Väter und erwachsene Kinder - Wechselseitige Perspektiven einer Beziehung


Diplomarbeit, 2007

179 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Der Vater, geschichtlich-religiöser Mythos und Protagonist der modernen Forschung
2.1.1 „Väterbilder“ und „Väterrollen“ in Geschichte, Religion und Psychologie
2.1.2 Die Phasen der Vaterforschung
2.1.3 Soziokulturelle Entwicklungen und ihr Einfluss auf die Vaterrolle – Konzepte von Vaterschaft heute
2.1.4 Die Vaterforschung in den letzten Jahren – ein Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand
2.2 Der distinkte Beitrag der Väter für die Entwicklung ihrer Kinder
2.2.1 Bindung und Exploration
2.2.2 Die Interaktionen von Vätern und Kindern im Spiel
2.2.3 Die Betonung des Geschlechts des Kindes durch den Vater
2.2.4 Moralische und kognitive Entwicklung der Kinder
2.2.5 Der Vater als Ratgeber und Repräsentant der Außenwelt
2.2.6 Autonomieunterstützung und Identitätsfindung
2.3 Aspekte der Familienentwicklung und Merkmale verschiedener Lebensphasen im Generationsvergleich
2.3.1 Soziokulturelle Entwicklungen und ihr Einfluss auf die Generationsbeziehungen
2.3.2 Das frühe Erwachsenenalter
2.3.2.1 Entwicklungsaufgaben des frühen Erwachsenenalters
2.3.2.2 „Emerging Adulthood“ – eine Lebensphase zwischen Jugend und frühem Erwachsenenalter?
2.3.2.3 Familien mit Kindern im frühen Erwachsenenalter
2.3.3 Das mittlere Erwachsenenalter
2.3.3.1 Aufgaben und Krisen des mittleren Erwachsenenalters
2.3.3.2 Leeres Nest – Krise oder Neuanfang für die Väter?
2.3.4 Zwei Einschätzungen einer Beziehung: Divergierende Sichtweisen von Eltern und Kindern über die Qualität ihrer Beziehung
2.3.4.1 Die „Developmental Stake Hypothese“
2.3.4.2 Die „Intergenerational Stake Hypothese“ 25 Jahre später
2.4 Forschungsergebnisse zur Vater-Kind-Beziehung im Erwachsenenalter
2.4.1 Wie wichtig sind Väter für das Wohlbefinden junger erwachsener Kinder – und umgekehrt?
2.4.2 Untersuchungsergebnisse zur Beziehungsgestaltung von Eltern und erwachsenen Kindern
2.4.3 Die Beziehung von Vätern und erwachsenen Kindern aus Scheidungsfamilien
2.4.4 Väter und Söhne, Väter und Töchter – zwei Beziehungen im Vergleich
2.5 Fragestellung und Hypothesen

3. Methode
3.1 Die Stichprobe
3.1.1 Selektionskriterien für die Stichprobe
3.1.2 Beschreibung der Stichprobe
3.2 Die Erhebungsverfahren
3.2.1 Die Voruntersuchung
3.2.2 Die Konstruktion des Vater-Kind-Beziehungsfragebogens
3.2.3 IDEA: Inventory of the Dimensions of Emerging Adulthood
3.2.3.1 Die Skalenreliabilitäten des IDEA in der vorliegenden Stichprobe
3.3 Das Vorgehen bei der Datenerhebung
3.4 Angewandte statistische Verfahren
3.5 Hilfsmittel bei der statistischen Auswertung

4. Untersuchungsergebnisse
4.1 Ergebnisse der Faktorenanalysen
4.2 Erreichte Mittelwerte der Väter und Kinder auf den Vater-Kind- Beziehungsskalen
4.2.1 Die Skala 1: Gegenseitige emotionale Unterstützung und positive Interaktion
4.2.2 Die Skala 2: Der Vater als Ratgeber und Vorbild beruflicher und moralischer Fragen
4.2.3 Die Skala 3: Autonomieunterstützung und Akzeptanz
4.2.4 Die Skala 4: Wettbewerb und Konkurrenz im Bereich Leistung
4.2.5 Die Skala 5: Positive Marker der Vater-Kind-Beziehung
4.2.6 Die Skala 6: Negative Marker der Vater-Kind-Beziehung
4.3 Zusammenhänge zwischen den Skalen des Vater-Kind- Beziehungsfragebogens
4.4 Ergebnisse zur Beziehungs- und Kontaktgestaltung zwischen den Vätern und den Kindern
4.5 Unterschiede in der Vater-Kind-Beziehung vor dem Hintergrund der Lebenssituation der Kinder und der Kontaktgestaltung zwischen ihnen und ihren Vätern
4.6 „Young adults“ und „emerging adults“ – andere Lebensphase, andere Vater-Kind-Beziehung?
4.7 Ergebnisse zur „Intergenerational Stake Hypothese“
4.8 Väter und Söhne, Väter und Töchter
4.9 Der Einfluss einer Scheidung auf die Vater-Kind-Beziehung im Erwachsenenalter

5. Diskussion
5.1 Diskussion der Ergebnisse
5.1.1 Die Stichprobe
5.1.2 Die distinkten Funktionen der Väter – Ergebnisse der Kinder und ihrer Väter auf den 6 Vater-Kind-Beziehungsskalen
5.1.3 Die Vergleichskindergruppe ohne teilnehmende Väter
5.1.4 Die Kontakt- und Beziehungsgestaltung der Väter und Kinder
5.1.5 Das Konzept der „Emerging Adulthood“
5.1.6 Die „Intergenerational Stake Hypothese“ am Beispiel der Väter und ihrer Kinder
5.1.7 Der Einfluss einer Scheidung auf die Vater-Kind-Beziehung
5.1.8 Väter und Söhne, Väter und Töchter
5.1.9 Abschließende Bemerkung zu den dargestellten Ergebnissen
5.2 Methodenkritische Überlegungen
5.3 Forschungsausblick

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Die Vaterforschung ist eine vergleichsweise junge Forschungsrichtung, die sich erst seit etwa Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts etablieren konnte. Lange Zeit wurde vor allem die Rolle der Mutter für die Entwicklung des Kindes sowie die Bindung der Kinder zu ihren Müttern untersucht. Den Vätern wurde hingegen wenig Beachtung geschenkt. Inzwischen können die bedeutende Rolle des Vaters und seine distinkten Funktionen für die kindliche Entwicklung vor allem im Kleinkindalter bis hin in die Adoleszenz in der Forschung als belegt gelten. Allerdings, trotz eines erheblichen Anstiegs im Bereich der Vaterforschung, findet man nur wenige Forschungsarbeiten, die sich explizit mit der „normalen“ Beziehung von Vätern und ihren jungen erwachsenen Kindern befassen. Die vorliegende Arbeit versucht eine Antwort auf dieses Forschungsdefizit zu geben.

Ähnlich wie in der Vaterforschung entwickelte sich erst Ende des 20. Jahrhunderts ein intensiveres Interesse an der Gestaltung von Generationsbeziehungen im Erwachsenenalter. Seit den 80er Jahren steigt das Interesse an der Beziehung von Eltern und Kindern in dieser Lebensphase, was auch vor dem Hintergrund kultureller Entwicklungen zu verstehen ist. Gerade in Industrienationen ist die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten Jahren stark gestiegen. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes ist die Lebenserwartung eines weiblichen Neugeborenen allein innerhalb von 6 Jahren von 80,8 Jahren (laut Sterbetafel 1998/2000) auf 81,5 Jahre (laut Sterbetafel 2002/2004), bei männlichen von 74,8 Jahren auf 75,9 Jahre gestiegen. In manchen Familien leben noch drei oder vier Generationen gleichzeitig von den Urenkeln bis zu den Urgroßeltern und die gemeinsam verbrachte Lebenszeit der Eltern mit ihren Kindern ist so lang wie nie zuvor. Infolgedessen ist die verstärkte Forschung in diesem Gebiet weiterhin erstrebenswert, um das Miteinander der Generationen besser verstehen zu können. Entsprechend findet man einen Zuwachs an Forschungsarbeiten über die Beziehung von Eltern im mittleren Erwachsenenalter und ihren jungen erwachsenen Kindern. Aspekte wie gegenseitige Unterstützung, Nähe, Kontakthäufigkeit, Konflikt und Zufriedenheit mit der Beziehung werden hier untersucht.

Resultierend aus den vorhergehenden Überlegungen ist es daher das Ziel dieser Arbeit, mehr über die Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehung im Erwachsenenalter zu erfahren und auf diese Weise auch an die verstärkte Erforschung der Generations- beziehungen anzuschließen. Es werden Väter und junge erwachsene Kinder mit Hilfe eines dafür konstruierten Fragebogens hinsichtlich ihrer Beziehung getrennt voneinander befragt. Unter Berücksichtigung aktueller soziokultureller Entwicklungen und Konzepte sowie einer kritischen Auseinandersetzung mit klassischen Modellen zur Familienentwicklung werden Faktoren analysiert, die für die Beschaffenheit der Vater- Kind-Beziehung von Bedeutung sind. Dabei wird vor allem die gegenwärtige Lebensphase der Kinder in den Fokus gerückt.

Des Weiteren sollen Zusammenhänge zwischen soziodemographischen Daten und familiären Umständen wie beispielsweise der Scheidung der Eltern oder das Gründen einer eigenen Familie und verschiedenen Beziehungsvariablen der Vater-Kind-Beziehung untersucht werden.

Nicht zuletzt ist es ein zentrales Ziel dieser Arbeit, Aufschluss darüber zu geben, inwiefern die in der Forschung diskutierten distinkten Funktionen von Vätern für ihre Kinder auch für die Beziehung zwischen ihnen und ihren jungen erwachsenen Kindern Gültigkeit besitzen.

In Kapitel 2 wird zunächst ein Überblick über Väterbilder und -konzepte sowie über ihre Entwicklung in der Vaterforschung gegeben. Weiterhin werden die distinkten Funktionen der Väter für die Entwicklung ihrer Kinder erläutert und damit die Bedeutung der Väter für ihre Kinder aufgezeigt.

In einem nächsten Abschnitt des zweiten Kapitels werden die Lebensphasen, in der sich die jungen erwachsenen Kinder und ihre Väter befinden, hinsichtlich ihrer Aufgaben, Krisen und Veränderungen analysiert. Zudem wird auf Untersuchungen zur unterschiedlichen Wahrnehmung der Beziehung aus der Sicht zweier Generationen („Intergenerational-Stake-Hypothese“) eingegangen.

Der sich anschließende Abschnitt widmet sich der Darstellung von Forschungs- ergebnissen zur Beziehung zwischen Vätern und ihren erwachsenen Kindern. Diesem Abschnitt schließen sich die die Fragestellung und Hypothesen dieser Arbeit an.

Kapitel 3 beschreibt die vorliegende Stichprobe und gibt Aufschluss über die methodische Vorgehensweise dieser Untersuchung.

Die unter 4. dargestellten Ergebnisse zur Beziehung zwischen Vätern und ihren jungen erwachsenen Kindern werden im letzten Kapitel auch im Hinblick auf mögliche weitere Forschungstätigkeiten kritisch diskutiert. Eine Zusammenfassung findet sich am Ende der vorliegenden Arbeit

2. Theoretischer Hintergrund

2.1 Der Vater, geschichtlich-religiöser Mythos und Protagonist der modernen Forschung

Zu Beginn der theoretischen Betrachtung werden Väterbilder und - rollen in Geschichte sowie Religion und Psychologie erläutert. Weiterhin werden die Entwicklungen in der Vaterforschung bis in das 21. Jahrhundert erörtert und kulturelle Faktoren für Veränderungen im Vaterbild analysiert. Den Abschluss bildet ein Überblick über den gegenwärtigen Forschungstand.

