„Von der Maas bis an die Memel“? Die Memelländer und die deutsche Vereinigung von 1990

Eine Analyse des Vertriebenenorgans „Memeler Dampfboot“


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2008

24 Seiten, Note: "-"


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Fragestellung

2. Das Memelgebiet im 20. Jahrhundert – Eine Skizze

3. Das „Memeler Dampfboot“
3.1 Berichterstattung zur Deutschen Einheit und den endgültigen Ostgrenzen
3.1.1 Moderate Berichterstattung
3.1.2 Die neutralen Berichte
3.1.3 Die revisionistischen Berichte
3.2 Litauen

4. Fazit

Bibliographie

1. Einleitung und Fragestellung

Das Memelgebiet, seit Jahrhunderten deutsches Siedlungsgebiet und im heutigen Litauen gelegen, wurde im 20. Jahrhundert zweimal innerhalb von 30 Jahren vom deutschen Staatsgebiet abgetrennt. Die Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Blockbildung entstanden, beendet aus deutscher Sicht alle territorialen Streitigkeiten und Begehrlichkeiten um dieses kleine Gebiet am Mare Balticum.

Bei dem Landstrich südlich der Nemunas (Memel) mit der Hafenstadt Klaipeda (Memel) handelt es sich um ein Gebiet, vergleichbar der Größe des Großherzogtums Luxemburg (ca. 2700 qkm), das sich an der Kurischen Nehrung entlang zieht[1] und im Jahre 1910 etwa 140.000 Einwohner besaß[2]. Vermutlich wegen der geringen Größe, aber wohl auch bedingt durch die enge Verzahnung der litauischen, polnischen und mel’ deutschen Geschichte schengibt es kaum Monographien über dieses Gebiet. Das Memelland wird meist in Untersuchungen über Litauen oder Preußen integriert[3] und verfügt heute nicht mehr über eine nennenswerte deutsche Minderheit.

Die Aktivitäten der Memeldeutschen in der Bundesrepublik gehen in der Literatur über die Vertriebenenverbände fast gänzlich unter. Dieser Mangel kann vom Verfasser nicht beseitigt werden. Dieser Aufsatz will die Einstellung der Memelländer zur „Wiedervereinigung“ an Hand ihrer Zeitschrift „Memeler Dampfboot“ untersuchen. Der Untersuchung vorangestellt wird eine kurze Skizzierung der Geschichte des Memelgebietes im 20. Jahrhundert und der Monatszeitung „Memeler Dampfboot“ (später auch MD genannt).

Bei dieser Analyse sollen verschiedene Fragen beantwortet werden. Der Komplex der Begleitung des Einigungsprozesses durch die Memelländer und ihrer Reaktionen gehören zu den wichtigsten Fragen, die hier beantwortet werden sollen. Es soll analysiert werden , wie das publizistische Organ der Memeldeutschen reagierte, d.h. W w urde der Prozess der Vereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR überhaupt in größerem Umfang begleitet, oder nur am Rande behandelt? Wie waren die Reaktionen auf den Vertrag zur Deutschen Einheit mit dem damit verbundenen endgültigen Verzicht auf die nach dem Zweiten Weltkrieg verlorenen Gebiete? Sind die Reaktionen als gemäßigt oder revisionistisch zu bewerten? Welche Einstellung haben die Memeldeutschen gegenüber der jetzigen Bevölkerung des Memelgebietes?

Zu berücksichtigen ist besonders die geopolitische Situation bis 1989. Jedwede territoriale Forderung seitens der Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik konnte nicht erfüllt werden. Es besteht also die Möglichkeit, dass sich Maximalforderungen seitens der Verbände so sehr festigten, dass eine an die neuen politischen Gegebenheiten angepasste Verbandspolitik nur schwer umzusetzen war[4]. Es ist davon auszugehen, dass der Bund der Vertriebenen (BdV) deutlich radikaler und revisionistischer eingestellt ist, als die Vereinigung der Memeldeutschen. Mit Blick auf Polen zum Beispiel versuchte der BdV die Bonner Regierung davon zu überzeugen, für ein Rückkehrrecht, bei gleichzeitiger Begünstigung der Vertriebenen, zu sorgen. Insbesondere die endgültige Anerkennung der bestehenden Grenzen führte nach der Einheit zu schweren Forderungen des BdV, der auch die Ablehnung dieser Grenzen kundtat und im Gegenzug Entschädigungen für seine Mitglieder forderte[5]. Diese Arbeit soll keine juristische Auseinandersetzung mit dem Problem der Vertreibung sein, sondern nur eine Bestandsaufnahme einer kleinen Gruppe und ihrer Einstellung zu dem politisch relativ kurzen Prozess der Deutschen Einheit. Es ist auch keine Aufforderung an die Vertriebenen ihre Heimat aufzugeben, in dem Sinne, dass sie ihre persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen ablegen sollen. Die Erinnerung an die Wurzeln der Familie oder der eigenen können nicht auf juristischem oder politischem Wege abgeschafft werden, sondern bleiben Bestandteil des Individuums und in Grenzen einer kollektiven Gruppe.

