Theoretische und Praktische Erläuterungen zur Paradoxen Intervention


Seminararbeit, 2008

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einleitung

3. Definition von komplexen Systemen

4. Komplexe, autonome Systeme und deren Verstörung
4.1 Paradoxe Intervention in der Theorie
4.2 Paradoxe Intervention in der Praxis

5. Zukunftsaspekte systemtheoretischen Paradigmen

6. Schluss

7. Literatur

8. Abbildungsverzeichnis

1. Vorwort

In dieser Hausarbeit stelle ich die theoretischen Grundlagen systemischer Theorie dar und beziehe mich näher auf die Verstörung von komplexen Systemen, beziehungsweise auf Paradoxe Intervention, sowohl in Theorie als auch in Praxis systemischer Therapie. Hierbei gehe ich näher auf systemtheoretische wie auch wissenschaftstheoretische Grundlagen ein. Zuerst werde ich definieren, was unter einem System zu verstehen ist und beschäftige mich danach mit einem kurzen Einblick in systemtheoretische Begriffe. Im Anschluss daran beschäftige ich mich mit den allgemeinen Grundlagen zur Verstörung von komplexen Systemen und wende mich dann der Theorie und Praxis der Paradoxen Intervention zu. Bei der Darstellung der Paradoxen Intervention in der Praxis wurde besonderen Wert darauf gelegt, diese an einem praktischem Beispiel deutlicher werden zu lassen. Im letzten Abschnitt gehe ich noch auf einige Zukunftsaspekte systemtheoretischer Paradigmen ein.

Paradoxe Intervention ist ein systemtheoretisches Verfahren, dessen Wirkungen auf ein bestimmtes System nicht einfach vorausgesagt werden können. Ebenso stellt dessen wissenschaftliche Beschreibung ein außerordentliches Problem dar. Aufgrund der Komplexität und Vielseitigkeit einer paradoxen Intervention, kann im Rahmen dieser Hausarbeit nur ein Überblick geschaffen werden.

Weiterhin werde ich mich etwas mit dem Phänomen der Intuition beschäftigen, da ich der Ansicht bin, dass bei einer so hohen Komplexität von Systemen, wie z.B. einem Familiensystem, das linear ausgerichtete Denken des Menschen nicht mehr in der Lage ist, alle Systemparameter zu erfassen. Wie das im späteren noch deutlicher werden wird, scheint die Intuition ein unbewusster Faktor zu sein, der als wichtiges Instrument bei der „Erkennung“ systeminterner Dynamiken dient.

2. Einleitung

Mit der Entwicklung des Begriffs der „organisierten Komplexität“, definiert als eine wechselseitige Beeinflussung und Gleichbewertung aller Faktoren eines Systems, durch Bertalanffy in den 50er Jahren, hat die Systemische Therapie in der psychologischen Praxis und Forschung in den letzten Jahrzehnten deutlich an Popularität gewonnen (vgl. Krieger, 1998, S.20). Bertalanffy führte mit dieser Betrachtungsweise ein neues wissenschaftliches Paradigma ein, das er als Gegenentwurf zur klassischen Physik positionierte. Er kritisierte deren deduktive Verfahren und die damit einhergehende isolierte Betrachtung von Einzelphänomenen. Für die Biologie sei diese Methode nicht adäquat. Anstelle von Einzelphänomenen, die in der Realität niemals isoliert aufträten, seien diese Phänomene in ihrer Vernetzung zu beschreiben. Dieses Paradigma breitete sich nicht nur in der Biologie, sondern auch die Chemie, Physik bzw. Quantenphysik und nicht zuletzt in der Psychologie aus und wurde mit großem Interesse betrachtet und erforscht. In der Psychologie hat die Annahme einer zirkulären Wechselwirkung komplexer Systeme insbesondere die Entwicklung systemisch orientierter Therapien im Bereich familiärer Dynamiken und ebenso die Behandlung psychischer Störungen vorangetrieben. Psychische Störungen wurden nun nicht mehr als vom Individuum alleine

„verursacht“ angesehen, sondern in den Kontext eines komplexen familiären Beziehungsmusters eingeordnet. Um diese Dynamiken nur annähernd zu erklären ist eine linear-kausale

Betrachtungsweise nicht mehr ausschöpfend, und führt im Falle eines komplexen Familiensystems eher in die Irre (vgl. Willke, 1999).

Weiterhin ist zu erwähnen, dass es die Systemische Therapie nicht gibt. Es ist eine Bezeichnung für eine Vielzahl verschiedenster Ansätze, die sich der theoretischen Konzepte der Systemtheorie bedienen. Angefangen bei Virginia Satir, Palazzoli, Minuchin, Hellinger bis hin zu Stierlin, der die Familientherapie in Deutschland begründete (vgl. Schlippe, 2003). Im Folgenden werde ich mich hauptsächlich auf die Familientherapie nach dem Mailänder Team beziehen, die meiner Ansicht nach den systemischen Ansatz am getreusten in die Praxis umsetzte. Natürlich gibt es eine Vielzahl weiterer therapeutischer Methoden. Hierzu verweise ich auf das umfassende Buch von Schlippe und Schweitzer (2003).

