Das steinerne Herz

Aus "Nachtstücke"


Klassiker, 2008

25 Seiten

E.T.A. Hoffmann (Autor:in)


Leseprobe


E.T.A. Hoffmann

Das steinerne Herz

[aus „Nachtstücke“, erstmalig erschienen 1817]

Jedem Reisenden, der bei guter Tageszeit sich dem Städtchen G. von der südlichen Seite bis auf eine halbe Stunde Weges genähert, fällt der Landstraße rechts ein stattliches Landhaus in die Augen, welches mit seinen wunderlichen bunten Zinnen, aus finsterm Gebüsch blickend, emporsteigt. Dieses Gebüsch umkränzte den weitläufigen Garten, der sich in weiter Strecke talabwärts hinzieht. Kommst du einmal, vielgeliebter Leser! des Weges, so scheue weder den kleinen Aufenthalt deiner Reise noch das kleine Trinkgeld, das du etwa dem Gärtner geben dürftest, sondern steige fein aus dem Wagen und laß dir Haus und Garten aufschließen, vorgebend, du hättest den verstorbenen Eigentümer des anmutigen Landsitzes, den Hofrat Reutlinger in G., recht gut gekannt. Im Grunde genommen kannst du dies alsdann mit gutem Fug tun, wenn es dir gefallen sollte, alles, was ich dir zu erzählen eben im Begriff stehe, bis ans Ende durchzulesen; denn ich hoffe, der Hofrat Reutlinger soll dir alsdann mit all seinem sonderbaren Tun und Treiben so vor Augen stehen, als ob du ihn wirklich selbst gekannt hättest. Schon von außen findest du das Landhaus auf altertümliche groteske Weise mit bunten gemalten Zieraten verschmückt, du klagst mit Recht über die Geschmacklosigkeit dieser zum Teil widersinnigen Wandgemälde, aber bei näherer Betrachtung weht dich ein besonderer wunderbarer Geist aus diesen bemalten Steinen an, und mit einem leisen Schauer, der dich überläuft, trittst du in die weite Vorhalle. Auf den in Felder abgeteilten, mit weißem Gipsmarmor bekleideten Wänden erblickest du mit grellen Farben gemalte Arabesken, die in den wunderlichsten Verschlingungen Menschen- und Tiergestalten, Blumen, Früchte, Gesteine darstellen und deren Bedeutung du ohne weitere Verdeutlichung zu ahnen glaubst. Im Saal, der den untern Stock in der Breite einnimmt und bis über den zweiten Stock hinaufsteigt, scheint in vergoldeter Bilderei alles das plastisch ausgeführt, was erst durch Gemälde angedeutet wurde. Du wirst im ersten Augenblick vom verdorbenen Geschmack des Zeitalters Ludwig des Vierzehnten reden, du wirst weidlich schmälen über das Barocke, Überladene, Grelle, Geschmacklose dieses Stils, aber bist du nur was weniges meines Sinnes, fehlt es dir nicht an reger Phantasie, welches ich allemal bei dir, mein gütiger Leser! voraussetze, so wirst du bald allen in der Tat gegründeten Tadel vergessen. Es wird dir so zumute werden, als sei die regellose Willkür nur das kecke Spiel des Meisters mit Gestaltungen, über die er unumschränkt zu herrschen wußte, dann aber, als verkette sich alles zur bittersten Ironie des irdischen Treibens, die nur dem tiefen, aber an einer Todeswunde kränkelnden Gemüt eigen. Ich rate dir, geliebter Leser! die kleinen Zimmer des zweiten Stocks, die wie eine Galerie den Saal umgeben und aus deren Fenstern man hinabschaut in den Saal, zu durchwandern. Hier sind die Verzierungen sehr einfach, aber hin und wieder stößest du auf teutsche, arabische und türkische Inschriften, die sich wunderlich genug ausnehmen. Du eilst jetzt nach dem Garten, er ist nach altfranzösischer Art mit langen, breiten, von hohen Taxuswänden umschlossenen Gängen, mit geräumigen Bosketts angelegt und mit Statuen, mit Fontänen geschmückt. Ich weiß nicht, ob du, geliebter Leser, nicht auch den ernsten feierlichen Eindruck, den solch ein altfranzösischer Garten macht, mit mir fühlst und ob du solch ein Gartenkunstwerk nicht der albernen Kleinigkeitskrämerei vorziehst, die in unsern sogenannten englischen Gärten mit Brückchen und Flüßlein und Tempelchen und Gröttchen getrieben wird. Am Ende des Gartens trittst du in einen finstern Hain von Trauerweiden, Hängebirken und Weymouthskiefern. Der Gärtner sagt dir, daß dies Wäldchen, wie man es, von der Höhe