Vergleichende Betrachtung von Wohlfahrtsstaattypologien

Die Bedeutung der Klassifikationskriterien


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. TYPISIERUNG VON WOHLFAHRTSSTAATEN – DIE BEDEUTUNG DES „WIE“ UND „WARUM“

2. VERGLEICHENDE BETRACHTUNG VON WOHLFAHRTSSTAATSTYPOLOGIEN – DIE BEDEUTUNG DER KLASSIFIKATIONSKRITERIEN
2.1 THEORETISCHER VERGLEICH DER TYPOLOGIEN KLASSIFIZIERUNGSKRITERIEN, OPERATIONALISIERUNG UND ENTSTEHENDE TYPEN
2.1.2 Esping-Andersens (1990/ 1999) Konzept der drei Welten
2.1.2 Orloffs (1993) Erweiterung Esping-Andersens Ansatz um die Geschlechterkomponente
2.1.3 Lewis’ und Ostners (1994) partikularisiertes Male-Breadwinner Modell
2.1.4 Siaroffs (1994) Typologie der Geschlechterungleichheiten in Hinsicht auf Arbeit und Wohlfahrt
2.1.5 Mósesdóttirs (1995) Regimes der Geschlechterbeziehungen
2.2 PRAKTISCHER VERGLEICH: UNTERSCHIEDE UND DEREN GRÜNDE BEI DER ZUORDNUNG VON LÄNDERN
2.2.1 Irland zwischen den Welten?
2.2.2 Niederlande - ein Paradebeispiel für einen Pfadwechsel oder nur eine Mischform?
2.3 PFAU-EFFINGERS (2000) TYPOLOGIE DER GESCHLECHTERKULTURELLEN MODELLE
2.3.1 Grundlagen und Theorie
2.3.2 Die Niederlande: Von der männlichen Versorgerehe über das egalitär- familienbezogenen Modell zum egalitär-partnerschaftlichen Modell

3. FAZIT

4. LITERATUR

5. ANHANG:

1. Typisierung von Wohlfahrtsstaaten – Die Bedeutung des „Wie“ und „Warum“

Seit Ende des letzen Jahrhunderts ist eine zunehmende Verwendung von Wohl- fahrtsstaatstypologien in der vergleichenden Forschung zu verzeichnen. Es gilt als unumstritten, dass sich die Welt, insbesondere Europa, in eine limitierte Anzahl wohlfahrtsstaatlicher Regime einteilen lässt. Die Diskussion begann mit dem Werk von Gosta Esping-Andersen (1990) und ist heute nicht mehr aus der Sozial- forschung wegzudenken. Peter Abrahamson (1999) kommt zu mehreren Schlüs- sen bezüglich idealtypischer Wohlfahrtsstaatsmodelle: Ihre Entstehung steht in engem Zusammenhang mit Diskussionen über Globalisierung, insbesondere der europäischen Integration. Im Speziellen wird davon ausgegangen, dass Typolo- gien bezüglich der Konvergenz und Harmonisierung europäischer Sozialpolitik von Nutzen sein können (Abrahamson, 1999).

Neben dem wohl etablierten Modell der drei Welten von Esping-Andersen (1990) entwickelten sich seit den 1990ern eine große Anzahl von Typologien mit unterschiedlichen Klassifikationskriterien, unterschiedlicher Operationalisierung und Verfahrensweise mit dem Ergebnis der Identifikation verschiedener Typen und deren Anzahl. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang sicherlich der thematische Fokus der jeweiligen Studie, aber auch verschiedene Ansichtsweisen bezüglich des Kausalprinzips von Wohlfahrtsstaaten. Dies zielt ab auf unter- schiedliche Verwendung der Wohlfahrtsstaatsideologie als zu erklärende oder determinierende Variable, was wiederum zu unterschiedlichen Modellen führt. Darüber hinaus muss auch der Programmsensibilität Rechnung getragen werden: Modelle der Wohlfahrtsstaatsforschung sind kontextabhängig. Das bedeutet, dass Analysen verschiedener Wohlfahrtsprogramme wie Arbeitslosenversicherung und Kinderbetreuung verschiedene Regimetypologien rechtfertigen, wenn auch nicht in einem Umfang, der die Forschung willkürlich werden lässt, da wohlfahrtsstaat- liche Leistungen immer nur mit einer limitierten Anzahl an Regimes in Verbin- dung gebracht werden können. Dennoch bestimmt der Fokus zu einem gewissen Maß die Definition des Regimes (Abrahamson, 1999).

