Die europäische Gesundheitspolitik als Nagelprobe - Der erstarkte EuGH und die schwächelnde Kommission


Diplomarbeit, 2004

103 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 EMPIRISCHER TEIL
2.1 Gesundheitspolitische Maßnahmen der Gemeinschaft
2.2 Entscheidungen des EuGH mit Relevanz für die Gesundheitspolitik

3 DIE THEORETISCHE GRUNDLAGE: DAS „ PRINCIPAL-AGENT“ MODELL
3.1 Gründe des Delegierens
3.2 Das institutionelle Design einer Agentur
3.3 Die Konsequenzen des Delegierens
3.4 Fazit des Kapitels

4 STELLUNG UND ENTWICKLUNG DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION
4.1 Regulierung als Modus politischer Steuerung
4.2 „Die Europäische Union als regulativer Staat“
4.3 Der Glaubwürdigkeitsverlust der Kommission
4.4 Fazit des Kapitels

5 STELLUNG UND ENTWICKLUNG DES EUROPÄISCHEN GERICHTSHOFS
5.1 Die Entwicklung des EuGH in den 1960er Jahren
5.2 Die „Nicht-Reaktion“ der Mitgliedstaaten
5.3 Die nationalen Gerichte als Akteure im Prozess der rechtlichen Integration
5.4 Das Vorgehen des EuGH: undogmatisch oder strategisch
5.5 Fazit des Kapitels

6 FAZIT

7 LITERATURVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

„Die Wahrnehmung von Hoheitsgewalt durch einen Staatenverbund wie die Europäische Union gründet sich auf Ermächtigungen souverän bleibender Staaten, die im zwischenstaatlichen Bereich regelmäßig durch ihre Regierungen handeln und dadurch die Integration steuern. Sie ist daher primär gouvernemental bestimmt.“1

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht im sogenannten „Maastricht-Urteil“ die Europäische Union (EU) als einen Staatenverbund, der sich aus souverän bleibenden Staaten zusammensetzt. Das Gericht versucht somit semantisch der Gestalt der EU gerecht zu werden: Sie ist mehr als ein Staatenbund von souveränen Staaten, die sich in einem Politikbereich zusammenschließen; sie ist gleichzeitig aber auch weniger als ein Gebilde, das man „Vereinigte Staaten von Europa“ nennen könnte. Zentral in dem obigen Zitat ist das Wort „souverän“. Da sich die Europäische Union im Kern durch eine Wirtschaftsgemeinschaft auszeichnet und die Politikbereiche der sogenannten „2. und

3. Säule“2 äußerst schwach integriert sind, lässt sich der Begriff „souverän“ oder „Souveränität“ mitunter deskriptiv aus Sicht der policy-Perspektive fassen. Die Frage muss lauten, welche Politikbereiche müssen bei Nationalstaaten verbleiben, um ihre eigene Staatlichkeit weiterhin begründen zu können? Sozialpolitik zählt hierbei sicherlich dazu, verbindet sie doch auf eindrucksvolle Art und Weise die „Herrschaft durch das Volk“ mit der „Herrschaft für das Volk“. Somit lässt sich die Sozialpolitik als ein für die souveräne Staatlichkeit eines Staates legitimierendes Element bezeichnen.

Ein weiteres Indiz für die Sozialpolitik als ein den Staat konstituierendes Element und von ausschließlich von ihm behandeltes Feld ist das der Sozialleistungssysteme. Während in der Europäischen Gemeinschaft bzw. in der Europäischen Union schon seit geraumer Zeit mit Waren, Kapital und Dienstleitungen freier Handel zwischen den Mitgliedstaaten betrieben werden kann, war der Zugang zu ausländischen Sozialleistungsträgern und ausländischen Sozialleistungserbringern lange tabu, denn im Bereich der Sozialversicherung gilt in den Mitgliedstaaten das Territorialprinzip.3 Dennoch, „die heilige Kuh“ der nationalstaatlich geschlossenen Gesundheitssysteme ist nicht mehr sicher. Seit 1998 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) durch drei Entscheidungen den Zugang zu Behandlungen im EU-Ausland grundsätzlich mit nur wenigen Ausnahmen gestattet. Begründet wurde dies mit den sogenannten Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts4, hier vor allem mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 und 50 des Europäischen Gemeinschaftsvertrags (EGV). Die Entscheidungen belegen ein Vorgehen des EuGH, das – wie im Verlaufe dieser Arbeit noch gezeigt werden soll – in dieser Form auch in anderen Feldern als dem der Gesundheitspolitik durchaus nicht zum ersten Mal zu beobachten ist. Das Gemeinschaftsrecht geriert sich als eine Art Wirtschaftsverfassung. Diese hat, auch aufgrund der durch den EuGH entwickelten Doktrinen des Anwendungsvorrangs5 und der unmittelbaren Wirkung6, in Verbindung mit dem sogenannten Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 234 EGV eine enorme Wirkung auf die Handlungsfähigkeit nationaler Politik entfaltet, und zwar auch auf gemeinschaftsrechtsferne Bereiche, wie eben den der Sozialpolitik.

Doch wenn Sozialpolitik wirklich einer der neuralgischen Punkte nationaler Staatlichkeit ist, stellt sich die Frage, wie die Mitgliedstaaten auf die Rechtsprechung des EuGH reagieren. Anders gesagt, es bleibt fraglich, warum die Mitgliedstaaten nicht schon im Vorfeld der für das Gesundheitssystem relevanten Entscheidungen sichergestellt haben, dass der EuGH eben nicht Entscheidungen mit solch großer Tragweite fällen kann. Die Begründung hierfür, so der Tenor dieser Arbeit, liegt in der institutionellen Ausgestaltung des EuGH. Doch aus dieser Vermutung ergibt sich eine weitere Frage: Warum ist der EuGH so konstituiert und warum bevorzugen die Mitgliedstaaten diese starke Position eines Gerichtshofs? Hierin ist die Verbindung zu der ebenfalls in dieser Arbeit behandelten Europäischen Kommission (im Folgenden Kommission) zu sehen. Die Gründe für eine solch starke und in großer Autonomie gegenüber den „Herren der Verträge“ handelnden Institution sind bei der Kommission und dem EuGH ähnlich gelagert. Denn zuvorderst stellen beide Institutionen den Ausdruck des nachhaltigen Interesses und der langfristigen Verpflichtung zur Gemeinschaft seitens ihrer Mitglieder dar. Und beide nehmen auch die Funktion des „Hüters der Verträge“ ein. Umgekehrt könnte die Möglichkeit der starken Einflussnahme der Mitgliedstaaten in die Arbeit dieser beiden Institutionen die Glaubwürdigkeit der gegenseitigen Verpflichtung unterminieren.

Genau hierin besteht das für diese Arbeit entscheidende Spannungsverhältnis. Einerseits existieren auf europäischer Ebene mit großen autonomen Handlungsbefugnissen ausgestattete, nicht unmittelbar demokratisch legitimierte, supranationale Institutionen, die geeignet sind, für alle Staaten auf europäischer Ebene verbindlich, neutral und glaubwürdig zu handeln. Andererseits sind sie aber auch institutionell in der Lage, „outputs“ zu erzeugen, die nicht mit den ursprünglichen Intentionen und Interessen der Mitgliedstaaten korrespondieren und von Letzteren nicht mehr eingefangen werden können. Trotz dieser vergleichbaren „Delegierungsgründe“ hinsichtlich des Transfers von Kompetenzen an den EuGH und die Kommission, verlief und verläuft die Entwicklung beider Institutionen sehr unterschiedlich. Während der Gerichtshof im Laufe der Jahre stetig an Bedeutung zugenommen hat, lässt sich im Falle der Kommission ein solch linearer Prozess nicht beobachten.

Somit sind zwei Fragen für diese Arbeit von zentraler Bedeutung und bilden den Kern des Erkenntnisinteresses:

1. Wie ist es möglich, dass gemeinschaftsrechtsferne Politikbereiche wie die Gestaltung der Gesundheitssysteme vom Gemeinschaftsrecht erfasst werden und welche Rolle spielen dabei die Kommission und der EuGH? Forcieren beide Institutionen den Ausbau des Einflusses des Gemeinschaftsrechts aus eigenem Antrieb, und ist eine der entscheidenden Triebfedern gar das eigene, institutionelle Interesse, Einfluss und Kompetenzen dazu zu gewinnen? Oder tragen sie durch ihre Handlungen lediglich einer funktionalen Notwendigkeit Rechnung?
2. Wieso wird der Kommission Einhalt im Ausbau ihrer Kompetenzen und ihres Einflusses geboten und wieso ist dies beim EuGH ungleich schwerer möglich? Oder zugespitzt formuliert, lässt sich der EuGH als vorläufiger „institutioneller Sieger“ beschreiben, was die Stärke seiner Stellung im europäischen Institutionengefüge angeht.

Zur Beantwortung dieser Fragen wird wie folgt vorgegangen: Beginnen wird die Abhandlung untypischerweise mit dem Empirieteil. Es werden zum einen gesundheitspolitische Maßnahmen der EU dargestellt, zum anderen EuGH-Entscheidungen mit großen gesundheitspolitischen Effekten. Nach dieser deskriptiven Bestandsaufnahme folgt das dritte Kapitel mit der Abhandlung des sogenannten Principal-Agent Modells. Dieser Ansatz veranschaulicht theoretisch, warum, wie und mit welchen Konsequenzen Kompetenzen an eine vom direkten Zugriff ihrer Initiatoren unabhängige Behörde (englisch: Agency) transferiert werden. Sowohl die Kommission als auch der EuGH können als eine solche Agency verstanden werden. Dabei fungiert der Principal-Agent Ansatz als eine dem akteurszentrierten Institutionalismus zuzurechende theoretische Basis in dieser Arbeit, der sich deshalb besonders gut zur Beantwortung der oben gestellten Fragen eignet, weil er eine Institution als eigenständigen Akteur versteht und diesen in den Mittelpunkt seiner Argumentation rückt. Auf die theoretische Basis werden im vierten und fünften Kapitel zwei unterschiedliche aber dem akteurszentrierten Institutionalismus treu bleibende

„theoretische Deckel“ aufgeschraubt. Zum einen kann durch den Ansatz von Giandomenico Majone die Entwicklung für den Fall der Kommission nachgezeigt werden. Unter der These „die EU als regulativer Staat“ entwickelt er Erklärungen und Gründe für die über Jahre hinweg stetig steigende Bedeutung der Kommission.7 Der zweite ebenfalls institutionalistische „theoretische Deckel“ dient der Abhandlung zum EuGH.

Basierend auf den Texten von Alter und anhand erlassener Entscheidungen des EuGH, wird seine Rolle im europäischen Institutionengefüge beschrieben.8 Dabei wird die Vermutung zu belegen sein, dass es sich beim EuGH um einen strategisch handelnden, deswegen gemeinhin auch als undogmatisch bezeichneten Gerichtshof handelt. Entscheidendes Einfallstor für den EuGH in diesem Bereich ist die Umsetzung des Binnenmarktes. Somit, so soll argumentiert werden, wirkt der EuGH in eklatanter Weise auf Gesundheitspolitik, und zwar durch „die Hintertür“ der Umsetzung der Grundfreiheiten.

Darüber hinaus kann er womöglich als politischer Akteur gewertet werden, steht doch zu vermuten, dass beim Fällen von Entscheidungen nicht das Gemeinschaftsrecht sondern auch politische und strategische Überlegungen eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Anhand von spieltheoretischen Varianten soll gezeigt werden, dass der EuGH wenn nicht einer rechtlichen Dogmatik, so doch einer anderen Gesetzund Regelmäßigkeit folgt.

Der sechste Punkt dieser Arbeit und damit den Abschluss bildet ein Fazit. Der Empirieteil befindet sich nicht deshalb an ungewohnter vorderer Stelle dieser Arbeit, weil er dort am meisten Sinn für die Argumentation machen würde, vielmehr deswegen, weil er an seiner „angestammten“ Position, zwischen Theorieteil und Synthese bzw. Fazit, einen Bruch in der argumentativen Überleitung von den theoretischen Kapiteln in den Teil des Fazits bedeuten würde.

Die Rolle der Gesundheitspolitik auf europäischer Ebene bzw. die Rolle gesundheitspolitischrelevanter Entscheidungen soll genau an den Punkten einfließen, an denen gezeigt werden soll, wie die Kommission und der EuGH in Politikbereichen wirken, für die sie eigentlich keine Kompetenzen besitzen. Insofern ist die Gesundheitspolitik die durch den Titel dieser Arbeit zum Ausdruck kommende Nagelprobe, um die unterschiedlichen Entwicklungslinien beider Institutionen aufzuzeigen.

In dieser Arbeit soll die oben bereits angeführte These untermauert werden, wonach der EuGH im Sinne der stetigen prozesshaften Kompetenzaneignung und Einflusssteigerung zu einer der einflussreichsten Akteure in Europa geworden ist. Gleichzeitig wird jedoch auch die Entwicklung der Kommission gezeigt werden. Interessanterweise spricht Majone, und damit genau der Autor, der 1996 die These „der EU als regulativen Staat“ entwickelte, schon sechs Jahre später von einem Glaubwürdigkeitsund Autoritätsverlust dieser Institution, den sie vor allem durch die Änderungen des Vertrages von Amsterdam erfahren hat.9

Abschließend bleibt folgendes zu sagen: Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die Handlungsebene. Das heißt, es wird versucht, die Gründe und Prozesse, die die Mitgliedstaaten dazu veranlasst haben, zwei mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete supranationale Institutionen zu gründen, ebenso nachvollziehen zu können, wie deren Handlungen und Aktionen im europäischen Institutionengefüge. Ziel ist es demnach, nach Lektüre dieser Arbeit zu verstehen, warum und wie gehandelt wird, was anhand des empirischen Beispiels der Gesundheitspolitik verdeutlicht werden soll. Dabei steht die Frage nach der Legitimation aus demokratietheoretischer Sicht, also die Herrschaftsebene, nicht im Fokus. Diese Frage wird nur kurz angerissen werden.

2 EMPIRISCHER TEIL

Die Gemeinschaft ist im Kern ein wirtschaftlicher Zusammenschluss von europäischen Staaten. Dagegen sind andere Politikbereiche, wie etwa die der sogenannten „2. und 3. Säule“ der EU noch sehr schwach integriert. Das gilt auch für den unter den Begriff der Sozialpolitik fallenden Bereich der Gesundheitspolitik. Dennoch gibt es in Art. 152 EGV eine Kompetenzgrundlage für gesundheitspolitische Maßnahmen auf europäischer Ebene. Diese Maßnahmen sollen im folgenden ersten Punkt dargestellt werden. Im zweiten Punkt soll anhand von vor dem EuGH behandelten Fällen gezeigt werden, dass auch rechtliche Entscheidungen dieses Gerichtshofs von hoher Relevanz für die Gesundheitspolitik auf europäischer und auf nationaler Ebene sein können. Es wird argumentiert werden, dass der EuGH durch die „Hintertür“ der Umsetzung des Binnenmarktes Entscheidungen mit Auswirkungen fällt, die in ihrem Umfang sogar über die politischen Maßnahmen der Gemeinschaft hinausgehen.