des Hauses hinabschauend, deutlich wahrnehmen kann, die Form eines Herzens hat. Mitten darin ist ein Pavillon von dunklem schlesischen Marmor in der Form eines Herzens erbaut. Du trittst hinein, der Boden ist mit weißen Marmorplatten ausgelegt, in der Mitte erblickst du ein Herz in gewöhnlicher Größe. Es ist ein dunkelroter, in den weißen Marmor eingefugter Stein. Du bückst dich herab und entdeckest die in den Stein eingegrabenen Worte:Es ruht!In diesem Pavillon, bei diesem dunkelroten steinernen Herzen, das damals jene Inschrift noch nicht trug, standen am Tage Mariä Geburt, das heißt am achten September des Jahres 180-, ein großer stattlicher alter Herr und eine alte Dame, beide sehr reich und schön nach der Mode der sechziger Jahre gekleidet. „Aber“, sprach die alte Dame, „aber wie kam Ihnen, lieber Hofrat, denn wieder die bizarre, ich möchte lieber sagen, die schauervolle Idee, in diesem Pavillon das Grabmal Ihres Herzens, das unter dem roten Stein ruhen soll, bauen zu lassen?“ – „Lassen Sie uns“, erwiderte der alte Herr, „lassen Sie uns, liebe Geheime Rätin, von diesen Dingen schweigen! – Nennen Sie es das krankhafte Spiel eines wunden Gemüts, nennen Sie es, wie Sie wollen, aber erfahren Sie, daß, wenn mich mitten unter dem reichen Gut, das das hämische Glück wie ein Spielzeug dem einfältigen Kinde, das darüber die Todeswunden vergißt, mir zuwarf, der bitterste Unmut ergreift, wenn alles erfahrne Leid von neuem auf mich zu tritt, daß ich dann hier in diesen Mauern Trost und Beruhigung finde. Meine Blutstropfen haben den Stein so rot gefärbt, aber er ist eiskalt, bald liegt er auf meinem Herzen und kühlt die verderbliche Glut, welche darin loderte.“ Die alte Dame sah mit einem Blick der tiefsten Wehmut herab zum steinernen Herzen, und indem sie sich etwas herabbückte, fielen ein paar große perlenglänzende Tränen auf den roten Stein. Da faßte der alte Herr schnell herüber und ergriff ihre Hand. Seine Augen erblitzten im jugendlichen Feuer; wie ein fernes, mit Blüten und Blumen reich geschmücktes herrliches Land im schimmernden Abendrot lag eine längst vergangene Zeit voll Liebe und Seligkeit in seinen glühenden Blicken. „Julie! – Julie! und auchSiekonnten dieses arme Herz so auf den Tod verwunden.“ – So rief der alte Herr mit von der schmerzlichsten Wehmut halberstickter Stimme. „Nicht mich“, erwiderte die alte Dame sehr weich und zärtlich, „nicht mich klagen Sie an, Maximilian! – War es denn nicht Ihr starrer unversöhnlicher Sinn, Ihr träumerischer Glaube an Ahnungen, an seltsame, Unheil verkündende Visionen, der Sie forttrieb von mir und der mich zuletzt bestimmen mußte, dem sanfteren, beugsameren Mann, der mit Ihnen zugleich sich um mich bewarb, den Vorzug zu geben? Ach! Maximilian, Sie mußten es ja wohl fühlen, wie innig Sie geliebt wurden, aber Ihre ewige Selbstqual, peinigte sie mich nicht bis zur Todesermattung?“ Der alte Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand fahren ließ: „O Sie haben recht, Frau Geheime Rätin, ich muß allein stehen, kein menschliches Herz darf sich mir anschmiegen, alles, was Freundschaft, was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von diesem steinernen Herzen.“ – „Wie bitter“, fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede, „Wie bitter, wie ungerecht gegen sich selbst und andere sind Sie, Maximilian! – Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigsten Wohltäter der Bedürftigen, als den unwandelbarsten Verfechter des Rechts, der Billigkeit, aber welches böse Geschick warf jenes entsetzliche Mißtrauen in Ihre Seele, das in einem Wort, in einem Blick, ja in irgendeinem von jeder Willkür unabhängigen Ereignis Verderben und Unheil ahnet?“ – „Hege ich denn nicht alles“, sprach der alte Herr mit weicherer Stimme und Tränen in den Augen, „hege ich denn nicht alles, was sich mir nähert, mit der vollsten Liebe? Aber diese Liebe zerreißt mir das Herz, statt es zu nähren. – Ha!