Im Folgenden soll ein besonderer Augenmerk auf die zur Typologisierung herangezogenen Kriterien gelegt werden: Inwieweit bestimmen strukturelle De- terminanten (wie Arbeits- und Familienpolitik) sowie kulturelle Determinanten (Werte, Normen, Einstellung) die Zusammensetzung eines wohlfahrtsstaatlichen Modells und die Zuordnung einzelner Staaten? Um diese Frage insbesondere auch in Hinsicht auf die Bedeutung der Geschlechterkomponente beantworten zu kön- nen werden nachfolgend ausgesuchte Ansätze von Lewis und Ostner (1994), Mósesdóttir (1995), Orloff (1993), Siaroff (1994) und Esping-Andersens (1990) Konzept der drei Welten unter anderem Fall-vergleichend betrachtet. Diese Arbei- ten legen unterschiedlich starkes Augenmerk auf die Geschlechterkomponente und scheinen deswegen besonders geeignet dafür, die Bedeutung dieses Kriteri- ums für die Wohlfahrtsstaatsforschung darzustellen. Darauf aufbauend soll mit Birgit Pfau-Effingers (1996, 2000, 2005) Typologie der geschlechterkulturellen Modelle eine Arbeit vorgestellt werden, die erstmals die Bedeutung des Verhält- nisses von Kultur, Struktur und Praxis für die Geschlechterkomponente zum Thema macht und in die Untersuchung von Wohlfahrtsstaaten mit einbezieht.

2. Vergleichende Betrachtung von Wohlfahrtsstaatstypo- logien – Die Bedeutung der Klassifikationskriterien

Die große Anzahl der in den letzten Jahren formulierten Typologien von Wohl- fahrtsstaaten unterscheidet sich unabhängig von Methodologie und Thematik le- diglich in geringem Maß. Der Übersichtlichkeit wegen können Typologien auf Basis der zur Klassifikation herangezogenen Variablen strukturiert werden: Von geringerer Bedeutung sind (1) Typologien, die nur eine bestimmte Variable zur Typenbildung verwenden (wie z.B. Adema, 1996). Ohne den Wert dieser Typolo- giesierungstechnik anzuzweifeln ist zu bemerken, dass es sich hierbei hauptsäch- lich um eine Betrachtung öffentlicher Ausgaben oder Verteilungen handelt und die Geschlechterkomponente vollends ignoriert wird. Der Betrachtung von (2) Typologien, die ein Set von verschiedenen Ideologien verwenden, soll im Folgen- den mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Von besonderer Bedeutung dieser Art von Typologien ist und bleibt Esping-Andersen (1990; 1999). Seine Arbeit inspirierte viele Forscher, die entweder die Schwächen seines Ansatzes fokussier- ten, eine kritische Sichtweise einnahmen und von seinen Fehlern lernend eigene Typologien entwickelten, oder auf den Stärken seines Ansatzes aufbauend eigene Forschung betrieben. Zu diesem Cluster an Wohlfahrtsstaatsvergleichen gehören auch die hier betrachteten Arbeiten von Lewis und Ostner (1994), Mósesdóttir (1995), Siaroff (1994) und Orloff (1993). Eine weitere Möglichkeit der Typisie- rung ist (3) die Analyse von Wohlfahrtsstaaten auf Basis ihres Erfolgs bezüglich Armutsvorsorge (Bsp.: Hausmann, 1994). Solche Ansätze unterscheiden sich von der ersten Art an Typologien in dem Punkt, dass sie nicht einzelne Variablen be- trachten, sondern einzelne Ergebnisse, nämlich die Effizienz des Sozialsystems bezüglich Armut. Wie aber bereits bei der ersten Typologiesierungstechnik ange- merkt, soll auch dieser Art im thematischen Zusammenhang dieser Arbeit weniger Bedeutung zugeschrieben werden, da hier im Besonderen die Bedeutung Ge- schlechterkomponente im Vordergrund steht. Vor allem aus diesem Grund wurde von Meulders und O’Dorchai (2003) eine weitere Art von Typologien abgegrenzt, die in ihrer Art bis heute recht alleine steht. In der zweiten Typologiesierungsart wurde der Geschlechterkomponente hauptsächlich durch feministische Arbeiten erstmals Bedeutung zugeschrieben. Pfau-Effinger (1996) kritisierte an diesen An- sätzen aber, dass sie oft blind gegenüber dem kulturellen Kontext von Geschlech- termodellen seien. Auf diesem Defizit aufbauend konstruierte Pfau-Effinger ihre Typologie (4) der geschlechterkulturellen Modelle als erklärenden Ansatz für „ the cultural construction of intergenerational relationships and of the gender division of labour that are dominant in different countries “ (Meulders und O’Dorchai, 2003: 171).

