Fremd im eigenen Land? – Diskursanalytische Untersuchung von Raptexten im Hinblick auf die Identität junger Migranten in Deutschland


Bachelorarbeit, 2008

76 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1 Einleitung

2 HipHop
2.1 HipHop als Jugend- und Subkultur
2.2 HipHop-Kultur in Deutschland
2.3 Der Bezug zum Ursprung – Black Oral Culture

3 Identitätskonzepte
3.1 Ethnische und Diasporische Identität
3.2 Das Identitätskonzept des „Kanaken“ in der HipHop-Kultur

4 Der Bricoleur
4.1 Der synkretistische Kulturbegriff
4.2 Hybridität und Bricolage

5 Diskursanalytische Untersuchung von Raptexten junger Migranten
5.1 Grundbegriffe der Kritischen Diskursanalyse nach Jäger
5.2 Bildung des Datenkorpus
5.3 Vorgehensweise
5.4 Ergebnisse
5.4.1 Ergebnisse der Strukturanalyse
5.4.2 Ergebnisse der Feinanalyse

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang

Abstract

This paper explores the problem of identity in ethnic minority hiphop youth culture in Germany. Using the Foucault-oriented Critical Discourse Analysis (Kritische Diskursanalyse) by Jäger (2001), rap texts are being examined with resepct to the relevant concepts of ethnicity, diaspora and the so-called “Kanaken-Kultur”. The latter characterizes a German version of black stereotyping used in hip hop culture as a means of distinction from the German “Mehrheitsgesellschaft” (major society). The derogative term “Kanake”, now transformed into a self-referential description with a positive connotation, provides the basis for the concept of identity arriving with the abstract figure of the bricoleur. The fundamental idea of Lévi-Strauss’ (1968) concept of bricolage is derived from a syncretic notion of culture, as Kaya (2001) states - as well as for the concept of hybridity. The data, created by ethnic German hip hop artists, is being qualified by the named method to show if the abstract figure of the B ricoleur and the social practice of being “Kanake” correspond.

1 Einleitung

„(…) wir nehmen, was uns gehört, mit einem Bild, dass dich betört, stehen in einer Tradition, kommen mit unserer Version, die Idee, die in die Zukunft weist, längst schon Zeit (…)“[1]

Im Februar 2008[2] erregt das Unglück eines Brandes in einem Ludwigshafener Wohnhaus, bei dem neun Menschen alevitischen Glaubens ums Leben kommen, die Gemüter. Die Tragödie wird rasch zum Medienereignis. Politiker müssen Stellung beziehen. „Es darf um Himmelswillen kein Brandanschlag gewesen sein“, mahnt der Vorsitzende des Rates der Türkischstämmigen in Deutschland.[3]

Das Thema ‚Brandanschlag’ aktualisiert vergessen geglaubte Diskurse. Es wird zum Prüfstein für die Öffentlichkeit und wirft Fragen auf, die auch das Problem der Identität von Migranten in Deutschland ansprechen. In der Diskussion über Integration ist dieses Thema noch immer ein diskursiver Brennpunkt.

Diese Arbeit widmet sich daher der Frage nach dem Selbstbild junger Migranten in Deutschland und durchleuchtet dazu eine Reihe von Texten, die aus dem HipHop- Genre des Message-Rap stammen. Mittels der Kritischen Diskursanalyse nach Jäger (2001) soll der Struktur des Diskurses zur Identität auf den Grund gegangen werden. Auf dieser Basis wird versucht ein Identitätskonzept zu entschlüsseln, das sich aus den Aussagen der Raptexte ergibt. Dieses Konzept äußert sich als Gegendiskurs des „Kanaken“ gegenüber dem Diskurs über ‚Ausländer’. Hier findet sich die abstrakte Bildfigur des Bricoleur, die die Identität junger Migranten in Deutschland abbildet. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, werde ich folgendermaßen vorgehen.

Im ersten Abschnitt werden die Grundlagen für ein Verständnis der HipHop-Kultur als Jugend - und Subkultur gelegt. Weiterhin wird unter dem Aspekt der Minderheitenjugend und unter Einbeziehung der afroamerikanischen Ursprünge des HipHop die Entwicklung der HipHop-Kultur in Deutschland erläutert.

Im zweiten Teil lege ich mit Bezug auf Kaya (2001) zwei Identität skonzepte dar, die m.E.[4] eine wichtige Rolle in der Betrachtung der Identität von Migranten spielen. Es wird gezeigt, wie das Identitätskonzept der Ethnizität im Laufe seiner Entwicklung modifiziert wird. Mit dem Konzept der Diaspora erläutere ich zwei politische Strategien (migrant/minority strategy), die sich aus dem Prozess der Migration entwickeln können und verweise im darauf folgenden Teil auf eine weitere Strategie, die in der HipHop-Kultur wirksam wird. Das Identitätskonzept des „ Kanaken “ wird, als politische Strategie, in den Raptexten deutlich.

Auf Grundlage des synkretistischen Kulturbegriffs werde ich im dritten Abschnitt die für meine Interpretation relevanten Konzeptionen der Hybridität (Bhabha) und der Bricolage (Lévi-Strauss) behandeln und aus ihnen die abstrakte Bildfigur des Bricoleur ableiten.

Diese theoretische Vorarbeit ist die Grundlage für ein akkurates Verständnis des in den Raptexten sichtbaren Identitätsdiskurses. Der Analyseleitfaden der Kritischen Diskursanalyse nach Jäger (2001) dient der Orientierung, um das Datenmaterial der Raptexte auf diesen Diskurs hin zu untersuchen. In einem abschließenden Fazit werden die Ergebnisse der Diskursanalyse gegenübergestellt und mit einem Interpretationsansatz verknüpft.

2 HipHop

Die HipHop-Kultur wird in der Forschung aus den verschiedensten Blickwinkeln näher betrachtet. Toop (1991), Rose (1994) und Gates (1988) liefern musikgeschichtliche, sozial- und sprachwissenschaftliche Standardwerke über den afroamerikanischen HipHop.[5] In Deutschland befasst sich z.B. Androutsopoulos (2003) mit dem soziolinguistischen Aspekt des Rap. Menrath (2001) und Kaya (2001) beleuchten HipHop besonders unter dem Aspekt der Identität und ihrer Repräsentativität. Dabei nehmen sie die HipHop-Kultur vor allem auch als Minderheitenphänomen wahr.

Natürlich wird HipHop in Deutschland auch von Weißen rezipiert, aber insbesondere die zweite Generation von Migranten identifiziert sich mit dieser Kultur. Zu Pop- Kulturen wie Punk und New Wave, die ebenfalls Anfang der 80er entstehen, besteht für Migranten kein greifbarer Zugang. HipHop ist die einzige Jugendkultur, die sie für sich ernst nehmen können. In den folgenden Abschnitten wird die Entwicklung des HipHop in Deutschland als Jugend- und Subkultur und ihr Bezug zum afroamerikanischen Ursprung dargelegt.

