Leben in Zwischenwelten

Ausbildungslosigkeit jugendlicher Migranten in Deutschland


Seminararbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

1 Ausländer oder Migrant?
1.1 Die Wurzeln jugendlicher Migranten
1.2 Ausdifferenzierung des Migrantenbegriffs

2 Bestandsaufnahme der Bildungsbeteiligung
2.1 Schule – Ein- oder Abstieg im Bildungssystem?
2.2 Berufsausbildung – eine reelle Chance?
2.3 Warteschleifen im Bildungssystem

3 Barrieren im Bildungsbestreben
3.1 Analphabeten in zwei Sprachen?
3.2 Einfluss der Eltern
3.3 Einstellung der Wirtschaft

4 Chancen und Forderungen
4.1 Interkulturelle Kompetenzen
4.2 Vergleich der Generationen
4.3 Forderungen

Schlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung. 1: Anteil ausländischer Schüler im Schuljahr 2002/03

Einleitung

Hauptschulabschluss, abgebrochene Ausbildung, ein Jahr in einer Berufsvorbereitungsmaßnahme und jetzt noch ein weiteres Jahr in der Berufsvorbereitung – die Erwerbsbiographie einer ausländischen Jugendlichen in Deutschland (Natalie, 17 Jahre).1

Jugendliche sind in ihrem Übergang von Schule zu Beruf besonders bedroht bereits vor ihrem Eintritt in die Berufswelt zu resignieren und die Orientierung zu verlieren. Vor allem ist das der Fall, wenn das Scheitern beim Berufseintritt nur die Fortsetzung einer negativen Schulbiographie darstellt.

Für die Teilhabe an den Lebenschancen, die das Bildungssystem in Form von Ausbildung oder Arbeit verteilt, stellt ein Bildungsabschluss die grundlegende Voraussetzung dar.2 Ein Leben ohne deutschen Pass bedeutet jedoch ein drastisch erhöhtes Risiko des Bildungsmisserfolgs. Der Berufsbildungsbericht bietet Zahlen die nach 30 Jahren Integrationsversuchen die deutsche Bildungslandschaft nur bloßstellen können und politischen Zündstoff bieten. Damit kommt der Analyse der Bildungs- und Ausbildungsbeteiligung jugendlicher Migranten immer noch und wieder eine entscheidende Bedeutung in der Frage der Integrationsfortschritte Deutschlands zu, berücksichtigt man auch, dass wir in Deutschland von einem Drittel der Kinder und Jugendlichen sprechen, die einen Migrationshintergrund besitzen.3

Doch wie sieht konkret die Bildungsbeteiligung jugendlicher Migranten aus? Wie weit greifen hierbei arbeitsmarktpolitische Integrationshilfen? Wo zeigen sich Gründe einer Bildungsbenachteiligung und welche Förderung der Jugendlichen ist in diesem Zusammenhang schließlich möglich?

Zur Beantwortung dieser Fragen soll im ersten Teil der Arbeit die Gruppe der jugendlichen Migranten und deren Beteiligung am deutschen Bildungssystem sowie Ausbildungsmarkt untersucht werden. Anschließend werden Hemmnisse der Jugendlichen bei Ausbildungs- und Arbeitssuche aufgezeigt, um im dritten Teil Potentiale und Chancen der Jugendlichen darzustellen, die den Benachteiligungen entgegenwirken können.

Die Betrachtungen in dieser Arbeit sollen sich dabei auf die jugendlichen Migranten richten, deren Eltern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind, da gerade bei dieser Gruppe jahrzehntelange Integrationsbemühungen bis heute zu keinen befriedigenden Ergebnissen geführt haben.

1 Ausländer oder Migrant?

1.1 Die Wurzeln jugendlicher Migranten

Momentan leben Hunderttausende jugendlicher Migranten in Deutschland, deren Eltern als Gastarbeiter meist in den 60er Jahren aufgrund des hohen Arbeitskräftebedarfs in Industrie und Bergbau nach Deutschland gekommen sind. Die zahlenmäßig stärksten Gruppen jugendlicher Migranten bilden dabei Türken, Jugoslawen, Griechen, Italiener und Spanier.

