Der Buena-Vista-Boom und die Musik Kubas: Eine einzigartige Melange aus Tradition und Moderne


Seminararbeit, 2007

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Segen oder Fluch? Zum Verhältnis von Sozialismus und Musik auf Kuba.

2. Der tres -spielende Opa mit der Holzgitarre: Eine kritische Betrachtung des Buena- Vista-Booms
2.1 Die Macher in der Schusslinie
2.2 Der „Buena-Vista-Effekt“: Zur Rezeption und kommerziellen Verwertung kubanischer Musik

3. HipHop auf Kuba: „Mit der Revolution: Alles! Gegen die Revolution: Nichts!“

Literaturverzeichnis

Webquellenverzeichnis

Vorwort

„Kuba, das ist eine Aneinanderreihung von Mythen und Vorurteilen, eine Mixtur aus Träumen und Projektionen“[1], schreibt Arno Eser über jenen Ort, der gegen Ende der neunziger Jahre zum Mittelpunkt eines beispiellosen Musikund Tourismus-Booms avancierte. Einer der Auslöser der Euphoriewelle, war das international erfolgreiche Album „Buena Vista Social Club“ sowie der gleichnamige Dokumentarfilm von Wim Wenders. Seither gelten die beiden Medien in westlichen Sphären als Sinnbild für die authentische Wiedergabe des kubanischen Lebensgefühls. Ein Blick auf die imposante Verkaufszahl von weltweit über sieben Millionen Exemplaren[2] dokumentiert bereits, dass die betagten Musiker um Compay Segundo und Ibrahim Ferrer ein weitaus größeres Publikum erreicht haben, als dies für Veröffentlichungen im Bereich Weltmusik üblich ist. Worin liegt also der spezielle Reiz dieser Musik? Und lässt sich der Buena-Vista-Effekt allein auf die Ebene des Musikalischen reduzieren?

Die vorliegende Arbeit wird zeigen, dass eine Betrachtung des Phänomens, ein weitreichenderes Verständnis um die Außenwirkung der kubanischen Musikkultur erfordert, als es das Klischee von den munter musizierenden Senioren suggerieren mag. „Die kubanische Musik wird zum Soundtrack für unseren privaten Film im Kopf, der beim Stichwort Kuba losrattert.“[3], mit dieser treffenden Beschreibung markiert Eser in seinem Nachwort zu Maya Roy’s Fachbuch „Buena Vista – Die Musik Kubas“, das eher eindimensionale Kuba-Wunschbild in den Köpfen vieler Westeuropäer. Aufgeladen durch die stereotypen Reize aus den Werbespots einer bekannten Rummarke, wurde die Insel zur mystischen Projektionsfläche für die unreflektierte Sehnsucht nach dem exotischem Karibikparadies. Zigarren, alte Autos und Revolutionsromantik: Die Marke „Buena Vista Social Club“ scheint dem Wunsch nach Eskapismus und kultureller Fremdheit in Ton und Bild zu entsprechen. Der markante Son -Rhythmus evoziert dabei offenbar den Eindruck des Authentischen und sorgt, durch die Neuinterpretation der prä-revolutionären Musik, gleichzeitig für einen Nostalgieeffekt. Es bleibt kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Rezeption von Album und Film von Vorurteilen gelenkt wird und welche Hintergründe für die Entstehung zu berücksichtigen sind.

Die überwältigende Popularität von „Buena Vista Social Club“, darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Projekt lediglich einen winzigen Ausschnitt der ausgesprochen facettenreichen und komplexen Musikgeschichte Kubas widerspiegelt. Diesbezüglich wird aufzuzeigen sein, dass auch modernere Zeitströmungen wie z.B. HipHop längst zur kulturellen Identität Kubas gehören. Wie bereits im Seminar diskutiert, ist es verständlich, dass gerade junge Kubaner der Omnipräsenz der Son -Musik, in Folge des Buena-Vista-Booms, mit Vorbehalten begegnen. Schließlich ist die Musikentwicklung auf der Insel in den letzten sechzig Jahren nicht etwa stehen geblieben. Im Gegenteil, die kubanische Musik hat sich immer wieder neu erfunden. Vielfalt, Verschmelzung und Weiterentwicklung, diese drei tragenden Säulen haben auch die Herausbildung des HipHops begünstigt.[4] HipHop auf Kuba, das ist keine unschöpferische Adaption des amerikanischen Vorbilds, sondern ein origineller Crossover aus modernen Beats und den traditionellen Genres der Insel.

