Aspekte zur Förderung der Kreativität im Unterricht

2. Auflage


Fachbuch, 2015

112 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

1. Allgemeine Einführung zum Thema „Kreativität“
1.1 Terminologische Gesichtspunkte zur Kreativität
1.1.1 Definitionsversuche
1.1.2 Kreativität als pädagogischer Arbeitsbegriff
1.2 Aspekte der Kreativität
1.2.1 Die kreative Persönlichkeit
1.2.2 Der kreative Prozess
1.2.3 Das kreative Produkt

2. Aspekte zur Kreativitätsförderung im Unterricht
2.1 Motivation und Kreativität
2.1.1 Zum Begriff „Motivation“
2.1.2 Motivationale Gesichtspunkte und Kreativität
2.2 Kreativität und Erziehungsstile
2.2.1 Kennzeichnung der Erziehungsstile
2.2.2 Auswirkungen des Unterrichts auf kreatives Verhalten
2.3. Kreativitätsförderung in Gruppen
2.3.1 Zum Begriff „Gruppe“
2.3.2 Zur Förderung der Kreativität in Gruppen
2.4 Kreativitätsförderung und spielerisches Lernen
2.5 Gesellschaftlich-kulturelle Einflüsse

3. Kreativitätsförderung und Offener Unterricht
3.1 Kennzeichnung und Formen offenen Unterrichts
3.1.1. Geschlossene und offene Lernformen
3.1.2 Dimenionen der Offenheit
3.2 Förderung der Kreativität in einer „Themenbezogenen Freien Unterrichtsarbeit“
3.3 Kreativitätsförderung im Projektunterricht
3.3.1 Das Projekt – Begriff und Merkmale
3.3.2 Zur Kreativitätsförderung in den Projektphasen

Literatur

Sachregister

Glossar

Der Autor

Vorwort

Bereits in der Vorkriegszeit erschienen in Deutschland Abhandlungen zum „produktiven Denken“ (Wertheimer 1925, Duncker 1935).

In größerem Umfang wurden psychologische Forschungen zur Kreativität nach dem 2. Weltkrieg in den Vereinigten Staaten von Amerika durchge-führt. Der im Jahre 1950 von Guilford vor der „Amerikanischen Psycholo-gischen Gesellschaft“ gehaltene Vortrag mit dem Titel „Creativity“ hat die experimentelle Forschung dieses Gebiets besonders angeregt. Die in Deutschland entwickelten denktheoretischen Ansätze (Wertheimer u. a.) fanden bei den amerikanischen Forschern relativ wenig Beachtung.

Als auslösende Momente für die Intensivierung der amerikanischen Kreativitätsforschung in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts können vor allem politische Gründe wie das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion, aber auch ökonomische Interessen (beispielsweise die Suche nach neuen Wegen zur Verbesserung der Produkte, der Weiterentwicklung von Technologien zu deren Herstellung oder der Bedarf an qualifizierten „kreativen“ Führungskräften) angenommen werden.

Eine „Erziehung zur Kreativität“ ist heute immanenter Bestandteil des Bildungsauftrages der Institution „Schule“. In einer Welt ständiger tech-nischer Weiterentwicklungen kommt der Förderung von kreativen Verhal-tensweisen eine besondere Bedeutung zu. Es besteht eine Dependenz zwi-schen der fortschreitenden Automation und der damit verbundenen Ab-nahme reproduktiver Tätigkeiten des Menschen und einer erhöhten Nach-frage nach schöpferischen Qualitäten. Die zukünftige Entwicklung der be-ruflichen Situation wird durch eine Reduktion standardisierter Arbeits-vollzüge auf der einen und durch einen vermehrten Bedarf an kreativen Fähigkeiten auf der anderen Seite gekennzeichnet sein.

Auch im privaten Bereich, beispielsweise im Hinblick auf eine sinnvolle Freizeitgestaltung oder bezüglich der Bewältigung von Alltagsproblemen, ist eine Förderung kreativer Potenziale im Menschen sinnvoll. Wenn bei Schülern kreativitätsrelevante Fähigkeiten wie „Flexibilität“, „Originalität“, „Spontaneität“ oder „Sensitivität“ gefördert werden, so kann das gerade im Hinblick auf eine Lösung von künftigen gesellschaftlichen Problemen hilfreich sein.

In der pädagogischen Literatur finden vor allem die im amerikanischen Raum entwickelten Kreativitätstheorien Beachtung. Auch in der Unter-richtspraxis an den Schulen kommen nicht selten die ursprünglich für den wirt-schaftlichen Bereich konzipierten „Techniken“ zur Stimulation und Förde-rung kreativer Verhaltensweisen zur Anwendung, so beispielsweise die Methode des „Brainstorming“ von A. F. Osborn.

Nach einer allgemeinen Einführung in das Gebiet der „Kreativität“ und der Darstellung der wesentlichsten Aspekte einer Förderung der Kreativität im Unterricht wird kritisch reflektiert, ob es möglich ist, den Unterricht so zu organisieren, dass empirische Ergebnisse der psychologischen Kreativitätsforschung durch Anwendung bestimmter Techniken in die schulpädagogische Praxis Eingang finden können.

Im abschließenden Teil werden exemplarisch Möglichkeiten aufgezeigt, wie in einer offenen Unterrichtsgestaltung kreatives Potenzial bei Schülern evoziert werden kann.

Die vorliegende Schrift stellt eine überarbeitete und erweiterte Fassung der im Jahre 1977 bei der Julius-Maximilians-Universität Würzburg einge-reichten Diplom-Arbeit mit dem Thema „Aspekte eines kreativitäts-orientierten Unterrichts“ dar. Dabei wurden die in der Diplom-Arbeit aus-führlich erörterten wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkte zur Thema-tik stark gekürzt bzw. verschiedene Passagen ganz weggelassen. Da es ein Ziel dieser Arbeit ist, praktische Umsetzungsmöglichkeiten zur Förderung kreativen Verhaltens aufzuzeigen, wurde das Kapitel „Kreativitätsför-derung und offener Unterricht“ hinzugefügt. Einige Textabschnitte fol-gender Veröffentlichungen des Verfassers zum Themenbereich „Kreati-vitätsförderung in offenen Lernsituationen“ wurden wörtlich oder sinn-gemäß übernommen:

