Facetten und psychische Strategie des schwachen Helden in Italo Svevos „Zeno Cosini“


Hausarbeit, 2008

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Facettenreichtum der Schwäche Zenos
2.1 Der handlungsunfähige Held
2.2 Der neurotische Held
2.3 Der schuldige Held
2.4 Der narzisstische Held

3. Der schwache Held in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt
3.1 Zeno und der starke Rivale
3.2 Zeno und die begehrte, starke Frau
3.3 Zeno und der starke Konkurrent

4. Mechanismen zur Kompensation der Schwäche
4.1 Traumfähigkeit
4.2 Ironische Grundhaltung
4.3 Die psychische Strategie des schwachen Helden

5. Schlussbemerkung

6. Bibliographie

1. Einleitung

In der Epoche des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert, in der die traditionellen Werte an Beständigkeit verloren haben und eine verbindliche kulturelle Ordnung obsolet geworden ist, hat sich auch die Konzeption des literarischen Helden gewandelt:[1] Der Held des modernen Romans ist nicht länger ein sich in allen Lebenslagen und Konflikten behauptendes Individuum, sondern vielmehr ein Durchschnittsmensch mit Schwächen und Gebrechlichkeiten. Während in der antiken Welt des Epos der Romanheld Ausdruck eines auf Wahrheit und Schönheit beruhenden Ideals ist, scheitert der moderne Held sowohl an der Anpassung an die idealfremde Welt, als auch bei der Suche nach sich selbst. Ein solch paradigmatischer Antiheld findet sich in dem Svevo’schen Protagonisten Zeno Cosini.

Ziel dieser Arbeit ist es, die Inszenierung der Figur des Zeno Cosini als schwachen Helden im Romanwerk nachzuweisen. Hierfür werden zunächst verschiedene Facetten der charakterlichen Schwäche Zenos aufgezeigt. Diese Facetten werden mit der Methode der psychoanalytischen Literaturinterpretation näher auf ihre Ursprünge untersucht. Inwieweit diese Prädispositionen Zeno in der Interaktion mit seiner Umwelt beeinflussen, wird im dritten Kapitel behandelt. Hierbei werden drei verschiedene Komplementärfigurentypen in der Auseinandersetzung mit dem Antihelden betrachtet: Die begehrte, starke Frau, der überlegene Rivale sowie der verhasste, starke Konkurrent. Schließlich werden die Mechanismen zur Kompensation der Schwäche analysiert, mit denen der schwache Held Zeno die eigene Minderwertigkeit zu verbergen und auszugleichen sucht und mit denen er sich gegen Angriffe aus der Außenwelt schützt. Abschließend sollen die Ergebnisse resümiert werden und es ist zu diskutieren, inwieweit und in welcher Form es dem Antihelden gelingt, seine Schwäche abzulegen.

2. Facettenreichtum der Schwäche Zenos

In diesem einleitenden Kapitel stehen die mannigfachen Facetten der Schwäche Zenos im Mittelpunkt der Analyse. Hierbei sollen auch im besonderen Maße die Ursprünge dieser Eigenschaften mit Hilfe der Psychoanalyse ergründet werden. Des Weiteren sind die Konsequenzen, die Zeno aus diesen Facetten erwachsen, zu untersuchen.

2.1 Der handlungsunfähige Held

Zeno Cosinis Verhalten ist gekennzeichnet von der Unfähigkeit zu agieren und Entscheidungen zu treffen. Er überlässt es stets dem Zufall und der Außenwelt, über seine Zukunft zu bestimmen. So erwählt er Augusta nicht zu seiner Ehefrau, sondern wird zu dem Heiratsantrag bewogen. Gleichfalls verliert er seine Geliebte Carla aufgrund eines Missverständnisses, anstatt sie gemäß seiner guten Vorsätze zu verlassen. Zenos Unentschlossenheit äußert sich des Weiteren in einer Sprunghaftigkeit: Er pendelt zwischen dem Jus und der Chemie, sowie zwischen der Ehefrau und der Geliebten.