Leider ist die akademische Erforschung der zeitgenössischen Popmusik auf Kuba noch stark erweiterungsbedürftig. Während die zahlreichen Zeitstile wie Rumba, Timba, Salsa oder Mambo bereits in verschiedenen musikwissenschaftlichen Fachpublikationen zerklüftet wurden, mangelt es besonders an deutschsprachigen Studien zu neueren Musikentwicklungen. Einzige und inhaltlich hervorstechende Ausnahme, ist das 2004 erschienene Standardwerk „Alles in meinem Dasein ist Musik... Kubanische Musik von Rumba bis Techno.“[5]. Die teilweise aus dem Spanischen übersetzten Texte und Interviews werden auch für diese Arbeit als wichtige Orientierungshilfe fungieren.

Es ist fast schon obligatorisch anzumerken, dass eine tiefere Betrachtung der Musiklandschaft Kubas kaum gangbar ist, ohne zuvor die speziellen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen abzustecken. Das folgende Kapitel wird sich diesem Aspekt zuwenden und die Möglichkeiten und Restriktionen aufzeigen, die das sozialistische System für Musikschaffende mit sich bringt.

1. Segen oder Fluch? Zum Verhältnis von Sozialismus und Musik auf Kuba.

Der Inselstaat Kuba stand in den vergangen Jahrzehnten immer wieder im Zentrum tiefgreifender Umwälzungsprozesse. Die Veränderung der politischen, ökonomischen und sozialen Situation hat dabei ganz erheblich auf die Entwicklung der Musiklandschaft abgestrahlt. Mit dem Ende der Batista-Ära und der Einführung des sozialistischen Staatssystems, erfolgte Anfang der sechziger Jahre zunächst eine ganze Reihe fundamentaler kulturpolitischer Maßnahmen.

Im positiven Sinne entpuppte sich die Revolution als Motor der Landeskultur. Neben der Einrichtung von Kulturinstitutionen, wie Kunsthochschulen oder Filminstituten, wurde allen Bevölkerungsschichten eine hochwertige Musikausbildung ermöglichet.[6] Überdies gelang es der Regierung Castro die Analphabetenquote im Land auf ein Minimum zurückzudrängen, so dass fortan eine breite Öffentlichkeit am Kulturleben auf Kuba partizipieren konnte. Im negativen Sinne wirkte die Revolution jedoch auch repressiv, gerade was die Bereicherung durch äußere – nach systemideologischer Sichtweise - imperialistische Kultureinflüsse betrifft. Die Musik auf Kuba hat sich gewissermaßen in einer „Kulturenklave“ entwickelt, die von dem weltweiten Siegeszug populärer Zeitströmungen wie Beatoder Rockmusik weitgehend ausgeklammert war. Selbst Jazzmusik wurde anfangs zurückgehalten, obwohl sie auf gemeinsame afrikanische Wurzeln verweist. Jüngsthin war es die HipHop-Begeisterung, mit deren Aufkeimen der kubanische Staat anfänglich eine zunehmende Amerikanisierung der Landeskultur witterteund das obwohl sich der Rap ursprünglich als Sprachrohr der unterdrückten Afroamerikaner herausgebildet hatte. Andererseits führte die Loslösung von der westlichen Mehrheitskultur auch zu einer Konservierung der traditionellen Musik bzw. zur Erhaltung der Vielfalt. Dabei ist zu beachten, dass die kulturelle Abschottung eng mit der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation verknüpft war. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks - der den abrupten Wegfall der sozialistischen Handelspartner bedeutete - und dem US-Wirtschaftsembargo, war der tiefe Fall der Lebensstandards auf der Insel kaum mehr zu bremsen. Mit der gezwungenen Öffnung Kubas für den Weltmarkt, ist seither auch die Kulturpolitik des Landes in einen Prozess der Liberalisierung eingefasst und präsentiert sich heute zunehmend tolerant und weltoffen.

