"Dazwischen" - Freuds Stil und der Essay "Der Dichter und das Phantasieren"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Freuds Stil anhand von Der Dichter und das Phantasieren
1. Stil und Stilanalyse
1.1 Zur Problematik der Stildefinition
1.2 Wissenschaftlicher Stil
2. Besonderheiten des Freud’schen Stils
2.1 Freud: Wissenschaftler oder Künstler?
2.2 Einflüsse auf Freuds Stil
2.3 Freuds Stil
2.3.1 Form
2.3.2 Funktion
2.3.3 Wirkung
3. Stilistische Analyse Der Dichter und das Phantasieren
3.1 Form
3.2 Funktion
3.3 Wirkung
4. Literatur und Psychoanalyse
4.1 Freuds Reflexionen zur Textproduktion
4.2 Psychoanalyse als Hermeneutik
4.3 Psychoanalyse als Literaturanalyse
4.4 Einfluss der Literatur auf Freuds Theorien
4.5 Mimetische Struktur von Der Dichter und das Phantasieren

III. Schluss

IV. Literaturverzeichnis

Siglenverzeichnis:

GW = Freud, Sigmund: Gesammelte Werke. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1945ff.

PM = Mahony, Patrick J. (PM): Der Schriftsteller Sigmund Freud. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (= es 1484).

WS = Schönau, Walter: Sigmund Freuds Prosa. Literarische Elemente seines Stils. Stuttgart: Metzler 1968.

I. Einleitung

In der Literatur zu Freud ist das Lob seines Stils beinahe ein Topos geworden. Nicht umsonst war der Goethe-Preis für Literatur die einzige Auszeichnung, die Freud zu Lebzeiten in Deutschland je erhielt. Freuds Gymnasiallehrer bezeichnete dessen Schreibstil im Herder’schen Sinne als „idiotisch“[1]. Einstein schreibt in einem Brief an Freud „Ganz besonders bewundere ich Ihre Leistung, wie alle Ihre Schriften, vom schriftstellerischen Standpunkt aus. Ich kenne keinen Zeitgenossen, der in deutscher Sprache seine Gegenstände so meisterhaft dargestellt hat“ und auch Thomas Mann bescheinigt ihm eine „hohe Lesbarkeit“. Wenige Autoren jedoch spezifizieren, was genau sie darunter verstehen. Die Ausnahmen seien im Folgenden genannt.

Die erste wegweisende Arbeit hat Walter Muschg mit „Freud als Schriftsteller“ 1930 vorgelegt. Er, wie auch Walter Schönau, der sich in seiner Habilitationsschrift 1986 und mit einem Essay zum Freud-Jubiläum 2006 mit dem Thema auseinandersetzt, konzentrieren sich auf die Frage, ob Freuds schriftstellerisches Werk der Wissenschaft oder der Kunst zuzuordnen sei. Muschg verortet Freud in der Mitte, hält beide Richtungen nicht für gegenläufig sondern, in Freuds Fall, füreinander konstitutiv. Walter Jens und andere sehen Freud in erster Linie als Künstler, eine Position, die mit der zunehmenden Infragestellung von Freuds wissenschaftlichen Theorien mehr und mehr Zulauf findet. Schönau nimmt die konträre Position ein und plädiert in seiner Habilitationsschrift für eine Bewertung der ästhetischen Elemente als bloßes rhetorisches Mittel zum Zweck der wissenschaftlichen Wissensvermittlung, schwächt diese Position jedoch 20 Jahre später in seinem Essay ab. Patrick Mahony, Klaus Thonack, Graham Frankland und andere beleuchten einen anderen Aspekt: die Bedeutung des Schreibprozesses für Freuds Theorien. Besonders Mahonys

„Freud als Schriftsteller“ sei hierzu hervorgehoben. In den letzten drei Jahrzehnten wird der Zusammenhang zwischen kognitivem und literarischen Stil in Freuds Werk verstärkt thematisiert, so auch bei Robert R. Holt in Freud Reappraised.