2. Das Memelgebiet im 20. Jahrhundert - Eine Skizze

Die sich anbahnende Niederlage des Deutschen Reichs im Jahr 1918 weckte Begehrlichkeiten bei den Nachbarstaaten des Memellandes. Im wiederentstehenden Polen gab es zwei politische Linien zur zukünftigen Größe des Staates. Während Pilsudski das jagiellonische Reich auferstehen lassen wollte, unterstützte sein Kontrahent Dmowski, der das Vertrauen der westlichen Alliierten besaß, das piastische Reich auf territoriale Kosten des untergegangenen Deutschen Kaiserreiches im Westen. Während der Januarverhandlungen in Paris (1919) versuchte Dmowski, seinen Standpunkt durchzusetzen und u.a. das Memelgebiet an Polen anzugliedern. Er konnte sich mit dieser Forderung allerdings nicht durchsetzen[6]. Frankreich wollte dem Memelgebiet den Status einer Freien Stadt, vergleichbar der Stadt Danzig, einräumen. Stattdessen stellte die Konferenz der Sieger des Ersten Weltkriegs das begehrte Memelgebiet unter internationale Kuratel. Eine interalliierte Verwaltung, zunächst unter französischer Leitung, sollte das umstrittene Gebiet verwalten[7]. Neben Polen gab es einen weiteren Interessenten an dem Gebiet an der Kurischen Nehrung: die Republik Litauen. Litauen wollte einen seefähigen Hafen. Hierfür eignete sich die Hafenstadt Memel in idealer Weise, denn die von Lettland an Litauen abgetretene Hafenstadt Polanga war mehr Seebad als Hafen. Daneben haben bevölkerungspolitische und kompensatorische Motive (das Memelgebiet als Ersatz für das an Polen verlorene Wilnaer Land) eine Rolle gespielt. Ausschlaggebend waren sie aber nicht. Etwa die Hälfte der protestantisch geprägten Bevölkerung (ca. 67.000) des Memelgebietes sprach zwar litauisch, orientierte sich aber wie die Memeldeutschen nach Deutschland. Diese „Westorientierung“ fand seinen Ausdruck in abgehaltenen Wahlen, aus denen die „deutschen Fraktionen“ mit überwältigenden Mehrheiten hervorgingen[8].

Im Jahre 1923 übernahm Litauen in einem militärischen Akt die Kontrolle über das unter internationaler Verwaltung stehende Gebiet durch reguläre und „aufständische“ Einheiten. Die Alliierten unternahmen nichts gegen diesen kriegerischen Vorgang, sondern sanktionierten Litauens Vorgehen, indem sie in der Memelkonvention vom 8. Mai 1925 die Verwaltung unter Auflagen auf Litauen übertrugen[9].

Zeitgleich mit der Besetzung des Memellandes begann die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen[10]. Das Deutsche Reich war durch den Versailler Vertrag auf eine Truppenstärke von 100.000 Mann beschränkt[11] und war außer Stande, an potentiell zwei Fronten gleichzeitig zu agieren; militärische Aktionen im Westen wären deshalb auch fehlgeschlagen. Gleichzeitig erreichten die innenpolitischen Krisen 1923 ihren Höhepunkt, d.h. die Reichsregierung konnte sich gar nicht wohlwollend zu Litauens Verhalten äußern, wie es in der Literatur zu finden ist, ohne gleichzeitig die innere Krise durch die nationalistischen Gruppen zu verstärken. Legt man für das Memelgebiet eine ähnliche Reaktion der Bevölkerung zugrunde, dann wäre die Empörung nicht gegen Litauen gerichtet gewesen, sondern gegen die Berliner Regierung[12].

