August Aichhorn - Psychoanalyse und Verwahrlosung


Seminararbeit, 2006

17 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Biographie

2 Zu seiner Person

3 Die Psychoanalyse in der Fürsorgeerziehung

4 Einige psychoanalytische Begriffe

5 Mögliche Ursachen der Verwahrlosung

6 Der Erzieher - was er wissen sollte und wie er sich verhalten sollte

7 Diskussion

1 Biographie

August Aichhorn wurde im Juli 1878 in Wien geboren. Seine Vorfahren waren einfache Bauern in Bayern. Im 12. Jahrhundert wurden sie von österreichischen Raubrittern entführt um sie auf ihren eigenen Gütern anzusiedeln. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieben die Nachkommen dieser Familie Bauern auf dem gleichen Stück Land, dann zog ein Mitglied der Familie Aichhorn nach Wien. August Aichhorn war ein Urenkel dieses Familienmitgliedes.

Mit 20 Jahren wurde er Volksschullehrer in Wien. Im gleichen Jahr starb sein Zwillingsbruder. Als 1907 militärische Erziehungsheime für Knaben in Wien eingeführt wurden, verschrieb er sich dem Kampf dagegen. (vgl. Eissler 1951, S. 201 f.)

Er kämpfte erfolgreich „gegen die Strenge und Härte in [diesen] militärischen Erziehungsheimen an.“ (Slacik) 1908 wurde er Vorstand eines Ausschusses, der Erziehungsheime für Knaben organisieren sollte. Dadurch konnte er verhindern, dass sich das Erziehungswesen auf militärischer Basis durchsetzen konnte. (vgl. Eissler 1951, S. 202)

„Nach dem ersten Weltkrieg, von 1918-1922 leitete er die Anstalten Ober-Hollabrunn und St. Andrä und praktizierte dort seine Vorstellung von moderner Pädagogik.“ (Slacik) „Er stellte dort unter Beweis, dass Zwangserziehung in ´Besserungsanstalten´ keine positiven Erfolge brachte.“ (Wikipedia) „In den Baracken eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers wurde in aller Stille inmitten der Wirren des Kriegsendes und des gesellschaftlichen Umbruches […] eines der wichtigsten und erfolgreichsten Experimente in der Behandlung und Erziehung delinquenter und verwahrloster Jugendlicher vorgenommen.“ (www.freud-institut.com) Über viele seiner Beobachtungen aus dieser Zeit schrieb er in seinem Buch „Verwahrloste Jugend“. (vgl. Eissler 1951, S. 202)

Nach diesem Experiment leitete er Erziehungsstellen für die Wiener Stadtverwaltung, dann wurde er Vorstand der Erziehungsberatungsstelle der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft. Wie durch ein Wunder überlebten er und seine Familie den Nationalsozialismus. Nach dieser Zeit wurde er zum Präsidenten der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, was er bis zu seinem Tod 1949 auch blieb. (vgl. Eissler 1951, S. 203) 1922 war er dort ordentliches Mitglied geworden. (vgl. www.freud-institut.com)

„1947 wurde er Honorary Member der International Psycho-Analytical Association und auch der Chicago Psychoanalytic Society, 1948 wurde ihm der Titel "Professor" […] verliehen. […] Inmitten der Vorbereitungen zur Errichtung eines Institutes für Verwahrlostenforschung in Wien starb August Aichhorn am 13.10.1949.“ (ebd.)

2 Zu seiner Person

August Aichhorn gilt heute als einer der Gründer der psychoanalytischen Pädagogik. (vgl. Wikipedia) Er verknüpfte erfolgreich die Annahmen der Psychoanalyse mit Pädagogik. Oder besser gesagt, er entwickelte eine Pädagogik, die er dann durch die Psychoanalyse theoretisch untermauerte.

