Norm und Normverstoß in Veit Warbecks „Magelone“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Die zeitgenössischen Fürstenspiegel und der Einfluss Martin Luthers
2.2. Normverstöße bei Peter, Magelone und der Amme

3. Schlussteil

Literaturangaben

1. Einleitung

1527 schreibt Veit Warbeck „Die schöne Magelone“[1], nach einer anonymen französischen Vorlage von 1453. 1553 erscheint die deutschsprachige Fassung als Druck, ergänzt durch ein Vorwort von Georg Spalatin.[2] In dem Text geht es um die heimliche Liebe zwischen Magelone, Tochter des Königs von Neapel, und Peter, dem Sohn eines Grafen aus der Provence, die sich gemeinsam gegen die gesellschaftlichen Normen und Konventionen des Hofes stellen. Zentrale Themen sind hier die Liebe der beiden, der Wunsch nach individuellem Liebesglück, auch und gerade gegen gesellschaftliche Schranken mit anschließender Bewährung in der Zeit der gemeinsamen Trennung. Dabei folgt der Text dem Charakter des „Eustachius“-Typus, in dem es um Umkehr, Buße, Prüfung, erneutes Glück, Trennung und Bewährung der Ehepartner geht.[3] In der Forschung sieht man in dem Text auf der einen Seite die Aufspaltung zwischen Öffentlichkeit und Heimlichkeit, höfischer Norm und privatem Liebesverlangen, Pflicht und Neigung (Werner Röcke, Volker Mertens, Armin Schulz)[4] und auf der anderen Seite will man nach Winfried Theiß[5] in ihm zeitgenössische Herrschafts- und Fürstendidaxenmit einem humanistisch moralisch-didaktischem Ansatz erkennen.[6] Theiß ist der Meinung, dass man den Roman als ein sittliches Lehrstück betrachten soll, der einem frühneuzeitlichem Fürstenspiegel gleichkommt.[7] Damit schließt er sich der Absicht von

Georg Spalatin an, der in seiner Vorrede die Eltern darauf hinweist, besser auf ihre Kinder acht zu geben. Die Geschichte soll vor allem Frauen und Jungfrauen ein Beispiel sittsamen Verhaltens sein, an welches man sich halten soll.

„[...] schrifft die alle frawen vnnd junckfrawen zů erlicher kurtzweyl wol on alle ergenuß moegen lesen vnd hoeren / vnd vil erlicher denn mitler zeyt yederman außecken / oder ergers treyben / da nit geringe fahr vnd beschwerung bey steet. Zů dem dienet diß buechelein auch dazů / das die Eltern auch ein fleyssigs aug vnnd achtung auff die kinder / beuor auff die toechtern haben / Dann die jugent </> beuor ein meydlein ist fast fürwitzig / vnd man erferet taeglich an vil orten vil vnrats wann man vbel zůsihet / Wie dann dies buechlein mit der schoenen Magelona auch fein anzeigt“

(S. 590, 23 -591,9)

Anhand des Sendbriefes von Georg Spalatin erkennt man, dass die „Magelone“ erst im Nachhinein als ein Lehrstück zugeschnitten wurde. Zwar hatte auch schon Veit Warbeck mit Sicherheit diese Absichten, doch war das Stück nicht auf diese eindeutigen Zwecke hin ausgerichtet.[8]

Im Verlauf meiner Arbeit werde ich mich hauptsächlich auf die Figuren der Magelone, Peter und die der Amme stützen. Ich werde versuchen zu zeigen, inwieweit sie sich gegen die zeitgenössischen Normen stellen und wie am Ende des Romans die Ehe zwischen Peter und Magelone doch ihre Legitimation erhält. Dabei werde ich die oben angeführten Texte, wie auch die Lehren Luthers[9] und Ansätze aus der Lehre des Erasmus von Rotterdam[10] in meine Ausarbeitung einbeziehen. Ich werde zeigen, welche Normen und Konventionen gebrochen beziehungsweise missachtet werden und wie die jeweilige Sanktion und die darauf folgende Umkehr und Einsicht aussieht.

