Sind die Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen in Deutschland ausreichend?

Eine fachliche Analyse und ihre Umsetzung im Gemeinschaftslehreunterricht


Examensarbeit, 2008

61 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1 Einleitung

2 Allgemeiner Teil
2.1 Definition (politischer) Korruption
2.1.1 Korruption als Problem der politischen Ökonomie
2.1.2 Korruption als Normverletzung
2.1.3 Korruption zur Einflussgewinnung
2.1.4 Strafrechtlicher Begriff der Korruption
2.1.5 Zusammenfassung
2.2 Typologien der Korruption
2.3 Arten der Korruption
2.3.1 Bestechung und Erpressung
2.3.2 Unterschlagung bzw. Veruntreuung öffentlicher Mittel
2.3.3 Nepotismus
2.4 Kosten der Korruption
2.4.1 Materielle Kosten
2.4.2 Immaterielle Kosten
2.5 Nutzen der Korruption
2.6 Messung von Korruption
2.7 Tatorte politischer Korruption
2.7.1 Parteienfinanzierung
2.7.2 Öffentliche Auftragsvergabe
2.7.3 Nebeneinkünfte
2.7.4 Abgeordnetenbestechung.
2.7.5 Lobbyismus
2.8 Bekämpfung der Korruption

3 Politische Korruption in Deutschland
3.1 Lagebild der Korruption in Deutschland
3.2 Kosten der Korruption in Deutschland
3.3 Strafrechtlicher Korruptionsbegriff
3.4 Tatorte der politischen Korruption in Deutschland
3.4.1 Abgeordnetenbestechung.
3.4.2 Lobbyismus in der BRD
3.4.3 Parteienfinanzierung
3.4.3.1 Spenden
3.4.3.2 Spendenregulierung in der BRD
3.4.3.3 Verbesserungsvorschläge für die deutsche Parteienfinanzierung
3.4.4 Öffentliche Auftragsvergabe
3.4.5 Nebeneinkünfte
3.4.6 Forderung nach einer Karenzzeit bei Ausscheiden aus dem Amt
3.5 Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen in Deutschland und ihre Bewertung

4 Umsetzung des Themas im Gemeinschaftskundeunterricht
4.1 Vorüberlegungen
4.2 Die Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Thema
4.3 Welchen Beitrag leistet das Thema der politischen Korruption in Deutschland zur politischen Bildung der Schülerinnen und Schüler?
4.4 Eingliederung des Themas in den Bildungsplan
4.5 Beispiele der Umsetzung des Themas im Unterricht
4.6 Problemstellen bei der Umsetzung des Themas

5 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Die Korruptionstriade (Quelle: Oswald 2002: 44)

Abb. 2: Typologien nach Britta Bannenberg Quelle: Bannenberg 2003: 120) (Quelle: www.transparency.de, Stand:05.01.2008)

Abb. 4: Auszüge aus dem Corruption Perception (Quelle: www.transparency.de, Stand:05.01.2008)

Abb. 5: Entwicklung der Korruptionsstraftaten (Quelle: Bundeskriminalamt Bundeslagebericht Korruption 2006)

Abb. 6: Zielbereiche der Korruption (Quelle: Bundeskriminalamt Bundeslagebericht Korruption 2006)

Abb. 7: Arbeitsaufträge von Jos Schnurer (Quelle: Schnurer 2001: 46)

1 Einleitung

„Deutsche halten politische Parteien für korrupt“ (www.welt.de (1) Stand 18.12.2007), so titelte DIE WELT im Dezember 2007. Nicht erst seit Skandalen wie dem Kölner Müllklüngel, bei dem Politikern und Parteien Geld und Beraterverträge zugeschanzt wurden, um an lukrative Aufträge zu kommen, zeigt sich, dass auch in Deutschland politische Korruption in einem Ausmaß existiert, das man von einer führenden Industrienation und in einer gefestigten Demokratie nicht erwartet hätte. Skandale wie in Köln lenken immer wieder die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Korruption und fördern das wachsende Unbehagen an Politik. Es scheint auch keine Partei vom Verdacht der Korruption ausgenommen werden zu können, wie die Fälle Kohl, Lenz, Özdemir, Döring und Gysi zeigen.

