Caspar David Friedrich: Das "Eismeer"


Seminararbeit, 2002

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


EINFÜHRUNG

"Aus der großen Zahl schöner Arbeiten, die bei ihm stehen, hat mir noch ein Nordmeerbild starken Eindruck gemacht, ein Eisberg hat da ein Schiff verschlungen, von dem nur mehr Reste zu sehen sind. Es ist eine große und schreckliche Tragödie, kein Mensch hat überlebt"[1], schreibt der franzö- sische Künstler David d'Angers 1834 nach einem Besuch im Atelier Caspar David Friedrichs in sein Tagebuch. Dass der bedeutendste Vertreter der deutschen romantischen Landschaftsmalerei ganz im Gegensatz zu vielen Künstlern seiner Zeit an der mediterranen Üppigkeit der Natur Italiens weniger Gefallen fand als an den rauen Landschaften seiner Heimat Norddeutschland, ist bekannt, doch scheint Caspar David Friedrich diese Vorliebe für nördliche Kälte und Schroffheit 1823/24 mit einem seiner Hauptwerke auf die Spitze getrieben zu haben: Das heute in der Hamburger Kunsthalle hängende "Eismeer"[2] (Abb. 1) ist eine Darstellung eines dramatischen Schiffbruchs inmitten einer kargen und unwirtlichen, von zersplitterten Eisschollen bestimmten Polarlandschaft – ein Werk, das schon allein auf Grund seines ungewöhnlichen Motivs eine Sonderstellung im Schaffen des Künstlers einnimmt. Wie ein Fremdkörper wirkt die bizarre Aufhäufung scharfkantiger Eisschollen inmitten der meist stimmungsvollen, verträumten Landschaften Friedrichs, verströmt Kälte, zugleich ungeheure Dramatik.

Nicht nur zeitgenössische Betrachter wie David d'Angers fühlten sich von dem arktischen Katastrophenszenario zutiefst berührt, auch auf Kunsthistoriker hat das eigenwillige Bild seit jeher eine ganz besondere Faszination ausgeübt. Schon oft war das "Eismeer" Thema wissenschaftlicher Publikationen, und besonders die Frage nach einer möglichen Intention des Werkes beschäftigt die Caspar David Friedrich-Forschung bis heute immer wieder aufs Neue. Sehr unterschiedliche Wege wurden von Kunsthistorikern bereits gewählt, um sich dem Bild zu nähern – sowohl politische, philosophische als auch religiöse Gesichtspunkte gaben den Ausschlag für zahlreiche, teilweise sogar widersprüchliche Deutungsansätze. Ziel dieser Arbeit soll es daher sein, das "Eismeer" mit der ihm eigenen Interpretationsproblematik vorzustellen, um schließlich drei grundverschiedene Betrachtungsweisen einander gegenüberzustellen.

Als erstes soll hierbei auf die Deutung Peter Rautmanns eingegangen werden, der das Bild in seiner Monographie aus dem Jahr 1991 vor allem vor den politischen und gesellschaftlichen Hintergrund seiner Entstehungszeit stellt und somit zu einer interessanten und schlüssigen Interpretation kommt, ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich darauffolgend mit dem häufig mit Friedrichs Landschaftsmalerei in Verbindung gebrachten zeitgenössischen Begriff des Erhabenen. Nach einer kurzen allgemeinen Einführung in grundlegende Aussagen der zur Zeit Friedrichs viel diskutierten ästhetischen Theorie soll die Möglichkeit der Übertragung desselben Gedankguts auf das "Eismeer" geprüft werden, wobei Überlegungen Rautmanns sowie Johannes Graves als Grundlage dienen werden. Zum Abschluss sollen einige Gedanken Dirk Tölkes sowie Helmut Börsch-Supans aufgegriffen werden, deren Interpretationen sich insofern ähneln, als dass beide das Bild in erster Linie von tiefer Religiosität und Ehrfurcht gegenüber der Natur motiviert sehen.