Er war „Grenzgänger zwischen Psychoanalyse und Pädagogik, Pionier, herausragende Persönlichkeit und vor allem ´Mensch´ […]. Sein Buch ´Verwahrloste Jugend´ ist ein Klassiker der Sozialpädagogik und gilt heute noch als richtungsweisend.“ (Slacik)

Aichhorn sah sich selbst als Student und Schüler, nicht als Lehrer. (vgl. Eissler 1951, S. 203) „Er war ein hervorragender Lehrer, er handelte als ein Diener seiner Schüler. Seine Intuition war beeindruckend, er war voller Interesse für die Menschen und liebte es, sie zu beobachten.“ (Butzmann 1999)

Außerdem besaß er die Fähigkeit sich mit seinen Patienten zu identifizieren, sie und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Als leidenschaftlicher Psychologe, der er war, gelang es ihm, das Problem der Verwahrlosung und des Verbrechens von religiösen, ethischen und moralischen Vorurteilen zu befreien und viele Menschen zu heilen, die alle anderen aufgegeben hatten. (vgl. Eissler 1951, S. 204 f.)

„Seine Fähigkeit Gespräche zu führen, war überragend, eine einzige Unterredung konnte jahrelang positiv in einer Familie nachwirken, ihm gelang sogar die Heilung eines Schizophrenen durch Gespräche. Er verbrachte täglich 16-17 Stunden mit seinen Klienten und sagte dabei, daß ihm das Gefühl der Arbeit fremd sei. Er hatte Verständnis für die Abenteuerlichkeit des Verbrechens, die Räuberromantik. Er war harmonisch, beherrscht und ein lebensfroher Genießer.“ (Butzmann 1999)

Durch seine Pädagogik, seine Art, mit Menschen umzugehen, wurde er als Pädagoge und als Psychoanalytiker unsterblich. Bis heute gilt er als führender Vertreter der psychoanalytischen Pädagogik, der wertvolle Aussagen über die Psyche des Menschen machte.

3 Die Psychoanalyse in der Fürsorgeerziehung

In seinem 1925 erschienen Buch „Verwahrloste Jugend“ beschreibt August Aichhorn, wie er versucht die Grundannahmen der Psychoanalyse in der Fürsorgeerziehung anzuwenden. Durch die psychoanalytische Theorie will er die Ursachen für Verwahrlosungserscheinungen finden und die Verwahrlosung möglichst heilen. Seiner Meinung nach liefert die Psychoanalyse nämlich wertvolle Aussagen für die Erziehungsberatung und auch für die Fürsorgeerziehungsanstalt, wo die Kinder und Jugendlichen hinkommen, wenn die Beratung nicht mehr ausreicht. (vgl. Aichhorn 1977, S. 123)

Sie bietet dem Erzieher unschätzbare psychologische Einsichten, er kann damit hinter die Verwahrlosung blicken um die Motive dafür zu finden und richtige Maßnahmen für eine Behandlung treffen. (ebd. S. 9) Durch die Psychoanalyse kommt er zu erhöhter Menschenkenntnis, womit er den Patienten besser erfassen und verstehen kann. Außerdem lernt er auch vieles über sich selbst, wodurch er seine Fehler im Umgang mit den Patienten reduzieren kann. Die Psychoanalyse erhöht die Leistungsfähigkeit eines Erziehers. (ebd. S. 14 f.) Auch wenn ein Erzieher nicht alles aus der psychoanalytischen Theorie eins zu eins übernehmen kann, da es doch einige Unterschiede zwischen einer psychoanalytischen Behandlung und einer Erziehungssituation gibt, so hilft es ihm doch das Verhalten der Patienten besser zu verstehen. Unterschiede gibt es vor allem in der Ausgangssituation: Während ein Neurotiker freiwillig zu einem Psychoanalytiker kommt, werden die Kinder und Jugendlichen in den Erziehungsanstalten zwangsweise eingeliefert. Dadurch ist von vornherein die Haltung des zu Behandelnden eine andere. Der Erzieher kann nicht erwarten, dass ihm der Verwahrloste versucht weiterzuhelfen, im Gegenteil. Außerdem hat es der Erzieher eher mit Lügen zu tun als mit unbewussten Widerständen. (ebd. S. 107 f.)

