Oswald von Wolkensteins poetologische Kunst


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Im europäischen Mittelalter sah sich der zeitgenössische Dichter mit festgefügten Normen im Literaturbetrieb konfrontiert. Er war einer überlieferten Stofftradition verbunden, meist wurde das Quellenmaterial für das oft von Fürsten bestellte Werk von diesen an den Dichter gegeben. Der Dichter war ausführender Handwerker, basierend auf – durch Gottes Gabe erlernbarem – Können und Wissen, nicht jedoch Künstler, und hatte schon erwähnten Normen zu folgen. Beeinflusst wurde ein solcher Dichter vom spirituellen Kulturmonopol der Kirche, Stofftraditionen aus archaischen und frühmittelalterlichen Umfeldern, nicht zuletzt wurde vom Dichter erwartet, mit seinem Werk zu einem höheren Weltverständnis beizutragen und somit seiner Verantwortung für die soziale Ordnung gerecht zu werden. Außerdem war er an die beim Publikum fixierten Erwartungen an eine Gattung gebunden, auch schränkte die Verfügbarkeit von Präsentationsmedien (meist wurde Lyrik mündlich oder in Liedform vorgetragen) ein[1].

Oswald von Wolkenstein setzte sich über die anonyme Handwerkerrolle hinweg und schuf sich eine unverwechselbare Identität. Die Trennung von gattungsmäßig – literarischem und faktischem Ich wurde von ihm aufgehoben. Er schuf die ersten autobiographischen Werke seiner Zeit und war sich seiner Kunst und Wichtigkeit durchaus bewusst. Dies äußert sich beispielsweise in dem Umstand, dass er seine Gedichte nicht nur signierte, was für die damalige Zeit unüblich war, sondern auch Sammelausgaben mit seinem Portrait in Auftrag gab, wo er als stolzer Edelmann mit dem ihm verliehenen Kannen – und Greifenorden posiert[2]. Eine solche Individualisierung war ihm nur möglich, weil er finanziell auf eigenen Füßen stand und keinem Mäzen verpflichtet war.

Der Titel meiner Hausarbeit, „Oswalds poetische Kunst“, legt folgende Fragestellungen nahe:

1. Inwieweit war Oswald mit dem poetischen und rhetorischen Regelwerk seiner Zeit vertraut und welcher Stilmittel bediente er sich?
2. Welche sprachlichen und formalen Besonderheiten weist Oswalds Lyrik auf?
3. Welche Topoi, festgefügten Metaphern und Liedtypen finden sich bei Oswald?

Um die erste Frage beantworten zu können, muss man sich zunächst die damaligen rhetorischen und politischen Einflüsse bewusst machen.

Wie bereits erwähnt war der Einfluss der Kirche auf die damalige Gesellschaft immens. So bedurfte es auch einer Art Legitimation von rhetorischen Mitteln, die ja aus der heidnischen Antike stammten, von klerikaler Seite. Dies geschah durch den Mönch Augustinus, der in seinem Werk de doctrina christiana empfahl, man solle auf die „Waffen der Beredsamkeit[3] “, also die rhetorischen Mittel, in einer christlichen Predigt nicht verzichten. Curtius stellte die These auf, dass es sich bei den im Mittelalter verwendeten rhetorischen Mittel um exakt dieselben wie bei Cicero („Weisheit ohne Beredsamkeit ist nutzlos,“ in de inventione[4] ) handele, und dass diese Mittel auch heute noch in Gebrauch seien. Die Ziele rhetorischer Mittel definiert Haug als dieselben wie beim antiken Gerichtsprozess, nämlich dem Publikum zunächst den Sprecher durch Bescheidenheitsformeln sympathisch zu machen, durch geschickte Angriffe Antipathie gegen die Opponenten zu erzeugen, dem Publikum Überlegenheit zu suggerieren und, nicht zuletzt, das Publikum von der Bedeutsamkeit, also der Relevanz der Sache zu überzeugen. Cicero bediente sich dabei verschiedener Stilstufen, nämlich dem niederen Stil für geringe Sachverhalte, die sich mit Geld, Privatem, Komischem oder Obszönem befassen, dem erhabenen Stil für große Gegenstände, in aller Regel menschliche Emotionen, und dem Mittleren Stil für Sachverhalte, deren Relevanz zwischen den beiden anderen liegt. Die Korrelation von Gegenstandshöhe, also Inhalt, und Ausdrucksniveau, also Form, war strikt einzuhalten; Augustinus jedoch tendiert eher zum sermo humilis, also leicht verständlicher, schlichter Rede[5]. Wichtige Aspekte in der Rhetorik sind außerdem das dispositio, das heißt die Auswahl und Anordnung der Formulierungen und Gedanken, das compositio, die Kunst der Syntax und der lautlichen Schmuckmittel, und das elocutio, der sprachliche Ausdruck mit dem ganzen Instrumentarium der grammatisch – rhetorischen Mittel[6]. Dieser Schmuckmittel bediente sich Oswald häufig, obwohl sich die Experten streiten, ob Oswald in den septem artes liberales ausgebildet war[7].