2.1 Gesundheitspolitische Maßnahmen der Gemeinschaft

Erst im Vertrag von Maastricht erhielt die Gemeinschaftsrechtsordnung durch Art. 129 EGV, den heutigen Art. 152 EGV, eine Kompetenzgrundlage für den Erlass von gesundheitspolitischen Maßnahmen.1 Durch den 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam ist dieser Artikel einigen Änderungen unterworfen worden. Beispiele hierfür sind die Einführung der sogenannten „gesundheitspolitischen Querschnittsklausel“ aus Art. 152 Abs. 1 EGV und der neu hinzu gekommene Abs. 5, der besagt, dass „die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt [wird].“ Allerdings existieren auf europäischer Ebene auch gesundheitspolitische Maßnahmen, die auf anderen, dann meist spezielle Politikfelder betreffende Rechtsgrundlagen, gestützt sind, wie beispielsweise Art. 137 EGV zum Thema Arbeitsschutz.2

Alles in allem lassen sich drei Arten von gesundheitspolitischen Maßnahmen der Gemeinschaft unterscheiden. Zum einen existieren gesundheitspolitische Maßnahmen, die der Umsetzung des gemeinsamen Binnenmarktes geschuldet sind. Zweitens existieren gesundheitspolitische Maßnahmen der Gemeinschaft, die den Binnenmarkt für eine gewisse Zeit in einem bestimmten gesundheitspolitisch relevanten Feld aussparen. Und drittes gibt es koordinierende und die Bevölkerung informierende Maßnahmen, wie Aktionsprogramme oder Empfehlungen.

Zunächst zum ersten Punkt: So gibt es gesundheitsrelevante europäische Regelungen im Arbeitsschutzbereich (gem. Art. 137 EGV), im Bereich Verbraucherschutz (gem. Art. 153 EGV) oder auch im Rahmen der Umweltpolitik (gem. Art. 175 EGV). Dar- über hinaus existieren auch gesundheitssystemrelevante Maßnahmen, wie beispielsweise die gegenseitige Anerkennung von Diplomen und Zeugnissen bei der Medizinerausbildung nach Art. 47 EGV und die Niederlassungsfreiheit für abprobierte Ärzte.3 Schaut man sich jedoch die Rechtsgrundlagen dieser Maßnahmen genau an, verstärkt sich der Eindruck, dass deren Umsetzung nicht dem Befolgen eines gesundheitspolitischen Programms der Gemeinschaft geschuldet ist. Vielmehr spiegelt sich in diesen Maßnahmen das primäre Ziel der Umsetzung des europäischen Binnenmarkts wider mit gesundheitspolitischen Auswirkungen. Somit liegt der Grund dieser Maßnahmen in der Beseitigung unterschiedlicher gesundheitlicher Standards in den Mitgliedstaaten, die zu einer unerwünschten Verzerrung des freien Wettbewerbs führen könnten. Das bekannteste Beispiel aus letzter Zeit bietet die langwierige Diskussion in der EU über das Rauchen. Eine vom Rat erlassene „Richtlinie über das Tabakwerbeverbot“4 aus dem Jahre 1998 sah unter der Maßgabe des besseren Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung und des Verbraucherschutzes vor, Tabakwerbung grundsätzlich zu verbieten. Doch schon im Jahr 2000 erklärte der EuGH auf Basis einer Klage der Bundesrepublik Deutschland diese Richtlinie für nichtig.5

Denn der EuGH sah in den vom Rat der EU (Rat) und dem Europäischen Parlament (EP) gebrauchten Rechtsgrundlagen der Art. 95, 47 und 55 EGV keine tauglichen Rechtsgrundlagen für eine solche Richtlinie, „da der Binnenmarkt nicht hinreichend intensiv berührt sei.“6 Die Maßnahme sollte weniger dem Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes dienen, als vielmehr der Verfolgung einer Gesundheitspolitik, für die sich aber in diesem Umfang keine vertraglich verankerte Kompetenz findet.7 Die neue Tabak-Richtlinie, die 2003 auch in Deutschland umgesetzt wurde und unter anderem vergrößerte Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln vorschreibt, ist ein weiterer Versuch der EU, gesundheitspolitisch tätig zu werden. Doch diesmal scheint dieses Vorgehen auch gemeinschaftsrechtskonform: Es führt zu einer EU-weiten Vereinheitlichung des Designs von Zigarettenschachteln und somit zu einer Vereinheitlichung des Produkts Zigarette in den Mitgliedstaaten und hierdurch zu einer Harmonisierung dieses Marktes. Die Richtlinie verfolgt somit vorrangig den Zweck der Verwirklichung des Binnenmarktes. Das damit auch gesundheitspolitische Belange verfolgt werden, steht der Anwendung des Art. 95 EGV als Rechtsgrundlage nicht entgegen. Ein weiteres Beispiel einer Maßnahme der EU, die „der doppelten Zielstellung gerecht werden [soll], ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten und Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung für den Binnenmarkt zu beseitigen“,8 ist die EMEA. Die 1995 gegründete Regulierungsbehörde „European Agency for the Evaluation of Medicinal Products“ ist zuständig für das EU-weite Zulassungsverfahren für Arzneimittel. Die Zulassungen sind verbindlich und fünf Jahre gültig. Danach überprüft die Agentur das Arzneimittel nochmals. Darüber hinaus führt sie Inspektionen bei der Produktion von Arzneimitteln durch. Entscheidend hierbei ist, dass sowohl die Zulassungsprüfung (die EMEA besitzt keine eigenen Labors), als auch die Kontrollmechanismen der EMEA die in den Mitgliedsaaten zuständigen Stellen im Auftrag der EMEA durchführen.9 Insofern geriert sich die EMEA wie ein „kleiner Ableger“ der Kommission: Sie besitzt Regulierungskompetenz (sie entscheidet über den Zugang zum Arzneimittelmarkt) und besitzt die Autorität, Kontrollverfahren zu initiieren. Bei all diesen Aufgaben ist sie – analog zur Umsetzung von Rechtsakten der EK - auf die Verwaltungen der Mitgliedstaaten angewiesen. Dennoch, die Position der EMEA „ als erster und einziger europäischer Behörde mit unabhängigem Status und regulativem Mandat, [...] ist als ein Meilenstein in der Geschichte der europäischen Union betrachtet worden.“10 Allerdings stellt sich auch bei der Arbeit dieser Agentur die Frage, wie groß der Einfluss der ökonomischen Interessen bewertet werden muss. Es steht zu vermuten, dass die wirtschaftlichen Motive eine größere Rolle spielen als die gesundheitspolitischen. Denn sowohl der Grad an Intransparenz hinsichtlich der Informationspolitik der EMEA, als auch der Einfluss der Pharmaindustrie auf die Zulassungsentscheidung werden als Indiz für diese Vermutung herangezogen.11 Oder wie Mossialos es ausdrückt: „While established to regulate the safety, quality and efficacy of new medicines in Europe, the EMEA is widely viewed as serving primariliy the interests of industry.”12

Folglich dienen die eben beschriebenen Maßnahmen und Einrichtungen eher der Umsetzung des Binnenmarktes als der konkreten Verfolgung eines gesundheitspolitischen Programms auf europäischer Ebene.

Zweitens gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die zwar ebenfalls der Umsetzung des Binnenmarktes gelten. Jedoch im Unterschied zum ersten Aspekt dienen sie der Beschränkung des Binnenmarktes bei gesundheitspolitisch negativen Auswirkungen für die Mitgliedstaaten und geben diesen die Möglichkeit, die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts in bestimmten Bereichen für eine gewisse Zeit außer Kraft zu setzen. Die Maßnahmen zum Schutz vor einer Ausbreitung der BSE-Seuche bei Rindern und der Maulund Klauenseuche bei Hühnern (gem. Art. 152 Abs. 4 lit. b)) lassen sich ebenso in diesem Punkt zusammenfassen, wie „die Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitätsund Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs, sowie für Blutund Blutderivate“ nach Art. 152 Abs. 4 lit. a) EGV. Bei den Maßnahmen dieser und der ersten Gruppe handelt es sich um Aktionen in Gestalt von Verordnungen und

Richtlinien, beides verbindlich wirkende Rechtsakte.13 Demgegenüber stellt die dritte, quantitativ wahrscheinlich stärkste Gruppe gesundheitspolitischer Maßnahmen - Aktionsprogramme, Entschließungen und Empfehlungen - gleichsam auch die schwächste Maßnahmenart dar. Sie wirken nicht verpflichtend und sind ihrem Wesen nach zumeist unverbindliche Aufklärungsund Erziehungsinitiativen.14 Aktionsprogramme zur Aidsund Krebsbekämpfung, zur Drogenbekämpfung und Suchtprävention zählen ebenso dazu wie Programme zur Aufklärung über durch Umweltverschmutzung bedingte Krankheiten.15 Auch zu diesen Maßnahmen stellt der Artikel 152 Abs. 1 und 2 EGV die Rechtsgrundlage dar.

Wichtig ist jedoch, dass die Gemeinschaft dadurch die gesundheitspolitischen Maß- nahmen der Mitgliedstaaten lediglich unterstützt, das heißt, der Gemeinschaft werden keine exklusiven gesundheitspolitischen Kompetenzen zuteil. Zusätzlich gestärkt sind beziehungsweise bleiben die Mitgliedstaaten durch Art. 152 Abs. 4 lit. c) EGV und Abs. 5 des gleichen Artikels. Während Letzter „die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang“ gewahrt sehen möchte, ist im ersten Fall sogar von einem ausdrücklichen Harmonisierungsverbot die Rede. Demnach dienen gesundheitspolitische Fördermaßnahmen der Gemeinschaft dem Schutz und der Verbesserung der menschlichen Gesundheit, allerdings unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten.

Folglich verbergen sich hinter dem Begriff der „Fördermaßnahme“ gem. Art. 152 Abs. 4 lit. c) EGV vor allem unverbindliche Aktionsprogramme und Koordinierungsaufgaben, da Maßnahmen in diesem Bereich „in keinem Fall harmonisierend bzw. materiell rechtssetzend in die Kompetenz der Mitgliedstaaten eingreifen“ dürfen.16 Folglich ist eine aktive Gestaltung von Gesundheitspolitik ohne die Verknüpfung mit der Umsetzung des Binnenmarktes nicht möglich, denn darüber hinaus besitzt die Gemeinschaft nur schwache gesundheitspolitische Kompetenzen.

2.2 Entscheidungen des EuGH mit Relevanz für die Gesundheitspolitik

In den oben beschriebenen Bereichen ist die EK der entscheidende Impulsgeber, besitzt sie doch das Initiativmonopol. Hier lässt sich womöglich im Sinne von Giandomenico Majone von der „EU als einen regulativen Staat“ sprechen. Hierauf wird im theoretischen Teil dieser Arbeit noch näher eingegangen werden. Dennoch erreicht die gesundheitspolitische Kompetenz der Gemeinschaft dort ihre Grenzen, wo sie harmonisierend auf die Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten wirkt oder strukturell in die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten eingreift. Anders formuliert besitzt die Gemein- schaft in genau der oben aufgeführten Gruppe an gesundheitspolitischen Maßnahmen sehr eingeschränkte Kompetenzen, die ausschließlich der Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung (vgl. Art. 152 Abs. 1 UAbs. 1 EGV) dienen und nicht in irgendeiner Form dem Binnenmarkt geschuldet sind. Demnach bleiben die Kompetenzen hinsichtlich in der Gesundheitspolitik auf europäischer Ebene äußerst beschränkt.

Dennoch gibt es eine Ausnahme von dieser Regel, die dafür umso erstaunlicher ist und eine eminent große Wirkung entfaltet, und zwar auch hinsichtlich der nach dem Territorialprinzip funktionierenden nationalen Gesundheitssysteme. Denn einschlägige Entscheidungen des EuGH - um die es sich hierbei handelt - haben direkte Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme, genauer auf die Leistungsbeziehungen innerhalb der Gesundheitssysteme. Auch hierbei spielt der europäische Binnenmarkt wieder eine entscheidende Rolle. Ausgangspunkt dieser Entscheidungen waren nämlich Rechtsstreitigkeiten geführt von Klägern, die gegen die Nicht-Erstattung von Kosten von medizinischen Behandlungen im EU-Ausland klagten. Sie machten geltend, dass das Verhalten ihrer Krankenkassen gegen die Grundfreiheiten der Gemeinschaft verstößt. Somit sind gesundheitspolitische Auswirkungen der Rechtsprechungen des EuGH in diesen Fällen der Umsetzung des europäischen Binnenmarktes geschuldet. Im folgenden werden die wichtigsten Entscheidungen des EuGH in diesem Bereich dargestellt.

Die ersten beiden Entscheidungen des EuGH, die nachhaltig in Sozialversicherungssysteme einiger Mitgliedstaaten eingegriffen haben, erfolgten zu den Rechtssachen Decker17 und Kohll.18 Beide Entscheidungen ergingen im April 1998. Ausgangspunkt bei beiden Entscheidungen war eine Vorlage, gem. Art. 234 EGV eines luxemburgischen Gerichts an den EuGH. Nicolas Decker ist bei einer luxemburgischen Krankenkasse versichert. Das luxemburgische Gesundheitsversicherungssystem beruht auf dem sogenannten Kostenerstattungsprinzip. Das bedeutet, dass der Versicherte Leistungen in Anspruch nimmt, diese bezahlt und diese Kosten ganz oder teilweise von der Krankenkasse zurückerstattet bekommt.19 Decker klagte vor dem luxemburgischen Gericht aus folgendem Grunde: Er kaufte in Belgien eine Brille und hatte für diese auch eine Verschreibung eines luxemburgischen Arztes. Als er die Kosten von seiner Krankenkasse zurückerstattet bekommen wollte, lehnte diese die Erstattung mit der Begründung ab, dass Decker sich den Erwerb der Brille in Belgien zuvor hätte genehmigen lassen müssen, wie es die einschlägigen luxemburgischen Vorschriften vorsehen. In der Vorlage an den EuGH wird die Frage gestellt, ob die Weigerung der Erstattung der Kosten mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht oder nicht. Im Fall des luxemburgischen Versicherten Raymond Kohll geht es um folgendes: Er ließ bei seiner Tochter eine kieferorthopädische Zahnbehandlung in Deutschland vornehmen und verlangte von der Krankenkasse die Erstattung der angefallenen Kosten. Auch in diesem Fall lehnte die Krankenkasse die Erstattung der Kosten mit der Begründung ab, dass die Behandlung vorher vom Krankenversicherungsträger hätte genehmigt werden müssen. Im Fall Decker war demnach fraglich, ob die Weigerung der Krankenkasse, die Kosten für die Brille zu erstatten gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 28 EGV verstößt. Im Fall Kohll war fraglich, ob der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkasse für eine ambulante Behandlung im EU-Ausland mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EGV zu vereinbaren ist. In beiden Fällen sieht sich das nationale Sozialversicherungssystem mit den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts konfrontiert.