2.1.1 „Väterbilder“ und „Väterrollen“ in Geschichte, Religion und Psychologie

Väterbilder finden sich vielfach und facettenreich in verschiedensten Bereichen. In der Religion fungiert der Gott des ersten Testaments als strafender und unbarmherziger Vater, der Gott des zweiten Testaments dagegen ist liebend und barmherzig. Abraham vereint gute und böse Seiten des Vaters, er ist der, der Sorge trägt und liebt, aber auch der, der bereit gewesen wäre, seinen eigenen Sohn Isaak zu opfern (Abramovitch, 1997). Das Bild des abwesenden Vaters zeigt sich in der Szene, in der Jesus am Kreuz um die Hilfe seines virtuellen Vaters, dem Gott-Vater, bittet und dieser ihn in der Stunde seines Sterbens nicht von seinem Leid befreit (Abramovitch, 1997).

Das Sinnbild des abwesenden, distanzierten Vaters und seiner Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung, betrachtet aus verschiedenen Perspektiven, findet sich nicht nur in der Religion, sondern vielmehr auch im Fokus psychologischer Ansätze und Forschung wieder (z.B. Franz, Lieberz, Schmitz & Schepank, 1999; Parke, 1996, Petri, 2002; Pleck & Pleck, 1997; Seiffge-Krenke, 2002, 2003; Thomas, 1980; Werneck, 1998). In der frühen Psychoanalyse beispielsweise wird die Vaterfigur als distanziert und peripher beschrieben. Seiner Funktion wird erst während der ödipalen Phase Bedeutung beigemessen, indem er den Trennungsprozess von Mutter und Kind fördert. Er wird damit einerseits zur Quelle von Frustration, andererseits ebnet er den Weg für eine gelungene Kindesentwicklung, indem er eine zu enge Beziehung zwischen Mutter und Kind unterbindet (Shulman & Seiffge-Krenke, 1997).

Aus entwicklungspsychologischer Sicht stellte der Vater lange Zeit lediglich eine zusätzliche Bindungsfigur dar, die Mutter blieb jedoch immer die wichtigste Bindungs- person für das Kind (Bowlby, 1969).

Betrachtet man die Vaterrolle im geschichtlichen Kontext, so hat sich diese im Zuge gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen seit dem 18. Jahrhundert stark verändert. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts prägte Ignoranz das Verhalten der Väter vor allem gegenüber ihren Kleinkindern (Seiffge-Krenke, 2004), möglicherweise aufgrund der hohen Kindersterblichkeit im frühen Kindesalter. Gleichzeitig aber bot der Vater als Familienoberhaupt Schutz und Sicherheit für die Familie (Seiffge-Krenke, 2004). Die Rolle des Vaters zu dieser Zeit wird häufig als Patriarchat beschrieben. Frauen und Kinder unterwarfen sich der Autorität des Mannes (Fthenakis, 1999). Ab etwa 1830 veränderte sich die Rolle des Vaters. War er vorher durch fehlende Trennung von Familie und Arbeitsplatz aufgrund der in dieser Zeit dominierenden landwirtschaftlichen Familienhöfe stärker in das Familienleben eingebunden, wurde er immer mehr zum so genannten

„distant breadwinner“ (Pleck & Pleck, 1997). Es deutete sich nach und nach eine geschlechterspezifische Aufgabenteilung an, in der vor allem in der Mittelschicht die Mütter für die Belange der Kinder aufkamen, während dem Vater die Rolle des Ernährers an einem außerhäusigen Arbeitsplatz zugetragen wurde. Seine Autorität bestand zu dieser Zeit vorwiegend in materieller Hinsicht (Fthenakis, 1999).

Ende des 19. Jahrhunderts wurde vermehrt der Ruf nach väterlichem Engagement und „involvement“ innerhalb der Familie laut (Fthenakis, 1999). Pleck und Pleck (1997) benennen für diese Phase das Bild des „Dads“, der mit den Kindern Ausflüge und andere Aktivitäten unternimmt und das familiäre Zusammenleben damit trägt und fördert. Ein Idealbild, welches dem von heute überraschend ähnlich zu sein scheint. An diese Überlegung schließt sich LaRossa (1997) an, der in seinem Buch „The Modernization of Fatherhood“ darauf hinweist, dass Merkmale, die heute mit Vaterschaft in Verbindung gesetzt werden, bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Geschichte zu finden sind.

Zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges kam dem Vater wieder verstärkt die Rolle des Beschützers und Versorgers sowie die Funktion als Disziplinierungsperson zu (Fthenakis, 1999).

Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Forderungen an Vaterschaft ähneln einerseits dem von Pleck und Pleck (1997) beschriebenen Bild von Vaterschaft Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, andererseits stellen sie aber auch eine wesentliche Veränderung im Vaterbild dar. Die so genannten „Neuen Väter“ sind auf den ersten Blicks den „Dads“ ähnlich, bekommen aber darüber hinaus eine Position als „Co-Parent“ eingeräumt, womit eine gleichberechtigte Stellung und Bedeutung innerhalb der Kindererziehung über das erhöhte Engagement hinaus gemeint ist (Pleck & Pleck, 1997). Die „Neuen Väter“ als Vaterideal von heute sind aktiv, ansprechbar und involviert in das Alltags- und Gefühlsleben ihrer Kinder sowie ihrer Partnerin, und plädieren für eine egalitäre Aufgabenteilung in der Familie (Fthenakis, 1999; Seiffge-Krenke, 2004; Werneck, 1998).

Was aber ist tatsächlich dran an den so genannten „Neuen Vätern“, auf deren Suche sich Werneck (1998) in Bezug auf den Übergang zur Elternschaft in Form einer Längsschnittstudie begab? Von den vor der Geburt ausgemachten „neuen Vätern“, die 13% der Gesamtgruppe der Väter ausmachten, waren drei Monate nach der Geburt des Kindes lediglich die Hälfte – nämlich 7% der Gesamtgruppe – übrig. Seiffge-Krenke (2004) zieht folglich das Fazit, dass sich das Idealbild der „Neuen Väter“ zumindest in Familien im frühen Stadium nicht bestätigen lässt.

Wie aber stellt sich die Rolle des Vaters erwachsener Kinder – dessen Generation altersgemäß weit vor der der vermeintlich „Neuen Väter“ angesiedelt ist – heute dar? Was wird von ihm erwartet, und wie zufrieden sind die erwachsenen Kinder mit seiner Rolle in ihrem Leben? Wie lässt sich die „verantwortungsvolle Vaterschaft“ (responsible fathering), um im Sprachgebrauch von Doherty, Kouneski und Erickson (1998) zu bleiben, in dieser Lebensspanne beschreiben? Das Bild des „good enough fathers“, welches Abramovitch (1997) zusammenfassend beschreibt, bietet sich möglicherweise als Annäherung zur Beschreibung eines „idealen“ Vaters an, der auch die Bedürfnisse der Kinder im Erwachsenenalter bedient. Danach ist der „ausreichend gute“ Vater nah, aber nicht zu nah, stark, aber nicht zu stark, beschützend, aber nicht einschränkend oder erdrückend.

2.1.2 Die Phasen der Vaterforschung

Auch innerhalb der Vaterforschung, die seit etwa Mitte der siebziger Jahre betrieben wird und in den letzten Jahren stetig zugenommen hat, vollzog sich ein Wandel, der in 3 Phasen eingeteilt werden kann (Seiffge-Krenke, 2001, 2002, 2003, 2004).

In der ersten Phase der Vaterforschung wurden vor allem die Abwesenheit und der periphere Status des Vaters in den Vordergrund gestellt. Die Argumentation fußte dabei auf der geringeren Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, und unterstellte ihm geringere Involviertheit in familiären Angelegenheiten (Seiffge-Krenke, 2003).

Die zweite Phase konzentrierte sich auf die Ähnlichkeit des Vaters mit der Mutter.

Das Verhalten des Vaters wurde an dem der Mutter gemessen. Im Ergebnis entstand dadurch ein Defizitmodell über Vaterschaft, das sich, wie bereits beschrieben, auch dadurch ausdrückte, dass Vätern, wenn überhaupt, eine sekundäre Rolle für die Bindung des Kindes zugesprochen wurde (Seiffge-Krenke, 2002).

Während also die ersten beiden Phasen das Bild von Vätern hinsichtlich ihres Einflusses auf die Kindesentwicklung als eher defizitär beschreiben, verfolgt die dritte Phase einen völlig anderen Ansatz. Hier steht nicht mehr der Vergleich mit der Mutter im Vordergrund, sondern gerade die Verschiedenheit wird betont und auf die wichtigen distinkten Funktionen von Vätern für die Entwicklung ihrer Kinder hingewiesen (Seiffge- Krenke, 2002). Allerdings standen hier zunächst vor allem die eher schädlichen Funktionen des Vaters im Vordergrund. (Seiffge-Krenke, 2002). Inzwischen findet man vermehrt Untersuchungen, die die wichtigen positiven und vor allem distinkten Funktionen von Vätern für ihre Kinder darstellen. Diese werden in Abschnitt 2.2 näher erläutert.

Ergänzend zur Einteilung der Vaterforschung in drei Phasen, lässt sich die Einteilung von Werneck (1998) in vier Phasen darstellen. Vor allem Studien zur Vaterabwesenheit dominieren danach die erste Phase der Vaterforschung, während in Phase 2 entsprechend der Motivation, den Vater mit der Mutter zu vergleichen, vor allem Untersuchungen durchgeführt wurden, die methodisch an die der Mütter angelehnt waren. In Phase 3 und 4 entwickelte sich mehr und mehr ein Ansatz, der ausgehend von einer eher systemisch angelegten Orientierung die Einbeziehung gesellschaftlicher Entwicklungen und Bedingungen im Fokus hatte (Werneck, 1998; Fthenakis, 2001).

2.1.3 Soziokulturelle Entwicklungen und ihr Einfluss auf die Vaterrolle – Konzepte von Vaterschaft heute

Aus den vorhergehenden Abschnitten wurde deutlich, dass Erwartungen an die Vaterrolle einem starken Wandel unterliegen, der von sozialen und kulturellen Faktoren beeinflusst wird. Cabrera, Tamis-LeMonda, Bradley, Hoffert und Lamb (2000) diskutieren in ihrem Artikel „Fatherhood in the Twenty-First Century“ Hintergründe für die veränderten Rollenbilder von Vätern. Sie greifen dabei die weiter oben skizzierte Darstellung von Pleck und Pleck (1997) über die Entwicklung des Vaters vom Patriarchat zum „Co-Parent“ auf. Als Hintergrund für Veränderungen hinsichtlich der Vaterrolle nennen sie dominante Entwicklungen in den USA, die sich auch auf Deutschland übertragen lassen, wie beispielsweise die gestiegene Berufstätigkeit der Frauen, der Anstieg von Einelternfamilien und die damit gestiegene Abwesenheit der Väter in diesen Familien, bei gleichzeitig höherem Engagement derselben in intakten Familien.