Zeno fristet sein Dasein, indem er sich beim Leben zuschaut.[2] An Stelle der Aktion tritt die Erforschung der eigenen Existenz.[3] Seinem kontemplativen Wesen entsprechend versinkt er in Grübeleien, denen jeder Entschluss zur Aktion fehlt. Diese Passivität und Willenlosigkeit führen zwangsläufig zu einem untätigen, müßigen Leben. Dabei befriedigt ihn seine Stellung im Leben durchaus nicht. Er ist jedoch aus Trägheit und Energiemangel unfähig, sich aktiv im Leben einzubringen und Missstände zu beheben. Dies geht soweit, dass er Strategien der Handlungsverhinderung entwirft, indem er die eigene Passivität und Unfähigkeit mit dem Alter, der Schwäche oder den äußeren Umständen entschuldigt.[4] Die ständig wiederkehrenden Rechtfertigungsschemata ersetzen das eigene Handeln.[5] So erklärt er sein Scheitern im Leben mehrfach mit dem intensiven Rauchen: „Es schien bewiesen, daß ich für das chemische Studium nicht geeignet war, allein schon wegen meiner ungeschickten und unsicheren Hände. Wie hätten die auch anders sein können, da ich unaufhörlich wie ein Türke rauchte?[6] Indem Zeno die eigenen Defizite als Vorwand für den Müßiggang verwendet, macht er sich selbst zu einem „inetto“:[7] Das Scheitern wird zum Modus der Lebensführung.

Die Vorwände für das Nicht-Handeln durchziehen den gesamten Roman und sind symptomatisch für Zenos Unzulänglichkeit. Es stellt sich die Frage, wie dieses unentschlossene Verhalten zur Realität begründet ist. Als Ursache hierfür kann die neurotische Angst vor der Realität gewertet werden:[8] Zeno ist unfähig, die ihn umgebende Realität zu kontrollieren und fühlt sich von dieser unter Druck gesetzt. Diese Realitätsfurcht und Lebensangst führen schließlich zu einer Schwächung des Ichs und dem Verlust von Handlungsantrieben.[9] Zenos Bestreben ist es daher, Entscheidungen zu meiden und jeglicher Form von Bindung zu entgehen:[10] Indem er sich nicht festlegt und irreversible Entscheidungen vermeidet, kann er den vergänglichen Charakter des Lebens ignorieren und sich seine Infantilität bewahren.[11]

Dieser Angst vor der Realität zum Trotz entwickelt Zeno sporadisch einen überzogenen Trieb zu agieren.[12] Dabei fallen seine Handlungen ostentativ und irrational, ja seinem eigenen Unvermögen zum Trotz ungestüm, aus. Ein solches krampfhaft aktives Handeln zeigt sich in dem starrsinnigen Vorhaben unmittelbar eine der drei Malfenti-Töchter – selbst die unattraktive Augusta – zu heiraten. Der willenskranke Zeno kompensiert seine Vorliebe für die Passivität folglich beizeiten in einer Überaktivität.

2.2 Der neurotische Held

Der müßige Lebenswandel gestattet es Zeno, sich intensiv mit der eigenen Person zu beschäftigen. Durch den Mangel an kommerzieller Tätigkeit verfügt er über reichlich Zeit für die Analyse und Observation der zahlreichen körperlichen Unpässlichkeiten und für die Kreation neuer Krankheitssymptome. Dabei leidet Zeno nicht wirklich an einer organischen Krankheit – vielmehr ist seine Hypochondrie ein pathologisches Symptom.[13] Die Hypochondrie wird von Sigmund Freud als eine Form der Aktualneurose beschrieben.[14] Nach Freud löst der Hypochondrische Interesse wie Libido von den Objekten der Außenwelt und richtet beides auf ein jeweiliges Organ.[15]