Laut einer Untersuchung der Nichtregierungsorganisation Transparency International (TI) sind die Deutschen auch nicht überzeugt vom Kampf der Regierung gegen Korruption. So empfinden 77 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, dass die Korruptionsbekämpfung der Bundesregierung nicht ausreichend ist. Auch die Zukunft wird von den meisten Befragten pessimistisch gesehen. So gehen 69 Prozent davon aus, dass die Korruption in den nächsten drei Jahren noch zunehmen wird (vgl. www.transparency.de (1) Stand 18.12.2007). Steiert stellte bereits 1987 die Frage, ob Deutschland schon so weit sei, dass „die Korruption im Staate in eine Korruption des Staates umschlägt, in eine strukturelle Korruption des politischen Bereichs schlechthin?“ (Steiert 1987: 3) Schon damals schien die Zahl der Korruptionsdelikte und der Umfang der beteiligten Akteure und Institutionen zu steigen. Pessimisten sehen den Grund hierfür in einem wachsenden System korrupter Netzwerke von skrupellosen Politikern, Richtern, Staatsanwälten und Unternehmern. Man kann aber auch vermuten, dass die erhöhte Sensibilität der Öffentlichkeit mehr Korruptionsfälle ans Tageslicht bringt. Fest steht, dass wir uns in einer Zeit „gesteigerter Korruptionsintensität“ (Noack 1987: 11) befinden. Folge hiervon ist der zunehmende Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Politik und Bürokratie.

Aus diesem Grund müssen Politik und Wirtschaft „den Bürgerinnen und Bürgern beweisen, dass sie es ernst meinen mit neuen Verhaltensregeln, einem neuen Wirtschaftsethos und dem Kampf gegen die Korruption“ (Eigen 2003: 140). Dabei stellt sich nun die Frage:

Sind die Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen in Deutschland ausreichend?

Um dieser Problemstellung gerecht zu werden, wird in Kapitel 2 versucht, das Wesen politischer Korruption allgemein zu erfassen, um dieses in Kapitel 3 durch die Anwendung auf die Bundesrepublik Deutschland zu konkretisieren.

Nach einer definitorischen Klärung politischer Korruption und deren Einordnung in Arten und Typologien wird in den nächsten Kapiteln ein Kosten-Nutzen-Vergleich von Korruption gezogen.

Da Korruption einen Tatbestand darstellt, der von jedem unterschiedlich wahrgenommen wird, stellt sich die Frage nach der Messung und des Vergleichs von Korruption. Diesem Thema hat sich die Nichtregierungsorganisation Transparency International gewidmet, deren Korruptionswahrnehmungsindex in Kapitel 2.5 vorgestellt wird. Ausgehend von den danach beschriebenen Tatorten der politischen Korruption werden im letzten Kapitel mögliche Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen vorgestellt.

In Kapitel 3 wird die Bundesrepublik Deutschland auf die im allgemeinen Teil erarbeiteten Punkte untersucht.

Kapitel 4 zeigt die Möglichkeiten der Umsetzung des Themas im Unterricht.

2 Allgemeiner Teil

2.1 Definition (politischer) Korruption

„Everyone knows what corruption is“ (Johnston 2005: 61). Allerdings wird Korruption im alltäglichen Sprachgebrauch vielschichtig verwendet. So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Wissenschaft sich bisher vergeblich um eine allseits akzeptierte Definition von Korruption bemüht. Auf der Suche nach einer Begriffsbestimmung findet man von „allgemeinen Ausführungen zur Wortbedeutung (abgeleitet aus dem lat. Corrumpere): Bestechlichkeit, Verderbtheit, Sittenverfall“ (Bannenberg 2002: 12) über Definitionen aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen verschiedene Ansätze der Deutung.

„Korruption ist so alt und vielfältig wie die Menschheit“ (von Alemann 2005: 16). Deshalb finden sich auch viele historische Beispiele von Korruption in der Literatur. So gab es in jeder Gesellschaft neben den legalen Machtstrukturen auch die „unlautere Einflussnahme und Bestechung, um Macht zu gewinnen“ (Bannenberg 2004: 25). Schon in der Antike war die Korruption von demokratisch bestellten Ehrenbeamten ein ständig wiederkehrender Vorwurf (vgl. Schuller 2005: 50). Von dieser Zeit bis in die Neuzeit stellt die traditionelle Bedeutung von Korruption auf einen Prozess eines Gemeinwesens ab, „ein Verderben oder Verderbtsein, Zusammenbrechen oder Untergang von Werten und (Staats-)Strukturen“ (von Alemann 2005: 16).