Cabrera et al. (2000) weisen auf die dadurch entstandene Verschiedenartigkeit von Familien sowie auf daraus resultierende unterschiedliche Erwartungen an die Väter hin.

Möglicherweise ist es ähnlich wie LaRossa (1997) zu bedenken gibt, nämlich dass die Entstehung von moderner Vaterschaft nicht bedeutet, dass die „alten“ Vaterbilder nicht mehr existieren und gelebt werden. Es bestehen vielmehr mehrere Konzepte von Vaterschaft nebeneinander.

Dies hat interessante Implikationen für die Stichprobe der Väter dieser Untersuchung zur Folge. Die entsprechend älteren Väter der erwachsenen Kinder sind möglicherweise weniger als die jungen Väter heute vom Vaterideal der „Neuen Väter“ geprägt. Konform mit anderen bereits genannten Autoren geben Doherty et al. (1998) zu bedenken, dass Vaterschaft immer auch eine soziale Konstruktion der Gesellschaft ist, in der wir leben, und stark von unterschiedlichen, auch familiären, Kontextfaktoren abhängt, zum Beispiel in starkem Ausmaß von der ehelichen Zufriedenheit der Väter und Mütter (Cabrera et al., 2000; Parke, 1996; Parke & Brott, 1999). Auch der Einfluss von Arbeitszeiten der Mutter und des Vaters (Brayfield, 1995) sowie die Umstände und Erwartungen am Arbeitsplatz (Parke, 1999) spielen eine Rolle für die Gestaltung der Vaterschaft.

Bei der folgenden Darstellung von Vaterkonzepten der Gegenwart sollte daher nicht in Vergessenheit geraten, dass Idealbilder und Konzepte von Vaterschaft nicht mit den realen Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft gleichzusetzen sind. Schließlich ist kultur- und gesellschaftsstrukturell bedingt eher von einer Vielfalt von Vaterrollen und Konzepten, als von einer einheitlichen Form der Vaterschaft auszugehen (Parke, 1996). Die Konzepte von Vaterschaft, die an dieser Stelle vorgestellt werden, bilden somit lediglich eine Auswahl der multiplen Ansätze in der Forschung und wurden im Hinblick auf die Fragestellung der Untersuchung ausgewählt.

Fthenakis (1999) und Fthenakis und Minsel (2002) geben einen Überblick über bestehende Vaterschaftskonzepte. Sie verweisen dabei auf die Entwicklung innerhalb dieser Konzeptionen hin zu differenzierteren und umfassenderen Ansätzen (Fthenakis, 1999). Von besonderer Bedeutung ist laut Fthenakis (1999) das Konzept der

„Generativität“. Vaterschaft wird hier entwicklungsbezogen und über Generationen hinweg betrachtet. Ein Fokus liegt dabei auf der sich weiterentwickelnden Beziehung von Vätern und ihren Kindern und dem Bestreben der Väter, die entwicklungsbedingten Bedürfnisse ihrer Kinder zu bedienen (Fthenakis, 1999).

In einer Längsschnittstudie von Fthenakis und Minsel (2002) wurden Väter und ihre jugendlichen Kinder nach ihren Konzepten von Vaterschaft befragt (siehe dazu Tabelle 2.1): Aus Sicht der 333 befragten Väter ist vor allem die so genannte Brotverdienerfunktion in gleichem Ausmaß wie die soziale Funktion (z.B. „Offen sein für die Anliegen des Kindes“) von Bedeutung. Am wenigsten wichtig finden die Väter den Karriereverzicht zugunsten des Kindes. Bezüglich der Brotverdienerfunktion und des Karriereverzichts zeigen sich keine signifikanten Mittelwertunterschiede zwischen den Jugendlichen und ihren Vätern im Vaterschaftskonzept. Allerdings halten sie die soziale und instrumentelle Funktion (z.B. „dem Kind Wissen vermitteln“) für weniger wichtig als die Väter, was auch mit der Ablösung vom Elternhaus in dieser Lebensphase im Zusammenhang stehen dürfte (Fthenakis & Minsel, 2002).

Tabelle 2.1: Mittelwerte auf den vier Facetten des Vaterschaftskonzept aus der Sicht von Jugendlichen und Vätern auf einer Skala von 1-5* (nach Fthenakis und Minsel, 2002)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

* Endpunkt 1der Skala: „Das braucht ein Vater nicht zu tun“ Endpunkt 5 der Skala; „Das muss ein Vater unbedingt tun“

**ungenaue Angaben

Allerdings wurden in dieser Längsschnittstudie die Vaterschaftskonzepte junger Erwachsener nicht erfasst. Die Frage, wie junge Erwachsene ihre Beziehung zum Vater erleben und inwiefern soziale Funktionen ein paar Jahre später eine Rolle spielen, ist für diese Arbeit deshalb von besonderem Interesse.

2.1.4 Die Vaterforschung in den letzten Jahren – ein Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand

Im letzten Jahrzehnt konnte die Vaterforschung einen deutlichen Zuwachs verzeichnen (Seiffge-Krenke, 2004). Auf die Bedeutung der Väter für die Entwicklung ihrer Kinder und ihrer distinkten Funktionen wird in vielen Forschungsarbeiten hingewiesen (Cabrera et al., 2000; Kindler, 2000; Fthenakis, 1999; Lamb, 1997, Parke, 1995, 1996, 1999; Seiffge-Krenke, 2001,2002, 2003, 2004; Shulman & Seiffge-Krenke, 1997; Werneck, 1998), die bereits Erwähnung fanden oder noch finden werden. Hierbei liegt der Fokus laut Seiffge-Krenke (2004) in jüngster Zeit auf den positiven Auswirkungen für die Kinder, wobei nach wie vor Untersuchungen über pathologische Beziehungen zu Vätern überwiegen. Es gibt daher bisher noch zu wenige Erkenntnisse über normale Vater-Kind-Beziehungen (Seiffge-Krenke, 2004), welche Gegenstand dieser Arbeit sind. Marsiglio, Amato, Day und Lamb (2000) regen daher an, zukünftig mehr Forschung in diesem Bereich zu betreiben.

Aktuelle Forschungsarbeiten bezüglich der Rolle des Vaters reichen von der Untersuchung von Vätern im familiären Kontext über die bereits dargestellte Diskussion über die „Neuen Väter“ und dem „Übergang zur Vaterschaft“ (Fthenakis & Minsel, 2002; Parke, 1996; Werneck, 1998). Neben der stark untersuchten Vaterabwesenheit (Franz, Lieberz, Schmitz, & Schepank, 1999; Petri, 2002; Radebold, 2000) wendet sich die Forschung dem gesellschaftlichen Kontext entsprechend auch vermehrt der Vater Kind- Beziehungen nach Scheidungen zu (Arditty & Prouty, 1999; Hetherington & Stanley- Hagan, 1997; Parke, 1996; Shapiro & Lambert, 1999). Des Weiteren findet man Untersuchungen zu früher und später Vaterschaft (Fthenakis, 1999; Parke, 1996, Marsiglio & Cohan, 1997), um nur einige der verschiedenen Forschungsfelder zu nennen. Ein großer Teil der Studien befasst sich zudem mit dem „well-being“ der Kinder im Zusammenhang mit der Beziehung zum Vater (Marsiglio et al., 2000).

Es lässt sich demzufolge festhalten, dass der Vaterforschung gegenwärtig ein wesentlich breiterer und stärker kontextbezogener Zugang zu Grunde liegt (Lamb, 1997).

Innerhalb der Vater-Kind-Forschung ist man des Weiteren dazu übergegangen, die Beziehung über das Kleinkindalter hinaus in den verschiedenen Alterstufen der Kinder zu untersuchen. So beinhaltet beispielsweise die Veröffentlichung Lamb (1997) verschiedene Kapitel, die die Vater-Kind-Beziehung vom Kleinkind bis zum Jugendlichen untersuchen. Allerdings machen Untersuchungen zur Vater-Kind-Beziehung im Jugendalter (Brotherson, Yamato & Acock, 2003; Shulman & Seiffge-Krenke ,1997) noch immer einen kleinen Anteil der Vaterforschung aus (Shulman & Seiffge-Krenke, 1997), und auch der Mangel an Längsschnittstudien wird kritisiert (Fthenakis & Minsel, 2000; Kindler, 2002; Seiffge-Krenke, 2004), wie man sie beispielsweise bei Werneck (1998), aber auch Kindler (2002) oder Fthnekais und Minsel (2002) findet.

Auffallend ist, dass bei Darstellungen zum Stand der Vaterforschung Hinweise auf die Beziehung von Vätern und ihren erwachsenen Kindern fehlen. Zwar gibt es in den Studien zu Eltern und ihren erwachsenen Kindern, wie sie auch in dieser Arbeit vorgestellt werden, immer wieder Hinweise auf die Vater-Kind-Dyade (z. B. Buhl, 2000; Buhl, Wittmann & Noack, 2003; Cooney, 1994; Graf, Knotte & Walter, 2000). Studien, die sich jedoch ausschließlich dieser Beziehung widmen, sind deutlich unterrepräsentiert. Ziel dieser Arbeit ist es gerade aufgrund dieses Defizits, neue und umfassendere Erkenntnisse über die Vater-Kind-Beziehung zu erlangen. Infolgedessen soll diese Arbeit ganz im Sinne von Marsiglio et al. (2000) der normalen Beziehung von Vätern und ihren jungen erwachsenen Kindern Raum geben.

2.2 Der distinkte Beitrag der Väter für die Entwicklung ihrer Kinder

Der sich anschließende Abschnitt verdeutlicht die Rolle der Väter für die Entwicklung ihrer Kinder, indem die prominenten distinkten Funktionen von Vätern für ihre Kinder dargestellt werden, die unter anderem durch die Metaanalysen von Siegal (1987) und Russel und Saebel (1997) verdeutlicht wurden. Ihre Gültigkeit für die Vater- Kind-Beziehung im Erwachsenenalter soll anhand der Stichprobe dieser Arbeit überprüft werden. Es interessiert also vor allem die Frage, welche der in diesem Abschnitt beschriebenen Funktionen auch noch im späteren Leben der Kinder und Väter von Bedeutung sind.

2.2.1 Bindung und Exploration

Während Bowlby (1969) den Vätern als Bindungsfigur eine periphere Rolle einräumte und die Mutter als wichtigste Bindungsfigur proklamierte, stellen inzwischen viele Forscher diese strikte Bindungshierarchie in Frage und verweisen auf die Verschie- denheit von Vätern und Müttern in bindungsrelevanten Situationen (Seiffge-Krenke, 2004; Lamb, 1997; Werneck, 1998), die jedoch nicht mit unterschiedlicher Wertigkeit gleichzusetzen ist. Bowlby (1988) selbst löst in seinem Buch „A secure base: Parent - child- attachment und healthy human development“ die ausschließliche Fokussierung auf die Mutter auf und räumt ein, dass Väter – wenn dies seiner Ansicht nach auch seltener der Fall ist – die Rolle der Mutter übernehmen können. Werneck (1998) sieht die Entwicklung in der Bindungsforschung hin zu einer Eltern-Kind-Triade als eine der bedeutendsten Vorraussetzung für die gegenwärtige Vaterforschung.