Sind die Beschäftigungen ausländischer Arbeitnehmer anfangs als vorübergehende Erscheinung bewertet und mittels Anwerbeabkommen rechtlich geregelt, entwickelt sich durch den Nachzug von Familienangehörigen eine neue Qualität der Migration.4 Gerade durch die Anwerbestopps 1973 entsteht bei den Ausländern Panik, dass ihre Familienangehörigen in Zukunft nicht mehr einreisen dürfen. So werden temporär geplante Aufenthalte immer häufiger zu einem zeitlich offen gehaltenen Dauerzustand und aus den Gastarbeitern ausländische Mitbürger und Einwanderer.

Auf den Zustrom ausländischer Kinder in den 70er und 80er Jahren ist die Infrastruktur Deutschlands jedoch nicht vorbereitet, was gravierende Folgen nach sich zieht. Sie werden als soziale Zeitbombe wahrgenommen und die Kreierung einer speziellen Ausländerpädagogik soll diese entschärfen. So erfolgt die Einrichtung spezieller Vorbereitungsklassen, die sich jedoch schnell zum Ghetto innerhalb deutscher Schulen entwickeln.5 Bis heute haben die Schulen der kulturellen Vielfalt kaum Rechnung getragen und Unterrichtsinhalte sowie Didaktik auf die Situation von Migrantenkindern eingestellt. So kämpft das deutsche Bildungssystem 30 Jahre später noch immer am gleichen Problem – der Integration ausländischer Jugendlicher in das deutsche Schulsystem.

1.2 Ausdifferenzierung des Migrantenbegriffs

Die korrekte sprachliche Bezeichnung der Jugendlichen, deren Eltern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind, gestaltet sich bei näherer Betrachtung als problematisch. Bezeichnet man den seit 40 Jahren in Deutschland lebenden Gastarbeiter und seine hier geborenen Kinder als Ausländer, gibt dies zwar ihren rechtlichen Status richtig wieder, scheint es aber ebenso paradox.6 Die Bezeichnung als Migrant, wird den Jugendlichen jedoch ebenso nicht gerecht, da sie selbst in Deutschland geboren sind und für sie selbst keine Migration stattgefunden hat. In dieser Arbeit soll der Begriff des Jugendlichen mit Migrationshintergrund verwendet werden, da dieser versucht deren Biographien gerecht zu werden und nicht auf ihre Staatsangehörigkeit abzielt.7

Bei der Betrachtung der Statistiken zur Bildungsbeteiligung Jugendlicher mit Migrationshintergrund ist jedoch Vorsicht geboten. Die amtlichen Zahlen geben kein vollständiges und realistisches Bild wieder, da mehrere Gruppen nicht ausreichend bzw. gar nicht berücksichtigt oder einfach zusammengefasst werden.8

Eine Gruppe, die zu Verzerrungen führt, sind die Eingebürgerten. Diese werden in der Statistik als „Deutsche“ geführt, womit der Bildungserfolg gut integrierter Jugendlicher mit Migrationshintergrund statistisch unsichtbar wird. 2003 sind allein 21.435 Jugendliche im Alter von 16 bis 22 Jahren eingebürgert worden.9 Es kann sogar davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Schüler mit Migrationshintergrund deutlich höher ist als die Zahl der ausländischen Schüler. Damit werden zum einen Integrationsprobleme unterschätzt, andererseits aber auch Integrationsleistungen nicht gebührend anerkannt.

Eine zweite Gruppe sind die Seiteneinsteiger, die erst seit kurzem in Deutschland leben und sich negativ auf die Bildungsbeteiligung jugendlicher Migranten aus Gastarbeiterfamilien auswirken.10 Die Bildungsstatistik kennt jedoch nur deutsche und ausländische Jugendliche – für Feindifferenzierungen ist kein Platz. So kommt es zur systematischen Unterschätzung des Bildungsfortschritts Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Schlüsselt man die Statistik genauer auf, finden sich zwar auch viele Schulabbrecher unter ihnen aber gleichzeitig gibt es ebenso eine wachsende Gruppe mit mittleren bis höheren Bildungsabschlüssen. Doch solche Integrationsfortschritte werden bei einer pauschalen Betrachtung kaum sichtbar. Eine differenzierte Bildungsstatistik, die nicht allein nach dem Pass selektiert, sondern nach einem Migrationshintergrund fragt, würde zeigen, wer unter den ausländischen Jugendlichen zu besonderen Risikogruppen gehört und wo bzw. wie eine gelingende Integration ins Bildungssystem gelingen kann.11

