Implementierung von Palliative Care in die stationäre Altenhilfe

Kann die Einführung der palliativen Versorgung zu einer nachhaltigen Verbesserung der Sterbesituation in Pflegeheimen führen?


Bachelorarbeit, 2008

74 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Relevanz der Thematik
1.1 Problemhintergrund
1.1.1 Demographische Entwicklung
1.1.2 Familiäre Veränderungen und der medizinische Fortschritt
1.2 Methodik
1.2.1 Zentrale Fragestellung
1.2.2 Forschungsfragen
1.2.3 Zielsetzung und Literaturrecherche

2 Palliative Care in Theorie und Praxis
2.1 Das Konzept
2.1.1 Entwicklungskontext
2.1.2 Definitionen
2.1.2.1 Die WHO Definition von Palliative Care
2.1.2.2 Laut European Association of Palliative Care
2.1.2.3 Palliative Care vs. End-of-Life-Care
2.2 Welche Anforderungen stellt die palliative Versorgung?
2.2.1 Anforderungen an die Pflegenden
2.2.2 Anforderungen an die medizinisch-pflegerische Versorgung dementiell veränderter Menschen
2.2.3 Wünsche und Bedürfnisse der Hochbetagten
2.2.4 Exkurs: Schmerzerfassung bei kognitiv eingeschränkten
Menschen
2.3 Palliative Care als Teil einer gesellschaftlichen Sterbekultur
2.4 Wie könnte Palliative Care in die stationäre Altenhilfe implementiert werden?
2.4.1 Strukturelle Veränderungen
2.4.2 Schwerpunkte in der Pflege und Begleitung Sterbender
2.4.3 Gesellschaftspolitische Voraussetzungen
2.4.4 Vorgehensweise

3 Diskussion

4 Zusammenfassung

5 Fazit

6 Abbildungsverzeichnis

7 Abkürzungsverzeichnis

8 Literaturverzeichnis

1 Relevanz der Thematik

Der Aspekt der Sterbebegleitung im Heim gewinnt v.a. aufgrund veränderter Strukturen, die in der Folge zu einem späteren Heimeinzug führen und gleichzeitig zu einem frühzeitigen Versterben in den Einrichtungen, immer mehr an Bedeutung. Diese Umstände führten in der Vergangenheit zu einem Spagat der Heime zwischen Kosten­deckung und sozialem Anspruch und im Weiteren dazu, sich mit dieser Thematik intensiver auseinanderzusetzen (vgl. Bayerische Stiftung Hospiz 2003, S.5). Folglich hat sich die Situation in den Institutionen deutlich verändert und damit auch die Anforderungen an die Mitarbeiter in diesem Bereich. Nun bedarf es der Erneuerung von Versorgungsstrukturen im Bereich der stationären Altenhilfe und der Implementierung eines Versorgungskonzeptes, durch das die umfassende Betreuung und Begleitung von Menschen mit unheilbaren Erkrankungen und Sterbenden ermöglicht wird. Nachfolgend wird Palliative Care als ein solches Konzept vorgestellt und genauer beleuchtet. Die WHO definierte Palliative Care in Anlehnung an die in der Hospizbewegung ent­wickelten Betreuungskonzepte als umfassende Betreuung und Behandlung für Menschen, deren Erkrankungen auf kurative Behandlungsmaßnahmen nicht mehr anspricht. Im Vordergrund steht die Kontrolle von Schmerzen und anderen Symptomen und Problemen. Ziel der Arbeit ist stets die Erreichung der bestmöglichen Lebensqualität für die Patienten und ihre Familien (vgl. WHO 1990, in: Knipping 2006, S.31).