Die wirtschaftliche Rezession hat die Insel derweil noch immer fest im Griff und fordert von den Kubanern ein Leben mit Entbehrungen. So scheint es geradezu grotesk, dass trotz der unzureichenden Grundversorgung der Bevölkerung ein Bildungssystem unterhalten werden kann, das als das beste Lateinamerikas gilt. Bei allen materiellen Opfern sieht es so aus, als ob insbesondere die musikalische und tänzerische Ausbildung auf Kuba ein unantastbares Privileg darstellt. Vielleicht lässt sich die nachhaltige Förderung damit erklären, dass Musik innerhalb der kubanischen Gesellschaft grundsätzlich einen noch höheren Stellenwert hat als anderswo. Sie ist nicht nur eine der Künste, sondern „sie ist die erste der Künste“, wie Torsten Eßer betont[7]- nicht bloß als Bestandteil der Kultur zu sehen, sondern als deren Mittelpunkt: „Wenn in Deutschland einem Bewohner die Decke seines baufälligen Hauses auf den Kopf fällt, gibt es eine Untersuchung [...]. In Kuba macht jemand ein Lied draus und die Leute tanzen später dazu. Das ist die Art der Kubaner mit Problemen fertig zu werden.“[8] Und Probleme, die sich musikalisch verarbeiten lassen, liefert die kubanische Alltagswelt aus den genannten Gründen reichlich. Dabei wird die Mangelsituation zwar durchaus scharf kritisiert, dem textlichen Spielraum ist allerdings auch eine klare Grenze gesetzt, die Castro selbst mit der Devise dekretiert: „Innerhalb der Revolution: Alles! Gegen die Revolution: Nichts!“[9] Dieser, eher schwammige Grundsatz, gewährt den Künstlern einerseits den Freiraum etwa auf soziale Missstände hinzuweisen, impliziert andererseits aber auch die unmissverständliche Bedingung, dass die Revolution selbst dabei nie in Frage gestellt werden darf.

Gleichwohl bleibt zu konstatieren, dass auch die Zensur im Zuge des Liberalisierungsprozesses sukzessiv gelockert wurde. Zumindest der kubanischen Musik, so Torsten Eßer, drohe heute kaum noch Gefahr durch engstirnige und uninformierte Kulturfunktionäre.[10]

Ein anderer Reibungspunkt des sozialistischen Systems ist die Organisation der Musikwirtschaft. Im Zuge der kulturpolitischen Reformen nach der Revolution, wurde auch der Musikvertrieb der sozialistischen Planwirtschaft angeglichen. Die staatliche Gesellschaft EGREM war fortan als alleinige Institution für die Tonträgerproduktion zuständig. Diese monopolistische Praxis ist, wie die gesamte Kulturpolitik der Castro Regierung, kontrovers zu sehen. Im positiven Sinne bedeutet die Auflösung des Wettbewerbs, auch eine Befreiung von ökonomischen Zwängen. Anders als konventionelle Labels, die mehrheitlich innerhalb kapitalistischer Marktsysteme operieren, folgt EGREM nicht dem vorrangigem Ziel Profit zu erwirtschaften, sondern der historischen Mission die Vielfalt der kubanischen Musik zu erhalten.[11] Nicht die kommerzielle Erfolgsaussicht des musikalischen Repertoires entscheidet darüber was produziert wird, sondern der künstlerische bzw. kulturelle Wert.[12] Auf diese Weise kommt es mithin zu einer Eliminierung des ökonomischen Wettbewerbs zwischen den Künstlern. Letztere sind dadurch wiederum weniger gehalten, ihre Kompositionen an den erfolgsversprechenden Stereotypen des Marktes auszurichten. Denkt man an die täglich hundertfach lancierte Dutzendware seichter Popnummern, die sich in den hiesigen Charts tummelt, erscheint der Wegfall des kommerziellen Kalküls auf den ersten Blick nicht einmal bedauernswert. Allerdings liegt in dieser finanziellen Unabhängigkeit auch die Kehrseite der Musikwirtschaft auf Kuba. Dazu Torsten Eßer: „Infolge der Nichtbeachtung der Kundenwünsche [...] und weil die Distribution schlecht funktionierte, konnten kaum Umsätze erzielt und somit auch nicht viele Alben produziert werden.“[13] So geht der Verzicht auf ein profitables Geschäftsmodell mit einer Verschlechterung der Produktionsbedingungen einher. Die Folge sind zu geringe Produktionsbudgets und Schwierigkeiten bei der Nachfragedeckung. An groß angelegte Marketingkampagnen und internationale Distribution ist ohnehin nicht zu denken. Bedauerlich sind solche Einschränkungen vor allem deshalb, weil dadurch die externe Verbreitung der kubanischen Musik gehemmt wird. So hätte es den Welterfolg Buena Vista Social Club vermutlich nie gegeben, wenn er nicht von einem europäischen Label induziert worden wäre. Das betreffende Label „World Circuit“ hat dabei maßgeblich von der Öffnung der kubanischen Wirtschaft profitiert, die im Zuge der Anpassung an den globalisierten Weltmarkt erfolgt ist und es nun auch ausländischen Plattenfirmen ermöglicht auf der Insel zu operieren.

