Affektmodellierung - Motoren, Entwicklung und Selbstkontrolle


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bedingungen der Entstehung unserer „gefühlskontrollierten“ Kultur
2.1 „Courtoisie“, „Civilitè“, „Civilisation“ - Drei Abschnitte gesellschaftlicher Entwicklung
2.2 Der Königsmechanismus und die höfische Gesellschaft

3. Affektmodellierung
3.1 Motoren für Affektkontrolle
3.2 Die Bedeutung der Begriffe „Psychogenese“ und „Soziogenese“

4. Zusammenfassung und Ausblick

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Unser Affektgefüge besteht aus einzelnen Triebäußerungen mit verschiedenen Funktionen, die wir unterschiedlich nennen. Wir sprechen z.B. von Hunger, dem Geschlechtstrieb, dem Geltungstrieb, dem Bedürfnis zu spucken und vielem mehr. Wir beherbergen ein ganzes Bündel von verschiedenen Trieben, welche wir im Laufe der Jahrhunderte zu beherrschen gelernt haben.[1]

Meine Hausarbeit behandelt den Prozess der Affektmodellierung. Dargestellt werden zum einen Motoren, wie z.B. die Angst vor sozialer Deklassierung. Zum anderen wird die Entwicklung hin zu einer gefühlskontrollierten Gesellschaft geschildert, z.B. im Rahmen eines kurzen historischen Abrisses und ich gehe auf die Bedeutung der Selbstkontrolle im Zusammenhang mit der Affektmodellierung ein.

Neben Norbert Elias lauten zitierte Autoren Erving Goffman, Peter L. Berger und Thomas Luckmann. In „Über den Prozeß der Zivilisation“ beschreibt Norbert Elias anhand von Manierbüchern, langfristige Wandlungen der Trieb- und Affektmodellierung in den europäischen Oberschichten. Die anderen erwähnten Autoren bieten weitere Sichtweisen bzw. andere Zugänge zum Verhältnis Individuum und Gesellschaft.

2. Bedingungen der Entstehung unserer „gefühlskontrollierten“ Kultur

In Norbert Elias’ Werk „Über den Prozeß der Zivilisation“, erstmals 1939 erschienen, begründet der deutsche Soziologe eine „Zivilisationstheorie“. Der Begriff „Zivilisation“ beinhaltet für ihn Vorstellungen über einen hohen Stand technischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Errungenschaften. Elias spricht von Zivilisation und verwendet den Begriff bewusst für die abendländische Gesellschaft. Er grenzt sich mit dem Begriff einerseits gegen „primitivere“ Kulturen ab und erhöht andererseits dadurch die Identität der eigenen zivilisierten Gesellschaft. Zivilisation ist nicht plötzlich, bewusst oder rational entstanden. Elias führt aus, dass die Verflechtung von Plänen und Handlungen der Menschen Wandlungen herbeiführen können, die kein einzelner Mensch plant oder schafft. Der Prozess der Zivilisation vollzieht sich zwar im Ganzen ungeplant, aber nicht ohne Ordnung, die dem Ganzen zu Grunde liegt.[2]

Norbert Elias betrachtet Wandlungen im Verhalten innerhalb einer Zeitspanne von ca. 800 bis ca. 1900 nach Christus. Der Autor betont, dass bereits die Menschen im Mittelalter und sowie in der griechisch-römischen Antike sich Fragen im Bezug auf das „richtige“ Benehmen stellten. Elias entschließt sich, vom mittelalterlichen Standard auszugehen und die Entwicklungskurve bis ins 20 Jahrhundert nach zu zeichnen.

Der soziale Wandel wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Dazu zählen der kontinuierliche technische Fortschritt, die Differenzierung der Gesellschaften und der wachsende Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Konkurrenzkampf ist ein Wettbewerb mehrerer Menschen um Möglichkeiten, über welche es noch kein Monopol eines Einzelnen bzw. von Wenigen gibt. Zu bedenken ist, dass jeder gesellschaftlichen Monopolbildung so ein Ausscheidungskampf voraus geht. Das Mittelalter war z.B. gekennzeichnet von Kämpfen zwischen dem Adel, der Kirche und den Fürsten um Herrschafts- und Ertragsansprüche. Ab dem 12. Jahrhundert tritt eine weitere Gruppe auf, das Bürgertum, und es beteiligt sich ebenfalls an den erwähnten Kämpfen.