Der EuGH entschied in beiden Fällen zugunsten der Kläger, und zwar dahingehend, dass „der Sozialleistungsträger die Wahrnehmung der Grundfreiheiten zu ermöglichen habe.“20 Im Fall Decker muss die Krankenkasse die Erstattung der Brille mit der Begründung übernehmen, dass eine Genehmigung für den Erwerb medizinischer Erzeugnisse im Ausland gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 28 verstößt und mit den Ausnahmen aus Art. 30 EGV nicht gerechtfertigt ist. Analog dazu der Fall Kohll: Hier verstößt die Krankenkasse durch den Genehmigungsvorbehalt gegen den freien Dienstleistungsverkehr nach Art. 49 und 50 EGV. Eine Beschränkung des Grundsatzes der Warenund Dienstleitungsfreiheit ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Allgemeininteresse dies erfordert. Das heißt in Bezug auf diese beiden Fälle, eine Beschränkung des Grundsatzes der Warenverkehrsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit ist dann gerechtfertigt, wenn das System der sozialen Sicherheit in seinem finanziellen Gleichgewicht gefährdet ist. Eine solche Gefährdung sah der EuGH nicht, da er als Obergrenze für den Erstattungsanspruch bei Auslandsbehandlungen die Tarife des Leistungskataloges des Versicherungsstaates festlegte. Damit bekommt Decker die Kosten für die Brille erstattet, die ihm nach dem luxemburgischen Leistungskatalog zugestanden hätten, wenn er die Brille in Luxemburg gekauft hätte. Der Fall Kohll ist dazu äquivalent. Folglich kann dadurch das finanzielle Gleichgewicht eines Kostenerstattungssystem nicht gefährdet sein.

Da beide Fälle aus Luxemburg kommen, dessen Gesundheitsversicherungssystem nach dem Kostenerstattungsprinzip funktioniert, entfaltet die Rechtsprechung des EuGH auch nur für die Mitgliedstaaten mit einem solchen System Wirkung. Darüber hinaus bezieht sich das genehmigungsfreie Wahrnehmen von medizinischen Leistungen im EU-Ausland auf den ambulanten Bereich. Umgekehrt bedeutet dies, dass von diesen beiden Entscheidungen sowohl die stationäre Behandlung im Ausland für Versicherte eines Kostenerstattungssystems, als auch prinzipiell die Versicherten aus den beiden anderen in Europa anzutreffenden Gesundheitssystemen, nämlich dem Sachleistungsprinzip (wie beispielsweise in Deutschland) und den Staaten mit nationalen Gesundheitsdiensten (z.B. in Italien und England) nicht erfasst sind. Doch die folgenden zwei Entscheidungen zeigen, dass der EuGH sowohl den Krankenhaussektor (stationäre Behandlung), als auch das Sachlistungsprinzip nicht ausspart.

In den Entscheidungen Geraets-Smits & Peerbooms21 und Vanbraekel,22 beide aus dem Sommer 2001, geht der EuGH einen Schritt weiter. Auch hier war die Grundlage für das Befassen des Gerichtshofes mit diesen Streitigkeiten eine Vorlage eines niederländischen Gerichts. Niederländische Versicherte hatten gegen die Weigerung ihrer Krankenkassen geklagt, die Kosten von stationären Behandlungen im Ausland zu über- nehmen. In den Niederlanden gibt es ein Krankenversicherungssystem nach dem Sachleistungsprinzip (wie auch in Deutschland und Österreich). „Krankenversicherung nach dem Sachleistungsprinzip bedeutet, dass dem Versicherten ein Rechtsanspruch auf unentgeltliche Inanspruchnahme von Leistungen der niedergelassenen Ärzte oder Krankenhäuser zusteht; deren Tätigkeit wird global durch Zahlungen der Krankenversicherungen finanziert.“23

Grundsätzlich baute der EuGH die in den Entscheidungen Decker und Kohll aufgestellten Grundsätze für Versicherte aus Staaten mit einem Sachleistungsprinzip aus. Denn eine Erlaubnis für Versicherte aus Staaten mit Kostenerstattungsprinzip, denen es gestattet wäre die Dienstleistungsfreiheit umfassender in Anspruch zu nehmen, als denen von einem Kostenerstattungsprinzip oder einem nationalen Gesundheitsdienst erfassten Versicherten, wäre eine Ungleichbehandlung, die nicht gemeinschaftsrechtskonform wä- re.24 Des weiteren ist für den EuGH eine stationäre Behandlung eine Dienstleitung im Sinne der Art. 49 und 50 EGV. Somit ist eine stationäre Behandlung von den Tatbestandsmerkmalen der Dienstleistungsfreiheit des EGV erfasst. Aber der EuGH formuliert einen starken Genehmigungsvorbehalt. Diesen begründet er damit,

„dass jede Planungsanstrengung, die über das System der vertraglichen Vereinbarungen vorgenommen wird, um dazu beizutragen, ein Angebot an Krankenhauspflege zu gewährleisten, das rationell, stabil, ausgewogen und gut zugänglich ist, automatisch vereitelt würde, wenn es den Versicherten unter allen Umständen freistünde, Krankenanstalten, ob nun in den Niederlanden oder in einem anderen Mitgliedstaat, aufzusuchen, mit denen ihre Krankenkasse keine vertragliche Vereinbarung geschlossen hat.“25

Da in einem Sachleistungssystem die Krankenkassen verpflichtet sind, für beispielsweise die ständige Bereitstellung einer bestimmten Anzahl von Betten in Krankenhäusern zu sorgen, ist das Erteilen einer Genehmigung gerechtfertigt. Allerdings muss das Erteilen einer Genehmigung „auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien [beruhen], die im Voraus bekannt sind, damit dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern.“26 Demnach muss eine solche stationäre Behandlung als in der internationalen Medizin übliche akzeptiert sein und darüber hinaus muss diese Behandlung notwendig sein.27

Demnach hat der EuGH mit diesen beiden Entscheidungen folgende Bereiche tangiert: Ein Versicherter aus einem Mitgliedstaat mit Kostenerstattungsprinzip kann sich in anderen Mitgliedstaaten ohne Genehmigung ambulant behandeln lassen. Ein Versicherter aus einem Mitgliedstaat mit einer Sozialversicherung nach dem Sachleistungsprinzip kann sich - mit Genehmigung seiner Krankenkasse - stationär im Ausland behandeln lassen. Dies lässt sich auch auf einen Patienten in einem Kostenerstattungssystem anwenden.Mitgliedstaaten ohne Genehmigung ambulant behandeln lassen. Ein Versicherter aus einem Mitgliedstaat mit einer Sozialversicherung nach dem Sachleistungsprinzip kann sich - mit Genehmigung seiner Krankenkasse - stationär im Ausland behandeln

Die neueste Entscheidung des EuGH in diesem Zusammenhang datiert aus dem Mai 2003. In dieser Doppelentscheidung Müller-Fauré / van Riet28 entwickelt er die gemeinschaftsrechtliche Wirkung auf ambulante Behandlungen von Versicherteten aus Staaten mit Sachleistungsprinzip weiter. Geklagt hatte die in den Niederlanden versicherte Frau Müller-Fauré auf Erstattung der Kosten einer Zahnbehandlung (ambulante Behandlung) in Deutschland. Die Krankenkasse verweigerte die Erstattung, weil ihrer Meinung nach Frau Müller-Fauré vorher eine Genehmigung hätte beantragen müssen. Ebenfalls geklagt hatte die in den Niederlanden versicherte Frau van Riet auf Erstattung der Kosten für eine Arthroskopie, der sie sich in einem Krankenhaus in Belgien unterzog, obwohl ihre Krankenkasse eine ihr eine Genehmigung versagte. Vor Gericht machte sie jedoch geltend, dass sie dort diese Behandlung zu einem viel früheren Termin bekommen hatte, als sie sie in den Niederlanden bekommen hätte, die Behandlung demnach notwendig sei. Beide Fälle wurden dem EuGH gem. Art. 234 EGV vorgelegt. Auch diese Entscheidung wurde im Sinne der beiden Klägerinnen entschieden. Wie bereits dargestellt, erfüllen prinzipiell sowohl eine ambulante Behandlung, als auch eine stationäre Behandlung die Tatbestandsmerkmale der Art. 49 und 50 EGV.

Im Fall von Müller-Fauré entschied er, analog zum Fall Decker Kohll, dass eine Genehmigung für eine ambulante Behandlung im Ausland einer vom Sachleistungsprinzip erfassten Versicherten auch dann nicht verlangt werden kann, „wenn die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften ein Sachleistungssystem einführen, in dessen Rahmen die Versicherten Anspruch nicht auf die Erstattung der Kosten für die medizinische Versorgung, sondern auf die Versorgung selbst haben, die kostenlos erfolgt.“29 Die Begründung ist folgende: Zwar müssen die Krankenkassen einen Standard an medizinischen Leistungen im stationären Sektor gewährleisten. Doch „im ambulanten Bereich [trägt] nicht das System, sondern die Leistungserbringer selbst das finanzielle Risiko nicht ausgelasteter Kapazitäten im Inland.“30 Darüber hinaus ist eine Krankenkasse, analog zu den Entscheidungen Decker und Kohll, nur zur Erstattung der Kosten in der Höhe verpflichtet, wie sie im Versichertenstaat üblich sind. Das bedeutet, eine Krankenkasse kann sogar Kostenvorteile erzielen, wenn sich ein Versicherter billiger im Ausland behandeln lässt, als dies im Inland möglich gewesen wäre. Im Fall van Riet entschied der EuGH, dass die Gründe für das Nichterteilen der Genehmigung der niederländischen Krankenkasse für eine stationäre Behandlung im Ausland nicht mit den Kriterien der Notwendigkeit einer Behandlung, wie sie in den Fällen Geraets-Smits & Peerbooms und Vanbraekel entwickelt wurden, übereinstimmt. Demnach hätte eine Genehmigung erteilt werden müssen. Der EuGH konkretisierte die Kriterien, vor allem das der Rechtzeitigkeit aufgrund der langen Wartelisten, denen sich Frau van Riet in den Niederlanden konfrontiert sah.

Um es nochmals zu rekapitulieren, Art. 152 Abs. 5 EGV besagt folgendes:

„Bei der Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt.“

Diese Formulierung lässt das in den Staaten übliche Territorialprinzip erkennen. Demnach ist jeder Staat für die Organisation des Gesundheitswesens, also auch der Gesundheitssysteme selbst verantwortlich. Trotz dieses inhaltlich deutlichen Absatzes berührt der EuGH mit seinen Entscheidungen das Territorialprinzip bzw. die Autonomie der nationalen Gesundheitswesen. Dabei wägt er zwischen der Anwendung und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts und dem finanziellen Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit ab. Prinzipiell sieht der Gerichtshof in medizinischen Behandlungen eine Dienstleistung gem. Art. 50 EGV. Eine prinzipielle Rechtfertigung des Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit, was als Tribut an Art. 152 Abs. 5 EGV zu verstehen wäre, sieht er jedoch nicht, da seiner Meinung nach das finanzielle Gleichgewicht bestehen bleibt. Dagegen wird das Recht der Dienstleistungsfreiheit als umso schützenswerter erachtet. Somit hat der EuGH dem primär wirtschaftlich ausgerichteten Gemeinschaftsrecht „ein wirkungsvolles Einfallstor der europäischen Ebene in die nationalen Gesundheitssysteme“31 eröffnet. Darüber hinaus wirken die Entscheidungen des EuGH in der Tendenz harmonisierend, weshalb nicht nur auf Art. 152 Abs. 5 EGV ein genaueres Augenmerk zu werfen ist, sondern auch auf Abs. 4 lit. c) des gleichen Artikels. Denn vor allem in den Staaten mit einem Sachleistungsprinzip wird sich auf Dauer die Frage stellen, ob es nicht leichter ist, das Element der Kostenerstattung zu stärken, als mit vielen ausländischen Leistungserbringern Leistungsverträge abzuschließen.32 Hier erscheint doch das Kostenerstattungsprinzip, das es bei den deutschen privaten Krankenversicherungen schon gibt, das am einfachsten Handhabbare.

Entscheidender Ansatzpunkt für den EuGH zum Ansetzen des Gemeinschaftsrechts war bei allen drei Entscheidungen das Verhältnis zwischen Versicherern und Leistungserbringern. Versicherer in einem Staat mit einem Kostenerstattungsprinzip wollten vor den oben dargestellten Entscheidungen des EuGH nur die Kosten erstatten, die durch Leistungen von inländischen Leistungsanbietern erbracht wurden. Versicherer in einem Sachleistungssystem wollten hingegen nur die Kosten erstatten, die durch Leistungen eines Leistungsanbieters entstanden sind, mit dem der Versicherer unter Vertrag steht. Dieses Verhältnis existiert in einem Staat mit einem nationalen Gesundheitsdienst nicht,33 da hier die Versicherer die Leistung selbst erbringen. Zu diesem Gesundheitssystem und der einer möglichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf diesen Systemtyp hat der EuGH noch keine Entscheidung gefällt. Abzuwarten bleibt jedoch was passiert, wenn ein Versicherter aus einem solchen Mitgliedstaat medizinische Leistungen in einem anderen Staat in Anspruch nimmt und ihm die Erstattung verwehrt werden würde. Sowohl der Handlungslogik des EuGH folgend, wie sie im Verlaufe dieser Arbeit gezeigt werden soll, als auch aus der Logik des Art. 12 EGV (Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist verboten) heraus, steht zu vermuten, dass auch den Versicherteten aus einem Land mit einem nationalen Gesundheitsdienst der Zugang zu medizinischen Leistungen im EU-Ausland nicht verwehrt bleiben wird. Beispiele aus jüngster Vergangenheit zeigen, dass die sogenannte passive Dienstleistungsfreiheit mitunter sehr rege von Staaten mit nationalen Gesundheitsdiensten in Anspruch genommen wird. So ist es für den britischen Gesundheitsdienst anscheinend billiger, Patienten zum Beispiel in Deutschland behandeln zu lassen, als selbst für die medizinische Versorgung aufzukommen. Im Umkehrschluss belegt ein solches Beispiel natürlich auch den schlechten Versorgungszustand des britischen Systems. Abschließend zum Empirieteil bleibt folgendes zu sagen: Dieser Teil dient in aller erster Linie der Darstellung und nicht der Bewertung. Diese folgt vor allem im vierten und fünften Kapitel dieser Arbeit.