Heute wird oft die klassische Definition von Joseph J. Senturia zitiert, die bereits im Jahre 1931 entwickelt wurde: „the misuse of public power for private profit“ (Senturia 1931 nach von Alemann: 20). Auch viele Organisationen wie die Nichtregierungsorganisation Transparency International 1 oder das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) definieren Korruption als „Missbrauch öffentlicher Macht zu privatem Nutzen“ (www.bmz.de Stand 06.12.2007).

„Korruption ist das Gesamtphänomen, politische Korruption die Teilmenge, die sich auf Korruption in der Politik bezieht“ (von Allemann 2005: 20). Im Folgenden werden verschiedene Theorieansätze zu politischer Korruption diskutiert. In den verschiedenen Kapiteln sollen ökonomietheoretische, sozialwissenschaftliche und politikwissenschaftliche Ansätze vorgestellt werden.

2.1.1 Korruption als Problem der politischen Ökonomie

Da es sich bei Korruption immer um Nutzenmaximierung der beteiligten Akteure handelt, liegt es nahe, dass sich auch die moderne politische Ökonomie mit dem Thema beschäftigt. Die politikwissenschaftliche Korruptionsforschung wird seit Jahren stark von Ansätzen der Institutionenökonomie beeinflusst. Diese geht bei der Principal-Agent-Theorie von einer „triadischen Beziehung zwischen einem Prinzipal, seinem Agenten und einem Klienten aus“ (Oswald 2002: 43). Dem Staat kommt hierbei die Rolle des Prinzipals zu. Dieser gewährt einem Agenten (Amtsträger) Entscheidungsmöglichkeiten über bestimmte Ressourcen, die der Agent in einem korrupten Tausch anderweitig veräußern kann. Der Klient kauft diese Ressourcen illegal auf und profitiert somit von dem Regelverstoß. „Im Falle politischer Korruption ist der Kunde der Bestechende und der Agent der Bestochene“ (Lindemann 2005: 46). Um sich zu bereichern, missbraucht letzterer seine Amtsbefugnisse und verstößt gegen den Vertrag mit dem Prinzipal.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Die Korruptionstriade (Quelle: Oswald 2002: 44)

Da der Prinzipal in diesem Modell eine abstrakte Person ist, können auch die Wähler als Prinzipal und die Gewählten als Agenten gesehen werden. Es können drei Ursachen für die Ausmaße politischer Korruption im Prinzipal- Agenten-Modell verantwortlich gemacht werden: als erstes das Ausmaß der Machtposition des Agenten, zum zweiten der Grad seines Handlungsspielraums und zum dritten die Intensität der Kontrollinstanzen (vgl. Lindemann 2005: 47).

Korruption ist immer ein Austauschprozess zwischen zwei oder mehr Akteuren. Nach von Alemann gehören dabei sieben Komponenten zur Austauschlogik (von Alemann 2005: 31):

1. Der Nachfrager (der Korrumpierende) will
2. ein knappes Gut (Auftrag, Konzession, Lizenz, Position),
3. das der Anbieter, der Entscheidungsträger in einer Organisation oder Behörde, also der Korrumpierte, vergeben kann.
4. Er erhält einen persönlichen verdeckten Zusatzanreiz (Geld oder geldwerte Leistungen) für die Vergabe über den normalen Preis hinaus,
5. verstößt damit gegen öffentlich akzeptierte Normen und
6. schadet damit Dritten, Konkurrenten und/oder dem Gemeinwohl
7. Deshalb findet Korruption versteckt, im Verborgenen statt.

Alle sieben Kriterien müssen erfüllt sein, damit es sich um Korruption handelt (vgl. von Alemann 2005: 31).

2.1.2 Korruption als Normverletzung

Die Soziologie untersucht in ihren Theorien häufig Rollenabweichungen und Normverstöße gelegt (vgl. Lindemann 2005: 31).

