Die vergessenen und verdrängten Opfer von Auschwitz

Sinti, Roma und Zeugen Jehovas im Konzentrationslager Auschwitz


Seminararbeit, 2006

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Sinti und Roma5 – aus Gründen der Rasse
1.1 Das Leben vor der Deportation
1.1.1 Die „gesetzliche Regelung“ der Zigeunerfrage
1.1.2 Per Rasse-Gutachten nach Auschwitz
1.2 Die Todesfabrik Auschwitz
1.2.1 Deportation und Überlebenskampf
1.2.2 Im Auftrag der Wissenschaft
1.2.3 Zum Problem der Beendigung

2 Zeugen Jehovas31 – aus der Überzeugung des Glaubens
2.1 Zwischen Aktion und Reaktion
2.1.1 Von der Schikane zum Verbot
2.1.2 Gestapo – Gefängnis – Konzentrationslager
2.2 Der lila Winkel in Auschwitz
2.2.1 Besonderes Hassobjekt der SS
2.2.2 Verhaltenskodex und Überlebensstrategien
2.2.3 Vom Verspotteten zum Vertrauten

3 Sinti , Roma und Bibelforscher – vergessene und verdrängte Opfer
3.1 Warum vergessen und verdrängt? – Die Situation nach 1945
3.2 Eigene Bemühungen der Aufarbeitung

4 Schlussbetrachtungen

Einleitung

„Bis auf den heutigen Tag übersteigt das in Auschwitz geschehene Verstand und Begriffsvermögen.“ 1

Auch wenn die Zahlen der Todesopfer von Auschwitz ungewiss sind, geht man von 1,1 bis 1,5 Millionen getöteten Menschen aus.2 Dies stellt jedoch nicht nur ein Abbild des Holocaust an den Juden dar, sondern schließt noch weitere Opfergruppen ein und gilt auch für diese als Zeichen der Endlösung.

Vielleicht aufgrund einer fehlenden Lobby, geringerer Opferzahlen oder auch weiterer Verfolgung nach der Zeit der Nationalsozialisten nahm die Öffentlichkeit das Dilemma dieser nicht in ihrem wirklichen Ausmaß wahr.

Diese Opfergruppen lassen sich danach charakterisieren wer sie waren (Slawen, Zigeuner), was sie getan hatten (Homosexuelle, politische Aktivisten, Widerstandskämpfer) und was sie ablehnten zu tun (Kriegsdienstverweigerer, Zeugen Jehovas).3 Sie werden von den Nationalsozialisten ausgegrenzt, entwürdigt, entrechtet, verfolgt und schließlich ermordet.

Stellvertretend für diese sollen die Sinti, Roma4 und Zeugen Jehovas in den Focus der näheren Betrachtung gerückt werden, da sich gerade für diese Gruppen Diskriminierung bis hin zu Verfolgung in der Zeit nach dem Nationalsozialismus vorgesetzte und somit auch in den Nachkriegsjahren ihr Leiden im Dritten Reich bewusst nicht thematisiert wurde. Gerade die Tatsache des Völkermords an den Sinti und Roma wird jahrzehntelang unterschlagen und verdrängt.

Bei der Betrachtung soll vor allem auf folgende Fragen eingegangen werden. Aus welchen Gründen wurden diese Gruppen verfolgt und wie sah ihr Leben vor der Deportation nach Auschwitz aus? Was erlebten diese Gruppen in Auschwitz und wieso kann hier schließlich von vergessenen bzw. verdrängten Opfern gesprochen werden?