Den Roman kann man in zwei Teile gliedern, wobei der erste Teil bis zur Trennung der Liebenden von der Repräsentation der höfischen Lebensformen dominiert wird, im zweiten Teil ist Einsicht und der karitative Dienst am Nächsten nach dem begangenen Normverstoß zentrales Thema. Dabei soll den Lesern der erste Teil als positives Beispiel dienen, während der zweite Teil eher negativ gedeutet wird.[11] Die Absicht ist zu zeigen, welches Handeln für gut befunden wird, und welches für weniger erbaulich gilt.

2. Hauptteil

2.1. Die zeitgenössischen Fürstenspiegel und der Einfluss Martin Luthers

Bruno Singer betont in seiner Arbeit „Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation“[12], dass das Spätmittelalter ein Zeitalter der Moralistik und des Aufschwungs lehrhafter Literatur gewesen ist[13] und auch die „Magelone“ fällt unter die Kategorie der lehrhaften Dichtung. Den Humanisten ging es nicht wie in früheren Fürstenspiegeln um die fast ausschließliche Lehre von Staatstheorien, vielmehr rückte nun die Erziehung, Bildung, Verhaltens- und Lebensweise in den Vordergrund.[14] Mit dem Aufkommen der Reformation unter Luther gerät die Literatur stark unter den reformatorischen Einfluss, und auch die „Magelone“ in deutscher Fassung weist reformatorische Züge auf. Veit Warbeck, unumstrittener Anhänger der lutherischen Reformation, stand ganz deutlich mitten in den politischen und religiösen Auseinandersetzungen der Zeit.[15] Betont Luther die Sündhaftigkeit und die Gefallenheit der Menschen, so kann man diese auch in der „Magelone“ erkennen. Die Erzählung weist starke Charakterzeichnungen des Humanismus auf und trifft damit die zeitgenössischen Vorstellungen. Dem Lesepublikum, soll ein Bild aufgezeigt werden, wie ein adäquates Leben auszusehen hat, und in welchen Bereichen man sie wie verhalten soll. Dabei sind gewisse Regeln und Normen einzuhalten, die von Peter und Magelone jedoch gebrochen werden. Als Norm gilt ein sittliches Gebot oder Verbot als Grundlage einer Rechtsnorm, welches in jedem Falle einzuhalten ist. Ein Regelverstoß wird mit Strafen und Sanktionen geahndet.[16]

Beim Erkennen ihres Normverstoßes beten Peter und Magelone jeder für sich zu Gott und besinnen sich auf die Religion. Auch in der Zeit um Luther hat man sich wieder mehr auf die Bibel und auf das Wort Gottes gestützt, und um Vergebung gebetet.[17] Man soll nicht eigennützig handeln und sich in den Dienst des Nächsten begeben, was gerade bei Magelone eine große Rolle spielen wird. Dies ist für Luther der Inbegriff des ganzen christlichen Lebens „liebe goth und deynen nehsten“[18]. Handelt man jedoch gegen das Gesetz der Liebe oder befolgt deren Regeln nicht, so zieht man den Zorn Gottes auf sich. Peter und Magelone ziehen den Zorn Gottes auf sich, indem Peter und Magelone das

feudale Regel- und Ordnungssystem missachten, Peter sich nicht an das voreheliche Sexualverbot hält und seine Affekte nicht kontrollieren kann. „Der eigentliche theologische Inhalt der Goldenen Regel besteht nach Luther darin, die verkehrte, ichbezogene, sündige Liebe des Menschen in eine rechtsschaffende, selbstlose und reine Liebe zu verwandeln.“[19] Dass Peter und Magelone doch noch auf den richtigen Weg gelangen, werde ich in meinem späteren Teil ausführlicher behandeln.