Im folgenden soll eine Auswahl der eluctii sowie compositii genannt und analysiert werden.

Zunächst wäre die Alliteration anzuführen, der sich Oswald von Wolkenstein beispielsweise in Kl. 26 im Vers 112 bedient: „mit meines bülen freund müsst ich mich ainen“[8]. Die Häufung des m – Lautes bewirkt eine Bedeutungssteigerung des Verses, da sie als akustische Besonderheit wahrgenommen wird.

Gleich fünf Alliterationen finden sich in Kl. 50:

„frisch, frei, fro, frölich, ju, jutz, jölich, gail, gol, gölich, gogeleichen, hurtig,

tum, tümbrisch, knauss, pum, pümbrisch.“

Zunächst fällt auf, dass dieser Wortkonstellation wohl keine primär sinnstiftende Funktion mehr zukommt[9], sondern dass das Hauptaugenmerk des Autors vielmehr auf der klanglichen Wirkung liegt, die dazu beiträgt, das Gehörte als „langen Ausruf der Freude“[10] zu empfinden.

Oben genanntes Beispiel ist gleichzeitig eine Onomatopoiia, eine schwelgerische Lautmalerei, die Oswald in „Der mai Mit lieber zal“ perfektioniert:

„[...] oci oci, oci, oci, oci oci, fi,

fideli, fideli, fideli, fi,

ci cieriri ci, ci cieriei ci, ri cidiwick,

fici, fici,

So sang der gauch neur: kawa wa cu cu.

„Raco“ sprach der rab,

„zwar sing ich auch wol, vol muess ich sein.

Das singen mein: scheub ein! herein! vol sein!“

„liri liri liri liri liri liri lon“

so sang die lerch,

so sang die lerch,

sa sang die lerch [...].“

Es handelt sich dabei um die Imitation von Vogelstimmen. Zunächst fällt eine erstaunliche Naturnähe zu den tatsächlichen Stimmen der genannten Vögel auf. Hans Moser bezeichnet diese stimmliche Zusammensetzung gar als „Orchester“, was durchaus schlüssig erscheint[11]. Sicherlich war es auch für den oder die Sänger nicht einfach, jene Passage zu singen, sie zeugte daher von hoher stimmlicher Kompetenz des Vortragenden. Nicht zuletzt ermöglichte ein solches Thema Oswald, eine besonders ansprechende Melodie zu entwickeln.

Gleichzeitig ist dieses Beispiel auch Repräsentant für die Verwendung einer Epanalepse, die ein Wort – oder einen Laut – wiederholt und dadurch akzentuiert („liri liri liri liri liri liri lon“)[12].

Refraincharakter haben die Verse „so sang die lerch / so sang die lerch / sa sang die lerch“, die durch einen Parallelismus, ebenfalls ein häufig verwendetes Stilmittel Oswalds („z. B. in „´Nu hus!’ sprach der Oswald von Wolkenstein / ´So hetzen wir!’ sprach der Michel von Greifenstein“; auch in „Mein sünd und schuld euch priester klag“, nämlich „götleicher rat [...], götleiche vorcht [...], götleich lieb [...]“) besonders betont werden.