Zentral ist der Hinweis, dass Palliative Care ein Angebot für Menschen mit einer lebens­bedrohlichen Erkrankung darstellt. Damit ist es nicht gleichbedeutend mit der letzten Lebensphase. Palliative Care kann und muss grundsätzlich in jeder Phase der unheilbaren Erkrankung möglich sein (vgl. Steffen-Bürgi 2006, in: Knipping 2006, S.35). Konsens dieser Darstellung ist die deutliche Abgrenzung des Palliative Care Konzeptes vom End-of-Life-Care. Beide existieren als mögliche Versorgungs- und Betreuungskonzepte für Sterbende, doch der bedeutende Unterschied liegt darin, dass Palliative Care bereits einsetzt, wenn die todbringende Erkrankung diagnostiziert wird bzw. eine Heilung nicht mehr zu erwarten ist und somit in jeder Lebensphase möglich sein muss. End-of-Life-Care betrachtet ausschließlich die letzte Lebensphase (vgl. Steffen-Bürgi 2006, in: Knipping 2006, S.35).

In der vorliegenden Bachelorarbeit wird Palliative Care als Ansatz zur Pflege und Betreuung von Heimbewohnern und Sterbenden im Pflegeheim, als Klientel, das von dieser Versorgungsstruktur profitieren könnte, vorgestellt. Die Betonung liegt hier auf besonderer Klientel, da in der Vergangenheit überwiegend Menschen mit Tumor­erkrankungen und fortgeschrittenen neurologischen Erkrankungen von palliativen Versorgungsstrukturen profitieren konnten; die Umsetzung von Palliative Care dagegen stellt in der stationären Altenhilfe noch eine jüngere Entwicklung dar (vgl. Wilkening, Kunz 2003).

Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass Pflegeheime keine Sterbehäuser sind, auch wenn sie sich scheinbar, v.a. im Zuge der demographischen Entwicklung mehr und mehr dahin entwickeln. Es gilt, dies an anderer Stelle kontrovers zu diskutieren. Im Kontext dieser Arbeit sollen Pflegeheime von Hospizen abgegrenzt werden, mit dem Ziel, den spezifischen Auftrag von Hospizen und den von Pflegeheimen zu umreißen: Hospize haben den Auftrag, die Begleitung des Betroffenen in der letzten Lebens­phase und im Sterben zu realisieren. In Abgrenzung dazu: Zwar werden die Menschen, die sich für den Einzug in ein Heim entscheiden, mit großer Wahrscheinlichkeit auch dort sterben, aber die Begleitung der Sterbenden im Heim stellt, wenn auch eine wesentliche, nicht die primäre Aufgabe der Mitarbeiter dar. Dies verdeutlicht die Darstellung der Ergebnisse einer Studie von Höfflin 2005 vom Verband Deutscher Städtestatistiker. Demzufolge betrug die durchschnittliche Verweildauer in Pflege­heimen in Freiburg 2003 bei Männern 29,2 Monate (2 Jahre und 5 Monate), bei Frauen 37 Monate (3 Jahre, 1 Monat), 50% der Männer sind weniger als ein Jahr (11 Monate) im Pflegeheim; 50 % der Frauen weniger als 2 Jahre (23 Monate). Ein Viertel der Männer ist lediglich 3 Monate und ein Viertel der Frauen lediglich fünf Monate im Heim. Insgesamt hat die Verweildauer im Pflegeheim deutlich abgenommen (vgl. Höfflin 2005, S.30). Im Gegensatz dazu werden Hospize mit dem Ziel betrieben, unheilbar Kranke im Sterben zu begleiten und eine hochwertige palliativpflegerische Versorgung zu gewährleisten. Die durchschnittliche Verweildauer in Hospizen beträgt 24 Tage (vgl. Deutscher Bundestag 2005, S.73). Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Arbeit der Hospize allein auf eine würdevolle Begleitung in der letzten Lebensphase ausgerichtet ist. Die durchschnittliche Verweildauer ist kurz und kann erfahrungsgemäß auch wenige Stunden, Tage oder einige Wochen betragen. Es mag hier eher von einer End-of-Life-Care die Rede sein, in der palliative Versorgungsstrukturen aufrecht erhalten werden, die aber allein auf den Beistand im Sterben und der würdevollen Begleitung des Betroffenen in der letzten Lebensphase und allen Beteiligten ausgerichtet sind. Im Gegensatz dazu liegt der Auftrag von Pflegeheimen nicht eigentlich in der Sterbe­begleitung, sondern v.a. in der pflegerischen und hauswirt­schaftlichen Betreuung und Unterstützung von Schwer- und Schwerst­­­pflegebedürftigen. Zwar ist auch hier die Sterbebegleitung ein bedeutender Aspekt, doch dieser steht nicht im Mittelpunkt des täglichen Handelns. Hier ist, da Palliative Care bereits mit Feststellen einer tod­bringenden Erkrankung bzw. dann, wenn Hoffnung auf Heilung nicht mehr besteht einsetzt, eher von einer rein palliativen Versorgungsstruktur auszugehen. Entscheidend erscheint an dieser Stelle der Hinweis, dass nicht alle Heimbewohner palliativer Pflege bedürfen, d.h. sie definitorisch nicht zur Zielgruppe gehören. Ebenso gibt es Menschen, die zum Sterben in die Einrichtungen verlegt werden (vgl. Höfflin 2005, S.30) und der Pflege nach den Prinzipien des End-of-Life-Care bedürfen, in der palliative Strukturen allein auf die Phase des Sterbens ausgerichtet sind.

