„Ownership“ und „Statebuilding“ in ethnisch definierten Post-Konflikt-Gesellschaften. Die OHR-Mission in Bosnien und Herzegowina 1995-1999


Hausarbeit, 2008

43 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. OWNERSHIP IN POST-KONFLIKT-OPERATIONEN
2.1 Die Herkunft und Einordnung des Konzeptes
2.2 Ownership im Kontext des Post-Konflikt-State-Building in multi-ethnischen Gesellschaften
2.3 Die Problemfelder und die Operationalisierung

3. STATE-BUILDING IN DER POST-DAYTON-ÄRA
3.1 Der Vertrag ohne Partner: Das Dayton-Friedensabkommen
3.2 Komplexitätssyndrom – oder das politische System Bosnien und Herzegowinas
3.3 Die (Dys) Funktion der externen Akteure

4. DIE KONFERENZEN VON SINTRA UND BONN: ENTSTEHUNG EINES SEMI-PROTEKTORATS
4.1 Wechsel der Agenda: Die Konferenz von Sintra und die ersten Erfolge
4.2 Die Bonner Vollmachten

5. FAZIT

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

Im Jahre 1995, nach der katastrophal ausgegangenen Intervention in Somalia, der sich immer mehr als Katastrophe erweisenden UN-Mission in Bosnien und Herzegowina und der Paralyse der internationalen Gemeinschaft im Vorfeld des Genozides in Ruanda, veröffentlichte der damalige General-Sekretär der Vereinten Nationen Boutros Boutros-Ghali einen Nachtrag zu seiner im Jahre 1992 veröffentlichten Agenda for Peace. In dieser Beigabe schildert er die Gefahren, die von innerstaatlichen Konflikten ausgehen. Ganz besonders wies er darauf hin, diese Konflikte seien von einer Fragilität der Staatlichkeit begleitet (failing states), die zu einem kompletten Kollaps der staatlichen Institutionen führen kann (failed states)[1]. Durch die Fragilität und das Kollabieren der Staatlichkeit drohten der lokalen Bevölkerung, aber auch dem internationalen Frieden, der Sicherheit und der Wohlfahrt noch größere Gefahren. In diesem Zusammenhang plädierte Boutros-Ghali für einen Paradigmenwechsel, von klassischem peacekeeping weg, hin zum post-conflict-peacebuilding. Er warnte zwar vor einem direkten Auferlegen staatlicher Institutionen seitens der Vereinten Nationen, allerdings argumentierte er für eine Erweiterung der Mandate der internationalen Missionen, um die Rekonstruktion und Reform staatlicher Institutionen in failing states und failed states zu unterstützen.[2]

Tatsächlich beteiligen sich die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft seit der 1990er Jahre im Kontext der post-conflict-peacebuilding- Operationen aktiv an state-building- Prozessen, so zum Beispiel in Ost Timor, Kosovo und in Bosnien und Herzegowina.[3] State-building meint hier Konstruktion bzw. Rekonstruktion administrativer Institutionen integrativen Charakters,[4] die langfristig in die Lage versetzt sein sollen, für die lokale Bevölkerung soziale, ökonomische sowie physische Sicherheit im Sinne des good governance bereitzustellen.[5] Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens folgen in der Regel im Rahmen des peacebuilding mehrere zivile und militärische Missionen.[6]

Fast alle Friedensabkommen zur Beendigung von Bürgerkriegen seit 1989 beabsichtigen durch Demokratisierung einen nachhaltigen Frieden zu schaffen. Demnach verfolgen die 33 zwischen 1989 und 1999 eingesetzten Friedensmissionen, trotz mancherlei Unterschiede, alle das Ziel einer schnellstmöglichen Transformation der vom Krieg ruinierten Staaten in „liberale marktwirtschaftlich orientierte Demokratien“.[7] Das gilt auch für Friedensabkommen zwischen ethnisch definierten Konfliktparteien. In ethnisch gespaltenen Nachbürgerkriegsgesellschaften ist der Konfliktgegenstand vor, während sowie nach Friedensschlüssen oft als Disput über den Aufbau staatlicher Institutionen, aber auch über die Definition des demos (Staatsvolks) determiniert.[8] Meistens hat in ethnisch pluralen Gesellschaften eine Politisierung von kollektiver Identität zum Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzung geführt, was die Verhandlungen um den Aufbau gesamtstaatlicher administrativer Einheiten komplex und eskalierend macht.[9] Eine nachhaltige Stabilisierung dieser Staaten ist oft nur durch eine Transformation bestehender Strukturen möglich.