Bevor jedoch ausführlich auf die einzelnen Interpretationsmöglichkeiten eingegangen wird, soll das "Eismeer" zunächst einmal mit all seinen Besonderheiten vorgestellt werden. Nach einer genaueren Bildbeschreibung wird hierbei zunächst einmal die Frage nach möglichen Anregungen zur Motivwahl im Mittelpunkt stehen – ein kurzer Vergleich mit polaren Landschaftsbildern anderer zeitgenössischer Künstler sowie der früheren Behandlung des Themas "Schiffbruch im Eis" bei Friedrich soll im Anschluss daran das "Eismeer" in die künstlerische Tradition einordnen und dabei seinen speziellen Charakter umso deutlicher hervortreten lassen.

I. Bildbetrachtung

Caspar David Friedrichs "Eismeer" zeigt eine wüste arktische Landschaft aus flockiger, schmutzigbrauner Eisschneemasse und kantigen Schollenbruchstücken. Während im Vordergrund massige Eisplatten treppenartig übereinandergeschichtet den Boden bedecken, ragt im Zentrum ein gewaltiger Berg aufgetürmter zerborstener Eisschollen klippenartig empor. Anscheinend durch die Kollision von beiden Seiten drückender Eisplatten entstanden, wölben sich die sich übereinanderschiebenden, spitzwinkligen Schollenbruchstücke immer steiler in die Höhe, so dass die pyramidenförmige Eispressung unter dem zunehmenden Druck kurz davor zu stehen scheint, in sich zusammenzufallen. Erst auf den zweiten Blick fällt das Wrack eines Segelschiffes ins Auge, das in der rechten Bildhälfte unter den Eismassen begraben liegt. Nur das Heck, ein Stück Mast und ein Fetzen Segel sind noch zu sehen, der Rest des Schiffes liegt eingezwängt unter einer dicken Eisplatte, die kein Fortkommen mehr erlaubt. Wie es zu dieser bedrängnisvollen Situation kam, kann sich der Betrachter nur zusammenreimen: Vermutlich zu nah an die vereiste Spitze einer Landzunge gekommen, scheint das Schiff von den es umgebenden Eisbergen umschlossen und unter Wasser gedrückt worden zu sein, so dass es nun bis auf weiteres im ewigen Eis eingeschlossen liegt.

Dafür, dass die Szene sich nicht auf offenem Meer abspielt, sondern Vorderund Mittelgrund eine vereiste Küstenregion darstellen, gibt es mehrere deutliche Anzeichen. Nicht nur die leichte Erhöhung des Mittelstreifens sowie bisweilen irrtümlich für Schiffsmasten gehaltene abgeknickte Baumstämme in der linken Bildhälfte deuten auf die direkte Nähe zum Land hin, auch der unmittelbare Vordergrund lässt hieran keinen Zweifel: Die hier stufenförmig übereinanderlagernden Eisplatten fallen durch ihre extrem dunkle Farbe auf, Eis und Schnee sind mit Erdresten verbunden und bilden eine schmutzig gelbbraune bis ockerfarbene Masse.[3] Sowohl im Vorderals auch im Mittelgrund sind Eis und Schnee flockig und klumpig – die unregelmäßige Oberfläche scheint durch häufiges Antauen und wiederholtes Überfrieren entstanden zu sein.

Der Hintergrund zeigt ein eisbedecktes Polarmeer, das sich in unendliche Tiefe verliert. Bis zum Horizont erstreckt sich die gefrorene Fläche, nur hin und wieder ist die vereiste See von einzelnen größeren und kleineren Eisbergen durchsetzt, die im frostigen Nebellicht schon fast unwirklichen Charakter annehmen. Der Himmel ist wolkenverhangen, es herrscht eine diesige Atmosphäre, nur in der Mitte des oberen Bildrandes scheint die Wolkendecke ein wenig aufzureißen.