Zur Beantwortung dieser Fragestellungen soll in dieser Arbeit im ersten Teil der Weg der Sinti, Roma und Zeugen Jehovas nach Auschwitz dokumentiert werden, um im zweiten Teil auf die mangelnde Aufarbeitung ihres Schicksals als vergessene Opfer einzugehen und ihre eigenen Schritte an die Öffentlichkeit darzustellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Sinti und Roma5 – aus Gründen der Rasse

1.1 Das Leben vor der Deportation

1.1.1 Die „gesetzliche Regelung“ der Zigeunerfrage

Die Diskriminierung, Ausgrenzung, Kriminalisierung und Verfolgung der Sinti und Roma beginnt nicht erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, vielmehr wird das, was zu dem Völkermord an 500.000 „Zigeunern“ führt bereits vor diesem Datum gedacht und durchgeführt.6 So wird bereits im Kaiserreich und der Weimaer Republik der Begriff der „Zigeunerplage“ geprägt und Bayern verabschiedet 1926 das „Gesetz zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“. Dies deutet bereits auf eine neue Qualität des Umgangs mit Roma und Sinti hin.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten verschärft sukzessive die Maßnahmen gegen Sinti und Roma. Bereits 1931 beginnt eine Stelle der SS in München mit der Erfassung von Sinti und 1933 fordert das Rassen- und Hygieneamt der SS, dass Zigeuner und Zigeunermischlinge unfruchtbar gemacht werden sollen.7 Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (Erbgesundheitsgesetz) eröffnet hierfür die Möglichkeiten von Zwangssterilisation und Zwangsabtreibungen, was eine heftige Gegenwehr der Sinti zur Folge hat, da Kindern einen bedeutenden Platz in ihrer Kultur einnehmen.

Der Rassenwahn erfährt somit eine ideologische und pseudowissenschaftliche Aufwertung. Dies schlägt sich in den Nürnberger Rassengesetze nieder, die schließlich die Sinti und Roma als „außereuropäische Fremdrasse“ in der gesetzlichen Behandlung mit den Juden gleichstellen.8 So verlieren die Sinti gemeinsam mit den Juden ihre deutsche Staatsbürgerschaft und ihr Wahlrecht. Ebenso verbietet man Eheschließungen zwischen Zigeunern und Ariern und letztendlich sogar untereinander. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, der Besuch von Schulen, Kinos, Restaurants, Krankenhäusern, das Sprechen der eigenen Sprache (Romanes) und viele weitere Dinge des alltäglichen Lebens sind den Sinti und Roma nicht mehr gestattet. Berufsverbote werden ausgesprochen und wie bei den Juden hat die Gestapo aufgrund des „Gesetzes über die Entziehung

volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ die Möglichkeit Häuser, Grundstücke, Wohnungseinrichtungen und weiteres zu enteignen.

Treibende Kraft in der Anfangsphase der Zigeunerverfolgung stellt der Reichsinnenminister Frick dar. Unter seinem Befehl führt man Fahndungstage zur Erfassung der Sinti und Roma durch. Da diese jedoch nicht die erwünschten Ergebnisse liefern, gründet er eine „Rassenhygienische Forschungsstelle“, deren Aufgabe unter der Leitung von Dr. R. Ritter in der beschleunigten Aufdeckung und Erfassung der Zigeunerstämme und Mischlingsgruppen besteht, „um für die in Kürze zu erwartenden einschneidenden Maßnahmen die Unterlagen bereitstellen zu können“9.

1.1.2 Per Rasse-Gutachten nach Auschwitz

Kann bei den Juden deren Rassenzugehörigkeit vorwiegend anhand der Religionsgemeinschaft festgestellt werden, ergibt sich bei den Sinti das Problem der Rassendiagnose, da viele kein Wandergewerbe mehr betreiben, sondern einen festen Wohnsitz und Beruf haben.