- Aspekte der Kreativitätsförderung in Grund- und Hauptschulen. In: „unterrichten/erziehen“ („u/e“) Nr. 2/1986. S. 7-14.
- Kreativitätsforschung. In: „unterrichten/erziehen“ („u/e“) Nr. 2/1986. S. 59-61.
- Projektorientierter Grundschulunterricht. In: Lehrerjournal-Grund-schulmagazin Nr. 5/1988. S. 2-5.
- Offener Unterricht. In: Lehrerjournal-Grundschulmagazin Nr.7-8/1989. S. 2-7.
- Von geschlossenen zu offenen Lernformen. In: Lehrerjournal-Grund-schulmagazin Nr. 2/1991. S. 4-7.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Allgemeine Einführung zum Thema „Kreativität“

Kreativität als sehr komplexes Phänomen wird in der erziehungswissen-schaftlichen Literatur häufig unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen (schöp-ferisches Gestalten, kognitives Problemlösen etc.) zugeordnet. Auch eine begriffliche Übereinstimmung ist bei den verschiedenen Autoren nicht immer vorhanden. Vor der Thematisierung der Grenzen und Möglichkeiten einer Kreativitätsförderung im Unterricht ist deshalb eine grundlegende Beschäftigung mit der Kreativität erforderlich.

1.1 Terminologische Gesichtspunkte zur Kreativität

Die etymologische Analyse des Fachbegriffs „Kreativität“ ergibt eine Ableitung aus dem lateinischen Wort „creare“, das im Allgemeinen mit „schaffen“, „erschaffen“, „erzeugen“ und auch mit „verursachen“ oder „gebären“ übersetzt werden kann. Eine Wortverwandtschaft besteht auch zum lateinischen „crescere“, was „wachsen“ bedeutet (vgl. Heinelt 1975, S. 20). Umgangssprachlich werden heute Begriffe aus der Wortfamilie „Kreativität“ verwendet, so beispielsweise „Kreatur“, „kreieren“ oder „Kreation“.

Während in der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments das „Er-schaffen“ etymologisch als ein „Erschaffen aus dem Nichts“ gedeutet wird, ist im menschlichen Bereich eine „creatio ex nihilo“ nicht möglich. Kreativität bezieht sich hier auf etwas immer schon in der Realität Vorhandenes, das zu etwas Originellem oder Neuem umgestaltet wird.

F. Barron schreibt zur menschlichen Kreativität: „Creativity may be defined, quite simply, as the ability to bring something new into existence. The archetype of the creator ist the Divine Being. (…) But in the divine creative act something is made to exist where nothing existed before. Since human beings are not able to make something out of nothing, the human act of creation always involves a reshaping of given materials, wether physical or mental” (Barron 1969, S. 10).

Der 1950 von Joy Paul Guilford in seinem Vortrag verwendete und in der wissenschaftlichen Forschung eingeführte Terminus „creativity“ wird heute von den meisten Autoren nicht einfach mit „das Schöpferische“ bzw. mit „schöpferisches Denken“ oder mit „schöpferisches Verhalten“ über-setzt, da diesen im deutschen Sprachraum eingeführten Begriffen aufgrund des philosophischen Hintergrunds häufig ein anderer Bedeutungsinhalt zuerkannt wird. So wurde beispielsweise in der reformpädagogischen Bewegung die „Entfaltung schöpferischer Kräfte im Menschen“ mit vorwiegend künstlerischen Tätigkeiten in Verbindung gebracht (vgl. Götze 1898, Hartlaub 1922, Jöde 1928).

„Kreativität“ wird in verschiedenen Publikationen umschrieben mit Begriffen wie „produktives Denken“ (Wertheimer), „divergierendes Denken“ (Guilford), „Flexibilität“, „Spontaneität“, „Imagination“ (Osborn) oder „Erfindungsgabe“; teilweise werden solche Begriffe auch synonym verwendet.

„Kreativität“ bezieht sich nicht nur auf kognitive bzw. intellektuelle Fähigkeiten, sondern schließt alle menschlichen Tätigkeitsbereiche wie musisch-künstlerische, literarische, oder wissenschaftliche mit ein. So beinhaltet Kreativität auch die Dimension der Sinnesmodalitäten. Es können auch kreative Leistungen akustischer, visueller oder kinästhetischer Art vollbracht werden. Beispielsweise definiert Schoder (1975, S. 194) die „motorische Kreativität“ als Fähigkeit „mit dem vorhandenen Bewegungs-repertoire neue und originelle Bewegungsformen oder Bewegungskom-binationen hervorzubringen.“ Einseitige Interpretationsversuche wie die weitgehende Gleichsetzung des von Guilford in seiner Theorie des menschlichen Intellekts entwickelten Begriffs „divergentes Denken“ mit „Kreativität“ ist daher zu kritisieren.

1.1.1 Definitionsversuche

Um die Komplexität des Phänomens „Kreativität“ transparenter zu machen und seine „Vielschichtigkeit“ und „Vieldeutigkeit“ aufzuzeigen, soll eine Auswahl wesentlicher Aspekte von Kreativität, die in den ver-schiedenen Definitions- und Interpretationsversuchen enthalten sind, aufgezeigt werden.

Als kennzeichnendes Merkmal von Kreativität wird von vielen Autoren (Stein 1953, Jackson/Messick 1964, Mednick 1964, Maddi 1964, Barron 1967 u. a.) „ Neuheit “ genannt. Auch John E. Drevdahl (1956) hebt in der für seine praktischen Untersuchungen konstruierten Definition die „Neuheit von System- und Kombinationsbildung“ aus bekannten Informationen, den Transfer bekannter Beziehungen auf neue Situationen und die „Bildung neuer Korrelate“ hervor; daneben betont er die Intentionalität und Zielgerichtetheit: „Kreativität ist die Fähigkeit des Menschen, Denker-gebnisse beliebiger Art hervorzubringen, die im Wesentlichen neu sind und demjenigen, der sie hervorgebracht hat, vorher unbekannt waren. Es kann sich dabei um Imagination oder um eine Gedankensynthese, die mehr als eine bloße Zusammenfassung ist, handeln. Kreativität kann die Bildung neuer Systeme und neuer Kombinationen aus bekannten Informationen involvieren sowie die Übertragung bekannter Beziehungen auf neue Situationen und die Bildung neuer Korrelate. Eine kreative Tätigkeit muss absichtlich und zielgerichtet sein, nicht nutzlos und phantastisch (…)“ (Drevdahl 1956, S. 22).