Entsprechend der Dramatik des dargestellten Motivs der Schiffskatastrophe ist die Komposition des Bildes von großer Dynamik geprägt. Hierauf macht vor allem Rautmann aufmerksam, der die Gesamtwirkung des Bildaufbaus als "expressiv" und von "jähe[n] Richtungswechsel[n]"[4] bestimmt bezeichnet: Während im Vordergrund die Eisplatten nahezu waagerecht übereinander lagern, befinden sich die Schollen im Mittelgrund fast ausschließlich in der Diagonalen, wobei es zu einer auffälligen Drehbewegung um eine gedachte Mittelachse kommt. Das Zusammenprallen der vorne von links und hinten von rechts drückenden Eisschollen bewirkt, dass sich die Platten in der Bildmitte in einer spiralförmigen Bewegung gegen den Uhrzeigersinn in den Himmel schrauben. Obwohl eine symmetrische Grundstruktur (lediglich die Spitze der pyramidenförmigen Eisaufwerfung ist leicht aus der Mitte nach links versetzt!) dem Bild eine gewisse Stabilität verleiht, sorgen so eine Vielzahl plötzlicher Richtungsänderungen sowie fast unendlich viele denkbare diagonale Linien für eine wilde, geradezu chaotische wirkende Struktur.[5]

Der kantige und schroffe Bildaufbau steht in Verbindung zu dem Eindruck äußerster Lebensfeindlichkeit, den das Gemälde vermittelt. Im Gegensatz zu anderen Landschaftsbildern Caspar David Friedrichs zeigt das "Eismeer" keine lebende Natur, sondern ausschließlich tote Materie: Die gesamte Erdoberfläche ist von Eis bedeckt, alles Organische abgestorben und jegliche Vegetation unter Eis und Schnee begraben. Die Natur ist erstarrt, alles Lebendige ist der gewaltigen zerstörerischen Kraft der unaufhaltsamen Eismassen zum Opfer gefallen; statt lieblicher Landschaft liefert das Eismeer ein Bild der Verwüstung und des Todes. Auch vor dem Menschen haben die übermächtigen Naturkräfte nicht haltgemacht: Das einzige Anzeichen menschlicher Zivilisation – das gescheiterte Schiff, nunmehr Gefangener des polaren Eises, dem jegliche Bewegungsfreiheit genommen ist –, wird nicht nur farblich ganz und gar von seiner Umgebung dominiert, sondern wirkt darüber hinaus ungewöhnlich klein, regelrecht zwergenhaft im Vergleich zu der Gewaltigkeit des Eisberges im Zentrum sowie den fast unnatürlich dick dargestellten Eisschollen.[6] Die schwere Eisplatte, die sich über das Schiffswrack schiebt, rief dabei bei vielen Friedrich-Forschern sogar die Assoziation mit einer Grabplatte hervor, so wie auch die kantigen Schollen des Vorderund Mittelgrundes wiederholt mit umgestürzten Grabsteinen verglichen wurden.[7]

Die deutliche Atmosphäre von Tod und Zerstörung lässt beim Betrachter zwangsläufig ein beklemmendes Gefühl der Einsamkeit, Verlorenheit und Ausweglosigkeit entstehen. Die Szenerie wirkt bedrohlich, die Natur übermächtig und alles vernichtend – ein "Niemandsland[.] des Todes".[8] Gerade auch der nebelverhangene Hintergrund und die scheinbar stillstehende Zeit verstärken das Gefühl der Abgeschlossenheit von der Aussenwelt und des Ausgeliefertseins.[9] Statt dass dem Betrachter vertraute Landschaftselemente zur Orientierung gegeben würden, findet er sich allein und hilflos in der unwirtlichen Einöde des Polarmeeres wieder – eine Gegend, die ebenso bedrohlich und furchteinflößend wie fremd und unvertraut ist.

II. Das Motiv: Anregungen zum Thema Arktis und Polarmeer

Was bewog Caspar David Friedrich zu einem unter seinen anderen Werken so hervorstechenden, in seiner Wirkung derart befremdlichen Bild? Diese Frage scheint umso brennender, wenn man bedenkt, dass Friedrich selbst niemals in der Polarregion gewesen ist, als Quelle für seine Darstellung also nur Werke anderer Künstler, Zeichnungen oder Reiseberichte herangezogen haben kann. Wie also kam er auf das Motiv, und wie ist es darüber hinaus möglich, dass er Eisschollen und Eisberge so wirklichkeitsnah darstellte?