2.1 HipHop als Jugend- und Subkultur

HipHop ist eine internationale Jugendkultur, die im Zuge ihrer Globalisierung besonders Jugendliche ethnischer Minderheiten anzieht und bewegt (vgl. Klein/Friedrich, 2003). In Deutschland begeistern sich vor allem die Migranten der zweiten Generation, also die Kinder der so genannten Gastarbeiter, die in den 1950er Jahren aus Italien, Portugal, dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei und anderen Ländern nach Deutschland kommen, für die afroamerikanische Jugendkultur.

Als Teil der Arbeiterklasse und mit ethnischer, d.h., nicht-deutscher Zugehörigkeit stellen sie in Deutschland eine Minderheit dar, die mit sozialen und ökonomischen Problemen und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu kämpfen hat.

Kaya beschreibt ethnic minority youth culture als eine von outsiderism geprägte Kultur (2001: 48). Dieses spezielle Merkmal des ‚Outsidertums’ findet sich auch im Ursprung des HipHop in der afroamerikanischen Jugendkultur wieder.

Seit den Anfängen in der Bronx und Harlem wird HipHop von Jugendlichen gemacht, die mit den neuen Realitäten ökonomischer und politischer Veränderungen („de- industrialisation, (…), consumerism, economic restructuring and resurgence of racism and xenophobia“[6]; ebd.) konfrontiert sind.

Auch die jungen Migranten in Deutschland müssen mit einer sozialen Situation umgehen, die sie in das gesellschaftliche Abseits drängt:

„Unwanted as workers, underfunded as students, undermined as citizens, and wanted only by the police and the courts, minority youth recently seem to be subject to a state of structural outsiderism. Structural outsiderism can create minority youth cultures that offer the youngsters an identity and sense of belonging in a harsh world.” (Ebd.)

Als gemeinsame Erfahrung wird dieser Zustand mit Hilfe von zum Beispiel Rap und Graffiti kreativ verarbeitet. Kaya spricht der jugendlichen Expressivität hohe soziale Kompetenz und ein politisches Bewusstsein zu. Die Jugendlichen seien „socially conscious and critical of the increasing discrimination, segregation, exclusion and racism in society” (ebd.: 49).

HipHop bietet den Jugendlichen eine Öffentlichkeit, um ihre Reflektionen über die Gesellschaft, in der sie leben, zu artikulieren. Der Rapper Torch von Advanced Chemistry, beschreibt die Bedeutung des HipHop für viele türkischstämmige Jugendliche in seinen Worten:

„Es (HipHop) hat viel repräsentiert, was ich hätte runterschlucken müssen, was ich sonst niemandem hätte sagen können, was sonst gar nicht gefragt war, wie es bei den türkischen Kids auch war. Bei den türkischen Kids hat sich keiner für ihre Probleme oder für ihre Welt interessiert. Die waren halt da, aber sie waren nicht gefragt, Punkt.“ (Menrath, 2001: 114)

Karrer (1995) spricht hier von einer „doppelten Artikulation“ der Jugendlichen, die sich einerseits von ihrer eigenen Klasse, also ihrem Elternhaus, andererseits von anderen Jugendkulturen abgrenzen wollten. Damit formulieren sie, seiner Meinung nach, ihren Widerstand gegen die Hegemonie – ein zentrales Element innerhalb des subkulturellen Ansatzes:

„(…), dass die expressive Innovation der Jugendlichen, die sich weitgehend als Stil, als Montage verschiedener kultureller Zeichen darstellte, nicht nur die ambivalente Klassenzugehörigkeit der einzelnen Jugendkulturen ausdrückte, sondern auch ihre Differenz, ihren Konflikt mit anderen Jugendkulturen. Widerstand gegen Hegemonie und Differenz gehören zusammen. Jugendliche artikulieren diese Widersprüche der doppelten Artikulation in Ritualen, die die Zugehörigkeit zur Bezugsgruppe stärken, und die Strategien für Aushandeln, Widerstand und Kampf festlegen.“ (Ebd.)[7]

Klein und Friedrich (2003) werfen in diesem Zusammenhang eine interessante Frage auf, die sich mit dem Verhältnis von „sozialer Erfahrung und ästhetischer Produktion“ bzw. Produktivität beschäftigt: Wie komme es, dass es ausgerechnet jugendliche Minderheiten und nicht andere soziale Gruppen, wie Obdachlose oder Alkoholiker, fertig brächten, eine ästhetische Praxis zu entwickeln, in der sie ihre sozialen Erfahrungen von gesellschaftlicher Benachteiligung ausdrücken könnten? Dieser Ausdruck ermögliche ihnen sogar ein (symbolisches und reales) Überschreiten ihres „sozialen lokalen Kontextes“ (ebd.: 102).

Ist die Antwort im Elan, der Dynamik, der Neugier und dem kreativen Potential der Jugend zu suchen, die ja immer schon Nährboden für neue Lebens- und Kunstformen war? Von der Swingjugend in Deutschland, den Beatniks über die Hippies zum Punk in den USA und England waren es immer populäre Jugendkulturen, die Veränderungen in Kunst und Gesellschaft anstießen.

Ein weiterer Punkt, den Klein und Friedrich ansprechen, ist die Konsumorientiertheit der HipHop-Kultur. Wie geht diese zusammen mit der kreativen Praxis? Klein und Friedrich stellen fest: „Die HipHop-Kultur veranschaulicht, dass Medienkonsum und eine eigenständige jugendkulturelle Praxis nicht zwangsläufig in Widerspruch stehen müssen“ (ebd.: 10). Das Konsumieren beinhaltet auch die gegenseitige Anerkennung der Kreativität des Anderen und fördert, besonders in der HipHop-Kultur, gleichzeitig den Aktionismus der Beteiligten.

Der „kreative Widerstand“[8] der innerhalb der Jugendkultur HipHop generiert wird, beschreibt HipHop gleichzeitig als Subkultur. Der in den Cultural Studies diskutierte Begriff der Subkultur bezeichnet, laut Kaya (2001), „some groups of people, who had something in common with each other and had a different way of life from members of other social groups” (ebd.: 44). Dieser “different way of life” gestaltet sich oft als Protestverhalten gegenüber konventionellen, gesellschaftlichen Regeln.

Albert K. Cohen (1955) benennt in seiner Untersuchung delinquenter Jugendbanden in New York den wesentlichen Aspekt des Widerstandes, den eine Subkultur von der dominanten Kultur unterscheidet. Bei Jugendlichen aus der Unterschicht stellt er fest, dass diese „gegenüber den Werten und Zielen der Mittelschichten ambivalente Gefühle entwickeln: d.h., sie halten sie zwar für grundsätzlich erstrebenswert, sehen aber zugleich die Schwierigkeiten, diese aus ihrer sozial benachteiligten Situation heraus erreichen zu können.“ (Schwind, 2004: 137)

Die Kluft zwischen Mittel- und Unterschicht ruft bei den Jugendlichen verschiedene Reaktionen hervor, z.B. kriminelles Verhalten, das aus einer Ablehnungshaltung gegenüber der Mittelschicht entsteht. Der Kriminalität wird dabei, innerhalb des subkulturellen Werte- und Normensystems, ein Wert beigemessen, der Ruhm und Überlegenheit repräsentiert (vgl. ebd.). Diese positive Bewertung richtet sich gegen die (kulturell) dominierende, also hegemoniale Kultur.

