Die Mondmotivik in der deutschsprachigen Lyrik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Insbesondere bei Johann Wolfgang von Goethe


Hausarbeit, 2004

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur deutschsprachigen Lyrik in den Jahren 1750–1785
Anakreontik
Empfindsamkeit
Sturm und Drang

3. Die Mondmotivik in der deutschsprachigen Lyrik des 18. Jahrhunderts

4. Die Mondmotivik bei Johann Wolfgang von Goethe in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
An den Mond (1768/1769)
4.2 An den Mond – Vergleich der ersten Fassung (1776-1778) mit der späteren (1788)

5. Fazit

6. Anhang

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im unbestimmten Mondlicht ist die Welt nicht mehr in hell und dunkel entzweit; die Konturen lösen sich auf und die Dinge verlieren ihre Gegenständlichkeit, ihr Entge-genstehen. Darum ist das Mondlicht zum Lieblingsmotiv einer Zeit geworden, die im Äußeren den Ausdruck des Inneren suchte.[1]

In der deutschsprachigen Lyrik ist das Motiv des Mondes ein auffallend häu-fig gewähltes Thema. Gerade im 18. Jahrhundert, und hier besonders in der zweiten Hälfte, findet sich eine Vielzahl von Gedichten, deren Verfasser sich der Darstellung des Mondes, des Mondscheins oder der Mondnacht annah-men; die Jahre zwischen 1770 und 1779 wurden vom Schriftsteller Jean Paul (1763-1825) gar als ‚Seleniten-Jahrzehnt’[2] bezeichnet.[3] Beginnend von der späten Aufklärung über die literarische Strömung der Empfindsamkeit bis zur Phase des Sturm und Drang ist diese Mondmotivik über die Jahre hinweg ei-ner Reihe von Wandlungen unterworfen.

Um diese Veränderungen aufzuzeigen, werde ich zunächst einen kur-zen Überblick über die Entwicklung der deutschen Lyrik zwischen den Jah-ren 1750 und 1785 geben und zu diesem Zweck die diesen Zeitraum bestim-menden literarischen Richtungen Anakreontik, Empfindsamkeit und Sturm und Drang kurz vorstellen.

Anhand einiger für die Lyrik dieser Zeit bedeutsamen Dichter möchte ich dann explizit auf die in diesen Jahren von ihnen behandelte Mondmotivik und deren unterschiedliche Darstellungen eingehen.

Dass sich die Ambivalenz in den Darstellungen des Mondes nicht nur im Vergleich der Werke verschiedener Dichter miteinander, sondern auch in der Nebeneinanderstellung von Gedichten, die von einer Person verfasst wor-den sind, zeigt, werde ich anhand einer Analyse des Gedichts An den Mond (veröffentlicht 1769), sowie der frühen und späten Fassung des gleichnami-gen Gedichts An den Mond (1776-1778 bzw. 1788) von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) darlegen. Die Mondgedichte von Goethe bieten sich nicht nur aufgrund dessen Ausnahmestellung in der deutschen Literatur an, sondern eignen sich auch deshalb als exemplarisches Beispiel, da in ihnen entscheidende Gehalts- und Formtendenzen der literarischen Strömungen sei-ner Zeit besonders vielfältig und nachdrücklich zum Ausdruck kommen.[4]

2. Zur deutschsprachigen Lyrik in den Jahren 1750–1785

Die deutsche Lyrik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird von drei Richtungen bestimmt: Anakreontik, Empfindsamkeit, sowie Sturm und Drang. Nicht immer lassen sich diese Begriffe klar voneinander abgrenzen; Berührungspunkte und Überschneidungen sind durchaus vorhanden. Ein Kennzeichen jedoch ist allen gemein: das Vordringen und die Durchsetzung des subjektiven Gefühls auf der Grundlage von subjektiven Erfahrungen.[5] Im Folgenden werde ich einen kurzen Überblick über jede der drei literarischen Strömungen geben.

