Das Mysterium des Anfangs

Zu George Spencer-Browns und Jacques Derridas Arbeit am Anfang


Seminararbeit, 2000

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. George Spencer-Browns „Laws of Form“
2.1 Die Motivation – oder: Der Kontext des Anfangs
2.2 Der Kalkül
2.3 Der Wiedereintritt der Form in die Form

3. Jacques Derrida – Das Denken der différance und die „Logik des Supplements“
3.1 Die Dekonstruktion
3.2 Die différance – oder: Wovon man nicht sprechen kann, davon muß man schreiben
3.3 Die „Logik des Supplements“ – oder: Quod erat vitandum

4. Schlußbemerkung

5. Literatur

1. Einleitung

Die Thematik dieses Aufsatzes läßt sich nach gehöriger Vereinfachung auf die alte und allgemein bekannte Frage „Was war zuerst da: die Henne oder das Ei?“ herunterdividieren. Wer eine solche Frage stellt, erntet wahrscheinlich entweder ein betretenes Schweigen oder eine Gegenfrage. Zumeist wird sie ohnehin als rhetorisches Mittel eingesetzt, um von der deprimierten Konstitution des Fragers auf eine vermeintlich deprimierende allgemeine Weltsituation zu verweisen. Mit dem Verweis auf diese Fragestellung wird stets eine Resignation geäußert, die von einer ausweglosen Situation herrührt. Nicht viele Fragen haben es zu einer solchen Popularität auch und gerade in der Welt des alltäglichen Umgangs gebracht. Sicher kommt diese Popularität von der allgemeinen Faszination und Ehrfurcht gegenüber Paradoxien. Daß diese von der Wissenschaft nicht mehr panisch gemieden, sondern bewußt untersucht und integriert werden, das soll dieser Aufsatz bezeugen.

„Was war zuerst da - die Henne oder das Ei?“ - Das Interesse dieser Frage drückt auf populäre Art und Weise die fundamentale Frage nach dem Anfang aus, ein Thema, das sicher schon viele Autoren beschäftigt und viele Blätter Papier gefüllt hat. Die Autoren, die hier zurate gezogen werden sollen, scheinen auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein zu haben. Im Gegenteil gelingt es sogar, sie unter dem Gegensatz Konstruktion vs. Dekonstruktion einzuordnen. Der englische Mathematiker George Spencer-Brown, der lange Zeit aufgrund seines geringen Bekanntheitsgrades in geisteswissenschaftlichen Gefilden für das Alter Ego Niklas Luhmanns gehalten wurde, steht mit seinen Beiträgen zu Mathematik, Logik und Ingenieurwesen dem radikalen Konstruktivismus sehr nahe. Jacques Derrida dagegen gilt als Denker der Dekonstruktion, die er sich durchaus auch selbst auf die Fahnen schreibt.

Doch dies sind nur die Gegensätze zweier Etikette. Daß sich ein Konstruktivismus im Zweifelsfall mit derselben Thematik beschäftigt, wie ein Dekonstruktivismus, ist nicht erst bekannt, seit dies zwei Stilrichtungen der Architektur sind. Wenn sich Konstruktion und Dekonstruktion gegenüberstehen, ist schon anhand der Ausdrücke evident, daß es sich um eine begriffliche Emanation handeln muß. Ob die Konstruktion aus der Dekonstruktion folgt oder umgekehrt, steht im Moment noch nicht zur Debatte, auch wenn diese Frage scheinbar schon beantwortet ist.

Doch sie weist bereits direkt in den Kern der Thematik dessen, was dieser Aufsatz erörtern will. Mit Hilfe des Denkens von Spencer-Brown und Derrida, soll der Frage nach dem Ursprung und des Anfangs nachgegangen werden, die sich auch bei der Gegenüberstellung von Konstruktion und Dekonstruktion ergeben könnte, wären diese Termini nicht eindeutige Titel einer epochal fixierten Abfolge. Es soll sich zeigen, daß nach dem Denken dieser beiden Autoren keine einfache Abfolge von Gegebenheiten mehr gelten kann und daß von einem linearen Zurückverfolgen einer Spur zu einem Anfang und Ursprung nicht die Rede sein kann.