Stuart Hall (1976)[9] versteht unter kultureller Hegemonie die „’soziale Autorität’“ einer „Allianz gewisser gesellschaftlicher Gruppen (…) über andere, untergeordnete Gruppen“ (bei Hebdige, 1983).

„Dies geschieht jedoch nicht nur durch Zwang oder direktes Aufpressen herrschender Ideen, sondern indem ‚Übereinstimmung errungen und ein Konsens geformt wird, durch den die Macht der herrschenden Klassen sowohl legitim als auch natürlich erscheint’.“ (Ebd.)

Die HipHop-Kultur, als Subkultur verstanden, richtet sich gegen einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, z.B. eine deutsche Leitkultur, in der Migranten diskriminiert werden. In den vorliegenden Raptexten werden immer wieder Rassismen des Alltags in Deutschland kritisiert. Die Haltung, aus der die meisten Rapper sprechen, signalisiert direkten Protest und den Willen, diesen zu artikulieren.

Coolness, eine im HipHop bedeutsame Zuweisungspraxis[10], ist eine indirekte Form der subversiven Haltung. Klein und Friedrich verweisen auf Ulf Porschardts (2001) These, die besagt, dass Coolness eine Art Gegenstrategie gegen „die Abkühlung und Reduzierung menschlicher Kontakte sei. (…) In einem Klima sozialer Kälte ziehe man sich nicht warm an, sondern halte mit der Inszenierung von Kälte dagegen.“ (Klein/Friedrich, 2003: 44).

Mit Hebdige (1983) kann man dieses Verhalten als indirekt „dargestellte Herausforderung an die Hegemonie“ verstehen, die ihren Ausdruck in einem bestimmten Stil findet. HipHop ist eine Synthese aus verschiedensten Stilen von Sprache, Bildern, Musik und Tanz (vgl. Klein/Friedrich, 2003: 30). Rap, Graffiti, DJ- ing und Breakdance erobern sich einen Raum, in dem der kreative Widerstand des Einzelnen zum Ausdruck kommen kann.

2.2 HipHop-Kultur in Deutschland

Durch die globale Verbreitung von Filmen wie Beat Street (1984) und Wildstyle (1983) Anfang der 1980er wird HipHop auch in Deutschland bekannt. Die Identifikation der Migrantenkinder mit den B-Boys[11] aus den schwarzen Ghettos Amerikas passiert sehr schnell, denn:

„in Beat Street und Wildstyle begegneten ihnen Charaktere, die ein Leben führten, das dem ihren nicht unähnlich war: keine großen, weißen Wohnungen, wo Mama und Papa ihren Kindern abends aus Märchenbüchern vorlasen, keine sauberen Vorortwohngegenden, sondern allein erziehende Mütter, enge Zimmer und viel Straße.“ (Verlan/Loh, 2006: 163)

Neben Graffiti ist Breakdance die bedeutendste Ausdrucksform der aufkeimenden HipHop-Kultur. Junge Migranten treten auf einmal mit dieser körperlichen Kunstform in die Öffentlichkeit – sogar in etablierten Unterhaltungssendungen des öffentlich- rechtlichen Fernsehens („Wetten, dass…?“) (vgl. Loh/Güngör, 2002: 92). HipHop wurde für sie zu einer „Möglichkeit, aus dem kulturellen Abseits zu gelangen und eigene Ausdrucksformen, ein eigenes Lebensgefühl zu bekommen, das in keinem Zusammenhang mit der ignoranten und oft rassistischen Mehrheit der deutschen Bevölkerung stand“, erklären die HipHop-Experten Loh und Güngör (ebd.: 94).

Im Groben ist die Entwicklung des HipHop in Deutschland von drei Strömungen dominiert. Die „Alte Schule“ leistete seit Mitte der 1980er Jahre gewissermaßen Pionierarbeit für kommende Generationen und bestand zu über fünfzig Prozent aus Jugendlichen mit Migrationshintergrund (vgl. Verlan/Loh, 2006: 164). Der „Deutsche Sprechgesang“ (vgl. Loh/Güngör, 2002) oder der Deutsch-Rap entwickelte sich seit Beginn der 1990er Jahre, kommerzialisierte den HipHop in Deutschland und wurde vor allem von deutschstämmigen Jugendlichen, vornehmlich aus dem bildungsbürgerlichen Milieu, produziert. Mit dem Ende der 1990er Jahre entfaltete sich außerdem die Strömung der ‚Berliner Battlehärte’ (Gangster-Rap), deren Macher, zum großen Teil nicht-deutscher Herkunft, mit ihren Texten für Furore sorgten.

Die Pop-Industrie entdeckt den HipHop in Deutschland also erst Anfang der 1990er Jahre in Form der Fantastischen Vier. Die neuen, harten Töne der Berliner Battle- Rapper Bushido, B-Tight oder G-Hot sprengen circa zehn Jahre später zum ersten Mal die Kassen und erzielen die höchsten Verkaufszahlen. Doch zu Beginn ist HipHop in Deutschland vollkommen unkommerziell, abgesehen von einer kurzen Breakdance- Welle Anfang der 1980er Jahre, die sich rasch aus dem Mainstream wieder zurückzieht. Zur Zeit der „Alten Schule“ entstandene Bands wie Advanced Chemistry, Islamic Force oder Microphone Mafia pflegen zwar eine treue Fangemeinde, sind aber in den Charts nicht vertreten.

Die Pionierarbeit der Alten Schule besteht zum einen darin, auf deutschlandweite Jams zu fahren, Kontakte zu knüpfen – ein Netzwerk aufzubauen – und Battles (Wettkämpfe) auszutragen. Zum anderen sind Graffiti, Breakdance, DJ-ing und Rap[12] Tätigkeiten, die man so vorher nicht praktiziert hatte:

„(…) keiner erklärte den Kids, wie das nun genau funktionierte mit dem Scratchen, Backspinnen, Crossfading oder welches Mischpult man wie anschließen muss (…). Keiner erläuterte die B-Moves oder die Technik beim Sprühen eines Bildes.“ (Verlan/Loh, 2006: 164)

Doch durch ehrgeizige Nachahmung bildeten sich binnen kurzem eigene Stile heraus und in allen Bereichen wuchs das Selbstbewusstsein stetig. Rap ist auch in Deutschland die einflussreichste Sparte des HipHop. In welcher Sprache man rappt, ist bald eine politische Entscheidung.