2. Der tres -spielende Opa mit der Holzgitarre: Eine kritische Betrachtung des Buena-Vista- Booms

Wie bereits im Vorwort angedeutet, wurde der Siegeszug von Buena Vista Social Club[14] auch von einer kontroversen Debatte über die Entstehungshintergründe des Welterfolgs begleitet. Zwar besteht ein breiter Konsens darüber, dass sowohl das Album als auch der Film, der kubanischen Musik zu verdienter Anerkennung verholfen haben, kritisiert wird hingegen vielfach die subjektive (Selbst)Darstellung der an dem Projekt beteiligten Personen.

[...]


[1] Vgl. Arno Frank Eser: Eine faszinierende Melange. Die Hintergründe des Kuba Booms, in: Maya Roy: Buena Vista. Die Musik Kubas, Palmyra Verlag 2000, S. 193

[2] Vgl. Torsten Eßer: Von Piraten und Megastars. Musikmärkte und -industrie in Lateinamerika. http://www2.huberlin.de/fpm/texte/esser.htm, Abrufdatum: 21.03.07

[3] Vgl. Arno Frank Eser: a.a.O. , S. 199

[4] Vgl. Arno Frank Eser: a.a.O. , S. 199

[5] Patrick Frölicher, Torsten Eßer (Hrsg.): Alles in meinem Dasein ist Musik... Kubanische Musik von Rumba bis Techno, Vervuert Verlag 2004

[6] Vgl. Torsten Eßer: Sozialismus mit Rhythmus. Kubanische Kulturpolitik seit 1959 und ihre Auswirkungen auf die Musik., aus: a.a.O., S. 38

[7] Vgl. Torsten Eßer/Patrick Frölicher: Vorwort, a.a.O., S. 11

[8] Zitat von Francisco Zayas, Sänger der Gruppe „Habana Sax“; Vgl. Torsten Eßer/Patrick Frölicher: a.a.O., S. 11

[9] Vgl. Torsten Eßer: a.a.O., S. 41

[10] Vgl. Torsten Eßer: a.a.O., S. 70

[11] Vgl. Torsten Eßer: a.a.O., S. 59

[12] Dieser Praxis ist sicher ein allgemeines Wertungsproblem immanent. Denn welche Art von Musik veröffentlichungswert erscheint, liegt wohl prinzipiell im Auge des Betrachters bzw. des Künstlers.

[13] Vgl. Torsten Eßer: a.a.O., S. 59

[14] Im Folgenden mit „BVSC“ abgekürzt.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Der Buena-Vista-Boom und die Musik Kubas: Eine einzigartige Melange aus Tradition und Moderne
Hochschule
Universität Paderborn
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
13
Katalognummer
V115711
ISBN (eBook)
9783640170890
Dateigröße
376 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Buena-Vista-Boom, Musik, Kubas, Eine, Melange, Tradition, Moderne
Arbeit zitieren
Jens Frieling (Autor:in), 2007, Der Buena-Vista-Boom und die Musik Kubas: Eine einzigartige Melange aus Tradition und Moderne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115711

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