Unterrichten im Zeichen der Rationalität - Kommentare zum Artikel "Philosophical Models of Teaching" von Israel Scheffler


Seminararbeit, 2008

15 Seiten, Note: 5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Ausführung zur Rationalität

2 Rationales Lernen im Rahmen kognitiver bzw. konstruktivistischer Theorien

3 Kommentare zum Artikel Philosophical Models of Teaching von Israel Scheffler

4 Rationalität im Unterricht

Schlusswor

Bibliographie

Einleitung

Mit dieser Seminararbeit setze ich mir das Ziel, den Begriff „Rationalität“ zu untersuchen, um zu prüfen, in welchem Ausmass die Vernunft eine entscheidende Rolle bei Lernprozessen spielen kann. Im ersten Kapitel möchte ich auf die Schriften Aristoteles eingehen, um zu zeigen, dass seine Vorstellung der Rationalität die abendländische Philosophie stark geprägt hat und erst im Vorfeld der 68er- Bewegung systematisch kritisiert wurde. Im zweiten Kapitel möchte ich den Kognitivismus und den Konstruktivismus als Strömungen des Rationalismus darstellen, um zu bekräftigen, dass die Förderung rationalen Denkens je nach Umgebung im Unterricht für die Schüler vorteilhaft oder unvorteilhaft sein kann. Im dritten Kapitel möchte ich auf den Artikel Philosophical models of teaching von Israel Scheffler zurückgreifen, um zu prüfen, inwiefern sein Konzept der Rationalität von kognitiven Theorien beeinflusst wurde und seine Vorstellung der Moral im alltäglichen Unterricht umsetzbar ist. Im vierten Kapitel werde ich in diesem Zusammenhang meine persönliche Erfahrung als Mittelschullehrer und einige Grundlagen der kommunikativen Didaktik zur Diskussion stellen.

1 Ausführung zur Rationalität

In seinen Schriften vertritt der griechische Philosoph Aristoteles die Meinung, dass der Mensch nicht nur ein ζώον πολιτικόν, d. h. ein politisches, sondern auch ein ζώον λογικόν, d. h. ein logisches Tier ist.[1] Unter dem Ausdruck λόγος verstanden die Griechen mehrere Dinge: Wort, Rede, Erzählung, aber auch Grund, Urteil, Erklärung. Aristoteles war davon überzeugt, dass die Fähigkeit rational zu denken bei den Menschen von ihrer Fähigkeit zu reden untrennbar ist. Tiere, die nicht sprechen können, sind nach seiner Auffassung nicht in der Lage, irgendetwas zu denken. Aufgrund dieser Beobachtung kommt Aristoteles zum Schluss, dass Sprache und rationales Denken Sondereigenschaften des im Bezug zum weiblichen überlegenen männlichen Geschlechtes sind, die diesem einen privilegierten Status in der Tierwelt verleihen. Sprache und rationales Denken bilden nach Aristoteles eine untrennbare Einheit, die man auch geistig auffassen kann, wenn wir seine Schriften über die Metaphysik näher betrachten.[2] Die Ursprünge dieses rationalen Denkens lagen nach Aristoteles in der Struktur der griechischen Sprache, die ausreichend über ontologische Kategorien berichten konnte: In diesem Zusammenhang bilden nach Aristoteles Sprachprädikate über die Qualität der Dinge, die Quantität, die Zeit, den Ort, die Relation usw. die Essenz des Wesens.[3]

Die Triftigkeit dieses Bildes wurde bis auf wenige Ausnahmen in der abendländischen Philosophie kaum umstritten:[4] Auf der einen Seite stand für viele Philosophen mit ihren vorgegebenen bzw. unveränderlichen Gesetze die Natur, auf der anderen Seite standen mit ihren verschiedenen vielfältigen Sitten und Gewohnheiten die Menschen. Dass unter Umständen auch die Menschheit Teil der Natur ist, ist ein Gedanken, der sich relativ spät in der abendländischen Philosophie eingebürgert hat, seitdem vor allem das Phänomen der Entropie in der Physik erfasst, formuliert und öffentlich diskutiert wurde.[5]