Hier wird Korruption als ein Tauschgeschäft gesehen, das gegen geltende Normen verstößt. Es liegt dann vor, wenn ein Gut verkauft wird, „das nach den geltenden Spielregeln nicht käuflich sein sollte bzw. zumindest nicht von dem Handelnden auf eigene Rechnung verkauft werden sollte“ (Zintl 2005: 183). Dazu gehören beispielsweise der Verkauf von Genehmigungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht oder der Verkauf von Ämtern, die eigentlich nach Leistung erworben werden sollten. Eigentlich stellen korrupte Handlungen bilaterale Angelegenheiten dar. Jedoch sollten sie bei der Betrachtung, was normverletzend ist, als trilaterale Beziehung, zwischen Prinzipal, Agent und Klient gesehen werden. Dabei wird die Prinzipal-Agenten-Beziehung durch individuelle Regelverletzungen unterlaufen. Politische Korruption kann hier durch käufliche Vollzugsagenten, käufliche politische Führung und durch käufliche Wähler auftreten (vgl. Zintl 2005: 184).

Um Korruption als Normverletzung zu betrachten, muss die Frage nach den von der Öffentlichkeit akzeptierten Normen gestellt werden. Hierbei ist zwischen Rechtsnormen und sozialen Normen zu unterscheiden. Rechtsnormen enthalten einen Zwang, der von eigenen Instanzen angewandt wird. Diese äußeren Verhaltensrestriktionen sind notwendig, da nicht zwangsläufig alle Agenten die Maßstäbe der Prinzipale internalisiert haben (vgl. Zintl 2005: 187).

Soziale Normen spiegeln die gesellschaftlichen Wertvorstellungen wieder. Solche Normen sind jedoch nichts Überzeitliches, sondern eng verbunden mit der politischen Kultur eines Landes. „Diese unterliegt einem ständigen Wandlungsprozess, so dass die Schwelle der Normverletzung von Land zu Land und in unterschiedlichen historischen Zeiträumen variiert“ (Sturm 2000: 6). Die Betrachtung dieser gesellschaftlich definierten Normbrüche gewährleistet, dass nicht nur juristisch handhabbare Abweichungen zur Definition von politischer Korruption herangezogen werden. (vgl. Lindemann 2005: 35). Allerdings ergänzen sich Rechtsnormen und soziale Normen in der Regel. Unterschiede treten jedoch in der Gewichtung und der Verbindung auf.

Korruption als Normverletzung weist auf eine „Störung der sozialen Beziehungen in einem politischen System“ (von Alemann 2005: 28) hin. Nach dieser soziologischen Auffassung von Korruption pervertiert der Selbsterhalt von Subsystemen zum Selbstzweck. In solchen Subsystemen wird der Erhalt des Gesamtsystems ignoriert und ein eigenes Parallelsystem geschaffen. Dieses kann von einem kleinen System der Bereicherung bis zu einer Netzstruktur eines Staates im Staate wie bei der italienischen Mafia reichen (vgl. von Alemann 2005: 28).

2.1.3 Korruption zur Einflussgewinnung

In der Politologie wird der Begriff der Korruption als „Verletzung eines formalen Entscheidungsprogramms durch die Entscheidungsträger zur Erlangung von Vorteilen für sich und andere“ (Morlok 2005: 135) verwendet. Diese Vorteile können materieller oder immaterieller Natur sein. Darunter fallen beispielsweise „Danke-Schön-Spenden“ oder aber auch Begünstigung von Akteuren. Zuwendungen an politische Parteien mit dem Ziel, Entscheidungen im politischen Raum zu beeinflussen, „stellen das Musterbild (um nicht von 'Idealbild' zu sprechen) politischer Korruption dar“ (Morlok 2005: 141). Die Finanzleistungen dieser Form der Korruption werden oftmals nur im Parteiinteresse verwendet. Für Berufspolitiker ist dieses Muster der Vorteilsnahme für die Partei nicht selten, da ihr parteiinterner Werdegang stark von ihrem Engagement für die Partei bestimmt wird (vgl. Morlok 2005: 141).

2.1.4 Strafrechtlicher Begriff der Korruption

Nicht nur in Rechtsstaaten, sondern erst recht in autoritären Staaten variieren die Rechtsnormen zur Korruption beträchtlich. Da eine juridisch-normative Definition ausschließlich auf den deutschen Rechtsraum beschränkt bleibt, werde ich darauf erst im Kapitel „Korruption in Deutschland“ näher eingehen.