Um einen Anfang zu machen, werde ich zunächst in groben Zügen George Spencer-Browns Denken anhand seines mittlerweile zu gewisser Berühmtheit gelangten Buches „Laws of Form“[1] darlegen. Im Anschluß daran folgt eine nicht weniger grobe Präsentation des Denkens Jacques Derridas, eingegrenzt auf die Thematik der différance bzw. das, was ich in Anlehnung an Dirk Baecker die „Logik des Supplements“ nenne.[2] Dabei werden Derridas „Grammatologie“ und der Vortrag zur différance die Hauptgrundlagen der Untersuchung sein.

Da jede Textinterpretation selektiv vorgeht, wird auch diese nur in Auszügen das dargelegen können, was eigentlich als das Denken der beiden Autoren gelten könnte. Die Auswahl ist, wie leicht festzustellen sein wird, mit Absicht so getroffen, daß Parallelen sichtbar werden. Bewußt werden bei Spencer-Brown Punkte herausgearbeitet, die ausgezeichnete Anknüpfungspunkte für die Interpretation Derridas bieten. Dabei wird sich herausstellen, daß beide Denker, obwohl sie sich offensichtlich nicht zu rezensieren scheinen und obwohl sie in so verschiedenen Disziplinen eingeordnet werden, ein auffallend ähnliches Grunddenken verfolgen, das sich letztlich gar den selben Vorwürfen ausgesetzt sieht.

Das Gewicht dieser Arbeit liegt auf dem, was sich gleicht bzw. ähnelt, obwohl sein Thema die Unterscheidung ist. Indem beide Autoren von Unterscheidungen sprechen und diese höchstwichtig als Grundlage ihrer Theorien bestimmen, gleichen sie sich und sind sich doch verschieden. Denn spätestens nach dem Lesen dieses Aufsatzes wird selbst die einfache Rechnung Eins und Eins nicht mehr das ergeben, was sie bisher zu ergeben schien.

2. George Spencer-Browns „Laws of Form“

2.1 Die Motivation oder: Der Kontext des Anfangs

George Spencer-Browns Kalkül, die „Laws of Form“, verbindet auf interessante Art und Weise Eleganz und Anmut. Erschließen sich diese dem ungeübten Leser auch nicht sofort, so wird doch beim ersten Durchblättern dieses eher kompakten Buches klar, daß es sich zumindestens um ein außergewöhnliches Werk handelt. Nur wer gewohnt ist, in Werken der Logik oder der Mathematik zu lesen, wird dem, was ihn in diesem mittlerweile berühmt gewordenen Formenkalkül erwartet, gleich mit Verstand begegnen können. Die Mehrheit derjenigen, die sich diesem Text möglicherweise über den Umweg der Sozialwissenschaften nähern, werden überrascht sein von seiner Dichte, die sonst eher in der Poesie zu finden ist. So mag es auch nicht verwundern, daß sich der Autor selbst gerne als Poet und Schöpfer bezeichnet und nicht müde wird, die Nähe der Mathematik zur Poesie hervorzuheben.