Neben der Hypochondrie sind ferner Zenos Zwangsvorstellungen charakteristisch für seinen neurotischen Charakter. Zenos Drang stets zu grübeln und zu spekulieren – ja das Grübeln zur Lebensaufgabe zu setzen – ist ein exemplarisches Symptom der Zwangsneurose.[16] Seine fundamentale Unsicherheit manifestiert sich außerdem in dem leitmotivischen Zweifel:[17] Zeno ist ohne festes Urteil über sich selbst und andere und weist keine gesellschaftlichen Wertmaßstäbe und moralische Kategorien auf, so dass ihm nur der Zweifel bleibt. Das Grübeln und Zweifeln wirkt sich schließlich auch hemmend auf Zenos Handlungswillen aus. Lediglich Zwangshandlungen führt Zeno fortwährend aus. Zwangshandlungen meinen Wiederholungen sowie zeremoniöse Verzierungen an Tätigkeiten des Alltagsleben, die gemeine Prozesse unnötig erschweren.[18] Der Versuch, das Rauchen aufzugeben, wird beispielsweise rituell mit dem Spiel mit Daten und Geburtstagen zelebriert.[19] Dabei sollen die zeremoniellen Handlungen den Zwangsneurotiker beruhigen. Zeno benötigt ein öffentliches Koordinatensystem und einen minutiösen Zeitplan, an denen er sich orientieren kann:[20] So fungieren die ewig letzte Zigarette und die Regelmäßigkeiten, die Augusta in Zenos Leben einführt, als beruhigende Fixpunkte in seinem Dasein.

Die Neurose bedeutet für den Zwangsneurotiker folglich die Einschränkung der Handlungsfähigkeit. Dennoch wird dem Ich durch das Ausweichen in die Neurose ein gewisser Krankheitsgewinn zuteil. Ein solcher lässt sich bei Zenos Hypochondrie de facto feststellen.[21] Seine Flucht in die Krankheit erweist sich als eine exzellente Defensivstrategie:[22] Sie gewährt Zeno einen privilegierten Status und schafft ihm Erleichterung, indem sie ihn von dem Zwang eines normalen und verantwortlichen Verhaltens befreit und sein kapriziöses Dasein rechtfertigt. Zudem fungiert die mutmaßliche Krankheit als Vorwand für das erfolglose Leben Zenos, so dass er fortan an die eigene Lebenstauglichkeit glauben kann, ohne den Beweis antreten zu müssen.[23] Der hypochondrische Zeno ist demnach nur scheinbar auf der Suche nach Gesundheit. Faktisch strebt er nach einer Krankheit, die für ihn Rechtfertigung und Entlastung zu sein verspricht. So formuliert er: „Ich wünschte mir nicht gerade den Tod, aber die Krankheit; eine Krankheit, die mir entweder als Vorwand dienen konnte, das zu tun, was ich eigentlich wollte, oder die mich an meinem Vorhaben hindern würde.[24] Bestrebt physisch krank zu sein und psychisch tatsächlich lädiert, sucht Zeno nach Vorwänden für seine Schwäche, ohne zu merken, dass er sich somit selbst in eine inferiore Stellung manövriert.

2.3 Der schuldige Held

Eng verzahnt mit Zenos Neurose sind seine Schuldgefühle, denn nach Freud ist der Ödipuskomplex Kern jeder Neurose.[25] Der Ödipuskomplex des Knaben, der Wunsch den Vater zu beseitigen und die Mutter zum Weibe zu nehmen, ist wiederum die wichtigste Quelle des Schuldgefühls. Dem Neurotiker gelingt es nicht, den Ödipuskomplex zu überwinden: Er kann die libidinösen Wünsche nicht von der Mutter lösen und auf ein reales fremdes Liebesobjekt richten, kann die Gegnerschaft zum Vater nicht aufgeben und ist infolgedessen mit Schuldgefühlen gestraft.