Von großer Bedeutung für die Entstehungsgeschichte des "Eismeers" ist zunächst sicherlich die Tatsache, dass gerade zu der Zeit, als Friedrich an seinem arktischen Gemälde arbeitete, das Thema der Polarforschung sehr aktuell war. Zahlreiche Expeditionen in die Nordmeere erregten in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts das Interesse der Öffentlichkeit, so ganz besonders die Forschungsreise des Engländers William Edward Parry, die oft in direkten Zusammenhang mit Friedrichs Bild gebracht wurde. Parry war 1819 mit zwei Schiffen – "Hecla" und "Griper" – aufgebrochen, um eine sogenannte "Nordwest-Passage" zu finden, d.h. zur Verkürzung des Seewegs nördlich von Kanada einen Weg in den Pazifik auszukundschaften. Dabei war Parry weiter ins Eismeer vorgedrungen als alle seine Vorgänger – dennoch war auch ihm kein Glück beschieden: Vom Eis eingeschlossen musste er mit seiner Mannschaft im Nordmeer überwintern, auf dem Festland schon totgeglaubt kehrte er schließlich nach England zurück. Zwar war er in seinem Vorhaben gescheitert, doch errang seine Geschichte einen überaus hohen Bekanntheitsgrad, zumal Parry nach seiner Rückkehr ein Tagebuch über seine Expedition veröffentlichte, das "Jounal of the Voyage for the Discovery of a North-West-Passage from the Atlantic to the Pacific". Es wird vermutet, dass auch Caspar David Friedrich eine deutsche Übersetzung des Werkes gelesen hat, was ihm Anregungen zu seinem späteren Polarbild hat liefern können. Besonders die detaillierte Beschreibung der Eingeschlossenheit Parrys Schiffes "Griper" im Eis macht eine deutliche Parallele zu Friedrichs Gemälde erkennbar und hat sogar dazu geführt, dass das dargestellte Schiffswrack zeitweilig mit Parrys Schiff identifiziert wurde.[10] Auch wenn heute als unwahrscheinlich angenommen wird, dass Friedrich sich bei seinem "Eismeer" an einer konkreten Vorlage – sei es Parrys Schiffsabenteuer oder eine andere Forschungsreise – orientiert hat, ist der Zusammenhang mit der damaligen Aktualität derartiger Expeditionen und dem öffentlichen Interesse am Thema Polargebiete offensichtlich, und ein wichtiger Hinweis bei der Frage, warum sich Friedrich dem für die zeitgenössische Kunst doch noch eher ungewöhnlichen Thema des Polarmeeres widmete.

Und sogar in seiner direkten Umgebung mag Caspar David Friedrich hierbei Anregungen gefunden haben. So hatte der Künstler mit der vereisten Elbe, die er sogar vom Fenster seines Dresdener Ateliers aus sehen konnte, über Jahre hinweg im Hinblick auf die Bildung und Kristallisation von Eisschollen ein direktes Vorbild vor Augen, das ihn zu genauen Naturbeobachtungen anregte. Besonders stark war der Eisgang auf der Elbe im Winter 1820/21, also drei Jahre vor der Entstehung des "Eismeers". Inspiriert durch das außergewöhnliche Naturschauspiel hatte Friedrich schon damals drei Ölstudien[11] angefertigt, die eine sehr wirklichkeitsgetreue Darstellung von Eisschollen zeigten. Auf diesen sorgfältigen Studien sind bereits Details des späteren Gemäldes zu erkennen, was beweist, dass der Künstler sie als direkte Vorlage für das "Eismeer" herangezogen hat.