Die akademische Einordnung dieses Textes läßt sich aus den Schilderungen des Autors in der Einführung, den verschiedenen Vorworten bzw. der Anmerkung zum mathematischen Zugang erfahren. Grundsätzlich geht es darum, „das, was als Algebren der Logik bekannt ist, vom Gegenstand der Logik zu trennen, und sie wieder mit der Mathematik zu verbinden.“[3] Es soll eine Mathematisierung der Logik vorgenommen werden, wobei die Mathematik zur Behandlung logischer Probleme, insbesondere dem der Selbstreferenz im Kontext der Unterscheidbarkeit, dienen soll. Spencer-Brown möchte Gesetzmäßigkeiten, die der Entstehung von Formen zugrunde liegen, darstellen und bewegt sich damit auf einer Ebene, die vor den üblichen formalen Systemen wie Aussagenlogik, Prädikatenlogik etc. liegt. Es handelt sich bei den „Laws of Form“ um eine Logik vor der Logik, d.h. um eine Protologik. In einer schwungvollen und selbstbewußten Geste postiert sich Spencer-Brown vor allen „universitären Standardproblemen der Logik, die das Kalkül (...) so einfach macht, daß wir uns weiter nicht mit ihnen befassen müssen“[4]. Das Verbot z.B., das die Theorie der Typen von Whitehead und Russel über bestimmte selbstreferentielle Operationen verhängt hat, will er durch die Einführung von imaginären Werten in die Algebra der Logik wieder aufheben. Es wird sich zeigen, daß diese „Rehabilitation der paradoxen Gleichungen“ einen entscheidenden Schritt im Kalkül bedeuten; genaugenommen ist es nämlich ein Schritt aus ihm heraus.

Unter Berufung auf Wittgenstein[5] trifft Spencer-Brown eine Unterscheidung zwischen Propositionen und Wahrheitsfunktionen dieser Propositionen, „da die Propositionen selbst nicht mit der bloßen Gegenwart oder Abwesenheit einer gegebenen Eigenschaft gleichgesetzt werden können, wohl hingegen die Möglichkeit, daß sie wahr oder nicht wahr sind.“[6] Damit will er eine Verwechslung von Aussage und Wahrheitsfunktion verhindern, was wiederum vorbeugen soll, daß die Logik auf Aussagen angewendet wird. Die Logik soll erst auf der Ebene einer externen Beobachtung einsetzen, d.h. wenn realisiert ist, daß der Aussagenkalkül nur auf im Licht dieses Kalküls präparierte Eigenschaften einer Aussage anwendbar ist. Das hieße, daß eine Unterscheidung zwischen Satz und Operation, wie von Wittgenstein formuliert, eine notwendige Bedingung aller Logik ist. Spencer-Browns Absicht, zu einer Mathematisierung der Logik zurückzukehren, würde dann bedeuten, „die Einheit der Differenz von Satz und Operation beobachten zu können.“[7] Nimmt man in Konsequenz dieser Einsicht an, daß es nicht nur zwischen Aussagen und Wahrheitsfunktionen, sondern auch zwischen Worten und Dingen zu Konfusionen gekommen ist, läßt sich eine Abfolge von Unterscheidungen erahnen, in der jeweils eine Unterscheidung immer einen Vorläufer in einer anderen findet. Diese Ahnung soll im Verlauf dieses Aufsatzes noch mehr Gewicht bekommen.

Spencer-Brown hat überdies die Hoffnung, mit seiner Arbeit Mathematik und Physik zusammenführen zu können. Da er davon überzeugt ist, daß die Mathematik ein „machtvoller Weg“ ist, uns über unser inneres Wissen von der Struktur der Welt Aufschluß zu geben, und daß die Physik in wahrscheinlich ähnlich machtvoller Weise für die äußere Struktur zuständig ist, kann er sich eines vollwertigen Universums sicher sein, sollte ihm diese Zusammenführung gelingen. Schließlich heißt es in der Anmerkung zum mathematischen Zugang, „daß ein Universum zum Dasein gelangt, wenn ein Raum getrennt oder geteilt wird“[8], wobei nicht unbedingt an einen geometrischen oder physikalischen Raum gedacht ist, sondern allgemein an eine Einheit aus einem Innen und Außen. Spencer-Brown würde folglich mit einer Zusammenführung einer inneren und äußeren Struktur nachträglich eine solche Initialtrennung nachweisen.