3. Definition von komplexen Systemen

Redet man von einem sogenannten System, stellt sich zuallererst die Frage, was ein System eigentlich ist? Was sind Systeme und wie funktionieren sie? Dabei sind, in Bezug auf die therapeutische Behandlung von Menschen, vor allem die Regeln und Verhaltensweisen innerhalb des Systems ein Forschungsgegenstand mit hohem Potential. Ein Systembegriff ist im Grunde genommen ein Konstrukt des menschlichen Intellekts. Ein hypothetisches Konstrukt. Systeme entstehen dadurch, dass sie sich von etwas anderem unterscheiden und als solche betrachtet werden (Krieger, 1998, S.12). Der Mensch schafft einem kognitiv-linguistischen Sinnzusammenhang und setzt damit eine bestimmte Struktur oder Verhaltensweise des Systems voraus (vgl. Krieger, 1998, S.49). Wir schaffen diesen Zusammenhang, um die Komplexität der Umwelt zu reduzieren und diese für uns begreifbar und erfassbar zu machen (Krieger, 1998). Kriz (1997, S.26) nennt dies „die Verbannung des Chaos“, denn im Menschen bestehe seiner Ansicht nach eine Angst vor Unberechenbarkeit und Kontrolllosigkeit, die er mittels Einordnung in Kategorien reduziert. Diese Reduktion lässt notwendigerweise Klassen von Objekten entstehen, denen eine bestimmte Eigenschaft zukommt, die Systeme.

David J. Krieger (1998, S. 12) definiert System wie folgt:

„eine Zusammenstellung heißt auf Griechisch to systeme. Ein System ist ein irgendwie geordnetes Ganzes, ein Zusammengestelltes. Es genügt also nicht, um eine Unterscheidung zu machen, bloß einige Elemente irgendwie beiseite zu tun […] die Teile des Urstoffs, die von allen anderen Teilen unterschieden werden sollen, müssen, um unterschieden zu werden, in einer bestimmten Art und Weise geordnet werden. Das heißt, die Teile müssen bestimmte, fixierte Relationen und Beziehungen untereinander eingehen, sonst sind sie gleich wie alle anderen, und nichts unterscheidet sie . Abgrenzung erfolgt also über Ordnung“

Beispiele von trivialen Systemen sind Maschinen. Beispiele von nicht-trivialen System sind Zellen: Diese waren schon in ihrem Wirken aktiv bevor der Mensch sich überhaupt Gedanken über deren Funktionsweise machte. Zellen regulieren ihr eigenes Gleichgewicht, sind aber dennoch abhängig von höheren Systemen in denen sie sich wiederum befinden. Die Zelle ist autopoietisch ( vgl. Krieger, 1998, Schlippe, 2003), das heißt selbst-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Dendritische Zellen im Gehirn

erzeugend oder anders gesagt, das System versorgt und erzeugt sich selbst. Eine Zelle teilt sich und erzeugt sich damit selbst. Die inneren biochemischen Zellprozesse dienen ebenfalls der aufrechterhaltend des eigenen System. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Homöostase. Die Zelle ist nun aber auch Teil eines größeren Systems, wie z. B. Gewebe und auf noch höherer Komplexitätsebene die Organe.

Jedes System operiert mittels eines spezifischen Codes, der sowohl die Handlungsweise des Systems an sich als auch die Interaktion mit äußeren Faktoren bestimmt (Krieger, 1998, S.22). Dieser Code ist eine Art von „Metaregel“, die die Basis für die Eigendynamik des Systems bildet. Ein gutes Beispiel hierfür ist die menschliche DNA, welche die physische Basis für das menschliche Entwicklungspotential enthält. Anders

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: DNA des Menschen

verhält es sich jedoch mit dem Code des psychischen Systems eines Menschen bzw. eines sozialen oder familiären Systems. Es war der Verdienst Luhmanns aufzuzeigen, dass soziale Systeme nicht als eine Anhäufung von Menschen, sondern als operativ geschlossener Prozess der Kommunikation betrachtet werden können (Krieger, 1998). Trotz dieser doch recht tautologischen Sichtweise ist Luhmann Systemtheorie eine der populärsten Theorieangebote im deutschen Sprachraum, die weitreichende Auswirkungen auf andere – auch theoretisch weit entfernte – Wissenschaftsgebiete hatte.

