Kants erkenntnistheoretische Wende als Quintessenz der Kritik der reinen Vernunft

Kopernikanische Wende und Transzendentalphilosophie in der allgemeinen Metaphysik


Studienarbeit, 2008

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Kants erkenntnistheoretische Wende
1.1 Einleitende Darstellung sowie Ziel der Studienarbeit
1.2 Die „kopernikanische Wende der Denkungsart“
1.3 Der Weg zur Wende

2. als Quintessenz der Kritik der reinen Vernunft
2.1 Transzendentalphilosophie, die Botschaft der kopernikanischen Wende
2.2 Raum und Zeit, Formen des erkennenden Subjekts als Grundaxiom für die neue Denkweise
2.3 Urteils- und Kategorientafel, die Konkretisierung der Denkwende
2.4 Transzendentale Deduktion, Begründung und Manifestierung der neuen Methode
2.5 Die Quintessenz

Literaturverzeichnis

1. Kants erkenntnistheoretische Wende …

1.1 Einleitende Darstellung sowie Ziel der Studienarbeit

Kant will mit der KrV das reine Wissen, das nicht aus Sinnesdaten abgeleitet wird, durch eine empiriefreie Untersuchung und dadurch mit unumstößlicher Gewissheit bestimmen. Dies geschieht, indem er reine Vernunftbegriffe aus legitimen Prinzipien ableitet („Quellen“), die Möglichkeit nicht-sinnlicher Erkenntnis in Vollständigkeit benennt („Umfang“) und den Punkt bestimmt, von dem an der erfahrungsunabhängige Vernunftgebrauch in die Irre geht („Grenzen“ A XII[1]). Mit Hilfe dieses Programms der KrV soll die Disziplin Metaphysik den Rang einer Wissenschaft erlangen und in ihr zukünftig planmäßige Fortschritte erzielt werden. Denn schließlich ist sein Anliegen die reale Möglichkeit von nichtempirischen, sinnlich unabhängigen und dennoch synthetischen, kenntniserweiternden Aussagen der Metaphysik.

Obwohl Kant die Zielsetzung seiner Untersuchung also genau benennt, besteht über die systematische Einordnung der KrV Uneinigkeit: Während die Neukantianer das Werk der Erkenntnistheorie zuordnen[2], hebt Martin Heidegger mit Blick auf den enthaltenen Gedanken der Zeitlichkeit den ontologischen Aussagegehalt hervor[3]. Mit Gottfried Martin kann die Pointe der KrV gerade in der Verschränkung von Metaphysik und naturwissenschaftlicher Erkenntnistheorie gesehen werden.[4] Norbert Hinske und Giorgio Tonelli interpretieren das Werk ausgehend von der Textgenese aus Kants Logikvorlesung.[5] Als Buch über das Wissen vom Gegenstandswissen darf man aber zumindest annehmen, dass sich Kants grundlegendste Überlegung in der KrV in der These wiederfindet, dass sich erfahrungsunabhängige und unumstößliche sowie allgemeine/ausnahmslose metaphysische Wahrheit einem aktiv erkennenden Subjekt verdankt und nicht aus Gegenständen herrührt. Diese umstürzende Einsicht formuliert Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV. Sie ist als Teil der Vorrede zur zweiten Auflage nicht das Herzstück der KrV aber sie trifft als deren Grundaussage Kants Philosophie ins Herz. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht somit in der Erläuterung dieser Textstelle sowie der Darstellung der sich aus jener allgemeinen Überlegung zu Beginn der KrV ergebenden Folgen, die sich in dem allgemeinen Metaphysik-Teil des Werkes (Einleitung, transzendentale Ästhetik, transzendentale Analytik) wiederfinden. Es soll also auch herausgearbeitet werden, dass diese prägnante Passage systematisch den allgemeinen Teil der KrV darstellt, von welchem einzelne Überlegungen Kants in den folgenden Kapiteln der KrV unmittelbar abhängig sind.