M. Mead betont den subjektiven Charakter der Neuheit: „In dem Maße, als eine Person etwas für sie selbst Neues macht, erfindet, ausdenkt, kann man sagen, dass sie einen kreativen Akt vollbracht hat. So gesehen, vollbringt das Kind, das im zwanzigsten Jahrhundert für sich entdeckt, dass im rechtwinkligen Dreieck die Summe der Quadrate über den Katheten gleich dem Quadrat über der Hypotenuse ist, einen ebenso kreativen Akt wie Pythagoras, obwohl die Folgen dieser Entdeckung für die Kultur-tradition gleich Null sind, da der Satz bereits Bestandteil der Geometrie ist“ (Mead, zit. nach Heinelt 1975, S. 22 f.).

L. Schenk-Danziger berücksichtigt bei ihrem Interpretationsversuch den Zusammenhang zwischen Informationsmenge und Kreativität: „Diver-gente Denkabläufe vollziehen sich nicht in ausgefahrenen Bahnen, sondern stützen sich nur auf ein Minimum an übernommenen Informationen (…)“ (Schenk-Danziger 1977, S. 122). Zwar kann in bestimmten Unterrichts-situationen beobachtet werden, dass Schüler unter Umständen originellere Lösungswege beschreiten, einen stringenten kausalen Zusammenhang zwischen dargebotener Informationsmenge und dem kreativen Verhalten abzuleiten, scheint aber problematisch zu sein.

Für einige Forscher ist „ Offenheit “ ein wesentliches Persönlichkeits-merkmal kreativer Menschen. Neben „inneren Wertmaßstäben“ und der „Fähigkeit, mit Elementen und Komponenten zu spielen, nennt C. R. Rogers die „Offenheit gegenüber der Umwelt“ als Voraussetzung für kreatives Verhalten (vgl. Landau 1971, S. 86). Das Fehlen von Offenheit bedeutet für P. M. Kastner ein „Sich-Beschränken auf vorhandene Informationen und damit ein Denken in gewohnten und ausgefahrenen Geleisen“ (Kastner 1973, S. 30).

Für Erika Landau ist Kreativität ein dynamischer Prozess. Im Gegen-satz zur Intelligenz, die eine Adaption des Erlernten an situative Gege-benheiten ermöglicht, sei Kreativität die Fähigkeit, „Beziehungen zwischen vorher unbezogenen Erfahrungen zu finden, die sich in der Form neuer Denkschemata als neue Erfahrungen, Ideen oder Produkte ergeben“ (Landau 1971, S. 10).

Die „ Suche nach Wahrheit “ wird als weiteres Wesensmerkmal von Kreativität gesehen. So stellt E. P. Torrance in seinem Artikel „Die Pflege schöpferischer Begabung“ (in: Mühle/Schell 1973, S. 193) fest: „Da das eigentliche Wesen der Kreativität die ‚Suche nach Wahrheit’ ist, ist es wichtig, dass sich eine Reihe von Seminaren mit der Entwicklung der Grundbegriffe und Methoden der Wahrheitssuche beschäftigt. Ohne diese Fähigkeit wird es dem kreativen Denken an Tiefe fehlen.“

M. Wertheimer (1964, S. 221) vertritt eine ähnliche Auffassung; er präzisiert in seinen Ausführungen über das „ produktive Denken”, dass produktive Denkvorgänge gekennzeichnet sind durch die Suche nach „struktureller Wahrheit“, an der „der ganze Mensch beteiligt sein müsse, die kognitive Seite ebenso wie die affektive und motivationale. Die Beziehung zum Gegenstand, der erforscht werden soll, ist zu vergleichen mit einer Identifikation besonderer Art“ (vgl. Heinelt 1975, S. 27).

W. Metzger, ein deutscher Vertreter der Gestaltpsychologie, bezeichnet das Phänomen des Kreativen als „ schöpferische Freiheit “: „Das Wesen des Schöpferischen besteht in einer besonderen Art von Freiheit. Unter schöpferischer Freiheit soll sinngemäß nur verstanden werden: das Freisein von Hindernissen, die das Verfehlen eines Zieles äußerlich unmöglich machen sollen; dazu das Freisein von äußeren Kräften, die auf ein Ziel hinstoßen oder zu ihm hinlocken, ohne aus ihm selbst zu stammen (…).

Jede im Hinblick auf das Ziel frei vollzogene Lösung, auch der kleinsten und unscheinbarsten Aufgabe, ist demnach zugleich eine Erfindung im eigentlichen Sinne des Wortes. Hierin besteht das im echten Sinne Schöpferische des vom Ziel selbst gesteuerten und in Gang gehaltenen, in diesem Sinne also freien Vorgehens“ (Metzger 1964, S. 77 ff.). Diese Definition impliziert u. a., dass das „frei“ gewählte Beschreiten eines Lösungsweges sich ausschließlich an den sachstrukturellen Gesetzen eines Gegenstandes zu orientieren habe.

Von G. Wollschläger (1972, S. 11 f.) wurde für die pädagogische Praxis in einer Wuppertaler Modellschule, in der die Kinder auf die „soziale Realität der zwischenmenschlichen Beziehungen und Probleme“ vorbereitet werden sollten, eine Definition von Kreativität entwickelt, in der der gesellschaftliche Aspekt in den Vordergrund gestellt wird: „Kreativität ist die Fähigkeit, neue Zusammenhänge aufzuzeigen, bestehende Normen sinnvoll zu verändern und damit zur allgemeinen Problemlösung in der gesellschaftlichen Realität beizutragen.“

Verschiedene Autoren (Guilford 1956, Golann 1963 u. a.) haben sich mit der Beziehung von „ IntelligenzundKreativität “ auseinandergesetzt. Untersuchungsergebnisse zeigen, dass Kreativität und Intelligenz im Allge-meinen niedrig miteinander korrelieren (Cline et al. 1962 u. a.). Hohe Intelligenz bedingt nicht zwingend Kreativität (Getzels und Jackson 1962); Kreativität ist jedoch von einer gewissen Intelligenzhöhe abhängig (vgl. Landau 1971, S. 49). Während „Intelligenz“ als „allgemeine geistige Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des Lebens“ definiert werden kann (vgl. Stern 1912, S. 3) oder als „Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen“ interpretiert werden kann (vgl. Wechsler 1956, S. 13), wird „Kreativität“ im Allgemeinen als eine Ergänzung und Erweiterung des Intelligenzbegriffs verstanden (vgl. Landau 1971, S. 49). Zur Erfassung der Kreativität sind deshalb die herkömmlichen Intelligenztests nicht geeignet (Ulmann 1970 u. a.). Nach Landau (1971, S.7 f.) baut Kreativität auf Intelligenz auf. Sie erweitert diese durch neue „Beziehungen zwischen den Informationen“. Während Intelligenz ein „Anpassen des Gelernten an verschiedene Situationen“ ermöglicht, also über „konvergentes Denken“ zur „richtigen“ Antwort führen soll, ist Kreativität „Aktualisierung, Verwirklichung der poten-ziellen Möglichkeiten.“ Über „divergentes Denken“ strebt Kreativität „auf mehrere Antworten hin“ (vgl. Landau 1971, S. 7 f.).