Die normative Kraft des Faktischen beließ das Memelgebiet bei Litauen. Innerhalb der Bevölkerung war die Bindung an Deutschland aber immer noch vorhanden; auch die deutschen Regierungen haben das Memelgebiet nie gänzlich aufgegeben.

Die Nationalsozialisten versuchten Einfluss auf die Stimmung der Memeldeutschen zu nehmen, indem sie dazu beitrugen, nationalsozialistisches Gedankengut und ihre Organisationen in das Memelgebiet zu tragen.

Nach der Zerschlagung des tschechischen Rumpfstaates ließ Hitler der litauischen Regierung ein Ultimatum überbringen. Hiernach sollte das Memelgebiet „freiwillig heim ins Reich“ geführt werden, oder mit Gewalt genommen werden. Die litauische Regierung war sich der militärischen Überlegenheit des Großdeutschen Reiches bewusst und verzichtete auf seine Ansprüche[13].

Mitte Januar 1945 begann die sowjetische Armee eine breite Offensive an der Ostfront und überrannte das Memelgebiet. Sehr viele Memeldeutsche flohen vor der anrückenden Roten Armee nach Westen[14]. Durch die territoriale Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Memelland erneut an Litauen, respektive wurde es in die Litauische SSR integriert[15]. Das Memelland wurde zum zweiten Mal von einer fremden Macht besetzt.

Nach 1949 bemühte sich die Bundesrepublik um die Übersiedlung der noch in der Sowjetunion lebenden deutschen Staatsangehörigen[16]. Mit Vollendung der deutschen Einheit verzichtete die Bundesrepublik auf jegliche Gebietsansprüche oder Grenzrevisionen gegenüber seinen Nachbarn[17].

Im Zuge der Auflösung der UdSSR wurde das Memelgebiet integraler Bestandteil der wiedererstandenen Republik Litauen. Die Zeiten territorialer Ansprüche auf dieses Gebiet waren aber noch nicht vorbei. Während der Verhandlungen zwischen der EU und Russland bezüglich des Kaliningrader Gebietes nach der Aufnahme Polens und Litauens in die EU forderten einige Mitglieder der russischen Duma, das Memelgebiet inklusive der Stadt Klaipeda (Memel) in die Russische Föderation zu integrieren[18]. Mögen dies auch nur Drohgebärden einer damals geschwächten ehemaligen Weltmacht gewesen sein, ein Problem könnten derartige Forderungen allemal werden.

3. Das „Memeler Dampfboot“

Die monatlich erscheinende Zeitung „Memeler Dampfboot“ besitzt eine lange Tradition als Sprachrohr der Memeldeutschen. Gegründet wurde sie im Jahre 1849 in Memel (heute Klaipeda / Litauen)[19]. Sie ist die einzige genuin ostpreußische Zeitung, die noch heute erscheint[20]. Herausgegeben wird das MD seit 1949 im niedersächsischen Oldenburg. Der Verbreitungsbereich der Zeitung erstreckt sich primär über Deutschland und wurde nach der Vereinigung beider deutschen Staaten auch in die neuen Bundesländer ausgeweitet. Um die Verbreitung der Zeitung und damit auch ihr Gedankengut zu fördern, bat das MD seine westlichen Leser, Patenschaftsabonnements zu übernehmen, damit die „Landsleute in Mitteldeutschland“ (gemeint sind Memeldeutsche in den neuen Bundesländern) das memelländische Mitteilungsorgan lesen könnten. Der Bezugspreis per anno betrug 1990 38,40 DM (ca. 19 €)[21]. Doch schon vor der Vereinigung wurde das MD hinter dem „eisernen Vorhang“ vertrieben. Im Jahre 1988 erschien die Zeitung erstmals wieder in der Stadt Memel, in der litauischen SSR[22].

Das MD hat eine monatliche Auflage von ca. 4900 Exemplaren (Stand Jan. 2003)[23].

Nur ein geringer Anteil der zur Verfügung stehenden Seiten besteht aus einer Berichterstattung über aktuelle politische Ereignisse, die in Verbindung mit den eigenen Interessen stehen. Im MD dominieren Artikel über politische, Kunst- und Sozialgeschichte bzw. Erinnerungen vertriebener Memelländer an ihre Heimat. Ferner nehmen Familienanzeigen einen großen Raum ein.

