Bioethische Betrachtungen anhand von Dieter Birnbachers „Natürlichkeit“, Kapitel 6 und 7:

„Natürlichkeit in der Reproduktionsmedizin“ und „Natürlichkeit als Grenze der Umgestaltung der menschlichen Natur“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

17 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführend

Abstufungen der Künstlichkeit

Bioethische Kritik

„Natürlichkeitsargumente in der Reproduktionsmedizin“

„Natürlichkeitspräferenzen versus Natürlichkeitsprinzipien“

Bevorzugung des Natürlichen?

Die Geschlechtswahl: biopolitische Aspekte

Reproduktives Klonen im Rahmen der Natürlichkeitsprinzipien

Von den Grenzen der Gattungswürde

Gattungsethische Aspekte

Die menschliche Natur

Menschenbilder

Über den Posthumanismus

Bibliographie

Einführend

Heute sind dem Menschen neue Gestaltungsräume auch innerhalb seiner eigenen Gattung möglich. Humangenetik und Reproduktionsmedizin eröffnen ihm diese. Die Grenze verschiebt sich merklich, doch welche Grenzbereiche sind betroffen? Ist es noch möglich, tatsächlich zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit zu unterscheiden, welche Methoden sind moralisch verwerflich und warum? Ab wann greift die Künstlichkeit in die Fortpflanzung des Menschen ein? Ist es moralisch richtig, allein der Natur die Entscheidung über Leben und Sterben zu überlassen? Fragen die der Philosoph Dieter Birnbacher in den Kapiteln 6 und 7 seiner „Natürlichkeit“ klären will. Auch wenn ich in vielen Fällen nur meine Zustimmung bekunden kann, so werde ich doch zu einigen, von ihm angebrachten Punkten, kritisch Stellung beziehen müssen.

Abstufungen der Künstlichkeit

Heute haben wir die Möglichkeit unsere Fortpflanzung gezielt zu steuern. An welcher Stelle Künstlichkeit beginnt muss diskutiert werden. Birnbacher formuliert verschiedene Stufen der Künstlichkeit. Die Zukunft hält weitere Steuerungsmöglichkeiten bereit, dies könnte durch die Testung fötaler Zellen bis zur qualitativen Auswahl des Nachwuchses führen. Bereits mit Mitteln zur Verhinderung einer Empfängnis greifen wir in den Fortpflanzungsprozess ein. Ob Künstlichkeit bereits beim Bestimmen des Schwangerschaftszeitpunktes beginnt muss jede Mutter für sich entscheiden. Ebenso wie es Mittel zur Verhinderung einer Empfängnis gibt, existieren künstliche Mittel der Reproduktion. Die Unterscheidung in „künstlich“ und „natürlich“ erschöpft sich und ist schon längst nicht mehr ausreichend. Von vielen Paaren werden künstliche Methoden der Reproduktion als unnatürlich empfunden, da der Zeugungsakt selbst, oftmals außerhalb und von der Sexualität entkoppelt stattfindet. Natürlich können diese Methoden kinderlosen Paaren helfen ihren Wunsch nach einem Baby zu erfüllen, jedoch geschieht dies nicht auf natürliche Weise. Selbstverständlich fällt es schwer das Ausmaß der Künstlichkeit im Einzelnen zu bestimmen, auch bis wann ihr Einsatz moralisch gerechtfertigt wäre und unter welchen Bedingungen. Birnbacher systematisiert dieses Ausmaß, indem er in 3 Kriterien der Künstlichkeit unterscheidet; den technischen Aufwand, die Nachahmung natürlicher Vorgänge und die Ausschaltung natürlicher Variabilität.[1] Für den technischen Aufwand sind die jeweiligen Abstufungen der Künstlichkeit von prioritärer Bedeutung, so ließe sich bei einer Leihmutterschaft bspw. ein niedrige Künstlichkeit feststellen, während sie bei der In-vitro-Fertilisation durchaus hoch ist. Die In-vitro-Fertilisation selbst, oder auch „Künstliche Befruchtung“ ist an sich nicht künstlich, hier würde die Nachahmung eines natürlichen Vorganges stattfinden. Der Vorgang der Befruchtung läuft genauso ab, wie auch auf natürliche Weise im Eileiter, nicht die Befruchtung ist künstlich, sondern der Ort, wo diese stattfindet. Leider ist man sich über die Risiken hinsichtlich von Fehlbildungen der entstehenden Kinder bei der „echten künstlichen Befruchtung“ bis heute nicht im Klaren.[2] Der Philosoph stuft auch innerhalb der In-vitro-Fertilisation in verschiedene Grade der Künstlichkeit ab, so würde der soziale Vater als Samenspender die Künstlichkeit enorm verringern. Zieht man jedoch die deutsche Gesetzgebung zur Kinderwunschbehandlung zu Rate, so wird man zweifellos feststellen, dass diese Methode der Reproduktion für die meisten Paare zusätzlich erschwert wird. Single-Frauen wird der Kinderwunsch ganz abgeschlagen. Den Ausschlag aber gibt das Embryonenschutzgesetz[3], welches man meiner Meinung nach durchaus kritisch beleuchten sollte. Das Gesetz sieht vor, die missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechnicken und menschlichen Embryonen, Klonen, Geschlechtswahl, die künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen, Chimären- und- Hybridbildung, eigenmächtige Befruchtung und Embryoübertragung, sowie künstliche Befruchtung nach dem Tode, zu verhindern. Diese Gesetzgebung wird mit der Menschenwürdewidrigkeit begründet, wie Dieter Birnbacher richtig erkennt, ist diese Begründung keineswegs ausreichend und im Rahmen heutiger Zeit nicht mehr angemessen. Nach Birnbacher erhöht sich die Natürlichkeit eines Verfahrens proportional zur Zufälligkeit. Auch die Freiheit der geno- phänotypischen Festlegung des Kindes sollte erhalten bleiben, um die Natürlichkeit des jeweiligen Vorganges zu erhöhen. Die Ausschaltung natürlicher Variabilität ermöglicht ebenso die Vorbestimmung von Eigenschaften und deren gezielte Verwirklichung, diese Vorgehensweise empfinde ich als problematisch und moralisch grenzwertig, wenn sie nicht ausschließlich auf gesundheitliche Aspekte angewendet wird.

Bioethische Kritik

Die 3 Kriterien Birnbachers entsprechen verschiedenen Schwerpunkten und müssen sich massiver bioethischer Kritik unterziehen. Man befürchtet zum Einen die „Industriealisierung“ der Reproduktion, die eigentliche Befürchtung liegt hierbei jedoch in der Ablösung der menschlichen Sexualität durch künstliche Reproduktion, menschliche Intimität ginge verloren, daraus könnte zusätzlich nur eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung resultieren. Des Weiteren wird die „Eigenmächtigkeit“ v. a. von seitens der Theologie kritisiert. Ein Kritikpunkt, den ich nachvollziehen kann, jedoch für ungenügend begründet halte. Dogmatische Schemata und ebenso starre Denkmuster haben für mich in der Bioethik des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu suchen. Nach Auffassung der Theologie übernehme der Mensch, die Aufgabe, die allein Gott zukomme (Einwendend könnte man sagen, dass in der Bibel eindeutig steht, dass der Mensch nach Gottes Abbild geschaffen wurde, und somit seinem „Vorbild“ mit den Methoden der Technik lediglich nacheifert.[4] ). Gefährlich würde es meines Erachtens nur, wenn natürliche Abläufe komplett durch künstliche ersetzt würden, ohne die entsprechend gegebene Notwendigkeit. Birnbacher bringt als Bsp. für ein Extrem dieser Denkrichtung an, dass selbst die teilweise lebenswichtige Impfung aus Gründen des „Naturprinzipes“ abgelehnt würde (orthodox-calvinistische Gruppierungen). Ich halte es für moralisch verwerflich den Menschen an Krankheiten sterben zu lassen, die er schon lange in ihre „Schranken“ gewiesen hat, ob man es als „Gott- gewollt“ postuliert oder nicht. Sicherlich greifen wir bereits mit der Benutzung eines Kondoms in die Natürlichkeit des sexuellen Aktes ein, jedoch ist doch das größere Übel, aufgrund eines natürlichen Bedürfnisses, qualvoll an einer Krankheit zu verenden, die mit geringem Aufwand und noch geringeren Einbußen hätte verhindert werden können. Dennoch der Vatikan verdammt die künstliche Reproduktion (vielleicht sollte man diskutieren, warum ausschließlich Männer dies zu entscheiden scheinen) ebenso wie er Kondome und Empfängnisabbruch verdammt. Diese Verdammung kommt für mich gleich nach der Hexenverbrennung. Das persönliche Recht der Frau auf Freiheit wird von der katholischen Kirche nicht nur eingeschränkt, sondern auch untergraben, wenn man sie zwingt ein ungewolltes Kind auszutragen, für mich die tatsächliche „Störung“ der Mutter-Kind-Beziehung. Künstliche Eingriffe in die Reproduktion können dieses Recht wahren. In Deutschland ist die Samenspende erlaubt, die Eizellenspende verboten, da sie dem natürlichen Vorgang nicht nachempfunden ist. Während die männliche Spende mit keinerlei gefährdendem Risiko für den Spender verbunden ist, ist das bei der Eizellenspende nicht so: Frauen, die sich für eine Spende entscheiden, müssen sich über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen täglich ein Hormonpräparat spritzen, durch dieses wird die Reifung von Eizellen angeregt. Wenn die Eizellen „geerntet“ werden wird die Spenderin anästhesiert. Eine dünne Nadel wird durch die Vagina eingeführt, die Eizellen werden abgesaugt (3 bis 12 Stück). Einige Frauen reagieren schlecht auf den Eingriff und v. a. die Hormontherapie, Gewichtszunahmen, Stimmungsschwankungen, Übelkeit sind häufig. Bei 2 bis 5 Prozent kommt es sogar zum ovariellen Hyperstimulationssyndrom[5], das Sterberisiko liegt jedoch bei geringen 0,01 Prozent.[6] Der Schöpfer des Klon-Schafes „Dolly“, Ian Wilmut, hat nie an der Bereitschaft junger Frauen, Eizellen für den medizinischen Fortschritt zu spenden, gezweifelt. Dennoch, die Bereitschaft zur Spende wird durch großzügige Bezahlung erhöht. Ein Thema das die Gemüter erhitzt und verschiedenste Äußerungen provoziert, frei nach dem Motto: Möchten Sie Eizellen kaufen? Die meisten Frauen würden ohne Bezahlung nicht spenden und auch das koreanische Negativ- Beispiel von Woo Suk Hwang[7] ist bedenklich, bedenklich weil wir uns fragen müssen, ob der Mensch bereit ist oder ob er jemals bereit sein wird oder darf, „Gott zu spielen“. Auch die Annährung künstlicher Reproduktion an Züchtungsverfahren wird von Birnbacher als vom Menschen gefürchteter Kritikpunkt angebracht. Die Horrorvision des gezüchteten Menschen fürchtet man spätestens seit Michael Bays „The Island“, der 2005 erschiene Film zeigt Menschenwürdewidrige Umstände auf, unter denen Klone leben könnten, als menschliches „Ersatzteillager“ missbraucht.[8] Der Hauptkritikpunkt besteht nach Birnbacher in der bewussten Selektion von Nachkommen, aber selektieren wir nicht schon längst, wenn wir uns gegen ein behindertes Baby entscheiden? Ich empfinde es jedoch als falsch übereifrigen Eltern die gezielte Herstellung ihres „Qualitätsproduktes“ zu ermöglichen. Doch ebenso halte ich es nicht für richtig, jedes „Frühchen“ aufzupäppeln, der menschliche Genpool steht auf dem Spiel, Veränderungen an diesem Genpool sind irreversibel!

[...]


[1] Vgl.: Birnbacher, D.: „Natürlichkeit, S. 138 f

[2] Vgl.: http://www.wunschkinder.net/theorie/behandlungen-methoden/ivf/

[3] Siehe auch: http://www.gesetze-im-internet.de/eschg/index.html

[4] Vgl. Gen 1,27-28

[5] ovariellen Hyperstimulationssyndrom: es reifen mehr als 30 Eizellen gleichzeitig heran, die Blutgefäße werden undicht, der Bauch bläht sich auf, teilweise folgt Nierenversagen.

[6] Vgl.:http://www.transplantation.de/221.html?&tx_ttnews[tt_news]=472&tx_ttnews[backPid]=227&cHash=6e8847aad2

[7] Siehe auch: http://www.stern.de/wissenschaft/medizin/:Hwang-Woo-Suk-Beide-Stammzell-Studien/552909.html

[8] Vgl.: http://www.moviesquare.ch/movies/2005/Island-The/index.html

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Bioethische Betrachtungen anhand von Dieter Birnbachers „Natürlichkeit“, Kapitel 6 und 7:
Untertitel
„Natürlichkeit in der Reproduktionsmedizin“ und „Natürlichkeit als Grenze der Umgestaltung der menschlichen Natur“
Hochschule
Universität Erfurt
Veranstaltung
Dieter Birnbacher; "Die Natürlichkeit"
Note
2,00
Autor
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V116099
ISBN (eBook)
9783640182534
ISBN (Buch)
9783640182602
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bioethische, Betrachtungen, Dieter, Birnbachers, Kapitel, Dieter, Birnbacher, Natürlichkeit
Arbeit zitieren
Julia Kulewatz (Autor:in), 2008, Bioethische Betrachtungen anhand von Dieter Birnbachers „Natürlichkeit“, Kapitel 6 und 7: , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116099

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