In den zeitgenössischen Fürstenspiegeln zog man die Lehre des „Secretum Secretorum“ heran, die unter anderem die Bändigung der Affekte und Leidenschaften und die Vernunft in allen Dingen fordert.[20] Ich erwähne dies deshalb, weil gerade in der „Magelone“ dies zum zentralen Thema werden wird. Doch darauf werde ich später genauer eingehen. Das „Secretum Secretorum“ gilt als die wohl bekannteste und repräsentativste Enzyklopädie des Mittelalters[21], soll aber nach Werner Röcke nicht als Quelle, sondern als Thesaurus verstanden werden.[22] 1515 erscheint das „Institutio Principis Christiani“ des Erasmus von Rotterdam[23] und stellt so einen zeitgenössischen Fürstenspiegel mit humanistischen Wertvorstellungen dar. Als Beispiel führt er an, dass guter Adel nur durch Tugend und rechtes Verhalten ausgezeichnet wird.[24] Demnach könnte man behaupten, dass Peter und Magelone sich bis zu ihrem Normverstoß tugendhaft und ehrenvoll verhalten, jedoch in der Zeit der Normübertretung mit der heimlich gehaltenen Liebe, der Flucht, der sündhaften Begierde und der anschließenden Trennung nicht gerade als gut und vorbildlich gelten können. Doch mit der Phase der Einsicht, der Umkehr und dem karitativen Dienst am Nächsten werden sie wieder zum positiven Exempel umgedeutet. Werner Röcke hat dies mit dem triadischen Aufbau versucht deutlich zu machen. So fängt bei Peter und Magelone eine Zeit der Ehre, des Glücks und der Liebe an, die dann in die Phase der Flucht, der Metamorphose und Trennung übergeht, um dann zu einer Zeit der Einsicht, der Demut, des Dienstes am Nächsten in die endgültige Phase der glücklichen Wiedervereinigung mündet.[25] Erasmus von Rotterdamm hat in seinem Fürstenspiegel eindrücklich vor den Lastern und den Leidenschaften gewarnt und darauf hingewiesen, dass man aus Vernunft und reinem Urteilsvermögen handeln soll.[26] Hält man sich dies vor Augen und hat man davon auszugehen, dass dem Lesepublikum die Schriften des Erasmus von Rotterdam, das „Secretum Secretorum“ und die Lehren Luthers bekannt waren, so kann man deutlich erkennen, dass Warbeck wie auch die Vorrede Spalatins darauf abzielen, ein zweifaches Exempel zu entwerfen, indem einmal der ehrenvolle und tugendhafte Charakter von Peter, Magelone und der Amme gezeigt wird, um dann auf der anderen Seite das Scheitern aller drei hervorzuheben. Die anschließende Umkehr von Peter und Magelone zeigt die Entwicklung und Veränderung der beiden, und wird als positive Transformation gewertet.

[...]


[1] Die Schoen Magelona. Ein fast lustige vnd kurtzweylige Histori vonn der schoenen Magelona eins künigs tochter von Neaples vnd einem ritter genannt Peter mit den silberin schlüsseln eins graffen son aus Prouincia durch magister Veiten Warbeck auss frantzoesischer sprach in die teütschen verdolmetscht mit eynem sendbrieff Geeorgij Spalatini. Augsburg 1553. In: Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten. Hrsg. von Jan-Dirk Müller. Frankfurt/Main 1990 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd.1), S. 589-677.

[2] Schulz, Armin: Poetik des Hybriden. Schema, Variation und intertextuelle Kombinatorik in der Minne- und Aventiureepik: Willehalm von Orlens – Pantonopier und Meliur – Wilhelm von Österreich – Die schöne Magelone. Berlin 2000, S.153.

[3] Röcke, Werner: Minne, Weltflucht und Herrschaftslegitimation. Wandlungen des späthöfischen Romans am Beispiel der 'Guten Frau' und Veit Warbecks 'Magelone'. In: Germanistik – Forschungsstand und Perspektiven. Vorträge des Deutschen Germanistentages 1984. Hrsg. von Georg Stötzel. Berlin/New York 1985, Bd. II, S. 144-159, hier S. 147.

[4] So z.B. ebd. oder auch ders.: Erzähltes Wissen. Loci comunes und 'Romanen-Freyheit' im Magelonen-Roman des Spätmittelalters. In: Bedingungen, Typen, Sprache, Publikum wissensvermittelnder Literatur im Hoch- und Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Horst Brunner und Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des SFB 226 Würzburg/Eichstätt 13). Wiesbaden 1993, S. 205-222; und auch ders.: Die Faszination der Traurigkeit. Inszenierung und Reglementierung von Trauer und Melancholie in der Literatur des Spätmittelalters. In: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Hrsg. von C. Benthien, A. Fleig, I. Kasten. Köln 2000, S. 100-118; Volker Mertens: „Aspekte der Liebe“ Ihre Semantik in den Prosaromanen Tristrant', 'Melusine', 'Magelone' und 'Goldfaden'. In: Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur. Hrsg. von Helmut Brall, Düsseldorf 1994, S. 109-134; und auch Schulz, Armin (Anm.2)

[5] Theiß, Winfried: Die »Schöne Magelona« und ihre Leser. Erzählstrategie und Publikumswechsel im 16. Jahrhundert. In: Euphorion 23 (1979), S. 132-148.