Türler ordnet das Stilmittel des Asyndetons nicht in seinem Kapitel zur Klangwirkung ein, im Gegensatz dazu lautet der Untertitel von Hans Mosers Essay zu Oswalds Lied „Durch Barbarei, Arabia“ (Kl. 44) „Zur Klangphantasie Oswalds von Wolkenstein“[13], und tatsächlich ist die klangliche Wirkung der im Gedicht befindlichen Asyndeta nicht zu vernachlässigen:

„Durch Barbarei, Arabia,

durch Harmanein in Persia,

durch Tartarei in Suria,

durch Romanei in Türggia,

Ibernia, der sprüng hab ich vergessen.

Durch Preussen, Reussen, Eiffenlant,

gen Litto, Liffen, übern strant,

gen Tenmark, Sweden, in Prabant,

durch Flandern, Frankreich, Engelant

und Schottenlant hab ich lang nicht gemessen.

Durch Arragun, Kastilie,

Granaten und Afferen,

auss Portigal, Ispanie

pis gen den finstern steren,

von Provenz gen Marsilie –

in Races pei Saleren [...].“ (Kl. 44, V: 1 – 16)

An dieser Stelle möchte ich kurz auf die beiden Enjambements hinweisen, eines befindet sich zwischen den Versen vier und fünf, das zweite zwischen den Versen neun und zehn. Beide Zeilensprünge leiten in die einzigen syntaktisch intakten Satzenden des Abschnitts über.

Zurück jedoch zum Asyndeton. Die – akustisch ansprechende (der Vokalklang steht hier im Vordergrund – zunächst dominieren a, i und ia, in den Versen 7 und 8 die Laute ei, eu und i, darauf folgen in den Versen 10 und 11 e und a – Laute, abschließend finden sich wieder a – Klänge[14] ) – Aufzählung der Länder bewirkt ein Aufhorchen beim Leser, rein inhaltlich renommiert Oswald hier natürlich mit seiner Reiseerfahrung, ebenso verbindet er auch seine Sprach – und musikalischen Kenntnisse in Kl 18, V. 20 – 24 asyndetisch, (beinah ohne Konjunktionen, was beim Publikum den Eindruck erweckt, die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen) um sie, nicht eben unbescheiden, dem Publikum mitzuteilen:

„Franzoisch, mörisch, katlonisch und kastilian,

teutsch, latein, windisch, lampertisch, reuschisch und roman

die zehen sprach hab ich gepraucht, wann mir zeran;

auch kunnt ich vidlen, trummen, pauken, pfeiffen.“

Die klangliche Wirkung der Länder - und Sprachnamen steigert sich nur durch ihre Fremdartigkeit, Oswald bediente sich mehrfach solcher fremdsprachlicher Einsprengsel, teils verfasst er ganze Lieder auf Latein oder in bestimmten Sprachstilen, ich möchte darauf im zweiten Teil näher eingehen.

Was sich bei „Durch Barbarei, Arabia“ schon andeutet, wird in Kl. 69, „Herz, prich!“ laut Dieter Kuhn eines der „modernsten Lieder seiner Zeit“[15] von Oswald konkret forciert: syntaktische Konstruktionen werden zugunsten des klanglichen Ausdrucks aufgelöst:

I „Herz, prich!

Sich, smerz,

Hie ser und pringt

Natürlich lib,

Ich immer,

Ach, rach,

Ich grimmiklichen schrei,

frei, gesell,

wenn dein Treu bedenken.“

Die These Albrecht Classens[16], das Gedicht verdeutliche durch die Auflösung der Syntax die innere Unruhe des lyrischen Ichs, kann noch dahingehend erweitert werden, dass der Rhythmus des Gedichts sogar an den Rhythmus eines schlagenden Herzens erinnert, was ja wiederum eine Unterstreichung des Inhalts bedeutet. Kuhn ahnt etwas davon, er beschreibt den Klangcharakter des Gedichtes als „rhythmusrasselnden Fall einer tödlichen Verslawine“[17].