Zusätzlich hierzu kann auch ein Kindheitserlebnis Anhaltspunkte liefern, um Friedrichs vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema Eis zu erklären. So hinterließ ein tragischer Unfall, der sich noch während Friedrichs Jugendzeit in Greifswald ereignete, tiefe Spuren in der Seele des Künstlers: Beim Schlittschuhlaufen auf einem zugefrorenen Haff ertrank sein um ein Jahr jüngerer Bruder Cristoffer beim Versuch, ihn selbst, der im Eis eingebrochen war, aus dem Wasser zu ziehen.[12] Der Tod des Bruders bedeutete für Friedrich ein Kindheitstrauma, das ihn sein Leben lang verfolgte, so dass die Vermutung nahe liegt, dass, geprägt durch das persönliche Erleben, zeit seines Lebens für Friedrich eine besonders enge Verbindung zwischen Eis und Tod bestand. Die bedrohliche Simmung des "Eismeers" würde dieses persönliche Empfinden nur allzu sichtbar machen.

III. Die künstlerische Tradition: Das "Eismeer" im Vergleich zu früheren Polarbildern Friedrichs und anderer Künstler

Anlässe, die Nordpolarwelt zum Bildmotiv zu machen, mag es für Caspar David Friedrich demnach genügend gegeben haben. Und überhaupt scheint das Thema der Arktis eine gewisse Faszination auf den menschenscheuen Romantiker ausgeübt zu haben, bedenkt man zusätzlich, dass Friedrich sich vor seinem bekannten Polarbild bereits zwei andere Male mit dem Motiv befasst hatte.

Schon in seiner Jugendzeit – im Jahre 1798, kurz nachdem der Künstler Kopenhagen verlassen hatte – entsteht ein Ölgemälde, das ein vereistes Meer zeigt; ein weiteres, heute verschollenes Arktisbild verlässt um 1822 sein Atelier. Beide Gemälde zeigen ähnlich der Hamburger Polarlandschaft einen Schiffbruch. Wie seine früheren Bilder und das "Eismeer" von 1823/24 sich zueinander verhalten, bzw. wie sie in der Tradition polarer Bilder anderer Künstler stehen oder von ihr abweichen, soll im Folgenden ein kurzer Exkurs in die Geschichte der Nordpolarmalerei beleuchten. Interessant ist es dabei vor allem, Friedrichs Behandlung des Motivs des Schiffbruchs näher zu untersuchen, das ein in der Malerei über die Jahrhunderte immer wiederkehrendes Sujet darstellt.

1. Kräftemessen mit der Natur: Die englische und niederländische Marinemalerei

Wegen der nur allmählich fortschreitenden Erschließung des Naturraums fand die Welt der Polarmeere erst relativ spät Eingang in die Kunst. Nachdem zunächst lediglich Forschungsberichte sowie Seekarten beigefügte Illustrationen und Druckgraphiken die Vorstellung der Zeitgenossen vom Aussehen der Polarregionen bestimmt hatten, tauchten Eislandschaften erst ab Ende des 16. Jahrhunderts in Gemälden bekannter Künstler auf, wobei sie jedoch zunächst noch weit davon entfernt waren, ein eigenständiges Bildmotiv zu sein.

Die ersten arktischen Landschaften finden sich bei flämischen, holländischen und englischen Malern und gehören zur Gattung der Marinemalerei. Eisberge und Polarmeere bilden hier die Kulisse für historische Motive der Seefahrt, wobei sich vor allem die bildnerische Darstellung von Forschungsexpeditionen oder Walfangszenen großer Beliebtheit erfreute. Eine sehr dokumentarische und erzählerische Darstellungsweise ist typisch für diese frühen Nordmeerdarstellungen, deren Zielsetzung meist nicht zuletzt darin lag, die Emanzipation des Menschen gegenüber der Natur aufzuzeigen, indem sie das Vorwagen der frühen Seemächte in den als besonders gefährliche Naturregion geltenden hohen Norden dokumentierten. Die Illustration der wagemutigen Überschreitung der zuvor von Gott gegeben erschienenen Grenzen zur Bezwingung eines neuen Naturraums sollte Risikobereitschaft und Heldenmut der Seeleute hervorheben und Anerkennung in anderen europäischen Ländern hervorrufen.