1.2 Die „kopernikanische Wende der Denkungsart“

Lassen sich kenntniserweiternde Aussagen, die allein auf dem Verstandesgebrauch und gerade nicht auf sinnlicher Wahrnehmung basieren, treffen? Bereits in der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV skizziert Kant in einer sehr bekannt gewordenen Passage, wie er diese Frage nach der Möglichkeit der von ihm so bezeichneten „ synthetische Urteile a priori “ (B 19) zu beantworten gedenkt: „Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten […]. Es ist hiemit eben so, als mit dem ersten Gedanken des Copernicus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. […] Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen.“ (B XVI-XVII).

Aber wie kann sich unser Denken auf Gegenstände beziehen, wenn es auf eigenen Gesetzen beruht?

Ausgangspunkt ist das Erfolgsrezept der Naturwissenschaft, das Experiment, bei dem der Forscher bestandskräftige Ergebnisse hervorbringt, weil er die Versuchsbedingungen bewusst selbst bestimmt und auf diese Weise der Natur ein rahmengebundenes Ergebnis abverlangt. In Analogie dazu und der Ablösung des geozentrischen Weltbildes durch das heliozentrische entsprechend ist eine Wende in der Theorie über das Gegenstandswissen hin zu folgender Perspektive für die Metaphysik wissenschaftsbegründend: Laut Kant ist die Vorstellung umzukehren, dass Dinge auf unsere Sinne einwirken und dort Eindrücke hinterlassen würden. Stattdessen hat man davon auszugehen, dass das Objekt der Anschauung eine Erscheinung darstellt, da dann der Verstand wie bei einem naturwissenschaftlichen Experiment aktiv die Ausgangsbedingungen herbeiführt, denen wir die Dinge unserer Erkenntnis unterwerfen und so gezwungen sind, Eigenschaften in die Vorstellung hineinzulegen, damit daraus überhaupt eine Erfahrung resultieren kann. Wissenschaftlichkeit innerhalb der Metaphysik wäre dann möglich, da wir von den Gegenständen der Erfahrung ohne Rückgriff auf jene Erfahrung bereits das wissen, was wir diesen von uns aus an Bedingungen und Eigenschaften auferlegen, um sie dadurch erst zu Gegenständen unserer Erfahrung zu machen. So lautet zusammengefasst Kants berühmte „kopernikanische Wende“ und gleichsam die Antwort auf die oben genannte Ausgangsfrage der KrV.

1.3 Der Weg zur Wende

Kant ist ein Prozessdenker, die KrV ein „Patchwork“-Produkt, in dem Textstücke aus verschiedenen Denkphasen zusammengetragen sind.[6] Drei wichtige Schriftzeugnisse dokumentieren die Entwicklungsgeschichte hin zur Wende in Kants Denken über die Theorie des Erkennens von Gegenständen:

1. Kants Inauguraldissertation von 1770, De mundi sensibilis atque intelligibils forma et pricipiis (dt.: Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen).
2. Kants Brief an Marcus Herz vom 21. 02. 1772.
3. Die KrV, erschienen 1781 (2. Auflage 1787).