Dass der Begriff Rationalität nicht ausschliesslich auf logische Prozesse zurückzuführen ist, ist von den Anthropologen längst bekannt. Was in einer Kultur als berechtigt, richtig oder vernünftig gilt, kann, muss aber nicht unbedingt, logisch bzw. kalkuliert sein. Der lateinische Begriff Ratio enthält zum Beispiel zumindest ein Dutzend verschiedener Bedeutungen unter anderem solche wie Mass, Verhältnis, Vorteil, Norm, Zustand, Entscheidung, die nicht unter einer allgemeingültigen Bedeutung gebracht werden können.

Aus der Geschichte der Epistemologie wissen wir, dass Beweissysteme z. T. mit den Regeln der formalen Logik übereinstimmen können, aber nicht immer unbedingt müssen. Im ersten Buch der Rhetorik unterscheidet Aristoteles die έντεχνοι von den άττεχνοι πίστεις, das heisst die technischen von den nicht technischen Beweismitteln.[6] Unter den ersten erwähnt er solche Überzeugungsmittel wie das ένθύμημα und das παράδειγμα typisch der formalen Logik, die, weil nicht autonom, erfunden werden müssen. Unter den letzteren erwähnt er unter anderem die Gesetze, die Verträge, die Schwörungen und die Folter.[7] Die Art und Weise wie die Richter in der Moderne ihre Sträflinge folterten, um von Ihnen ein Geständnis zu erzwingen, war nicht gerade unlogisch, hatte aber gleichzeitig auch viel mit Emotionen zu tun, die zum Teil von einem vernünftigen Verfahren kaum zu trennen waren.[8]

Die Azteken waren hervorragende Astronomen: Sie konnten den Lauf der Sterne genau berechnen und ihre Kalender gelten noch heute als unüberwindlich. Wie lässt sich erklären, dass diese Zivilisation, trotz ihrer mathematischen Kenntnisse, das Rad nicht erfunden hat? Wenn wir den Worten ihrer Nachkommen vertrauen, müssen wir einige unserer Vorurteile ihnen gegenüber revidieren. Wer sich in den alten Bauwerken der Azteken umsieht, wird immer wieder auf Räder stossen. In ihrer Kultur symbolisierte aber das Rad den ewigen Kreislauf von Sonne und Mond und nach den Azteken war höchst verletzlich diese Planeten, auch rein symbolisch, zu missbrauchen, indem man die Last eines Wagens auf sie packte. Aus diesem Grund wollten die Azteken den Kosmos nicht instrumentell als Rad gebrauchen, was vor allem heutzutage nicht gerade für unvernünftig gehalten werden kann.[9]

Die Vorstellung, dass sich die Menschheit einzig und allein auf dem Weg der Vernunft weiterentwickeln kann, verbreitete sich in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Schriften von Norbert Elias über die Psychogenese und die Soziogenese des Staates. Im Vorwort zu seiner Studie Über den Prozess der Zivilisation von 1936[10] bezog sich Elias wörtlich auf den Teil der Wirtschaft und Gesellschaft, in der Max Weber die Frage nach der Entstehung des Staates gestellt hatte.[11]

Wie Weber schrieb, basiert jede Form eines „rationalen“ Staates in erster Linie auf dem rechtmässigen Gewaltmonopol: Ohne Gewalt würde dasselbe Konzept des Staates in sich zusammenbrechen. Für Elias jedoch setzte sich ein solches Monopol Schritt für Schritt mit dem Entstehen von Formen des psychischen Zwangs durch, die mit dem Erscheinen des modernen Individuums dessen Verhalten, seine Vorlieben und seine Gefühle radikal umstellen und ihn so von der mittelalterlichen Anarchie zu einem höheren Grad der Zivilisation führen würden. Die während des Ersten und Zweiten Weltkriegs begangenen Gräueltaten schienen den Vermutungen von Elias keineswegs Recht zu geben, und doch fanden seine Ideen einen breiten Konsens unter den Sozialwissenschaftlern der Nachkriegszeit, zumindest weil sie in irgendeiner Weise die in zwei Einflusssphären erfolgte Teilung der Welt, den Kalten Krieg und das Prinzip des Gleichgewichts des Schreckens, legitimierten.