Englisch ist zunächst die Rap-Sprache Nummer eins, da der meiste HipHop schließlich aus den USA kommt und man das, was man hört auch imitiert. Doch entwickelt sich bei vielen Rappern der zweiten Generation von Migranten eine neue Einstellung zu ihrer Rap-Sprache. Der Rapper Murat G (alias Murat Güngör), dem die englische Grammatik zu schaffen machte, berichtet:

„Ich werde die Sprache benutzen, der ich mächtig bin. Und da kamen für mich nur Deutsch und Türkisch infrage. (…) Deutsch erschien mir zu unmelodiös und nicht rhythmisch genug. Ein weiterer Punkt war, dass ich mich mit der deutschen Sprache als Rapsprache nicht identifizieren konnte. Das Türkische entsprach viel eher dem, was ich mir vorstellte. Die Verwendung der türkischen Sprache war gleichzeitig auch eine Form der Rebellion gegenüber der vorherrschenden Verwendung des Englischen im Musikkontext. Außerdem wollte ich meine eigene Community ansprechen.“ (Loh/Güngör, 2002: 171 f)

Das Entscheidende für die Rapper ist es schließlich, ihre ‚Message rüber zu bringen’. Dabei kann die Wahl z.B. der türkischen Sprache selbst zur ‚Message’ werden. Man setzt auf diese Weise ein Zeichen und spricht die eigene Gemeinschaft an. Güngör kommentiert, dass diese Sprachenvielfalt in Deutschland die Emanzipation einer Szene ermöglicht, „die ihre ersten selbstbewussten Schritte (in die Öffentlichkeit; A.d.V.) unternahm“ (ebd.: 172).

Als exemplarisches Beispiel sei hier die Band Islamic Force genannt, die betont ihren Namen nicht in einen islamistischen Kontext stellt, dennoch aber provokant wirken will. Loh und Güngör betiteln sie auch als die ‚Seele Kreuzbergs’ (ebd.: 173). Ein Mitglied, das später zur Band stieß und als Kreuzberger Gangster Killa Hakan bereits auf sich aufmerksam gemacht hatte, berichtet in der taz über seine Einstellung zur Türkischen Sprache im Rap:

Taz: Ihre Lieder sind für deutsche HipHopper nicht zu verstehen. Sie singen auf Türkisch. Warum?

Killa Hakan: Hätte ich auf Englisch geschrieben, dann wäre ich irgendwann sicherlich auf einen Engländer gestoßen, der gesagt hätte: Ey, Wichser, warum kannst du nicht in deiner eigenen Sprache texten?

Taz: Für einen Deutsch-Türken hätte es ja auch Deutsch sein können.

Killa Hakan: Gefühlsmäßig kann ich mich nicht so gut auf Deutsch ausdrücken. Auf Türkisch geht in meinem Kopf alles schneller. Da kann ich viele Sätze in wenigen Sekunden erzählen. Zu Hause habe ich nämlich immer Türkisch gesprochen.[13]

Hervorgegangen aus den 36er Boys, einer Kreuzberger Jugendgang, wird die Gruppe Islamic Force in den 1990er Jahren immer wieder von den Medien als „Aushängeschild der Kreuzberger Migrantenszene“ (Loh/Güngör, 2002: 174) dargestellt.

Ein weiteres Beispiel des Migranten-Rap ist die Kölner Gruppe Microphone Mafia, die auf Türkisch, Italienisch und Deutsch rappt. Ihre Musik wird von den Medien sofort in den Rap-gegen-Rechts-Diskurs[14] eingeordnet (vgl. Loh/Güngör, 2002: 178). Ihre Hinwendung zu türkischsprachigem Rap beschreiben sie wie folgt:

„(…), und auf einmal kam der Rossi mit einem italienischen Text, den er rappen wollte. Da dachte ich auch: Dann kann ich das bestimmt auch auf Türkisch. So kam das nach und nach ins Rollen. Das war eher eine Tugend, die aus der Not heraus entstanden ist (…).“ (Ebd.)

Ein drittes einschlägiges Beispiel ist die Gruppe Cartel, die sich Mitte der 90er aus drei Formationen (Da Crime Posse, Erci E. und Karakan) zusammenschließt. Die Band feiert in der Türkei große Erfolge und exportiert den HipHop nach Istanbul[15], den es vorher dort so nicht gab:

„Ein Grund für die Hinwendung zur Türkei war, dass in Deutschland selbst der große Erfolg für die meisten türkischstämmigen Rapper ausblieb. Zwar wurde die türkischsprachige Rap- Szene in Deutschland von den Medien wohl bemerkt und ausgiebig beleuchtet. Aber auf die Karriere der meisten türkischstämmigen Rapper hatte diese öffentliche Aufmerksamkeit erstaunlicherweise keinerlei Auswirkung.“[16]

Cartel selbst verstehen sich als „Wanderer zwischen den Kulturen“ (Loh/Güngör, 2002: 182) und lassen z.B. Elemente der traditionellen Arabesk-Musik mit in ihre Tracks einfließen.

Trotz des Interesses der Medien an den ‚multikulturellen’ HipHop-Formationen, erreichen diese nie den Charterfolg, den ab 1992 die deutsche Gruppe Die Fantastischen Vier feiert. Rap auf Türkisch ist den deutschen Hörern fremd.

„Einerseits hatten die großen Musikkonzerne zu dieser Zeit gerade erst damit begonnen, den deutschen HipHop für sich zu entdecken und kommerziell zu pushen: Die Fantastischen Vier waren damals der erste wirklich erfolgreiche HipHop-Act in deutscher Sprache. Zum anderen dürfte die Sprachbarriere nicht nur viele Plattenfirmen, sondern auch viele Hörer vom deutsch- türkischen HipHop abgeschreckt haben. Auch einem Straßenrapper wie Killa Hakan, der seine Rap-Alben in türkischer Sprache konsequent in Deutschland heraus brachte und sogar bei einem traditionsreichen Independent-Label unterkam, gelang damit nie mehr als ein Achtungserfolg.“[17]

Loh und Güngör stellen in diesem Diskurs die „junge HipHop-Szene“ in Deutschland als Opfer des „eingedeutschten Mainstreamphänomen(s) ‚Sprechgesang’“ dar und betrauern den kommerziellen Erfolg deutschsprachiger Rap-Gruppen, da dieser „ein neues Bild von HipHop in der Öffentlichkeit“ etabliere, welches wenig zu tun hätte mit der Identifikation, zu der die Alte Schule und damit viele Migranten im HipHop gefunden hätten (vgl. Loh/Güngör, 2002: 108). HipHop würde durch die Medien zu einem Pop-Produkt. Die Szene spaltet sich in HipHopper und ‚Hit-Popper’, wie die Gruppe Advanced Chemistry die Fantastischen Vier verächtlich nennt (vgl. ebd.: 109). Mit dem Aufkommen des Deutschen Sprechgesangs wird der türkischsprachige Rap in die Schublade des Oriental-HipHop oder Türk-Rap geschoben.