So hat sich, bevor der Haupttext überhaupt angefangen hat, bereits in verschiedener Weise ein für den Kalkül zentraler Vorgang eingeschlichen: der „ursprüngliche Akt der Trennung.“[9] Wir haben erfahren, daß zwischen Mathematik und Logik, zwischen Aussagen und Wahrheitsfunktionen, zwischen Worten und Dingen, zwischen Mathematik und Physik und in fundamentaler Allgemeinheit zwischen innerer und äußerer Struktur unterschieden werden kann, bevor wir uns der Dimension des so bereits kontexturierten Kalküls bewußt werden können. Dabei wird genau dieser Vorgang auch schon einmal in der „Anmerkung zum mathematischen Zugang“ erläutert:

„Der Akt [der Trennung, A.S.] bleibt, wenn auch unbewußt, im Gedächtnis als unser erster Versuch, verschiedene Dinge in einer Welt zu unterscheiden, in der anfänglich die Grenzen gezogen werden können, wo immer uns es beliebt. Auf dieser Stufe kann das Universum nicht unterschieden werden von der Art, wie wir es behandeln, und die Welt mag erscheinen wie zerrinnender Sand unter unseren Füssen.“[10]

Spencer-Brown macht hier bereits deutlich, daß es nicht das, sondern ein Universum ist, das eine Zertrennung des Raumes hervorbringt und daß gleichzeitig am Anfang jeder Unterscheidungspraxis die Kontingenzerfahrung liegt. Auf diese recht subtile Art wird der Leser auf den eigentlichen Text eingestimmt.

Lassen die im Vorfeld des eigentlichen Kalküls formulierten Erklärungen keinen Zweifel an der wissenschaftlichen Motivation, so findet sich in den Anmerkungen – einer wichtigen Ergänzung dieses Werkes – ein Hinweis auf einen anderen Impuls, der zur Entwicklung dieses Kalküls geführt hat. Bereits im Vorwort zur ersten amerikanischen Ausgabe klingt an, daß Spencer-Brown Erstaunen und Bewunderung dafür hegt, was er als Universum oder Welt bezeichnet.[11] In den Anmerkungen zu Kapitel 12 formuliert er ein weiteres Mal seine Verwunderung über die Welt:

„Somit können wir der Tatsache nicht entkommen, daß die Welt, die wir kennen, aufgebaut ist, um (...) sich selbst zu erkennen.

Das ist in der Tat erstaunlich.“[12]

Das ist das alte und erste Mysterium, das schon August Wilhelm Schlegel in Gedanken gestreift und wieder verworfen hatte[13] und das noch Wittgenstein verblüffte, als er sich damit beschäftigte, ob eine Funktion ihr eigenes Argument sein kann.[14] Es ist das Mysterium, das scheinbar die Frage nach dem Ursprung mit sich führt. Wenn die Welt in der Lage ist, sich selbst zu sehen, so muß sie doch auch befähigt sein auf ihren Ursprung und Anfang zu blicken. Dieser natürlichen Neugierde liegt aber ein entscheidender Fehlschluß zugrunde, auf den Spencer-Brown aufmerksam macht. Um sich selbst sehen zu können, muß die Welt – oder müssen wir uns als ihre „universelle Repräsentanten“ – in einen sehenden und einen gesehenen Zustand trennen. Auch hier greift wieder der „ursprüngliche Akt der Trennung“. In diesem getrennten Zustand ist die Welt aber nicht mehr als sie selbst zu erkennen, sondern nur noch zum Teil. Beim Versuch, sich selbst zu Objektivieren, muß sie in einer derart verstümmelnden Weise agieren, „um sich von sich selbst verschieden zu machen und daher sich selbst untreu zu werden.“[15]

Das Mysterium, wenn es denn eines gibt, liegt für Spencer-Brown eher in der Form, in der wir selbst annehmen zu existieren. Es entsteht möglicherweise erst durch unser Beharren, eine Frage aufzuwerfen, wo es eigentlich nichts zu fragen gibt. Aufgrund des oben geschilderten Trennungsaktes ist das Auftauchen dieses Mysteriums unvermeidbar und in diesem Sinne eigentlich kein Mysterium. „Es ist das Schicksal aller Beschreibung, daß „das, was aufgedeckt ist, verborgen wird; aber das, was verborgen ist, wird wieder aufgedeckt“.“[16] Insofern schwingt am Anfang – oder am Ende oder in jedem einzelnen Schritt – des Kalküls jene Paradoxie mit, die gerne im Bild des seinem eigenen Schwanz nachjagenden Hundes ausgedrückt wird, und die Rodrigo Jokisch als das „Problem des Anfangs des Anfangs “ untersucht.[17]