Seiffge-Krenke (2004, S.202) bezeichnet die Bindung von Kindern und ihren Vätern als eine „etwas andere Bindung“. Sie bezieht sich dabei auf die Reaktionen der Väter im Fremde-Situationstest von Ainsworth, Blehar, Waters und Wall (1978)[1] und einer davon abgewandelten Version von Kitzling, Simoni und Bürgin (1999). Die Väter unterstützten ihre Kinder dabei in der Exploration, die nach Bowlby (1969, 1988) unmittelbar zur Bindung gehört. Seiffge-Krenke (2004) hebt entsprechend die Feinfühligkeit der Väter in Spiel und Exploration hervor. Sie zieht schließlich den Schluss, dass die Feinfühligkeit der Mutter in angstauslösenden Situationen und die Feinfühligkeit des Vaters für Neuerkundungen und Spiel das Bindungsverhalten des Kindes entscheidend prägen, ihm eine sichere Basis – a secure base (Bowlby, 1988) – bieten und ihm zum Aufbau sicherer Bindungsmuster verhelfen.

In Bezug auf die erwachsenen Kinder der Stichprobe dieser Arbeit ist es von Bedeutung, dass Bindungsverhalten nicht nur Kindern vorbehalten ist (Bowlby, 1988). Van Wel, ter Bogt und Raijmakers (2002) konnten zeigen, dass die Bindung zu den Eltern das Wohlbefinden der Kinder auch noch während des Erwachsenenalters stärkt.

Es gilt also zu klären, inwiefern Väter ihre erwachsenen Kinder weiterhin bei der Erprobung von Neuem unterstützen oder ihnen möglicherweise in bindungsrelevanten Situationen Schutz und Sicherheit vermitteln können. Erste Hinweise liefert die Querschnittstudie von Markiewicz, Lawford, Doyle und Haggart (2006), die 682 Jugendliche und junge Erwachsene danach befragten, wen sie in verschiedenen bindungsrelevanten Situationen aufsuchen und welche Funktionen diese Personen dann erfüllen. Im Vergleich zu den Müttern und den Peers, wird der Vater von den Kindern am wenigsten aufgesucht. Dennoch, die Befunde decken sich mit dem oben beschriebenen Ansatz, dass auch Väter wichtige Bindungsfunktionen erfüllen, vor allem, wenn es um die Ermutigung zur Exploration der Umwelt geht. Wenn die Stichprobe der Kinder aus der Untersuchung von Markiewicz, Lawford, Doyle und Haggart (2006) den Vater als eine bindungsrelevante Person auswählten, dann war seine Funktion vor allem die einer sicheren Basis, von der aus die Kinder die Welt explorieren und Neues ausprobieren konnten

2.2.2 Die Interaktionen von Vätern und Kindern im Spiel

Väter gehen anders mit ihren Kindern um als Mütter. Besonders deutlich wird das in der Interaktion während des Spiels (Lamb, 1997). Väter neigen dazu, die Kinder im Spiel akustisch und visuell zu stimulieren – jedoch mit dem nötigen Feingefühl und ohne die Kinder zu überstimulieren (Lamb, 1997; Seiffge-Krenke, 2004). Ihr Spiel ist im Gesamten wilder (Seiffge-Krenke, 2003), während die Mütter mit den Kindern engen Körperkontakt halten und mehr in pflegerischer und sanfter Weise mit den Kindern umgehen (Lamb, 1997; Seiffge-Krenke 2004). Väter fördern die motorischen Fähigkeiten ihrer Kinder, indem sie mit ihnen Aktivitäten wie Fahrradfahren, Klettern, Fußballspielen unternehmen (Seiffge-Krenke, 2002).

Die Bedeutung des Vaters für die körperliche Entwicklung wird durch die Metaanalysen von Siegal (1987) sowie Russel und Saebel (1997) belegt. Der Fokus des Vaters auf spielerische und motorische Aktivitäten im Vergleich zur Mutter wurde in verschiedenen Untersuchungen und Übersichtsarbeiten umfassend dargestellt (Kindler, 2002; Parke, 1995, 1996; Parke & Brott, 1999; Seiffge-Krenke, 2002; Yogman, 1981; Yogman, Kindlon, & Earls, 1995) und die Bedeutung des väterlichen Spiels für die soziale und geistige Entwicklung der Kinder aufgezeigt (Yogman, 1981).

Der Kontakt mit dem Vater ist aufregender, distanzierter, und die Kinder schätzen seine Andersartigkeit (Seiffge-Krenke, 2004). Diese Form der „feinfühligen Herausforderung“ hängt stark mit der Aufforderung zusammen, Neues zu entdecken (Seiffge-Krenke, 2004) und kann daher in Verbindung mit der oben dargestellten Anregung zur Exploration gesehen werden. Lamb (1997) zieht schließlich den Schluss, dass Mütter und Väter nicht nur einfach verschieden spielen, sondern dass das Spiel einen entscheidenden Teil der Vater-Kind-Beziehung darstellt.

2.2.3 Die Betonung des Geschlechts des Kindes durch den Vater

Rubin, Provenzano, und Luria (1974) konnte zeigen, dass Väter bereits kurz nach der Geburt ihre Kinder in Abhängigkeit vom Geschlecht anders beschreiben, nämlich Söhne als groß und stark, Mädchen eher als zart. Was bereits früh beginnt, setzt sich bis in das Kindes- und Jugendalter fort. Väter betonen mehr als Mütter das Geschlecht des Kindes und interagieren mit Söhnen anders als mit Töchtern (Lamb, 1997; Parke & Brott, 1999; Seiffge-Krenke, 2001, 2002, 2003, 2004; Werneck, 1998; Shulman & Seiffge-Krenke, 1997). Dies konnte auch Siegal (1987) anhand einer Metaanalyse, in die 39 Studien einbezogen wurden, vor allem in den Bereichen Disziplin, körperliche Aktivitäten und Spiel zeigen. Das Spiel mit der Tochter verläuft danach alles in allem etwas ruhiger und sanfter als das Spiel zwischen Vater und Sohn (Parke, 1999; Seiffge- Krenke 2001, 2003, 2004; Siegal, 1987). Väter erlauben ihren Söhnen mehr Unabhängigkeit und motivieren sie stärker, Neues auszuprobieren. Während Väter bei Söhnen mehr auf Disziplin und männliches Rollenverhalten achten sowie gemeinsame Interessen fördern, unterstützen Väter bei den Töchtern eher mädchenhaftes Verhalten und betonen die Unterschiede („daddy`s little girl“), während bei den Söhnen die Ähnlichkeit („der Sohn als Spiegel“) im Vordergrund steht (Seiffge-Krenke, 2001, 2002, 2003, 2004). Die Beziehung zum Sohn ist ambivalenter, gekennzeichnet durch Distanz einerseits und großem Engagement andererseits (Seiffge-Krenke, 2004). Die Beziehung von Vätern und Töchtern ist im Unterschied zur Vater-Sohn-Dyade durch mehr Nähe und Emotionalität und Intimität geprägt (Seiffge-Krenke, 2004). Die nötige Balance zwischen Nähe und Vertrautheit einerseits und der in der Phase der Adoleszenz nötigen Distanz andererseits wird nach Shulman und Seiffge-Krenke (1997) in der Regel durch den körperlichen Rückzug der Tochter vor dem Einsetzen der Geschlechtsreife dennoch gehalten.

Die bisherigen Forschungsergebnisse weisen demzufolge auf deutliche Unterschiede in der Beziehung von Vätern und Töchtern und Vätern und Söhnen hin, deren Replizierbarkeit im Erwachsenenalter anhand der vorliegenden Stichprobe untersucht werden soll.

2.2.4 Moralische und kognitive Entwicklung der Kinder

Werneck (1998) gibt im Rahmen seiner Längsschnittstudie einen Überblick über Studien, die sich mit dem Einfluss des Vaters auf die kognitive und moralische Entwicklung befassen. Seiner Ansicht nach legt die Befundlage eine große Bedeutung des Vaters für die moralische Reifung, die kognitive Entwicklung und intellektuelle Leistung des Kindes nahe, was laut Werneck (1998) auch durch Studien über die Vaterabwesenheit gezeigt werden konnte. Auch Snarey und Maier (1993) geben die Befundlage anhand verschiedener Studien wieder und weisen auf die Bedeutung der Väter für die positiven kognitiven Entwicklungen und Auswirkungen hin, die sich bis in das frühe Erwachsenen- alter in Bezug auf sozio-emotionale und kognitive Fähigkeiten aufzeigen lassen. Yogman et al. (1995) demonstrierten, dass gerade in Familien mit niedrigem sozio-ökonomischen Status ein hohes „Father-Involvement“ die kognitive Entwicklung der Kinder positiv beeinflussen kann. Dem schließen sich Parke und Brott (1999) in ihrer Beschreibung von Kindern involvierter und ansprechbarer Väter als emotional intelligent und intellektuell fähig an. Nach Parke und Brott (1999) ergaben Untersuchungen zu diesem Thema, dass die Väter kompetenter und erfolgreicher Töchter in deren Kindheit häufig sehr aktiv und involviert im Leben ihrer Kinder waren. Neben größerer emotionaler Intelligenz scheinen Kinder von sehr involvierten Vätern somit auf intellektuellem Niveau besser zu sein als andere (Parke & Brott, 1999; Snarey & Maier, 1993).

Der Einfluss der Väter auf die kognitive Entwicklung ihrer Kinder vollzieht sich auch über Fragen zur schulischen und beruflichen Ausbildung. So konnte Fthenakis (1999) in seinem Überblick über diverse Forschungsergebnisse zeigen, dass Jugendliche für bestimmte Themen lieber ihre Väter als Kommunikationspartner auswählten. So ist das Gespräch mit dem Vater eher an Problemlösungen sowie an der Planung beruflicher Schritte orientiert (Fthenakis, 1999).

2.2.5 Der Vater als Ratgeber und Repräsentant der Außenwelt

Die Funktion des Vaters als Ratgeber schließt sich an die vorhergehenden Ausführungen an. Der Vater bleibt auch während der Adoleszenz Ratgeber in Bezug auf schulische, berufliche und gesellschaftspolitische Fragen (Lamb, 1997; Seiffge-Krenke, 2001). Nach Parke (1995) übernimmt der Vater die Rolle des Lehrers und ist Repräsentant der Außenwelt. Der Vater dient als Vermittler von Erfahrungen und stellt aufgrund seiner Berufstätigkeit die Verbindung zu dieser äußeren Berufs- und Arbeitswelt dar (Seiffge- Krenke, 2004).