2.1.5 Zusammenfassung

Bei der Begriffsbildung der Korruption ist ein interdisziplinärer Ansatz notwendig. Die Aspekte und Methoden der verschiedenen Wissenschaften müssen zu einer Synthese zusammengeführt werden, um eine Begriffseingrenzung durchzuführen. Eine „Grand Theory“ oder eine „General Theory“ (von Alemann 2005: 32), also eine endgültige Korruptionstheorie ist noch nicht in Sicht. Für die Erarbeitung der Fragestellung dieser Arbeit werde ich mich auf die Principal-Agent-Theorie stützen. Bei dieser übertragen die Bürgerinnen und Bürger (Prinzipal) dem Agenten besondere Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten. Im Rahmen dieser Möglichkeiten handelt oder entscheidet dieser regelwidrig und erhält dafür vom Klienten, der von dieser Normverletzung profitiert, eine Gegenleistung.

Trotz dieser Arbeitsdefinition gibt es in dieser Arbeit immer wieder Probleme der Abgrenzung von Korruption im Allgemeinen und politischer Korruption im Speziellen. Jedoch lässt sich grundsätzlich sagen: „Korruption ist Missbrauch anvertrauter Macht. Und Korruption ist Missbrauch von Vertrauen. Deshalb ist Korruption immer politisch“ (Röhl 2007: 8).

2.2 Typologien der Korruption

Wie bei der Definition von Korruption, stellt die Korruptionsforschung auch bei den Typologien ein reichhaltiges Angebot bereit. „Am gängigsten sind die Dichotomien“ (von Alemann 2005: 32). Hier wird zwischen Korruption auf der Alltagsebene, der so genannten petty corruption 2 und der großen Korruption (grand corruption 3), die den Staat als Ganzes umfasst, unterschieden. Erstere entspricht am ehesten der allgemeinen Vorstellung von privater Bereicherung durch öffentliche Ämter (vgl. von Alemann 2005: 312). „Hierunter fallen also der Polizist, der bei der Führerscheinkontrolle einen eingelegten Geldschein erwartet, der Zollbeamte, der gegen ein kleines Entgelt beide Augen zudrückt, oder der Angehörige der Kommunalverwaltung, der für bestimmte Aufmerksamkeiten alle fünf gerade sein lässt" (von Alemann 2005: 312).

Bei der großen Korruption „verschwimmt auch die Grenze zwischen formal- legalem und illegalem Handeln der Akteure“ (von Alemann 2005: 313). Die formale Legitimität wird zur Nebensache, wenn Staatsoberhäupter willkürlich Gesetze und Verordnungen zu ihren eigenen Gunsten und ihrer Clique erlassen, Gerichte abhängig in ihrer Entscheidungsfindung sind und sich Abgeordnete einstimmig im großen Stil bereichern (vgl. von Alemann 2005: 313). Weitere Beispiele hierfür sind die Zuweisung von Land an hohe Amtsträger und politische Weggefährten, die betrügerische Privatisierung von Staatsbetrieben, die Erteilung von Import- und Exportlizenzen und Manipulationen bei öffentlichen Ausschreibungen (vgl. BMZ 2002: 7).

Neben der einfachen Dichotomie gibt es diverse komplexere Typologien. Britta Bannenberg (Bannenberg 2003: 206) nimmt folgende Strukturbildung vor:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Typologien nach Britta Bannenberg (Quelle: Bannenberg 2003: 120)

Bei Verfahren der Struktur 1 (Bagatell- oder Gelegenheitskorruption) handelt es sich um Einzelfälle oder Fälle mit Bagatellcharakter. Diese werden aus der Situation heraus begangen und sind nicht auf Wiederholung angelegt.

Unter der Struktur 2 (gewachsene Beziehungen) sind Fälle struktureller Korruption zu verstehen. Hierbei handelt es sich um regional und personell begrenzte Korruptionsbeziehungen, die über einen längeren Zeitraum andauern.

Bei der 3. Struktur (Netzwerke) sind eine Vielzahl von Personen auf Geber- und Nehmerseite über Jahre involviert. Korruption gehört dabei zur Strategie und ist mit weiteren Straftaten verbunden.