Auch Schiffbruchdarstellungen gewannen in der flämischen und englischen Marinemalerei einen sehr dokumentarischen Charakter. Während das Thema des Schiffsuntergangs in Antike und Mittelalter meist von symbolischer Bedeutung gewesen war, wobei das Schiff entweder als Metapher für Staat und Gesellschaft oder im christlichen Zusammenhang als Sinnbild der Kirche oder der Lebensreise an sich verstanden wurde[13], löste sich das Motiv vor dem Hintergrund des sich aus-dehnenden Seehandels völlig aus dem symbolischen Zusammenhang.

[...]


[1] CERF 1928, S.106; übersetzt nach SUMOWSKI 1970, S.211

[2] 1823/24, Öl auf Leinwand, 96,7 x 126,9 cm, Hamburger Kunsthalle.

[3] Vgl. dazu z. B. RAUTMANN 1991, S.11, bzw. TÖLKE 1995, S.71 sowie GRAVE 2001, S.17

[4] RAUTMANN 1991, S.48

[5] Vgl. ebd., S.10-14. Rautmann weist hier über das spiralförmige Emporschrauben der Eisschollen hinaus auf eine "Konfliktgeladene Bildstruktur" hin, die durch zwei sich überlappende Kreuzstrukturen entsteht. So sieht er zum einen das Kreuz der beiden Diagonalen, die die Bildecken im Winkel von 45 Grad durchschneiden, zum anderen das der Waagrechten des Horizontes und der Senkrechten der gedachten Mittelachse als bildbestimmend an. Beide Kreuze wirken nach Rautmann gegeneinander, erzeugen Spannung und verstärken die dramatische Komposition des Bildes.

[6] Vgl GRAVE 2001, S.19-20. Grave fragt sich hier, ob Eisschollen in der Größe wie Friedrich sie zeigt, überhaupt existieren können und macht auf generelle Unstimmigkeiten in Größenverhältnissen und Perspektive aufmerksam.

[7] So z. B. RAUTMANN 1991, S.11-12

[8] ROSENBLUM 1981, S.36

[9] Vgl. z.B. GRAVE 2001, S.17-18

[10] Die Identifikation Friedrichs Schiffswracks mit dem "Griper" findet sich z. B. bei Karl August Böttiger ("Artistisches Notizenblatt", März 1825). Vgl. dazu KAT.1974, S. 258 und HOFMANN 2000, S. 228

[11] 1820/21,Öl auf Leinwand, 17,2 x 16,5cm; 14 x 18cm; 15,2 x 20,6cm, Hamburger Kunsthalle; Abb. 2

[12] Eine derartige Schilderung des Vorfalls findet sich bei ROSENBLUM 1981, S.36.

[13] Schon in Horaz' Carmen I, 14 ist von einem "Staatsschiff" die Rede; eine ähnliche Metapher findet sich in Ciceros "De re publica" (Buch I, Abschnitte 6, 34 bzw. 40). Als Symbol der "navigatio vitae" versinnbildlichte die Metapher der Schifffahrt überdies schon im alten Ägypten sowie in der griechisch-römischen Antike den Verlauf des menschlichen Lebens – ein Symbol, das später oft auf den Glauben bezogen wurde, so wie auch die christliche Kirche selbst häufig als "Schiff des Heils" dargestellt wurde. Vgl. dazu GRAVE 2000, S.33-36. Darüber hinaus beziehen sich viele Schiffbruchdarstellungen auf konkrete Überlieferungen der Bibel – ein beliebtes Motiv für bildnerische Darstellungen ist so v.a. im 16. Jahrhundert die im Alten Testament beschriebene Seenot des Propheten Jonas bei seiner Flucht aus Israel. Vgl.dazu KAT. 1974, S.36

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Details

Titel
Caspar David Friedrich: Das "Eismeer"
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Proseminar: Caspar David Friedrich und die romantische Landschaftsmalerei
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
28
Katalognummer
V113799
ISBN (eBook)
9783640151615
Dateigröße
3869 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Caspar, David, Friedrich, Eismeer, Proseminar, Caspar, David, Friedrich, Landschaftsmalerei
Arbeit zitieren
Magistra Artium Verena Wenz (Autor:in), 2002, Caspar David Friedrich: Das "Eismeer", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113799

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