Im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung stellt sich damit die Frage, ob der Vater in seiner Rolle als Ratgeber für die Kinder weiterhin zur Verfügung steht, und wie möglicherweise die Lebenssituation des Kindes mit der weiteren Ausführung der Rolle des Ratgebers in Zusammenhang steht. Nydegger und Mitteness (1996) zeigen anhand von Daten eine Stichprobe, die bereits 1991 im Rahmen einer Befragung von Vätern, Töchtern und Söhnen (genaue Darstellung siehe Abschnitt 2.4.4) erhoben wurde, dass Väter von Kindern im frühen Erwachsenenalter sich selbst weiterhin als Ratgeber und weniger als gleichberechtigte Partner gegenüber ihren Kindern sehen. Dies deckt sich mit Ergebnissen von Buhl et al. (2003), die hinsichtlich der Beziehung zum Vater bei Studentinnen noch stärkere kindliche Rollenmuster fanden als in der Beziehung zur Mutter, und der Vater zudem häufig als Ratgeber fungiert3 (siehe dazu auch Abschnitt 2.4.2)

2.2.6 Autonomieunterstützung und Identitätsfindung

Gerade in der Adoleszenz und gegebenenfalls auch noch im frühen Erwachsenenalter tragen die Väter wesentlich zum Ablösungsprozess und zur Identitätsbildung ihrer Kinder bei (Fthenakis, 1999; Lamb, 1997). Dies zeigte auch die Metaanalyse von Siegal (1987), wonach die Väter die Unabhängigkeit ihrer Kinder stärken. Auch Cabrera et al. (2000) merken an, dass Väter, anders als die Mütter, ihre Kinder zu mehr Unabhängigkeit motivieren. Shulman und Seiffge-Krenke (1997) stellten in ihrem Buch „Fathers and adolescents“ die Bedeutung der Väter für den Ablöseprozess der Jugendlichen dar. Sie zeigten in ihrer Vergleichsstudie über deutsche und israelische Jugendliche und ihre Väter, dass diese im Vergleich zu den untersuchten Müttern ihren Kindern wesentlich früher größerer Unabhängigkeit zusprachen. Väter stellen für ihre Kinder durch den eher distanzierten und weniger intimen Kontakt ein gutes Vorbild im Abgrenzungsprozess dar, und die Jugendlichen fühlen sich in dieser Phase von ihren Vätern unterstützt (Shulman & Seiffge-Krenke, 1997). Diese geben ihnen den nötigen Raum für die Ablösung von den Eltern, hin zu mehr Autonomie (Shulman & Seiffge- Krenke, 1997; Seiffge-Krenke, 2004). Es liegt daher nahe, dass diese Funktion auch im frühen Erwachsenenalter, gerade bei der Etablierung eines eigenständigen Lebens in wesentlichen Bereichen wie Familie und Beruf von großer Bedeutung ist.

In Anbetracht der multiplen und vor allem distinkten Funktionen der Väter gibt es augenscheinlich keinen Zweifel an deren Bedeutung im Entwicklungsprozess ihrer Kinder. Zudem scheint das Engagement der Väter mit positiven Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten junger Erwachsener einherzugehen. Wie Seiffge-Krenke (2004) mit Verweis auf neuere Studien bemerkt, gibt es ferner keinen Zweifel daran, dass Väter darüber hinaus, wenn dies von Ihnen verlangt wird, durchaus auch „mütterliche Funktionen“ übernehmen können -und umgekehrt.

Es geht nach Seiffge-Krenke (2004) vielmehr um die Frage nach dem distinkten Beitrag von Vätern und bezogen auf diese Diplomarbeit darum, welche dieser Funktionen auch im späteren Lebensverlauf weiterhin von Bedeutung sind und welche möglicherweise durch andere abgelöst werden.

2.3 Aspekte der Familienentwicklung und Merkmale verschiedener Lebensphasen im Generationsvergleich

Der sich anschließenden Abschnitt hat zum Ziel, die Vater-Kind-Dyade in den Kontext der Familienentwicklung einzubetten. Dies dient der Verdeutlichung des Rahmens, innerhalb dessen sich Generationsbeziehungen – und im konkreten Sinne die Vater-Kind-Dyade – einordnen lassen und berücksichtigt die Entwicklungsaufgaben und Krisen der jeweiligen Lebensphase der Väter und Kinder der vorliegenden Stichprobe.

2.3.1 Soziokulturelle Entwicklungen und ihr Einfluss auf die Generationsbeziehungen

Einige der gesellschaftlichen Faktoren der gegenwärtigen Zeit, wie beispielsweise verlängerte Ausbildungszeiten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen und die damit einhergehende längere finanzielle Abhängigkeit (Papastefanou & Buhl, 2002), der Rückgang der Geburtenrate, ein höheres Heiratsalter, die vermehrte Berufstätigkeit der Frauen, der Wunsch nach stärkerer Einbeziehung der Väter sowie vermehrte Scheidungen (Seiffge-Krenke, 2004), fanden bereits Erwähnung und werden auch die folgenden Abschnitte begleiten. Von besonderem Interesse für diese Arbeit sind dabei gesellschaftliche Faktoren, die sich auf das Zusammenleben der Erwachsenengenerationen beziehen.

Szydlik (2000) beschreibt in seiner umfangreichen deutschen Ost-West-Studie über Generationsbeziehungen den erheblichen Einfluss von Wohnentfernungen auf den innerfamiliären Kontakt. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund dieser Fragstellung von Interesse, da die Väter und Kinder in der vorliegenden Stichprobe nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt leben. Er weist daraufhin, dass, wenn Eltern und Kinder nah beieinander wohnen, erheblich mehr Möglichkeiten des Kontaktes und der gegenseitigen Hilfe entstehen und wahrgenommen werden. Dies ist von großer Bedeutung, da nach Daten des Alters-Survey von 1996 die geographischen Entfernungen der Wohnorte der Eltern und ihrer erwachsenen Kinder erstaunlicherweise gering sind (Szydlik, 2000, S. 89) und dies positive Implikationen für die gegenseitige Unterstützung zwischen den Generationen zulässt.

Auch Papastefanou (1997) zeigte in ihrer Untersuchung, dass etwa die Hälfte der ausgezogenen Kinder weiterhin in unmittelbarer Nähe der Eltern wohnen und der Kontakt regelmäßig ist und auch längerfristig erhalten bleibt. Szydlik (2000) verweist auf die häufig debattierte „Krise in der Familie“ und sieht die darüber geführte Diskussion eher skeptisch. Er kritisiert bei der Beschreibung des Zusammenlebens der Generationen den einseitigen Blick auf die Haushaltsstatistiken. Bertram (2000) weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass Haushalts- und Familienstrukturen nicht viel miteinander zu tun haben müssen und häufig ein falsches Bild entstehen lassen. Der Wandel der Haushalts- oder Wohnverhältnisse hin zur so genannten isolierten Kleinfamilie oder Singlehaushalten bedeutet nicht gleichermaßen den Wandel gelebter Beziehungen (Bertram, 2000).

An dieser Stelle muss nochmals auf die eingangs beschriebene Erhöhung des Lebensalters und der damit einhergehenden Veränderung der Bevölkerungsstruktur hingewiesen werden, die auch von Szydlik (2000) und Kinsella (1995) beschrieben wird. Diese Entwicklung führt gegenwärtig zu einer längeren gemeinsamen Lebenszeit der Generationen (Bertram, 2000; Schwarz, Trommsdorff, Albert & Mayer, 2005; Szydlik, 1995). Bertram (2000) und Szydlik (2000) eröffnen diesbezüglich eine interessante Sichtweise, die sich der Darstellung von Blieszner und Bedford (1995) sowie Hareven (1995) anschließt, indem sie darauf hinweisen, dass diese demographischen Entwicklungen es erst ermöglichen, dass das Idealbild der „guten alten Großfamilie“ – jedenfalls theoretisch – gelebt werden kann. Bertram (2000) prägt schließlich einen neuen Begriff für die Familienbeziehungen der heutigen Zeit. Er stellt nicht die Großfamilie gegen die isolierte Kleinfamilie, sondern führt eine neue Bezeichnung ein, die die Situation der Familien treffender umschreibt : die „multilokale Mehrgenerationenfamilie“ (Bertram, 2000, S. 118). Auch Bengtson (2001) verneint nicht den strukturellen Wandel innerhalb der Institution Familie aufgrund vermehrter Scheidungen und anderer gesellschaftlicher Entwicklungen, sieht jedoch ebenfalls keinen Rückgang der Bedeutung von Familie für ihre Mitglieder und stellt der vermeintlichen Krise Ressourcen, wie beispielsweise der Anstieg familiärer Bindungen innerhalb der Familienbeziehungen des 21. Jahrhunderts, gegenüber.

Zusammenfassend lässt sich schließlich formulieren, dass, wenngleich sich der gesellschaftliche Kontext von Familie gewandelt hat, sich dieser Wandel nicht in geringerer Solidarität und weniger engen Bindungen auszuwirken scheint. Dies bestätigen letztlich auch Ergebnisse der Studien über die Beziehungen von Eltern/Vätern und ihren erwachsenen Kindern, die unter 2.4 dargestellt werden. Diese zeigen zwar durchaus Einflüsse gesellschaftlicher Faktoren sowie familiärer Veränderungen, wie beispielsweise den negativen Einfluss einer Scheidung der Eltern auf die Beziehung zum Vater, lassen aber kaum Zweifel daran, dass zwischen den Generationen Solidarität gelebt wird. Dies wird auch durch die Studien von Szydlik (2000) und die Darstellung eigener Studienergebnisse von Bertram (2000) unterstrichen. Bertram (2000) spricht darüber hinaus von einer Intimität zwischen Eltern und ihren Kindern, die erst durch die Distanz, die sich durch getrennte Haushalte einstellt, gelebt werden kann.

Die Vater-Kind-Dyade muss demzufolge als eine Beziehung verstanden werden, die sich in einem familiären Gefüge von stärkerer gesellschaftlicher Individualisierung einerseits (Seiffge-Krenke, 2004) und großer emotionaler Verbundenheit (Szydlik, 2000; Bertram, 2000) und Aufgeladenheit (Seiffge-Krenke, 2004) andererseits bewegt.

2.3.2 Das frühe Erwachsenenalter

Um Familienbeziehungen zu analysieren, sollten Veränderungen der Lebensphasen und damit verbundenen Rollen der Familienmitglieder einbezogen werden, womit den Anforderungen des Ansatzes einer „life-course-perspective“ entsprochen wird (Bengtson & Allen, 1993). Dieser Abschnitt widmet sich entsprechend dem frühen Erwachsenenalter. Dieses wird formal im Altersbereich von 18-29 Jahren (Krampen & Reichle, 2002) oder auch zwischen 18 und 40 Jahren (Papastefanou & Buhl, 2002) angesiedelt. Generell bleibt jedoch die Altergrenze allein schon aufgrund kultureller Unterschiede und gesellschaft- licher Veränderungen ungenau (Krampen & Reichle, 2002), was sich auch anhand der weiten Altersspanne abbildet. Nach Papastefanou und Buhl (2002) sollte zwischen der psychischen und ökonomischen Entwicklung der jungen Erwachsenen unterschieden werden, wobei sich letztere häufig später einstellt und die jungen Erwachsenen länger als in den Jahren davor finanziell von den Eltern abhängig sind.

2.3.2.1 Entwicklungsaufgaben des frühen Erwachsenenalters

Trotz der gegenwärtigen Ausrichtung der Entwicklungspsychologie auf die gesamte Lebensspanne berichten Krampen und Reichle (2002) von einem Defizit an Forschungsarbeiten zum frühen Erwachsenenalter. Nach Krampen und Reichle (2002) stehen in den wenigen Studien, vor allem die Übergangsphasen und Ablösungsprozesse bei den jungen Erwachsenen im Vordergrund, die im Folgenden betrachtet werden sollen.