Anakreontik

Vorbild für die literarische Richtung der Anakreontik sind die im Hellenis-mus entstandenen Anakreonteen, reimlose Oden u. a. von Anakreon und Ho-raz, die ihre Motive aus der Freude an der Welt und am Leben entnahmen. Im 16. Jahrhundert entsteht die anakreontische Dichtung zunächst in Frankreich und findet bis zum frühen 18. Jahrhundert auch in Deutschland statt, kommt hier jedoch über ein Vorläuferstadium und reine äußere Nachahmung nicht hinaus. Erst gegen 1740 ermöglicht ein neues Lebens- und Weltgefühl in Deutschland eine Dichtung, in der nicht nur formal und thematisch nachge-ahmt, sondern das von Horaz geprägte ‚Carpe diem!’[6] literarisch gestaltet wird.[7]

Unter Rückgriff auf antike Idyllik[8] wird eine begrenzte Anzahl von Themen (Liebe, Wein, Natur, Freundschaft, Geselligkeit, das Dichten) vari-iert. Die amöne Landschaft[9] „mit ihren Wiesen, Hainen, Bächen, Quellen, Grotten, Hütten und Büschen im Sonnenschein oder in hellen Mond-nächten“[10] ist Schauplatz der anmutig stilisierten Liebes- und Naturlyrik.

Friedrich von Hagedorn, der das für die Anakreontik als programma-tisch geltende Gedicht Anakreon verfasste, folgen Dichter, die sich in Freundeskreisen zusammenfinden und sich gegenseitig ihre Gedichte vortra-gen. Solche Kreise entstehen u. a. in Darmstadt (unter zeitweiliger Mitwir-kung von Goethe) sowie in Bremen und Leipzig (mit Friedrich Gottlieb Klopstock als Gast). Als bekanntester dieser Freundschaftskreise gilt jedoch der ‚Göttinger Hain’, der auch in der Phase der Empfindsamkeit eine bedeu-tende Rolle spielt.[11]

Empfindsamkeit

Beeinflusst vor allem von englischen Autoren[12] wie Edward Young (und des-sen schwermütigem Werk Night-Thoughts) entwickelt sich ab ca. 1750 eine literarische Strömung, in der das Gefühlsempfinden in den Mittelpunkt dich-terischer Aussagen rückt.[13] Kennzeichen dieser sentimentalen Lyrik voll idyl-lisch-heiterer sowie elegisch-düsterer Stimmungen und Reflexionen sind ein neu entdecktes Naturgefühl und ein neuer, differenzierter und nuancenrei-cher Wortschatz. Durch neue Metaphern und Bildkomplexe wird die Spra-che um eine irrationale Komponente bereichert.[14]

Entgegen früherer Meinungen, die die Empfindsamkeit in Opposition zur rationalistischen Vernunft der Aufklärung sahen, gilt die Richtung heute als eine nach innen gewendete Aufklärung,

die versuche, […] sich zur Erlangung moralischer Zufriedenheit (als höchstem Zweck) der Leitung der ‚guten Affekte’ (Sympathie, Freundschaft, [Menschen]-Liebe, Mitleid, ‚vermischte’ d. h. zärtl.-moral. Empfindungen) zu überlassen.[15]

Literarisch relevant und zum Zentrum sentimentaler Lyrik wird vor allem der bereits erwähnte ‚Göttinger Hain’, ein Dichter- und Freundesbund, der im September 1772 unter anderem von Ludwig Christian Hölty, Johann Heinrich Voß und Johann Martin Miller gegründet wird, und dem später der wegen seiner ‚Gefühlssprache des Erhabenen’ zu einem der wichtigsten Vertreter der Empfindsamkeit gewordene Klopstock beitritt.

Neben dessen antikisierenden Oden, die viele Nachahmer finden,[16] sind vor allem die sich zum Teil mit der Anakreontik berührenden „idyllisch-hei-teren, einem empfindsamen Natur- und Freundschaftsgenuß huldigenden Dichtungen“[17] wie von Johann Peter Uz, Salomon Geßner oder Hölty stil-prägend für diese literarische Richtung. Als Höhepunkt der empfindsamen Dichtung gilt Goethes Die Leiden des jungen Werther (1772/1774), eine zeit-typische Schilderung des individuellen Gefühlserlebens.[18]

Sturm und Drang

Gegen Mitte der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts kommt in Deutschland eine geistige Bewegung[19] auf, die sich gegen die Einseitigkeiten der Aufklä-rung, ihren Rationalismus und ihre Regelgläubigkeit, sowie gegen die ‚unna-türliche’ Gesellschaftsordnung mit ihren Ständeschranken und erstarrten Konventionen richtet. Ins Zentrum rücken nun die Selbsterfahrung und Be-freiung des Individuums als leib-seelischer Ganzheit,[20] „gegenüber dem Ver-stand wird nun besonders der Wert des Gefühls, der Sinnlichkeit und der Spontaneität betont. Damit verbunden ist eine neue Erfahrung und Wertung der Natur […].“[21] Auf die Lyrik dieser Zeit übertragen, werden unter ‚Sturm und Drang’ solche Gedichte zusammengefasst, die „sowohl gesellschaftli-chen Protest als auch subjektiven Ausdruckswillen in den Vordergrund rük-ken und so bisherigen Traditionen und Konventionen widerspchen.“[22] Daneben jedoch löst sich im Sturm und Drang die Lyrik auch zum ersten Mal aus ihrem gesellschaftlichen Bezug und wird zum Ausdruck persönlichen Erlebens.