Erst im Vorfeld der 68er- Bewegung werden die erwähnten Prinzipien vor allem in Europa von einigen namhaften Intellektuellen, wie den der Frankfurter Schule angehörenden Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse zur Diskussion gestellt. In seiner Abhandlung zur Kritik der instrumentellen Vernunft kritisierte Max Horkheimer diejenige subjektive Rationalität, die ausschliesslich die Mittel zum Zweck heiligt, ohne die Gesamtheit und die Komplexität der Realität zu berücksichtigen. Diese Rationalität ist nach Max Horkheimer kein immanentes Prinzip der Realität, sondern eine reine Fähigkeit des Geistes: Die subjektive instrumentelle Rationalität beruht auf der Berechnung der Wahrscheinlichkeit und führt die Mittel zum Zweck. Konzepte wie diejenigen der Gleichheit, Toleranz und Gerechtigkeit haben in der entzauberten Welt ihre intellektuellen Wurzeln verloren und die Vernunft wagt nicht, die Realität objektiv zu denken. Die subjektive Rationalität hat sich in dieser Art und Weise formalisiert und die Kunst habe in der industrialisierten Gesellschaft ihre ursprüngliche inkommensurable Bedeutung verloren.[12] In seinem Werk Der eindimensionale Mensch untersucht Herbert Marcuse die Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Nach seiner Auffassung unterliegt die aktuelle Wissenschaft einem technologischen a priori, das die Natur als potentielles Instrument für die Kontrolle und die Organisation der Materie behandelt. Das technologisches ist aber bei ihm auch ein politisches a priori und Herbert Marcuse ist der Meinung, dass die Transformation der Natur diejenige des Menschen mit sich bringt.[13]

[...]


[1] Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 1, Kapitel 6, Ditzingen, 1986.

[2] Aristoteles, Organon, Erste Analytiken, Buch 1, Kapitel 2; Meiner, 2001.

[3] Aristoteles, Die Kategorien, Buch 1, Kapitel 1, Ditzingen, 1998.

[4] Unter diesen Philosophen sind u. a. Giordano Bruno und Baruch Spinoza zu erwähnen.

[5] Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, UTB, Stuttgart, 2005.

[6] Aristoteles, The "Art" of Rhetoric, by John Henry Freese, Cambridge, Massachusetts, Harvard University Press, 1959, I, 1355 b 2, S. 14.

[7] Aristoteles, The "Art" of Rhetoric, Ebd., I, 1356a 8, S. 18.

[8] Michel Foucault, <<La maison des fous>>, Les criminels de paix. Recherches sur les intellectuels et leurs techniques comme préposés à l'oppression, publié sous la direction de F. Basaglia et Franca Basaglia Ongaro, PUF, Paris, 1980, S. 146-149.

[9] Xokonoschtletl, Was der Wind uns singt, Indianische Weisheiten über Feuer und Wind, S. 18.

[10] Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1976, S. lxxviii.

[11] Max Weber, Der rationale Staat als anstaltsmässiger Herrschaftsverband mit dem Monopol legitimer Gewaltsamkeit, Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie, Paragraph 2, Kap. IX.8, Paderborn, 2006.

[12] Max Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt a. Main, 1967.

[13] Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Frankfurt am Main, 1967.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Unterrichten im Zeichen der Rationalität - Kommentare zum Artikel "Philosophical Models of Teaching" von Israel Scheffler
Hochschule
Universität Zürich
Note
5
Autor
Jahr
2008
Seiten
15
Katalognummer
V117583
ISBN (eBook)
9783640200191
ISBN (Buch)
9783640205929
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Didaktik, Rationalität, Israel Scheffler
Arbeit zitieren
Giacomo Francini (Autor:in), 2008, Unterrichten im Zeichen der Rationalität - Kommentare zum Artikel "Philosophical Models of Teaching" von Israel Scheffler, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117583

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