Bereits durch diese kleine Auswahl an Definitions- und Interpretations-versuchen wird verdeutlicht, dass das Phänomen „Kreativität“ definitorisch nicht eindeutig zu erfassen ist. Meist werden in den Definitionen nur Teilaspekte betont, welche Aussagen über die kreative Persönlichkeit, den kreativen Prozess oder das kreative Produkt enthalten; auch wird versucht, innerhalb bestimmter Bereiche (künstlerischer Bereich, Sozialbereich, Produktionsbereich etc.) das Phänomen zu deuten. Schwierigkeiten zeigen sich ebenfalls hinsichtlich einer eindeutigen Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen wie „Problemlösung“ und „Entdeckendes Lernen“.

Man kann Kreativität als einen „Arbeitsbegriff“ verstehen, der in der experimentellen Forschung „immer wieder einen neuen Sinn erhält“ (vgl. Ulmann 1970, S. 13). Dieses Vorgehen resultiert meist aus der Absicht, einen für die Praxis brauchbaren operationalen Begriff zu erhalten; für solche pragmatischen Zielsetzungen gehen nicht selten in diese Defi-nitionen bestimmte Wertvorstellungen als Implikationen mit ein. Eine einseitige begriffliche Interpretation kann aber die Gefahr in sich bergen, die ideologische Grundlage für gesellschaftliche Normorientierungen zu liefern. Als Beispiel sei hier auf das in unserer Gesellschaft allgemein anerkannte und geforderte Leistungsprinzip, das vor allem auf Nützlich-keitserwägungen und ökonomischen Interessen ausgerichtet ist, verwiesen.

Gottfried Heinelt (1975, S. 155) erhebt die Frage, ob nicht Kreativität eine „metapsychologische Kategorie“ darstelle, der man – da sie eine „offene Frage“ bleibe – mit „Offenheit begegnen solle.

1.1.2 Kreativität als pädagogischer Arbeitsbegriff ¹

Sieht man von Schenk-Danzigers Hypothese über den Zusammenhang von gegebener Informationsmenge und Kreativität ab, so sind aus den bisherigen Ausführungen über das Wesen der Kreativität relativ wenig praxisrelevante Hinweise für eine Förderung der Kreativität im Unterricht zu entnehmen.

Einen im Hinblick auf die Praxis der Kreativitätsförderung interessanten Beitrag zur Begriffsbestimmung leistet Karl-Heinz Flechsig (1972, S. 198 ff.). Seiner Kreativitätsdefinition können Folgerungen für eine unterrichts-praktische Umsetzung entnommen werden. Flechsig versucht, den Termi-nus „Kreativität“ durch Berücksichtigung von acht Dimensionen genauer zu bestimmen (s. Abb. 1):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1

(vgl. Gerr 2/1986, S. 9)

- Anthropologische Dimension: Rezeptivität – Spontaneität

Rezeptivität und Spontaneität kennzeichnen die anthropologische Dimension. Die beiden Begriffe wurden wegen ihrer „System-unabhängigkeit“ von Schleiermacher übernommen. Der Mensch ist aufgrund seiner „Weltoffenheit“ (Portmann) und seiner „Plastizität der Anlagen“ nicht nur zur Adaption an vorgegebene Verhaltens-muster fähig, sondern besitzt auch prinzipiell die Fähigkeit, auf die Umwelt verändernd einzuwirken und „neue Verhaltensweisen zu entwickeln“ (vgl. S. 198). Für die Praxis der Kreativitätsförderung in den Schulen bedeutet die Berücksichtigung der anthropologischen Dimension, die Schüler zu spontanem Denken und Handeln anzu-regen. Überwiegend darbietende Unterrichtsformen, bei denen von den Schülern vorwiegend ein Nachvollziehen von Gedankengängen und Tätigkeiten erwartet wird, sollten eingeschränkt werden.

- Kulturtheoretische Dimension: Tradition – Innovation

Kreativität besitzt auch eine kulturelle Bedeutung. Durch kreatives Verhalten kann es zur Weiterentwicklung von Traditionen kommen; durch Innovationen können auch Traditionen verdrängt werden (vgl. S. 198). Überträgt man diese Dimension auf schulische Situationen,

so ist im Hinblick auf eine Kreativitätsförderung eine Weiterent-wicklung bzw. eine Einschränkung von traditionellen Unterrichts-praktiken zu fordern. Beispielsweise sollte in bestimmten Situationen der Frontalunterricht zugunsten der gruppenpädagogischen Arbeit oder die relativ strenge Strukturierung des lernorientierten Unter-richts zugunsten freier Vorgehensweisen in einem mehr offenen Unterricht aufgegeben werden.

- Sozialpsychologische Dimension: Konformität – Nonkonformität

Bezüglich bestimmter Gruppennormen, die als „Ausdruck sozialer Konformität“ interpretiert werden können, wird kreatives Verhalten häufig als ein „Abweichen vom rechten Weg“ aufgefasst und kreative Menschen in Außenseiterrollen gedrängt, oft auch Sanktio-nen unterworfen (vgl. S. 199). Der kreativitätsfördernde Lehrer oder die Lehrerin wird deshalb versuchen, den Konformitätsdruck auf ein Minimum zu reduzieren und nonkonformes (abweichendes) Schülerverhalten tolerieren. In diesem Zusammenhang stellt sich für Lehrkräfte unter anderem die Aufgabe, freiheitliche Unterrichts-bedingungen zu schaffen (Ermöglichung der Wahl neuer Lösungs-wege, Ausprobieren anderer Arbeitstechniken etc.) und für eine gute Klassenatmosphäre Sorge zu tragen (gegenseitiges Akzeptieren der Schüler, Hilfen beim Abbau von Ängsten etc.). Wesentlich sind auch die bewusste Anregung der Schüler zur Suche nach neuen Ideen und zu ungewohnten Verhaltensweisen sowie die Ermun-terung zum Explorieren und Ausprobieren. Von Bedeutung im Zu-sammenhang mit der Förderung nonkonformen Verhaltens ist ebenfalls das bewusste Zugeständnis an die Schüler, Fehler begehen zu können.