Zunächst wird im Folgenden also die Arbeit des „Urvaters“ der Vielvariablen- typologien vorgestellt, die dem Geschlecht als Klassifikationskriterium zunächst wenig Bedeutung zuschreibt. Diese soll als Basis für den Vergleich mit den Typo- logien von Lewis und Ostner (1994), Mósesdóttir (1995), Siaroff (1994) und Or- loff (1993) verwendet werden. Dabei sollen die Kritikpunkte an Esping- Andersens Ansatz, sowie die verschiedenen herangezogenen Kriterien betrachtet werden und deren Auswirkung auf die Zuteilung einzelner Länder zu bestimmten Regimes nachvollzogen werden. Abschließend soll mit Pfau-Effingers Typologie der Geschlechts-Kultur-Modelle ein weiterer Schritt vollzogen werden, der über die unabhängige Betrachtung der Geschlechterkomponente hinausreicht, indem das Verhältnis zu gesellschaftlich verankerten kulturellen Leitbildern mit einbe- zogen wird.

2.1 Theoretischer Vergleich der Typologien Klassifizierungskriterien, Operationalisierung und entstehende Typen

Im Folgenden soll dargestellt werden, wie die verschiedenen Autoren zu ihren teils recht unterschiedlichen, teils nahezu übereinstimmenden Wohlfahrtsstaatsty- pen gelangt sind. Ein besonderes Augenmerk soll hierbei auf die theoretische Vorgehensweise gelegt werden: Welche Kriterien wurden herangezogen, um die Wohlfahrtsstaaten zu klassifizieren? Wie wurden diese Kriterien operationalisiert? Welche Typen von Wohlfahrtsstaaten konnten auf diese Weise identifiziert wer- den?

2.1.2 Esping-Andersens (1990/ 1999) Konzept der drei Welten

Wie bereits angesprochen stellt Esping-Andersens (1990) Konzept der drei Wel- ten eine der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendste Typologie von Wohl- fahrtsstaaten dar. Unter Verwendung von (zunächst) drei Hauptkriterien zielt das Konzept auf die Abbildung des Verhältnisses von Staat, Markt und Familie zuein- ander ab und kommt zu dem Ergebnis einer dreifachen Typologie des konservati- ven, liberalen und sozial-demokratischen Wohlfahrtsstaatsregimes (Meulders und O’Dorchai, 2003).

Unter dem Konzept der Dekommodifikation versteht Esping-Andersen (1990:

23) als Minimaldefinition „ that citizens can freely, and without potential loss of job, income, or general welfare, opt out of work when they themselves consider it necessary“, also die (teilweise) Loslösung der Wohlfahrt von der Erwerbsarbeit. Dekommodifizierung wird in diesem Zusammenhang als Kontinuum gesehen. Darüber hinaus ist die Bedingung der vorausgehenden Kommodifikation, also die Charakterisierung von Arbeitskraft und Bedürfnissen als Waren (Esping- Andersen, 1990), im Zusammenhang mit der feministischen Kritik, die später noch genauer dargestellt werden soll, von besonderer Bedeutung (Meulders und O’Dorchai, 2003).