3 DIE THEORETISCHE GRUNDLAGE: DAS „ PRINCIPAL-AGENT“ MODELL

Auf der einen Seite ist die EU ein Staatenverbund von autonomen, souveränen Staaten, so der Tenor auf das schon in der Einleitung zurückgegriffene „Maastricht-Urteil“ des BVerfG.1 So bleiben die Mitgliedstaaten die „Herren der Verträge“, weitreichende Entscheidungen auf europäischer Ebene sind nach dieser Denkart ohne ihre Zustimmung nicht möglich. Auf der anderen Seite ist eben dieser Staatenverbund mit zwei supranationalen, durch keine demokratische Wahl unmittelbar legitimierten Institutionen ausgestattet, die genau diese Souveränität beeinträchtigen können. Demnach stellt sich die Frage, warum die Mitgliedstaaten als die „Herren der Verträge“ freiwillig der weitreichenden Kompetenzübertragung zugunsten der Kommission und des EuGH zugestimmt haben und warum sie das getan haben.

Zugespitzt formuliert: Die Mitgliedstaaten haben Institutionen kreiert, die aufgrund der ihnen übertragenen Kompetenzen in der Lage sind, die Souveränität ihrer eigenen

„Schöpfer“ mitunter zu unterminieren. Somit stellt sich zunächst die Frage, warum und aus welchen Beweggründen die Mitgliedstaaten einer solchen Kompetenzübertragung nicht nur zugestimmt sondern sie aktiv mit gestaltet haben. Diese Frage, wie auch die Folgen eines solchen Kompetenztransfers stehen im Mittelpunkt der nun folgenden Abhandlung.

Einen erklärungskräftigen Ansatz zur Klärung dieser Probleme bietet das sogenannte

„Principal-Agent“ Modell. Dieser Ansatz wurde in den amerikanischen Politikwissenschaften aus bereits bestehenden, vor allem wirtschaftswissenschaftlichen Theorien heraus entwickelt.2 Er ist stark dem akteurszentrierten Institutionalismus verhaftet. Der Ansatz befasst sich mit einer immer stärker aufkommenden Form der politischen Praxis, nämlich mit dem Übertragen von Aufgaben und den dazugehörigen Kompetenzen an eine nicht direkt gewählte und in großer Unabhängigkeit agierende Institution (Behörde, Amt, oder auch Agency; im Folgenden Agentur oder Behörde). Ausgangspunkt für den Ansatz ist die funktionale Logik des Delegierens. Auf diese funktionale Logik und die damit verbundenen Beweggründe des Delegierens, wie etwa die Reduzierung von finanziellen und politischen Kosten oder die Steigerung der „credible commitment“, soll im folgenden Abschnitt eingegangen werden. Dabei spielen zwei Akteursgruppen die zentralen Rollen: die „Principals“ und die „Agents“ (Agenten). Mit „Principals“ sind die öffentlichen, in Bezug auf die EU nationalpolitischen Entscheidungsträger gemeint, die die Autorität haben eine solche Behörde einzurichten und dies durch einen öffentli- chen Akt des Delegierens von Kompetenzen an diese Behörde tun (im Folgenden auch Delegierende genannt).3 Die Agenten sind demnach diejenigen, an die diese Kompetenzen transferiert werden. Anders gesagt, die Agenten „govern by exercising delegated powers“.4

Das Spektrum an Kompetenzen, die übertragen werden können, ist dabei sehr groß: Von einer bloßen Informationsbehörde, bis hin zu einer Agentur mit weitreichenden Einfluss-, Entscheidungsund Handlungsmöglichkeiten, wie beispielsweise Gesetzgebungskompetenzen oder, bezogen auf Gerichte, mit letztinstanzlicher Entscheidungskompetenz. Dabei lassen sich Kompetenzen nach Majone als „political property rights“ definieren, das heißt das Recht der Politik, öffentliche Aufgaben in einem bestimmten öffentlichen Bereich wahrzunehmen.5 In Bezug auf den Transfer von Kompetenzen an die Institutionen der EU bedeutet das, dass die nationalen Regierungen Teile ihrer „political property rights“ an die Gemeinschaft abgetreten haben. Der Umfang dieses Transfers spielt bei der Frage nach der institutionellen Ausgestaltung eine entscheidende Rolle, besteht doch zwischen diesem Umfang, der Unabhängigkeit einer Agentur und der Möglichkeit ihrer Kontrolle ein starkes Spannungsverhältnis.

Somit ist die Frage nach dem institutionellen Design einer Agentur und deren Kontrollinstrumente ein zentraler Aspekt der Diskussion dieses Ansatzes. Demnach zeichnen sich Agenturen vor allem durch zwei Charakteristika aus: Zum einen sind sie mit öffentlichen, politischen Kompetenzen ausgestattet und arbeiten innerhalb der von den Delegierenden bestimmten Zielvorgaben. Zumeist haben sie diese Kompetenzen exklusiv und müssen diese nicht mit anderen Institutionen oder Ministerien teilen.6 Zum anderen agieren sie relativ unabhängig, denn ihre Agenten sind weder regelmäßigen demokratischen Wahlen ausgesetzt, noch sind sie in der Ausführung ihrer Arbeit direkt ihren „Principals“ unterworfen (der letzte Aspekt gilt nicht für alle Agenturen, wohl aber für die Kommission und den EuGH).7 Gerade diese Unabhängigkeit von direkten Einflüssen bei der Ausübung ihrer Aufgaben, machen diese deshalb auch „Non-Majoritarian Institutions (NMI)“ genannten Agenturen unter demokratietheoretischer Sicht äußerst interessant. Von großem Interesse ist dabei die Frage nach der demokratischen Legitimation solcher Institutionen. Nachfolgend ist zu klären, warum, wie und mit welchen Konsequenzen Kompetenzen an eine „NMI“ gegeben werden. Wie noch zu zeigen sein wird, ist der Ansatz in der Lage, Antworten auf folgende Fragen zu geben, die diesem Kapitel auch zugrunde liegenwerden:8

1. Was motiviert die nationalen Regierungen, Macht, Einfluss und Kompetenzen an supranationale europäische Institutionen abzugeben?
2. Welches institutionelle Design ist für welche Aufgabe am geeignetsten und welche Kontrollinstrumente stehen den Delegierenden zur Verfügung?
3. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Delegieren für die Delegierenden? Verfolgen Agenten bzw. Agenturen eventuell auch eigene Interessen und steigen somit die Kosten des Delegierens?
4. Wie beeinflussen Erfahrungen mit bereits bestehenden „NMI“ zukünftige mögliche Delegierungen?9

Auf europäischer Ebene existieren einige solcher Agenturen: Neben der schon im Empirieteil angesprochenen EMEA, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Europäischen Rechnungshof sind dies vor allem die Kommission und der EuGH, auf die diese Beschreibungen passen und im Folgenden im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen.10

3.1 Gründe des Delegierens

Zunächst wird auf die erste oben aufgeführte Frage eingegangen: Was motiviert Regierungen zum Delegieren von Kompetenzen? Am Beispiel der EU heißt das: Was veranlasste nationale, souverän handelnde Staaten dazu, Teile ihres Einfluss-, Entscheidungsund Handlungsspielraums an supranationale europäische Instanzen abzugeben? Im Folgenden sollen fünf „Delegierungsgründe“ aufgeführt werden, unterteilt in zwei Blöcke.11 Die Ursachen der Gründe des ersten Blocks haben gemein, dass die hier abgehandelten Aspekte den Transfer von „political property rights“ mit der Reduzierung der Kosten des politischen Entscheidungsfindungsprozesses begründet werden. Im zweiten Block steht die Steigerung der Glaubwürdigkeit von gegenseitigen staatlichen Verpflichtungen im Mittelpunkt.

Erwartungsgemäß liegt einer Theorie des Delegierens, die ursprünglich aus wirtschaftwissenschaftlichen Theorien abgeleitet worden ist,12 bei allen möglichen Begründungen folgendes Schema zugrunde: Delegiert wird nur dann, wenn der erwartete Gewinn einer Delegierung die antizipierten Kosten übersteigt.13 Als Kosten sind hierbei sowohl die laufenden Kosten einer Agentur gemeint, als auch die Kosten, die bei einer bewussten Entscheidung gegen den Transfer von Kompetenzen in bestimmten politischen Feldern entstehen können.

3.1.1 Reduzierung der Kosten des „ policy-making“ Prozesses

Nachstehend werden drei Gründe dargestellt, warum das Delegieren von Kompetenzen an eine Agentur nachhaltig zu Kostenersparnissen des politischen Entscheidungsfindungsprozesses führen kann. Zuerst abgehandelt wird der Aspekt der Expertise, gefolgt vom Gesichtspunkt der gesteigerten Effizienz des politischen Entscheidungsfindungsprozesses durch das Handeln von Agenturen. Drittens wird auf den Aspekt der sogenannten

„blame avoidance“ eingegangen.

Zunächst zum Aspekt der Expertise. Auf spezielle politische Bereiche zugeschnittene, unabhängige Behörden oder Institutionen haben den entscheidenden Vorteil, dass sie Sachkenntnis und Spezialwissen stärker bündeln können, als dies im legislativen Prozess möglich ist. Letzterer wird als zu langsam angesehen, mit der zunehmenden Komplexität von Politiken, wie zum Beispiel dem rasanten technischen Fortschritt, mitzuhalten.14 So liegt einer der Delegierungsgründe darin, die für Politiker im legislativen Prozess als zu kompliziert und komplex erachtete Felder an eine mit Experten in diesem Bereich ausgestattete Agentur zu delegieren.15 Darüber hinaus kann eine Agentur von den Delegierenden die Aufgabe erhalten, bestimmte politische Ziele unter Maßgabe der ihr eigenen Sachkenntnis zu verfolgen. Bestes Beispiel auf europäischer Ebene hierfür ist die EZB. In ihr arbeiten Wirtschaftsexperten, die das Ziel der Geldwertstabilität verfolgen, und zwar in großer Unabhängigkeit von nationalen und europäischen Entscheidungsträ- gern (auf diesen Aspekt wird unter dem Stichwort „credible commitments“ noch näher eingegangen werden). Ähnlich verhält es sich mit der EMEA.

Eine Agentur kann auch ganz gezielt dazu eingesetzt werden, politischen Entscheidungsträgern aufgearbeitete Informationen und Kenntnisse zur Verfügung zu stellen, die die Grundlage von politischen Entscheidungen darstellen.16 So stellt die von der Kommission bereitgestellte Expertise häufig die Grundlage von Entscheidungen im Rat dar.17 Beim Generieren der Expertise spielen sowohl die Experten der spezialisierten Generaldirektionen der Kommission eine große Rolle, als auch nationale Experten, die die Kommission sowohl inhaltlich (z.B. der Wirtschaftsund Sozialausschuss), als auch verfahrenstechnisch hinsichtlich der Umsetzung von Politiken (so die sogenannte Komitologie) beraten. Somit kann das Vorhaben der Delegierung von Kompetenzen aus Gründen der Generierung von Sachkenntnis erklärt werden.

Eng verbunden mit dem Gesichtspunkt der Expertise ist der zweite, die Effizienz betreffende Aspekt. Das Delegieren von Kompetenzen an eine unabhängige Institution kann die Effizienz des politischen Entscheidungsfindungsprozesses erheblich steigern.18 Durch ihre Sachkenntnisse und Informationen in speziellen Gebieten sind solche Institutionen schneller und sachgerechter in der Lage, Entscheidungen zu treffen oder diese vorzubereiten. Damit handeln sie effizienter.19 So bietet die Kommission dem Rat nicht bloß gebündelte Informationen als Grundlage für Verhandlungen dar. Gleichzeitig steigt dadurch die Effizienz des Rates, der nicht darauf angewiesen ist, jedes Detailproblem selbst zu bewerten und dafür Lösungen auszuarbeiten.20

Dass dieser Vorteil sich mitunter auch als Nachteil herausstellen kann, da sich der

Rat auf die Arbeit der Kommission verlassen muss und diese über die Art und den Umfang der Präsentation ihrer Informationen selbst entscheiden kann, liegt auf der Hand. Der Kommission kommt aber nicht nur diese Funktion zu. Bei Verhandlungen wirkt sie darüber hinaus als Schlichter im Rat oder als Vermittler zwischen Rat und EP.21 Auch dadurch steigert sich die Effizienz des europäischen Entscheidungsfindungsprozesses, werden doch Unstimmigkeiten im Rat unter zu Hilfenahme des unabhängigen und neutralen Akteurs Kommission moderiert und gelöst. Ebenfalls zu einer gesteigerten Effizienz dieses Prozesses auf europäischer Ebene trägt der EuGH bei. Aufgrund des Vertragsgerippes des Gemeinschaftsvertrages22 ist er dazu autorisiert, auf Grundlage einer gemeinschaftsrechtlichen Streitigkeit entsprechende Lücken im Vertragswerk zu schließen. Gäbe es die Institution des EuGH nicht, müsste jede Streitigkeit zwischen den Mitgliedstaaten intergouvernemental ausgetragen und verhandelt werden, was gleichsam einen immensen Arbeitsaufwand bedeuten würde.

Folglich tragen beide Aspekte, sowohl das Aufbereiten von Expertisen als auch die Steigerung der Effizienz des politischen Entscheidungsfindungsprozesses, ganz offensichtlich zu einer Reduzierung der finanziellen Kosten des „policy-making“ Prozesses bei.

Ähnlich verhält es sich auch bei dem letzten in diesem Block aufgeführten und damit drittem Aspekt, dem der „blame avoidance“. Allerdings handelt es sich hierbei weniger um die Reduzierung finanzielle, als vielmehr um politische Kosten.23 Aufgrund dessen, dass die Agenten nicht direkt gewählt werden, sind sie in der Lage, als notwendig erachtete, aber für gewisse gesellschaftliche Gruppierungen unliebsame Politiken zu verfolgen.24 Denn im Gegensatz zu den „Principals“ müssen die Agenten nicht fürchten, bei der nächsten Wahl durch das Wählervotum abgestraft zu werden. Das heißt, Agenturen können sehr unpopuläre Entscheidungen treffen, die sich eine direkt legitimierte politische Körperschaft in diesem Maße nicht erlauben könnte. Somit sind im Gegensatz zu den Aspekten der Expertise und der Effizienz hier nicht die finanziellen Kosten entscheidend. Die Arbeit einer Agentur trägt unter dem Aspekt der „blame avoidance“ vielmehr zur Reduzierung der politischen Kosten bei.

Genau in diesem Aspekt ist ein Grund des Delegierens von Kompetenzen zu sehen: Müssen unpopuläre Entscheidungen in der Zukunft getroffen werden, ist es für die Delegierenden mitunter vorteilhaft, eine unabhängige Institution mit dem Ausführen und Umsetzen solcher Politiken zu beauftragen. Diese Institution spielt dann in der öffentlichen Kritik den Sündenbock, während die demokratisch direkt Legitimierten der öffentlichen Kritik aus dem Weg gehen. Nicht selten soll auch mit dem Verweis auf die Politiken solcher Institutionen von eigenen Fehlern abgelenkt werden.25

In groben Zügen können Teile der deutschen Finanzpolitik so beschrieben werden: Aufgrund der europäischen Konvergenzkriterien ist es Deutschland nicht erlaubt, eine Neuverschuldung von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu überschreiten (vgl. Art.