Eine Konstante bildet die Analyse der rhetorischen Elemente in Freuds Werk, insbesondere der Metaphern. Neben den bereits genannten Autoren seien hier die Arbeiten von Lionel Trilling, Rieff, Lacan und Harold Bloom erwähnt.

Der linguistic turn ist auch an der Psychoanalyse (PA) nicht spurlos vorübergegangen und setzt diese unter Druck, eine neue Sprache zur Artikulation ihrer Ergebnisse zu finden, die just die Unmöglichkeit dieses Vorhabens aufzeigen. Dieser Problematik nimmt sich Thonacks kürzlich erschienene Selbstdarstellung des Unbewussten an.

Zu kritisieren ist, dass Freuds Stil in der Forschung bislang fast ausschließlich – mit Ausnahme der Generalkritik von Dieter E. Zimmer – einseitig wohlwollend beleuchtet wurde. Die meisten Autoren loben Freuds Stil bedingungslos und übersehen dabei (bewusst oder unbewusst) jegliche Inkonsistenz oder Manipulation des Lesers.

In der vorliegenden Arbeit wird Freuds Werk textorientiert unter dem Aspekt des »Stils« beleuchtet. Ich möchte zunächst auf die Schwierigkeit des Stilbegriffes eingehen, um anschließend zu versuchen die Eigenheiten des Freud’schen Stils näher zu bestimmen. Dazu werde ich beispielhaft Der Dichter und das Phantasieren stilistisch analysieren. Die Unterteilung in „Form“, „Funktion“ und „Wirkung“ ist hierbei bis zu einem gewissen Grade willkürlich, erscheint aber aus Gründen der Übersichtlichkeit sinnvoll.

Ziel der Arbeit ist, als charakteristisches Stilmerkmal Freuds Dazwischen in Bezug auf Schriftlichkeit und Mündlichkeit, Literatur und Wissenschaft näher zu bestimmen und so einige der vielfältigen Vernetzungen zwischen Literatur und Psychoanalyse aufzuzeigen.

II. Freuds Stil anhand von Der Dichter und das Phantasieren

1. Stil und Stilanalyse

1.1 Zur Problematik der Stildefinition

In der antiken Rhetorik, in der der Begriff des Stils aufkam, herrschte ein normatives Verständnis des Konzepts vor. Für die vorliegende Arbeit wird die Methode der deskriptiven Stilistik verwandt.

Auch in der Antike waren Ansätze eines individualistischen Stil-Verständnisses vorhanden, denen zufolge der Stil, im Besonderen der des Briefes, als Bild der eigenen Seele (imago animi) zu verstehen sei. Ähnliche Ansätze finden sich in der Romantik, beispielhaft sei hier Buffons Bonmot „le style est l’homme meme“ und Wordsworths Bezeichnung des Stils als „incarnation of the thought“[2] genannt.

In den Sprachwissenschaften sind besonders die Arbeiten von L. Spitzer hervorzuheben, einem der Pioniere der sprachwissenschaftlichen Stilanalyse. Die neuere linguistische Stilistik zeigt sich jedoch zunehmend skeptischer gegenüber einer hermeneutischen Vereinnahmung ihrer empirischen Resultate.

Im 20. Jh. verschiebt sich analog zu den Entwicklungen in der Philosophie das Interesse zunehmend von den Denkinhalten zu den Denkstilen als argumentative modi operandi. Der Mental-Stil (cognitive style)[3] als distinktive Wiedergabe individuellen Bewusstseins gewinnt an Beachtung.[4]

Als zentrales Kennzeichen der Stilistik gilt die Konzentration auf Oberflächenphänomene. Inwiefern diese Rückschlüsse auf den Inhalt eines Textes zulassen, ist ähnlich streitbar wie die Beziehung manifester und latenter Gedanken in Freuds Traumdeutung.