3.1 Berichterstattung zur Deutschen Einheit und den endgültigen Ostgrenzen

Zu der Berichterstattung über die Vereinigung zweier deutscher Staaten gehört zwangsläufig auch die Haltung des „Memeler Dampfbootes“ zu den ehemaligen Ostgebieten. Erst die völkerrechtlichen Vereinbarungen des Zwei-Plus-Vier Vertrages bildeten den abschließenden politischen Vorgang der deutschen Einheit, in dem die endgültigen Grenzen des vereinten Deutschlands vereinbart wurden.

[...]


[1] Gornig, Gilbert H.: Das Memelland gestern und heute. Eine historische und rechtliche Betrachtung, Bonn 1991.

[2] Rogall, Joachim (Hg.): Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land der großen Ströme – Bd. Von Polen nach Litauen, Berlin 1996, S.468.

[3] Als Beispiele seien hier angegeben: Butenschön, Marianna: Litauen, München 2002; Schmidt, Alexander: Geschichte des Baltikums. Von den alten Göttern bis zur Gegenwart, 4. Aufl., München 2000; Rogall, Joachim (Hg.): Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land der großen Ströme – Bd. Von Polen nach Litauen, Berlin 1996.

[4] Vgl. Salzborn, Samuel: Heimatrecht und Volkstumskampf. Außenpolitische Konzepte der Vertriebenenverbände und ihre praktische Umsetzung, Hannover 2001, S.10f.

[5] Ebd., S.80-92.

[6] Rogall, Joachim: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Bd.: Land der großen Ströme. Von Polen nach Litauen, Berlin 1996, S.469ff.

[7] Schmidt, Alexander: Geschichte des Baltikums. Von den alten Göttern bis zur Gegenwart, 4. Aufl. München 2000, S. 239.

[8] vgl. Schmidt, S.240 und Garleff, Michael: Die baltischen Länder, Regensburg 2001, S.149.

[9] Garleff, S.149.

[10] Lehnert, Detlef: Die Weimarer Republik, Stuttgart 1999, S.105.

[11] Kolb, Eberhard: Die Weimarer Republik, 4. durchges. u. erg. Aufl. 1998, S. 31.

[12] Ebd., S.49 f.

[13] Vgl. Garleff, S.150 f.; Butenschön, S. 29 f.; Zalys, Vytautas: Ringen um Identität: Warum Litauen zwischen 1923 und 1939 im Memelgebiet keinen Erfolg hatte, Lüneburg 1993, S.65 ff.

[14] Müller, Rolf-Dieter / Ueberschär, Gerd R.: Kriegsende 1945. Die Zerstörung des Deutschen Reiches, Frankfurt a. / Main 1995, S.60.

[15] Im Geheimen Zusatzabkommen des Hitler-Stalin Pakts wurde die Republik Litauen an die Sowjetunion „verschachert“. Erst unter Gorbatschow wurde dieses Abkommen veröffentlicht und für ungültig erklärt.

[16] Wallat, Joachim: Die völkerrechtliche Stellung des Memelgebietes, Frankfurt a./ Main 1991, S.122 ff.

[17] Weidenfeld, Werner / Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Einheit 1949-1989-1999, Bonn 1999, S. 825.

[18] Der Spiegel, 45 / 2002: Kaliningrad. In der Mausefalle, S.148.

[19] In der Zwischenkriegszeit veröffentlichte u.a. Jakob Simon (Joske Burstein) Artikel, in denen er den Lesern das jüdische Provinzleben beschreiben wollte und sich allgemein großer Beliebtheit erfreute. Vgl. Sinnig, Claudia: Litauen – ein literarischer Reisebegleiter, S.119, Leipzig 2002.

[20] MD, 6 / 1989, S.81.

[21] MD, 4 / 1990, S.50.

[22] MD, Nr.6 1989, S.1.

[23] Information durch Werbedruck Köhler (Oldenburg).

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
„Von der Maas bis an die Memel“? Die Memelländer und die deutsche Vereinigung von 1990
Untertitel
Eine Analyse des Vertriebenenorgans „Memeler Dampfboot“
Note
"-"
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V116025
ISBN (eBook)
9783640174164
ISBN (Buch)
9783640174331
Dateigröße
578 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Maas, Memel“, Memelländer, Vereinigung
Arbeit zitieren
Dr. Rolf Winkelmann (Autor:in), 2008, „Von der Maas bis an die Memel“? Die Memelländer und die deutsche Vereinigung von 1990, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116025

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