- Ethische Dimension: Regel – Freiheit

Autonomie und Selbstverwirklichung werden häufig in gegen-sätzlicher Position zu Werten wie Gehorsam, Zucht und Pflicht dar-gestellt. Auch kreatives Verhalten wird dem „sittlichen Urteil“ unterworfen. Es ist „evident, dass Kreativität vom Ethos der Freiheit in stärkerem Maße gerechtfertigt wird als vom Ethos der Regel“ (vgl. Flechsig 1972, S. 199). Will man in der Schule Kreativität fördern,

so ist darauf zu achten, dass den Schülerinnen und Schülern ein Raum für eigene Entscheidungen gewährt wird. In dem Maße, in dem sittliche Zwänge einen geringeren Stellenwert besitzen (Zurücknahme von Fremdbestimmung etc.), wird Schülern die Möglichkeit zum autonomen Handeln und zur Verwirklichung eigener Ideen gegeben. Für eine Kreativitätsförderung ist deshalb eine nicht autoritäre Lernumgebung von Bedeutung.

- Kognitive Dimension: konvergierenden – divergierendes Denken

Die beiden gegenübergestellten Begriffe wurden von K.-H. Flechsig aus Guilfords theoretischem Strukturmodell des Intellekts über-nommen. Während „divergierendes Denken“ als ein Denken, das auf multiple Lösungsmöglichkeiten eines Problems führt, definiert wer-den kann, wird „konvergierendes Denken“ als Denken, das sich auf eine Lösung beschränkt, gesehen (kanalisierter Lernprozess). In einem Unterricht, in dem kreatives Verhalten gefördert werden soll, ist die Anregung der Schülerinnen und Schüler zu einem Denken, das sich auf mehrere Möglichkeiten der Lösung eines Problems richtet, von Bedeutung. Die kreativitätsfördernde Lehrerin wird deshalb beispielsweise ihren Schülern vor allem Impulse vermitteln oder mehr offene und operationale Fragestellungen in die Unterrichtsarbeit einbringen. R. J. Hallman fordert, dass der kreative Lehrer nur sinnvolle Fragen stellt, die „keine vorbestimmten Ant-worten haben und besonders nicht durch das Aufsagen von Tat-sachen beantwortet werden können. Operationale Fragen lösen kreatives Bemühen aus, weil sie zum Erforschen führen“ (Hallman 1970, S. 179).

- Emotionale Dimension: defensives – expressives Verhalten

Bestimmte affektive Dispositionen können kreatives Verhalten be-günstigen oder behindern. Im Allgemeinen wird eine „defensive, ich-bezogene Affektlage“ als kreativitätshemmendes Moment angesehen; eine „expressive, sachorientierte Einstellung“ wird im Hinblick auf kreatives Verhalten als günstige Voraussetzung erkannt (vgl. S. 200). Im Zusammenhang mit der notwendigen Förderung einer sachorientierten Einstellung der Schüler ist die sachimmanente (aufgabenbezogene) Motivation zu sehen. Diese ist für die Auslösung kreativer Prozesse von Bedeutung (Crutchfield 1962 u. a.). Von Bedeutung hinsichtlich der Förderung einer sachorientierten

Einstellung der Schüler ist unter anderem auch die Bereitstellung eines umfangreichen didaktischen Materials, das für die Lernenden einen hohen Aufforderungscharakter, sich damit zu beschäftigen, besitzt. – Bei der Problemstellung sollte das „Triebinteresse“ (Kerschensteiner) der Schüler berücksichtigt werden. Das Einbezie-hen der Kinder bei der Lernzielfindung in Form der Erstellung eines umfangreichen Katalogs von Schülerfragen an den Unterrichtsgegen-stand ist eine Möglichkeit, den Sachinteressen zu entsprechen.

- Didaktische Dimension: Geschlossenheit – Offenheit

Geschlossene Curricula, welche die Unterrichtsinhalte in verbindli-chen Lernsequenzen festlegen und bestimmte Unterrichtsverfahren und Medien vorschreiben, engen den Freiraum für Lehrer und Schü-ler ein; sie zielen weitgehend auf konformes Verhalten ab. In didak-tischer Hinsicht ist das Kriterium der „Offenheit“ in näherer Nach-barschaft zu einem möglichen kreativen Verhalten zu sehen (vgl. S. 200). Deshalb ist die Verwirklichung des Grundsatzes der Offenheit in didaktischer Hinsicht im Hinblick auf eine Kreativitätsförderung wünschenswert. Didaktische „Strukturen der Offenheit“ können ver-schiedene Dimensionen berücksichtigen. H. Kasper (1978, S. 20 f.) fordert Offenheit hinsichtlich der Ziele, der Inhalte, der Verfahren, der Medien, des Raumes, der pädagogischen Interaktion und der „Lernergebnisse und deren Feststellung“. Eine kreativitätsfördernde Lehrerin wird von einer strengen Strukturierung des Unterrichts absehen und versuchen, offene Unterrichtssituationen zu schaffen. Den Schülerinnen und Schülern sollte weitgehend Freiheit bei der Wahl der Lernziele und Inhalte, bei der Planung und Durchführung der Unterrichtsarbeit, bei der Auswahl der Medien etc. gewährt werden.

- Methodische Dimension: Leitung – Selbsttätigkeit

Für eine Kreativitätsförderung ist die Verwirklichung des Aktivitäts-prinzips im Unterricht bedeutsam. Unterrichtsformen, die selbsttä-tiges, selbst initiierendes und selbst entdeckendes Lernen ermögli-chen, begünstigen im Allgemeinen die Förderung kreativer Verhal-tensweisen der Schüler. Unterrichtsverfahren, in deren Mittelpunkt Fremdsteuerung und Fremdkontrolle stehen, wirken sich eher hemmend auf kreatives Verhalten aus (vgl. Flechsig 1972, S. 200).

Karl-Heinz Flechsigs Beitrag zur Begriffsbestimmung von Kreativität enthält Gesichtspunkte für die Praxis einer Kreativitätsförderung im Unter-richt. Wie aus den Ausführungen zu entnehmen ist, lassen[1] sich aus den von Flechsig verwendeten Begriffen „Spontaneität“, „Innovation“, „Nonkon-formität“, „Freiheit“, „divergierendes Denken“, „expressives Verhalten“, „Offenheit“ und „Selbsttätigkeit“ Konsequenzen für den Unterricht ableiten.

1.2 Aspekte der Kreativität

Von verschiedenen Autoren ist der Versuch unternommen worden, Denkmodelle zur Kreativität zu entwerfen, um sie so unter einem bestimm-ten Gesichtspunkt besser interpretieren zu können.