Stilistik wird definiert als die „Analyse ästhetischer Wirkung“[5] oder, in der integrativen Stiltheorie, als das „Resultat aus der Auswahl des Autors aus den konkurrierenden Möglichkeiten des Sprachsystems und der Restituierung durch den textrezipierenden Leser/Hörer“[6]. Rezeptionsästhetische Aspekte spielen demzufolge eine entscheidende Rolle. Auch scheint mir die Gleichbehandlung von Lesern und Hörern vor allem in Freuds speziellem Fall als sehr sinnvoll, da in Freuds Werk die Kategorien Schreiben/Vortragen schwer zu trennen sind.[7]

Ziel einer hermeneutisch konzipierten Analyse ist es, mikrostilistische Besonderheiten (im Sinne der Deviationsstilistik: Verletzung sprachlicher Normen) auf einen größeren Zusammenhang zu übertragen. Im Allgemeinen wird hierbei metonymisch verfahren, d.h. leitmotivische Einzelelemente werden als repräsentativ für den Kontext erachtet. Da in der heutigen Literaturwissenschaft sowohl der Sinn einer klassischen Hermeneutik, als auch die Gültigkeit (oder gar Existenz) von sprachlichen Normen in Frage gestellt wird, leuchtet es ein, dass in jüngerer Zeit wenige stilkritische Arbeiten vorgelegt wurden.

1.2 Wissenschaftlicher Stil

Eines der Stilideale aus der antiken Rhetorik gilt im besonderen Maße für den wissenschaftlichen Stil: das der Perspicuitas, der Klarheit der Gedankenführung. Laut Thiel und Rost sind die Charakteristika von Wissenschaftssprache unter anderem hypotaktische Konstruktionen, Attributhäufungen, ein inhaltlich komprimierter sachorientierter Nominalstil, Kompositabildung, Terminologie, Passivkonstruktionen und Deagentivierung.[8]

Darüber hinaus tendiert die wissenschaftliche Sprache zur Denotation. Im wissenschaftlichen Zeichensystem stimmt das Zeichen idealiter völlig mit dem Bezeichneten überein. In der literarischen Sprache hingegen funktioniert die Sprache selbst konnotativ mit. Es kommt zu Überdetermination.[9]

2. Besonderheiten des Freud’schen Stils

2.1 Freud: Wissenschaftler oder Künstler?

Freuds Schreibpraxis ähnelte eher der eines Künstlers als der eines Wissenschaftlers. In seinen Briefen an Fließ dokumentiert er Kreativitätsschübe, Schreibblockaden und »jenen Grad von Schmerzbelastung, der für meine Hirntätigkeit das Optimum herstellt...«[10]. In den Briefen an Ernest Jones schreibt er zu seiner Arbeit an Totem und Tabu, sie verfolge »nicht einen geradlinigen Weg, aber [...] die Reihenfolge unbewusster Verknüpfungen«[11]. Auch korrigierte er wenig in seinen Manuskripten und reflektiert permanent den eigenen Schreibprozess. Eine weitere, oft zitierte Stelle: »... die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind und dass sie sozusagen des ernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren«[12].

Dennoch ist sich die Literatur (Muschg, Schönau, Mahony, etc.) einig, dass Freud selbst sich stets als Wissenschaftler sah und literarische Würdigungen immer als Angriff auf seine wissenschaftliche Legitimation sah. So versucht er auch in seiner Rede zum Erhalt des Goethe-Preises den Namensgeber für die Gültigkeit der Theorien der Psychoanalyse zu vereinnahmen.

Frankland kritisiert in seiner Monographie Freud’s literary style die Einordnung in alle denkbare Disziplinen, sei es als Philosoph durch Ricoeur, als Biologe, Geschichtswissenschaftler oder von Harold Bloom als Dichter. So wird auch die PA stets abwechselnd allen erdenklichen naturund geisteswissenschaftlichen Richtungen zugeordnet. Frankland würdigt Freud als „writer sui generis“[13].

Auch Freuds große Vorbilder, Goethe und Leonardo da Vinci, zeichneten sich durch wissenschaftliche wie auch durch künstlerische Erfolge aus. Interessant erscheint hierbei, dass beide fast ausschließlich als Künstler in Erinnerung geblieben sind. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch Freud nachfolgenden Generationen vor allem als Schriftsteller bekannt sein wird. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden ständig erweitert oder überholt, künstlerische Meisterschaft hingegen ist zeitlos.