Zenos Schuldkomplex beginnt in der Kindheit in der Konkurrenzsituation mit dem Vater um die mütterliche Aufmerksamkeit.[26] Zeno beginnt zu rauchen, um mit dem Vater auf einem spezifisch männlichen Gebiet zu rivalisieren. Hierfür stiehlt er dem Vater das Geld für Zigaretten. Dieser Diebstahl entspringt dem unbewussten Wunsch, die Männlichkeit des Vaters zu stehlen.[27] Der Vaterhass und die Todeswünsche wecken in Zeno erste Empfindungen von Schuld. Auf Dauer fixiert werden die Schuldgefühle Zenos durch die letzte Geste des Vaters vor dem Tod: Die Ohrfeige, die der Vater dem Sohn erteilt, wirkt auf Zeno wie eine Bestrafung für den heimlichen Todeswunsch. Der ödipale Wunsch, den Vater zu beseitigen, ist in Erfüllung gegangen und verdüstert Zenos weitere Existenz durch das unabwendbare Gefühl der Schuld. Zeno muss erkennen: „Er war tot. Ich konnte meine Unschuld nicht mehr beweisen.[28]

Zenos weiteres Leben ist von nun an von einem dauernden Schuldgefühl und dem daraus resultierenden Drang, die eigene Unschuld zu bekennen, geprägt. Dabei ist die Instanz, vor der sich Zeno rechtfertigt, nicht die Außenwelt, sondern sein Gewissen.[29] Dieses erlaubt ihm, sich selbst mit seinem Fehlverhalten zu arrangieren, ohne dass er sein Verhalten tatsächlich ändern muss. So entledigt sich Zeno seiner Selbstvorwürfe wegen des Ehebruchs, indem er vielfache Rechtfertigungen und Beschönigungen vor dem eigenen Gewissen anführt: Er redet sich ein, die Beziehung zu Carla wäre rein platonischer Natur oder sie würde dem Eheleben mit Augusta zugute kommen, indem sie ihn zärtlicher gegen Augusta werden ließe. Des Weiteren kann er vor seinem Gewissen die Mitmenschen als Schuldige darstellen, ohne deren Einspruch fürchten zu müssen. So bemerkt er einmal, es sei Carlas Aufgabe, seine Annäherungsversuche zu verhindern oder er behauptet, das erneute Betrügen Augustas sei die Schuld von Herrn Malfenti, da er ihn vor dem Vater Guidos erniedrigt habe.

[...]


[1] Delassalle 1996 S.163-165

[2] Delassalle 1996 S.118

[3] ebd. S.182

[4] Behrens 1994 S.347

[5] Schärer 1978 S.40

[6] Svevo 2007 S.37

[7] Behrens 1994 S.347

[8] Schärer 1978 S.32

[9] Wuthenow 1990 S.73

[10] Delassalle 1996 S.118

[11] ebd. S.75

[12] Schärer 1978 S.32-33

[13] Delassalle 1996 S.106

[14] vgl. Freud 1969 S.378

[15] Freud 1975 S.50

[16] vgl. Freud 1969 S.259f.

[17] Heitmann 1980/1 S.8

[18] vgl. Freud 1969 S.260

[19] Delassalle 1996 S.71

[20] Kuhnle 2005 S.149

[21] vgl. Freud 1969 S.371-379

[22] Delassalle 1996 S.186f.

[23] Brinkmann-S. 1986 S.174f.

[24] Svevo 2007 S.282

[25] vgl. Freud 1969 S.324-331

[26] Delassalle 1996 S.79

[27] Heitmann 1980/1 S.10

[28] Svevo 2007 S.95

[29] Schärer 1978 S.72

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Facetten und psychische Strategie des schwachen Helden in Italo Svevos „Zeno Cosini“
Hochschule
Universität Siegen  (Romanische Literaturwissenschaft - französische und italienische Literatur )
Veranstaltung
Italo Svevo, Arthur Schnitzler im Dialog mit Sigmund Freud
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V113975
ISBN (eBook)
9783640142910
ISBN (Buch)
9783640143405
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Facetten, Strategie, Helden, Italo, Svevos, Cosini“, Italo, Svevo, Arthur, Schnitzler, Dialog, Sigmund, Freud, Psychoanalyse, psychoanalytische Literaturintepretation, Hypochondrie, Narzissmus, Ödipus-Komplex, Antiheld, Neurose
Arbeit zitieren
Laura Dorfer (Autor:in), 2008, Facetten und psychische Strategie des schwachen Helden in Italo Svevos „Zeno Cosini“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113975

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