August Aichhorn hat sich mit verwahrlosten Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Mit verwahrlost meint er alle Typen von Kriminalität und Dissozialität bei Kindern und Jugendlichen sowie verschiedene schwer erziehbare und neurotische Kinder und Jugendliche. (ebd. S. 9) Typisch für diese Verwahrlosten sind die nur gering vorhandene Fähigkeit, Triebe zu unterdrücken, sie von primitiven Zielen ablenken zu können und die Wirkungslosigkeit der gesellschaftlichen sittlichen Normen. Außerdem gibt es bei den meisten einen offenen Konflikt mit der Gesellschaft aufgrund eines in der Kindheit nicht befriedigten Zärtlichkeitsbedürfnisses. Aichhorn spricht von gesteigertem Lusthunger, von einer primitiven Form der Triebbefriedigung und von Hemmungslosigkeit, aber auch von verdecktem Verlangen nach Zuneigung. (ebd. S. 129 f.) Er unterscheidet zwei verschiedene Hasstypen: Der erste Typ bringt seiner Umgebung ganz offenen Hass entgegen, der zweite hingegen ist nach außen hin liebenswürdig und freundlich, aber im Geheimen tyrannisch und aufwieglerisch. (ebd. S. 143)

Bei diesen Kindern und Jugendlichen versucht Aichhorn sich als psychoanalytischer Pädagoge. Die meisten Kinder kommen in eine Fürsorgeerziehungsanstalt, wo sie in Gruppen durch einen Erzieher beaufsichtigt und erzogen werden sollen. Während in früheren Anstalten die Gruppen gemischt waren, und die Kinder meist nur mit Gewalt im Zaum gehalten werden konnten, gibt es in den neuen kleinere und homogenere Gruppen. Die Gruppe allein soll bereits heilend wirken. (ebd. S. 123 f.) Um die Gruppen richtig zusammenzustellen, müssen psychische Mechanismen, die die Verwahrlosung bedingen, bekannt sein. Dabei hilft die Psychoanalyse. (ebd. S. 127)

4 Einige psychoanalytische Begriffe

In Aichhorns Arbeit taucht immer wieder die Psychoanalyse auf. Für ihn wichtig ist beispielsweise die Übertragung. Damit meint der Psychoanalytiker Gefühlsbeziehungen in einer Analyse. Der Patient bringt dem Analytiker Gefühle der Zuneigung oder des Hasses entgegen, die das normale Maß überschreiten. Umgekehrt, vom Analytiker zum Patienten, gibt es die Gegenübertragung. Diese Gefühlsbeziehungen der Übertragung basieren auf früheren Beziehungen. Gefühle, die der Patient früher für eine Person hatte, werden auf den Analytiker übertragen. Genauso verläuft eine Beziehung zwischen Kind und Erzieher, so Aichhorn. (ebd. S. 102 f.)

August Aichhorn spricht auch immer wieder von Kulturfähigkeit. Damit ist gemeint, dass man Lustgewinn aufschieben oder ganz darauf verzichten kann, Unlust ertragen kann und auch, dass man Triebregungen von primitiven Zielen auf höhere ablenkt. Das alles muss ein Kind lernen, das anfangs zur Gänze asozial ist, um kulturfähig zu werden. Es lassen sich zwei Abschnitte bei Kindern erkennen. Im ersten geht es primitive Selbstbehauptung, das Kind versucht ganz ohne Erziehung mit der Umgebung klarzukommen, beim zweiten geht es dann aber um ein Hineinwachsen in die Kulturgemeinschaft, um das sozial oder kulturfähig werden. Damit es das lernt, braucht es Erziehung, auch wenn eine Tendenz sich in die Wirklichkeit einzuleben, bereits da ist. Ist die Erziehung nicht gelungen, kommt die Fürsorgeerziehung ins Spiel. So gesehen ist die Fürsorgeerzziehung eine Nacherziehung, sie macht im Grunde dasselbe wie eine Erziehung. Die Fürsorgeerziehung ist erfolgreich, wenn statt Triebbefriedigung oder Triebunterdrückung wirklicher Triebverzicht ereicht wurde. (ebd. S. 10 f.)