“ fuhr er mit erhöhter Stimme fort, „dem unerforschlichen Geist der Welten gefiel es, mich mit einer Gabe auszustatten, die, mich dem Tode entreißend, mich hundertmal tötet! – Gleich dem Ewigen Juden sehe ich das unsichtbare Kainszeichen auf der Stirne des gleisnerischen Meuters! – Ich erkenne die geheimen Warnungen, die oft wie spielende Rätsel der geheimnisvolle König der Welt, den wir Zufall nennen, uns in den Weg wirft. Eine holde Jungfrau schaut uns mit hellen klaren Isisaugen an, aber wer ihre Rätsel nicht löst, den ergreift sie mit kräftigen Löwentatzen und schleudert ihn in den Abgrund.“ – „Noch immer“, sprach die alte Dame, „noch immer diese verderblichen Träume. Wo blieb der schöne, artige Knabe, Ihres jüngern Bruders Sohn, den Sie vor einigen Jahren so liebreich aufgenommen, in dem so viel Liebe und Trost für Sie aufzukeimen schien?“ – „Den“, erwiderte der alte Herr mit rauher Stimme, „den habe ich verstoßen, es war ein Bösewicht, eine Schlange, die ich mir zum Verderben im Busen nährte.“ – „Ein Bösewicht! – der Knabe von sechs Jahren?“ fragte die Dame ganz bestürzt. „Sie wissen“, fuhr der alte Herr fort, „die Geschichte meines jüngern Bruders; Sie wissen, daß er mich mehrmals auf bübische Weise täuschte, daß, alles brüderliche Gefühl in seiner Brust ertötend, ihm jede Wohltat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe gegen mich diente. An ihm, an seinem rastlosen Streben lag es nicht, daß nicht meine Ehre, meine bürgerliche Existenz verlorenging. Sie wissen, wie er vor mehreren Jahren, in das tiefste Elend versunken, zu mir kam, wie er mir Änderung seiner verworrenen Lebensweise, wiedererwachte Liebe heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann seinen Aufenthalt in meinem Hause nutzte, um gewisse Dokumente – doch genug davon. Sein Knabe gefiel mir, und diesen behielt ich bei mir, als der Schändliche, nachdem seine Ränke, die mich in einen meine Ehre vernichtenden Kriminalprozeß verwickeln sollten, entdeckt worden, fliehen mußte. Ein warnender Wink des Schicksals befreiete mich von dem Bösewicht.“ – „Und dieser Wink des Schicksals war gewiß einer Ihrer bösen Träume.“ So sprach die alte Dame, doch der alte Herr fuhr fort: „Hören Sie, urteilen Sie, Julie! – Sie wissen, daß meines Bruders Teufelei mir den härtesten Stoß gab, den ich erlitten – es sei denn, daß – doch still davon. Mag es sein, daß ich der Seelenkrankheit, die mich befallen, den Gedanken zuschreiben muß, mir in diesem Wäldchen eine Grabstätte für mein Herz bereiten zu lassen. Genug, es geschah! – Das Wäldchen war in Herzform angepflanzt, der Pavillon erbaut, die Arbeiter beschäftigten sich mit der Marmortäfelung des Fußbodens. Ich trete hinan, um nach dem Werk zu sehen. Da bemerke ich, daß in einiger Entfernung der Knabe, so wie ich Max geheißen, etwas hin- und herkugelt unter allerlei tollen Bockssprüngen und lautem Gelächter. Eine finstere Ahnung geht durch meine Seele! – Ich gehe los auf den Knaben und erstarre, als ich sehe, daß es der rote herzförmig ausgearbeitete Stein ist, der zum Einlegen in dem Pavillon bereit lag, den er mit Mühe herausgekugelt hat und mit dem er nun spielt! – „Bube! du spielst mit meinem Herzen wie dein Vater!“ – Mit diesen Worten stieß ich ihn voll Abscheu von mir, als er sich weinend mir nahte. – Mein Verwalter erhielt die nötigen Befehle, ihn fortzuschaffen, ich habe den Knaben nicht wiedergesehen!“ – „Entsetzlicher Mann!“ rief die alte Dame, die aber der alte Herr, sich höflich verbeugend und mit den Worten: „Des Schicksals große Grundstriche fügen sich nicht dem feinen Nonpareille der Damen“, unter dem Arm faßte, und aus dem Pavillon hinausführte durch das Wäldchen in den Garten. – Der alte Herr war der Hofrat Reutlinger, die alte Dame aber die Geheime Rätin Foerd. – Der Garten bot das allermerkwürdigste Schauspiel dar, was man nur sehen konnte. Eine große Gesellschaft alter Herren, Geheime Räte, Hofräte und andere, nebst ihren Familien aus den benachbarten Städtchen hatte sich versammelt.