2 Bestandsaufnahme der Bildungsbeteiligung

2.1 Schule – Ein- oder Abstieg im Bildungssystem?

Schüler mit Migrationshintergrund stellen im Schulalltag keine Minderheit dar. Die Mehrzahl von ihnen ist in Deutschland geboren und wird hier regulär eingeschult. Trotz dessen ist das Bildungsgefälle zu deutschen Mitschülern markant. Die Teilhabechancen in der aufnehmenden Gesellschaft steigen somit offensichtlich nicht automatisch mit der Geburt und Einschulung im Aufnahmeland.12

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Anteil ausländischer Schüler im Schuljahr 2002/0313

Aufgrund der bereits geschilderten Problematik der Bildungsstatistik kann im Folgenden nur der Anteil aller ausländischen Schüler betrachtet und ansatzweise im Speziellen auf Jugendliche mit Migrationshintergrund gedeutet werden.

So besuchen im Schuljahr 2002/03 15,8% der ausländischen Jugendlichen eine Sonderschule und im Vergleich dazu 3,9% das Gymnasium. Noch ernüchternder zeigt sich ein Blick auf die Schulabschlüsse. Im Schuljahr 2001/02 beenden 40 % der ausländischen Schüler ihre Schullaufbahn mit dem Hauptschulabschluss und erschreckende 20% ohne Schulabschluss!14 Hauptschulen in städtischen Ballungsgebieten werden damit nicht nur zu „Restschulen“ sondern gehen als „Türkenschulen“ hervor. Auch wenn sich eine leichte Verschiebung zu Gunsten höherer Schulabschlüsse der ausländischen Schüler ergibt, besteht weiterhin eine stabile Differenz zu deutschen Schülern, da auch bei diesen eine Tendenz zu höheren Schulabschlüssen besteht.

Auch die gesamten Bildungsverläufe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund gestalten sich wesentlich brüchiger. So tragen sie im Vergleich zu deutschen Schülern ein zwei- bis dreimal so hohes Risiko eine Klasse zu wiederholen.15

Bei einer näheren Betrachtung zeigen sich jedoch auch unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund gravierende Unterschiede.16 So besuchen 15,6% der

spanischen Schüler das Gymnasium, der Anteil türkischer Schüler liegt gerade bei 5,4%. In Hinblick auf die Sonderschulen sind Jugendliche aus Italien (8,0%) und dem ehemaligen Jugoslawien (9,6%) besonders stark vertreten. Über die Ursachen kann nur spekuliert werden. Erklärungsmuster, die auf kulturelle Unterschiede als ausschlaggebend für geringere Bildungserfolge verweisen, müssen somit jedoch mit Skepsis betrachtet werden. Für einen Großteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund scheint somit ein problematischer Integrationsprozess in das Berufsleben vorgezeichnet.17

2.2 Berufsausbildung – eine reelle Chance?

Auch wenn sich die schulischen Abschlüsse im Laufe der Jahre verbessert haben, ist die Chance eines Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf eine Ausbildungsstelle gesunken.18 Nur 39% dieser Jugendlichen absolvieren eine Ausbildung im dualen System, bei deutschen Jugendlichen liegt der Anteil hingegen bei knapp zwei Dritteln und die Ausbildungsbeteiligungsquote Jugendlicher mit Migrationshintergrund sinkt von Jahr zu Jahr.

Eine Untersuchung der Arbeitsagentur und des Bundesinstituts für Berufsbildung überprüfte die Zugangsmöglichkeiten Jugendlicher mit Migrationshintergrund und belegt die besonderen Schwierigkeiten dieser beim Zugang zu einer Ausbildung.19 So liegen die Erfolgsaussichten von Lehrstellenbewerbern mit Migrationshintergrund selbst bei gleichen Schulabschlüssen weit unter denen deutscher Jugendlicher und steigen kaum mit besseren schulischen Voraussetzungen. Und trotz tendenziell besserter Noten haben Migrantinnen besondere Schwierigkeiten sich beruflich zu etablieren.

