Krumm, aber dem Licht entgegen

Kants Vorstellungen vom moralischen Wachsen der Menschheit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Warum überhaupt Geschichtsphilosophie?
1.2 und warum von Kant?
2. Die geschichtsphilosophisch relevanten Texte Kants
2.1 Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht
2.2 Kritik der Urteilskraft
2.3 Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis
2.4 Zum ewigen Frieden
3. Gesamtdarstellung seiner Vorstellung vom Verlauf der Geschichte
4. Kritik an Kants teleologischer Geschichtsauffassung

III. Fazit

Ehrenwörtliche Erklärung

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“[1]

„Es ist [] ein nicht bloß gutgemeinter und in praktischer Absicht empfehlungswürdiger, sondern allen Ungläubigen zum Trotz auch ein für die strengste Theorie haltbarer Satz: daß das menschliche Geschlecht im Fortschreiten zum Besseren immer gewesen sei und so fernerhin fortgehen werde.“[2]

Im Zuge seiner Geschichtsphilosophie hat Kant ein Bild des Menschen entworfen, das widersprüchlicher kaum sein könnte: Einerseits ist der Mensch als `Ding an sich´ letzter Endzweck der Natur, dereinst vollkommen moralisiert und befriedet gar das telos aller Schöpfung (und somit eigentlich ja letzter Handlungszweck eines - freilich ihm zufolge nur ‚regulativ‘ denknotwendigen - Schöpfers), und als einziges Geschöpf mit der wichtigsten der denkbaren Fähigkeiten, nämlich der Fähigkeit zu denken, ausgestattet – andererseits sind die Menschen vor allem Mängelwesen, in der Mehrzahl gar dumm und als Individuen weit davon entfernt, sich um die Ziele der Gattung zu scheren.

Man kann sich eines gewissen Unwillens nicht erwehren, wenn man ihr Thun und Lassen auf der großen Weltbühne aufgestellt sieht und bei hin und wieder anscheinender Weisheit im Einzelnen doch endlich alles im Großen aus Thorheit, kindischer Eitelkeit, oft auch aus kindischer Bosheit und Zerstörungssucht zusammengewebt findet: wobei man am Ende nicht weiß, was man sich von unserer auf ihre Vorzüge so eingebildeten Gattung für einen Begriff machen soll.[3]

Einen klaren Begriff macht sich Kant selbst sehr wohl: Die Menschheit als Gattung ist - unterwegs. Auf den verschlungenen, mühseligen Pfaden der Geschichte wandert Kants Mensch seiner Bestimmung entgegen: Weltbürger zu sein und in ewigem Frieden und moralischem Einklang mit allen anderen zu leben.

So überzogen und un-kritisch diese Vorstellungen zunächst scheinen, so wichtig ist ihre Darstellung und Einbettung in Kants gesamte, größtenteils kritische Philosophie (also nicht dogmatisch, und dem Anspruch nach rational bis epistemologisch) für das Verständnis seiner zentralen Anliegen und Methoden: Wenn die Moral und die Vernunft die Mittel sein sollen, die Menschen zu vervollkommnen, so muss die Vollkommenheit irgendwann ‚voll kommen‘. Oder wenigstens kommen können . Die Geschichte braucht ein Ziel .

Dass sein teleologisch-anthropologischer Entwurf selbst nach Kants eigener Einschätzung ein solcher bleiben muss und daher auch gar nicht auf empirische Verifikation angewiesen ist, erklärt sich Pauline Kleingeld zufolge nahezu von selbst:

Die Wahrheit einer Hypothese über den Gang der Gesamtgeschichte läßt sich ja nicht vor deren Ende feststellen und ist daher keiner ausschlaggebenden Erfahrungsprüfung fähig. Kant beansprucht denn auch nicht die Wahrheit, sondern nur die Brauchbarkeit seiner `Idee´ als eines Regulativs für die Ordnung des historischen Materials.[4]

Die `Idee´, die Kleingeld hier anspricht in der für die vorliegende Arbeit fruchtbar gewordenen Studie „Fortschritt und Vernunft – zur Geschichtsphilosophie Kants“, ist die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht , einer der hier vorzustellenden geschichtsphilosophischen Texte Kants. Ihre Erläuterungen zu seinen anderen geschichtsphilosophischen Schriften werden hier, soweit für seine Vorstellungen vom moralischen Wachsen wichtig, ebenfalls skizziert. Für die vertiefte Darstellung von Kants teleologischem Geschichtsverständnis werden desweiteren vor allem der Band „Sinnstiftung durch Geschichte?“ von Andreas Sommer sowie Reiner Schmitz´ Dissertation „Kant und das Problem der Geschichte“ hinzugezogen.

Eingangs wird zunächst kurz Geschichtsphilosophie allgemein vorgestellt, um dann ausführlicher diejenige Kants nachzuzeichnen und im Hinblick auf die immanenten Vorstellungen vom speziell moralischen Wachsen der Menschheit zu analysieren.