Loh und Güngör machen zusätzlich den aufkommenden Nationalismus der 1990er Jahre dafür verantwortlich, dass Migranten-Rap zu einem ‚Phänomen’ wird. Türkischsprachige Rap-Gruppen werden demnach nicht mehr als selbstverständlicher Teil der deutschen HipHop-Szene wahrgenommen, sondern lediglich als ‚türkische Rapper’ (vgl. ebd.: 110).

Ähnlich wie die so genannte Gastarbeiterliteratur[18] (Kaya, 2001: 70) die ihre Position im deutschen Literaturkanon am Rand der Gesellschaft beziehen muss, wird der HipHop der Migrantenkinder zu einem als nicht-deutsch gebrandmarkten Randphänomen.

Folgt man der Argumentation der Autoren Loh, Güngör und Verlan, so entsteht der Eindruck, dass HipHop in Deutschland, seit seiner Kommerzialisierung durch den „Deutschen Sprechgesang“, die bereits vorhandenen Probleme von Ausgrenzung und Marginalisierung erst sichtbar gemacht hat. Solche, die HipHop für sich als Identifikationsgrundlage entdeckt hatten, weil er ihnen eine Möglichkeit gab in die Öffentlichkeit zu treten, fühlten sich mit dem Mainstream-Erfolg des Deutschen Sprechgesangs verraten. Die Nische, die sie sich geschaffen hatten und die in gewisser Hinsicht eine integrative Funktion für sie besaß, war als Identitätsgrundlage nicht mehr tauglich.

Die neueste Entwicklung im Genre des Gangster-Raps zeugt allerdings von einem neuen Selbstbewusstsein in der Szene, die sich vor allem eines homophoben, frauenfeindlichen, sexistischen, gewaltverherrlichenden und teilweise rassistischen, deutschsprachigen Wortschatzes bedient. Der verbale Tabubruch schockiert die Autoritäten. Die Straße, das Ghetto und der Knast werden zu mythischen Orten der Selbsterfahrung und der spirituellen Einsicht. Pathetisch wird der Rapper zum Krieger der Straße stilisiert und übernimmt den Habitus amerikanischer Gangster-Rapper. Das Label Aggro Berlin und Rapper wie Bushido sind die bekanntesten Vertreter.

Loh bezeichnet diese Richtung des Rap als „geschichtslosen Straßenrap“[19], da Künstler wie Bushido den Bezug zur „Alten Schule“ des HipHop in Deutschland ablehnten und nicht bereit seien zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Themen wie Migration, Rassismus und Xenophobie. Das Respektieren der „Alten Schule“, so wie es in den USA gang und gäbe sei, sei in Deutschland scheinbar grundlos abgebrochen.

„Dort (in den USA; A. d. V.) bekunden die Frischlinge regelmäßig ihren Respekt vor den alten Größen - es wird ein bewusst positiver Bezug gesucht zu Koryphäen wie Kool DJ Herc, Eric B and Rakim (…). Selbst weiße Superstars wie Eminem beugen ihr Haupt demütig vor diesen Protagonisten und reihen sich bewusst in den Stammbaum der Rap-Geschichte ein.“[20]

Nach seiner Auffassung hat sich in Deutschland keine „identitätsstiftende Kraft“, vergleichbar mit der der Black Diaspora im amerikanischen HipHop, entwickeln können. Die Aggro-Rapper seien dieser „Geschichtslosigkeit“ ausgeliefert und könnten nichts anderes, als den Markt und die Erwartungen der Konsumenten bedienen. Dabei kämen Stereotype des „bedrohlichen „Kanaken“ oder des „Bürgerschrecks“ zutage und fütterten vorhandenes Klischeedenken.[21]

Loh bezieht sich mit seiner Diskursposition auf die Ursprungskultur des HipHop, die in der afroamerikanischen Kulturtradition steht und im folgenden Kapitel thematisiert wird.

Ein Paradebeispiel für das Bedienen solcher Stereotype ist B-Tights Song „Der Neger (in mir)“ (2002):

„Es ist der Neger, den du Nie im Dunkeln siehst, es ist er, wenn es irgendwo nach Gras riecht. Es ist nicht schwer raus zu finden wer an allem schuld ist, frag den Neger! (…)

Egal wo er sitzt oder steht, er dreht bevor er sich bewegt und irgendwo hingeht.

Manche nenn' ihn Junkie, manche auch Henger, manche nenn' ihn Bruder und manche auch Gangsta. Egal wie du ihn nennst, es interessiert ihn nicht! Der Neger ist ein Ego und kümmert sich nur um sich!“

2.3 Der Bezug zum Ursprung – Black Oral Culture

„(...)’cause I'm black and I'm proud.”[22]

Dieser Slogan der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wurde auch in der HipHop- Kultur zum Leitsatz. Die Bewegung, die in der Bronx der späten 1970er Jahre aufkam, thematisierte den „täglichen Überlebenskampf auf der Straße“ (Toop, 1991: 18). Die von der De-Industrialisierung geprägte Bronx, war wie viele Ballungszentren, betroffen von wirtschaftlichem Niedergang und einer Law-and-Order- Polizeipolitik[23] (Klein/Friedrich, 2003: 56):

„(…), Kürzungen der Budgets im Bildungs- und Ausbildungssektor beschleunigen die Jugendarbeitslosigkeit. (…) Betroffen von der Krise der postindustriellen Gesellschaft sind in erster Linie die ethnischen Minderheiten, in den USA vor allem ‚Blacks’ und ‚Hispanics’ – und hier besonders die Jugendlichen.“ (Ebd.)

Zwischen Bandenwesen und der neuen Droge Crack, der mehr und mehr Heranwachsende verfallen, verortet man die Entstehung einer neuen Ausdrucksform, die sich, wie Techno in Detroit oder House in Chicago, als subkulturelle Szene in einem ethnischen Mikrokosmos in New York herausbildet. Die Straßenkultur entsteht förmlich an der Ecke, in alten Lagerhallen, auf Sportplätzen, in Parks oder auf Müllhalden (vgl. ebd.).

Die wegen extremer städtischer Verwahrlosung von Weißen gemiedenen schwarzen Ghettos[24] bieten den urban space[25] und damit den schützenden Raum für die Entwicklung der verschiedenen Kunstformen des HipHop. Graffiti ist als Einzige auch von außen visuell wahrnehmbar. „Der Rest dieser Kultur war eine Privatangelegenheit, absolut underground“ (Toop, 1991: 20).

Als wichtigstes Prinzip des HipHop gilt der Wettbewerb, der die afroamerikanische Erzähltradition und ihre verschiedenen Ausdrucksformen prägt. Er entspringt aus der Tradition der afrikanischen Oral Culture, die gewissermaßen mit den Sklaven nach Amerika verschifft wird.

Die Übernahme afrikanischer Sprachmuster erforscht, als einer der ersten, Henry Louis Gates, jr. (vgl. Werner, 2007: 100). Er bezeichnet diese Sprachspiele als die afroamerikanische Redeweise schlechthin: „Es ist der Ausdruck und das Ergebnis einer politischen und semantischen Konfrontation zwischen zwei ‚Paralleluniversen’, zwischen weißem und schwarzem amerikanischem Englisch“ (ebd.).