Entsprechend der neuen Situation wurden die Mandate der Friedensmissionen erweitert: Durch Etablierung transitiver Administrationen (UNMIK im Kosovo) oder internationaler Institutionen mit administrativen Befugnissen (Office of the High Representative in Bosnien und Herzegowina) sollen unter Obhut externer Akteure im Rahmen des Demokratisierungsprozesses nachhaltig funktionsfähige staatliche Institutionen in Post-Konfliktgesellschaften aufgebaut werden. Zudem solle bei den lokalen Akteuren zumindest ein Minimum eines gemeinsamen Zugehörigkeitsgefühls (Identität) mit der Nation erzeugt werden, ohne welches die aufgebauten administrativen Strukturen nicht existieren können – Nation-Building ist definiert als historischer, sozio-politischer Entwicklungprozess.[10] Bei der Demokratisierung von ethnisch gespaltenen Post-Konfliktgesellschaften setzt das Nation-Building Fortschritte beim state-building und vice versa.[11] Die Förderung der Identifikation der lokalen Bevölkerung mit den neu aufgebauten staatlichen Institutionen ist zusätzlich von immenser Bedeutung, wollen die externen Akteure die Verantwortung im Sinne des ownerhip auf die internen Akteure übertragen.

A priori, sind diese Prozesse nicht als friedensfördernd einzustufen.[12] Im Laufe dieser Prozesse greift die internationale Gemeinschaft direkt beim Abschluss der Friedensabkommen durch ihre Mandate stark in die Interessensbereiche vorhandener Herrschaftseliten und in die Souveränität dieser Staaten ein, was unter anderem auch die ideale Basis für die Entfachung der spoiling capacities werden kann.[13] Nicht jede Konfliktpartei ist nämlich an einer Transformation der bereits im Laufe eines Krieges etablierten Strukturen interessiert. Die Schwierigkeit besteht im Erstellen einer Balance zwischen der Behauptung internationaler Verpflichtungen auf der einen Seite und der Förderung von Selbstverantwortung bei den internen Akteuren auf der anderen Seite.[14]

Die Fragen nach der Übertragung von Verantwortung (ownership) auf die lokalen Strukturen stellen sich somit für die externen Akteure als äußerst brisant dar. Je mehr und je früher Kompetenzen auf der breiten politischen Ebene von den internen Akteuren getragen werden können, desto früher können die externen Akteure ihre Mission als beendet erklären, was langfristig gesehen sicherlich in ihrem eigenen Interesse sein sollte. Allerdings bedarf es einer gründlichen Analyse der Interessen der internen Akteure, bevor der tatsächliche Transfer von Verantwortung stattfinden und ferner zu erwünschten positiven Effekten beitragen kann. Vor allem in Gesellschaften in denen sich die Konfliktparteien nach ethnischen Kriterien definieren, sind diese Prozesse mit enormem Konfliktpotential beladen und damit ergeben sich potenzielle Ambiguitäten und Kontroversen darüber, wie ownership in der Praxis zu operationalisieren ist.

Das Post-Conflict-Peacebuilding in Bosnien und Herzegowina weckt ein großes Interesse der Wissenschaft an sich weil es sich nach wie vor um das massivste Engagement der internationalen Gemeinschaft im Aufbauen politischer, ökonomischer, sozialer und militärischer Strukturen nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen handelt.[15] Diese Hausarbeit diskutiert mit Akzentuierung der Erweiterung der Befugnisse des Office of High Representative-Mission (OHR) durch die Konferenzen von Sintra und Bonn state-building in Bosnien und Herzegowina nach dem Abschluss des Dayton-Friedenabkommens im Jahr 1995. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung schließt mit der Übergabe des Amtes von Carlos Westendrop auf Wolfgang Petritsch im Jahre 1999 ab. Diese zeitliche Abgrenzung erweist sich als sinnvoll, als gerade in dieser Anfangsphase die internationale Gemeinschaft mit strukturellen Defiziten bei der Konzipierung der Friedensmission konfrontiert war und erst Ende 1997 mit dem Amtsantritt von Westendrop die gezielte Konditionalität die Basis für ownership schuf.