Den Einstieg der vorliegenden Arbeit bildet das Zitat „„In den Lehrbüchern der Palliative Care kommen alte Menschen nicht vor, und in den Lehrbüchern der Geriatrie wird nicht gestorben.““ (Husebö 2003, in: Knipping 2006, S.131) In der Recherche wurde deutlich, dass die Implementierung von Palliative Care in die stationäre Alten­hilfe eine derzeit noch wenig diskutierte Möglichkeit darstellt, eine Verbesserung der Sterbesituation zu erzielen. Palliative Care richtete sich in der Vergangenheit vor allem an junge Menschen mit Tumorerkrankungen oder fortgeschrittenen neuro­logischen Leiden (vgl. Wilkening, Kunz 2003). Der alte sterbende Mensch wurde weniger oder gar nicht in der Fachliteratur zu Palliative Care thematisiert. Er findet erst innerhalb der neueren Entwicklung Berücksichtigung. Weiterhin wurde in der Recherche deutlich, dass das Sterben und die Begleitung des Sterbenden auch in der Altenpflege ein Thema ist, das bisher eher vernachlässigt wurde und wenig Beachtung fand. Erst in den neueren Publikationen gewinnt die Sterbebegleitung an Bedeutung. Das einleitende Zitat konnte dieses beobachtete Phänomen umfassend beschreiben.

Weiterhin ist bedeutsam, dass in der modernen Gesellschaft keine Sterbekultur mehr existiert. „Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, etwa bis zum 1. Weltkrieg, veränderte im gesamten Abendland (…) der Tod eines einzelnen Menschen auf feierliche Weise den Raum und die Zeit einer sozialen Gruppe (…) Die soziale Gruppe war vom Tode angerührt worden und hatte kollektiv reagiert (…) der Tod ist stets etwas Soziales und Öffentliches gewesen. (…) [Heute], die Gesellschaft hat den Tod ausgebürgert. (…) Die Gesellschaft legt keine Pause mehr ein. Das Verschwinden eines einzelnen unterbricht nicht mehr ihren kontinuierlichen Gang.“ (Ariès 1995, S. 715f) Allein in den letzten 100 Jahren hat sich in unserer Gesellschaft eine deutliche Veränderung vollzogen, mit er­heblichem Einfluss auf die Pflegebedürftigen und Sterbenden in den Einrichtungen. Nicht nur, dass der Tod meist ausgeblendet und selten thematisiert wird, es existiert auch keine Kultur und kaum eine Vorstellung davon, wie ein Sterbender würdig begleitet werden sollte (ebd.). Wie nachfolgend dargestellt wird, könnte die Umsetzung des Palliative Care Konzeptes im Bereich der stationären Altenhilfe dort einen Rahmen für die würdevolle Sterbebegleitung und die Wiederentwicklung einer Sterbe kultur in der modernen Gesellschaft sein.

Aus sprachlichen Gründen wurde jeweils die männliche Form, synonym für beide Geschlechter, verwendet wurde, da es sich nicht um ein Thema handelt, das der Trennung des männlichen und weiblichen Geschlechts bedarf.