So werden Sinti und Roma im gesamten Reichsgebiet von mobilen Erfassungsteams durch Dr. Ritter, Dr. Würth, Dr. Odenwald, Eva Justin, Ruth Kellermann und Dr. Sophie Ehrhardt mit der Unterstützung von Kirchenbüchern, Finanz-, Standes-, Einwohnermeldeämtern und Polizeistellen genealogisch erfasst und anthropologisch vermessen.10

Kein Volk der Erde wird je systematischer erfasst und erforscht. Sämtliche Sinti und Roma werden vom „reinrassigen“ bis hin zum „Achtel-Zigeuner“ kategorisiert. Dazu werden Blut, Haut, Haar- und Augenfarbe bzw. Hand- und Fingerabdrücke untersucht. Ebenso vermisst man mit „anthropologischem Besteck“ die Stirnhaarbegrenzung, den Verlauf der Mundwinkel, die Größe der Ohrläppchen oder die Breite der Augenbrauen. Diese Daten, sowie die Ergebnisse der Befragungen und die äußerst fragwürdigen Erkenntnisse der Stammbäume münden schließlich in ein „Rasse-Gutachten“, das den Zigeuner-Blutsanteil bzw. den Mischlingsgrad offen legen sollen. Selbst ⅛ Zigeunermischlinge, d.h. wenn sich unter den acht Urgroßeltern ein Zigeuner befindet, werden in die Verfolgung einbezogen, ¼ Juden bleiben bei der NS-Verfolgung hingegen fast unbeachtet.

Die „Rasse-Gutachten“ geben den Ausschlag für eine Vielzahl von Verfolgungsmaßnahmen, bilden aber auch die Grundlage für den Völkermord und entscheiden letztlich über die Deportation ins KZ.11

Bereits vom 13. bis 18. Juni 1938 setzt eine erste zentral organisierte Verhaftungswelle ein bei der Sinti in die Konzentrationslager (KZ) nach Dachau, Buchenwald und Mauthausen verschleppt werden. Dies stellt einen Anfang des Genozids an den Roma und Sinti dar.12 Am 8. Dezember 1938 ergeht daraufhin Himmlers Grunderlass zur „grundsätzlichen Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen der Rasse heraus“, der im gesamten Reichsgebiet zu Festsetzung aller Zigeuner an ihrem jeweiligen Aufenthaltsorten führt, um die Transport aller 30.000 Sinti und Roma nach Polen vorzubereiten. Die vollständige Deportation muss jedoch aufgrund von Kriegsereignissen und Transportschwierigkeiten zunächst zurückgestellt werden und so befiehlt Himmler 1940 die familienweise Verschleppung von zunächst 2.800 Sinti ins Generalgouverment Polen, was einen Test zur Vorbereitung weiterer Massendeportationen von Juden und Sinti darstellt. In Polen werden einige Sinti und Roma ihrem Schicksal überlassen, andere weist man in Ghettos oder Konzentrationslager ein. Die Mehrzahl der nach Polen deportierten überlebt die Zwangsarbeit und Lagerhaft nicht, was Goebbels Gedanken entspricht „die Vernichtung durch Arbeit sei die Beste.“13

1.2 Die Todesfabrik Auschwitz

1.2.1 Deportation und Überlebenskampf

1942 leitet Himmler mit seinem „Auschwitz-Erlass“ die Endphase der Vernichtungspolitik ein, in dem er die Einweisung von Zigeunermischlingen, Rom-Zigeunern und Angehöriger zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft in Konzentrationslager befiehlt.14 Diesen wird zur Begründung des Transports vorgegaukelt sie erhielten eine neue Heimat mit Haus, Hof und Ackerland.

Ziel ist jedoch das Zigeunerfamilienlager Auschwitz-Birkenau, in das ebenso Sinti und Roma aus Italien, Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Norwegen, Dänemark und den besetzten Ländern Osteuropas eingeliefert werden. Die einzige Ausnahme bleibt Bulgarien, hier protestierten die obersten islamischen Würdenträger gemeinsam mit der orthodoxen Kirche und verhindern so die Verschleppung von Juden und Roma.15

Die ersten Transporte treffen am 26. Februar 1943 in Auschwitz-Birkenau ein und bereits zwei Monate nach Beginn der Deportation sind 16.000 Sinti und Roma im Zigeunerlager zusammengepfercht. Hier angekommen erhalten sie ihre Registriernummer, verlieren damit sofort ihre Individualität und werden zu einer unterschiedslosen Masse. Josef Reinhardt, der als Sinto mit 16 Jahren nach Auschwitz kommt, erinnert sich:“ […] viele, hauptsächlich kleine Kinder haben vom Tätowieren eine Blutvergiftung gekriegt. Sogar den Säuglingen hat man´s ja eintätowiert, auf die Oberschenkel, weil die Arme zu klein waren. Und viele sind daran gestorben […].“16