Vermehrt stehen die Vollmachten dieser Mission innerhalb des wissenschaftlichen und politischen Diskurses unter starker Kritik. Durch ihre uneingeschränkte Machtfülle hätte die OHR-Mission de facto die Eigenverantwortung und Funktionalität der aufgebauten staatlichen Institutionen Bosnien und Herzegowinas mit nachhaltigem Effekt in Frage gestellt.[16] Jedoch sind die Befürworter eines starken Mandats der Meinung, die internationale Gemeinschaft hätte im Kontext der komplexen Post-Konflikt-Situation keine andere Alternative gehabt als sich deutlicher durch härteres Durchgreifen im state-building -Prozess zu engagieren. Um den Demokratisierungsprozess gegen die spoiler zu schützen, sei hartes Durchgreifen zum Wohle der gesamten Bevölkerung legitim gewesen.[17]

Diese Hausarbeit schließt sich keiner der beiden Standpunkte ad hoc an. Vielmehr soll die folgende Frage untersucht werden: Inwieweit trugen die von externen Akteuren bereits am Anfang der Friedenskonsolidierung begangenen Fehler während der Übergabe von Verantwortung auf die ehemaligen Kriegsgegner dazu bei, dass state-building in Bosnien und Herzegowina sich zu einem Fiasko entwickelte und eine Erweiterung der Autorität von HR sogar erforderlich machte, um die zentrifugale Einwirkung der Konfliktparteien einzudämmen und sie zum Aufbauen gesamtstaatlicher Institutionen zu mobilisieren?

Um dieser Frage nachgehen zu können, skizziere ich im ersten Teil des Hauptteils der vorliegenden Arbeit zunächst das Konzept des ownership. Dabei wird der Schwerpunkt auf die von Chesterman in seiner Studie[18] aufgearbeiteten, zentralen Aspekte des ownership in Post-Konflikt-Operationen gelegt und an bestimmten Stellen durch zusätzliche Sekundärliteratur ergänzt. Der Schwerpunkt liegt hier in einer akteurbezogenen Ergänzung des Konzeptes betreffs seiner Operationalisierung in einer multiethnischen Postkonfliktgesellschaft, wo eine Demokratisierung als Friedensstrategie angewendet wird. Hierdurch soll der theoretische Rahmen für den zweiten, empirischen Teil des Hauptteils gegeben werden. Im empirischen Teil dieser Untersuchung gilt es, vorab den Kontext, in dem statebuilding statt zu finden hatte zu umreißen. Dabei soll zunächst die Rolle der Kriegsparteien bei den Friedensverhandlungen in Dayton skizziert werden, um die spoiler-capacities der Konfliktparteien und deren Einstellung zum Friedensvertrag zu bestimmen. Angelehnt an die Thematik dieser Arbeit, wird darauf folgend der Fokus auf den im Dayton-Friedensabkommen manifestierten Aufbau einer Konkordanzdemokratie gelegt. Hier wird die Komplexität des politischen Systems anschaulich, welches durch die konstitutiv verankerte Übertragung von Verantwortung auf die ehemaligen Kriegsgegner nachhaltig ineffizient wurde. Anschließend analysiere ich die Involvierung der internationalen Gemeinschaft in die Arbeit der staatlichen Institutionen. Hier beleuchte ich, wie das Fehlen klarer Ziele einer einheitlichen Strategie sowie Mangel an Koordination und Kooperation unter den externen Akteuren in den ersten zwei Jahren zum Entstehen paralleler Strukturen führte und damit den geplanten Aufbau gesamtstaatlicher Institutionen hemmte. Darauffolgend diskutiere ich die Problematik der Übertragung von Verantwortung auf die internen Akteure in Bosnien und Herzegowina und die daraus resultierende Dysfunktionalität der gesamtstaatlichen Institutionen, um anschließend die daraus hervorgegangene Situation zu analysieren, die eine Erweiterung des Mandates der OHR-Mission in Form der Deklaration von Sintra und Bonner Vollmachten unumgänglich machte.

2. OWNERSHIP IN POST-KONFLIKT-OPERATIONEN

2.1 Die Herkunft und Einordnung des Konzeptes

Ownership wurde als Terminus im Laufe der 1980er und 1990er Jahre von der development community im Kontext der Entwicklungsarbeit zuerst erwähnt.[19] Aus der Intention ihre eigenen Entwicklungsprogramme zu optimieren und deren Effizienz zu steigern, nahm sich die Gebergemeinschaft zum Ziel, die lokalen Strukturen viel mehr zu berücksichtigen sowie mehr Verantwortung auf die lokalen Akteure zu übertragen.