Die Zentralisierung der Gesellschaften durch die Einrichtung staatlicher Gewalt und Steuermonopole, die fortschreitende Funktionsteilung sowie die Geldwirtschaft beeinflussen den sozialen Wandel ebenfalls. Eine Monopolbildung bedeutet zum einen, dass der direkte Zugang zu bestimmten Möglichkeiten geschlossen wird. Zum anderen, dass es zu einer zunehmenden Zentralisierung der Verfügungsgewalt eben dieser Möglichkeiten kommt. Die marktwirtschaftlichen Verflechtungen mehren sich und dies führt zu der Zentralisierung der Staatsgewalt. Weiters kommt es, so Elias, zu einer „Verlängerung der Handlungsketten“ und zu einer Verdichtung des sozialen „Interdependenzgeflechtes“. Interdependenzketten sind ein Bindeglied zwischen soziostrukturellen Veränderungen und den Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur. Mit Interdependenzketten meint Elias eine wachsende Abhängigkeit der Menschen voneinander innerhalb der stetig wachsenden Differenzierung und Teilung gesellschaftlicher Funktionen.

Der langfristige Gesellschaftsprozess ist durch eine vermehrte Funktions- und Arbeitsteilung geprägt und entsteht aus erhöhtem Wettbewerbsdruck und dem damit zusammenhängenden Bedürfnis zur Produktivitätssteigerung. Die Menschen stimmen ihre Handlungen und Vorgänge immer mehr aufeinander ab. Das Niveau der gegenseitigen Abhängigkeiten steigt und formt die Gesellschaften.

„Der Vorgang der Menschwerdung findet in Wechselbeziehung mit einer Umwelt statt.“ Die Autoren Berger und Luckmann vertreten die Position, dass es dem Menschen nicht möglich ist, sich ganz alleine zu entwickeln. Eine anthropologische Begründung hierfür ist der unspezialisierte Instinktmechanismus des Menschen. Die Triebe des Menschen sind im Vergleich zu anderen höher entwickelten Säugetieren „höchst unspezialisiert und ungerichtet“. „Das spezifisch Menschliche des Menschen und sein gesellschaftliches Sein sind untrennbar verschränkt.“[3]

2.1 „Courtoisie“, „Civilitè“, „Civilisation“ - Drei Abschnitte gesellschaftlicher Entwicklung

Berger und Luckmann vergleichen einen Abschnitt gesellschaftlicher Entwicklung mit dem Begriff „Sinnwelt“. Sinnwelten verändern sich, da sie historische Produkte der Aktivität von Menschen sind. Verschiedene Personen oder Gruppen bestimmen und verkörpern diese Wirklichkeit.[4]

Norbert Elias beschreibt die Entwicklung und Bedeutung der Affektmodellierung anschaulich im Zuge eines kurzen historischen Abrisses. „„Courtoisie“, „Civilitè“, „Civilisation“ markieren drei Abschnitte einer gesellschaftlichen Entwicklung. Sie zeigen an, aus welcher Gesellschaft, zu welcher Gesellschaft jeweils gesprochen wird.“[5]

Im Mittelalter werden das angemessene Benehmen bzw. auch der Ausdruck für das Selbstbewusstsein der weltlichen Oberschicht „Courtoisie“ genannt. „Courtoisie“ findet im französischen Sprachraum Anwendung, wobei Elias betont, dass es in anderen Sprachräumen des Abendlandes ähnliche - wie er sagt „funktionsgleiche“ - Begriffe gibt. Alle diese Begriffe bezeichnen das angemessene Verhalten am Hof. Schon im Laufe des Mittelalters selbst verliert sich aus dem Sinn des Wortes vieles von seiner ursprünglichen, sozialen Begrenzung auf die „cour“, auf „Höfe“. Der Begriff wird vermehrt in bürgerlichen Kreisen verwendet, die höfische Lebensweise wird nachgeahmt.

