Der „Große Lauschangriff“ im Fokus der Grundrechte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

24 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Hintergrund

1. Hintergrund zur Menschwürdegarantie in Art. 1 I GG
2. Hintergrund zu der Ewigkeitsklausel in Art. 79 III GG
3. Die Rolle des Bundesverfassungsgerichts bei der Auslegung
4. Hintergrund zum Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 GG

III. Der so genannte "Große Lauschangriff"
1. Die Änderung des Art. 13 GG
2. Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Änderung
a) Die Argumente der Kritiker
b) Die Argumente der Befürworter

IV. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
1. Sachverhalt
2. Verfassungsmäßigkeit von Art. 13 III GG n. F
a) Die Entscheidung vom Senat
b) Die abweichende Meinung
3. Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften der StPO
a) Welche Grundgesetzartikel sind Prüfungsmaßstab?
b) Schutzbereich von Art. 13 GG
c) Eingriffe
d) Materielle Eingriffsvoraussetzungen
e) Formelle Eingriffsvoraussetzungen

V. Würdigung

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Heutzutage hat die organisierte Kriminalität ein neues Gesicht und einen neuen Charakter. Sie kennt keine nationalstaatlichen Grenzen mehr und hat vielfältige neue Betätigungsfelder gefunden: Menschenhandel, Organhandel, Drogen- und Waffenschmuggel. Es handelt sich um ein sehr effektives und gut eingespieltes System, das grenzüberschreitend in verschiedensten Staaten operiert, selbst in Ländern mit hoch entwickelten Rechtssystemen. Dabei nutzen die Kriminellen alle möglichen Mittel, von modernster Technik bis zum menschlichen Genie. Die alten Methoden der Strafverfolgung sind häufig unzureichend, um diese Bedrohung effektiv zu bekämpfen.

Jetzt stellt sich der Politik die Frage, ob nicht auch die Ermittler die neuesten Techniken einsetzen sollten, um die öffentliche Sicherheit zu schützen. Zu diesen modernen Techniken zählen insbesondere Einrichtungen zum Abhören von Wohnungen. Diese Einrichtungen sind nicht besonders teuer und lassen sich ohne viel Aufmerksamkeit zu erzeugen installieren. Dabei sind sie sehr effektiv, um entscheidende Informationen für die Strafverfolgung und die Prävention vor weiteren Straftaten zu bekommen. Der Preis scheint gering und der Gewinn enorm.

Geleitet von diesen Überlegungen beschloss die Bundesregierung 1998 den Ermittlern den Einsatz dieser Mittel zu ermöglichen. Fraglich war, ob die geforderten Eingriffsbefugnisse allein durch eine Änderung und Ergänzung des einfachen Rechts - insbesondere der Strafprozessordnung - eingeführt werden konnten oder ob dafür auch eine Änderung des Grundrechts auf die Unverletzlichkeit der Wohnung in Artikel 13 des Grundgesetzes erforderlich war. Schließlich gelangte man zu dem Ergebnis, dass derartige repressiv motivierte Maßnahmen nicht ohne Grundgesetzänderung eingeführt werden konnten.[1] Das von zwei Dritteln des Bundestags und Bundesrats beschlossene Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes trat am 26. April 1998 in Kraft. Die Strafprozessordnung wurde am 4. Mai 1998 durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität entsprechend geändert.[2]

Diese Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung zu Zwecken der Strafverfolgung wurde heftig kritisiert. Sowohl die Verfassungsmäßigkeit der Grundgesetzänderung selbst als auch die Änderung der Strafprozessordnung wurde von Kritikern bezweifelt.[3] Sie sahen in der Änderung des Artikel 13 GG eine Verletzung des Menschenwürdegrundsatzes aus Artikel 1 I des Grundgesetzes. In diesen Fall wäre die Grundgesetzänderung verfassungswidrig, da die so genannte Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 III GG Verfassungsänderungen verbietet, welche die in Artikel 1 niedergelegten Grundsätze berührt. All das führt zu der Frage, ob der Preis des Abhörens von Privatwohnungen tatsächlich so gering ist – wenn dieser Preis die Verletzung der Menschenwürde und somit des höchsten Verfassungsprinzips ist.

Mehrere Personen erhoben beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde sowohl gegen die Grundgesetzänderung als auch gegen die einschlägigen Vorschriften der StPO. Das Bundesverfassungsgericht fällte am 3. März 2004 seine Entscheidung über diese Verfassungsbeschwerden, in der es die Grundgesetzänderung für verfassungsgemäß, die betreffenden Paragraphen der StPO jedoch für verfassungswidrig erklärte. In dieser Arbeit soll das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgestellt und analysiert werden, insbesondere im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Auslegung des Menschenwürdegrundsatzes und der Ewigkeitsklausel (Art. 1 I und Art. 79 III GG).