Im Zeichen des Ende der 1980er stattgefundenen Paradigmenwechsels innerhalb der Sicherheits- und Entwicklungspolitik und der damit zusammenhängenden Erweiterung vom traditionellen peacekeeping zum post-conflict-peacebuilding[20] avancierte ownership rasch zu einem vielverwendeten Schlag- bzw. Modewort.[21] Trotz der vielfach erhobenen Kritik – Probleme bei der Operationalisierung – wurde es als Konzept im Rahmen der Friedensoperationen durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, im Jahre 2001 bestätigt.[22] Die Joint Utstein Study zieht das folgende Fazit: „It is important that partner countries be in the driver’s seat as far as peace building efforts are concerned, especially in post-conflict situations.”[23] Dieses Zitat stellt den normativen Charakter des Konzeptes in Vordergrund. Im Hinblick auf die Konflikttransformationsprozesse, die während einer Friedenskonsolidierung stattfinden, wurde die Bedeutung der Involvierung interner Akteure seit Mitte der 1990er zunehmend anerkannt.[24] Die internationale Gemeinschaft nahm sich zumindest in der Theorie zum Ziel, ihr Engagement derart zu konzipieren, dass die lokale Gesellschaft auch beim Aufbau staatlicher Organe involviert wird.[25] Ein wichtiger Grund liegt sicherlich darin, dass die Selbstbestimmung und staatliche Souveränität nach wie vor sehr wichtige Richtlinien für die internationale Missionen geblieben sind, auch im Falle einer Bekräftigung durch den Artikel VII der UN-Charter.[26]

2.2 Ownership im Kontext des Post-Konflikt-State-Building in multi-ethnischen Gesellschaften

Mit welchen Aufgaben und mit welchen Kompetenzen die Mandate der internationalen Missionen im Kontext des state-building zu bestücken sind, hängt in großem Maße von der Kondition ab, in welcher sich die staatlichen Institutionen in einer Post-Konflikt-Gesellschaft direkt nach dem Friedensabkommen befinden, ab. Entweder wird die transitive Administration bzw. internationale Institution mit administrativen Befugnissen in einem Staat etabliert, wo staatliche Institutionen zwar existieren, diese jedoch getrennt sind, wie es in Bosnien und Herzegowina der Fall war, oder sie sind im Laufe des Krieges vollkommen zerstört worden und müssen de facto komplett neu aufgebaut werden.[27] In den ethnisch gespaltenen Nachkriegsgesellschaften werden die gesamtstaatlichen Institutionen in der Regel nach dem Prinzip der Konkordanzdemokratie errichtet, da diese Art der Machtteilung dort die größte Aussicht auf Akzeptanz aller Konfliktparteien hat und damit zur Beendigung des Krieges beitragen kann.[28] Über den nachhaltigen Erfolg dieser Art der Machtteilung sagt das allerdings nicht viel aus. Außer, dass die höhere Wahrscheinlichkeit besteht, die kriegerischen Handlungen vorerst zu beenden, zumal davon ausgegangen wird, dass eine Machtteilung für alle Konfliktakteure in der Regel die beste Lösung ist, da keine der Parteien absolute Macht beanspruchen kann. Ohne die absolute Priorität dieses Zieles den Krieg zu beenden außer Acht zu lassen, muss an dieser Stelle auf die Probleme einer Konkordanzdemokratie hingewiesen werden. Rothchild und Roeder registrieren, in diesen Gesellschaften würde power-sharing nur kurze Zeit positive Effekte mit sich bringen und eher zur Entstehung neuer interethnischer Konflikte beitragen. Machtteilung hätte negative Wirkung unter anderem auf die Entfaltung der Demokratie, sowie auf die Funktionalität der aufgebauten Regierung. So sehen sie zum Beispiel ein Element der Konkordanzdemokratie, das Vetorecht, als institutionelle Waffe, die instrumentalisiert werden kann mit dem Ziel den Staat lahmzulegen. Die ethnischen Konflikte würden sich folglich institutionalisieren und könnten jederzeit erneut ausbrechen.[29] Ein solcher Zustand würde die externen Akteure eher davon abhalten, mehr Verantwortung auf die lokalen Akteure zu übertragen. Viel eher könnten sie darin den Grund für Stärkung ihrer Involvierung finden sehen, was die lokalen Strukturen in einen Modus langfristiger Dependenz bringen könnte. Tatsächlich erfordert die Konkordanzdemokratie eine Transformation der Konfliktakteure, die ohne eine konstruktive Wirkung gerade der externen Akteure nicht realisierbar ist. Konstruktive Wirkung meint auf der einen Seite Förderung einer vielschichtigen Kooperation zwischen den externen und internen Akteuren und Druckausübung auf der anderen Seite. Der Erfolg des power-sharing hängt eben primär von der kontinuierlichen Bereitschaft der ethnischen Gruppen ihre „demands“ im Sinne der Einheit zu modifizieren und diese Bereitschaft ist nicht ad hoc präsent.

