Franz Xaver Kroetz' "Wildwechsel"

In der Kontroverse mit Rainer Werner Fassbinder


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Kritische Volksstück im 20. Jahrhundert

3. Zur Person Franz Xaver Kroetz- vom Gelegenheitsarbeiter zum Anwalt der Sprachlosen

4. Wildwechsel und sein Verlagsgeschichte

5. Wildwechsel als Teil der Kulturgeschichte

6. Sprachlosigkeit als Motiv der Kroetzschen Figuren

7. Filmische Realisation durch Rainer Werner Fassbinder
7. 1 Verfilmung durch Rainer Werner Fassbinder
7. 2 Beginn einer Kontroverse

8. Schluss

9.Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

Wildwechsel gilt bis heute als Markenzeichen des frühen Franz Xaver Kroetz. Ende der 60er Jahre ließ der „Autor der Sprachlosigkeit und der Randgruppen“ sein Drama entstehen. Durch jeglichen Verbot des Spielfilmes Wildwechsel gestaltet es sich gerade in Bezug auf eine Analyse des Filmes Wildwechsel als recht schwierig, Untersuchungen in diese Richtung hin anzustellen. Die gut dokumentierte Arbeit von Elke Gösche zu „Franz Xaver Kroetz Wildwechsel“ hingegen erwies sich mir in meiner Arbeit als gute Quelle und Zeugnis der zu untersuchenden Sache. Im Folgenden werde ich zum besseren Verständnis des Stückes Wildwechsel einen Überblick über die Gattung des Volkstückes, von seinen Anfängen durch Nestroy bis hin zu Kroetz im 20. Jahrhundert, geben. Anschließend werde ich Franz Xaver Kroetz als Person vorstellen. Den Bogen spanne ich weiter zu der Verlags- und Kulturgeschichte Wildwechsels, bevor ich dann an einem der wichtigsten Motive Kroetz´, der Sprachlosigkeit anknüpfe. Den Abschluss meiner Arbeit bilden dann die Äußerungen von Kroetz und Rainer Werner Fassbinder zur Kontroverse um die Verfilmung des Stückes Wildwechsel. In Anbetracht auf den Umfang dieser weit reichenden Kontroverse, kann in dieser Arbeit nur auf den Streit bezüglich der Fernsehversion Wildwechsels eingegangen werden. Nicht dokumentiert sind die Rolle der Filmbewertungsstelle der Länder (FBW) sowie die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) in der Diskussion um die Kinofassung und Kinoauswertung.

2. DAS KRITISCHE VOLKSSTÜCK IM 20. JAHRHUNDERT

Das Nachweisen und Zurückverfolgen der Volksstück- Geschichte ist schwer und gleicht schon fast einer Spurensuche. Dennoch, immer wieder gelangt man zu einem der wichtigsten Vertreter dieser Gattung: Bertolt Brecht.

„Das Volksstück ist eine lange verachtete und dem Dilettantismus oder der Routine überlassene Gattung. Es ist an der Zeit, ihr das hohe Ziel zu stecken, zu dem ihre Benennung diese Gattung von vorneherein verpflichtet“1 , so Brecht selbst. Zu dieser Kategorie des Volkstheaters gehören anspruchslose Schwänke und Boulevardstücke in der Mundart, wie sie in den Produktionen des Münchner Komödienstadels, des Hamburger Ohnesorgstheaters, oder der Millowitschbühne in Köln zu sehen sind, die alle samt immer regional gebunden sind. Bertolt Brecht beschreibt dieses Volksstück als „krude und anspruchslos“2. Die Wirklichkeit wird in ihnen verflacht, verschönt und anachronistisch verklärt, mit den Worten Brechts: „Da gibt es hanebüchene Moral und billige Sexualität. Die Bösen werden bestraft und die Guten werden geheiratet, die Fleißigen machen eine Erbschaft und die Faulen haben das Nachsehen“3

Begann die Geschichte des Volksstücks, jedoch noch mehr im traditionellen Sinne, mit ihrem Begründer Hórvath bereits im 18. Jh. mit und gerade auch als Alternative zum Theater der feudalen Oberschicht, taucht der Begriff des Volksstücks seit etwa Mitte der 60er Jahre immer häufiger als Gattungsbezeichnung in der dramatischen Theaterproduktion der BRD auf. Von der traditionellen Form erstarrte das Volksstück zur Form kleinbürgerlicher, sentimentaler Selbstdarstellung. Daraus heraus kristallisierte sich das moderne Volksstück, das „ohne die Folie des Alten“4 nicht zu denken wäre. Der Begriff des Volkstücks „dient dabei als Bezeichnung für Theaterstücke des gesellschaftskritischen Inhalts und signalisiert das Interesse des jeweiligen Autors vor allem an den Problemen der Unterschichten“5