104 EGV). Somit schränkt sich der Handlungsspielraum der deutschen Finanzpolitik stark ein, eine Konsequenz, die bis in die Finanzierung der Sozialleistungssysteme - demnach ist auch das Gesundheitsfinanzierungssystem betroffen - durchschlägt. Ob es sich hierbei um einen „europäischen Würgegriff“ oder um die Unfähigkeit nationaler Finanzpolitik handelt, soll hier nicht beurteilt werden. Entscheidend ist jedenfalls, dass mit dem Verweis auf die Androhung eines „blauen Briefes aus Brüssel“ gewisse nationale Politiken als für nicht mehr möglich erachtet werden. In diesem Fall muss die EU, genauer die Kommission, als „Hüterin der Verträge“ als Sündenbock herhalten.26

Dieses Beispiel zeigt, dass sich die Konstituiertheit einer Agentur nicht nur zum Verfolgen von unpopulären sondern auch zum Verfolgen von langfristigen Politiken eignet, deren Effekte über den Zeitraum einer Legislaturperiode hinausgehen. Auch hier gilt, dass eine Agentur einen längeren Zeit-Horizont verfolgen kann, da sie selbst und ihr Personal, im Unterschied zu den Delegierenden, nicht unmittelbar von Wahlen abhängig ist. Auch hierbei spielt der Aspekt der „blame avoidance“ eine große Rolle. Denn wie das Beispiel zeigt, dient auch hier die Kommission als Sündenbock, werden doch auf Grundlage ihrer Verfolgung von langfristigen und nachhaltigen Politiken national unpopuläre politische Entscheidungen gerechtfertigt.

Es steht zu vermuten, dass die öffentlichen Entscheidungsträger die Arbeit einer Agentur, die der Expertise verpflichtet ist und „günstig“ unpopuläre Entscheidungen fällt oder langfristige Politiken verfolgt, begrüßt. Müsste die Legislative diese Entscheidungen treffen, wären die politischen Kosten in Anbetracht der kommenden Wahlen womöglich zu hoch. Somit kann das Delegieren an eine unabhängige Agentur nicht nur die finanziellen Kosten reduzieren, sondern auch die politischen.27

3.1.2 Steigerung der Glaubwürdigkeit von gegenseitigen Verpflichtungen und das Füllen von Vertragslücken

Das Delegieren von Kompetenzen an eine unabhängige Institution geschieht jedoch nicht nur aus Gründen der Kostenersparnis. Ein wichtiger, wenn nicht gar der entscheidende Grund zum Transfer von Kompetenzen kann das Erfordernis darstellen, eine gemeinsame gegenseitige Verpflichtung zwischen Staaten durch das Kreieren von supranationalen Institutionen glaubhaft zu untermauern.28 Dieser Gesichtspunkt lässt sich mit dem Begriff der „credible commitment“ zusammenfassen, der erste hier auszuführende Aspekt. Zweitens ist der Transfer von Kompetenzen an eine Agentur womöglich dann ein notwendiges Übel einer solchen gegenseitigen Verpflichtung, wenn Vertragslücken durch einen neutralen Akteur geschlossen werden sollen. So können Vertragsgegenstände mitunter eine hohe Komplexität aufweisen. Die Folge ist, dass zum einen Verträge nicht bis ins letzte Detail ausformuliert sind und zum anderen die dadurch offenkundigen Lücken weiter gefüllt werden müssen. Hierzu bieten sich neutrale, von allen Seiten anerkannte

„Ausfüller“ und Schiedsrichter an, gewährleisten sie doch eine „credilbe commitment“.

Unabhängigkeit einer A gentur als Steigerung der „cr edible commitment“

Zunächst zum ersten oben aufgeführten Aspekt. Das Kreieren von Institutionen kann der Verdeutlichung und des Unterstreichens der Absicht der Verfolgung von gegenseitigen Verpflichtungen von Staaten dienen. Durch das Abgeben von Kompetenzen der Mitgliedstaaten an supranationale Institutionen untermauern die Delegierenden damit ihr Interesse an der glaubhaften Verfolgung und Erfüllung der durch einen Vertrag eingegangenen Verpflichtungen. Um diese Erwartung erfüllen zu können, müssen die Institutionen jedoch neutral und unabhängig vom Einfluss einzelner Regierungen agieren können.

So lässt sich die Existenz der Kommission und des EuGH erklären: Im Falle beider Institutionen hat jeder einzelne Mitgliedstaat nicht nur wichtige politische und rechtliche Kompetenzen an eine europäische Institution abgegeben. Gleichzeitig symbolisiert jeder Mitgliedstaat dadurch seine glaubhafte Verpflichtung gegenüber der „europäischen Sache“. „The principle that the Community takes over regulatory competence from the member states gives credibility to their commitment to a single European market“.29 Aus einer anderen Perspektive gesprochen, können solche unabhängigen Behörden die Glaubwürdigkeit von abgegebenen Versprechungen demonstrieren, sowohl gegenüber anderen Staaten als auch gegenüber wirtschaftlichen Unternehmen oder der eigenen Bevölkerung.30

Aber weder der EuGH noch die Kommission sind bloß symbolischer Ausdruck gegenseitiger gemeinschaftsvertraglicher Verpflichtungen.31 Beide Institutionen sind mit den nötigen Kompetenzen bestückt, um für das Befolgen der Abmachungen und deren verbindliches Einhalten zu sorgen.32 So hat die Kommission beispielsweise das Recht, gegen einen Mitgliedstaat ein gerichtliches Verfahren wegen der Möglichkeit der Vertragsverletzung (nach Art. 226 Abs. 2 EGV) vor dem EuGH anzustrengen. Letzterer hat dann die Kompetenz über solche Fragen zu entscheiden (gem. Art. 230 Abs. 2 EGV) und gegebenenfalls Sanktionen auszusprechen, für deren Umsetzung wiederum die Kommission zuständig ist (gem. Art. 228 EGV). Auch dieser Aspekt trägt demnach zu Verbindlichkeit, Glaubwürdigkeit und rechtlicher Sicherheit für die Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene bei, wohlwissend, dass sie nicht nur Profiteure dieser Institutionen sondern im Einzelfall auch Verlierer sein können.33

Um jedoch den Aspekt der „credible commitment“ erfüllen zu können, bedarf es einer gewissen Unabhängigkeit der Institutionen. Dieser für das institutionelle Design wichtige Aspekt der Unabhängigkeit ist von zentraler Bedeutung, ist doch mit ihm eng die Frage verknüpft, inwieweit sich diese Institutionen kontrollieren lassen.34 Denn je unabhängiger eine solche Institution ist und je weniger sie dadurch an Parteien und Regierungen ge- bunden ist, desto mehr ist sie in der Ausübung ihrer Tätigkeit ihrer Aufgaben auf Basis ihrer Expertise verpflichtet und wirkt neutral und daher umso glaubwürdiger.35 Das Problem für die Delegierenden allerdings besteht nun darin, dass ihr Einfluss auf die Agenten sehr gering ist. In der EU ist dieser Aspekt der Glaubwürdigkeit der Kommission und des EuGH in Form der Resistenz vor direktem Einfluss von nationalen Regierungen oder Parteien von eminenter Wichtigkeit für die Integration Europas. Deshalb ist der Einfluss auf die Institutionen beschränkt auf die Gestaltung ihrer institutionellen, formellen Verfasstheit. Bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten sind sie jedoch inhaltlich unabhängig. Die Unabhängigkeit der Institutionen bezieht sich jedoch nicht nur auf die Selbstständigkeit gegenüber der Politik, sondern auch gegenüber wirtschaftlichen Akteuren und anderen gesellschaftlichen Akteuren und Lobby-Gruppierungen. Ist diese Unabhängigkeit jedoch nicht gegeben und ist die Einflussnahme in die Arbeit einer Agentur seitens wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Akteure möglich, so spricht der positive Regulierungsansatz von einem „Karpern“ („capture“) der Agentur.36 Diese Überlegung spielt jedoch in dieser Arbeit keine große Rolle. Deswegen soll auf diesen Aspekt nicht näher eingegangen werden.

Ein weiterer Aspekt der „credible commitment“ ist das Verfolgen von langfristigen und nachhaltigen Politiken der Agenturen. Denn bilateral abgeschlossene, transnationale Abkommen laufen Gefahr, bei einer wechselnden politischen Mehrheit in einem der beteiligten Staaten gekippt zu werden.37 Eine Agentur jedoch kann einen anderen Zeit-Horizont verfolgen, da sie selbst und ihr Personal nicht direkt von Wahlen abhängig sind. Damit trägt sie zur Steigerung der Glaubwürdigkeit und der Verlässlichkeit von gegenseitigen Verpflichtungen maßgeblich bei. Aber nicht nur die Agenten, sondern auch nationale Regierungen können auf der Grundlage der durch die Agenturen bearbeiteten Felder längerfristige, nicht auf die nächste Wahl ausgerichtete Politiken verfolgen.38 Somit kann das Problem der „time inconsistency“ umgangen werden.39

Folglich ist der Beweggrund der „credible commitment“ für den Transfer von Kompetenzen an eine Agentur von zentraler Bedeutung. Die aus der Verfasstheit der Agenturen resultierende Möglichkeit der Verfolgung langfristiger Politiken trägt nachhaltig zur Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit dieser Verpflichtungen bei.

Vertr agliche Komp etenzen und das Vertr agsgerippe des Gemeinschaftsrechts Zweitens, auf der Grundlage eines die beteiligten Staaten verpflichtenden Vertrages, kann das Delegieren von Kompetenzen an supranationale Institutionen ein notwendiges Übel darstellen. Denn bei Verträgen mit komplexen Vertragsgegenständen steht zu vermuten, dass nicht jedes Detail berücksichtigt werden kann und somit Lücken im Vertrag entstehen. Diese sind sowohl auslegungsals auch ausfüllungsbedürftig und somit Aufgaben, die den supranationalen Institutionen auf Basis ihrer Unabhängigkeit und Neutralität zugeschrieben werden.

Für diesen aus der Beschaffenheit von gegenseitigen Verpflichtungen resultierenden Grund des Delegierens von Kompetenzen an eine Behörde bildet die EU, in diesem Fall genauer die EG, ein prototypisches Beispiel: Die Gemeinschaftsverträge sind seit den Römischen Verträgen lediglich ein „Vertragsgerippe“ („framework-treaty“).40 Im Unterscheid zu einem Kaufvertrag, in dem der Gegenstand des Vertrags, nämlich in der Regel der Tausch einer Ware gegen Geld, klar umrissen ist, finden sich im Gemeinschaftsvertrag vor allem allgemein formulierte Ziele.41 Ein Vertragswerk zu konzipieren, das mit allen Details angereichert und gegen alle Eventualitäten gefeit ist, wäre aufgrund des umfangreichen Anwendungsgebietes und des Ziels eines gemeinsamen Binnenmarktes viel zu komplex, umfangreich und zu schwer operationalisierbar gewesen, falls es überhaupt gelungen wäre, einen solchen „Mammutvertrag“ zu erstellen. Aufgrund der unterschiedlichen Strukturiertheit der Wirtschaften der Mitgliedstaaten musste auch damit gerechnet werden, dass der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die Staaten äußerst ungleich sein würde und daraus zahlreiche kaum vorhersehbare Probleme entstehen würden. Auch die Prozesse der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung und Technisierung würden die Vertragspartner bei konkret, detailliert ausformulierten Verträgen vor große Probleme stellen.

Deshalb entschlossen sich die Nationalstaaten Verträge abzuschließen, die materiell (inhaltlich) lediglich Rahmen, Ziele und Anwendungsgebiete formulieren, formell jedoch ein ausgeklügeltes System enthalten, wie die „Löcher“ des Vertrags allmählich zu stopfen sind.42 In diesem System nehmen Kommission und EuGH äußerst zentrale Rollen ein. Sie wachen gleichzeitig über die Einhaltung der Verträge und tragen durch Rechtsakte (vorgeschlagen durch die Kommission, verabschiedet vom Rat) beziehungsweise durch Rechtsprechungen (EuGH) dazu bei, die Verträge durch Sekundärrecht als auch Richterrecht zu konkretisieren.43 So dienen beide Institutionen idealtypischerweise als überparteiliche und neutrale Instanzen, die in Streitfällen schlichten oder diese klären.44 In der englischen Literatur wird diese Art des Vertragsabschlusses „relational contracting“ genannt.

Die Gründe für einen Transfer von Kompetenzen an eine Agentur sind nunmehr aufgeführt worden. Die Entscheidung Kompetenzen abzugeben ist jedoch selten monokausal. Vielmehr handelt es sich aus einer Kombination der fünf genannten potenziellen Gründe. Nun stellt sich die Frage, wie solche Agenturen institutionell ausgestaltet sind und welchen Zwängen die Delegierenden beim Design dieser Institutionen unterworfen sind. Im Folgenden soll darauf eine Antwort gegeben werden. Im Mittelpunkt dabei steht das Spannungsverhältnis zwischen der zum glaubhaften Handeln notwendigen Unabhängigkeit von Agenturen vom direkten Einfluss nationaler Regierungen einerseits und ande- rerseits der Notwendigkeit, diese Agenturen seitens der Mitgliedstaaten kontrollieren zu können.

3.2 Das institutionelle Design einer Agentur

Sind öffentliche Entscheidungsträger nun zu dem Ergebnis gekommen, eine unabhängige Behörde zu installieren, ist die entscheidende Frage, wie das institutionelle Design und die Verfasstheit einer solchen Behörde aussehen muss. Bei der Beantwortung dieser Frage wird ein deutliches Spannungsverhältnis zwischen dem Erfordernis der Unabhängigkeit dieser Einrichtung und der Notwendigkeit, diese dennoch kontrollieren zu müssen, deutlich. Dabei verstärkt sich dieses Spannungsverhältnis noch dadurch, dass das Maß an Unabhängigkeit entscheidend ist für das Maß der an der Expertise orientierten Arbeit einer solchen Agentur und darüber hinaus für die Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der verfolgten Politik. Entscheidend für die Delegierenden ist demnach, wie groß der Handlungsund Entscheidungsspielraum einer Agentur konzipiert wird, der unabhängig irgendeiner Einflussnahme wahrgenommen werden kann. Thatcher und Stone Sweet nennen diesen Spielraum „zone of discretion“ und definieren diesen wie folgt: Die „Zone“ setzt sich zusammen aus der Summe der von den Delegierenden an die Agenten transferierten Kompetenzen abzüglich der Summe der Kontrollinstrumente.45 Diese Instrumente wiederum können in zwei Gruppen unterteilt werden, erstens in „ex ante“ (im Voraus) Kontrollinstrumente und zweitens in „ex post“ (im Nachhinein) Kontrollinstrumente. Auf diese beiden unterschiedlichen Formen von Kontrollinstrumenten und deren Vorbzw. Nachteile wird in den nächsten beiden Abschnitten eingegangen werden.