Nach seinem Konzept der „psychosozialen Krisen“ stehen sich nach Erikson (1966, 1998) im frühen Erwachsenenalter Intimität versus Isolation als Antithese gegenüber (siehe Tabelle 2.2). Das erstrebenswerte Ziel der Intimität mit einem Partner steht dabei im Gegensatz zur Gefahr der Isolation (Erikson, 1966, 1998). Erikson (1998) weist daraufhin, dass jeder Schritt im Ablauf der insgesamt acht Phasen im menschlichen Lebenslauf auf den davor liegenden aufbaut, die nächsten Schritte bestimmt und so Bedeutung für die Überwindung der folgenden Krisen hat (Erikson, 1998). Die Identitätsbildung im Jugendalter ist somit die Grundlage für die Erreichung von Intimität mit einem Partner im frühen Erwachsenenalter (Erikson, 1966). Gelingt es nicht, eine eigene Identität mit nötiger und reifer Distanzierung von dem, was dem eigenen Wesen schadet, aufzubauen, kann es nach Erikson (1966, S. 115) nur schwer zu einer „wahren Zweiheit“ mit einem Partner kommen. Nach Erikson (1966) wird sich der junge Erwachsene infolgedessen isolieren oder formale und weniger tiefe und kameradschaftliche Beziehungen führen.

Eine zusammenfassende Darstellung seines Modells findet sich bei Ryff und Seltzer (1995). Die Autoren beschreiben darin, entsprechend der Gegenüberstellung von Intimität und Isolation als psychosozialer Krise, die von Erikson (1966, 1968) postulierten Übergänge in das Erwachsenenalter. Aufgeführt werden dabei der Aufbau einer beruflichen Karriere, die Partnersuche und schließlich die Familiengründung.

Tabelle 2.2: Psychosoziale Krisen im Erwachsenenalter (nach Erikson, 1998)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es zeigt sich eine gute Passung mit dem Modell der Entwicklungsaufgaben nach Havighurst (1952), der ähnlich wie Erikson der Phase des frühen Erwachsenenalters bestimmte Aufgaben – insgesamt acht – wie Partnerwahl, Eheschließung, Familien- gründung, Aufziehen der Kinder, Berufseinstieg und soziale Integration zuordnet.

Havighurst (1952) geht in seinem Modell davon aus, dass sich lebensalterspezifische Entwicklungsaufgaben aus drei Quellen ergeben, nämlich aus den Bereichen biologische Reifung, kulturelle Normen und individuelle Wertvorstellungen, deren Anforderungen integriert werden müssen. Dabei finden sich hinsichtlich verschiedener Aufgaben, die er als wiederkehrende Aufgaben – unter Abgrenzung von einmaligen Aufgaben – bezeichnet, Vernetzung zwischen den insgesamt acht Phasen mit ihren entsprechenden Entwicklungsaufgaben. Zu nennen sind hier beispielsweise der Aufbau einer Partnerschaft oder aber das Finden einer altersgemäßen sozialen Gruppe, die Havighurst (1952) als lebenslange Aufgaben darstellt. Auch Havighurst (1952) geht demzufolge davon aus, dass die erfolgreiche Bewältigung oder aber die Nichtbewältigung einer altersspezifischen Entwicklungsaufgabe die Überwindung der nächsten Stufe positiv oder negativ beeinflusst. Die erfolgreiche Lösung einer Entwicklungsaufgabe macht das Individuum laut Havighurst (1952) glücklich und ist entscheidend für die Bewältigung der nächsten Stufe. Dass Scheitern an einer Entwicklungsaufgabe hingegen macht den Menschen unglücklich, und er erntet gesellschaftliche Missachtung (Havighurst, 1952).

Zwar werden die oben beschriebenen Stufenmodelle in der Fachliteratur nach wie vor herangezogen und umschreiben zentrale Entwicklungsthemen (Krampen & Reichle, 2002). Allerdings scheint die stark normative Ausrichtung aufgrund der individualisierten Lebensläufe nicht mehr ganz zeitgemäß (Krampen & Reichle, 2002). Papastefanou und Buhl (2002) machen auf eine „Destandardisierung“ der Lebensläufe der jungen Menschen aufmerksam. Sie berichten, dass die normative Reihenfolge wie Schulabschluss, Beruf, Heirat, Familie nur noch von etwa der Hälfte der jungen Erwachsenen in dieser Abfolge durchschritten wird. Vielmehr werden diese Übergänge und Aufgaben in anderer Reihenfolge und zu anderen Zeitpunkten in Angriff genommen und sind mehr heterogen als homogen (Papastefanou & Buhl, 2002; Krampen und Reichle, 2002).

Dies schließt sich den Ausführungen Marinis (1984) an, der bereits vor 20 Jahren davor warnte, sich zu sehr auf normative Erklärungen zu stützen. Zudem werden normative Kriterien zum Übergang und zur Markierung des Erwachsenenalters von den jungen Erwachsenen selbst eher abgelehnt, während sie psychologische Kriterien der Individualisierung im Zuge des Erwachsenwerdens vorziehen (Arnett, 2003).

Prominente Kriterien sind dabei:

1. Verantwortung für Konsequenzen des eigenen Handelns übernehmen
2. unabhängig von anderen aufgrund eigener Werte Entscheidungen treffen
3. finanzielle Unabhängigkeit (Arnett, 2000a, 2003, 2004; Arnett, Ramos & Jensen, 2001)

Die Vorbehalte gegen die Normorientierung klassischer Entwicklungsmodelle bedeuten jedoch nicht, dass genannte Übergänge und Entwicklungsthemen per se nicht mehr von Bedeutung sind. Die Ergebnisse verschiedener Studien (u. a. Buhl, 2000; Lewis

& Lin, 1996; Kaufmann & Uhlenberg, 1998) zeigen durchaus Zusammenhänge zwischen biographischen Übergängen sowie Entwicklungsaufgaben und Veränderungen im Leben der Eltern- oder Kindergeneration und der Art der Eltern-Kind-Beziehung. Unabhängig von den heterogeneren Lebensläufen der jungen Menschen ist daher schließlich allgemein die Beschreibung des frühen Erwachsenenalters als eine Zeit der Beziehungs- und Verantwortungsentwicklung vorherrschend (Krampen und Reichle, 2002).

2.3.2.2 „Emerging Adulthood“ – eine Lebensphase zwischen Jugend und frühem Erwachsenenalter?

Die im vorhergehenden Abschnitt skizzierte formale Altersspanne des frühen Erwachsenenalters ist ungenau (Krampen und Reichle, 2002) und umfasst einen Zeitraum, innerhalb dessen die Lebensumstände sehr verschieden sein können; so zum Beispiel bei einem 22 jährigen Studenten und einem 35 Jahre alten berufstätigen Familienvater. Sie werden beide formal in das frühe Erwachsenenalter eingeordnet, obwohl sie in ihrer Lebensform und - Auffassung möglicherweise divergieren. Es stellt sich somit die Frage nach einer engeren Eingrenzung. Vor diesem Hintergrund sind auch Konzepte für die weitere Ausdifferenzierung dieser Altersgruppe zu verstehen. Erste Anregungen für die Etablierung einer Phase zwischen Adoleszenz und Erwachsenenalter finden sich bei Keniston (1972) sowie bei Havighurst und Levine (1979), die ihre Argumentation auf Keniston (1972) aufbauen. Keniston (1972) beschreibt die Phase zwischen Adoleszenz und frühem Erwachsenenalter als „Youth“ (Jugend, aber nicht mehr Adoleszenz). Er begegnet damit dem von ihm benannten „Niemandsland“, in dem sich junge Menschen befinden, die sich psychologisch gesehen nicht mehr als Jugendliche erleben und dennoch auf sozialer

Ebene nicht den Status eines Erwachsenen inne haben. Nach Keniston (1972) haben vor allem die verlängerten Ausbildungszeiten der Jugendlichen und die daraus resultierende längere Vorbereitungszeit auf das Erwachsenenalter die Notwendigkeit der Etablierung einer neuen Zwischenstufe hervorgerufen.

Das neuere Konzept des beginnenden Erwachsenenalters, im Folgenden „Emerging Adulthood“, nach Arnett (1998, 2000a, 2000b, 2002, 2003, 2004, 2006), das auf der Forschung mit jungen Menschen beruht (Reifman, Arnett & Colwell, 2006), ermöglicht schließlich die Einteilung des frühen Erwachsenenalters in zwei Stufen, dem beginnenden und dem jungen Erwachsenenalter, ferner entsprechend die Differenzierung in „emerging adults“ und „young adults“. „Emerging Adulthood“ als Phase vor dem jungen Erwachsenenalter umfasst nach Arnett (2000a, 2000b, 2002,2006) die Alterstufen 18-30 Jahren. Bedingt durch bereits erörterte soziokulturelle Veränderungen der letzten 30 Jahre, hat sich die Altersphase zwischen 20 und 30 zu einer von Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter abgrenzbaren distinkten Periode entwickelt (Arnett, 2000b). Arnett (2002) sieht die Tatsache, dass die Übernahme erwachsener Rollen durch die jungen Leute erst wesentlich später erfolgt, als mit ursächlich für die Entstehung dieser neuen Lebensphase. Diese zeichnet sich nach Arnett (2000b) durch hohe Mobilität und starken Veränderungen in Beziehungen und beruflichen Aspekten aus. Es handelt sich danach um eine Phase der Identitätsfindung in den Bereichen Liebe, Beruf and Weltanschauung (Arnett, 2000a, 2004). Nach Arnett (2004) wird die Suche nach der eigenen Identität, die Erikson (1966) im Rahmen seines Modells „psychosozialer Krisen“ bereits im Jugendalter ansiedelt, während dieser Zeit intensiviert. Instabilität durch Wohnorts- oder Studienwechsel bei gleichzeitig vielen Möglichkeiten und Chancen der Lebensgestaltung sind weitere Marker dieser Lebensphase, die von den jungen Menschen sehr verschieden gestaltet wird (Arnett, 2004). Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Ausbildung und Weiterentwicklung eigener Fähigkeiten bei geringer Verpflichtung gegenüber anderen und vergleichsweise großer persönlicher Freiheiten (Arnett, 2004). Dies verändert sich in der Regel in den Dreißigern, wenn eigene Kinder geboren und Familien gegründet werden und ein Eintritt in das junge Erwachsenenalter erfolgt (Arnett, 2004).

Das beginnende Erwachsenenalter liegt nicht nur theoretisch zwischen der Adoleszenz und dem jungen Erwachsenenalter, die jungen Menschen dieser Altersgruppe selbst sehen sich in einer „In-Between“ Situation (Arnett, 2004, S. 14). Bei einer Umfrage beantworteten 60% der 18-25 jährigen die Frage, ob sie sich wie ein Erwachsener fühlen, mit „ja und nein“ (Arnett, 1998). Dies unterstreicht die Ausführungen Arnetts (2000a), wenn er darauf hinweist, dass diese besondere Lebensphase nicht mit dem

Erwachsenenalter gleichzusetzen ist, da die jungen Leute sich selbst nicht als solche erleben und auch keine vergleichbaren sozialen Verantwortlichkeiten und Rollen übernehmen, sondern sich erst auf den Weg dorthin begeben. Erst in den Dreißigern stellt sich bei vielen jungen Menschen Stabilität in Familie und Beruf ein, so dass an dieser Stelle die Bezeichnung „junges Erwachsenenalter“ passend erscheint (Arnett, 2000a, 2004). Keinesfalls aber handelt es sich bei den „emerging adults“ um Jugendliche, denn sie leben in der Regel nicht mehr mit ihren Eltern zusammen, stehen also offiziell nicht mehr unter deren Verantwortung, gehen nicht mehr zur Schule, sondern besuchen die Universität oder sind in einer Ausbildung und haben offiziell den Status eines Erwachsenen (Arnett, 2004).