Alle, selbst die jungen Leute und Mädchen, waren ganz streng nach der Mode des Jahres 1760 gekleidet mit großen Perücken, gesteiften Kleidern, hohen Frisuren, Reifröcken und so weiter, welches denn um so mehr einen wunderlichen Eindruck machte, als die Anlagen des Gartens ganz zu jenem Kostüm paßten. Jeder glaubte sich wie durch einen Zauberschlag in eine längst verflossene Zeit zurückversetzt. Der Maskerade lag eine wunderliche Idee Reutlingers zum Grunde. Er pflegte alle drei Jahre am Tage Mariä Geburt auf seinem Landsitz dasFest der alten Zeitzu feiern, wozu er alles aus dem Städtchen, was nur kommen wollte, einlud, jedoch war es unerläßliche Bedingung, daß jeder Gast sich in das Kostüm des Jahres 1760 werfen mußte. Jungen Leuten, denen es lästig gewesen sein würde, dergleichen Kleider herbeizuschaffen, half der Hofrat aus mit seiner eigenen reichen Garderobe. – Offenbar wollte der Hofrat diese Zeit hindurch (das Fest dauerte zwei bis drei Tage) in Rückerinnerungen der alten Jugendzeit recht schwelgen.

In einer Seitenallee begegneten sich Ernst und Willibald. Beide sahen sich eine Weile schweigend an und brachen dann in ein helles Gelächter aus. „Du kommst mir vor“, rief Willibald, „wie ,der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier’.“ „Und mich dünkt“, erwiderte Ernst, „ich hätte dich schon in der ,Asiatischen Banise’ erblickt.“ – „Aber in der Tat“, fuhr Willibald fort, „des alten Hofrats Einfall ist so übel nicht. Er will nun einmal sich selbst mystifizieren, er will eine Zeit hervorzaubern, in der er wahrhaft lebte, unerachtet er noch jetzt, ein munterer starker Greis mit unverwüstlicher Lebenskraft und herrlicher Frischheit des Geistes, an Erregbarkeit und fantasiereicher Laune es manchem vor der Zeit abgestumpften Jünglinge zuvortut. Er darf nicht dafür sorgen, daß jemand in Wort und Gebärde aus dem Kostüm falle, denn dafür steckt jeder eben in den Kleidern, die ihm das ganz unmöglich machen. Sieh nur, wie jüngferlich und zunferlich unsere jungen Damen in ihren Reifröcken einhertrippeln, wie sie sich des Fächers zu bedienen wissen. – Wahrhaftig, mich selbst ergreift unter der Perücke, die ich auf meinen Titus gestülpt, ein ganz besonderer Geist altertümlicher Courtoisie; da ich eben das allerliebste Kind, des Geheimen Rates Foerd jüngste Tochter, die holde Julia, erblicke, so weiß ich gar nicht, was mich abhält, mich ihr in demütiger Stellung zu nahen und mich also zu applizieren und explizieren: ,Allerschönste Julia! wenn wird mir doch die längst gewünschte Ruhe durch deine Gegenliebe gewährt werden! Es ist ja unmöglich, daß den Tempel dieser Schönheit ein steinerner Abgott bewohnen könne. Den Marmor bezwingt der Regen, und der Diamant wird durch schlechtes Blut erweichet; dein Herz will aber einem Ambosse gleichen, welches sich nur durch Schläge verhärtet; je mehr nun mein Herze klopfet, je unempfindlicher wirst du. Laß mich doch das Ziel deines Blicks sein, schaue doch, wie mein Herz kocht und meine Seele nach der Erquickung lechzet, welche aus deiner Anmut quillt. Ach! – willst du mich durch Schweigen betrüben, unempfindliche Seele? Die toten Felsen antworten ja den Fragenden durch ein Echo, und du willst mich Trostlosen keiner Antwort würdigen? – O Allerschönste –’“ – „Ich bitte dich“, unterbrach hier Ernst den Freund, der mit dem wunderlichsten Gebärdenspiel das alles gesprochen, „ich bitte dich, halt ein, du bist nun einmal wieder in deiner tollen Laune und merkst nicht, wie Julie, erst sich uns freundlich nähernd, mit einemmal ganz scheu ausbog. Ohne dich zu verstehen, glaubt sie gewiß, so wie alle in gleichem Fall, schonungslos von dir bespöttelt zu sein, und so bewährst du deinen Ruf als eingefleischten ironischen Satan und ziehst mich neuen Ankömmling ins Unglück, denn schon sprechen alle mit zweideutigem Seitenblick und bittersüßem Lächeln: ,Es ist Willibalds Freund.’“ – „Laß es gut sein“, sprach Willibald, „ich weiß es ja, daß viele Leute, zumal junge hoffnungsvolle Mädchen von sechzehn, siebzehn Jahren, mir sorglich ausweichen, aber ich kenne das Ziel, wohin alle Wege führen, und weiß auch, daß sie dort mir begegnend oder vielmehr mich wie im eignen Hause angesiedelt treffend, recht mit vollem freundlichen Gemüt mir die Hand reichen werden.“ – „Du meinst“, sprach Ernst, „eine Versöhnung, wie im ew’gen Leben, wenn der Drang des Irdischen abgeschüttelt.“ – „O ich bitte dich“, unterbrach ihn Willibald, „laß uns doch gescheut sein und nicht alte, längst besprochene Dinge aufs neue und gerade zur ungünstigsten Stunde aufrühren. Ungünstig für derlei Gespräche nenne ich nämlich deshalb eben diese Stunden, weil wir gar nichts Besseres tun können, als uns dem seltsamen Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns Reutlingers Laune wie in einen Rahmen eingefaßt hat, hingeben. Siehst du wohl jenen Baum, dessen ungeheure weiße Blüten der Wind hin- und herschüttelt? – Cactus grandiflorus kann es nicht sein, denn der blüht nur mitternachts, und ich spüre auch nicht das Aroma, welches sich bis hierher verbreiten müßte. – Weiß der Himmel, welchen Wunderbaum der Hofrat wieder in sein Tusculum verpflanzt hat.“ – Die Freunde gingen auf den Wunderbaum los und wunderten sich in der Tat nicht wenig, als sie einen dicken dunklen Holunderbusch trafen, dessen Blüten nichts anders waren als hineingehängte weißgepuderte Perücken, die mit ihren darangehängten Haarbeuteln und Zöpfchen, ein kurioses Spielzeug des launigten Südwinds, auf- und nieder schaukelten. Lautes Lachen verkündete, was hinter den Büschen verborgen. Eine ganze Gesellschaft alter gemütlicher lebenskräftiger Herren hatte sich auf einem breiten, von buntem Buschwerk umgebenen Rasenplatz versammelt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Das steinerne Herz
Untertitel
Aus "Nachtstücke"
Autor
Jahr
2008
Seiten
25
Katalognummer
V116120
ISBN (eBook)
9783640175673
ISBN (Buch)
9783640180301
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aus: Nachtstücke, Entstehungsdatum: 1817, Erscheinungsdatum: 1817
Schlagworte
Herz
Arbeit zitieren
E.T.A. Hoffmann (Autor:in), 2008, Das steinerne Herz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116120

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