Ziel dieser Arbeit ist es, durch Konturschärfung und Beleuchtungseffekte jenes Bild deutlicher werden zu lassen, welches Kant in den schillernden Farben der Vernunft und des Willens auf die straffe – aber stellenweise schlecht tragende – Leinwand der Moral von den Zielen, der Zukunft und Geschichte des Menschen malte, um es schließlich einzuordnen in sein Gesamtwerk und kritisch zu kommentieren.

II. Hauptteil

1. Warum überhaupt Geschichts philosophie ?

„Wozu das historische Wissen nützlich und wert ist, von uns gewußt zu werden, ergibt sich aus der Beschränktheit individueller Lebensgeschichten. Es ermöglicht uns, die eigene Erfahrungsperspektive durch die Aneignung fremder Erfahrungen zu korrigieren und zu ergänzen.“[5] So betrachtet hat der Umgang mit historischem Material, wo er nicht aus rein wissenschaftlichem Interesse erfolgt, immer auch einen psychologisch-philosophischen Aspekt: Man kann und sollte tatsächlich ‚aus der Geschichte lernen‘.

Desweiteren ist auch umgekehrt historische Arbeit oft von philosophischen und speziell ethischen Fragen begleitet und motiviert.[6] Die Verbindung von Philosophie bzw. Ethik und Geschichte ist dabei kein längst abgehakter, gescheiterter Weg, der nur von Philosophen und nie von Historikern versucht worden wäre, im Gegenteil: im Vorwort ihres 2008 erschienen Bandes Ethik der Geschichtswissenschaft , der laut den Verfassern „aus der Zusammenarbeit zwischen einem Philosophen und einem Historiker entstanden“[7] ist, wird das Wechselspiel von philosophischen und historischen Fragen als höchst aktuell vorgestellt:

Wo die Maßstäbe der (Geschichts-) Wissenschaft zur Klärung metahistorischer Fragen […] unklar sind, lückenhaft zu sein scheinen oder gar versagen, müssen zwangsläufig andere Parameter herangezogen werden, um das Handeln zu rechtfertigen bzw. zu strukturieren. Wir haben es hierbei mit Momenten zu tun, in denen sich erkenntnistheoretische Fragen und ethische Reflexion miteinander verbinden.[8]

Nichts anderes ist die Arbeit Kants! Auch er versuchte bereits, den beobachtbaren Gang der Geschichte zu deuten, in seine Philosophie zu integrieren, erkenntnistheoretische und ethische Fragen zu verbinden, und umgekehrt die Menschheitsgeschichte auch weiterzuführen anhand seiner moralphilosophisch motivierten Prognosen deren künftigen Verlaufs. Daher beurteilt auch Reiner Schmitz die Anliegen Kants und aller Geschichtsphilosophie wie folgt:

In der Beziehung zur Geschichte schafft sich der Mensch nicht ein Bild der vergangenen Wirklichkeit, sondern eine je neue Möglichkeit seiner Existenz.[9] […]Denn das Entscheidende, worum es in der Geschichte geht, scheint doch die Entwicklung des Menschen als eines vernünftigen Wesens und damit im weitesten Sinne die Geschichte seines Handelns und Denkens zu sein.[10]

Dieses Geschichtsverständnis wird vielerorts als so allgemeingültig dargestellt, dass etwa Alberto Burgio gar als seine „Arbeitshypothese“ und seinen „Leitfaden“ für die Untersuchung aller „Idee von Geschichte“ formuliert, dass etwa Kant, Hegel und Marx eine Auffassung von Geschichtsentwicklung haben, die wesentliche Gemeinsamkeiten aufweist.[...] Die Geschichte erscheint diesen Denkern als ein Prozess, bei dem die Vernünftigkeit sich selbst verwirklicht und in der Welt verkörpert, diese dadurch verändert [...]. Geschichte ist also Fortschritt [...].“[11]

Wenn Geschichte also (mindestens geisteswissenschaftlicher) Fortschritt ist, so kann die zentrale und allgemeinste Disziplin der Geisteswissenschaften, die Philosophie, sich demselben natürlich nicht verschließen, weshalb auch Kant meinte, gerade jeder Philosoph müsse auch um die Geschichte wissen,[12] und eigentlich seien beide Disziplinen nur zwei Seiten einer Medaille: „Alle Kultur der Erkenntnisvermögen teilt sich in zwei Zweige auf: Geschichte und Philosophie.“[13]

1.2 … und warum von Kant?

„Philosophie ohne Geschichte – so hatten wir gesagt – bleibt leer. Geschichte ohne Phi- losophie – so können wir nun ganz im Sinne von Kant fortfahren – macht blind .“[14] Denn, das hatte Kant schon in seiner Logik konstatiert, „[d]ie Philosophie ist das zweite Auge und sieht, wie die gesammelten Kenntnisse des einen Auges zum gesamten Zweck stimmen.“[15]

Im Unterschied zu anderen Philosophen bildet bei Kant seine Geschichtsphilosophie kein großes eigenes Kapitel, wie etwa bei Gehlen oder Hegel.[16] Kant wurde von Kritikern im Gegenteil oft und lange als `ungeschichtlich´ verstanden.[17] Zumal er sich in seiner kritischen Philosophie an vielen Stellen explizit gegen alle Empirie in der Philosophie wendet[18] – und Historie ist ja gewissermaßen reine Erfahrung.