Seinen Anfang nimmt der literarische Sturm und Drang mit einer Be-gegnung zwischen Goethe und Johann Gottfried Herder im Jahre 1770. Goe-thes Sesenheimer Lieder bedeuten für die lyrische Gattung einen Durch-bruch, da sie spontanes Gefühl und intensives Naturerlebnis in einer einfach scheinenden Sprache ausdrücken:[23]

Gemeinsames Kennzeichen der Goetheschen Sturm- und Drang-Lyrik ist der unmit-telbare Gefühlsausdruck, zumeist des Liebes- und Naturerlebens, in einer unkonven-tionellen, oft volksliedhaft schlichten oder – wie in den freien Rhythmen – kühn über-steigernden Sprache. Auf diese Weise gewann die deutsche Lyrik völlig neue Ausdrucksweisen.[24]

3. Die Mondmotivik in der deutschsprachigen Lyrik des 18. Jahrhunderts

In ihren Motiven der Weltliteratur beschreibt Frenzel, warum Naturer-scheinungen so häufig als Gegenstand lyrischer Dichtung gewählt werden:

Der Mensch hat von jeher versucht, die ihm fremden und unverständlichen Naturkräf-te, von denen er sich im Guten oder Bösen abhängig fühlte, zu beseelen und in einen Zusammenhang mit der eigenen Existenz zu bringen. Sie besitzen für ihn eine emoti-onsweckende Qualität, die als Grundlage für die poetische Behandlung von Naturele-menten angesehen werden kann.[25]

[...]


[1] Spinner: Der Mond in der deutschen Dichtung, S. 10.

[2] Selene (griechisch: Mond).

[3] Vgl. Spinner: Der Mond in der deutschen Dichtung, S. 18.

[4] Vgl. Sowinski, Schuster: Gedichte der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, S. 19.

[5] Vgl. ebd., S. 9.

[6] Lat. ‚Nutze den Tag!’.

[7] Vgl. Metzler-Literatur-Lexikon, S. 13.

[8] Vgl. Sowinski, Schuster: Gedichte der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, S. 11.

[9] Vgl. Metzler-Literatur-Lexikon, S. 13.

[10] Sowinski, Schuster: Gedichte der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, S. 11.

[11] Vgl. ebd., S. 11-12.

[12] Das Wort ‚sentimental’ in Laurence Sternes Werk A Sentimental Journey, in dem die Tendenzen dieser literarischen Strömung zusammengefasst wurden, wurde mit seiner deutschen Übersetzung ‚empfindsam’ zum Namensgeber der ‚Empfindsamkeit’. Vgl. Metzler-Literatur-Lexikon, S. 122.

[13] Vgl. Sowinski, Schuster: Gedichte der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, S. 13.

[14] Vgl. Metzler-Literatur-Lexikon, S. 122.

[15] Ebd., S.122.

[16] Vgl. Sowinski, Schuster: Gedichte der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, S. 13.

[17] Metzler-Literatur-Lexikon, S. 122.

[18] Vgl. ebd., S. 122.

[19] Ihren Namen erhält die geistige und literarische Bewegung vom Titel eines Schauspiels von Friedrich Maximilian Klinger, Sturm und Drang aus dem Jahre 1777. Vgl. Metzler-Literatur-Lexikon, S. 448.

[20] Vgl. ebd., S. 448.

[21] Ebd., S. 448.

[22] Sowinski, Schuster: Gedichte der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, S. 14.

[23] Vgl. Metzler-Literatur-Lexikon, S. 449.

[24] Sowinski, Schuster: Gedichte der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, S. 15.

[25] Frenzel: Motive der Weltliteratur, S. 548.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Mondmotivik in der deutschsprachigen Lyrik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
Untertitel
Insbesondere bei Johann Wolfgang von Goethe
Hochschule
Universität zu Köln  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Einführung in die Neuere Deutsche Literaturwissenschaft
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V117496
ISBN (eBook)
9783640198085
ISBN (Buch)
9783640198122
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mondmotivik, Lyrik, Hälfte, Jahrhunderts, Einführung, Neuere, Deutsche, Literaturwissenschaft
Arbeit zitieren
Florian Steinacker (Autor:in), 2004, Die Mondmotivik in der deutschsprachigen Lyrik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117496

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