Arnett (2000a) betont, dass das Alter allein als Indikator für die Einordnung der Person in eine der Lebensphasen unzureichend ist und letztlich mit persönlichen Lebensumständen des einzelnen zusammen hängt. Dabei geht er konform mit den Ergebnissen von Meulemann (1995), der bei einer Befragung deutscher ehemaliger Gymnasiasten feststellte, dass etwa 25% der Dreißigjährigen sich nicht erwachsen fühlen. Zudem ist die „Emerging Adulthood“ eine sich entwickelnde Lebensphase, die sich vorwiegend in den westlichen modernen Industrienationen und dabei vor allem in Mittel- oder Oberschichten wieder findet, die ein höheres Bildungsniveau sowie bessere und hoch professionalisierte Ausbildungsmöglichkeiten bereit stellen, und kann folglich nicht Länder und Regionen übergreifend angenommen werden (Arnett, 2000a, 2002).

Die gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA, wie die Erhöhung des Heiratsalters und längere Ausbildungszeiten, können dennoch auf viele Länder Europas wie beispielsweise Deutschland, England, Frankreich, Spanien oder Schweden – um nur eine Auswahl zu nennen – übertragen werden (Arnett, 2006). In Deutschland lag das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen im Jahr 2000 bei 28.4 Jahren und damit drei Jahre über dem der USA (Arnett, 2006). Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich das Konzept der „Emerging Adulthood“ auch auf Deutschland übertragen lässt.

Dies bedeutet für die jungen Erwachsenen der vorliegenden Stichprobe, dass sie sich zwar einerseits im formalen Altersbereich des frühen Erwachsenenalters zwischen 20 und 40 Jahren bewegen, sich aber andererseits in „emerging adults“ und „young adults“ differenzieren ließen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach möglichen Unterschieden innerhalb der Vater-Kind-Dyaden je nach Zugehörigkeit der Kinder zu den so genannten „emerging- oder young adults“.

2.3.2.3 Familien mit Kindern im frühen Erwachsenenalter

Die „nachelterliche Phase“ (Papastefanou & Buhl, 2002, S. 268) ist die längste Phase im Familienzyklus überhaupt. Dennoch fokussieren die meisten Forschungsarbeiten auf Eltern mit jugendlichen Kindern, und Arbeiten zu Eltern und erwachsenen Kindern sind ungleich seltener (Papastefanou, 1997). Der Auszug der Kinder, der sich in aller Regel im frühen Erwachsenenalter vollzieht, leitet einen neuen Lebensabschnitt ein, indem sich die Beziehung zwischen den Eltern und Kindern mehr und mehr zu einer Beziehung zwischen Erwachsenen entwickelt (Seiffge-Krenke, 2004).

Nach Graf et al. (2000), die Schülerinnen und Studentinnen hinsichtlich ihrer Beziehung zu den Eltern befragten und verglichen, werden die Beziehungen ausgeglichener, womit die Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit gemeint ist. Lewis und Lin (1996) weisen darauf hin, dass es in dieser Lebensphase über die benannte Gleichberechtigung hinaus zu einer Art Rollenumkehr kommen kann. Die erwachsenen Kinder versuchen dann, ihren Eltern einen neuen Lebensstil zu vermitteln.

Andererseits ist der einseitige Investitionsfluss von den Eltern an ihre Kinder zu diesem Zeitpunkt noch sehr ausgeprägt (Papastefanou, 1997; Papastefanou und Buhl, 2002) und kann finanziell eine große Belastung für die Familie darstellen (Seiffge-Krenke, 2004). Der Begriff „nachelterliche Phase“ kann nach Papastefanou (1997) in diesem Zusammenhang missverständlich sein, da er das Ende des elterlichen „Tätigwerdens“ ankündigt, was in dieser Phase keineswegs der Fall ist, wie auch Lewis und Lin (1996, S. 265), mit ihrem einleitenden Satz „ Parenthood never ends!“ deutlich machen. Während die Eltern also nach wie vor in die Kinder investieren, lösen und grenzen sich diese mehr und mehr von den Eltern ab, womit die distinkte Funktion der Autonomieunterstützung der Väter wieder ins Spiel kommt. Die Eltern selbst müssen, nachdem alle Kinder aus dem Haus sind, die Paarebene neu organisieren (Seiffge-Krenke, 2004) und können die gewonnne Zeit wieder für Unternehmungen als Paar nutzen (Papastefanou, 2002).

Carter und McGoldrick (1988) formulieren entsprechend die folgenden Familienaufgaben in dieser Zeit:

1. Neuordnung des Ehesystems
2. Gleichberechtigte Beziehungen zwischen Kindern und Eltern etablieren
3. Die Familie auch für andere, wie zum Beispiel Schwiegertöchter und –Söhne, öffnen

Die vermehrten Scheidungen zu diesem Zeitpunkt im Familienzyklus zeigen allerdings, dass die dargestellte Phase im familiären Lebenslauf eine Zeit voller Neuorientierungen und Schwierigkeiten ist, deren Bewältigung auch von den Ressourcen der elterlichen Partnerschaft abhängt (Seiffge-Krenke, 2004). Seiffge-Krenke (2004) weist jedoch daraufhin, dass dies den meisten Familien dennoch gut gelingt.

Insgesamt wird die Beziehung zwischen Eltern und Kindern durch die räumliche Trennung insgesamt entspannter, bei gleichzeitigem Anstieg des Austausches untereinander (Seiffge-Krenke, 2004). Buhl (2000) konnte in ihrer Befragung von 114 jungen Erwachsenen generell positive Beziehungen zu den Eltern feststellen und zeigte unter Annahme der Individuationstheorie in ihrer Untersuchung eine starke Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern im frühen Erwachsenenalter, wobei es nach Papastefanou (1997) für die Eltern nicht immer leicht ist, die Balance zwischen Nähe einerseits und Distanz andererseits zu halten. Papastefanou und Buhl (2002) weisen daraufhin, dass die Ablösung von den Eltern nicht im Sinne einer Auflösung der emotionalen Nähe gemeint ist, sondern eher in Form einer Abgrenzung hin zu oben benannter Gleichberechtigung. Zu ähnlich positiven Einschätzungen kommen Bertram (2000) im Sinne der bereits zitierten „multilokalen Mehrgenerationenfamilie“ und Papastefanou und Buhl (2002), die die Beziehung als insgesamt harmonisch und aktiv beschreiben.

2.3.3 Das mittlere Erwachsenenalter

In den vorhergehenden Abschnitten wurde das frühe Erwachsenenalter mit seinen Herausforderungen, Krisen und gesellschaftlichen Veränderungen ausführlich erläutert. Es ist nun daran gelegen, die Lebensphase, in der sich die Väter der Stichprobe befinden, transparent zu machen und gegenüber zu stellen. Es wird damit das Ziel verfolgt, die unterschiedlichen Blickwinkel, aus der die Väter und Kinder ihre Beziehung wahrnehmen, verstehbar zu machen. Das mittlere Erwachsenenalter, in dem sich die meisten Väter der Stichprobe befinden, liegt nach Lindenberger (2002) in einem Altersbereich zwischen 35 und 65 Jahren. Bei Papastefanou und Buhl (2002) findet man die leicht abweichenden Altersgrenzen 40 bis 65 für das mittlere Erwachsenenalter, was ähnlich wie beim frühen Erwachsenenalter ein zusätzlicher Hinweis darauf ist, dass das Alter lediglich als Orientierung zu verstehen ist. Eine Beschreibung der Merkmale dieser Phasen hinsichtlich der familiären Entwicklung, wie sie bereits im Abschnitt über Familien mit jungen erwachsenen Kindern erfolgte, sowie ihrer Aufgaben und Krisen erscheint auch hier angemessen.

2.3.3.1 Aufgaben und Krisen des mittleren Erwachsenenalters

Unter Bezugnahme des bereits weiter oben dargestellten Modells der Entwicklungsaufgaben von Havighurst (1952) ist es in dieser Phase des Lebens die Aufgabe der Eltern, somit also auch der Väter, die Kinder loszulassen und ihnen dabei zu helfen, glückliche und kompetente Erwachsene zu werden. Die Entwicklungsaufgaben dieser Lebenszeit, die er zu seiner Zeit im Altersbereich von 30-55 Jahren ansiedelt, formuliert Havighurst (1952) im Einzelnen wie folgt:

1. Verantwortung als Staatsbürger übernehmen
2. Aufbau und Erhaltung eines bestimmten Lebensstandards
3. Den jugendlichen Kindern helfen, glückliche und kompetente Erwachsene zu werden
4. Angemessene erwachsene Freizeitaktivitäten entwickeln
5. Die Beziehung zum Lebenspartner neu ordnen
6. Die altersbedingten körperlichen Veränderungen akzeptieren und sich darauf einstellen
7. Sich der alternden Eltern annehmen

Die Eltern müssen folglich der Anforderung gerecht werden, die Kinder in das selbständige Leben zu entlassen und gleichzeitig altersbedingte Abbauerscheinungen an sich selbst zu akzeptieren. Die Aufgaben der Lebensmitte sind demnach auch geprägt von persönlichen Einschnitten und Verlusten. Dementsprechend wird die Lebensphase in der

Forschung vorwiegend als Krisenzeit (midlife-crises) beschrieben. Bei den Männern stehen dabei Themen wie beruflicher Rückzug, verringertes Leistungsvermögen und der Rückgang sexueller Potenz im Vordergrund (Papastefanou, 1997). Es finden sich jedoch gleichermaßen Chancen über diese Verluste hinaus, so zum Beispiel das Wiederbesinnen auf die eigene Partnerschaft und das persönliche Wachstum in der Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation (Papastefanou & Buhl, 2002).

Erikson (1966, 1998) stellt in seinem psychoanalytischen Ansatz in dieser Lebensphase die Pole „Generativität“ versus „Stagnation“ gegenüber (siehe Tabelle 2.2). Mit Generativität ist dabei die Förderung und Erziehung sowie das Interesse an der nächsten Generation gemeint (Erikson, 1966). Erikson (1966) bezeichnet diese Phase als Wachstum der gesunden Persönlichkeit, welche also durchaus positive Komponenten enthält, die allerdings, wird sie nicht bewältigt, zu einem Entwicklungsrückschritt führt. Die Folge davon ist nach Erikson (1966, S. 118) „Stillstand und Verarmung in den zwischenmenschlichen Beziehungen“. In seinem Buch „Der vollständige Lebenszyklus“ überschreibt Erikson (1998) die Phase des mittleren Erwachsenenalters mit dem Begriff der Fürsorge für die nächste Generation, womit der Aspekt der Generativität greifbarer wird. Daneben umfasst Generativität die Fortpflanzungsfähigkeit sowie die Produktivität und schöpferische Kreativität, und damit auch die Schaffung neuen Lebens. Erikson (1998) stellt der Fürsorge die Abweisung gegenüber, womit er die krisenhafte Entwicklung meint, die nächste Generation nicht an den Erfahrungen der älteren Generation teilhaben zu lassen. An dieser Stelle lässt sich auf die bereits ausführlich dargestellte distinkte Ratgeberfunktionen der Väter verweisen, die offensichtlich in Zusammenhang mit Eriksons Generativität gebracht werden kann.