Werner benutzt für die Tradition, in der Rap steht, den Begriff der orature, der „(i)n Anlehnung an das Wort literature (…) Textformen (bezeichnet), welche einem oral discourse, einem primär mündlichen Diskurs entspringen: Texte also, deren Rezeption in der Regel eher auditiv denn visuell (…) und eher kollektiv als einzeln stattfindet.“ (Werner, 2007: 13)

Die Tradition der Mündlichkeit hat in der afroamerikanischen Kultur eine starke soziale und politische Bedeutung. Ein Beispiel sind die work songs[26], die die Sklaven – ähnlich den italienischen ‚Gastarbeitern’ in deutschen Fabriken[27] – bei der Arbeit auf den Baumwollplantagen, singen, um sich zu motivieren. Sprachliche Eigenheiten entwickeln sich auch in Deutschland, z.B. in Form der Kanaksprak[28] und dienen, ähnlich wie das afroamerikanische Englisch, zur Abgrenzung von der weißen Mittelschicht.

Rap lässt sich grundsätzlich auf afrikanische Wurzeln zurückführen (Toop, 1991). Die Stämme in westafrikanischen Ländern wie dem Senegal, Mali und Gambia haben sich bis heute die Tradition der Griots (auch senegalesisch Djali), der Sänger und Geschichtenerzähler, bewahrt (Zier, 2005). Die Dichterkaste der Griots ist verantwortlich für die mündliche Weitergabe des mythologischen Wissens der Stämme und festigt mit seinen langen Spottgedichten die soziale Ordnung der Stammesgesellschaft. Ihre Aufgabe war es Neuigkeiten zu verbreiten und altes Wissen weiterzugeben, also gewissermaßen als lebendiges Datenspeichermedium zu fungieren und damit den stammesgesellschaftlichen Diskurs zu bestimmen.

In den Geschichten ist der Held ein mit Wortwitz und Intelligenz ausgestatteter Halbgott, der sich einer phallozentrischen und vulgären Sprache bedient (Gates, 1988). Diese Figur findet sich in der Fabel „The Signifying Monkey“ in Gestalt des Affen wieder, der ein gewitzter Trickster[29] (vgl. Toop, 1991; Gates, 1988) ist:

„Deep down in the jungle so they say There’s a signifying monkey down the way There hadn’t been no disturbin’ for quite a bit, For up jumped the monkey in the tree one day and laughed ‘I guess I’ll start some shit.’” (Gates, 1988: 55)

Wie der Figur des Affen ergeht es auch den afroamerikanischen Sklaven, Gefangenen oder Arbeitslosen, die versuchen ihre ungewollte Langeweile totzuschlagen, in dem sie der so genannten „Art of Shit Talkin’“ (Ice-T 1995: 94) nachgehen (vgl. Toop, 1991). Doch diese Toasts[30] überbrücken nicht nur die Langeweile. Sie drücken in der Personifikation des Affen ein Bedürfnis aus, sich gegen vermeintlich Stärkere behaupten zu wollen.

Ähnlich wie die Griots verwenden auch Rapper diese langen, gereimten Geschichten ,„die in der Regel Männer erzählen, voller Gewalt, Fäkalhumor, Obszönität und Misogynie“[31] (Toop, 1991: 43). Die Technik des Signifying verwendet man auch im HipHop, um sich gegen andere Rapper im Wettbewerb bzw. der/m Battle[32] zu behaupten.

Oft sind die Sprachspiele, die später im HipHop aufgenommen werden, geprägt vom satirische Humor, der sich, zwischen den Minstrel-Shows[33] (Toop, 1991: 45) und der Entwicklung von Jazz und schwarzer Folklore (vgl. ebd.), unter den von Rassismus und Diskriminierung betroffenen Afroamerikanern herausbildete.

„Aber wenn die HipHop-Botschafter und die Protest-Rapper Griots zu ihren Ahnen zählen, dann sind die Angeber und Großtuer der Bronx Kinder der schwarzen amerikanischen Wortspiele, die man The Dozens oder Signifying nennt.“ (Ebd.: 48)

Playing the Dozens oder das Sounding[34] sind weitere ritualisierte Sprachspiele, die in der afroamerikanischen Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielen:

„Sprachkämpfe machen einen großen Teil der Gespräche in dieser Gruppe (Männer, A.d.V.) aus. Sprichwörter, Verdrehungen, Witze, fast alle Arten von Diskurs werden benutzt, aber nicht im Sinne einer diskursiven Kommunikation, sondern als Waffen in Sprachkämpfen. Jede Versammlung von Männern entwickelt sich so zum ‚Sounding’, einem gegenseitigen Necken und Angeben.“ (Toop, 1991: 48)

Die persönlichen Beleidigungen des Gegners (auch dissing, von disrespect) richten sich oft gegen dessen Familie, vor allem gegen die Mutter. Sie werden meist in Form von Couplets[35] gesprochen und sind reich an Sarkasmus:

„I don’t play the dozens, the dozens ain’t my game.

But the way I fucked your mama is a god damn shame.” (Toop, 1991: 50)

Als wortgewaltiger Schlagabtausch gelten The Dozens als direkte Vorläufer der Freestyle-Battles, also der frei improvisierten Wort- bzw. Reimgefechte im HipHop (vgl. ebd.). Diese Sprachspiele entstanden aus der Situation der afroamerikanischen Gesellschaft, die während der Sklaverei und zu Zeiten der Rassentrennung ohne gesellschaftlichen Handlungsspielraum war. Die Sprache war lange Zeit das einzige Instrument, das sie in einem gewissen Bereich kreativ agieren ließ und ihnen eine Stimme verlieh. Auch aufgrund des oft geringen Bildungsgrades war die mündliche Tradition der sprachlichen Spiele äußerst wichtig (vgl. Zier, 2005).

Ein einschlägiges Beispiel, das sich der sprachlichen Techniken bedient, entsteht aus dem Black Art Movement[36] der 1960er in Harlem. Die Gruppe der Last Poets[37] wird von Toop (1991) auch als „the godfathers of the message rap“[38] bezeichnet. Sie gelten als die ersten Vertreter des politischen Message- Rap, die vor allem die Schwarzen selber auf das Korn nahmen: „Sie nutzten die Aggressivität des Straßenecken-Raps und richteten sich gegen das, was sie als schwarze Apathie, Selbstausbeutung und Rollen-Klischees ansahen“ (Toop, 1991: 184). Toop zitiert aus dem Rolling Stone Magazine, dass die Poets eine bessere und erweiterte Straßenlyrik machten, die junge Leute anspornte und ansteckte für ein stärkeres, schwarzes Bewusstsein zu dichten (vgl. ebd.: 185).