Arnold J. Heidenheimer unterscheidet Korruption nach der gesellschaftlichen Akzeptanz in drei Kategorien:

1. White Corruption: Korruptes Verhalten wird relativ tolerant kodiert. Diese Form der Korruption kommt vor allem in familiär geprägten Strukturen vor.
2. Grey Corruption: Hier ist Korruption nach den geltenden moralischen Standards verwerflich. Allerdings fehlt es den Akteuren weitgehend an Unrechtsbewusstsein. Dies ist charakteristisch für den modernen Verfassungsstaat und für Staaten, die sich in der Transformation zu einer demokratisch geprägten politischen Kultur befinden.
3. Black Corruption: Korruption wird hier als grobe Normverletzung verurteilt und geahndet. Typisch ist Black Corruption für eine von modernen Medien geprägte Gesellschaft (vgl. von Alemann 2005: 34).

2.3 Arten der Korruption

2.3.1 Bestechung und Erpressung

Unter Bestechung wird ein in beiderseitiger Vorteilserwartung durchgeführter

„Tausch zwischen zwei Akteuren bzw. zwei Gruppen von Akteuren, dem Bestechenden und dem Bestochenen“ (Cremer 2000: 22) verstanden. Für eine Bestechungssumme erhält der Bestechende eine Gegenleistung, die ihm ansonsten verwehrt geblieben wäre oder die er erst später in Anspruch hätte nehmen können. Dabei kommt zwischen dem Agent und dem Klient eine Unrechtsvereinbarung zustande, mit dem Ziel, den Prinzipal zu umgehen. Beispiele hierfür sind die Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder öffentlicher Lizenzen. Der Bestochene wird als „passiver Partner des Tauschs bezeichnet“ (Cremer 2000: 23) und für den Bestechenden wird üblicherweise das Bild des aktiven Akteurs verwendet. Dieser gibt dem Bestochenen Geld oder eine andere Leistung und erhält dafür illegalerweise eine Gegenleistung. Dadurch missbraucht der Amtsträger seine Machtposition und bricht die mit seinem Amt verbundenen Normen. Die Handlung wird freiwillig ausgeführt, da sich beide Akteure einen Vorteil davon versprechen (vgl. Pritzl 1996: 57).

Im Gegensatz zur Bestechung fehlt der Erpressung die Freiwilligkeit des Tauschvorgangs. Hierbei nutzt einer der Akteure seine wirtschaftliche, soziale oder politische Machtposition aus, um dem anderen zu drohen oder ihm Kosten aufzuerlegen. Der Erpressende muss hierbei über die nötigen Machtmittel verfügen, denn „langfristig ist sein Drohpotenzial in entscheidendem Maße von der Glaubwürdigkeit abhängig, seine Drohung auch tatsächlich wahrmachen zu können und zu wollen“ (Pritzl 1996: 58). In der Praxis lassen sich jedoch Erpressung und Bestechung nur schwer unterscheiden, da die Handlung des Amtsträgers dieselbe ist. Oft werden Bestechungsgelder nur bezahlt, um Nachteile zu vermeiden. Somit ist die Grenze zwischen diesen beiden Arten der Korruption fließend (vgl. Pritzl 1996: 58).

2.3.2 Unterschlagung bzw. Veruntreuung öffentlicher Mittel

„Die Unterschlagung stellt eine regelwidrige Verwendung (eines Teils) der öffentlichen Mittel dar, auf die der öffentliche Amts- oder Entscheidungsträger in direkter oder auch indirekter Weise Einfluss nehmen kann“ (Pritzl 1996:60). Im Gegensatz zur Bestechung kann die Unterschlagung eine Individualhandlung eines Amtsträgers sein. Hierfür ist kein Kontakt zu einem weiteren Akteur nötig. Jedoch ist Unterschlagung und Veruntreuung nicht nur ein Problem einzelner Personen. Häufig kooperieren mehrere Amtsträger, um Kontrollen zu umgehen (vgl. Cremer 2000: 24).