Dass der nach eigenen Gesetzen funktionierende Verstand die Dinge selbst erkennen könne, bezweifelt Kant, wie aus dem Brief an Marcus Herz vom 21. Februar 1772 hervorgeht, schon ca. zehn Jahre vor Erscheinen der KrV 1781. Dort heißt es: „Ich frug mich nemlich selbst: auf welchem Grunde beruhet die Beziehung desienigen, was man in uns Vorstellung nennt, auf dem Gegenstand?“[7] Damit dokumentiert dieser Brief die Wende in Kants Denken hinsichtlich reiner Verstandeserkenntnis: Reine Verstandesbegriffe können die Dinge selbst nicht zu erkennen geben. Das „Kopernikanische" an Kants Wende ist demnach die Entsprechung von Sonne und Verstand, nach dem sich die Objekte richten müssen. Die Initialzündung für diese neue Lehre, dass der Mensch die Welt nur so erkennt, wie sie sein Erkenntnisvermögen konstruiert, da er in einer Erscheinungswelt lebt, fällt nach Kants eigener Angabe in das Jahr 1769.[8] Denn die Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung beruht auf einer neuen subjektiven Lehre von Raum und Zeit, die Kant in De mundi erstmals ausformuliert.[9] In seiner Inauguraldissertation von 1770 trennt Kant intellektuelle von sinnlichen Vorstellungen, basierend auf einer Abgrenzung von Verstand und Sinnlichkeit als jeweils eigenständige Erkenntnisquelle.[10] Letztere bleibt auf das Erkennen der Dinge, wie sie dem Menschen erscheinen (Phaenomena), beschränkt während dem Verstand nach De mundi die intelligible Welt der Dinge an sich (Noumena) zugänglich ist.[11] Anders als im oben genannten Brief an Marcus Herz zweifelt Kant 1770 also noch nicht an einem Wissen von den Dingen an sich. Der Glanzpunkt an De mundi ist jedoch, dass der Verstand für sinnliche Erkenntnisse mitkonstitutiv ist, denn er vergleicht ebenfalls durch Sinne vermittelte Vorstellungen und ordnet sie in Urteilen und Schlüssen. Aus dieser Ordnungstätigkeit gehen allgemeine aber wegen ihrer sinnlichen Quelle empirische Begriffe hervor. Reine Verstandesbegriffe hingegen sind gänzlich frei von allem Sinnlichen und damit Gegenständlichen.[12] Sie sind ein menschliches Diktat gegenüber den Objekten der Erfahrung. Ihr Ursprung ist die Erkenntniskraft des Menschen.[13] Auf dem Weg zur „kopernikanischen Wende“ dokumentieren De mundi und jener Brief an Marcus Herz Kants entscheidende Durchbrüche im Denken.

[...]


[1] Die KrV wird nach der Ausgabe von Jens Timmermann, Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1998, und zwar nach der dort angegebenen Paginierung der Originalausgaben zitiert: A bezeichnet die erste, B die zweite Auflage; Kants sonstigen Druckschriften sowie Briefe und Nachlassreflexionen werden nach der Akademieausgabe, Kant’s gesammelte Schriften, Berlin 21910 ff., zitiert: Titelabkürzung AA, römische Ziffern bezeichnen den Band, arabische die Seite und tiefergestellte die Zeilen.

[2] Von Herrmann, KrV als Transzendental-Metaphysik, in: Fischer (Hg.), Kants Metaphysik und Religionsphilosophie, S. 1.

[3] Vgl. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, S. 15: „Grundlegung der Metaphysik als Enthüllung des Wesens der Ontologie ist Kritik der reinen Vernunft“.

[4] Vgl. Martin, Immanuel Kant, Vorwort; vgl. auch unten S. 7 (unter 2.1).

[5] Vgl. z.B. Hinske, Zwischen Aufklärung und Vernunftkritik. Die philosophische Bedeutung des Kantschen Logikcorpus (Aufklärung 7), S. 60, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Tonelli.

[6] Kreimendahl, Kant - Der Durchbruch von 1769, S. 2.

[7] Brief an Herz vom 21.2.1772, AA X, S. 1306-8.

[8] Reflexion 5037 (φ um 1776-1778), AA XVIII, S. 6921-22: „Das Jahr 69 gab mir großes Licht“.

[9] Kreimendahl, Kant - Der Durchbruch von 1769, S. 192.

[10] Oberhausen, Das neue Apriori, S. 48.

[11] De mundi, AA II, S. 39215-16: „ Intelligentia (rationalitas) est facultas subiecti, per quam, quae in sensus ipsius, per qualitatem suam, incurrere non possunt, repraesentare valet“.

[12] Vgl. dazu Oberhausen, Das neue Apriori, S. 52 f.

[13] De mundi, AA II, S. 40435-36: „per mentis naturam originarie datus“.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Kants erkenntnistheoretische Wende als Quintessenz der Kritik der reinen Vernunft
Untertitel
Kopernikanische Wende und Transzendentalphilosophie in der allgemeinen Metaphysik
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Einführung in Kants "Kritik der reinen Vernunft"
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
15
Katalognummer
V117307
ISBN (eBook)
9783640197897
ISBN (Buch)
9783640198009
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kants, Wende, Quintessenz, Kritik, Vernunft, Einführung, Kants, Kritik, Vernunft
Arbeit zitieren
Andreas Wilhelm Lukas (Autor:in), 2008, Kants erkenntnistheoretische Wende als Quintessenz der Kritik der reinen Vernunft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117307

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