Laut Chesterman müssen die externen Akteure bereits vor dem Abschluss eines Friedensabkommens Strategien entwickeln, um den Transfer von Verantwortung erfolgreich von der transitiven Administration zu den lokalen staatlichen Institutionen durchführen zu können. Er situiert die Implementierung des ownership genau zwischen der tatsächlichen Entwicklung der Maßnahmen und dem Friedensabkommen selbst. Idealer Weise sollen die internen Akteure bereits im Laufe der Verhandlungen ihre eigenen Interessen vertreten und verwirklichen können. Anschließend manifestieren sich diese optimaler Weise im Friedensabkommen, damit die Konfliktparteien den Versöhnungsprozess als ihren „eigenen“ wahrnehmen und nicht als gänzlich von Außen oktroyierten betrachten, was bereits im Vorfeld zu manifesten Auseinandersetzungen zwischen den externen und internen Akteuren führen kann. Andererseits verspricht sich die internationale Gemeinschaft dadurch nicht den Eindruck zu vermitteln, bei der etablierten transitiven Administration, handele sich um eine paternale Institution.[30]

Die Involvierung der internen Akteure kann entweder passiver oder aktiver Natur sein. Chesterman umfasst diese Prozesse, indem er sie ante in folgende sechs Kategorien gliedert, die es im folgenden zu nennen und zu entschlüsseln gilt: Ansprechbarkeit: Passiv meint, die Strategie ist unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten und der Kultur vor dem Einsatz entwickelt worden und somit ansprechend für die lokale Bevölkerung, aber ohne ihren direkten Einfluss. Konsultation: Aktiver involvieren sich die internen Akteure, wenn bereits beim konzipieren der Strategien intensive Kommunikation zwischen ihnen und den externen Akteuren stattfindet. Partizipation: Bei den Entscheidungsgremien sind die locals vertreten und nehmen aktiv an den Debatten teil. Haftung: Es sollen Instrumente und Institutionen, wie zum Beispiel ombudsperson etabliert werden, die in den Händen der lokalen Akteure sind und die zur Kontrolle der internationalen Missionen dienen sollen. Dadurch soll die Immunität des internationalen Personals vor Ort neutralisiert und ihre Rechenschaftspflicht gefördert werden. Kontrolle: Die lokalen Autoritäten sind befähigt, die externen Akteure zu warnen, im Falle das diese bei der Implementierung des Friedensabkommens zu großen Druck ausüben, oder bei Verteidigung der Minderheitenrechte. Souveränität: Dieser Punkt impliziert, dass die lokalen Behörden selbst über den Zeitrahmen des internationalen Engagements bestimmen sollen. Das Prinzip der Souveränität jedes Staates wird hier unterstrichen, welches auch die externen Akteure respektieren sollen. Folglich sollen die lokalen Autoritäten direkt das Ende der Mission bzw. Missionen bewirken können.[31] Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass Chesterman beim Definieren dieser sechs Kategorien keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Vielmehr liegt die Intention darin, die vorhandenen Möglichkeiten und Handlungsmaximen im Kontext des ownership -Konzeptes zu umfassen.[32]

Chesterman vertritt die These, ownership sei als Endergebnis einer Friedenskonsolidierung zu sehen und nicht in mehreren Stufen zu erreichen. Das impliziert, dass der Transfer von Verantwortung nur am Ende der Mission von der transitiven Administration oder einer anderen internationalen Autorität stattgegeben werden kann.[33] Während eine transitive Administration oder internationale Institution noch aktiv ist, sei der erreichte Grad am ownership auf dem generellen politischen Niveau grundsätzlich sehr niedrig.[34] Zurecht weist er darauf hin, dass die vor Ort herrschenden Umstände, aber auch das politische und strategische Interesse der internationalen Gemeinschaft eine konstruktive Einwirkung der lokalen Akteure bei den decision-making und capacity-building -Prozessen, vor allem am Anfang der Mission, behindern können.[35] In einer solchen Situation, in der die Wirkung der spoiling capacities dominanter ist als die Annäherung der Akteure und de facto jegliche Form der Kooperation unterminiert wird wäre es tatsächlich unehrlich, von einer Implementierung des ownership zu sprechen.[36] Ferner, kann diese Situation den Transfer von Verantwortung langfristig unterminieren. Allerdings lässt sich in seiner Argumentation eine Inkonsistenz feststellen, denn die eben skizzierten Handlungsmaximen- und Möglichkeiten können nur graduell sowie prozessual und nicht ad hoc verfolgt und entfaltet werden.