II. Hintergrund

1. Hintergrund zur Menschwürdegarantie in Art. 1 I GG

Art. 1 I GG lautet: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Das Menschwürdeprinzip steht also an der Spitze der gesamten Verfassung und nimmt somit einen ganz besonders wichtigen Platz in der Rechtsordnung ein. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: "Die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde stellen den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar."[4]

Die Idee der Menschenwürde ist zwar schon sehr alt und geht bis auf das antike Griechenland zurück. Es ist aber eine relativ neue Entwicklung in der Verfassungsgeschichte, dass die Menschenwürde für den Staat und die Rechtsordnung so wichtig ist. Heute ist die Menschenwürde in allen demokratischen Ländern in der Verfassung festgelegt; gerade im deutschen Grundgesetz hat sie aufgrund der Geschichte Deutschlands jedoch einen besonders hohen Stellenwert. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurden unmenschliche Verbrechen begangen und Menschen zu bloßen Objekten gemacht. Dies hat gezeigt, wie wichtig ein effektiver Schutz der Menschenwürde ist. Deswegen stellte der Parlamentarische Rat, der im Mai 1949 das Grundgesetz ausgearbeitet hat, den Art. 1 I GG an die Spitze der gesamten Verfassung. Das ist auch ein Grund, warum der Menschenwürdegrundsatz heute immer noch eine herausragende Bedeutung in der deutschen Rechtsordnung hat.[5]

Die Menschenwürde ist im Grundgesetz aber nicht nur in Art. 1 I GG normiert. Auch andere Grundrechte können einen Menschenwürdegehalt aufweisen. Sie formen damit den Menschenwürdeschutz weiter aus.[6] Die Frage, wann ein bestimmtes Grundrecht einen solchen Menschenwürdegehalt hat, ist aber oft schwer zu beantworten.

2. Hintergrund zu der Ewigkeitsklausel in Art. 79 III GG

Art. 79 III GG lautet "Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig."

Diese sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG macht also die Änderung von besonders wichtigen Regelungen des Grundgesetzes unmöglich. Diese Regelungen sind demnach sogar für den demokratischen verfassungsgemäßen Gesetzgeber normativ unantastbar. Somit richtet Art. 79 III GG für den verfassungsändernden Gesetzgeber bestimmte unüberschreitbare Schranken auf. Art. 79 III GG wurde bislang nicht geändert und darf nicht geändert werden.[7]

Dies bedeutet einerseits, dass bestimmte Strukturen und Funktionen der Staatsorganisation nicht geändert werden dürfen. Andererseits gewährleistet Art. 79 III GG, dass auch der verfassungsändernde Gesetzgeber den Menschenwürdegrundsatz nicht antasten darf. In dieser Seminararbeit möchte ich mich mit dem Menschenwürdeaspekt von Art. 79 III GG beschäftigen. Dabei gilt, dass Art. 79 III GG nicht jede Änderung von Art. 1 GG verbietet. Unzulässig sind nur Verfassungsänderungen, welche die in Art. 1 GG niedergelegten Grundsätze verletzen. Das heißt, dass nur der Kernbereich von Art. 1 I GG geschützt ist. Art. 79 III GG schützt auch den sog. Menschenwürdegehalt anderer Grundrechte. Was unter diesem Menschenwürdekern der anderen Grundrechte zu verstehen ist, ist in jedem Fall einzeln zu entscheiden.[8]

3. Die Rolle des Bundesverfassungsgerichts bei der Auslegung

Bei dieser Frage spielt das Bundesverfassungsgericht eine wichtige Rolle. Mit einer bestimmten Auslegung von Grundrechten kann das Bundesverfassungsgericht die Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers entweder erweitern oder verkleinern. Die Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht hat eine zunehmende Bedeutung. Denn die Väter des Grundgesetzes konnten nicht alle späteren Realitäten und Gefahren vorhersehen. Auf diese reagiert der Gesetzgeber vielmehr mit neuen Gesetzen, die die Menschenwürde berühren können. In diesen Fällen muss dann das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob ein Eingriff und eine Verletzung der Menschenwürde vorliegen.