Für Jugendliche mit Migrationshintergrund ergibt sich daher am ehesten eine Chance in Ausbildungsberufen, die für junge Deutsche nicht mehr so attraktiv sind.20 Ihr Berufsspektrum wird damit sehr schmal und führt sie in Berufe mit schlechteren Arbeitsbedingungen, geringerem Lohn und niedrigeren Aufstiegsmöglichkeiten. Industrie, Handwerk und Handel bieten damit die wichtigsten Ausbildungsbereiche. Häufig wird gerade die Konzentration auf wenige Berufe den Jugendlichen zum Vorwurf gemacht, diese ist jedoch nicht auf ein eingeschränktes Spektrum von Berufswünschen oder mangelndem Engagement bei der Suche zurückzuführen, sondern vielmehr die notwendige Konsequenz überhaupt noch einen Ausbildungsplatz zu erhalten. So umfassen die 10 häufigsten Berufe 43% der ausländischen Auszubildenden. Die weiblichen Jugendlichen werden

meist Friseuse, Arzthelferin oder zahnmedizinische Angestellte, die männlichen Jugendlichen Maler und Lackierer, Gas- und Wasserinstallateur oder Elektroinstallateur.

Das Interesse Jugendlicher mit Migrationshintergrund an einer Berufsausbildung ist ungebrochen hoch. Selbst 75% derer, die keine Ausbildung gefunden haben, sind weiter an einer Stelle interessiert.21 Mit zunehmendem Alter haben sie je- doch kaum noch eine Chance ihr Ziel zu erreichen. Schließlich bleiben 40% aller ausländischen Schulabgänger ohne Ausbildung und jeder 4te bricht seine Ausbildung ab.22 Doch wie geht es für diejenigen weiter, die keine Chance auf einen Ausbildungsplatz erhalten haben?

2.3 Warteschleifen im Bildungssystem

Die Mehrzahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die keine Chance auf eine Ausbildung im dualen System erhalten, findet sich in einer beruflichen Vorbereitungsmaßnahme wie dem Berufsvorbereitungs- oder Berufsgrundbildungsjahr23 wieder.24 Hier werden zunächst schulpflichtige Jugendliche untergebracht, die in diesen Einrichtungen ihren Hauptschulabschluss nachholen bzw. verbessern können. Die Tatsache, dass ein Großteil der Schüler bereits über einen Abschluss verfügt und sogar Schüler mit einem Realschulabschluss hier zu finden sind, stellt die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen unter anderem in Frage. Besonders grotesk scheint ebenso, dass Schüler diese Maßnahmen sogar mehrmals durchlaufen! Welche Zukunftsperspektive soll eine Berufsvorbereitung über mehrere Jahre ohne eine Aussicht auf einen beruflichen Einstieg den Jugendlichen denn bieten? Da wundert es kaum, dass diese Einrichtungen den Ruf von „Migrantenverwahranstalten“ tragen und die Bildungsverläufe der Jugendlichen als „Förderkarrieren“ bezeichnet werden.25

Eine Studie von HILLER macht ernüchternd deutlich, dass ein Anstreben einer Lehrstelle oder einer normalen Erwerbskarriere aus einer berufsvorbereitenden Maßnahme heraus angesichts der heutigen Arbeitsmarktsituation fast unmöglich ist.26

Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund, deren Eltern sie finanziell unterstützen können, versuchen an einer Berufsfachschule ihre Chancen zu erhöhen und holen hier ihren Realschulabschluss nach, um sich mit diesem 2 Jahre später wieder am Ausbildungsmarkt zu bewerben.27 Die fehlenden Zugangsmöglichkei- ten zum dualen System werden so über berufsbildende Schulen kompensiert, wobei die Jugendlichen weitere Jahre in ihrem Bestreben eines beruflichen Einstiegs verlieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Leben in Zwischenwelten
Untertitel
Ausbildungslosigkeit jugendlicher Migranten in Deutschland
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Veranstaltung
Arbeit mit Migranten
Note
1,4
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V116701
ISBN (eBook)
9783640189670
ISBN (Buch)
9783640189779
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Leben, Zwischenwelten, Arbeit, Migranten
Arbeit zitieren
Denise Kouba (Autor:in), 2006, Leben in Zwischenwelten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116701

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