Zu den jeweiligen Autoren gehört auch und vor allem Franz Xaver Kroetz, der hier im Mittelpunkt meiner Arbeit steht. Er und andere bilden ein Kreis von Schriftstellern, deren Lebensdaten noch zur oder zum Umkreis der Studentengeneration von 1966-69 dazuzuzählen und dadurch unverkennbar sind.

Das Theater zu dieser Zeit war im Rahmen der Auf- und Umbrüche in Bewegung geraten, die Autoren dieser Generation betraten neue Wege. Kroetz Stücke entkeimten nicht aus der Analyse gesellschaftlicher Zustände, sondern viel mehr „aus Erschrecken und Zorn über die Zustände, wie sie sind“6, so beschrieb es der Dramenautor selbst.

Betrachtet man Form und Inhalt des „neuen kritischen Volksstücks“ kann man es als Gegenentwurf sowohl zum traditionellen Volksstück als auch zu anderen Theaterströmungen sehen. Die Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen des Publikums werden durch die Demonstration von Extremitäten und Perversionen durchbrochen. Unter Einbezug der Berufs- und Arbeitswelt wird die Entstehung von „Aggressionen, Zerstörungswut, Vorurteilen und Klischees, Ausstoßungsrituale, Menschenjagd, archaische Sozialverhältnisse, faschistische Tendenzen und alltägliche Katastrophen“7 aufgezeigt. Im Vergleich zu traditionellen Dramen mit ihren glorreichen, edlen Helden werden im Volksstück einfache Leute auf die Bühne gebracht, die das Bild hinter dem Spiegel der modernen Gesellschaft zeigen- die Kehrseite.

In einer Zeit von Fortschritt und Innovativität, von medizinischen Neuentdeckungen, Universitätsgründungen und Farbfernsehen, fanden sich diese Volksstückautoren wie Kroetz zusammen, um auf Nöte sozialer und psychologischer Art bis hin zur begrifflos verkümmerten Sprache aufmerksam zu machen. Die sozialen Abgründe eines Menschen, hilf- und sprachlos, werden den Theaterbesuchern der 60er und 70er Jahre schonungslos gezeigt.

Ob Homosexuelle, Ausländer oder andere Minderheiten – es sind immer „die Anderen“ und

„Andersartigen“, die in den Stücken Fassbinders und Speers eine Gesellschaft aus ihrer

„Ordnung“ bringen und in den Menschen Aggressionen erregen. Die tatsächlichen Ursachen für Hass und Gewalt scheinen dabei in den Gesellschaften, ihren Verhaltens- und Denkmustern, kurz: in ihrer verteidigten „Ordnung“ selbst zu liegen. Das primäre Merkmal des „ Neuen Kritischen Volksstücks“ zeigt sich in der Stilisierung ihrer Wirklichkeit, ohne das Bühnengeschehen weniger authentisch wirken zu lassen.

Die Wurzeln des Volksstücks liegen ganz und gar bei Nestroys zeittypischem Volkstheater. Als weiteres Entwicklungs- und Modifizierungsprodukt der urtypischen Gattung folgte das

„Erneuerte Volksstück“ als Übergangsphase durch Hórvath und Fleißer, die sich in ihrer Arbeit noch an der alten Volkstheatertradition orientieren, mehr jedoch von dessen Negation leben. Neu ist dabei allerdings, dass sich die Entlarvung von Provinzidyllen und

der Dialekt als Ausdrucksmittel der Kritik selbst zeigen. Bösartigkeiten, die sich in den Stücken Fleißers offenbaren, bleiben nicht folgenlos: das „Volkspublikum“ will seinem eigenen Leid nicht mehr länger im Theater begegnen. So stellt Holger Sandig fest

„Kritisches Volksstück handelt offensichtlich zwar von Volk, aber eben von jenen Intellektuellen, die sich über die regionale Mentalität erheben.“8 Das so genannte Volk als Thema der Sache, die „Masse“ bleibt jedoch außen vor.