Auch wenn der Gesetzgeber einen der Grundrechtsartikel im Grundgesetz ändern möchte, ist die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts von Bedeutung. Denn wenn es entscheidet, dass ein Grundrecht einen Menschenwürdegehalt hat, dann ist dieser von Art. 79 III GG geschützt. Dieser Menschenwürdegehalt darf dann auch durch die Grundgesetzänderung nicht berührt werden.

Das Problem ist so komplex, dass ich es an einem Beispiel analysieren möchte. Als Beispiel habe ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum so genannten "Großen Lauschangriff" vom 3. März 2004 gewählt. Unter dem „Großen Lauschangriff“ ist die akustische Überwachung von Wohnungen mit technischen Mitteln zu verstehen. Der "Große Lauschangriff" betrifft Art. 13 GG, die Unverletzlichkeit der Wohnung.

4. Hintergrund zum Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 GG

Art. 13 GG gewährleistet das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung. Zusammen mit Art. 10 GG dient Art. 13 GG damit dem Schutz der privaten Lebenssphäre. Es soll dem Einzelnen einen „elementaren Lebensraum“[9] geben, wo er das Recht hat in Ruhe gelassen und nicht gestört zu werden.[10] Gemäß der herrschenden weiten Auslegung umfasst der Begriff „Wohnung“ dabei nicht nur Räume die Wohnzwecken dienen (z.B. auch Hotelzimmer, Wohnwagen), sondern auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume (nicht jedoch Räume, die einen unkontrollierten öffentlichen Zutritt erlauben).[11]

Art. 13 I GG garantiert einen verfassungsrechtlich geschützten Abwehranspruch gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die räumliche Individualsphäre.[12] Dabei schützt Art. 13 I GG diese räumliche Individualsphäre nicht nur gegen ein physisches körperliches Eindringen in den Wohnraum, sondern auch gegen unkörperliches Eindringen zum Beispiel durch technische Mittel. Damit schützt Art. 13 GG den Einzelnen gerade auch vor der akustischen Wohnraumüberwachung, die in der politischen Diskussion als Lauschangriff bezeichnet wird. Außerdem gewährleistet Art. 13 I GG auch Schutz gegenüber Dritten, insbesondere durch die Strafbestimmungen über den Hausfriedensbruch[13] und die zivilrechtlichen Vorschriften über verbotene Eigenmacht.[14]

III. Der so genannte "Große Lauschangriff"

1. Die Änderung des Art. 13 GG

Am 26. März 1998 wurden mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes in Art. 13 GG die Absätze 3 bis 6 eingefügt.[15] Diese Änderung hat dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung neue Schranken hinzugefügt. Um zu verstehen warum Art. 13 GG geändert werden musste, ist es nötig, die alte Fassung des Art. 13 GG zu betrachten:

Art. 13 GG, alte Fassung (gültig bis 31.3.1998)

1. Die Wohnung ist unverletzlich.
2. Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organen angeordnet und nur in der der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
3. Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

[...]


[1] Lepsius, Jura 2005, S. 433; Papier in: Maunz/Dürig, Art. 13 GG, S. 21.

[2] Bundesgesetzblatt I S. 845.

[3] Lepsius, Jura 2005, S. 433.

[4] BVerfGE 45, 187, 227.

[5] Pieroth/Schlink, Rdn. 349; Zippelius/Würtenberger, S. 201; Löw, S.34 ff, S.70 ff.

[6] Pieroth/Schlink, Rdn. 352.

[7] Zippelius/Würtenberger, S. 49.

[8] Zippelius/Würtenberger, S. 49.

[9] BVerfGE 42, 212/219; 51, 97/110.

[10] BVerfGE 27, 1/6; 103, 142/150; Pieroth/Schlink, Rdn. 872; Zippelius/Würtenberger, S. 263.

[11] Zippelius/Würtenberger, S. 264; BVerfGE 32, 54, 69f.; 96, 44, 51.

[12] BVerfGE 75, 318, 328; 89, 1, 11 f.

[13] § 123 StGB.

[14] §§ 858 ff. BGB.

[15] Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. 3.1998, BGBl. S. 610.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der „Große Lauschangriff“ im Fokus der Grundrechte
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institut für Öffentliches Recht)
Veranstaltung
Grundrechte im politischen System
Note
2,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V114179
ISBN (eBook)
9783640156542
ISBN (Buch)
9783640156573
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lauschangriff“, Fokus, Grundrechte, System
Arbeit zitieren
David Liebelt (Autor:in), 2008, Der „Große Lauschangriff“ im Fokus der Grundrechte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114179

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