2.2 Einflüsse auf Freuds Stil

Am stärksten prägten Freud seine frühen Leseeindrücke, die, als Schüler eines humanistischen Gymnasiums in Wien[14], vor allem aus den deutschen Klassikern (Goethe, Lessing, Schiller, Heine) sowie jenen der griechischen und römischen Antike (Platon, Aristoteles, Homer) und natürlich Shakespeare bestanden. Die Vorliebe für klassische Literatur blieb Freud zeit seines Lebens erhalten. Auch die wissenschaftlichen Lehrmeister seiner Jugend dürfen als stilbildend gelten, allen voran Charcot[15].

2.3 Freuds Stil

2.3.1 Form

Charakteristisch für Freuds Schriften ist die Verwendung der Dialogform. Hierbei spielen persönliche Fürwörter eine große Rolle. Sie erzeugen einen „Unmittelbarkeitseffekt“ (PM: 79) und reduzieren die Distanz zwischen Sender und Empfänger. Häufig verwendete Wörter wie „richtig“ und „recht“ sowie deren abgeleitete Formen lassen Rückschlüsse auf Freuds Wahrheitsanspruch zu. Darüber hinaus begegnen uns immer wieder dieselben qualifizierenden Bezeichnungen für verschiedene Grade der Gewissheit. „Sicher“, „womöglich“, „offensichtlich“, „wahrscheinlich“, „eher“, „vermutlich“, und „vielleicht“ dürfen als Indikatoren für Freuds eigene Einschätzung der Gesichertheit seiner Thesen gelten (PM: 101). Allerdings ist dies nicht immer der Fall. Gelegentlich täuscht eine affirmierende Wortwahl über eine theoretische Schwachstelle hinweg, was keiner der Autoren abgesehen von Dieter Zimmer zu bemerken scheint.

[...]


[1] Im Sinne von „persönlich“ oder „individuell“. Vgl: PM: 28.

[2] Vgl. Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie: S. 627.

[3] Vgl. Holt: Freud Reappraised, S. 34ff.

[4] zur Entwicklung der Stilistik: vgl.: Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie, S. 628ff.

[5] Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie, S. 628.

[6] Grundzüge der Literaturwissenschaft, S. 246.

[7] Die Vorlesungen beispielsweise wurden bis 1917 wirklich gehalten, aber auch von Freud aus dem Gedächtnis reproduziert und niedergeschrieben. Ab 1917 erschienen sie nur noch gedruckt, was aber an dem mündlichen Stil (z.B. direkte Ansprache der Zuhörer) nichts änderte.

[8] Thiel: Wissenschaftssprache und Wissenschaftsstil. S. 117-134.

[9] Wellek&Warren: Theory of Literature. S. 140.

[10] Freud: Briefe an Wilhelm Fließ. Brief vom 20.10.95. S. 149.

[11] Jones: Sigmund Freud. Leben und Werk. S. 413.

[12] GW: I, 227.

[13] Frankland: Freud’s Literary Culture. S. 4.

[14] Vgl. Frankland: Freud’s Literary Culture. S. 1

[15] Vgl. 2.3.2.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
"Dazwischen" - Freuds Stil und der Essay "Der Dichter und das Phantasieren"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für deutsche Philologie)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V114596
ISBN (eBook)
9783640153428
ISBN (Buch)
9783640155163
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Eine sehr innovative und avancierte Themenstellung, klare Gliederung und pointiertes Ergebnis (Dazwischen), zudem stilistisch und formal tadellos. Eine sehr gute Leistung!"
Schlagworte
Dazwischen, Freuds, Stil, Essay, Dichter, Phantasieren, Hauptseminar, Kultureller Stil, Sigmund Freud
Arbeit zitieren
Eva Schlör (Autor:in), 2007, "Dazwischen" - Freuds Stil und der Essay "Der Dichter und das Phantasieren", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114596

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