Neben den Last Poets war Gil Scott-Heron[39] ein zweiter Vorreiter des schwarzen Message-Rap. Sein Song „The Revolution Will Not Be Televised“ (1974) steht am Anfang der Tradition des Message-Rap. Die ersten unter dem HipHop-Label Sugarhill Records[40] produzierten Message-Raps stammen von Grandmaster Flash and The Furious Five, die mit The Message (1982) einen der ersten kommerziell erfolgreichen, gesellschaftskritischen Rap-Titel veröffentlichten. Die inhaltlichen Details über den verwahrlosten Teil von New York und die Menschen, die dort lebten, waren für die damalige Zeit schockierend:

„Broken glass everywhere people pissing on the stairs you know they just don’t care

I can’t take the smell, can’t take the noise got no money to move out, I guess I got no choice rats in the front room, roaches in the back junkies in the alley with a baseball bat I tried to get away but I couldn’t get far ‘cause the man with the tow truck repossessed my car don’t push me ‘cause I’m close to the edge I’m trying not to lose my head I’ts like a jungle sometimes it makes me wonder How I keep from going under.” (1982)

1988 veröffentlicht die Band Public Enemy ihr erfolgreiches Album It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back. Die bei dem Label Def Jam[41] erschienene Platte war noch politischer als The Message von Grandmaster Flash. Public Enemy beschränkten sich nicht nur auf die bloße Beschreibung der Zustände in den Ghettos, sondern forderten zu Revolution und Rebellion auf. Ihr militanter Bühnenauftritt verstärkte diesen revolutionären Habitus, der stark beeinflusst war vom Black Nationalism der Nation of Islam[42], einer religiösen Sekte, die totale Rassentrennung forderte (vgl. Loh/Verlan, 2000: 22). Der Frontmann von Public Enemy Chuck D erklärt die extreme Haltung der Band und ihrer Anhänger folgendermaßen:

[...]


[1] Kanak Attak: Dieser Song gehört uns (2000)

[2] dem Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs (URL: http://www.vielfalt-als- chance.de/index.php?id=70&pid=127, 17.2.08, 14:06)

[3] URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,533644,00.html (14.2.08, 23:46 Uhr)

[4] m.E.= meines Erachtens

[5] Toop, David (1991): Rap Attack. African Jive bis Global HipHop. München, Heyne; Rose, Tricia (1994): Black Noise. Rap Music and Black Culture in Contemporary America. Wesleyan University Press; Gates Jr., Henry Louis (1988): The Signifying Monkey. A Theory of African-American Literary Criticism. New York, Oxford University Press

[6] “De-Industrialisation” also De-Industrialisierung beschreibt in der Soziologie den Übergang von Industriegesellschaften zu Dienstleistungsgesellschaften. Begleitet von Konsumdenken (consumerism) und wirtschaftlicher Neu- bzw. Umstrukturierung (economic restructuring) setzt Kaya diese Entwicklung in einen Zusammenhang mit dem Wiederaufleben von Rassismus und Fremdenhass (resurgence of racism and xenophobia) (A.d.V.).

[7] Karrer bezieht sich hier auf Clarke (1979), dessen Untersuchungen im Birminghamer Center for Contemporary Cultural Studies im Rahmen seiner Arbeit „Resistance Through Rituals“ für die Jugendkulturforschung besonders bedeutend waren, da erstmalig die Kategorien Klasse, Widerstand und Ritual in die Betrachtung von Jugendkultur mit einbezogen wurden (vgl. Gulliver, 1995).

[8] Sons of Gastarbeita: „Söhne der Gastarbeiter“ (1995)

[9] URL: http://www2.hu-berlin.de/fpm/texte/subcult.htm (4.1.2008, 17:06 Uhr)

[10] A.d.V: Ich begreife hier Zuweisungspraxis im Sinne einer Auszeichnung. Man ist nur ‚cool’, wenn ein Publikum das bestätigt (vgl. Klein/Friedrich, 2003: 43).

[11] B-Boy/B-Girl = Breaker von Breakdance. Man unterscheidet beim B-Boying zwischen Footwork und Powermoves. Footwork steht synonym für Down Rocks, die mit Schritten am Boden die Grundlage für weitere Bewegungen sind. Sie werden oft kombiniert mit Freezes und Hesitations. Powermoves schließen jede Form von akrobatischer Bewegung in den Breakdance mit ein. (Vgl. Krekow et al, 2003)

[12] Die vier Grundstile in der HipHop-Kultur. Graffiti, die Bildkunst des HipHop, ist eine zumeist illegal ausgeführte Straßenkunst, deren Ästhetik die moderne Kunst im Allgemeinen stark beeinflusst hat. Breakdance, die körperliche Kunstform des HipHop, erinnert an den Capoeira der brasilianischen Sklaven. Er wird ebenfalls auf der Straße praktiziert. Die akrobatischen Elemente fordern Höchstleistungen der Tänzer. Das DJ-ing, also das Plattenauflegen, ist eine eigenständige Disziplin im HipHop und wird in andere Club-Kulturen wie Techno und House übernommen. Rap ist die Sprache des HipHop, die mit Hilfe des Zeremonienmeisters (Master of Ceremony, MC), die das Publikum animieren soll, zur Musik des DJ’s zu tanzen. (Vgl. Verlan/Loh, 2006)

[13] „Getrauert habe ich genug“, taz, 19.9.2005

[14] Rap-gegen-Rechts wird, ähnlich wie Rock-gegen-Rechts, bei dem Prominente wie Peter Maffay und die Scorpions auf die Bühne gehen, in Form großer Soli-Konzerte organisiert, um in der Öffentlichkeit ein Zeichen zu setzen. Engagierte Rap-Formationen sind die Fantastischen Vier und die Brothers Keepers.

[15] Der Einfluss des türkischen Rap aus Deutschland in der Türkei soll hier nicht weiter thematisiert werden. Mehr unter URL: http://www.migration-boell.de/web/integration/47_914.asp (11.2.08, 17:20 Uhr) finden sich mehr Informationen dazu.

[16] URL: http://www.migration-boell.de/web/integration/47_916.asp (25.01.2008; 12:33 Uhr)

[17] URL: http://www.migration-boell.de/web/integration/47_916.asp (25.01.2008; 12:33 Uhr)

[18] Dazu: „Der Gast, der keiner mehr ist“ Artikel unter URL: http://www.qantara.de (14.2.08, 22:34 Uhr). Hier gilt die „Gastarbeiterliteratur“ als überholtes Genre.

[19] URL: http://www.migration-boell.de/web/integration/47_920.asp (26.01.2008; 13:29 Uhr)

[20] Ebd.