Der mittelalterliche Standard ist geprägt durch affektives Verhalten. „Die Triebe, die Emotionen spielten ungebundener, unvermittelter, unverhüllter als später.“[6] Lust und Unlust, Triebe und Neigungen werden kaum unterdrückt. Zahlreiche courtoise Schriften liefern Hinweise wie Fremdzwänge, ausgedrückt in Form von Vorschriften und Merkversen über Umgangsformen, die den Aufbau der mittelalterlichen Gesellschaft prägen. Zu diesem Wandel gehört auch die Veränderung im Lebensraum der Ritter. Die Folge ist eine stärkere Abhängigkeit vom König. Der Ritter muss sich stets kontrollieren, seine Affekte dem höfischen Leben anpassen und sich seinem Rang gebührend verhalten.

„Die Soziogenese der großen, ritterlichen Feudalhöfe ist zugleich die Soziogenese dieses courtoisen Verhaltens.“[7] An den großritterlichen Feudalhöfen bilden sich festere Konventionen der Umgangsformen, eine gewisse Mäßigung der Affekte und eine Regelung der Manieren heraus. Im Laufe der Jahrhunderte gibt es innerhalb der Standards eine Reihe von Modifikationen und Differenzierungen. Elias schreibt z.B.: „Es war ein anderer Standard …“, und bezieht sich auf den mittelalterlichen Standard, „… als der unsere, ob besser oder schlechter steht hier nicht zur Diskussion.“[8] Eine Veränderung des Standards zeigt sich z.B. im Essverhalten. Im Mittelalter ist es üblich, dass mehrere Personen die gleichen Teller und Schüsseln zum Mund führen, man die gleichen Messer und Löffel benutzt oder aus den gleichen Gläsern trinkt. Dieser Standard der Esskultur entspricht den menschlichen Beziehungen und der Affektgestaltung. Im 17. Jahrhundert besitzt bereits jeder einen eigenen Teller und Löffel. Auch die Suppe wird mit einem adäquaten Instrument ausgeschenkt. Der neue Stil des Essens entspricht zugleich den „neuen Bedürfnissen des Beieinander.“[9]

Schließlich folgt ein langsames Abtreten des ritterlich-feudalen Kriegeradels und es bildet sich eine neue absolutistisch-höfische Aristokratie im Laufe des 17. Jahrhunderts. Der Begriff „Courtoisie“ gerät in Frankreich langsam aus der Mode.

[...]


[1] vgl. N. Elias, 1997, Bd.1, S. 357.

[2] Vgl. N. Elias, 1997, Bd.2, S. 324 – 326.

[3] vgl. P. L. Berger und T. Luckmann, 1974, S. 50 – 51.

[4] vgl. P. L. Berger und T. Luckmann, 1974, S. 124.

[5] N. Elias, 1997, Bd.1, S. 230.

[6] N. Elias, 1997, Bd.1, S. 370.

[7] N. Elias, 1997, Bd. 2, 124.

[8] N. Elias, 1997, Bd.1, S. 170.

[9] vgl. N. Elias, 1997, Bd.1, S. 235.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Affektmodellierung - Motoren, Entwicklung und Selbstkontrolle
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V116569
ISBN (eBook)
9783640186686
ISBN (Buch)
9783640188383
Dateigröße
427 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Das Thema der Affektmodellierung nach der Zivilisationstheorie von N. Elias wird zwar durchaus informiert bearbeitet, aber nich besonders übersichtlich gegliedert. Das führt zu Wiederholungen (insbesondere zum Verhältnis Soziogenese und Psychogenese) und auch manchen unklaren Stellen. Auch sind die Argumente von Berger/Luckmann und von Goffman, die herangezogen werden, kaum in den Argumentationsgang integriert." Kommentar von Prof. W. Fuchs-Heinritz"
Schlagworte
Affektmodellierung, Motoren, Entwicklung, Selbstkontrolle
Arbeit zitieren
Eva Kirchschläger (Autor:in), 2007, Affektmodellierung - Motoren, Entwicklung und Selbstkontrolle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116569

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