Neben assoziationspsychologischen, gestalttheoretischen und psychoana-lytischen Theorieansätzen zur Kreativität – auf diese Theorien wird in dieser Schrift nicht näher eingegangen – glaubt man vor allem über drei relevante Aspekte der Kreativität die Problematik in den Griff zu bekommen, wobei natürlich kein Modell für sich in Anspruch nehmen will und kann, die integrale Einheit des Phänomens „Kreativität“ zu reprä-sentieren, und auch eine Integration aller zur Zeit bestehenden Modelle zu einer einheitlichen Konzeption, soweit eine solche überhaupt möglich ist, würde noch keine vollständige Darstellung bedeuten.

Es werden vor allem drei Arten von Modellen unterschieden:

- Modelle der kreativen Persönlichkeit,
- Modelle des kreativen Prozesses und
- Modelle des kreativen Produkts.

1.2.1 Die kreative Persönlichkeit

Auf dem Gebiet der Kreativitätsforschung fanden besonders die Ver-öffentlichungen J. P. Guilfords große Beachtung. Er versuchte eine Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen nachzuweisen, die für das Verhalten kreativer Menschen konstitutiv sein sollen. Dabei unterscheidet Guilford zwischen Merkmalen („traits“) und Fähigkeiten („aptitudes“).

Für Heinrich Roth sind Merkmale „relativ anhaltende Züge, die ein Indi-viduum von anderen unterscheiden. Eine Fähigkeit ist die Bereitschaft des Individuums, gewisse Dinge zu lernen. Diese Bereitschaft kann angeboren, durch den Einfluss der Umgebung oder durch Interaktion von beiden determiniert sein“ (Roth 1971, S. 153).

J. P. Guilford, der in den U.S.A. die Kreativitätsforschung initiierte und auf diesem Forschungsbereich eine stark auslösende Wirkung erzielte, entwickelte eine Theorie des menschlichen Intellekts, die er in einem dreidimensionalen Modell der Struktur des Intellekts veranschaulicht. Innerhalb dieser Struktur lassen sich durch eine Faktorenanalyse verschiedene Faktoren isolieren und ähnliche Faktoren zu Klassen zusammenfassen.

Auf das von ihm entwickelte Strukturmodell des menschlichen Intellekts wird in den folgenden Ausführungen eingegangen.

Das Schema (Abb. 2) stellt die Klassifikation nach den drei Faktoren-gruppen Denkoperationen, Denkprodukte und Denkinhalte dar.

Eine Dimension wird durch die Denkoperationen gebildet. Hier werden fünf verschiedene Aktivitäten des Intellekts unterschieden: Das Gedächtnis kann man als „Behalten des Wahrgenommenen“ (Landau) definieren. „Kognizieren aktualisiert das vom Gedächtnis bereitgestellte Wissen, durch divergierendes Denken werden mehrere neue Ideen möglich, und bei kon-vergierendem Denken werden die Gedankengänge fokalisiert auf eine Idee. Durch die Bewertung wird die beste bzw. richtige Idee identifiziert“ (Guilford 1964, zit. nach Ulmann 1973, S. 111).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2

(vgl. Guilford 1973, S. 153)

Eine weitere Dimension wird durch die Faktorengruppe der Denkinhalte gebildet. Kognitive Inhalte können bildlicher Art (visuelle Wahrnehmung von Größe, Lage, Form, Farbe und Struktur eines Materials etc.), symbo-lischer Art (beispielsweise Buchstaben oder Zahlen) und verhaltens-spezifischer Art sein, wobei Verhaltens-Inhalte für das „Herstellen sozialer Beziehungen (‚soziale Intelligenz’) relevant sind und vermutlich besonders für die Kommunikation von Gedanken erforderlich sind“ (Guilford 1964, zit. nach Ulmann 1973, S. 112).

Die dritte Dimension in Guilfords Modell der Intelligenzstruktur wird durch die Gruppe der Denkprodukte gebildet, die bei der Anwendung eines denkoperativen Faktors auf einen inhaltlichen Faktor entstehen. Nach E. Landau (1969, S. 34) kann definiert werden:

- „Einheiten sind wahrgenommene ‚Informationen’, wie eine symbolische Struktur, ein Konzept oder eine Figur.“
- „Klassen sind Kategorien von Einheiten.“
- „Beziehungen sind ein Produkt zwischen Einheiten und Klassen.“
- „Systeme sind Muster oder eine ‚Gestalt’ von zusammengesetzten Ein-heiten.“
- „Transformationen sind neue Konfigurationen der Einheiten oder Klassen.“
- „Implikationen sind Voraussagen, die sich aus den Informationen ergeben.“

Aus diesem dreidimensionalen Modell ergeben sich 120 Bausteine, die spezifische Intelligenzfaktoren darstellen, wobei das Zusammenwirken bestimmter Faktoren für die unterschiedliche intellektuelle Leistungs-fähigkeit wie auch für qualitative und quantitative Unterschiede „kreativer Produktion“ maßgeblich sein kann. Guilford sieht „im faktoriellen Bezugsrahmen (…) viel Raum für verschiedenartige kreative Fähigkeiten“ (vgl. Guilford 1973, S. 30).

Vor allem im Bereich des „divergenten Denkens“ wurden von Guilford Faktoren extrahiert und charakterisiert (vgl. Landau 1971, S. 35 ff.):

- Faktoren der Flüssigkeit:

Sie bestimmen vor allem quantitative Aspekte der Kreativität. Es können unterschieden werden: die Wortflüssigkeit als Fähigkeit, aus bestimmten Buchstabenkombinationen Wörter zu bilden, die Ideenflüssigkeit als Fähigkeit, sich auf ein bestimmtes Thema oder Problem einzustellen und dazu gedankliche Produkte zu liefern, die Expressionsflüssigkeit als Fähigkeit, seine Gedanken sicher zum Ausdruck zu bringen, die figurale Flüssigkeit als Fähigkeit der bildhaften Vorstellung und die Assoziationsflüssigkeit als Fähigkeit, intellektuelle Inhalte miteinander zu verbinden.

- Faktoren der Flexibilität:

Bei ihnen stehen qualitative Gesichtpunkte im Vordergrund. Es kann zwischen spontaner und adaptiver Flexibilität unterschieden werden. Im Gegensatz zur spontanen Flexibilität, welche Fähigkeiten wie Umstrukturieren und das Finden von etwas Neuem beinhaltet, beschränkt sich die „sich anpassende“ Flexibilität auf die gedank-liche Lösung von Problemen unter Beachtung bestimmter Regeln und Einschränkungen.