In der Tat herrscht Unklarheit darüber, ob ownership als Endstadium, oder doch eher als Prozess zu betrachten ist. Konträr zur Position von Chesterman argumentiert Narten in seiner Definition des ownership:

“[…] the process and final outcome of the gradual transfer to legitimate representatives of the local society, of assessment, planning and decision-making, the practical management and implementation, and the evaluation and control of all phases of state-building programs up to the point when no further external assistance is needed.”[37]

Ein wichtiges Argument gegen die Bezeichnung des ownership nur als Endresultat einer erfolgreichen Mission ist die Tatsache, dass Friedenskonsolidierung niemals statisch und/oder linear verläuft, sondern als ein komplexer, mehrdimensionaler, aber im Kern genuin politischer Prozess der Transformation von Krieg und Frieden zu sehen ist.[38] Vielmehr sind die Erfolge der Missionen von Misserfolgen begleitet und vice versa. Folglich kann der komplette Transfer von Verantwortung über die aufgebauten staatlichen Institutionen in der Praxis nicht ad hoc geschehen. Das wäre auch nicht mit dem beabsichtigten Nachhaltigkeitseffekt im Einklang zu bringen. Viel mehr finden gleichzeitig viele komplexe Prozesse statt. Demzufolge kann es nach einem Konflikt einige Zeit in Anspruch nehmen, bevor die lokalen Kapazitäten soweit aufgebaut sind, dass die Verantwortung über staatliche Institutionen nur graduell und in unterschiedlichen Phasen an die lokalen Akteure übergeben werden kann. Insofern ist es problematisch, in diesem Kontext vorschnell von einem Endstadium zu sprechen, was deutlich für Nartens Auffassung von ownership spricht. In jeder Phase kommt es zu unterschiedlichen Formen und Stufen der Partizipation lokaler Akteure. Dies kann bereits beim Planen und anschließend beim Eintreten einer internationalen Intervention anfangen und zu dem Zeitpunkt enden, an dem die internen Akteure absolute Ausübung der Verantwortung praktizieren. Dementsprechend folgt diese Hausarbeit der Prämisse, dass ownership sowohl Prozesse beinhaltet als auch einen Endzustand meint, welches es im Rahmen einer Mission zu verwirklichen gilt. Doch was ist außer der soeben festgestellten Dualität, Prozess/Endzustand von zusätzlicher Bedeutung für diese Untersuchung?

In der Praxis, wie auch die hier zu untersuchende Fallstudie zeigen wird, stehen die Planer einer Mission vor komplexen Herausforderungen und Fragen, die es per se unmöglich machen auf breitem Sektor nach Prinzipien des ownership a priori zu handeln. Vor der eigentlichen Operationalisierung sind folgenden Fragen abzuhandeln: 1. Wann ist es sinnvoll Verantwortung in bestimmten Bereichen zu übergeben? 2. In welchem Ausmaße soll diese transferiert werden? 3. An wen ist die Verantwortung zu übergeben? Ohne Abhandlung dieser Fragen, bleibt ownership nur ein vages und undurchführbares Konzept.

Das Erkennen und Ausbauen lokaler Kapazitäten, das in Post-Konflikt-Gesellschaften mit dem Aufbau der zivilen Gesellschaft einhergeht, erfordert viel Zeit und es bedarf einer tiefgründigen, kontextbezogenen Analyse, um von einem eher vagen Konzept konstruktive Strategien im Kontext des state-building zu entwickeln und zu implementieren. Daran anknüpfend soll im Folgenden unter Berücksichtigung dieser drei Fragen auf die zentralen Probleme aufmerksam gemacht werden, die im Umgang mit den internen Akteuren – der Fokus liegt im Hinblick auf die Fallstudie auf den Konfliktparteien – im Laufe einer Mission auftreten können.

[...]


[1] Durch den Verfasser dieser Arbeit ergänzt.

[2] Vereinten Nationen: Supplement to an Agenda for Peace, Position Paper of the Secretary-General on the Occasion of the Fiftieth Anniversary of the United Nations, UN Document A/50/60-S1995/1, Para. 13ff., unter: http://www.un.org/Docs/SG/agsupp.html., zuletzt eingesehen am: 01.08.08.