Bei der institutionellen Gestaltung stellt sich das Problem, wie unabhängig eine solche Agentur von ihren „Principals“ agieren soll, oder anders gesagt, ob die Agenten bei der Ausübung ihrer Arbeit weisungsbefugt sein sollen und wenn ja in welchem Umfang. Um dies beantworten zu können, muss eine Antwort auf die Frage gefunden werden, was eine solche Institution leisten können muss.46 Auf diesen Aspekt wird als Drittes am Ende dieses Abschnittes mit der Unterscheidung zwischen Treuhänder und Agenturen eingegangen. Diese Abhandlung veranschaulicht eindrücklich die Bandbreite möglicher Agenturausformungen, resultierend aus den Aufgaben, die an sie gestellt werden.

3.2.1 „ Ex ante“ Kontrollinstrumente

„Ex ante“ Kontrollinstrumente treten im Vorfeld der Arbeit einer Agentur in Erscheinung.47 Die Kontrolle der Delegierenden besteht hierbei vor allem in formell-rechtlicher Hinsicht. So zählt eine genaue Definition des Aktionsradius einer solchen Institution ebenso zu dieser Form der Kontrolle, wie der Einfluss auf ihre personelle Rekrutierung und ihr finanzielles Budget.

Der Aktionsradius einer Institution

Regulierungsbehörden, wie es zu großen Teilen die Kommission für den europäischen Binnenmarkt oder die EMEA für das EU-weite Zulassungsverfahren für Arzneimittel sind, brauchen einen deutlich größeren Entscheidungsund Handlungsspielraum, als eine Behörde, die lediglich für das Sammeln von Informationen und das Bereitstellen von Expertise autorisiert ist wie beispielsweise die europäische Umweltagentur.48 Dennoch, die Kommission hat zwar eine hohe Handlungsautonomie wenn sie das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht durchsetzt. Allerdings sind ihre Kompetenzen in gemeinschaftsrechtsfernen Angelegenheiten, wie z.B. die Koordinationsund Aufklärungsaufgaben des Art. 152 Abs. 1-3 EGV, bei denen sie auf die enge Kooperation mit dem Rat angewiesen ist, deutlich weniger weitreichend.49 Wie die Abhandlung in diesem Kapitel über das Treuhänderverhältnis zeigen wird, nimmt die Kommission einerseits die Funktion einer Treuhänderin, andererseits die einer Agentin ein. Dadurch ist die Kontrollmöglichkeit nationaler Regierungen über die Kommission größer. Außerdem können Initiativen der Kommission durch den EuGH50 als auch durch den Rat nach Art. 251 Abs. 2 EGV gekippt werden. Ihre politischen Initiativen sind aber auch anfälliger für den Einfluss von nationalen Interessen im Rat,51 die womöglich das angestrebte Ziel einer solchen Entscheidung behindern.

Wie sich im kommenden Kapitel zeigen wird, kann darüber hinaus sogar von einem schleichenden Bedeutungsverlust der Kommission gesprochen werden. Ein gewichtiger Grund bezieht diese Argumentation interessanterweise aus der Erkenntnis, dass die Aufgaben der Kommission sich qualitativ und quantitativ stark erhöht haben. Somit ist sie zum einen nicht mehr in der Lage, für jeden Politikbereich ausreichend viel Sachkenntnis zu generieren. Zum anderen führt diese zunehmende Fragmentierung an Aufgaben dazu, dass sich die Kommission weniger stark auf ihre Kernaufgaben konzentrieren kann. Auch die dieser Denkart folgende „Parlamentarisierung der Kommission“ führt zu einer Verkleinerung der gezielten Handlungsmöglichkeiten und damit zu einer Schwächung ihrer institutionellen Stellung.52

Anders verhält es sich beim EuGH. Er hat einen sehr großen eigenen Handlungsund Entscheidungsspielraum. Seine institutionelle Position ist im Primärrecht fest verankert, wodurch er eine „konstitutionelle Unabhängigkeit“ erfährt.53 Die gerichtlichen Entscheidungen des EuGH sind, außer durch ihn selbst, nahezu nicht zu revidieren. Es ist festzustellen, dass er in diesem bestimmten Feld nahezu alle „political property rights“ transferiert bekommen hat und dadurch in äußerst großer Unabhängigkeit agieren kann.54 Festzuhalten bleibt demnach die Vermutung, dass der Umfang des Aktionsradius einer Agentur der Aufgaben geschuldet ist, die sie wahrnimmt. Darüber hinaus lässt sich an dieser Stelle vermuten, dass der institutionelle Aktionsradius des EuGH nicht so vielen Schwankungen unterworfen ist, wie der der Kommission.

Personelle Rekrutierung

Ein weiterer Aspekt der „ex ante“ Kontrolle ist der Einfluss der Delegierenden auf die Personalentscheidungen einer Agentur. Setzen sie Agenten ein, die politisch ganz auf ihrer Linie liegen, besteht für sie eine hohe Sicherheit, dass die Agenten die von den „Principals“ entworfenen Wege und Ziele auch verfolgen. Der Nachteil einer solchen Konstellation ist die mangelnde Glaubwürdigkeit, die einer solchen Agentur bei der Ausübung ihrer Arbeit entgegen gebracht wird.55 Das bedingungslose Befolgen der Interessen der Delegierenden würde die Nützlichkeit der Delegierung eher zunichte machen. Diese Argumentation ist Majone Indiz genug, um die Rekrutierung von tendenziell integrationsfreundlichen Kommissaren zur Kommission und Richtern zum EuGH zu erklären.56 Mit diesen Personalentscheidungen ist den öffentlichen Entscheidungsträgern zwar einerseits klar, dass zukünftige Entscheidungen der Delegierten nicht primär ihren nationalen Interessen geschuldet sind. Andererseits demonstriert die bewusste Auswahl von integrationsfreundlichen Agenten aus den Mitgliedstaaten für die beiden Institutionen den anderen Staaten die eigene glaubhafte Verpflichtung und das Verfolgen der europäischen Integration („credible commitment“). Anders gesagt, die Glaubwürdigkeit einer Verpflichtung kann auch durch das Delegieren von Personen gesteigert werden, die offensichtlich nicht in jeder Frage die deckungsgleiche Meinung der Delegierenden einnehmen.57

Auch wenn die Argumentation einleuchtet, so bleibt dennoch unklar, ob nicht auch die Institution und deren Umfeld das Denken und Handeln in der Weise beeinflussen kann, dass ein vermeintlicher Kritiker der europäischen Integration sich in der Rolle eines „europäischen Agenten“ zu einer die Integration befürwortenden Person wandelt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Möglichkeit der Personalentscheidung ein gewichtiges „ex ante“ Kontrollinstrument der Delegierenden darstellt.

Finanzielle Ressourcen der Agenturen

Als letztes soll nun auf die formelle Kontrolle der Budgetierung von unabhängigen Institutionen eingegangen werden.58 Während die finanziellen Ressourcen eines Gerichts für dessen Arbeit nicht von primärer Wichtigkeit sind, stellt sich die Situation für die politische Institution der Kommission anders dar. Hierin ist für Majone einer seiner Hauptprämissen zu sehen, dass es sich bei der EU um einen regulativen Staat handelt.59 Denn die finanziellen Ressourcen, die der Kommission zur Verfügung stehen, um politische Programme selbstständig zu verfolgen, sind sehr gering. Fast 70 Prozent des EU-Haushalts fließen direkt in die europäische Agrarpolitik und in Strukturförderpro- gramme.60 Der Rest reicht kaum aus, um europaweite Verteilungsoder Umverteilungspolitiken zu verfolgen. Deshalb konzentriert sich die Kommission auf die „günstigste“ Methode der politischen Steuerung, nämlich die der Regulierung. Das besondere der Regulierung im Vergleich zur Distribution und Redistribution besteht darin, dass die Kosten dieser Politiken nicht vom Regulierenden, also der Kommission, getragen werden müssen oder finanzielle Mittel von ihr um-verteilt werden müssen, sondern von den Regulierten, wie nationale Regierungen, Firmen oder der Bevölkerung.61 Verglichen mit der qualitativen und quantitativen Wirkung der Arbeit der Kommission einerseits und des EuGH andererseits sind die finanziellen Mittel der beiden supranationalen europäischen Institutionen folglich denkbar gering. Auswirkungen hat diese geringe Budgetierung jedoch vor allem auf die Kommission. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind dadurch begrenzt. Demnach lässt sich vor allem die Kommission durch diese Form der „ex ante“ Kontrolle kontrollieren.

3.2.2 „ Ex post“ Kontrollinstrumente

Neben diesen eben dargestellten „ex ante“ Kontrollinstrumenten besteht noch die Möglichkeit, „ex post“ Kontrollen einzuführen. Delegierende können zum einen Entscheidungen der Agenturen annullieren, nicht zur Anwendung kommen lassen oder sie abändern.62 Im Gegensatz zu den formell-rechtlichen Kontrollen mittels Verfahren und Organisation der Institutionen handelt es sich bei „ex post“ Kontrollen um inhaltliche Überprüfungsinstrumente. Diese können unterteilt werden in erstens formelle und zweitens informelle Kontrollen.

Formelle „ ex post“ Kontr olle

Ein formelles „ex post“ Kontrollinstrument ist ein Verfahren, mit dem inhaltliche Entscheidungen von Agenturen überprüft werden können. Auf die europäische Ebene bezogen heißt das beispielsweise folgendes: Ist eine nationale Regierung mit einer Entscheidung der Kommission nicht zufrieden und glaubt, dass diese aus den ihr durch den Vertrag zugesprochenen Kompetenzen und Grenzen ausbricht, hat diese Regierung die Möglichkeit ein Verfahren gem. Art. 230 Abs. 2 EGV vor dem EuGH anzustrengen.

Wie das Beispiel des Versuchs der Einführung des Tabakwerbeverbots,63 das vom

EuGH als für nicht gemeinschaftsrechtskonform beurteilt wurde, zeigt, ist dieses eine durchaus wirkungsvolle Kontrollmöglichkeit. Entscheidet jedoch der EuGH im Sinne der Kommission, und zwar letztinstanzlich und damit verbindlich für alle Mitgliedstaaten, hätten die Nationalstaaten theoretisch die Möglichkeit die Entscheidung nicht zu akzeptieren und sie z.B. durch Nichtumsetzung nicht zur Wirkung kommen zu lassen. Diese Variante ist allerdings sehr unwahrscheinlich, droht doch in diesem Fall ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 und 227 EGV. Darüber hinaus würden die politischen Kosten aufgrund des Bruchs der „credible commitment“ den Nutzen der Nichtbefolgung der Entscheidung, so kann vermutet werden, deutlich übersteigen.64 Der EuGH jedoch bleibt von solch einer „ex post“ Kontrolle hinsichtlich seines „outputs“, also seinen Entscheidungen, unberührt.65

Somit ist folgendes entscheidend für diese Arbeit: Im Gegensatz zur Kommission gibt es für den EuGH keine formellen Kontrollinstrumente, die ihn daran hindern könnten, aus dem Vertrag auszubrechen. Zwar ist sowohl für die Kommission als auch für den EuGH die Kompetenzgrundlage das Gemeinschaftsrecht. Doch lediglich die Kommission hat im EuGH eine ihr rechtlich übergeordnete Instanz, die sie in die Schranken verweisen kann. Der EuGH besitzt diese Kontrolle nicht. Für die weitere Argumentation ist diese Feststellung von zentraler Wichtigkeit. Als gewissermaßen finales formelles „ex post“ Kontrollinstrument kann eine Mandatsänderung einer Agentur seitens der Delegierenden angesehen werden. Übertragen auf die EU ist diese Option allerdings nur schwer umzusetzen, erfordert doch eine Vertragsänderung die Einstimmigkeit im Europäischen Rat.

Informelle „ex post“ Kontrolle

Zum anderen gibt es auch die Möglichkeit, informelle oder indirekte „ex post“ Kontrollen einzuführen.66 So können öffentliche Entscheidungsträger der Nationalstaaten versuchen, Druck auf die supranationalen Institutionen auszuüben, mit dem Ziel, dass diese sich auf die Interessen der Staaten zu bewegen. So kann beispielsweise das Berücksichtigen und der Einzug von Grundrechten in die Rechtsprechung des EuGH als eine Reaktion auf das sogenannte „Solange I“- Urteil des BVerfG gewertet werden.67 In diesem Urteil bemängelte das BVerfG die mangelnde Einbindung von Grundrechten in die europäische Rechtsprechung. Deshalb behält es sich das BVerfG gemäß dieses Urteils vor, in letzter Instanz über die Anwendung von Gemeinschaftsrecht zu entscheiden, wenn eine Grundrechtsverletzung möglich ist, solange in das Gemeinschaftsrecht nicht der Maßstab von Grundrechten Einzug findet.68

Auch die vom Rat eingesetzten, mit nationalen Experten besetzten und mit der Kommission eng bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht zusammenarbeitenden Ausschüsse, genannt „Komitologie“, lassen sich sowohl als formelles als auch als informelles Kontrollinstrument definieren. Diese wurden 1987 eingeführt, also ein Jahr nach der für die Kommission wichtigen Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) und können somit als Antwort auf die gesteigerte Macht der Kommission gewertet werden. Als formelles Instrument kann es eingestuft werden, da dieses „Monitoring“ System auf der Grundlage eines Beschlusses des Rates eingerichtet wurde;69 informell, da zu vermuten steht, dass dieses System bei der Beschlussfassung von Maßnahmen der Kommission „im Hinter- kopf“ der Kommissare wirkt und somit ihr Vorgehen mitunter determinieren wird.

Die Komitologie deutet auf eine auf europäischer Ebene durchaus gängige Kontrollmethode hin. Demnach werden Agenturen durch „Meta-Agenturen“ oder durch Kontrollausschüsse kontrolliert, die teils paritätisch aus mehreren Institutionen und mitgliedstaatlichen Interessen folgenden Experten zusammengesetzt sind, teils aber auch einseitig durch nationale Interessensvertreter.70 So wird beispielsweise die europäische Umweltagentur durch einen Ausschuss kontrolliert, der klar durch Vertreter der Nationalstaaten dominiert wird. Es steht zu vermuten, dass der Grund für diese einseitige personelle Rekrutierung dieses Kotrollausschusses in den äußerst unterschiedlichen Standards der Umweltpolitik zu finden ist. So können die nationalen Experten die Arbeit einer Agentur kontrollieren um zu gewährleisten, dass diese weder von den umweltpolitischen Standards einiger Staaten abrückt, noch Standards setzt, die von einigen Staaten unerwünscht sind.