- Faktoren der Elaboration:

In diesem Bereich werden Flüssigkeiten angesprochen, die über planmäßiges Vorgehen Hilfen zur Findung konkreter Lösungswege geben können.

Neben diesen drei Hauptgruppen nennt J. P. Guilford als kreativi-tätsfördernde Fähigkeiten unter anderem die „ Originalität “, auch als „Transformationsfaktor“ bezeichnet, welche die Fähigkeit beinhaltet, Gegebenheiten originell zu sehen; weiterhin werden genannt die „ Problemsensitivität “, die durch eine Offenheit gegenüber der Umwelt gekennzeichnet ist, und das „ Neudefinieren “ als die Fähigkeit, Objekte neu zu interpretieren und zu verwenden (vgl. Landau 1971, S. 33 ff.).

Neben Guilford kam auch Viktor Lowenfeld über die Faktorenanalyse zu ähnlichen Ergebnissen, die hier nicht ausführlich abgehandelt werden sollen. Lowenfeld unterscheidet zwischen vier Faktoren und vier Fähigkeiten, die er „als Kriterien für die kreative Persönlichkeit ansieht. Die Faktoren sind: Sensitivität für Probleme, Variabilität (fluency), Flexibilität und Originalität; die Fähigkeiten: Neudefinieren, Analyse, Synthese und Kohärenz der Organisation “ (Landau 1971, S. 41).

Nicht nur die Sensitivität für Farben und Formen, die für kreative Tätig-keit im künstlerischen Bereich bedeutsam sind, sondern auch für die Gefühle anderer Menschen und Probleme anderer Kulturen oder Rassen gehören zum ersten Faktor.

Die Variabilität oder Aufnahmebereitschaft ist ein weiterer Faktor; die Variabilität bezieht sich hierbei auf verschiedene Bereiche wie manuelle Tätigkeiten oder den Umgang mit der Sprache.

Der Faktor Beweglichkeit bezeichnet die Beweglichkeit, sich verän-derten Situationen anpassen und mit einbeziehen zu können.

Originalität als Faktor wird als Gegensatz zur Konformität „in Gedan-ken und Ausdruck“ verstanden (vgl. Landau 1971, S. 42); das Finden origineller Lösungen kennzeichnet den kreativen Menschen.

Zu den Fähigkeiten zählt Lowenfeld die Umgestaltungsfähigkeit. So definieren kreative Menschen nicht selten den Zweck von Materialen neu, indem sie diese anders verwenden.

Unter Analyse versteht Lowenfeld, über eine ganzheitliche Wahrneh-mung hinaus „Unterschiede sowohl zwischen Menschen wie auch zwischen unbelebten Objekten zu analysieren“ (vgl. Landau 1971, S. 43).

Kreative sind fähig, den Grundsatz der Synthese in verschiedenen Situationen anzuwenden, beispielsweise durch eine sinn- oder zweckvolle Kombination von Bestandteilen zu etwas Neuem.

Unter dem Prinzip der Kohärenz der Organisation (Komposition) ver-steht Lowenfeld die Fähigkeit, verschiedene Elemente zu einem „gefälligen Ganzen“ zu bringen, das durch eine „innere Harmonie“ gekennzeichnet ist (vgl. Landau 1971, S. 43).

Frank Barron und Georg S. Welsh (1951) stellten einen Ansatz vor, in dem die künstlerische Wahrnehmung als Kriterium für die Beschreibung von kreativen Persönlichkeiten dient. „Aus der ‚Vorliebe für Komplexes’ der Künstler wird eine Persönlichkeitsvariable des Kreativen schlechthin: Komplexität, die Barron zur Grundlage weiterer experimenteller und theoretischer Ansätze zur Beschreibung der kreativen Persönlichkeit“ dient.

Mit Hilfe eines Kreativitätstests („Barron-Welsh-Art-Scale“), der Prä-ferenzen für Figuren bei Künstlern und Nicht-Künstlern messen sollte, wurde festgestellt, dass Künstler in signifikanter Weise die „komplex-asymetrischen“ Figuren bevorzugen und die „einfach-symetrischen“ Figuren negieren. Mit Hilfe der Faktorenanalyse wurden so zwei Klassen der Bevorzugungen unterschieden und dienten als Grundlage für weitere Untersuchungen der Beziehung zwischen künstlerischer Bevorzugung von Figuren und bestimmten Persönlichkeitsvariablen, wie „guter Geschmack“ (vgl. Barron/Welsh 1973, S. 141 ff.).

Aus den mannigfaltigen Theorien zur kreativen Persönlichkeit wurden in dieser Arbeit drei Modelle ausgewählt, die über eine Faktorenanalyse entwickelt wurden. Faktorenanalytische Verfahren können bei der Erforschung des Phänomens „Kreativität“ kritisch gesehen werden.

Es ist die Intention der Vertreter faktorenanalytischer Konzeptionen erkennbar, einen unterrichtstechnologischen Beitrag zur Kreativitäts-förderung zu leisten. So wird implizit angenommen, dass man über ein Training bestimmter Faktoren, beispielsweise der Wortflüssigkeit, kreative Verhaltensweisen im Unterricht fördern kann. Die erzieherische Proble-matik, die sich unter anderem aus einer solchen Sichtweise ergibt, soll bei den einzelnen Gesichtpunkten erörtert werden. Die an dieser Stelle dar-gelegte Kritik hat vor allem die Methode und den Inhalt der vorgestellten Modelle zum Gegenstand.

Im Buch „Einfache und komplexe statistische Analyse“ von H. Gaensslen und W. Schubö (1973, S. 203) heißt es: „Das Ziel der faktorenanalytischen Verfahren besteht darin, eine ökonomische Erklärung der in einer Vielzahl von Variablen beobachteten Unterschiede von Personen aus einer relativ geringen Zahl von Faktoren zu gewinnen.“

In der Persönlichkeitsforschung wird meist die „multiple Faktoren-analyse“ verwendet; dabei werden vor allem quantitative Daten verar-beitet: „Infolgedessen wird in dieser Arbeitsrichtung noch stärker als innerhalb der behavioristischen die Notwendigkeit der Quantifizierung jeder Aussage in der Psychologie betont“ (Eysenck 1954, S. 87). Auch Thorndike hebt hervor, dass alles „Existierende bis zu einem gewissen Grad in Quantität existiere“ (vgl. Thorndike, zit. nach Eysenck 1954, S. 87) und deshalb auch gemessen werden könne.

