vgl. NIGER- THOMAS (2001, S. 49).

78 Das Unternehmen SONEL (Société Nationale d'Électricité du Cameroun) wurde im Jahr 2001 privatisiert; siehe BUNDESAGENTUR FÜR AUSSENWIRTSCHAFT (2006, S. 6).

79 Siehe dazu NIGER-THOMAS (2001, S. 52 f.).

80 Vgl. hierzu und nachfolgend NIGER-THOMAS (2001, S. 64).

Ende der Leseprobe aus 74 Seiten

Details

Titel
Schmuggel als ökonomisches Phänomen
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Wirtschaftspolitik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
74
Katalognummer
V118130
ISBN (eBook)
9783640220335
ISBN (Buch)
9783640222681
Dateigröße
1159 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schmuggel, Phänomen, Evolutionsökonomik, Informelle Wirtschaft, Evolutorik, Institutionen, Kultur, Ethik, Moral
Arbeit zitieren
Diplom-Volkswirt Sebastian Thieme (Autor:in), 2006, Schmuggel als ökonomisches Phänomen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118130

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