Um die Auswirkungen der Wohlfahrtsstaatssicherung auf die gesellschaftliche Schichtung abzubilden, entwickelte Esping-Andersen das Konzept der Stratifika- tion. Die unterschiedliche Schichtung der Gesellschaft ergibt sich, wie auch der Grad der Dekommodifikation, aus den unterschiedlichen Zielsetzungen einzelner Wohlfahrtsstaaten.

Als letztes Kriterium zieht Esping-Andersen die Beziehung zwischen Staat und Markt heran. Dieser Indikator bildet das Gewicht marktförmiger Wohlfahrts- staatsicherung ab und bezieht sich auf das Mischungsverhältnis öffentlicher und privater Vorsorge („ public-private-mix “) (Esping-Andersen, 1990).

Insbesondere nach dem stärker werdenden Druck durch feministische Kritik- punkte an Esping-Andersens Ansatz wurde das Konzept in seinem Werk „Social Foundations of Postindustrial Economies“ (1999) um das Konzept der Defamilia- lisierung erweitert. Ein familialistisches Wohlfahrtsregime schreibt den maxima- len Anteil an Wohlfahrtsverpflichtungen dem Haushalt zu. Das Konzept bezieht sich daher auf die Schwächung der individuellen Abhängigkeit von der Familie, wodurch die individuellen Ressourcen von familiärer und/ oder ehelicher Wech- selseitigkeit losgelöst werden. Nachdem die Verantwortlichkeit der Frau (Mutter) ihre Möglichkeit völlige ökonomische Unabhängigkeit durch Arbeit zu erlangen stark beschränkt, ist deren Defamilialisierung vom Wohlfahrtsstaat abhängig. Die Unabhängigkeit der Frau erfordert die Defamilialisierung von Wohlfahrtsverplich- tungen (feministische Kritik) (Meulders und O’Dorchai, 2003).

Nach Operationalisie- rung der verschiedene Indi- katoren durch eindimensio- nale Indexbildung ergeben sich die in Abbildung 1 dar- gestellten Wohlfahrtstaatsty- pen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das liberale Wohl- fahrtsstaatsregime wird charakterisiert durch eine starke Marktorientierung und einen residualen Staat, geringe Dekommodifizie- rung und eine in hohen Maß an individualistischer, leistungsorientierter Stratifi- zierung der Gesellschaft (Esping-Andersen, 1990; 1999). Der Staat beschränkt sich hier auf die Vermeidung von „bad risks“, er ergänzt also lediglich die Absi- cherung durch den Markt, wenn diese für den Einzelnen nicht möglich ist. Der liberale, auf Freiheit abzielende Wohlfahrtsstaat findet sich vor allem in angel- sächsischen Nationen wie den USA (Meulders/ O’Dorchai, 2003).

Die im konservativen Wohlfahrtsregime primären Wohlfahrtsinstanzen sind ein subsidiärer Staat und die Familie, welche auch der Maßstab für die vom Wohl- fahrtsstaat zu erbringenden Leistungen ist (Weber, 1998). Der Grad der Dekom- modifizierung liegt zwischen dem der liberalen und sozialdemokratischen Wohl- fahrtsstaaten. Ebenso verhält es sich mit der Stratifizierung, die eine korporatisti- sche, berufliche Ausrichtung aufweist. Absicherung erfährt hier einen höheren Stellenwert und ist demnach umfassender. Vertreter dieses Regimes sind vor- nehmlich in Kontinentaleuropa anzutreffen (Esping-Andersen, 1990; 1999; Meul- ders und O’Dorchai; 2003).

Am unteren Ende des Index ergibt sich der Typ des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime, welches durch einen hochgradig (pro-)aktiven Staat gekenn- zeichnet ist, einen hohen Grad an Dekommodifizierung und eine universalistische Stratifikation aufweist. Diese Konstellation ergibt sich durch das Prinzip des Ega- litarismus, welches Rechte auf der Basis der Staatsbürgerlichkeit einräumt. Der wichtigste Gesichtspunkt der Abgrenzung dieses Typs ist die Regelung der Ein- kommenssicherheit durch soziale Absicherung und die großzügige Unterstützung berufstätiger Frauen einhergehend mit umfassender Defamilialisierung. Solche Konstellationen sind überwiegend in den nordischen Staaten vorzufinden (Esping- Andersen, 1990; 1999; Meulders und O’Dorchai; 2003).