1.1 Problemhintergrund

1.1.1 Demographische Entwicklung

Zur Definition: „Der Begriff demographische Alterung bedeutet (…) eine Zunahme des Durchschnittsalters der Bevölkerung.“ (Birg 2004, in: Jentschke 2007, S.8) Die derzeitige und zukünftige demographische Entwicklung ist mit einem erheblichen Einfluss auf die Situation in den Pflege- und Altenheimen verbunden. Der Altersdurchschnitt aller Bewohner in bundesdeutschen Pflegeheimen lag laut Statistischem Bundesamt 2005 bei 81,58 Jahren, Tendenz steigend (vgl. Statistisches Bundesamt 2006, in: Warnken 2007, S.17), verdeutlicht auch in den nachfolgend dargestellten Schemata zur Altersstruktur von 1910 – 2040/ 2050.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Deutsche Lebensbäume Abb.2: Verschiebung der Bevölkerungs-

pyramide in Deutschland

Diese beiden Abbildungen verdeutlichen die derzeitige und zukünftige Verteilung der Bevölkerung. Noch am Anfang des Jahrhunderts bildeten die 0-20Jährigen die größte Gruppe der Bevölkerung. Mit steigendem Alter sank die Anzahl der Bevölkerungs­mitglieder. Nur wenige wurden 60 Jahre alt, sehr wenige 80 und älter.

Im zweiten Diagramm, jeweils 1997/ 2001 ist eine deutliche Veränderung zu beobachten: der größte Teil der Bevölkerung liegt bei den 30-60Jährigen, viele Menschen werden 80 Jahre und älter, gleichzeitig sank die Geburtenrate. Die Voraus­sage für 2040/ 2050 geht, wie die erste Abbildung verdeutlicht, von einer deutlichen Reduzierung der Gesamtbevölkerungszahl, bei gleichzeitigem Anstieg des Anteils der Alten und Hochaltrigen aus. Den größten Anteil stellen dabei die 60-70Jährigen dar. Auch ist davon auszugehen, dass deutlich mehr Menschen älter als 70 und 80 Jahre werden, viele werden sogar das 100. Lebensjahr überschreiten.

Diese Veränderungen gehen v.a. mit einem erhöhten Pflegebedarf einher, wie die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Pflegestatistik verdeutlicht. Sie erscheint seit 1999 alle zwei Jahre und zeigt den Zusammenhang zwischen der demographischen Entwicklung und den Anstieg der Pflegebedürftigen auf: „Im Dezember 2005 waren 2,13 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Pflege­versicherungsgesetzes, (…) 82% der Pflegebedürftigen waren 65 Jahre und älter; 33% 85 Jahre und älter.“ (Statistisches Bundesamt 2007, S.4) Darüber hinaus ist die Zahl der Pflegebedürftigen gegenüber 2003 um 52.000 Pflegebedürftige (2,5%) gestiegen. Insgesamt stieg die Zahl der im Heim Versorgten von 1999 bis 2005 um 103.000 Personen (18,0%). Desweiteren geht der Trend hin zur professionellen Pflege in den Pflegeheimen und durch ambulante Dienste (vgl. Statistisches Bundesamt 2007, S.4). Die folgende Abbildung zeigt, dass etwa 1/3 der Pflegebedürftigen im Pflegeheim gepflegt werden, insgesamt 677.000. Die 1,45 Mill. Pflegebedürftigen, die in der Häuslichkeit versorgt werden, weisen im Mittel einen geringen Pflegebedarf auf (PS I) als jene, die in den Einrichtungen gepflegt werden. Hier bildet die größte Gruppe der Pflegebedürftigen jene mit einem höheren (PS II) und einem sehr hohen Pflegebedarf (PS III). „Mit zunehmendem Alter sind Menschen i.d.R. eher pflegebedürftig.“ (Statistisches Bundesamt 2007, S.4) Daraus lässt sich ableiten, dass die vorausgesagte demographische Entwicklung einen Hinweis auf den Anstieg der Anzahl Pflege­bedürftiger in der Zukunft gibt. Gleichzeitig verschiebt sich diese ins hohe Alter (ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Pflegestatistik 2005