[...]


[1] Thum; Bernd: Aufbruch und Verweigerung, Bd. 1, S. 133 ff., Karlsruhe 1979.

[2] Wehrli, Max: Literatur im Mittelalter. Eine poetologische Einführung, Stuttgart 1984.

[3] Haug, Walter: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Darmstadt 1992, S. 7 ff.

[4] Haug, S. 10

[5] Es gibt die Ausnahme bei der Angemessenheit der Form, das christliche Sachverhalte oftmals in Vulgärsprache, der Rusticitas, abgefasst wurde, dies rechtfertigte sich durch die augustinische Ästhetik, die besagt, dass der Mensch zu gering sei, um von göttlichen Dingen, die für ihn schwer fassbar sind, in einem erhabenen Stil zu sprechen, so sind beispielsweise Lieder, die Weltabsage beinhalten, im niedern Stil geschrieben, wie „o snöde werlt“; vgl. Haug S. 18 ff.

[6] Vgl. Wehrli, S. 127.

[7] Die septem artes liberales setzten sich zusammen aus dem Trivium und dem Quadrivium Das Trivium beinhaltete die Grammatik (auch Poesie), also das richtige Reden, die Rhetorik, also schönes, wirkungsvolles Reden, und die Dialektik, also formale Logik. Das Quadrivium umfasste Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Es ist laut Expertenmeinung zu bezweifeln, dass Oswald derart systematisch gebildet war, jedoch ist anzunehmen, dass er einige wichtige Werke der Lehrdichtung für Poetik, z. B. De arte poetica und Ad Pisones von Horaz kannte.

[8] Versangaben zitiert nach: Wachinger, Burghart: Oswald von Wolkenstein. Lieder. Mittelhochdeutsch, Neuhochdeutsch, Stuttgart 1967.

[9] vgl. auch Spicker, Johannes: Literarische Stilisierung und artistische Kompetenz bei Oswald von Wolkenstein, Stuttgart/ Leipzig 1993, Kommentierender Durchgang zu „ir alten weib“, (Verse 99- 114), S. 175.

[10] Türler, Wilhelm: Stilistische Studien zu Oswald von Wolkenstein, Heidelberg 1920, S 99.

[11] Moser, Hans: Durch Barbarei, Arabia. Zur Klangphantasie Oswalds von Wolkenstein, 1969, In: Oswald von Wolkenstein, hg. Ulrich Müller, Darmstadt 1980, S. 166 – 193.

[12] vgl auch Türlers Kapitel zum Epizeuxis, S. 101.

[13] Moser

[14] Moser, S. 181

[15] Karl J. Schönmetzler: Pro und Contra: `Es well sich dann verkeren’. Anmerkungen zu meiner Neuausgabe und Übertragung der Lieder Oswalds von Wolkenstein. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft, Bd. 1, Stuttgart 1980/1981, S. 247.

[16] Classen, Albrecht: The Italian Connection. Zu einem Brief an einen gewissen Wolkenstein und einer provenzialischen Quelle für Oswalds polyglosses Lied Kl. 69. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft, hg. Hans – Dieter Mück und Ulrich Müller, Bd. 4, Stuttgart 1986, S. 155-162.

[17] vgl. Schönmetzler, S. 247.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Oswald von Wolkensteins poetologische Kunst
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V116332
ISBN (eBook)
9783640179237
ISBN (Buch)
9783640179275
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Dozenten: "Wissenschaftlich anspuchsvolle Arbeit mit fundierten Betrachtungen".
Schlagworte
Oswald, Wolkensteins, Kunst, Mittelalter, Lyrik, Poetologie, Rhetorik, Stilmittel, sprachliche Mittel
Arbeit zitieren
Wildis Streng (Autor:in), 2002, Oswald von Wolkensteins poetologische Kunst, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116332

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