2.1.2 Orloffs (1993) Erweiterung Esping-Andersens Ansatz um die Ge- schlechterkomponente

Die folgenden Typisierungen basieren in erster Linie auf der feministischen Kritik der Arbeit Esping-Andersens (1990). Dekommodifizierung ist, wie bereits er- wähnt, nur nach vorhergehender Kommodifizierung des Einzelnen möglich. Sie kann also nur dann emanzipizierend wirken, wenn es eine Wahl zwischen bezahl- ter Arbeit und dem Verzicht darauf gibt, was für Frauen häufig nicht zutrifft (We- ber, 1998). Darüber hinaus bietet die von Frauen ausgeübte unbezahlte Arbeit die Möglichkeit der Dekommodifikation der männlichen Arbeitskraft und muss nach Orloff (1993) deswegen in die analytischen Rahmenbedingungen miteinbezogen werden. Zwar hat Esping-Andersen (1999) versucht diesem Kritikpunkt durch sein Konzept der Defamilialisierung gerecht zu werden, dennoch ist anzumerken, dass die Familie als Hauptträger der Betreuungslasten betont wird, wobei diese aber zumeist auf die Frau reduziert werden können. Darüber hinaus ist die Ar- beitsmarktintegration der Frau, ermöglicht durch Defamilialisierung, nicht gleich- zusetzen mit Emanzipation und weiblicher Autonomie, wie es von Esping- Andersen gehandhabt wird (Köppen, 2003).

Eine recht ähnliche Typologie ist Ann Shola Orloffs (1993) Erweiterung von Esping-Andersens Ansatz um die Geschlechterkompomente. Orloff stimmt zwar dem grundsätzlichen feministischen Kritikpunkt zu, betont aber, dass feministi- sche Forschung zumeinst nicht systematisch komparativ vorging. In ihrer Arbeit

„Gender and the Social Rights of Citizenship The Comparative Analysis of Gen- der Relations and Welfare States” (1993) gliedert Orloff die Geschlechterkompo- nente in die drei Dimensionen qualitativer Variation ein: (1) Die Beziehung zwi- schen Staat und Markt wird um die Familie als Instanz der Wohlfahrtssicherung erweitert. (2) Das Kriterium der Stratifikation wird aufgeweitet auf Effekte sozia- ler Fürsorge des Staates auf Geschlechterbeziehungen. Insbesondere soll hier der Umgang mit bezahlter und unbezahlter Arbeit betrachtet werden. (3) Bei der Bür- gerrechts-/ Dekommodifizierungsdimension wird die implizite Annahme einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sowie die Nichtbeachtung unterschiedli- cher Begünstigungen von Männern und Frauen durch die Arbeitsdekommodifizie- rung kritisiert. Orloff erweitert ihren Ansatz daher um die Aspekte des Zugangs zu bezahlter Arbeit und die Möglichkeit für Frauen, autonome Haushalte zu formen und aufrecht zu erhalten. Die Auswertung dieser Gesichtspunkte erlaubt es, die Veränderungen des Ausmaßes des Patriarchismus der Wohlfahrtsstaaten abzu- schätzen (Orloff, 1993).