[3] Vgl. Nicole Ball: „Wiederaufbau kriegszerrütteter Gesellschaften: Welchen Beitrag können externe Akteure leisten?“, in: Tobias Debiel (Hrsg.): Der zerbrechliche Frieden. Krisenregionen zwischen Staatsversagen, Gewalt und Entwicklung. Bonn 2002, S. 69-75.

[4] Vgl. Jochen Hippler: “Ethnicity, State, and Nation-Building – Experiences, Policies and Conceptualization”, Dokument unter: http://www.jochen-hippler.de/neu/index.htm, zuletzt eingesehen am: 01.08.08.

[5] Vgl. David Chandler: Empire in Denial. The Politics of State-Building. London 2006, S. 1. Jochen Hippler klassifiziert state-building als Anwendung des capacity-building auf staatliche Strukturen, Verwaltungen und Regierungen und ordnet diesen Prozess als eine Dimension des externen Nation-Buildings ein. Die Verpflichtung von Regierungsinstitutionen auf Prinzipien wie Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, soziale Integration kategorisiert er als good governance. Vgl. Jochen Hippler: „Nationalstaaten aus der Retorte? Nation-Building zwischen militärischer Intervention, Krisenprävention und Entwicklungspolitik“, in: Jochen Hippler (Hrsg.): Nation-Building. Ein Schlüsselkonzept für die friedliche Konfliktbearbeitung?, Bonn 2004. S. 251f.

[6] Vgl. Robin Luckham: “The International Community and State Reconstruction in War-Torn Societies”, in: Anja H. Ebnöther/Philipp H. Fluri (Hrsg.): After Intervention: Public Security Management in Post-Conflict Societies – From Intervention to Sustainable Local Ownership. Wien 2005, S. 16f.

[7] Vgl. Roland Paris: Wenn die Waffen Schweigen. Friedenskonsolidierung nach Gewaltkonflikten. Hamburg 2007, S. 72f und S. 22.

[8] Vgl. Florian Bieber: “The Challenge of Democracy in Divided Societies: Lessons from Bosnia – Challenges for Kosovo”, in: Džemal Sokolović/Florian Bieber (Hrsg.): Reconstructing Multiethnic Societies: The Case of Bosnia-Herzegovina, Aldershot u.a. 2000. S. 110-113.

[9] Vgl. Ulrich Schneckener: Auswege aus dem Bürgerkrieg. Frankfurt am Main 2002, S. 39-48.

[10] Vgl. Jochen Hippler: „Gewaltkonflikte, Konfliktprävention und Nationenbildung – Hintergründe eines politischen Konzepts“, in: Hippler (2004), S. 18.

[11] Vgl. Jochen Hippler: “Ethnicity, State, and Nation-Building – Experiences, Policies and Conceptualization”, Dokument unter: http://www.jochen-hippler.de/neu/index.htm, zuletzt eingesehen am: 01.08.08. S. 3ff.

[12] Vgl. Hippler (2004), S. 247.

[13] Vgl. Sebastian von Einsiedel: “Policy Responses to State Failure”, in Simon Chesterman/Michael Ignatieff/ Ramesh Thakur (Hrsg.): Making states work: State failure and the crisis of governance. Tokyo 2005, S. 20ff.

[14] Vgl. Hippler (2004), S. 10.

[15] OHR/EUSR (Hoher Repräsentant / Spezieller Repräsentant der EU als Doppelmission), OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), EUFOR (EU Military Operation in Bosnia and Herzegovina) und EUPM (EU Police Mission in Bosnia and Herzegovina)

[16] Vgl. David Chandler: “From Dayton to Europe”, in: David Chandler (Hrsg.): Peace Without Politics? Ten Years of International State-Building in Bosnia. New York 2006, S. 33ff.

[17] Vgl. Christian Ebner: “The Bonn Powers – Still Necessary?”, In: Predrag Jureković/Frederic Labarre (Hrsg.): From Peace Making to Self Sustaining Peace- International Presence in South East Europe at a Crossroads? 8th workshop of the Study Group “Regional Stability in South East Europe”, Landesverteidigungsakademie Wien 2004, S. 121f.

[18] Simon Chesterman: “Ownership in Theory and in Practice: Transfer of Authority in UN Statebuilding Operations”, in: Journal of Intervention and Statebuilding, Volume 1, Nr. 1, März 2007.

[19] Vgl. Wienrich Kühne: “Peacebuilding Processes in Failed States – How to Improve Local Ownership?”, in: ZIF, Paper prepared for the 49th Annual International Studies Association Convention, 2008, S. 10f. S. 5.

[20] Vgl. Richard Caplan: International Governance of War-Torn Territories. Rule and Reconstruction., Oxford und New York 2005, S. 2.