[6] Rö>

[7] Rö>

[8] Ebd. S.155-156

[9] Raunio, Antti: Summe des christlichen Lebens: die »Goldene Regel« als Gesetz der Liebe in der Theologie Martin Luthers von 1510-1527. Mainz 2001.

[10] Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Werner Welzig. Bd 5, Darmstadt 1968.

[11] Theiß (Anm. 5), S. 142

[12] Singer, Bruno: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. München, 1981.

[13] Ebd., S.27

[14] Ebd., S.29

[15] Theiß (Anm. 5), S.132

[16] Der kleine Duden „Deutsches Wörterbuch“. Bearb. von der Dudenreaktion. 3. Aufl. Mannheim 1992, S.270.

[17] Singer (Anm. 12), S.40-42

[18] Raunio (Anm. 9), S.1

[19] Ebd., S. 366

[20] Ebd., S.61

[21] zur Entstehung und Überlieferung: Berges, Wilhelm: Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters. Leipzig 1938 (Dissertation), S.109.

[22] Rö>

[23] Erasmus von Rotterdam (Anm. 10), S.XIV-XVIII

[24] Theiß (Anm. 5), S.139

[25] Rö>

[26] Theiß (Anm. 5), S. 139

Inhalt

1. Einleitung 3

2. Hauptteil 5

2.1. Die zeitgenössischen Fürstenspiegel und der Einfluss Martin Luthers 5

2.2. Normverstöße bei Peter, Magelone und der Amme 7

3. Schlussteil 18

Literaturangaben 19

1. Einleitung

1527 schreibt Veit Warbeck „Die schöne Magelone“[1], nach einer anonymen französischen Vorlage von 1453. 1553 erscheint die deutschsprachige Fassung als Druck, ergänzt durch ein Vorwort von Georg Spalatin.[2] In dem Text geht es um die heimliche Liebe zwischen Magelone, Tochter des Königs von Neapel, und Peter, dem Sohn eines Grafen aus der Provence, die sich gemeinsam gegen die gesellschaftlichen Normen und Konventionen des Hofes stellen. Zentrale Themen sind hier die Liebe der beiden, der Wunsch nach individuellem Liebesglück, auch und gerade gegen gesellschaftliche Schranken mit anschließender Bewährung in der Zeit der gemeinsamen Trennung. Dabei folgt der Text dem Charakter des „Eustachius“-Typus, in dem es um Umkehr, Buße, Prüfung, erneutes Glück, Trennung und Bewährung der Ehepartner geht.[3] In der Forschung sieht man in dem Text auf der einen Seite die Aufspaltung zwischen Öffentlichkeit und Heimlichkeit, höfischer Norm und privatem Liebesverlangen, Pflicht und Neigung (Werner Röcke, Volker Mertens, Armin Schulz)[4] und auf der anderen Seite will man nach Winfried Theiß[5] in ihm zeitgenössische Herrschafts- und Fürstendidaxenmit einem humanistisch moralisch-didaktischem Ansatz erkennen.[6] Theiß ist der Meinung, dass man den Roman als ein sittliches Lehrstück betrachten soll, der einem frühneuzeitlichem Fürstenspiegel gleichkommt.[7] Damit schließt er sich der Absicht von

Georg Spalatin an, der in seiner Vorrede die Eltern darauf hinweist, besser auf ihre Kinder acht zu geben. Die Geschichte soll vor allem Frauen und Jungfrauen ein Beispiel sittsamen Verhaltens sein, an welches man sich halten soll.