Bei der Messung kreativer Eigenschaften der Persönlichkeit fehlen jedoch die Maßeinheiten (beispielsweise die Menge der in einer bestimm-ten Zeit erbrachten Lösungen) wie sie bei der Erfassung von auf Leistung bezogenen Eigenschaften in der Intelligenzdiagnostik zur Verfügung ste-hen. Deshalb wird hier die Methode der Verhaltenseinschätzung oder der Selbstbeurteilung gewählt und die Anzahl bestimmter Reaktionen als Indikatoren für Verhaltenstendenzen gewertet.

Qunatitative Methoden sind jedoch recht fragwürdige Verfahren zur Per-sönlichkeitserfassung; dies zeigen auch die sich widersprechenden Ergeb-nisse, die von den Vertretern der Faktorenanalyse der Persönlichkeit ge-wonnen wurden. Es ist offensichtlich, dass der „Gang der mathematischen Operationen fast immer schon durch bestimmte Vorannahmen geführt“ wird (Thomae/Feger 1969, S. 70).

Faktoren können nicht als Ursachen beobachtbarer Phänomene inter-pretiert werden. Sie ermöglichen lediglich Klassifikationen, die nach be-stimmten Kriterien aus dem Datenmaterial konstruiert wurden. Faktoren-analytische Ergebnisse reflektieren also im Grunde genommen nur das, was in den Verrechnungsprozess eingegeben worden ist.

Ähnliche oder gleiche Ergebnisse der Faktorenanalyse sind bisher meist nur bei Verwendung von gleichen „faktorenanalytischen Techniken“ erzielt worden. Die Methodenabhängigkeit der Ergebnisse ist evident. Zweifelhaft erscheint ferner die Annahme der Unabhängigkeit der Faktoren als wir-kende Bedingungen. Faktoren sind immer mehr oder weniger künstliche Abgrenzungen von Teilbereichen der Persönlichkeit. Der Persönlichkeits-entwurf von den nicht weiter begründeten Faktoren her entspricht dem elementaristischen Ansatz, wonach die Persönlichkeit die Summe ihrer Teile wäre.

Die bisher vorgestellten Modelle werden auch durch ihre Einseitigkeit dem Phänomen der Kreativität nicht gerecht. Während der Entwurf von F. Barron und G. S. Welsh unter dem Gesichtspunkt künstlerischer Sichtwei-sen Kreativität einengt, wird in Guilfords und Lowenfelds Ansätzen Kreativität durch intellektuelle Charakteristika zu erfassen versucht. Divergierendes Denken ist zwar in der Nachbarschaft von kreativem Denken zu suchen, jedoch erscheint eine Gleichsetzung beider Denkformen problematisch.

Neben der Kreativität als Fähigkeit des Verstandes gibt es noch andere Arten des kreativen Verhaltens. So fehlt beispielsweise in den Modellen die Dimension der Sinnesmodalitäten; es können auch kreative Leistungen akustischer, visueller oder kinästhetischer Art vollbracht werden. Bei „motorisch kreativen“ Sportlern kann es – wie bereits erwähnt – zu originellen Bewegungsformen und Bewegungskombinationen kommen (vgl. Schoder 1975, S. 194).

Gottfried Heinelt hat ein Modell der kreativen Persönlichkeit entwickelt, bei dem neben statischen auch dynamische Aspekte berücksichtigt werden. Der Autor geht von der These aus, dass erst die personalen Vorbe-dingungen geschaffen werden müssen (beispielsweise ein Abbau von Hemmungen, um zur „inneren Freiheit“ zu gelangen), um dann das latente kreative Potenzial zur Entfaltung zu bringen. Er nennt sieben wesentliche „Voraussetzungen“ für kreatives Verhalten:

- Freiheit von Egoismen:

„Es geht darum, die Ich-Schranken abzubauen, die überhöhte Egoismen und eine narzisstische Egozentrik errichten“ (Heinelt 1975, S. 67). Auf den Zusammenhang zwischen Macht-, Geltungs- und Leistungsstreben und einer blockierten Kreativität hat auch W. Metzger aufmerksam gemacht; er schreibt: „Auf das Zusammenspiel von Machtstreben und Geltungssucht oder auch der Angst vor jedem, auch dem geringsten Verlust an Geltung ist wahrscheinlich die für das fruchtbare Denken verhängnisvollste Triebkonstellation“ (Metzger 1967, S. 181).

- Freiheit von Konflikten, Ängsten und Zwängen:

Den Menschen kann man als „konfliktträchtiges Wesen“ (Lückert) sehen. Schulische Zwänge und Ängste (beispielsweise die Schul-angst) müssen überwunden und Konflikte verarbeiten werden, damit kreative Kräfte zur vollen Entfaltung gelangen können. Das Rollenspiel kann als eine der therapeutischen Möglichkeiten dienen.

- Freiheit von Stress:

Stressfreie Situationen und eine Vermeidung von Überforderung wir-ken sich im Allgemeinen positiv auf das kreative Verhalten aus. Gegenteilige Erfahrungen sind allerdings ebenfalls möglich. S. R. Maddi bezeichnet es als Ammenmärchen, dass es “für eine Person unwahrscheinlich ist, kreativ zu sein, wenn sie sich in einem Zustand starker Frustration und Qual befindet” (Maddi 1973, S. 181).

- Notwendigkeit der Informationsaskese:

Eine Überfülle an Informationen bedeutet eine Gedächtnisbelastung und kann ein störender Faktor für den kreativen Prozess sein, da er die Aufnahme geistiger Inhalte, die Kognition und Reflexion beein-trächtigen kann. Bei einer permanenten Reizüberflutung bleibt wenig Raum für Zeit und Muße.

[...]


[1] Der Teil 1.1.2 wurde sinngemäß übernommen aus: Gerr 2/1986, S. 8-10.

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Aspekte zur Förderung der Kreativität im Unterricht
Untertitel
2. Auflage
Autor
Jahr
2015
Seiten
112
Katalognummer
V117462
ISBN (eBook)
9783640194919
ISBN (Buch)
9783640195060
Dateigröße
10780 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kreativitätsbegriff, Aspekte der Kreativität, Kreativitätstheorien, Kreativitätsförderung im Unterricht, Kreativität und Motivation, Kreativitätsförderung in Gruppen, Kreativität und Erziehungsstile, Kreativität und spielerisches Lernen, Kreativität und offener Unterricht
Arbeit zitieren
Dr. phil. Hans E. Gerr (Autor:in), 2015, Aspekte zur Förderung der Kreativität im Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117462

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