Fast alle der neuen Volksstückschreiber sahen sich bekanntlich als Kinder der Fleißer und Hórvath. Was die Kinder wie Kroetz und Fassbinder da aber vorführten, erinnerte jedoch weniger an die Wirklichkeit, die in den 60er und 70er Jahren in der Bundesrepublik vorherrschte, sondern mehr an die Stücke ihrer literarischen Eltern.

„Auf den Spuren Hórvath ist es ein postfaschistisches bösartiges Kleinbürgertum, so bei Sperr und Fassbinder, auf den Spuren Marieluise Fleißers, ohnmächtige, ausgestoßene und sprachlose Kleingruppen an den Rändern der etablierten Gesellschaft (so bei Franz Xaver Kroetz)“9

So gesteht Franz Xaver Kroetz selbst „ja, als Fleißer- Schüler würde ich mich in gewissem Sinne schon bezeichnen, aber auch als Hórvath- Schüler (...)Ich glaube nicht, dass ich ohne die Fleißer- Renaissance bekannt geworden wäre“10 Wandelte Kroetz in seiner Entwicklung anfangs noch scheinbar ausnahmslos auf den Spuren Fleißers und Horvaths, wandte er sich jedoch in den späten 70er Jahren mehr und mehr Bertolt Brecht und dessen Volkstheater- Verständnis zu. Seine Begründung für diesen Wechsel sah Kroetz in dem Lerneffekt Brechts Werk.

3. ZUR PERSON FRANZ XAVER KROETZ- VOM GELEGENHEITSARBEITER ZUM ANWALT DER SPRACHLOSEN

„Ich will doch in meinen Stücken nichts anderes zeigen als die seelische Abstumpfung und Vereinsamung, in die ein Mensch durch die bestehende Gesellschaftsordnung getrieben werden kann […]“11 so Kroetz über seine Stücke.

[...]


1 Bertolt Brecht: Anmerkungen zum Volksstück. In: B. Brecht: Schriften. Hrsg. von Werner Hecht 1977, S. 201

2 ebd.

3 Brecht, Bertolt: Anmerkungen zum Volksstück, in: Brecht, Bertolt: Schriften zum Theater 4, Frankfurt/Main 1963,

S. 140, zitiert in: Ebd.

4 Jürgen Hein: Das Volksstück. In: Otto Knörrich (Hrsg.): Formen der Literatur in Einzeldarstellungen. Stuttgart 1981, S.434

5 Gerd Müller: Das Volksstück von Raimund bis Kroetz. Die Gattung in Einzelanalysen. S.117

6 Franz Xaver Kroetz: Ich säße lieber in Bonn im Bundestag. In: Theater heute, Heft 2 (1973) S.49.

7 Gösche, Elke: Franz Xaver Kroetz` „Wildwechsel“. Zur Werkgeschichte eines dramatischen Textes in den Medien./ Elke Gösche.- Frankfurt am Main; Berlin; Bern; New York; Paris; Wien: Lang, 1993. S.10

8 Ursula Hassel/ Herbert Herzmann: Das zeitgenössische deutschsprachigen Volksstück: Akten des internationalen Symposiums, University College Dublin, Tübingen 1992. S. 24

9 Ursula Hassel/ Herbert Herzmann: Das zeitgenössische deutschsprachige Volksstück: Akten des internationalen Symposiums, University College Dublin

10 Günter Rühle: Materialien zum Leben und Schreiben der Marieluise Fleißer. Frankfurt a.M. 1973, S. 405

11 Was alles zur Gewalt führt, Hannes Macher. In: Die Zeit, Nr.25, 23.6. 1972. Zitiert in: Panzner, Evalouise: Franz Xaver Kroetz und seine Rezeption. Die Intention eines Stückeschreibers und seine Aufnahme durch die Kritik, Stuttgart 1976. S. 16

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Franz Xaver Kroetz' "Wildwechsel"
Untertitel
In der Kontroverse mit Rainer Werner Fassbinder
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar Rainer Werner Fassbinder
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V114336
ISBN (eBook)
9783640158621
ISBN (Buch)
9783640159697
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Franz, Xaver, Kroetz, Wildwechsel, Proseminar, Rainer, Werner, Fassbinder
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Isabel Gotovac (Autor:in), 2004, Franz Xaver Kroetz' "Wildwechsel", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114336

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