Die Psychoanalyse unterscheidet zwischen bewusst und unbewusst. Aus dem Unbewussten kommen unsere Trieb- und Wunschregungen oder auch unsere Gefühlbeziehungen zu Personen und Dingen. Bei einem asozialen Kleinkind zielt alles nur auf Lustgewinn und Unlustvermeidung ab. Es versucht also, die Wünsche und Triebe aus dem Unbewussten zu befriedigen. Erst wenn es heranwächst entwickelt sich das Bewusstsein, ohne dass das Unbewusste verschwindet. (ebd. S. 28 f.) Gelingt es dem Kind nicht die Triebe zu befriedigen, ist Enttäuschung und Unlust die Folge. (ebd. S. 163) „Das Ich versucht das aus dem Unbewussten kommende ungezügelte Drängen nach Lustgewinn so zu modifizieren, daß ihm und auch Anderen aus der Triebbefriedigung kein Schaden entsteht - das ist das Realitätsprinzip. Es rechnet mit den real gegebenen Verhältnissen und ist im Bewusstsein wirksam.“ (Slacik) Der psychische Apparat wird also gezwungen, sich den Verhältnissen anzupassen, das Ich nicht zu gefährden. Das Ich lernt nach und nach mit der Realität zurechtzukommen. Das Lustprinzip wird schwächer, das Realitätsprinzip setzt ein. Das Realitätsprinzip entwickelt sich durch Versagungen, die zwangsläufig vorhanden sind, oder die der Erzieher vorgibt. (vgl. Aichhorn 1977, S. 163 f.)

Dadurch, dass das Realitätsprinzip sich entwickelt, wird das Kind kulturfähig. Um dem Ich des Kindes beim Einfügen in die Realität, beim Triebverzicht zu helfen gibt es nach Aichhorn zwei Möglichkeiten: Entweder durch Unlust nach einer unerlaubten Triebbefriedigung oder durch erhöhte Ersatzlust nach einem Triebverzicht, also entweder Strafe oder Anerkennung und Liebe. (ebd. S. 168)

Das Ich, vom in der Psychoanalyse immer wieder gesprochen wird, bildet sich durch Identifizierung. Sobald das Kleinkind beginnt, sich für seine Umgebung zu interessieren, wendet es den Personen aus der Umgebung sein Interesse, seine Libido zu. Ein Teil der Libido wird zur Objektlibido, der Vorgang der Objektbesetzung hat begonnen. Bei jeder Objektbesetzung, also der Zuneigung zu einem Objekt, werden Züge der Person einverleibt. Diesen Vorgang nennt der Psychoanalytiker Identifizierung. Jedes neue Objekt, jede Person im Laufe des Lebens, hinterlässt neue Züge beim Kind, wobei die ersten Identifizierungen die wichtigsten sind. Die ersten Personen sind normalerweise die Eltern. Deswegen und wegen des Ödipuskomplexes, von dem ich gleich noch sprechen werde, geschieht bei diesen Identifizierungen noch etwas Besonderes: Sie sondern sich zusätzlich noch vom übrigen Ich ab, bekommen eine Sonderstellung innerhalb des Ich, sie werden zu kritischen Instanz, die uns veranlasst, uns an die sittlichen Normen der Gesellschaft zu halten. (ebd. S. 185 f.) Sozial und kulturfähig zu sein bedeutet eine kritische Instanz zu haben und sich dem unterzuordnen. (ebd. S. 183) Diese Instanz nennt Freud Ichideal oder Über-Ich. Das Ichideal arbeitet mithilfe des Gewissens. Bei kinderreichen Familien oder in anderen Orten, wo Kinder zusammen sind, kommt es dazu, dass sie ähnliche Züge von gleichen Personen aufnehmen. Sie entwickeln ähnliche Ichideale, wodurch sie sich auch gegenseitig Züge entlehnen. So entstehen die sozialen Gefühle: Nachgiebigkeit, Verträglichkeit, Einfühlungsvermögen… Wenn diese Annahmen stimmen, versteht man, warum es in der Fürsorgeerziehung Kinder von Verbrechern oder Verwahrlosten gibt: Sie haben die Züge der Eltern einverleibt. (ebd. S. 187 f.)

[...]

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Details

Titel
August Aichhorn - Psychoanalyse und Verwahrlosung
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Institut für Erziehungswissenschaften)
Veranstaltung
Psychoanalyse in der psychosozialen Arbeit
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V116969
ISBN (eBook)
9783640187669
ISBN (Buch)
9783640188970
Dateigröße
449 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
August, Aichhorn, Psychoanalyse, Verwahrlosung, Psychoanalyse, Arbeit
Arbeit zitieren
Sigrid Lang (Autor:in), 2006, August Aichhorn - Psychoanalyse und Verwahrlosung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116969

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