„[...] schrifft die alle frawen vnnd junckfrawen zů erlicher kurtzweyl wol on alle ergenuß moegen lesen vnd hoeren / vnd vil erlicher denn mitler zeyt yederman außecken / oder ergers treyben / da nit geringe fahr vnd beschwerung bey steet. Zů dem dienet diß buechelein auch dazů / das die Eltern auch ein fleyssigs aug vnnd achtung auff die kinder / beuor auff die toechtern haben / Dann die jugent </> beuor ein meydlein ist fast fürwitzig / vnd man erferet taeglich an vil orten vil vnrats wann man vbel zůsihet / Wie dann dies buechlein mit der schoenen Magelona auch fein anzeigt“

(S. 590, 23 -591,9)

Anhand des Sendbriefes von Georg Spalatin erkennt man, dass die „Magelone“ erst im Nachhinein als ein Lehrstück zugeschnitten wurde. Zwar hatte auch schon Veit Warbeck mit Sicherheit diese Absichten, doch war das Stück nicht auf diese eindeutigen Zwecke hin ausgerichtet.[8]

Im Verlauf meiner Arbeit werde ich mich hauptsächlich auf die Figuren der Magelone, Peter und die der Amme stützen. Ich werde versuchen zu zeigen, inwieweit sie sich gegen die zeitgenössischen Normen stellen und wie am Ende des Romans die Ehe zwischen Peter und Magelone doch ihre Legitimation erhält. Dabei werde ich die oben angeführten Texte, wie auch die Lehren Luthers[9] und Ansätze aus der Lehre des Erasmus von Rotterdam[10] in meine Ausarbeitung einbeziehen. Ich werde zeigen, welche Normen und Konventionen gebrochen beziehungsweise missachtet werden und wie die jeweilige Sanktion und die darauf folgende Umkehr und Einsicht aussieht.

Den Roman kann man in zwei Teile gliedern, wobei der erste Teil bis zur Trennung der Liebenden von der Repräsentation der höfischen Lebensformen dominiert wird, im zweiten Teil ist Einsicht und der karitative Dienst am Nächsten nach dem begangenen Normverstoß zentrales Thema. Dabei soll den Lesern der erste Teil als positives Beispiel dienen, während der zweite Teil eher negativ gedeutet wird.[11] Die Absicht ist zu zeigen, welches Handeln für gut befunden wird, und welches für weniger erbaulich gilt.

2. Hauptteil

2.1. Die zeitgenössischen Fürstenspiegel und der Einfluss Martin Luthers

Bruno Singer betont in seiner Arbeit „Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation“[12], dass das Spätmittelalter ein Zeitalter der Moralistik und des Aufschwungs lehrhafter Literatur gewesen ist[13] und auch die „Magelone“ fällt unter die Kategorie der lehrhaften Dichtung. Den Humanisten ging es nicht wie in früheren Fürstenspiegeln um die fast ausschließliche Lehre von Staatstheorien, vielmehr rückte nun die Erziehung, Bildung, Verhaltens- und Lebensweise in den Vordergrund.[14] Mit dem Aufkommen der Reformation unter Luther gerät die Literatur stark unter den reformatorischen Einfluss, und auch die „Magelone“ in deutscher Fassung weist reformatorische Züge auf. Veit Warbeck, unumstrittener Anhänger der lutherischen Reformation, stand ganz deutlich mitten in den politischen und religiösen Auseinandersetzungen der Zeit.[15] Betont Luther die Sündhaftigkeit und die Gefallenheit der Menschen, so kann man diese auch in der „Magelone“ erkennen. Die Erzählung weist starke Charakterzeichnungen des Humanismus auf und trifft damit die zeitgenössischen Vorstellungen. Dem Lesepublikum, soll ein Bild aufgezeigt werden, wie ein adäquates Leben auszusehen hat, und in welchen Bereichen man sie wie verhalten soll. Dabei sind gewisse Regeln und Normen einzuhalten, die von Peter und Magelone jedoch gebrochen werden. Als Norm gilt ein sittliches Gebot oder Verbot als Grundlage einer Rechtsnorm, welches in jedem Falle einzuhalten ist. Ein Regelverstoß wird mit Strafen und Sanktionen geahndet.[16]