2.3.3.2 Leeres Nest – Krise oder Neuanfang für die Väter?

Aufgrund der vielen Untersuchungen zum so genannten „Empty-Nest-Syndrom“ im Sinne eines (wieder) kinderlosen Heims (z.B. Adelmann, Antoucci, Crohan & Coleman, 1989; Lewis, Freneau & Craig, 1979; White & Edwards, 1990) wird diesem Aspekt ein eigener Abschnitt gewidmet. Es herrscht bisher wenig Einigkeit darüber, ob es sich bei dem Übergang in die Nachelternschaft um eine echte Lebenskrise oder lediglich einen normativen Übergang handelt (Papastefanou, 1997). Gemäß der Fragestellung der vorliegenden Arbeit befasst sich dieser Abschnitt vor allem damit, wie die Väter mit der neuen Lebenssituation zurecht kommen – auch wenn es nach Papastefanou (1997) bedauerlicherweise wenige Untersuchungen gibt, die sich explizit auf Väter beziehen (z.B. Lewis et al., 1979; Lewis & Duncan, 1991) und nicht ausschließlich auf die Mütter fokussieren (z. B. Adelmann et al., 1989; Cooper & Gutman, 1987).

Papastefanou (1997) weist in einem Überblick über Forschungsergebnisse zu diesem Thema daraufhin, dass ein großer Teil der Väter entgegen der „Krisentheorie“ mit der neuen Situation gut zurecht kommt und die wieder gewonnene Freiheit als großen Gewinn betrachtet. Nach Lewis und Lin (1996) sowie Seiffge-Krenke (2004) zeigen vor allem neuere Untersuchungen, dass die Mehrheit der Eltern diese Phase nicht als eine Krisenzeit erlebt.

White und Edwards (1990) befragten dazu in ihrer repräsentativen Längsschnittstudie zu drei Zeitpunkten – 1980 (N = 2033), 1983 (N = 1592) und 1988 (N = 1331) – verheiratete Personen hinsichtlich ihres Wohlbefindens und der ehelichen

Zufriedenheit im Zusammenhang mit dem Auszug der Kinder. Die Ergebnisse zeigen, dass sich durch den Auszug der Kinder die eheliche Qualität verbessern kann und die Eltern einen zweiten Honeymoon erleben. Allerdings scheint dies nur unter der Bedingung, dass ein guter Kontakt zu den Kindern bestehen bleibt, der Fall zu sein. Die Elternrolle scheint demzufolge weiterhin von Bedeutung für das seelische Gleichgewicht der Eltern zu sein.

Dennoch, ein Teil der Väter leidet auch unter dem Auszug der Kinder (Lewis & Duncan, 1991; Lewis et al., 1979), der sie in einer Lebensphase trifft, in der sie sich, wie weiter oben bereits angedeutet, beruflich eher zurücknehmen und mehr auf die Familie fokussieren. Während die Kinder auf höchstem Leistungsniveau agieren, nehmen die Väter an sich zudem erste Anzeichen von Alterungsprozessen wahr, was zu Neid und Konkurrenzgefühlen führen kann (Colarusso & Nemiroff, 1982; Papastefanou, 1997; Papastefanou & Buhl, 2002).

Dem entsprechen auch die Ergebnisse der Untersuchung von Lewis und Duncan (1991). Von den insgesamt 352 befragten Vätern aus Michigan und Indiana berichteten 41% von negativen Reaktionen und Stresserleben aufgrund des Auszuges ihrer Kinder. In einer Untersuchung von Lewis et al. (1979), in der die Autoren 118 Väter in der

„Nachelternschaft“ bezüglich ihrer Befindlichkeit vor dem Hintergrund des Auszuges des jüngsten Kindes befragten, gaben 22% der Väter an, unglücklich über den Auszug des letzten Kindes zu sein. Es handelte sich dabei allerdings vorwiegend um sehr engagierte, ältere Väter, die die Qualität ihrer eigenen Partnerschaft als geringer einschätzten und den Verlust der Anwesenheit des Kindes durch diese nicht kompensieren konnten. 35% der Väter hingegen äußerten sich dem Auszug des Kindes gegenüber neutral und 42% zufrieden bis glücklich. Lewis und Lin (1996) schließen aus diesen Ergebnissen, dass lediglich eine Minderheit der – vor allem überinvolvierten – Mütter und Väter in dieser Zeit unter den neuen Lebensumständen leiden.

Papastefanou (1997) nennt zusammenfassend drei Einflussfaktoren für das positive oder negative Erleben der Nachelternschaft: Zum einen die äußeren Gegebenheiten, zum zweiten intrapersonale Merkmale und drittens die Art der familiären Beziehungen. Ein Aspekt der äußeren Gegebenheiten ist dabei der sozioökonomische Hintergrund (vgl. Lewis et al., 1979). Bezogen auf die Väter ist unter zweitens das Rolleverständnis, das vor allem auf die oben beschriebenen engagierten Väter abzielt, zu nennen. Die elterliche Partnerschaft ( Lewis et al., 1979) und der fortbestehende Kontakt mit dem Kind nach seinem Auszug scheinen bezogen auf den dritten Punkt – familiäre Beziehungen – von großer Bedeutung für die erfolgreiche Bewältigung der Nachelternphase zu sein. Dies schließt sich den Ergebnissen der bereits zitierten Studie von White und Edwards (1990) an, die, wie weiter oben ausgeführt, auf die Wichtigkeit des regelmäßigen Kontaktes zu den Kindern aufmerksam machten und zeigen konnten, dass das Ausüben der elterlichen Rolle für das Wohlbefinden der Eltern von Bedeutung bleibt.

Es dürfte in diesem Abschnitt deutlich geworden sein, dass das Erleben des kinderlosen Heims als Verlust oder Bereicherung für das eigene Leben von vielen Einflussfaktoren bestimmt wird und die Zeit nach dem Auszug der Kinder nicht allgemeingültig als Krise bezeichnet werden kann (Papastefanou, 1997). Ferner scheint es aber auch nicht gerechtfertigt, davon auszugehen, dass Väter generell vom Auszug der Kinder weniger betroffen sind als Mütter (Lewis et al., 1979; Papastefanou, 1997).

Nach Papastefanou (1997), die einen Überblick über verschiedene Forschungsergebnisse zum „Empty-Nest-Syndrom“ liefert, scheint es generell zwischen den Reaktionen der Mütter sowie der Väter keine gravierenden Unterschiede zu geben. Allerdings konnte sie in eigenen Untersuchungen feststellen, dass Väter etwas häufiger als die Mütter die Beziehung zu ihren Kindern nach dem Auszug als entspannter und gleichberechtigter erleben.

Dennoch, die Bewältigung der Auszugs- und Nachauszugsphase scheint weniger eine Geschlechterfrage zu sein, als ein an familiären Beziehungen und Rollenverständ- nissen geknüpftes Phänomen, das individuell sehr verschieden erlebt werden kann.

Lewis und Lin (1996, S. 365) zitieren entsprechend die Autoren Strong und DeVault (1993):

After the kids leave home, some parents suffer from the empty-nest syndrome: others change the locks!” (Anonymer Autor)

2.3.4 Zwei Einschätzungen einer Beziehung: Divergierende Sichtweisen von Eltern und Kindern über die Qualität ihrer Beziehung

2.3.4.1 Die „Developmental Stake Hypothese“

Das Phänomen, dass Eltern die Beziehung zwischen ihnen und ihren Kindern anders, im Sinne von qualitativ besser und enger einschätzen als ihre Kinder selbst, wurde 1971 von Bengtson und Kuypers als „developmental stake“ beschrieben und führte fortan zu reger Forschung, die im Großen und Ganzen die Developmental Stake Hypothese bestätigt (Aquilino, 1999; Böhmer, 2000; Buhl et al., 2003; Giarrusso, Stallings & Bengtson, 1995; Haarwood & Lin, 2000; Szydlik, 1995).

Bengtson und Kuypers (1971) bezogen sich bei ihren Ausführungen auf eigene Ergebnisse einer Befragung von Eltern und ihren studierenden Kindern und suchten Erklärungen für die divergierenden Einschätzungen der beiden Generationen, die sich darin widerspiegelten, dass, obwohl die Mehrzahl beider Generationen generell enge Beziehungen untereinander beschrieb, die Kinder im Vergleich zu den Eltern größere Distanz und weniger Einstimmigkeit und Nähe angaben. Die befragten Studentinnen und Studenten berichteten im Gegensatz zu ihren Eltern häufiger vom so genannten „generational gap“ (Kluft der Generationen) in Bezug auf divergierende Werte und Moralvorstellungen. Doppelt so viele Eltern wie Studierende hingegen waren der Meinung, dass es diese Kluft nicht gäbe oder sie nicht grundlegender Art sei. Es machte also den Anschein, als wollte die junge Generation die Unterschiede zwischen ihnen und den Eltern deutlich maximieren, sich klar von ihnen abgrenzen und Gemeinsamkeiten minimieren, während die Eltern mögliche Differenzen herunter zu spielen versuchten (Bengtson & Kuypers, 1971).

Bengtson und Kuypers (1971) gingen davon aus, dass die Einschätzung einer Generation bezüglich einer anderen stark mit dem eigenen Standpunkt und der eigenen Lebenssituation korreliert. Dementsprechend versuchten die Autoren, die Erklärungen für die unterschiedliche Beziehungswahrnehmung vor allem in den Entwicklungsphasen zu finden, in denen sich die Eltern mittleren Alters und die jungen erwachsenen Kinder befanden. Unter Bezugnahme auf Havighurst (1952) und Erikson (1966) fokussierten sie dabei auf das Bedürfnis der Eltern nach generativer Kontinuität und Weitergabe ihrer eigenen Werte. Nach Bengtson und Kuypers (1971) sehen die Eltern ihre Kinder als „soziale Erben“ (möglicherweise vor dem Hintergrund erwähnter Einschnitte dieser Lebensphase und dem Wunsch, dem eigenen Leben Sinn zu verleihen), während die erwachsenen Kinder ein Bedürfnis nach Abgrenzung, Autonomie sowie Gründung einer eigenen Identität und eigener Lebensformen geltend machen. Beide Generationen bringen demnach sehr verschiedene Wünsche und Erwartungen (developmental stakes) in die Beziehung ein, die sie direkt oder indirekt an die andere Generation richten. Nach Bengtson und Kuypers (1971) beeinflusst dies entscheidend die Einschätzung der Beziehung zueinander und führt entsprechend zu der beschriebenen unterschiedlichen Wahrnehmung ihrer Beziehung.

[...]


[1] Nach Ainsworth et al. (1978) lässt sich die Qualität der Bindung anhand des Verhaltens des Kindes bei einer Wiedervereinigung nach einer vorhergehenden Trennung von einer Bindungsperson (Mutter oder Vater) beobachten.

Ende der Leseprobe aus 179 Seiten

Details

Titel
Väter und erwachsene Kinder - Wechselseitige Perspektiven einer Beziehung
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
179
Katalognummer
V114671
ISBN (eBook)
9783640153572
Dateigröße
1555 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Väter, Kinder, Wechselseitige, Perspektiven, Beziehung
Arbeit zitieren
Dipl.-Psych Susanne Pfaff (Autor:in), 2007, Väter und erwachsene Kinder - Wechselseitige Perspektiven einer Beziehung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114671

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