Kant selbst ging laut Manfred Riedel davon aus, „daß der Vorschlag einer normativen (‚sein-sollenden‘) Geschichtsdeutung nicht als philosophischer Ersatz empirischer Geschichtswissenschaft, sondern vielmehr als […] kritische Theorie der Historiographie zu verstehen ist.“[19]

Schmitz glaubt dagegen zeigen zu können, dass der moralisch-teleologische Aspekt nicht nur Teilaspekt, sondern zentrales Motiv der Kantischen Geschichtsphilosophie sei: Indem nämlich Kant das Interesse der praktischen Vernunft an der Verwirklichung des ‚höchsten Gutes‘, d.i. nach Kant eine verdient glückselige Menschheit unter moralischen Gesetzen,[20] über alle spekulative Vernunfterkenntnis setze, zeige er auch gleichzeitig, dass wir die Verwirklichung des höchsten Gutes in der Welt erhoffen müssen.[21]

So setzt er die Voraussetzungen für einen Begriff der moralischen Teleologie als praktischen Bestimmungsgrund für den Verlauf der Geschichte als Geschichte der Freiheit.[…]Die moralische Teleologie bildet das Zentrum der Kantischen Geschichtsphilosophie, insofern sie praktisch bestimmt ist, weil sie das Ideal der Geschichte formuliert.[22]

Desweiteren ist die als gewinnbringend zu erhoffende Beschäftigung speziell mit Kants Geschichtsphilosophie etwa Andreas Sommer zufolge auch in geistesgeschichtlichem Allgemeininteresse begründbar durch den „Umstand, dass mit Kant die Geschichtsphilosophie des Deutschen Idealismus anhebt – eine [], die die ihr eigene, von Geschichtswissenschaft und offenbarungsgegründeter Geschichtstheologie unterschiedene Reflexionsform findet.“[23] Wobei auch Sommer zufolge die werkimmanent relevante Frage bleiben wird: „Inwiefern kann die Kantische Geschichtsphilosophie dem kritischen Geschäft treu bleiben, ohne sich in ausserwissenschaftliche Metaphysik zu transfigurieren oder dogmatisch zu werden?“[24]

[...]


[1] Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, VIII, S. 23.

[2] Streit der Fakultäten , VII, S. 88.

[3] IaG, VIII, S. 17 f.

[4] Pauline Kleingeld (1995): Fortschritt und Vernunft: Zur Geschichtsphilosophie Kants. Würzburg: Königshausen und Neumann, S. 20.

[5] Riedel, Manfred im Vorwort zu: Ders. (Hg.) (1985): Immanuel Kant. Schriften zur Geschichtsphilosophie. Stuttgart: Reclam, S. 3f.

[6] Vgl. dazu: Kühberger, Christoph / Sedmak, Clemens (2008): Ethik der Geschichtswissenschaft. Wien: Turia + Kant, S. 11f.

[7] Ebd. S. 8.

[8] Ebd. S. 7.

[9] Schmitz, Reiner (1972): Kant und das Problem der Geschichte. Freiburg im Breisgau: Dissertationsdruck Krause, S. 5.

[10] Ebd. S. 10.

[11] Burgio, Alberto (2003): Vernunft und Katastrophen. Das Problem der Geschichtsentwicklung bei Kant, Hegel und Marx. Frankfurt am Main: Peter Lang, S.7.

[12] Riedel (1985): S. 4.

[13] Opus postumum, Akad. XIII, S 115. Zitiert nach: Ebd. S.4.

[14] Ebd. S. 6 [Hervorhebung im Original].

[15] Logik, Akad. IX S. 197.

[16] Burgio (2003): S. 15.

[17] Vgl. dazu Riedel (1985): S. 3.

[18] Schmitz (1972): S. 20.

[19] Riedel (1985): S. 17.

[20] Vgl. dazu Kleingeld (1995): S. 135.

[21] Vgl. Schmitz S. 95.

[22] Ebd. S. 95f.

[23] Sommer, Andreas Urs (2006): Sinnstiftung durch Geschichte? Zur Entstehung spekulativ-universalistischer Geschichtsphilosophie zwischen Bayle und Kant. Basel: Schwabe, S. 311.

[24] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Krumm, aber dem Licht entgegen
Untertitel
Kants Vorstellungen vom moralischen Wachsen der Menschheit
Hochschule
Universität Mannheim  (Lehrstuhl Philosophie II (Theoretische Philosophie))
Veranstaltung
Kants Geschichtsphilosophie
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V118048
ISBN (eBook)
9783640202065
ISBN (Buch)
9783640206902
Dateigröße
549 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Krumm, Licht, Kants, Geschichtsphilosophie, Kant, Zum ewigen Frieden, Kritik der Urteilskraft, Gemeinspruch, Theorie richtig, allgemeine Geschichte, weltbürgerliche Absicht, Geschichte
Arbeit zitieren
Jonas Zech (Autor:in), 2008, Krumm, aber dem Licht entgegen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118048

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