Das kick-back-Verfahren stellt eine „aufwendigere Form der Mittelumlenkung“ (Pritzl 1996: 60) dar. Hier wird zum Beispiel bei einer staatlichen Auftragsvergabe dem Auftragnehmer ein Preis in Rechnung gestellt, der über dem üblichen Marktpreis liegt. Die Differenz wird entweder zwischen dem zuständigen Amtsträger und dem privaten Auftragnehmer aufgeteilt oder fließt komplett an den Beamten zurück. Da dem Abfluss der Mittel der überhöhte Rechnungsbeleg gegenübersteht, ist der kick-back in den Belegen des Amtsträgers nicht nachweisbar. Das Problem des zu hohen Rechnungsbetrags wird auf den Auftragnehmer abgewälzt (vgl. Cremer 2000: 25).

Beim modifizierten kick-back-Verfahren entspricht zwar der Rechnungsbetrag dem Marktpreis beziehungsweise wird in einem Ausschreibungsverfahren ermittelt, der Auftrag wird jedoch nur minderwertig ausgeführt. Durch die dadurch eingesparten Mittel kommt es wiederum zu einem Geldfluss zugunsten des an der Auftragsvergabe beteiligten Beamten. Da bei finanziell umfangreichen Projekten immer mehrere Amtsträger betroffen sind, kann Veruntreuung im großen Stil keine Individualtat eines Beamten sein.

„Erfolgreiche Veruntreuung erfordert somit eine Gruppenbildung“ (Cremer 2000: 26).

Veruntreuung und im Besonderen das kick-back-Verfahren gehen häufig mit einem Bestechungsdelikt einher. Dies ist dann der Fall, wenn ein Teil des Bestechungsgewinns an einen Amtsträger zurückgeführt wird (vgl. Cremer 2000: 27).

2.3.3 Nepotismus

Nepotismus 4 bezeichnet das Ausnutzen einer Amtsstellung, „um Einzelpersonen oder Gruppen, zu denen der Amtsträger in einer Beziehung der Nähe steht, normwidrig zu bevorzugen“ (Cremer 2000: 27).

René Lemarchand und Keith Legg definieren politische Patronage:

„as a more or less personalized, affective and reciprocal relationship between actors, or sets of actors, commanding unequal resources and involving mutually beneficial transactions that have political ramifications beyond the immediate sphere of dyadic relationships“ (Lemarchand/Legg 1972: nach Pritzl 1996: 61).

Diese Begriffsdefinition verdeutlicht entscheidende Aspekte des Nepotismus. Dazu zählen die Ungleichheit der Akteure, die persönliche Nähe der Personen und das persönliche Abhängigkeitsverhältnis. Nepotismus führt jedoch langfristig zu Problemen, da der Aufbau und der Erhalt einer funktionierenden staatlichen Verwaltung elementar wichtig für eine freiheitliche gesellschaftliche Ordnung ist. Somit fördert das solidarische

Verhalten gegenüber Familie oder sozialen Gruppen nur kurzfristig die Individualinteressen (vgl. Pritzl 1996: 61).

Die Einteilung in die drei Arten der Korruption Bestechung, Unterschlagung und Nepotismus ist nur eine Möglichkeit der Unterscheidung. Diese kann allerdings in der Realität zu Schwierigkeiten führen, da die verschiedenen Formen meist nicht exakt voneinander abgegrenzt werden können. Die Übergänge innerhalb der dieser drei Arten sind oftmals fließend (vgl. Pritzl 1996: 61).

2.4 Kosten der Korruption

2.4.1 Materielle Kosten

Ein hohes Maß an Korruption verursacht nicht nur einen Vertrauensverlust in die Politik und Bürokratie eines Staates, sondern ist auch für hohe ökonomische Schäden verantwortlich. Während früher auch auf Vorteile durch Korruption hingewiesen wurde, so wird diese Theorie heute kaum noch vertreten. Dies liegt vor allem an der Tatsache, dass Bürokratie durch Korruption nicht überwunden wird, sondern oftmals mit Überregulierung einhergeht. Denn bei exzessiver Bürokratie ist es unerlässlich zu korrumpieren. Dadurch wird wiederum die Überregulierung weiter gefördert. Bei Korruption durch Agenten 5 leiden öffentliche Investitionen unter der Umgehung der Kontrollmechanismen zur Qualitätssicherung. Des Weiteren werden oftmals nur die Projekte finanziert, bei denen hohe Korruptionsleistungen zu erwarten sind und nicht diejenigen, die der Öffentlichkeit zu Gute kommen. (vgl. Graf Lambsdorff 2005: 233f).