Im Zigeunerlager werden mehr als zwanzigtausend Sinti und Roma in Baracken untergebracht, die ursprünglich als Pferdeställe gedacht sind. „Die Baracken haben keine Fenster, sondern nur Lüftungsklappen und der Fußboden ist aus Lehm. In einer Baracke, die vielleicht für 200 Menschen Platz hätte, sind oft 800 und mehr untergebracht. Das allein ist schon ein furchtbares Martyrium.“17

Die Unterbringung der Sinti in Familienzusammenhängen ist Bestandteil des von der SS erdachten Lagersystems in Auschwitz.18 Dies zieht den Neid der anderen Häftlinge auf sich, deren Familien auseinander gerissen werden und führt zu einer verstärkten Isolierung der Roma und Sinti im Lager. Das hat wiederum einen größeren Mangel an Lebensmitteln und schlechtere hygienische Bedingungen für die Sinti zur Folge. Schon nach kurzer Zeit gibt es Hunderte von Seuchen- und Hungertoden, teilweise weist das Zigeunerlager die höchste Sterblichkeitsrate im gesamten KZ auf, was durchaus von den Verantwortlichen kalkuliert ist. Durch die Nähe zu den Krematorien liegt ebenso ein entsetzlicher Geruch von verbranntem Menschenfleisch in der Luft, was den Tot sogar beim Atmen vergegenwärtig.

Ceija Stojka, eine Sintizza, die als Kind nach Auschwitz kommt, beschreibt die hygienischen Zustände wie folgt: „Jeden Monat mussten wir alle zur Entlausung in einen Entlausungsblock. Dort stand ein großer Kübel voll mit ätzender Flüssigkeit, der Geruch war so stark, dass uns allein davon übel wurde. […] Wir mussten mit beiden Händen alles, was Haare hatte, anfeuchten. Ich habe damals meine Fingernägel verloren, die Flüssigkeit war so stark, dass sie uns die Haut abschälte. Zwei Wochen später bekamen wir dicke Wolldecken, sie waren (…) mit langen Haaren, sie kratzten und juckten. In diese Decken waren Typhusläuse hineingezüchtet. Der Typhus quälte die Menschen zu Tode, und dann noch die grässliche Krätze […].“19

Die massen- und familienweise Unterbringung verfolgt auch das Ziel kulturelle Traditionen der Sinti zu beschädigen und somit den psychischen Widerstand der Menschen zu brechen.20 Die Sinti werden im Lager mit Situationen konfrontiert, die ihrem kulturellen Verhaltens- und Moralkodex zuwiderlaufen. Dies beginnt bereits mit dem gemeinsamen Bad und der Scherung der Körperhaare, was ihrem tief verwurzelten Schamempfinden entgegensteht und eine permanente psychische Erschütterung auslöst. Gerade der Verlust von Haaren und Bärten wird als besonders schmerzlich empfunden, da dies Attribute für Weiblichkeit und Männlichkeit darstellen und somit die Konsequenz der Rasur im Verlust von Persönlichkeit und Individualität besteht.

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die vergessenen und verdrängten Opfer von Auschwitz
Untertitel
Sinti, Roma und Zeugen Jehovas im Konzentrationslager Auschwitz
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Veranstaltung
Erziehung nach Auschwitz
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
26
Katalognummer
V116702
ISBN (eBook)
9783640189687
ISBN (Buch)
9783640189786
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Opfer, Auschwitz, Erziehung, Auschwitz
Arbeit zitieren
Denise Kouba (Autor:in), 2006, Die vergessenen und verdrängten Opfer von Auschwitz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116702

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