Beim Erkennen ihres Normverstoßes beten Peter und Magelone jeder für sich zu Gott und besinnen sich auf die Religion. Auch in der Zeit um Luther hat man sich wieder mehr auf die Bibel und auf das Wort Gottes gestützt, und um Vergebung gebetet.[17] Man soll nicht eigennützig handeln und sich in den Dienst des Nächsten begeben, was gerade bei Magelone eine große Rolle spielen wird. Dies ist für Luther der Inbegriff des ganzen christlichen Lebens „liebe goth und deynen nehsten“[18]. Handelt man jedoch gegen das Gesetz der Liebe oder befolgt deren Regeln nicht, so zieht man den Zorn Gottes auf sich. Peter und Magelone ziehen den Zorn Gottes auf sich, indem Peter und Magelone das

feudale Regel- und Ordnungssystem missachten, Peter sich nicht an das voreheliche Sexualverbot hält und seine Affekte nicht kontrollieren kann. „Der eigentliche theologische Inhalt der Goldenen Regel besteht nach Luther darin, die verkehrte, ichbezogene, sündige Liebe des Menschen in eine rechtsschaffende, selbstlose und reine Liebe zu verwandeln.“[19] Dass Peter und Magelone doch noch auf den richtigen Weg gelangen, werde ich in meinem späteren Teil ausführlicher behandeln.

In den zeitgenössischen Fürstenspiegeln zog man die Lehre des „Secretum Secretorum“ heran, die unter anderem die Bändigung der Affekte und Leidenschaften und die Vernunft in allen Dingen fordert.[20] Ich erwähne dies deshalb, weil gerade in der „Magelone“ dies zum zentralen Thema werden wird. Doch darauf werde ich später genauer eingehen. Das „Secretum Secretorum“ gilt als die wohl bekannteste und repräsentativste Enzyklopädie des Mittelalters[21], soll aber nach Werner Röcke nicht als Quelle, sondern als Thesaurus verstanden werden.[22] 1515 erscheint das „Institutio Principis Christiani“ des Erasmus von Rotterdam[23] und stellt so einen zeitgenössischen Fürstenspiegel mit humanistischen Wertvorstellungen dar. Als Beispiel führt er an, dass guter Adel nur durch Tugend und rechtes Verhalten ausgezeichnet wird.[24] Demnach könnte man behaupten, dass Peter und Magelone sich bis zu ihrem Normverstoß tugendhaft und ehrenvoll verhalten, jedoch in der Zeit der Normübertretung mit der heimlich gehaltenen Liebe, der Flucht, der sündhaften Begierde und der anschließenden Trennung nicht gerade als gut und vorbildlich gelten können. Doch mit der Phase der Einsicht, der Umkehr und dem karitativen Dienst am Nächsten werden sie wieder zum positiven Exempel umgedeutet. Werner Röcke hat dies mit dem triadischen Aufbau versucht deutlich zu machen. So fängt bei Peter und Magelone eine Zeit der Ehre, des Glücks und der Liebe an, die dann in die Phase der Flucht, der Metamorphose und Trennung übergeht, um dann zu einer Zeit der Einsicht, der Demut, des Dienstes am Nächsten in die endgültige Phase der glücklichen Wiedervereinigung mündet.[25] Erasmus von Rotterdamm hat in seinem Fürstenspiegel eindrücklich vor den Lastern und den Leidenschaften gewarnt und darauf hingewiesen, dass man aus Vernunft und reinem Urteilsvermögen handeln soll.[26] Hält man sich dies vor Augen und hat man davon auszugehen, dass dem Lesepublikum die Schriften des Erasmus von Rotterdam, das „Secretum Secretorum“ und die Lehren Luthers bekannt waren, so kann man deutlich erkennen, dass Warbeck wie auch die Vorrede Spalatins darauf abzielen, ein zweifaches Exempel zu entwerfen, indem einmal der ehrenvolle und tugendhafte Charakter von Peter, Magelone und der Amme gezeigt wird, um dann auf der anderen Seite das Scheitern aller drei hervorzuheben. Die anschließende Umkehr von Peter und Magelone zeigt die Entwicklung und Veränderung der beiden, und wird als positive Transformation gewertet.

[...]


[1] Die Schoen Magelona. Ein fast lustige vnd kurtzweylige Histori vonn der schoenen Magelona eins künigs tochter von Neaples vnd einem ritter genannt Peter mit den silberin schlüsseln eins graffen son aus Prouincia durch magister Veiten Warbeck auss frantzoesischer sprach in die teütschen verdolmetscht mit eynem sendbrieff Geeorgij Spalatini. Augsburg 1553. In: Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten. Hrsg. von Jan-Dirk Müller. Frankfurt/Main 1990 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Bd.1), S. 589-677.