Neben dieser Korruption durch Agenten kann es im Rahmen der „grand corruption“6 zu erheblichen Schäden kommen. Hier missbraucht der Prinzipal selber seine Macht zu seinem eigenen Nutzen. Bei der Korruption des Agenten werden gegen vom Prinzipal aufgestellte Regeln verstoßen. Im Gegensatz dazu stellt ein korrupter Prinzipal seine eigenen Regeln auf. Somit können diese nicht mehr als Maßstab einer Normverletzung dienen. Der Prinzipal kann somit sein Verhalten gesetzlich legalisieren. Diese gehen im Allgemeinen zu Lasten der Gesellschaft (vgl. Graf Lambsdorff 2005: 240).

2.4.2 Immaterielle Kosten

Die immateriellen Schäden, die durch Korruption entstehen, lassen sich nicht in Geldwerten messen. Es wird aber angenommen, „dass Korruption Grundwerte des sozialen und demokratischen Rechtsstaat verletzt, die Geschäftsmoral und die Grundlagen der Marktwirtschaft gefährdet, das polizeiliche Berufsethos beschädigt, Arbeitsplätze vernichtet, überhöhte Preise und Staatsverschuldung verursacht, Entwicklung und Innovation blockiert, die Schattenwirtschaft fördert und den Verfall politischer Moral ansteigen lässt“ (Bannenberg 2004: 41). Der Schaden durch Korruption durch Agenten ist nicht mit der Höhe der bezahlten Bestechungsgelder gleichzusetzen. Diese stellen nur eine Ressourcenumverteilung dar. Der Schaden kommt vielmehr durch die Verzerrung bei der Entscheidungsfindung zustande. So erhalten nicht mehr die qualifiziertesten Bewerber den Zuschlag und nicht mehr die fähigsten Bewerber einen Arbeitsvertrag, sondern diejenigen, deren Bestechungsleistungen am höchsten sind (vgl. Graf Lambsdorff 2005: 233).

2.5 Nutzen der Korruption

„Corruption (type unspecified) can be beneficial for development“ (Nye 2002: 285). Seit Mitte der sechziger Jahre dominierte eine Theorie die Korruptionsforschung, nach der politische Korruption dem Aufbau marktwirtschaftlicher Institution zuträglich sei. Die Ansicht der Verfechter dieser Theorie, wie Huntington oder Nye, hatte zur damaligen Zeit auch Einfluss auf internationale Entwicklungsprogramme. Man war der Meinung, dass Korruption spezifische Funktionen zum Erhalt und Aufbau einer Marktordnung fördern kann. Allerdings konnte diese These innerhalb der letzten Jahrzehnte nicht nachgewiesen werden. Somit verlor diese Sichtweise nach und nach an Bedeutung und wird heute eigentlich nicht mehr vertreten (vgl. Lindemann 2005: 59).

[...]


1 Zu Transparency International siehe auch Kapitel: Messung der Korruption

2 Synonym werden hier auch die Begriffe low level corruption und situative Korruption verwendet (vgl. von Alemann 2005: 32)

3 Gleichbedeutend mit: top level corruption, strukturelle Korruption (vgl. von Alemann 2005: 32)

4 Synonym werden hier auch die Bezeichnungen ‚Patronage’, ‚Vetternwirtschaft’, Familienwirtschaft’ oder ‚Günstlingswirtschaft’ verwendet (vgl. Pritzl 1996: 60)

5 Principal-Agent-Theorie: Siehe Kapitel: Korruption als Problem der politischen Ökonomie

6 Siehe hierzu Kapitel: Arten der Korruption

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Details

Titel
Sind die Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen in Deutschland ausreichend?
Untertitel
Eine fachliche Analyse und ihre Umsetzung im Gemeinschaftslehreunterricht
Hochschule
Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Note
1,5
Autor
Jahr
2008
Seiten
61
Katalognummer
V116618
ISBN (eBook)
9783640180677
ISBN (Buch)
9783640180813
Dateigröße
1670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sind, Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen, Deutschland
Arbeit zitieren
Hannes Halbrock (Autor:in), 2008, Sind die Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen in Deutschland ausreichend?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116618

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