2.1.3 Lewis’ und Ostners (1994) partikularisiertes Male-Breadwinner Mo- dell

Neben dieser rein theoretischen Auseinandersetzung mit der Arbeit Esping- Andersens gibt es natürlich auch ausgearbeitete Typologien die versuchen, dem Geschlechteraspekt gerecht zu werden. Hier ist vor allem Jane Lewis’ (1992) par- tikularisiertes Male-Breadwinner Modell zu nennen, das auf der Basis von Ideal- typen arbeitet (O’Reilly, 2006). Diese Typologie kommt zu drei Variationen (Ausprägungen) des Male-Breadwinner Modells als approximierendes Maß für die geschlechtliche Arbeitsteilung und berücksichtigt zusätzlich die daraus fol- genden Konsequenzen für das Verhältnis zwischen bezahlter/ unbezahlter Arbeit und Wohlfahrt. Ausgangspunkt stellt wiederum die feministische Kritik dar, wo- bei darüber hinaus die Bedürfnisse von Frauen hinsichtlich Mutterschaft als sozia- le Funktion und nicht auf der Basis individueller Bedürfnisse definiert werden. Das Ergebnis der Analyse stellt laut Lewis und Ostner (1994) lediglich ein vorläu- figes dar und zielt nicht darauf ab, existierende Typologien zu ersetzten. Dennoch soll dadurch die Aufmerksamkeit für „the importance of securing entitlements to time as well as to money” (Lewis und Ostner, 1994) gefördert werden. Dies folgt aus der Betrachtung des Geschlechts als volle Variable bei der Strukturierung von Wohlfahrtsregimen, was dazu führt, dass „it cuts across established typologies because of the division of paid and unpaid work“ (Lewis und Ostner, 1994). Die Analyse betrachtet Frauen in Hinsicht auf ihren sozialen Anspruch als Mutter, Ehefrau, Arbeiter oder Kombinationen der genannten (Lewis und Ostner, 1994). Dies soll durch die Stärke der Ausprägung des Male-Breadwinner-Models vorher- gesagt werden können, was als Maß für den Grad der Freistellung der Frau von Familienverplichtungen gesehen werden kann, also auf welche Weise der Wohl- fahrtsstaat Frauen individualisiert. Die zweidimensionale Darstellung von Indivi- dualisierung durch (1) ökonomische Unabhängigkeit, also die Möglichkeit für Frauen eigenes Geld zu verdienen, und (2) Unabhängigkeit von Familienverplich- tungen, also die Gesellschaft als Sorgetragender („care giver“) und die wirkliche Wahl der Frau in Hinsicht auf Pflegearbeit in der Familie, führt zu folgender Dif- ferenzierung (Christensen, 2002):

Das idealtypische Strong-Male-Breadwinner Modell hat eine klare geschlechts- dualistische Arbeitsteilung: Der Ehemann geht einer Vollzeit-Lohnarbeit nach, die Ehefrau ist Vollzeit-Hausfrau und Sorgetragende für Kinder und ältere Familien- mitglieder. Im Vergleich dazu herrscht im Weak-Male-Breadwinner Modell eine tendenzielle Desintegration vor: Beide Ehepartner gehen bezahlter Arbeit nach, was durch die Übernahme eines beträchtlichen Anteils der Kinder-/ Famili- enversorgung durch den Staat gewährleistet wird (Christensen; 2002). Im Mode- rate-Male-Breadwinner Modell sind die Anreize für Frauen bezahlter oder un- bezahlter Arbeit nachzugehen eher gemischt (O’Reilly, 2006).

Der Unterschied zu Esping-Andersen (1990) was die Zuteilung der einzelnen Staaten zu Typen betrifft ergibt sich aus der Zusammenfassung seiner liberalen und konservativen Wohlfahrtsstaaten mit Ausnahme Frankreichs zu den Strong- Male-Breadwinner Staaten. Frankreich nimmt in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung als Moderate-Male-Breadwinner Staat ein, indem es einerseits Anreize zur Berufstätigkeit der Frau und andererseits gleichzeitig Anreize zur reinen Hausfrauentätigkeit setzt. Beide Typologien stimmen in der Zuordnung der skandinavischen Staaten zum sozial-demokratischen bzw. Weak-Male- Breadwinner Typ überein (siehe Anhang 1).

[...]

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Vergleichende Betrachtung von Wohlfahrtsstaattypologien
Untertitel
Die Bedeutung der Klassifikationskriterien
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Weibliche Erwerbsverläufe im internationalen Vergleich
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
29
Katalognummer
V117454
ISBN (eBook)
9783640196067
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vergleichende, Betrachtung, Wohlfahrtsstaattypologien, Weibliche, Erwerbsverläufe, Vergleich
Arbeit zitieren
Melanie Rottmüller (Autor:in), 2007, Vergleichende Betrachtung von Wohlfahrtsstaattypologien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117454

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