1.1.2 Familiäre Veränderungen und der medizinische Fortschritt

Die moderne Gesellschaft ist vielen Veränderungen unterworfen, die in der Folge v.a. auch zu bedeutenden Veränderungen in den Familienstrukturen führten, mit erheblichem Einfluss auf die Versorgungssituation der Hochbetagten. Familien brechen auseinander, Tochterpflegepotentiale fallen weg, das Leben in Single-Haushalten wird üblich – Tod und Sterben verlagern sich zunehmend in außerfamiliäre Einrichtungen und Organisationen (vgl. Warnken 2007, S.9). Corinna Warnken weist umfassend auf ein bestehendes gesellschaftliches und gesundheitspolitisches Phänomen der heutigen Zeit in Deutschland hin: die Gesellschaft verdrängt die Auseinandersetzung mit dem Tod. Aufgrund dieser Veränderungen können viele Hochbetagte nicht bis zum Tod in den Familien gepflegt werden. Das Sterben wird zunehmend in die Institutionen verlagert (ebd).

Weiterhin bedeutend für die oben beschriebenen Veränderungen sind die Fortschritte der modernen Medizin. Wir leben in einer Gesellschaft mit einer hochspezialisierten Medizin, die es vielen Menschen möglich macht, Jahre mit bestimmten Erkrankungen zu leben und damit bis ins hohe Alter zu überleben. Vor allem Demenz, eine Erkrankung des hohen Alters, die mit schwersten kognitiven Einschränkungen und beobachtbaren Abbauprozessen, v.a. der Fähigkeiten des täglichen Lebens einhergeht und oft erst nach vielen Jahren zum Tod führt, betrifft die Hochbetagten unserer Gesellschaft in zunehmendem Maße. Demenz, lat. De: weg oder ohne; Mens: Verstand, betrifft Schätzungen zufolge derzeit 0,8 – 1,2 Millionen Menschen in der BRD. Weltweit sind etwa 2% der 65 – 69Jährigen betroffen, bei den über 90Jährigen sind es sogar 25 – 42% (vgl. Perrar 2001). Die Gefahr, an Demenz zu erkranken, steigt mit jedem Lebensjahr (vgl. Jentschke 2007, S.87). Es ist an dieser Stelle darauf hinzu­weisen, dass heute etwa 4% der Bevölkerung 80 und älter sind, 2050 werden es etwa 13% sein; die Zahl der Demenzerkrankten wird auch in Zukunft weiter steigen (vgl. Nationaler Ethikrat 2006, S.53).

Die chronischen Erkrankungen häufen sich nach dem 75. Lebensjahr, das Versterben dauert meist Jahre, viele Menschen können trotz schwerer Leiden 80-100 Jahre alt werden (vgl. Wilkening, Kunz 2003, S.15). Die moderne Medizin macht es den Menschen möglich, mit bestimmten Erkrankungen, die nicht heilbar sind, noch viele Jahre zu leben. Dies verschärft die Situation in den Pflegeeinrichtungen weiter.

1.2 Methodik

1.2.1 Zentrale Fragestellung

In der obigen Darstellung wurde auf Gründe für die Veränderungen der Situation in den Langzeitpflegeeinrichtungen eingegangen. Daraus ergeben sich bedeutende Motive, sich mit der vorliegenden Thematik genauer zu beschäftigen. An dieser Stelle wird nun die aus der Themenstellung entwickelte zentrale Fragestellung dieser Arbeit vorgestellt.

„Die meisten Heimbewohner finden im Heim ein letztes Zuhause, um in vertrauter Umgebung sterben zu können. Angehörige sollten von dem Vorwurf entlastet werden, den Sterbenden ins Pflegeheim abgeschoben zu haben. Die Palliativpflege im Pflegeheim erleichtert die Bewältigung der Sterbesituation für den Sterbenden und seine Angehörigen.“ (Grond 2004, S. 154) Palliative Care stellt ein Versorgungskonzept dar, über welches Rahmenbedingungen für den Umgang mit belastenden Situationen, v.a. Sterbebegleitung, geschaffen werden (können). Der professionelle und individuelle Umgang mit dem Sterben des einzelnen Pflegebedürftigen, in dem der nahende Tod nicht ausgeblendet wird, sondern alle Beteiligten versuchen, dem Sterbenden die Situation weitestgehend zu erleichtern und seine Lebensqualität aufrechtzuerhalten, ist ein hilfreiches Erlebnis für die Angehörigen, aber auch für alle Beteiligten eines multiprofessionellen Teams. Über diese Erfahrung können die nahestehenden Verwandten von dem Vorwurf entlastet werden, den Betroffenen abgeschoben zu haben (ebd.). Sie können erleben, wie z.B. dem Familien­mitglied­ die Hilfe geboten wird, die es in der Situation benötigt; auch können sie selbst den Sterbenden mit begleiten.