Wie können nun diese Theorien und Hypothesen aus der Systemtheorie auf den Menschen übertragen werden. Der Systembegriff ist nämlich in dieser Hinsicht sehr abstrakt und steht auf theoretischer Ebene in weiter Ferne zum Individuum. Dennoch ermöglicht gerade diese hohe Abstraktionsebene eine nahezu „universelle“ Erklärungsvielfalt, die sich nicht nur auf physikalische, biologische und chemische Systeme beschränkt, sondern auch auf die Bereiche der Informatik , Psychologie, Soziologie und Mathematik (vgl. Krieger, 1998). Man geht mittlerweile davon aus, dass jedes System in einem höheren System operiert und als dessen Element fungiert1 (vgl. Schlippe, 2003, S.58). Das Interessante daran ist, dass diese Sichtweise keine Neue ist, sondern in diesem Sinne eine Neuinterpretation östlicher Philosophien und medizinischer Lehren, die dem Systembegriff in Mantel des Ying-und Yang Prinzips manifestierten und in die Behandlung von Menschen einfließen ließen (vgl. Kaptchuk, 2007). Dieses Prinzip einer komplexen Wechselwirkung aller Faktoren eines Systems, ähnelt in verblüffender Weise dem heutigen modernen Systembegriff, wobei der größte Unterschied in der Unterschiedlichkeit der Sprache und den kulturhistorische Hintergründen liegt.

4. Komplexe, autonome Systeme und deren Verstörung

Dieser Abschnitt widmet sich dem systemtheoretischen Verständnis einer Verstörung von komplexen Systemen wie sie sowohl im Menschen (z.B. das Gehirn), als auch in der Gesellschaft beobachtet werden können (z.B. Organisationen, Familie). Die Anfänge der Systemtheorie waren davon geprägt die Mechanismen und Steuerungsprozesse des Systems zu manipulieren (Krieger, 1998). Jedoch wurde festgestellt, dass die Systeme in sich geschlossen sind und sich vielfach überhaupt nicht ändern ließen. Denn jeder Input in das System –um es in systemtheoretischen Begriffen zu formulieren – wird vom System so behandelt wie es im Code des Systems selbst festgelegt wurde:

„…in diesem Sinne betrachte das System alle korrigierenden Versuche seiner Umwelt als Angriffe auf seine interne Stabilität.“ (Willke, 1999, S. 126)

Das System kann also nicht anders als alle Versuche der Umwelt, in das System zu intervenieren, als eine Störung seiner Homöostase zu „interpretieren“. Hierzu äußert Willke weiterhin:

„[…]. Die eigentliche Schwierigkeit besteht wohl darin, zu erkennen, daß soziale Systeme wie etwa Familien oder Therapiesysteme trotz ihrer operativen Schließung und gerade, weil sie in ihrer inneren Steuerungsstruktur autonom und unbeeinflußbar sind, Ereignisse in ihrer Umwelt beobachten und aufgreifen können, wenngleich notwendig in den Beobachtungskategorien und in der Sprache des eigenen Systems.“ (Willke, 1999, S.128)

Diese Erkenntnis führte zu dem Gedanken, Systeme als geschlossene Entitäten zu betrachten, die durch externen Input lediglich beeinflusst oder angeregt werden können (vgl. Schlippe, 2003). Die Paradoxität hierbei zeigt sich darin, dass ein Inhalt gefunden werden muss, der sich in die internen Operationsprozesse des Systems eingliedert und dennoch „radikal“ genug ist, um das System von innen heraus zu verstören, dennoch aber die Autonomie und Integrität des intervenieren Systems zu respektieren (Willke, 1999, S. 121f). Die Verstörung von komplexen Systemen ist für die systemische Therapie eine Interventionsstrategie höchster Güte - stellt diese doch oft das einzige Mittel dar, um das rigide System anzuregen. Anders als z.B. beim Störungsverständnis der Psychoanalyse, konzentriert sich die systemische Therapie auf ein ganzes System, welches in irgendeiner Form gestört ist und indem einzelne Personen als Symptomträger fungieren (vgl. Schlippe, 2003). Die Art und Weise der Störung wird durch das Symptom entschlüsselbar. Diese dienen kurz gesagt der Aufrechterhaltung des Systems werden aber ebenso durch dieses aufrecht erhalten, quasi durch die internen Steuerungsdynamiken im System selbst, welche wiederum durch den Systemeigenen Code (s.o.) geprägt sind. Der Code des menschlichen Systems ist beispielsweise die DNA. Das Familiensystem ist allerdings nicht weniger Komplex als dieser. Hierzu sagt Palazzoli:

„Das Labyrinth, das diese Familien darstellen, ist wesentlich komplexer als das berühmte Labyrinth von Knossos. Denn wir dürfen ja nie vergessen, dass die Familie mit schizophrener Transaktion uns nichts als verwirrende Informationen gibt und alles, was hier zur Schaue gestellt wird, sich letztlich als Falle erweist.“ (Palazzoli et al., 2003, S.54)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3:Labyrinth

[...]


1 Insofern sie von uns als solche betrachtet und in dem Bereich unserer Aufmerksamkeit gerückt werden.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Theoretische und Praktische Erläuterungen zur Paradoxen Intervention
Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Magdeburg
Veranstaltung
Systemische Familientherapie
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
16
Katalognummer
V115408
ISBN (eBook)
9783640173426
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Familientherapie, Systemtheorie, systemisch, Paradoxe Intervention, Psychotherapie, Behandlung, Familiendynamik, Psychische Störungen
Arbeit zitieren
David Hofmann (Autor:in), 2008, Theoretische und Praktische Erläuterungen zur Paradoxen Intervention, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115408

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