[21] Vgl. ebd.;

[22] Public Enemy: „Fight the Power“, Album: Fear of a Black Planet (1990); URL: http://www.publicenemy.com/index.php?page=page5&item=3&num=74 (5.1.2008, 19:11 Uhr)

[23] Law and Order Polizeipolitik: Das politische Schlagwort beschreibt, wie ein Staat besonders auf seine Innere Sicherheit wert legt. Dabei geht er mit Repressalien und Präventionsmaßnahmen vor, die die Grundrechte der Bevölkerung angreifen. In New York wird diese Politik in Form der „Zero-Tolerance“-Strategie unter dem republikanischen Bürgermeister Giuliani eingesetzt, um der Verwahrlosung und Kriminalität Herr zu werden. Die Strategie bezieht sich auf den Ansatz der „Broken-Windows-Theorie“, die davon ausgeht, dass ein zerbrochenes Fenster, den Beginn einer kompletten Verwahrlosung ganzer Stadtteile markiert. (vgl. Schwind, 2004).

[24] Ghetto: „Wohnviertel unterprivilegierter Gruppen“ (Wahrig, 2004)

[25] urban spaces (engl.): urbane Räume

[26] Work Songs, zu deutsche Arbeitslieder, stammen aus der Tradition der als Sklaven nach Amerika verschleppten Westafrikaner. Sie funktionieren nach dem Prinzip des Call and Response. Die wichtigsten Gattungen sind der Fieldholler, ein auf den Feldern der Baumwollplantagen gesungener Rufgesang (to holler, engl. Brüllen) und der Chaingang Song, der bei der Feldarbeit, in Steinbrüchen oder bei Straßenarbeiten gesungen wurde. Die auch als Shanties bekannten Lieder beeinflussen die Musik der Afroamerikaner von den Spirituals und Gospels bis hin zum Blues und Southern Folk. URL: http://northbysouth.kenyon.edu/2002/Music/Pages/worksongs.htm (16.2.08, 13:23 Uhr)

[27] Mehr dazu unter URL: http://www.youtube.com/watch?v=jIgFG31w0j4&NR=1 (16.2.08, 13:30 Uhr)

[28] Der Begriff, der durch Feridun Zaimoglu geprägt wurde ist ein „Underground-Kodex (…), eine Art Creol oder Rotwelsch mit geheimen Codes und Zeichen. Ihr Reden ist dem Freestyle-Sermon im Rap verwandt, dort wie hier spricht man aus einer Pose.“ (Zaimoglu, 2007: 13)

[29] Engl., Schalk (A.d.V.)

[30] Toasts sind die langen Spottgedichte. Das Toasting (auch story telling) ist eine alte jamaikanische Erzähltradition. In den Rap importiert wurde sie schon zu den Anfangszeiten in der Bronx. Das Signifying ist eine Technik, die innerhalb dieser Gedichte angewendet werden kann (nach Art des Signifying Monkeys: Aufhetzen eines physisch stärkeren Gegners mittels Wortwitz) Signifying ist „die Kunst des anspielungsreichen Sprechens“ (Androutsopoulos, 2003), die beim Rezipienten Assoziationen erzeugen soll, die in inhaltlich verschiedene Richtungen gehen. Nach Streek ist das Signifying , die Ironie, die den Sprechakten innewohnt (vgl. Streek, 2002: 544).

[31] „Misogynie: (…) 1 (Psych.) krankhafte Abneigung von Männern auf Frauen 2 Frauenfeindlichkeit“ (Wahrig Fremdwörterlexikon, 1999)

[32] „Battle (engl. Schlacht). Trotz des rüden Ausdrucks ist ein Battle im HipHop nichts anderes, als ein friedlicher Wettstreit zwischen gleichgesinnten HipHoppern, um zu zeigen, dass man etwas kann, das andere nicht können (Skills zeigen) und seinen Gegnern dabei auszustechen oder der Kreativste zu sein. (…)“ (Krekow et al., 2003)

[33] Auch blackface minstrelsy ist eine Unterhaltungsshow aus dem 19. Jahrhundert, in der durch schwarze Stereotype zur Belustigung von einem weißen Publikum die Lebensweise der Afroamerikaner karikiert wird. Dazu malte sich ein weißer Clown das Gesicht schwarz an und mimt den fröhlichen, singenden Sklaven. Später übernehmen auch Schwarze diese Rollen. Bekannteste Vertreterin ist die Blues-Sängerin Bessie Smith, die sich am Anfang ihrer Karriere ihren Lebensunterhalt so verdiente. Wichtige Schriften dazu verfasste W.E.B. DuBois (1903). (Vgl. Hartmann, 2006)

[34] Verbale Beleidigungsrituale Gates (1988).

[35] „Couplets (…) witzig-satir. od. polit. Lied mit Kehrreim, bes. im Kabarett (frz., „Strophe, Lied“)“ (Wahrig Fremdwörterlexikon, 1999)

[36] Das Black Art Movement geht auf die Harlem Renaissance zurück: Als „the Negro capital of the world“ wird Harlem Anfang der 1920er Jahre, dank einer wirtschaftlicher Prosperität, zu einem Zentrum afroamerikanischer Kultur. In Jazz, Dichtung und Malerei fanden Schwarze zu einem neuen kulturellen Selbstbewusstsein und formulierten ihren Protest gegen den Rassismus, der die nordamerikanische Gesellschaft beherrschte. Bekannte Vertreter sind W.E.B. DuBois, Langston Hughes, Josephine Baker, Aaron Douglas, Duke Ellington, Louis Armstrong. URL: http://userpage.fu-berlin.de/~wilker/harlem/Anfang.htm (16.2.08, 15:10 Uhr)

[37] The Last Poets: URL: http://www.ric.edu/faculty/rpotter/lpoets.html (16.2.08, 15:27 Uhr)

[38] Message-Rap: Textgenre des Rap, in dem ein bestimmter Sachverhalt zur Diskussion steht. Das Publikum soll zur Auseinandersetzung damit angeregt werde. (Vgl. Verlan/Loh, 2006)

[39] Gil Scott-Heron (geb. 1949) amerikanischer Musiker und Dichter. Interessant hierzu das Interview in der taz vom 18.11.2005. URL: http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2005/11/18/a0155 (16.2.08, 15:23 Uhr)

[40] Plattenlabel für Rap-Musik, gegründet 1974, New Jersey

[41] Plattenlabel für HipHop gegründet 1984, New York, gehört zur Universal Music Group

[42] Islamische Religionsgemeinschaft, Mitglieder werden Black Muslims genannt. Ihre Werte spielen eine wichtige Rolle im afroamerikanischen HipHop (vgl. Krekow et al.); bekannte Mitglieder: Malcom X, Muhammad Ali.

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Fremd im eigenen Land? – Diskursanalytische Untersuchung von Raptexten im Hinblick auf die Identität junger Migranten in Deutschland
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
76
Katalognummer
V115947
ISBN (eBook)
9783640175567
ISBN (Buch)
9783640175789
Dateigröße
994 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fremd, Land, Diskursanalytische, Untersuchung, Raptexten, Hinblick, Identität, Migranten, Deutschland
Arbeit zitieren
Nora Gielke (Autor:in), 2008, Fremd im eigenen Land? – Diskursanalytische Untersuchung von Raptexten im Hinblick auf die Identität junger Migranten in Deutschland , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115947

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