[21] Chesterman (2007), S. 8.

[22] Vgl. Report of the Secretary General: No exit without strategy: Security Council decision-making and the closure or transition of United Nations peacekeeping operations, UN Document S/2001/394, 20. April 2001.

[23] Vgl. Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): Joint Utstein Study of Peacebuilding – National Report from Germany, 2003, S. 73, unter: http://www.oecd.org/dataoecd/32/53/33983789.pdf., zuletzt eingesehen am: 01.08.08.

[24] Die Aktivitäten im Rahmen des Peace-Building sind immer weniger als top-down Prozesse konzeptualisiert worden.

[25] Vgl. Hannah Reich: “”Local Ownership” in Conflict Transformation Projects. Partnership, Participation or Patronage?”, in: Berghof Occasional Paper No. 27, Berlin 2006, S. 5.

[26] Dennoch wird unterscheiden zwischen den durch Artikel VI und Artikel VII bekräftigten Missionen. Die ersten werden als non-executive und die zweiten als executive bezeichnet. Als executive gelten die Missionen in dem eine Interim-Regierung und administrative Autorität durch eine internationale Instanz, wie zum Beispiel die UNMIK in Kosovo, verkörpert wird. Vgl. Kühne (2008), S. 10f. zuletzt eingesehen am: 04.08.08.

[27] Die Zahl etablierter Übergangsadministrationen ist immens gestiegen.

[28] Nach Lijphart besteht eine Konkordanzdemokratie, wenn alle vier folgenden Elemente gegeben sind und Funktionieren: Partizipation, Vetorecht, Proportionalität und Autonomie. Fehlt ein Baustein, funktioniert diese Demokratieform nicht optimal. Vgl. Arend Lijphart: “Power-Sharing Approach” in: Joseph V. Montville (Hrsg.): Conflict and Peacemaking in Multiethnic Societies. Toronto 1990, S. 494-503.; Ders.: Democracy in Plural Societies. A Comparative Exploration. New Haven und London 1977, S. 25-47.; Gromes (2007), S. 107-110.

[29] Vgl. Donald Rothchild/Philip G. Roeder: “Power Sharing as an Impediment to Peace and Democracy”, in: Ders.: Sustainable Peace. Power and Democracy after Civil Wars. New York 2005, S. 36-41.

[30] Vgl. Chesterman (2007), S. 9.

[31] Ebd. S. 9f.

[32] Ebd. S. 10.

[33] Vgl. Chesterman (2007), S. 20.

[34] Ebd. S. 17.

[35] Vgl. Chesterman,Ignatieff,Thakur (2005), S. 4f.

[36] Ebd. S. 7.

[37] Vgl. Jens Narten: „Dilemmas of Promoting Local Ownership: State-building in Postwar Kosovo“, in: Roland Paris/Timothy D. Sisk (Hrsg.): Statebuilding after Civil War: The Long Road to Peace, 2007, S. 46ff, Dokument unter: http://state-building.org/resources/Narten_RPPS_October2006.pdf, zuletzt eingesehen am: 19.01.08.

[38] Vgl. Mir A. Ferdowsi/Volker Matthies (Hrsg.): „Kriege, Kriegsbeendigung und Friedenskonsolidierung“, in: Den Frieden gewinnen. Zur Konsolidierung von Friedensprozessen in Nachkriegsgesellschaften. Bonn 2003, S. 33.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
„Ownership“ und „Statebuilding“ in ethnisch definierten Post-Konflikt-Gesellschaften. Die OHR-Mission in Bosnien und Herzegowina 1995-1999
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Gesellschaftswissenschaften und Philosophie, Zentrum für Konfliktforschung)
Veranstaltung
Externes Nation - und Statebuilding. Wohin führt der Weg internationaler Missionen?
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2008
Seiten
43
Katalognummer
V116180
ISBN (eBook)
9783640177653
ISBN (Buch)
9783640177714
Dateigröße
716 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Deine Thesen sind gut nachvollziehbar, Empirie und Theorie stehen im logischen Zusammenhang. Auch gibts Du einen ausgezeichneten Überblick über die Problemlagen.Schöne Leistung!
Schlagworte
Konzept, Post-Konflikt-Gesellschaften, OHR-Mission, Bosnien, Herzegowina, Statebuilding, Missionen
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Damir Hajric (Autor:in), 2008, „Ownership“ und „Statebuilding“ in ethnisch definierten Post-Konflikt-Gesellschaften. Die OHR-Mission in Bosnien und Herzegowina 1995-1999, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116180

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