Eine Behörde wie die EMEA, die regulative Politiken verfolgt und deshalb auf ein größeres Maß an Unabhängigkeit angewiesen ist, um dem „commitment“ Problem zu begegnen, kann nicht in dieser starken Art und Weise von den Mitgliedstaaten überwacht werden. Für diese Behörde existiert ein Kontrollausschuss, dessen Personal paritätisch aus Rat, Kommission und EP rekrutiert wird (jeweils zwei Mitglieder). Hält man sich darüber hinaus vor Augen, dass Entscheidungen in diesem Ausschuss mit einer zweidrittel Mehrheit verabschiedet werden, zeigt dies den großen Einfluss „europäischer Interessen“, vor allem hinsichtlich der Umsetzung des Binnenmarktes.

Abschließend zu diesem Teil lässt sich als Faustregel festhalten: Je größer das „commitment“ Problem, umso wahrscheinlicher ist es, dass öffentliche Entscheidungsträger ihren Agenten und Agenturen einen weiteren Entscheidungsspielraum einräumen und schwache „ex post“ Kontrollen installieren.71 Doch der Aspekt des eigenen Entscheidungsspielraums und damit die Frage des institutionellen Designs ist entscheidend mit der Frage verknüpft, was eine unabhängige, aus dem üblichen legislativen politischen Entscheidungsfindungsprozess ausgegliederte Institution zu leisten imstande sein soll.

Deutlich ist hierbei, dass die Form der Funktion zu folgen hat („form follows function“). Das Beispiel des EuGH zeigt dies ganz deutlich: Die Notwendigkeit einen für alle Mitgliedstaaten in Sachen des Gemeinschaftsrecht verbindlichen und neutralen Schiedsrichter zu installieren, lässt die Nationalstaaten auch den Nachteil von möglicherweise mit ihren eigenen Interessen nicht konform gehenden Entscheidungen akzeptieren. Der Funktion eines solchen Schiedsrichters ist die Form eines solchen Gerichts geschuldet. Dennoch bleibt die Frage unbeantwortet, ob nicht ein stärker kontrolliertes Gericht die gleiche Funktion erfüllen könnte. Folglich wird das Design und die Verfasstheit einer Institution mit allen relevanten Fragen zu potenziellen Kontrollinstrumenten determiniert durch die Ziele und Präferenzen, die mit ihrer Delegierung verfolgt werden.72 Auf die Probleme der Installation von „ex post“ Kontrollen wird im Abschnitt über das „politische Unternehmertum“ noch einmal eingegangen werden müssen. In die Problematik der Funktion einer Agentur und ihrer Ziele und Präferenzen, nach der sich ihre Form zu richten hat, soll der nun folgende Teil Klarheit bringen.

3.2.3 Die Unterscheidung zwischen Agentur und Treuhänderverhältnis

Die Form einer Agentur richtet sich also nach der Funktion, die sie erfüllen muss. Doch die Bandbreite an Funktionen, die eine Agentur einnehmen kann ist groß. Interessant scheint die Frage, was das Besondere an den europäischen, hier in Rede stehenden Institutionen ist. Um die institutionelle Stellung, Macht und den Umfang an Kompetenzen, die die Kommission und der EuGH besitzen noch deutlicher darzustellen, wird deshalb im folgenden Abschnitt auf die von Majone ausgearbeitete Unterscheidung zwischen

„Agency“ (Agentur) und „Trusteeship“ (Treuhänderverhältnis) eingegangen.73

Was den Unterschied zwischen einem Agenten und einem Treuhänder ausmacht, ist der Transfer von „political property rights“, also das Übertragen des Rechts, öffentliche Aufgaben in einem bestimmten politischen Feld wahrzunehmen. Zwar sind sowohl der Agent als auch der Treuhänder verpflichtet, die von den „Principals“ formulierten Ziele in einem definierten Rahmen zu verfolgen. Darüber hinaus werden im Unterschied zu einem Agenten jedoch an den Treuhänder „political property rights“ transferiert. Wie die Definition dieses Anglizismus andeutet, geht es hierbei um das Wahrnehmen von Aufgaben, die öffentlicher Natur sind. Ein Treuhänder ist nicht bloß ein „verlängerter Arm der Delegierenden. Sondern ein Treuhänder ist in der Lage, seine Kompetenzen zugunsten einer dritten, aus der Öffentlichkeit stammenden Person, einzusetzen, mitunter auch gegen die Interessen der Delegierenden. Darüber hinaus stellt er für alle verbindliche Regeln auf die imstande sind, auch die eigenen Initiatoren seiner Institution einzuschränken.

„A trustee typically wields the power to govern those who have delegated in the first place.”74

Agenturen hingegen werden lediglich als verlängerter Arm der öffentlichen Entscheidungsträger gesehen. Sie dienen primär einer besseren Informationsgewinnung, der Bereitstellung von Expertise und dem Steigern der Effizienz des Prozesses der politischen Entscheidungsfindung. Ist jedoch das „commitment“ Problem entscheidend, und wird diesem durch das Kreieren einer unabhängigen Institution begegnet, deren Mitglieder

„neither directly elected nor managed by elected officials“75 sind, sind diese auch mit ei- nem eigenen Entscheidungsund Handlungsspielraum ausgestattet (durch den Transfer von political property rights). Es lässt sich von einem Treuhänderverhältnis sprechen. Somit ist ein Treuhänder „an agent and something more“,76 umgekehrt gilt diese Relation logischerweise nicht. Der Treuhänder führt in Vertretung für seine Delegierenden bestimmte Aufgaben und Handlungen aus. So ist zum Beispiel die Kommission durch ihre Funktionen des Umsetzens des Gemeinschaftsrechts und das damit verbundene sukzessive Schließen der Lücken des Vertragsgerippes77 eine Treuhänderin.

In ihrer Funktion als Moderatorin und Schlichterin von Streitigkeiten auf europäischer Ebene, als Expertin und Informationsquelle, also bei allen Aspekten, bei denen es primär um die Reduzierung von Kosten geht,78 ist sie jedoch als bloße Agentin anzusehen.

Treuhänder par excellence auf europäischer Ebene sind die EZB und der EuGH. Letzterem wurden die Kompetenzen übertragen, als Treuhänder gemeinschaftsrechtliche Streitigkeiten zu klären und zu entscheiden. Alle dafür erforderlichen „political property rights“ wurden an ihn transferiert. Darüber hinaus besitzt er diese Kompetenzen exklusiv, das heißt, er braucht und muss sie sich mit keiner anderen Körperschaft teilen. Seine Entscheidungen sind letztinstanzlich. Dabei ist seine institutionelle Stellung dadurch gekennzeichnet, dass er als Treuhänder keinen nennenswerten inhaltlichen Kontrollen unterworfen ist.79 Das bedeutet, dass sein eigener Aktionsspielraum (oder auch

„zone of discretion: Summe aller transferierten Kompetenzen minus der Summe aller Kontrollinstrumente) sehr groß ist, deutlich größer als der der Kommission.80

Das Beispiel des Versuchs der Einführung des Tabakwerbeverbotes gemäß Richtlinie RL 98/43 bestätigt diese Vermutung. Während der Rat auf Vorschlag der Kommission die Richtlinie erließ und somit einer Initiative des Verbraucherdirektorats der Kommission folgte, hatte der EuGH aufgrund der Klage Deutschlands die Kompetenz, diese Richtlinie letztinstanzlich für nichtig zu erklären.81 Somit war die Initiative der Kommission gescheitert und musste neu aufgerollt werden.82 Die Kompetenzen des EuGH sind im Gemeinschaftsvertrag verortet. Dieser beansprucht aufgrund der Doktrin der unmittelbaren Wirkung und des Anwendungsvorrangs nahezu Verfassungsrang gegen- über nationalem Recht.83 Doch da die Gemeinschaftsverträge nicht komplett, also unvollständig sind, wird dem EuGH das Recht zugestanden, an den entscheidenden Stellen das Recht fortzubilden.84 Anders gesagt, die juristische Überprüfungsinstanz des EuGH kann als institutionelle Antwort auf den inkompletten, nicht jedes Detailproblem erfassenden Gemeinschaftsvertrag gesehen werden. Diese Position kann kaum unterschätzt werden. Denn mit anderen Worten ist der EuGH in der Lage, ein quasi verfassungsähnliches Recht durch Richterrecht fortzubilden und seine Kompetenzen auszubauen. Diese Behauptung wird anhand der gemeinschaftsrechtsfernen Gesundheitspolitik in Kapitel 5 untermauert werden. zu sein, ohne Vertragsverhandlungen des Europäischen Rates abzuwarten und ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein oder kontrolliert zu werden. Somit betreibt der EuGH Rechtsbildung, eine Funktion, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung erst einmal der legislativen Gewalt zugeordnet ist. Dennoch, trotz dieses erstaunlichen Befunds kann vermutet werden, dass aus Sicht der Delegierenden die Kosten eines Treuhänders geringer eingeschätzt werden, als häufig Nachverhandlungen führen zu müssen oder Konflikte aufkeimen zu lassen.85

Auch bezüglich der Form und Aufgaben von Agenturen und Treuhänderverhältnissen lassen sich Unterschiede erkennen.86 Der Arbeitsauftrag ist bei einer Agentur strikt, klar und genau umrissen. Anders verhält es sich bei einem Treuhänderverhältnis. Hier sind lediglich Ziele und Präferenzen formuliert. Wie diese dann in der Praxis aussehen und ausgestaltet werden, hängt entscheidend vom Treuhänder selbst und der Art und Weise der Benutzung seines Aktionsspielraums ab. Auf die EU bezogen sind die Ziele und Präferenzen im Gemeinschaftsvertrag zwar klar formuliert, eine genaue Definition dieser Ziele und der Weg zu ihrer Erreichung jedoch nur vage und somit ausfüllungsund auslegungsbedürftig. Diese Aufgabe kann durch die beiden treuhänderischen Institutionen aufgrund ihres Aktionsspielraums erfüllt werden. „The fiduciary principle can be viewed as a rule for completing incomplete contractual arrangements.“87

Die Form eines Treuhänders ist jedoch äußerst genau formuliert. So soll ein mit umfangreichen Kompetenzen ausgestatteter Treuhänder formell so stark wie möglich gebunden werden, weiß man doch, dass – natürlich abhängig von der Funktion einer Einrichtung – die formellen „ex ante“ Kontrollmechanismen womöglich die einzig anwendbaren sein werden, vor allem in Bezug auf den EuGH.

Doch was ist in der Quintessenz das Wichtige an der Unterscheidung zwischen Agentur und einem Treuhänderverhältnis, worin liegt der Erkenntnisgewinn? Zum einen zeigt sich, dass eine unabhängige Institution mehrere Funktionen in sich vereinen kann, mit unterschiedlicher Qualität der Aufgaben. So ist beispielsweise die Kommission nicht nur Agentur, sondern auch Treuhänderin. Auch hier zeigt sich deutlich, dass die institutionelle Form der Qualität der Aufgaben geschuldet ist. Sind die Mitgliedstaaten bereit, Kompetenzen an die europäische Ebene abzugeben und liegt eine einheitliche Verwirklichung von Aufgaben in ihrem Interesse, wird der Kommission ein großer Handlungsspielraum eingeräumt. Sie geriert sich als Treuhänderin. Wollen die Staaten jedoch die Fäden bestimmter Politikfelder in der nationalen Hand belassen, und werden der Kommission in diesen Bereichen lediglich Koordinierungsund Informationskompetenzen zugedacht, zeigt sie sich in dieser Denkart eher als Agentin.

Damit zeigt sich ebenfalls deutlich die Verschiedenheit im Umfang der delegierten Kompetenzen anhand der für diesen Ansatz zentralen Kategorie der „political property rights“. Denn ist die Funktion einer Aufgabe mit einem starken „commitment“ Problem behaftet, wird dem - wie im Falle des EuGH sehr deutlich wird – mit dem nahezu vollständigen Transfer der „political property rights“ für dieses Feld begegnet, mit all der damit verbundenen Unabhängigkeit dieser Institution sowie äußerst geringer „ex post“ Kontrollmechanismen.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Unterscheidung zwischen Treuhänderverhältnis und Agenturen die Fülle an Kompetenzen, die die supranationalen Institutionen der Gemeinschaft inne haben, nochmals verdeutlicht. Darüber hinaus kann es als analytisches Instrument verstanden werden, den Umfang und die Qualität an transferierten Kompetenzen zu bestimmen um dadurch die Stärke einer Agentur zu überprüfen. Auf die Kritik Majones am „Principal-Agent“ Modell soll hier nicht eingegangen werden, was der hier verfolgten Argumentation keinen Abbruch tut. Denn die Gründe für das Installieren einer solchen Institution und die institutionellen Ausgestaltungsprobleme bleiben sowohl beim hier dargestellten Konzept von Majone als auch bei der “Principal-Agent” Analyse vergleichbar, wie die Konsequenzen und Kosten, die sich aus einem solchen Transfer von Kompetenzen ergeben, was der folgende Abschnitt zeigen wird. Deshalb wird dieses Konzept nicht als Alternative zu den bisherigen Ausführungen dargestellt sondern additiv als zusätzliche Erklärungsoption. Deshalb wird im Folgenden sowohl der Begriff des Treuhänders als auch weiterhin der der Agentur benutzt werden.

3.3 Die Konsequenzen des Delegierens

Sind nun die Delegierenden auf Grundlage der Beweggründe zu dem Schluss gekommen, eine nach einem bestimmten institutionellen Design gestaltete Agentur zu schaffen, stellt sich die Frage nach den Konsequenzen des Kompetenz-Transfers. Der hier zuerst zu behandelnde Aspekt geht der Vermutung nach, dass eine Agentur ein institutionelles Eigenleben entwickeln kann und im Ergebnis ihres Handelns von den Intentionen ihrer Delegierenden abweicht. Dieser Gesichtspunkt wird mit dem Begriff des politischen Unternehmertums umschrieben.

Zweitens tritt das Problem der Legitimation und damit auf die europäische Ebene bezogen das Problem des demokratischen Defizits stark in den Vordergrund. Dieser Aspekt lässt sich unter den politischen Kosten der Agentur subsumieren. „This loss of legitimacy can be an important, in some cases the most important, “agency cost”.”88 Auf diese Frage der Herrschaftsebene soll zwar wie angekündigt nicht verstärkt eingegangen werden. Dennoch zeigt folgendes Zitat wie eng dieser wichtige Aspekt mit der Existenz von Agenturen der europäischen Ebene verwoben ist:

„The democratic character of the Member States (the political principals) may be sufficient to legitimate the intergouvernmental component of the Union, but such indirect legitimation cannot provide an adequate normative foundation for its supranational component. This is because one of the most important tasks of the supranational institutions is to protect the rights an interests (as defined in the Treaties) of the citizens of the Union, even against majoritarian decisions of a Member State or against the preferences of a majority of the Member States. Hence, the supranational institutions of the EC cannot be legitimated by proxy, but must establish their own autonomous legitimacy, either through electoral channels (the case o the European Parliaments), or by other procedural and substantive means [. . . ].” 89

Zunächst wird auf den Aspekt des politischen Unternehmertums von Agenturen eingegangen. Dabei gilt die nun folgende Abhandlung lediglich der theoretischen Abhandlung dieses Problems. Die empirische Überprüfung dieser Überlegungen jedoch folgt vor allem in den kommenden zwei Kapiteln und steht dabei im Fokus.