Es scheint, als könne die Situation der Sterbenden und aller Beteiligten mittels Umsetzung des Palliative Care Konzeptes positiv verändert werden. Problematisch erscheint jedoch, dass dieses, seit seinen Anfängen lediglich bei der Pflege von Tumorpatienten Anwendung findet und der Einsatz palliativer Verfahren im Bereich der stationären Altenhilfe erst eine neue Ent­wicklung darstellt (vgl. Wilkening, Kunz 2003, S.82). Es gilt herauszu­finden, ob eine Anpassung des Palliative Care Konzeptes auf die stationäre Altenhilfe die Situation der Hochbetagten in den Einrichtungen verbessern könnte. Daraus entwickelt sich die zentrale Fragestellung dieser Arbeit:

Kann die Einführung palliativer Versorgungsstrukturen die Situation der hochbetagten Sterbenden im Pflegeheim verbessern?

1.2.2 Forschungsfragen

Die Literaturrecherche und das Vorgehen orientierten sich in der vorliegenden Bachel­orarbeit an jenen Forschungsfragen, die im Kontext der Auseinandersetzung entwickelt wurden. Nur so kann hier der Anspruch erhoben werden, dass es sich um eine wissen­schaftliche Arbeit handelt.

I. Wo, wie und für wen entstand Palliative Care ?
II. Warum hat sich die Situation in den Pflegeeinrichtungen der stationären Altenhilfe in den letzten Jahren verändert?
III. Wird Palliative Care als Konzept für die Anwendung in der Altenpflege gesehen und empfohlen?
IV. Wie wird die Implementierung von Palliative Care in die stationäre Altenhilfe bewertet?
V. Wie könnten die Prinzipien palliativer Pflege in der Altenpflege umgesetzt werden?
VI. Gibt es Studien zur Anwendung des Palliative Care Konzeptes in der Altenpflege, wie wurde vorgegangen und wie werden die Forschungsergebnisse begründet?
VII. Welche Wünsche und Bedürfnisse haben die Hochbetagten?
VIII. Kann Palliative Care die Situation der Hochbetagten in den Heimen verbessern?

1.2.3 Zielsetzung und Literaturrecherche

Ziel der hier vorliegenden Arbeit ist die Beantwortung der Frage, ob durch die Implementierung des Konzeptes Palliative Care in die stationäre Altenhilfe die Situation der Hochbetagten/ Sterbenden im Pflegeheim verbessert werden kann. Mittels intensiver Literaturrecherche wurde der aktuelle Forschungs- und Wissensstand zur Thematik ausgewertet. Dieser wird nachfolgend dargestellt und kritisch in Bezug auf die zentrale Fragestellung diskutiert.

Literatur fand ich mittels verschiedener Datenbanken unter verschiedenen Stichworten. Es wurde nur deutschsprachige Literatur verwendet, da es sich allein um eine Darstellung zur Situation im deutschsprachigen Raum handelt. Ein möglicher Vergleich zum Stand im angloamerikanischen Raum erschien aufgrund der Unterschiede in den Gesundheitssystemen im Rahmen dieser Arbeit nicht sinnvoll.

Das Vorgehen bei der Literaturrecherche ist in der folgenden Tabelle dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der Auswahl der Literatur und der genaueren Auseinandersetzung mit dieser waren die oben stehenden Forschungsfragen und die zentrale Fragestellung dieser Arbeit leitend. Einige interessante Publikationen ließen sich auch durch die Literaturangaben einzelner Autoren finden. Diese sind in der Tabelle bei den Zufallstreffern aufgelistet.

Zu den Einschlusskriterien gehörte nur bedingt das Erscheinungsjahr. Wie bereits oben beschrieben, stellt die Implementierung von Palliative Care eine neuere Entwicklung dar; entsprechend aktuell ist die dazu vorhandene Literatur. Bei jenen Schriften, die sich allgemein mit Palliative Care beschäftigten, wurden aktuelle Publikationen, nicht älter als 5 Jahre gewählt. Die sehr wenigen Publikationen, die sich ausgesprochen mit Sterbebegleitung in der Altenpflege beschäftigten, wurden eben so ausgewählt.

Die Analyse der Suchergebnisse orientierte sich wiederum an der zentralen Fragestellung und den Forschungsfragen. Nur jene Literatur, die darüber Aufschluss geben konnte, wurde in der weiteren Bearbeitung verwendet.

2 Palliative Care in Theorie und Praxis

Palliative Care wurde aus der Hospizbewegung, mit einer langen Geschichte, geboren. Diese in Ausschnitten darzustellen, verdeutlicht den Hintergrund und die Intentionen der palliativ-medizinischen und hospizlich ausgerichteten Arbeit am und mit dem Menschen. Im Anschluss werden verschiedene Definitionen von Palliative Care, an denen sich auch die vorliegende Arbeit orientiert, vorgestellt. Im Folgenden werden die besonderen Anforderungen an die Pflegenden im benannten Bereich aufgezeigt. Diese ergeben sich primär aus der komplexen Versorgungssituation der Hochbetagten. Deutlich gemacht werden konnte dies v.a. durch die Darstellung der spezifischen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen. Wie später gezeigt wird, konnte in Studien der zentrale Wunsch nach Schmerzfreiheit herausgearbeitet werden. Aus diesem Grund erfolgt der kurze Exkurs über Instrumente zur Schmerzerfassung bei kognitiv ein­geschränkten Hilfebedürftigen. Diese Gruppe stellt den wahrscheinlich bedeutendsten Teil dieser Klientel dar und wird entsprechend der vorausgesagten demographischen Entwicklung in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Nachfolgend werden strukturelle Veränderungen als Voraussetzung für die Implementierung von Palliative Care in die stationäre Altenpflege herausgestellt.

2.1 Das Konzept

Das Palliative Care Konzept entstand aus den christlichen Wurzeln der Hospiz­entwicklung, die bis zu 2000 Jahren zurückverfolgt werden können, mit der zentralen Idee „(…) vom Leben als einer Reise mit dem Ziel ersehnter Ruhe und Glückseligkeit“ (Heller, Pleschberger 2004, in: Knipping 2006, S.25). Daraus entwickelte sich die Hospizbewegung in zahlreichen Ländern (vgl. Stjernswärd, Clark 2004, in: Knipping 2006, S.24). „Das Konzept erfährt, abhängig von verschiedenen kulturellen, sozial- und gesundheitssystematischen Rahmenbedingungen, zahlreiche Ausformungen und Differenzierungen. Einen wesentlichen Einfluss darauf hat auch die Weltgesund­heitsorganisation WHO. Sie propagiert seit Ende der 80er Jahre eine globale Ver­breitung des Konzepts unter der Bezeichnung Palliative Care.“ (WHO 1990; Davies, Higginson 2004, in: Knipping 2006, S. 24) Palliative Care wird als ein Betreuungs­konzept für Menschen jeden Alters, die an einer chronischen, unheilbaren und fort­schreitenden Krankheit leiden (vgl. Wilkening, Kunz 2003, S.82) verstanden.

Wie wird Palliative Care definiert, was verbirgt sich hinter dem Konzept, an welchen Kriterien orientiert es sich und wie ist es historisch gewachsen? Diesen Fragen wird im folgenden Abschnitt nachgegangen. Es ist bedeutend, sich mit der Definition und der Intention des Palliative Care auseinanderzusetzen, um differenziert über die Einführung dessen in die stationäre Altenhilfe nachdenken zu können. Nur durch diesen Hintergrund ist es möglich, in die Diskussion einzusteigen, welche das Ziel verfolgt aufzuzeigen, ob die Einführung des Palliative Care Konzeptes in die stationäre Altenhilfe zu einer Verbesserung der Sterbesituation in den Pflegeheimen führen kann.

2.1.1 Entwicklungskontext

Um zu verdeutlichen, auf welchem Hintergrund das Konzept Palliative Care entstand, für welche Gruppen von Menschen es ursprünglich entwickelt wurde und für wen es Anwendung fand, wird an dieser Stelle der historische Hintergrund vorgestellt:

1987 wurde das Konzept der palliativen Versorgung als eigenständiges Fachgebiet in der Medizin anerkannt. Ursprünglich entstand es aus der modernen Hospizbewegung, welche eine lange Geschichte hat und bis zu zwei Jahrtausenden zurückverfolgt werden kann: Hospiz leitet sich vom lateinischen Begriff hospitium ab und kann mit „Gastfreundschaft“ übersetzt werden. Historisch lässt sich die Bedeutung des Wortes in die Zeiten des alten Rom zurückverfolgen, wo für Pilger aus Afrika Unterkünfte eingerichtet wurden, um sie hier zu pflegen. Manifestiert haben sich diese im Mittelalter, wo durch die großen Mönchsorden Häuser entlang von Pilgerwegen gebaut wurden. Hier fanden jene Menschen Pflege, die unterwegs hilfebedürftig waren. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das erste Hospiz in Dublin gegründet (vgl. Stoddard 1987, in: Knipping 2006, S.25). Cicely Saunders begründete die moderne Hospiz­bewegung, als sie 1967 das St. Christopher´s Hospice in London eröffnete. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit standen die „(…) großen Probleme von Menschen mit einer unheilbaren Krebserkrankung, deren belastende Symptome, insbesondere die Schmerzen.“ (Baumgartner 2004, in: Knipping 2006, S.26) Sie trieb vor allem die moderne Schmerztherapie Sterbender an, indem sie erkannte, dass Schmerzen auf körperlicher, seelischer und spiritueller Ebene von Bedeutung sind und einen enormen Einfluss auf die Lebensqualität und das Sterben haben (ebd.). Da die britischen Hospize von Anfang an als Forschungs- und Ausbildungszentren verstanden wurden, ist mit der Errichtung des St. Christopher´s Hospice im Jahre 1967 und der damit verbundenen modernen Hospizbewegung auch der Beginn der palliativen Medizin und Pflege als eigenständige Forschungsgebiete zu sehen. Jedoch erst 1987, 20 Jahre später, wurde die Palliativmedizin als eigenständige Fachrichtung in der Medizin anerkannt (vgl. Doyle et al. 1999, in: Knipping 2006, S.26). Die Weltgesundheitsorganisation WHO propagiert diese seither unter der Bezeichnung Palliative Care (vgl. WHO 1990; Davies, Higginson 2004, in: Knipping 2006, S. 24). Heute wird Palliative Care als ein Betreuungskonzept für Menschen jeden Alters, die an einer chronischen, unheilbaren und fortschreitenden Krankheit leiden (vgl. Wilkening, Kunz 2003, S.82) verstanden. Dieser Hinweis ist im Kontext dieser Arbeit von zentraler Bedeutung.

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Details

Titel
Implementierung von Palliative Care in die stationäre Altenhilfe
Untertitel
Kann die Einführung der palliativen Versorgung zu einer nachhaltigen Verbesserung der Sterbesituation in Pflegeheimen führen?
Hochschule
Alice-Salomon Hochschule Berlin
Veranstaltung
Abschlussarbeit zur Erlangung des Titels Bachelor of Science in Gesundheits- und Pflegemanagement
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
74
Katalognummer
V114549
ISBN (eBook)
9783640145461
ISBN (Buch)
9783640146475
Dateigröße
1284 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Implementierung, Palliative, Care, Altenhilfe, Abschlussarbeit, Erlangung, Titels, Bachelor, Science, Gesundheits-, Pflegemanagement
Arbeit zitieren
Franziska Misch (Autor:in), 2008, Implementierung von Palliative Care in die stationäre Altenhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114549

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