2.2 Der Kalkül

Doch wie gestaltet sich der Kalkül, von dem bisher nur indirekt die Rede war? In Kapitel 1 der „Laws of Form“ wird der Leser von einer Definition und zwei Axiomen in Empfang genommen. Dabei gilt als vorausgesetzt, daß die „Idee der Unterscheidung“ und die „Idee der Bezeichnung“ in Abhängigkeit voneinander gegeben sind und daß die Form der Form daher die Unterscheidung ist. Warum nun aber dadurch, daß diese scheinbar gleichwertigen Grundideen vorliegen, notwendig die Form der Unterscheidung die Form sein soll, wird klar, wenn gesehen wird, daß schon durch diese zwei Grundideen eine Unterscheidung getroffen ist. Will also die Form als Form zur Verfügung stehen, so muß sie sich zunächst einmal von sich selbst unterscheiden. Für sie gilt zunächst, was Spencer-Brown über die Welt sagt:

„Wir können annehmen, daß die Welt unzweifelhaft sie selbst ist (dh. von sich selbst nicht verschieden)“.[18]

Wie aber soll diese auf sich selbst bezogene Unterscheidung besser geschehen, als wenn sie bezeichnet wird? Formentstehung und Begriffsbildung sind in dem Sinne miteinander verbunden, daß es eines charakterisierbaren Unterschiedes bedarf, um etwas bezeichnen zu können, daß aber bei einem vollständig gegebenen Unterschied eine Bezeichnung überflüssig wäre. Die Form der Unterscheidung kann als die Form genommen werden, und die notwendig damit vollzogene Bezeichnung wäre genau genommen eine erste Kopie derselben.

Die nun folgende Definition lautet:

„Unterscheidung ist perfekte Be-Inhaltung.“[19]

Durch die einleitenden und anmerkenden Worte sind wir bereits darauf eingestimmt, daß sich durch den Akt der Unterscheidung bzw. der Trennung etwas universelles ereignet. Denn, daß die Unterscheidung perfekte Be-Inhaltung oder Enthaltsamkeit ist, deutet an, daß es noch mehr zu entdecken gibt, wenn einmal eine Unterscheidung getroffen worden ist.

Wie im Vorwort zur Auflage von 1994 vorweggeschickt, erhalten wir durch eine Bezeichnung (Unterscheidung) nicht nur einfach ein „Ding“, sondern implizit eine Triplizität: „Was das Ding ist, was es nicht ist, und die Grenze dazwischen.“[20] In den Erläuterungen zur Definition kommt es zu mehr noch: Mit dem Begriff der Unterscheidung werden simultan die Begriffe „Grenze“, „getrennte Seiten“, „Punkt auf der einen Seite“ und „Kreuzen“ eingeführt. Weiter damit verbunden sind die Notwendigkeit eines „Motivs“, ein im „Wert“ unterschiedlich empfundener „Inhalt“und ein den Wert bezeichnender „Name“. Diese Begriffe sind allesamt implizit in dem der „perfekten Be-Inhaltung“ enthalten, denn bei genauem Hinsehen läßt sich erkennen, daß sie alle durch unterscheiden oder bezeichnen aus einer Vorbedingung gewonnen werden. Dadurch, daß eine Unterscheidung lediglich sich selbst enthalten muß, um alles weitere generieren zu können, ist mit der Definition nicht zuviel versprochen. Sie scheint ein Universum entstehen lassen zu können oder, wie Niklas Luhmann es formuliert, „einen offenen Weltbezug“[21] zu haben.