Politisches Unternehmertum von Agenturen

Die Vermutung eines institutionellen Eigenlebens einer Agentur mag zunächst überraschen, erwartet man doch ihr schlichtes Befolgen von ihr zugeschriebenen Aufgaben in einem klar umrissenen Aufgabenfeld. Demnach kann man unterscheiden in zum einen antizipierbare, erwartete beziehungsweise erwünschte Effekte, zum anderen aber auch in unerwünschte Effekte. Zu den erwünschten Effekten der Installation einer Agentur zählt das Erfüllen der ihr zugeschriebenen Aufgaben. Zwar unerwünscht aber erwartet sind die laufenden Kosten für eine solche Agentur, wie beispielsweise Personalkosten oder die Kosten für Kontrollinstrumente.

Es besteht aber auch die Möglichkeit des Auftretens von unerwünschten, nicht vorhersehbaren Effekten. Vor allem die Größe des unabhängig vom direkten Einfluss der Delegierenden zu benutzenden Handlungsund Entscheidungsspielraums in Verbindung mit der Möglichkeit des Schließens von Vertragslücken und Rechtsfortbildung und all das bei der Abwesenheit von wirkungskräftigen formellen „ex post“ Kontrollen, lässt unerwünschte, nicht vorhersehbare Effekte für die Delegierenden möglich erscheinen. So können zum einen Unterschiede zwischen den von den Delegierenden eigentlich antizipierten und den von den Agenten tatsächlich verfolgten Politiken entstehen. Hierbei entstehen nicht-intendierte Kosten, oder anders gesagt: „ [...] the costs of any residual non-complaince that produces a difference between the policy enacted and what is actually implemented.“90 Dabei wird einer Agentur ein institutionelles Eigeninteresse unterstellt. Dieses Eigeninteresse oder Eigenleben kann immense finanzielle und politische Kosten verursachen.91

Falls die Gründung einer Agentur nicht den intendierten Zweck erfüllt, kann das verschiedene Ursachen haben. So kann der Zweck deshalb nicht erfüllt sein, weil die institutionelle Ausgestaltung ungenügend ist, ein Problem, das durch Einflussnahme auf die

„ex ante“ Kontrollmechanismen zu lösen ist. Zum anderen besteht jedoch für die Delegierenden die Gefahr, dass die Agenten einer Agentur andere politische oder strategische Ziele verfolgen als die ihnen von den Delegierenden zugedachten, was folglich ein „ex post“ Kontrollproblem darstellt.92 Allerdings kann diese Gefahr des „non-compliance“ erst dann aufkommen, wenn die Agentur ein ausreichend großes Maß an Unabhängigkeit und Handlungsautonomie besitzt. Dabei kann eine Agentur natürlich nicht völligaus dem ihr vorgegebenen institutionellen und politischen Rahmen ausbrechen. Dennoch, je größer die Unabhängigkeit einer Institution ist, desto größer ist auch ihr eigener Entscheidungsund Handlungsspielraum, in dem sie relativ frei zwischen politischen Optionen wählen kann.

[...]


1 BVerfGE 89, 155 [Rn 103].

2 Die „2. Säule“ umfasst die „Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik“ (Art. 11 des Vertrags über die Europäische Union (EUV)), die „3. Säule“ die „Polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ (Art. 29 EUV).

3 Zum Territorialprinzip: „Ausgehend von der völkerrechtlichen Grundnorm, dass die staatliche Hoheitsgewalt nur innerhalb des eigenen Hoheitsgebiets ausgeübt werden darf, ist als Ausfluss des Territorialprinzips der Grundsatz entwickelt worden, dass der Versicherungszwang grundsätzlich seine Schranke an den Grenzen der inländischen Staatsgewalt findet.“ BSGE 32, 174 [175].

4 Die vier Grundfreiheiten sind der freie Personen-, Waren-, Kapitalund Dienstleistungsverkehr.

5 EuGH (Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 [1269 ff.]), Fall “Costa ./. E.N.E.L”.

6 EuGH (Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [25 ff.], Fall “Van Gend & Loos”.

7 Vgl. Majone 1996a.

8 Vgl. Alter 1998, 2001.

9 Vgl. Majone 2002, 383 ff.

1 Fischer, Rn. 1.

2 Der Einfluss von gesundheitspolitischen Aspekten in verschiedenste Politikfelder ist auch auf die sogenannte Querschnittsklausel aus Art. 152 Abs. 1 UAbs. 1 EGV zurückzuführen. Diese Klausel entfaltet gerade deshalb in anderen Politikereichen ihre Bedeutung, da „bei der Festlegung und Durchführung aller Gemein-schaftspolitiken und –maßnahmen [...] ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt [wird]“ (Art. 152 Abs. 1 UAbs. 1 EGV). Fischer sieht hierin einen Ausgleich dafür„dass der EG in Art. 152 nur eine begrenz-te Zuständigkeit im Bereich der Gesundheit verliehen wurde.“ (Fischer, Rn. 19).

3 Vgl. Beutler, Bieber, Pipkorn, Streit, Rn. 1168; Oppermann, Rn 2057.

4 Richtlinie RL 98/43.

5 EuGH, Rs. C-376/98.

6 Beutler, Bieber, Pipkorn, Streit, Rn. 1170.

7 EuGH Rs C 376/98, Rn. 88.

8 Schmucker, 38.

9 Kelemen, 104.

10 Schmucker, 27; vgl. Kelemen, 103.

11 Schmucker, 27.

12 Mossialos, 62.

13 Eine Übersicht von auf Art. 152 EGV gestützten gesundheitspolitischen Richtlinien und Verordnungen bei Lurger, Rn. 44.

14 Vgl. Schmucker, 10; Beutler, Bieber, Pipkorn, Streit, Rn 1169.

15 Vgl. Lurger, Rn 43.

16 Lurger, Rn. 40.

17 EuGH, Rs. C-120/95.

18 EuGH, Rs. C-158/96.

19 Eichenhofer 2000, Rn. 106.

20 Eichenhofer 2003, Rn. 179.

21 EuGH, Rs. C-157/99.

22 EuGH, Rs. C-368/98.

23 Eichenhofer 2000, Rn. 106.

24 Eichenhofer 2003, 112.

25 EuGH, Rs. C-157/99, Rn. 81.

26 EuGH, Rs. C-157/99, Rn. 90.

27 „Die Genehmigung [kann] nur dann wegen fehlender medizinischer Notwendigkeit versagt werden [...], wenn die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer Einrichtung erlangt werden kann, die eine vertragliche Vereinbarung mit der Krankenkasse geschlossen hat, der der Ver-sicherte angehört.“ EuGH, Rs. C-157/99 – Geraets-Smits, Rn 108.

28 EuGH, Rs. C-385/99.

29 EuGH, Rs. C-385/99, Rn. 109.

30 Kingreen 2003, 202.

31 Schmucker, 38.

32 Anders Kingreen 2003, 203. Er hält Individualverträge mit ausländischen Leistungserbringern für denkbar und praktikabel.

33 „Krankensicherung nach dem Modell des nationalen Gesundheitsdienstes bedeutet, dass jeder Einwohner einen Anspruch auf unentgeltliche Behandlung durch die staatlichen Einrichtungen des Gesundheitsdienstes hat.“ Eichenhofer 2000, Rn. 106.

1 BVerfGE 89, 155 [Rn 103].

2 Thatcher/ Stone Sweet, 3.

3 Ebd.

4 Thatcher/ Stone Sweet, 4.

5 Majone 2001, 113.

6 Thatcher, 127.

7 Tallberg, 23; Thatcher/ Stone Sweet, 2.

8 Vgl. Tallberg, 24.

9 Auf diese Frage und den Gesichtspunkt des Isomorphismus soll in diesem Kontext nicht näher eingegangen werden. Weiterführende Literatur: Kelemen, 102; Radaelli; Tallberg, 36 ff; Thatcher 136 f.

10 Wilks/ Bartle, 151; Tallberg, 23.

11 Vgl. Majone 2001, 103.

12 Hier vor allem die Frage nach den „transaction costs“. Vgl. Thatcher/ Stone Sweet, 3; Majone 1996a, 96.

13 Tallberg, 25.

14 Kelemen, 94.

15 Majone 1998, 3. 16Thatcher/ Stone Sweet, 4. 17Tallberg, 27.

18 Thatcher/ Stone Sweet, 4.

19 Ebd.

20 Majone 1998, 3.

21 Tallberg, 27.

22 Auf diesen Aspekt wird in diesem Kapitel noch näher eingegangen werden.

23 Vgl. Abschnitt über die Reduzierung der Kosten des politischen Entscheidungsfindungsprozesses in diesem Kapitel.

24 Thatcher/ Stone Sweet, 4.

25 Tallberg, 27.

26 Ebd.

27 Majone 1998, 3.

28 Ebd.; Thatcher 130.

29 Majone 2001, 107.

30 Thatcher/ Stone Sweet, 4.

31 Zum Begriff der „symbolic politics“ vgl. Wilks/ Bartle, 156 f. Dazu ähnlich verhält sich das „constitutional argument“: So kann die institutionelle Stärke der Kommission als Ausdruck der wirtschaftspolitischen Grundorientierung der Mitgliedstaaten gewertet werden. Vgl. ebd.

32 Tallberg, 26.

33 Majone 1996a, 71.

34 Ausführlicher dazu in den kommenden beiden Abschnitten dieses Kapitels.

35 Wilks/ Bartle, 153 f.

36 Vgl. auch Majone 1996a, 71.

37 Ebd. 38Thatcher, 131.

39 Majone 2001, 109 f.

40 Ebd., 116.

41 Beispiele hierfür: „Die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung“ gemäß Art. 152 Abs. 1 EGV; „einen Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist“ gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. c) EGV.

42 Majone 1996a, 70.

43 Stone Sweet, 82.

44 Majone 1996a, 72.

45 Thatcher/ Stone Sweet, 5.

46 Vgl. Majone 1998, 8.

47 Ebd.

48 Kelemen, 102 f.

49 Thatcher/ Stone Sweet, 14.

50 Vgl. Beispiel des Versuchs der Einführung eines Tabakwerbeverbots.

51 Beim Einfluss von nationalen Interessen auf die Arbeit der Kommission ist nicht zuletzt an die sogenannten Komitologie-Ausschüsse zu denken.

52 Vgl. Kapitel 4 dieser Arbeit; Majone 2002.

53 Vgl. Wilks/ Bartle 152.

54 Vgl. Majone 2001, 113.

55 Vgl. Majone 2001, 104.

56 Majone 2001, 111.

57 Majone 2001, 109 f.

58 Vgl. Thatcher, 127.

59 Vgl. Kapitel 4; Majone 1996a, 65 .

60 Vgl. Zahlen bei Heinemann, 244.

61 Weiteres zum Aspekt regulativer Maßnahmen der Kommission und deren Kosten Kapitel 3.

62 Stone Sweet, 90 f.

63 Richtlinie RL 98/43; vgl. Empirieteil, Kapitel 2.

64 Tallberg, 28.

65 Thatcher/ Stone Sweet, 7. Die Ausnahme von dieser Regel ist ein Protokoll zu Art. 119 EGV des Vertrages von Maastricht. Es wird als Reaktion der EuGH-Entscheidung Rs. C-262/88 gesehen. Diese Entscheidung drohte für die betrieblichen Rentensysteme in Großbritannien erhebliche Auswirkungen zu haben. Vgl. Wolf-Niedermaier, 66.

66 Stone Sweet, 91.

67 So z.B. Kokott, 87. Anders Zuleeg, 1205.

68 Herdegen, Rn 243.

69 Abl. 1987 Nr. L 197/33.

70 Vgl. Kelemen, 101 ff. Er bezeichnet diese Ausschüsse als „management board“.

71 Stone Sweet, 82.

72 Tallberg, 28.

73 Majone 2001, 112 ff. Majone befindet die “Principal-Agent” Analyse für zu wenig erklärungskräftig und entwirft deshalb oben erwähnte Unterscheidung (vgl. Majone 2001, 104). An dieser Stelle sollen jedoch beide Ansätze nicht in Konkurrenz zueinander dargestellt werden, sondern vielmehr der Ansatz von Majone ergänzend gebraucht werden. Vgl. auch Stone Sweet, 88 ff.

74 Thatcher/ Stone Sweet, 7.

75 Thatcher, 127.

76 Ebd., 113.

77 Vgl. Abschnitt a. II) dieses Kapitels.

78 Vgl. Abschnitt über die Reduzierung der Kosten des politischen Entscheidungsfindungsprozesses in diesem Kapitel.

79 Thatcher/ Stone Sweet, 7.

80 Stone Sweet, 92.

81 Vgl. Beutler, Bieber, Pipkorn, Streit, Rn. 1170.

82 Vgl. Empirieteil, Kapitel 2.

83 Vgl. dazu Kapitel 5.

84 Rechtsfortbildung ist im Unterschied zur Rechtsauslegung eine Form der gerichtlichen Entscheidung, in der das Gericht bis zu einem gewissen Maße „legislative“ Funktion ausübt und Recht weiterentwickelt anstatt es nur auszulegen.

85 Majone 2001, 116.

86 Vgl. Majone 2001, 117.

87 Majone 2001, 117.

88 Majone 1998, 7.

89 Majone 1998, 8.

90 Majone 1998, 7.

91 Vgl. Abschnitt über die Reduzierung der Kosten des politischen Entscheidungsfindungsprozesses in diesem Kapitel.

92 Majone 1998, 6.

Ende der Leseprobe aus 103 Seiten

Details

Titel
Die europäische Gesundheitspolitik als Nagelprobe - Der erstarkte EuGH und die schwächelnde Kommission
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
103
Katalognummer
V113939
ISBN (eBook)
9783640136865
ISBN (Buch)
9783640137084
Dateigröße
900 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesundheitspolitik, Nagelprobe, EuGH, Kommission
Arbeit zitieren
Joachim Wentzel (Autor:in), 2004, Die europäische Gesundheitspolitik als Nagelprobe - Der erstarkte EuGH und die schwächelnde Kommission , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113939

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die europäische Gesundheitspolitik als Nagelprobe - Der erstarkte EuGH und  die schwächelnde Kommission



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden