Richtige Tonlagen für das Singen in Kindergarten und Grundschule


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2008

14 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

Stimmumfänge in der Forschung

Stimmgesundheit wichtiger als Gesangstil

Praktisches Vorgehen

Stimmliche Bildung für Erziehende

Nur Vorbild sein reicht nicht

Die geeignete Tonlage finden

Beispiele für die Praxis

Singen soll Spaß machen

Literatur

Vorwort

Es wird wieder mehr und häufiger mit Gruppen von Kindern gesungen. (Stichwort: Canto- oder Felix-Kindergärten, Musikschullehrkräfte in der verlässlichen Halbtagsgrundschule, Musikgarten, u.Ä.) Dies ist eine sehr schöne Aufgabe, stellt aber an den Unterrichtsstil, die Fertigkeiten und die Kontrollmechanismen der Erziehenden einige Anforderungen.

Während Gesanglehrende im direkten Gegenüber spezielle Stimmprobleme sofort hören und diese dann durch Übungen angehen können, bleibt die Hörkontrolle in einer Gruppe oder bei chorischer Stimmbildung stets auf den Gesamtklang beschränkt. Insbesondere die Überforderung durch zu hohes oder zu tiefes Singen oder zu starkes Forcieren muss auch an der Haltung erkannt werden oder von vornherein durch geeignete Tonlagen der Lieder und entsprechende Stimmbildung ausgeschlossen bleiben.

Wir alle wissen, wie stark ständige stimmliche Überforderung die Gesundheit der Stimme schädigen kann, und sollten daher gerade den Kindern, die ihre Liebe zum Gesang erst ausprobieren und entdecken wollen, durch geeignete Tonlagen beim Singen von Liedern entgegenkommen.

Stimmumfänge in der Forschung

Viel und zum Teil auch Widersprüchliches ist über die verfügbaren Umfänge der Kinderstimme gesprochen und geschrieben worden. Von einer ersten Untersuchung von über 1300 Kindern in Karlsruhe durch Hartlieb im Jahre 1957[1] bis zu neuesten Veröffentlichungen.[2] Zuletzt zwei etwa zeitgleiche Untersuchungen in Wien und in Marburg[3].

Ich möchte hier nur auf den zum gemeinsamen Singen von Liedern in Kindergruppen oder Schulklassen möglichen Bereich eingehen und zeigen, warum aus meiner Erfahrung und meinen Forschungsergebnissen heute eher etwas tiefer gesungen werden kann, als es vielleicht vor 50 Jahren üblich und möglich war. Dies hat verschiedene Gründe (siehe Tab. 1).

Tabelle 1

Mögliche oder wahrscheinliche Gründe für das Absinken

der geeigneten Singlage mit ungeübten Kindern

Längere Stimmlippen, weil die Kinder vergleichsweise größer werden als früher

Vorbilder, insbesondere die Erzieherinnen und Mütter (seltener Erzieher oder Väter)

Einfluss der populären Musik mit einem anderen Klangideal,

dabei tiefere Lagen durch bessere Aufnahme- oder Übertragungstechnik möglich

Verstärkter Gebrauch der Rufstimme (Bruststimme) gegen größere Umgebungslautstärke und Lärm

Gestiegene Kammertonhöhe (415 auf 445 Hz) bei gleich gebliebener Notation

Mangelndes Training verhindert Höchstleistungen besonders in den (hohen) Extremlagen

Gesundes Singen mit Bruststimmfunktion (insbesondere im anglo-amerikanischen Bereich)

anerkannt (vgl. die vielen Überlegungen zum „Belting“)

Insbesondere das stimmliche Vorbild der die Kinder fast ständig umgebenden populären Musik mit der gewohnheitsmäßig etwa eine Quinte höher gezogenen Bruststimme[4] bestimmt den Gebrauch der Stimme nicht nur beim Singen in diesem stilistischen Bereich. Auch bei Volksliedern und Kunstliedern, soweit sie überhaupt noch an die Kinder herangebracht werden, versuchen diese dem vorherrschenden Klangideal nachzueifern.

Stimmgesundheit wichtiger als Gesangstil

Dabei ist es tröstlich zu wissen, dass es nicht den einen richtigen Gesangstil, sondern lediglich gesunde oder weniger gesunde Verhaltensweisen gibt.[5] Die Gesundheit der Stimme bis ins hohe Alter sollte also schon bei der Arbeit mit Kindern in den Blick genommen werden.

In den Kindergärten wird jedoch von den Erzieherinnen (seltener Erziehern) häufig nur im Bereich ihrer Sprechstimmlage angestimmt. - In den USA hat sich hierfür der Begriff „Speech-Level-Singing“ herausgebildet. - Oder die Kinder singen von sich aus im Bereich um ihre eigene Sprechstimmlage herum.[6] Wollen wir in der heutigen Zeit mit Kinderstimmen arbeiten, müssen wir uns diesen Gegebenheiten stellen.

Beim gemeinsamen Singen beginne ich also in der Mitte des Umfangs von a bis h1/c2 und erschließe mit Liedern im Umfang einer Sext bis zu höchstens einer Oktave diesen Tonraum um das e1 herum von unten nach oben (c1 bis a1 oder auch bei Liedern mit Oktavumfang von b bis b1 oder h bis h1). Ich versuche also weder in der Tiefe noch in der Höhe sofort die Extreme singen zu lassen.[7]

Diese Übergangslage von der Brust- zur Kopfstimmfunktion ist den Kindern vom täglichen Sprechen und Rufen bekannt. Aus dieser vertrauten Lage heraus wird die Stimme entwickelt und der Übergang zur Kopfstimme durch allmähliche Zurücknahme der Vollstimmfunktion trainiert. Die oft beschriebene Gefahr der „Verbrustung“ bestünde nur dann, wenn man ausschließlich in der Sprechlage um das c1 herum singen würde.

Leider bedenken manche Erziehende dies nicht genügend und belassen es oft bei einer noch tieferen Lage, die die Kinder auch von sich aus wählen; um cis1/d1 oder sogar c1, in der Tiefe dann sogar bis g oder sogar f.[8] Solche Tiefen sind für Kinder tatsächlich nicht günstig. Aber auch ein von den Kindern als "gekünstelt" oder auch anstrengend empfundenes höheres Singen muss unbedingt vermieden werden, wobei ohne letzteres leider viele untrainierte Frauen nicht höher als g1/a1 singen können.

Praktisches Vorgehen

Nach einleitenden Atemübungen (Vorstellung: „Unter einer kalten Dusche“ und dem „Hecheln in Hundestellung“) achte ich schon darauf, dass den Kindern auch der Gebrauch der Kopfstimme bewusst wird, indem ich zum Beispiel Glissandoübungen von oben nach unten ausführen lasse. Durch spielerische Elemente des Rollenspiels gelingt es sogar hartnäckigen Brummern, beim Heulen im Mondenschein als „Hund oder Wolf“ den Gebrauch eines größeren Stimmumfangs spielerisch zu erfahren.[9] Wichtig sind mir auch Druck vermindernde Übungen, wie die Tongebung mit Zungen-„r“ oder beim (Kutscher-) Lippen-„brr“ mit locker geschlossenen Lippen. Wobei es eine spannende und schwierige Aufgabe ist, der Lippenbewegung die Stimmlippenbewegung beizufügen und wieder „auszuschalten“. Hierbei kann aber die Annäherung und lockere Öffnung der Stimmlippen sehr gut geübt werden.

Sehr schnell folgen dann aber Lieder, mit denen ich weitere Stimmbildung betreibe.[10] So wird ein Teil eines Liedes zur Gesangübung, die hinauf oder hinab transponiert und auf unterschiedlichen Vokalen spielerisch geübt wird.

In der Regel lernen Kinder Melodien und Rhythmen sehr schnell. Beim Singen lassen sie dann eher Wörter oder Silben aus, um auf la, la oder ähnlichen Lauten weiter zu singen. Lassen wir das bitte zu. Singen wir ein neues Lied sehr oft! Wir werden merken, beim Spielen singen die Kinder es noch häufiger allein weiter, ohne dass es ihnen langweilig wird.

Auch die Korrektur von wiederkehrenden Fehlern (häufige Verwechslung von dem/den oder ihm/ihn) und die Erklärung von unbekannten Wörtern sollte für uns selbstverständlich sein, denn Singen ist eine hervorragende Sprachförderung, und zwar sowohl in grammatikalischer Hinsicht als auch als rhetorische Schulung!

[...]


[1] Karl Hartlieb: Der Umfang der Kinder- und Jugendstimme, in: Folia phoniatrica 9, 1957, S. 225 - 239

[2] Eine tabellarische Zusammenfassung der mir bekannt gewordenen Untersuchungen ist abgedruckt in: Winfried Adelmann: Bitte nicht so hoch! Anwendbare Kinderstimmumfänge im Vor- und Grundschulalter, in: Sprache - Stimme - Gehör 3, Stuttgart 1999, S. 163 - 167

[3] Viola Teske: Untersuchung zur Stimmentwicklung bei Grundschulkindern in Zusammenhang mit der musischen Erziehung, Hamburg 2005

[4] Brigitte Annoff: Gesangstechnik in der populären Musik, Referat vor dem Kongress der Association des Professeurs de Chant de Suisse 2001, dokumentiert in: BDG-Aktuell, Nr. 23, Juli 2003, S. 26 bis 31

[5] Colin Durrant/Graham Welch: Making Sense of Music, London, New York 1995, S 64 „There is no one `correct´ way to sing (only listen to the different ways the voice is used in music throughout the world); but there are healthy and less healthy ways of singing, even for professional singers.“

[6] Eine typische Situation in der Arbeit mit Kindern ist es, wenn die Erzieherin ein Lied ankündigt und die Kinder selbst anstimmen lässt: „Und nun singen wir gemeinsam unser Lied: 1, 2, 3 ….“ Die Kinder stimmen dann, den sichersten folgend, natürlich in ihrer Sprechstimmlage an. Oft wird die Tonart erst im Laufe der ersten Takte von konkurrierenden Kindern festgelegt. Von „Ton angeben“ oder gar „Mitsingen“ oft keine Spur.

[7] Robert T. Sataloff/Joseph R. Spiegel/Deborah Caputo Rosen: The Effects of Age on the voice, in: Vocal Health and Pedagogy, San Diego, California, USA 1998, S. 123 (Nachdruck aus Robert T. Sataloff: Professional Voice, The Science and Art of Clinical Care, New York, 1991) Extremlagen können den fragilen Kinderstimmen schaden.

[8] So in Bezugnahme auf mich vertreten von Herbert Bruhn in einem Internetforum von Andreas Mohr, der mich da falsch verstanden haben muss. www.kinderstimmbildung.de/forum.htm#bruhn

[9] Vgl. Kurt Hofbauer: Praxis der chorischen Stimmbildung, Mainz 1978, S. 97

[10] Vgl. zur Stimmbildung am Lied die vielen praktischen Beispiele bei Adolf Rüdiger: Handbuch für den Chorleiter, Hamburg 1982

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Details

Titel
Richtige Tonlagen für das Singen in Kindergarten und Grundschule
Autor
Jahr
2008
Seiten
14
Katalognummer
V117229
ISBN (eBook)
9783640197460
ISBN (Buch)
9783640197712
Dateigröße
396 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Richtige, Tonlagen, Singen, Kindergarten, Grundschule
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Winfried Adelmann (Autor:in), 2008, Richtige Tonlagen für das Singen in Kindergarten und Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117229

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