Die beiden nun folgenden Axiome sind im Grunde in der Definition ebenso schon enthalten. Das Gesetz des Nennens, das Axiom 1, lautet:

„Der Wert einer nochmaligen Nennung ist der Wert der Nennung.“[22]

Das bedeutet in seiner Kurzfassung, daß Wieder-Nennen soviel wie Nennen ist. Hier ist eine erste Einsicht in die Struktur der Beziehung von Unterscheidungen gegeben. Es darf nicht vergessen werden, daß wir uns an dieser Stelle noch strikt auf der Ebene der Entstehung von Formbildung, nicht aber auf der der Beobachtung befinden. Die erneute Nennung des Namens geht nicht über die Charakterisierung der Identifikation eines Wertes mit seinem Inhalt hinaus, die für die Wirksamkeit der Nennung erforderlich war. Noch ist es nicht möglich, daß das, was eine Wiederholung erfährt, auffällt und sich verändert. Das Zählen einer wiederholten Operation z.B. ist auf dieser Ebene noch ausgeschlossen.

[...]


[1] Obwohl das Buch seit einigen Jahren in deutscher Übersetzung vorliegt und diese auch die Grundlage dieser

[2] Arbeit ist, werde ich, wie in der Literatur üblich, den Titel des englischen Originals übernehmen. Der Titel der deutschen Übersetzung nennt beides, den englischen Originaltitel und die deutsche Übersetzung.

Derrida selbst spricht meines Wissens selbst nicht von einer „Logik des Supplements“. Vgl. hierzu Baecker, Dirk: Einleitung. In: ders. (Hrsg.) Kalkül der Form. Frankfurt am Main, 1993. S. 13.

[3] Spencer-Brown, George: Laws of Form - Gesetze der Form übers. von Thomas Wolf. Lübeck 1997, S. xxvi.

[4] ebd. xxi.

[5] vgl. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus - Tagebücher 1914-1916 - Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main 1999, 45 ff.

[6] Spencer-Brown ebd. S. xxviii.

[7] Baecker, Dirk: Im Tunnel. In: ders. (Hrsg.): Kalkül der Form. Frankfurt am Main 1993, 16.

[8] Spencer-Brown: Laws of Form a.a.O. S. xxxv.

[9] ebd. xxxv.

[10] ebd.

[11] vgl. Spencer-Brown: Laws of Form a.a.O. S. xxiii: Ich glaube es liegt in der Natur von uns allen, sich zu wundern, warum das Universum just so erscheint, wie es ist.

[12] ebd. S. 91.

[13] vgl. Schlegel, August Wilhelm: Die Kunstlehre. Stuttgart 1963, S. 49: Wenn man sich aber die gesamte Natur als ein selbstbewußtes Wesen denkt, wie würde man die Zumutung an sie finden: sich selbst vermittels Experimentalphysik zu studieren.

[14] vgl. Wittgenstein a.a.O. S. 23.

[15] Spencer-Brown ebd.

[16] von Foerster, Heinz: Die Gesetze der Form. In: Baecker, Dirk (Hrsg.): Kalkül der Form. Frankfurt am Main 1993, S. 9.

[17] vgl. hierzu Jokisch, Rodrigo: Logik der Distinktionen. Opladen 1996, S. 71.

[18] Spencer-Brown: Laws of Form a.a.O. S. 91.

[19] ebd. S.1.

[20] ebd. xviii.

[21] Luhmann, Niklas: Die Paradoxie der Form. In: Baecker, Dirk (Hrsg.): Kalkül der Form. Frankfurt am Main

[22] 1993, S. 197.

Spencer-Brown: Laws of Form a.a.O. S. 2.

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Details

Titel
Das Mysterium des Anfangs
Untertitel
Zu George Spencer-Browns und Jacques Derridas Arbeit am Anfang
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Kultur- und Kunstwissenschaften)
Veranstaltung
Ästhetik
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
38
Katalognummer
V114294
ISBN (eBook)
9783640157693
ISBN (Buch)
9783640157662
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
George Spencer-Brown, Jacques Derrida, Anfang, Paradox, Form, Gesetze der Form, Dekonstruktion, différance, Supplement, Reentry, Ursprung, Spencer-Brown, Spencer, Brown, Derrida
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Axel Schubert (Autor:in), 2000, Das Mysterium des Anfangs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114294

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