[2] Schulz, Armin: Poetik des Hybriden. Schema, Variation und intertextuelle Kombinatorik in der Minne- und Aventiureepik: Willehalm von Orlens – Pantonopier und Meliur – Wilhelm von Österreich – Die schöne Magelone. Berlin 2000, S.153.

[3] Röcke, Werner: Minne, Weltflucht und Herrschaftslegitimation. Wandlungen des späthöfischen Romans am Beispiel der 'Guten Frau' und Veit Warbecks 'Magelone'. In: Germanistik – Forschungsstand und Perspektiven. Vorträge des Deutschen Germanistentages 1984. Hrsg. von Georg Stötzel. Berlin/New York 1985, Bd. II, S. 144-159, hier S. 147.

[4] So z.B. ebd. oder auch ders.: Erzähltes Wissen. Loci comunes und 'Romanen-Freyheit' im Magelonen-Roman des Spätmittelalters. In: Bedingungen, Typen, Sprache, Publikum wissensvermittelnder Literatur im Hoch- und Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Horst Brunner und Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des SFB 226 Würzburg/Eichstätt 13). Wiesbaden 1993, S. 205-222; und auch ders.: Die Faszination der Traurigkeit. Inszenierung und Reglementierung von Trauer und Melancholie in der Literatur des Spätmittelalters. In: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Hrsg. von C. Benthien, A. Fleig, I. Kasten. Köln 2000, S. 100-118; Volker Mertens: „Aspekte der Liebe“ Ihre Semantik in den Prosaromanen Tristrant', 'Melusine', 'Magelone' und 'Goldfaden'. In: Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur. Hrsg. von Helmut Brall, Düsseldorf 1994, S. 109-134; und auch Schulz, Armin (Anm.2)

[5] Theiß, Winfried: Die »Schöne Magelona« und ihre Leser. Erzählstrategie und Publikumswechsel im 16. Jahrhundert. In: Euphorion 23 (1979), S. 132-148.

[6] Röcke: Erzähltes Wissen (Anm. 4), S.210

[7] Röcke: Minne, Weltflucht und Herrschaftslegitimation (Anm. 3), S.155

[8] Ebd. S.155-156

[9] Raunio, Antti: Summe des christlichen Lebens: die »Goldene Regel« als Gesetz der Liebe in der Theologie Martin Luthers von 1510-1527. Mainz 2001.

[10] Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Werner Welzig. Bd 5, Darmstadt 1968.

[11] Theiß (Anm. 5), S. 142

[12] Singer, Bruno: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. München, 1981.

[13] Ebd., S.27

[14] Ebd., S.29

[15] Theiß (Anm. 5), S.132

[16] Der kleine Duden „Deutsches Wörterbuch“. Bearb. von der Dudenreaktion. 3. Aufl. Mannheim 1992, S.270.

[17] Singer (Anm. 12), S.40-42

[18] Raunio (Anm. 9), S.1

[19] Ebd., S. 366

[20] Ebd., S.61

[21] zur Entstehung und Überlieferung: Berges, Wilhelm: Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters. Leipzig 1938 (Dissertation), S.109.

[22] Röcke: Erzähltes Wissen (Anm. 4), S.214-215

[23] Erasmus von Rotterdam (Anm. 10), S.XIV-XVIII

[24] Theiß (Anm. 5), S.139

[25] Röcke: Minne, Weltflucht und Herrschaftslegitimation (Anm. 3), S.156

[26] Theiß (Anm. 5), S. 139

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Details

Titel
Norm und Normverstoß in Veit Warbecks „Magelone“
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Literatur)
Veranstaltung
Der Liebes- und Abenteuerroman des Mittelalters
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V116061
ISBN (eBook)
9783640175383
ISBN (Buch)
9783640175468
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Norm, Normverstoß, Veit, Warbecks, Liebes-, Abenteuerroman, Mittelalters
Arbeit zitieren
Nicole Henschel (Autor:in), 2006, Norm und Normverstoß in Veit Warbecks „Magelone“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116061

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